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Nacht und Einsamkeit sind das gewöhnliche Element aller Gesichte, Geistererscheinungen und Theophanien. Sage mir, Krates, wie soll ich das nennen, was in der ersten Frühe dieses Morgens in mir vorging?
Von Baumgruppen und Gebüsch umschlossen saß ich auf einer Rasenbank des kleinen Hains, den mein Vater auf dem Gute, wo ich itzt wohne, der Artemis geheiligt hat, in Gedanken vertieft, die sich unvermerkt in ein Gewirre von Empfindungen verloren. Auf einmal wurde mirs, als stehe ich vor mir selbst, und schaue in mein Inneres wie in einen klaren tiefen See hinab. Ich sah nichts, fühlte aber mein verborgenstes Ich mit einem leisen zarten wunderbaren Weben und Streben, ohne mir eines Gegenstandes bewußt zu sein, erfüllt, und von einer unbekannten Kraft in ein uferloses unbeschreiblich reines Licht hineingezogen, worin meine Seele, von den göttlichen Urbildern alles Schönen und Guten angestrahlt, wie ein einzelner Tautropfen im Ozean, zu schwimmen schien. Plötzlich war mir als ob ich in diesem Meer von Schönheit und Liebe untersinke; alle meine Gedanken zerflossen in einander; alle Gegenstände waren verschwunden; eine süße Betäubung ließ mir nur noch das einzige Gefühl, als ob mein ganzes Wesen im Unendlichen aufgelöst wäre.
Allmählich komme ich wieder zu mir selbst. Ich sehe mich wieder von einzelnen Gestalten umgeben, deren jede einen stärker oder schwächer gebrochenen Strahl aus jenem unendlichen Lichtmeer auf mich zurückzuwerfen scheint. Ich fühle mich von ihnen angezogen. Ich nahe mich ihnen, aber sie bleiben unbeweglich. Ich drücke mich an sie an, sie sind kalt und widerstehen meinem Druck, ohne ihn zu erwidern.
Ich sehne mich, ihnen etwas von meiner Wärme, meinem Leben, meiner Seele, mitzuteilen. Das erhitzte Gefühl erzeugt einen Augenblick von süßem Wahnsinn: aber es war Täuschung; sie sind und bleiben mir fremd, kalt, leblos und unbeseelt.
Traurig entfern ich mich von ihnen, stehe wieder allein vor meinem Selbst, schaue wieder in seine Tiefen – Ach! er kehrt nicht wieder, jener wonnevolle Augenblick! ich seh in einen bodenlosen Schlund. Leer, entgeistert, ohne Kraft, ohne Liebe, schein ich mir in einem seltsamen Mittel zwischen Sein und Nichtsein zu schweben.
Auf einmal steht, von einem milden Glanz umflossen, ein Wesen mir gegen über, dessen Anblick mich plötzlich ins Leben zurückruft. Ein herzerfreuendes Licht geht von ihm aus, durchstrahlt mein ganzes Ich, und zieht mich unwiderstehlich zu ihm. Wer bist du, wunderbares Wesen? Nicht ich selbst, und doch erkenn ich ein zweites Selbst in dir. Mir ist, du allein habest alles was ich bedürfe, und bedürfest was ich allein dir geben kann.
Eine geheime Ahnung sagt mir, ihm sei eben so wie mir. Wir nähern uns einander unvermerkt. Eine unsichtbare Hand webt uns zusammen; jedes scheint sich selbst ins andere verwandelt. Eine tiefe weite Kluft, die sich zwischen uns auftut, kann nicht verhindern, daß wir uns innigst berühren und durchdringen. Wir verstehen einander, ohne zu reden: alles was wir denken, alles was wir wollen, ist Einklang: eine gemeinschaftliche Seele hat aus zwei Wesen Eines gemacht.
Es gibt keine Worte, die Klarheit, die Ruhe, die Liebe auszudrücken, die mein Innerstes erfüllen. In diesem wonnevollen Zustand seh ich mich auf einmal wieder von allen den Gegenständen umgeben, die kurz zuvor von mir weggeschwunden waren. Ich teile ihnen von dem Überfluß meines Lebens mit; sie veredeln und verschönern sich unter meinen Augen. Aber ich bedarf ihrer nicht; und nur, indem sie sich aus jenem wunderbaren Wesen in meine Seele zurückspiegeln, schmiegen sie sich, mit von ihm erborgter Anmut, an mich an, und empfangen ihren Anteil an der unerschöpflichen Fülle von Liebe, die in mir, wie in ihrem Brennpunkt, zusammengedrängt ist.
Schwärme ich, Krates? Sind es Irreden einer Fieberkranken, was du hier liesest? Nein, mein Freund! Ich erzähle dir nur so gut ich kann, was diesen Morgen in meiner Seele vorging. Es ist schwer, oder vielmehr unmöglich das Unaussprechliche auszusprechen, das Innigste, was wir fühlen, in Bildern abzuschalten. Aber sollte ich mich täuschen können, wenn ich glaube, daß du mich auch ohne alle Worte verstehen würdest?
Krates! – ich ertrag es nicht länger, daß du dich selbst peinigest! Ich weiß, du liebst mich – ich weiß es, wie ich mir meines Daseins bewußt bin – du hast nie ein Weib geliebt wie mich. – Solltest du darüber erröten? – Nenne mir, wenn du kannst, ein menschlicheres, schöneres, wohltätigeres Gefühl als die Liebe! Liegt nicht alles in ihr, was Edel, Gut und Groß ist? Ist sie nicht das Feuer vom Himmel, das die Keime aller Tugenden entwickelt? Ist sie nicht die Quelle des reinsten Glücks der Sterblichen? Aber sie will mitgeteilt sein; in unser Herz verschlossen, wandelt sie sich in ein fressendes Gift, das unsern Geist entkräftet, unser Lebensmark verzehrt. Was kann dich bewegen, dich vor deiner Hipparchia zu verhüllen? Laß es sein, daß ein feindseliges Gestirn uns noch Jahre lang, uns sogar auf immer getrennt halte: wo ist das Wesen in der Natur, das uns verhindern könnte, das uns verbieten dürfte, uns auch getrennt zu lieben? auch getrennt uns einander mitzuteilen? einander, wo nicht Alles, doch so viel zu sein, als unter unsern Umständen möglich ist? Ich für meinen Teil bekenne ohne Scheu, daß ich ohne dich nur ein halbes Wesen bin; daß ich nur mit dir und durch dich werden kann, was ich zu werden fähig bin. Und du, wenn du mich entbehren konntest bevor du mich kanntest, vermagst du es wohl noch itzt? Oder wenn du auch Stärke genug hast meine Entbehrung zu ertragen, bist du darum glücklich? – Und warum solltest du nicht glücklich sein wollen ? Wenn mich nicht alles trügt, so werden die Berge, die wir zwischen uns sahen, täglich niedriger, und verschwinden vielleicht in kurzem gänzlich. Du hast – wie konnt es auch anders sein? – die Achtung, sogar die Zuneigung meines Vaters gewonnen; beides muß dir den reinsten Genuß gewähren, da du es bloß durch deinen persönlichen Wert erhalten hast. Mein Vater liebt mich, und kennt meine Gesinnungen für dich; Leotychus ist abgetreten; wer steht dir noch im Wege als du Selbst?
Den 16ten Metageition.