Christoph Martin Wieland
Krates und Hipparchia
Christoph Martin Wieland

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III.
Leukonoe an Hipparchia

Was kann ich zu deiner Antwort sagen, Hipparchia? was soll ich von dir denken? Sage mir, um aller Götter willen, Mädchen, wo nimmst du all das seltsame Zeug her, das du dir in den Kopf gesetzt hast? Doch, ich merke nur zu wohl, daß es die Früchte der Freiheit sind, die dir dein Vater, seit dem Ableben meiner guten Schwester, unvermerkt zugestand. Es wollte mir nie gefallen, daß du immer mehr Lust hattest, über Büchern, die wir Weiber nicht verstehen und die nicht für uns geschrieben sind, als an deinem Spinnrocken zu sitzen, und lieber Briefchen an deine Freundinnen kritzeltest, als die Küchenrechnung führtest. Wie oft habe ich deinen Vater gewarnt, sich vor deinen Schleichereien in seine Bücherkammer in acht zu nehmen! Aber so geht es, wenn man zu viel Nachsicht gegen euch junge Schwindelköpfe hat!

Zu unsrer Großmütter Zeiten war ein Mädchen gelehrt genug, wenn sie ein halb Dutzend Äsopische Fabeln auswendig wußte, und einen leslichen Marktzettel zu Stande bringen konnte. Je weniger sie sah, je weniger sie hörte, je weniger sie fragte, desto besser erzogen war sie.Dies sind die eignen Worte des wackern Landmanns Ischomachus in Xenophons Ökonomikus, wo er (Cap. VII. §. 5.) von seiner Frau sagt: »Was hätte sie, als ich sie in einem Alter von kaum 15 Jahren heiratete, wissen sollen, da man sich bei ihrer Erziehung alle mögliche Mühe gegeben hatte, daß sie so wenig als möglich sah, so wenig als möglich hörte, so wenig als möglich fragte.« Die edelgeborensten Jungfrauen von Athen trugen an den Panathenäen die heiligen Körbe darum nicht mit weniger Anstand und Grazie auf ihren leeren Köpfen, als wenn sie mit ganzen Schiffsladungen philosophischer Spinneweben ausgestopft gewesen wären; und keine ehrbare Matrone in ganz Attika ließ sichs nur im Traum einfallen, mit ihrem Mann auf gleichem Fuße leben zu wollen, und sich über Unterdrückung zu beklagen, weil Gesetz und alte Sitte uns von jeher ein abgesondertes Frauengemach, wo wir allein regieren, eingeräumt haben.

Aber wozu sage ich dir das? Du hast, wie ich sehe, deinen Plan gemacht, und beinahe muß ich glauben, du kennest auch den Mann schon, mit dem du deine Verbindung auf gleiche Vorteile, wie du es nennst, zu schließen gesonnen bist. Wir werden acht haben müssen, daß uns der Schmetterling nicht einmal unversehens mit dem Faden um den Leib davon fliege.

Doch so schlimm kann ich von der Tochter meiner Schwester nicht denken. Wahrlich wir haben es nicht um dich verdient, daß es dir so gleichgültig sei, ob du uns Kummer oder Freude machest.

Ich habe weder Zeit noch Lust, über das, was du deine Denkart nennst, mit dir zu streiten. Nur eins will ich dir sagen, und ich bitte dich, nimm es wohl zu Herzen! Ich erinnere mich von meiner seligen Mutter, die eine sehr kluge Frau war, gehört zu haben, daß die schöne und in der Folge nur allzu berüchtigte Lais von Korinth gerade durch die nämliche Art zu denken, worauf du dir so viel zugute tust, durch denselben Abscheu vor den herkommlichen Einschränkungen unsers Geschlechtes, durch dieselbe Begierde, alle Vorrechte der Freiheit mit dem männlichen zu teilen, und durch den nämlichen heroischen Mut, sich über die sogenannten Vorurteile und die öffentliche Meinung hinwegzusetzen, endlich so weit gekommen sei, daß sie sich auch über die Scham hinweggesetzt, und keine Scheu getragen, sich an die Spitze einer Klasse von Frauenspersonen zu stellen, deren bloßer Name die Lippen einer ehrbaren Frau beflecken würde. Ich erwähne dieser Unglücklichen nicht, als ob ich dich nur des flüchtigsten Gedankens, ihrem Beispiel zu folgen, fähig glaubte. Aber wenn ich dich von demselben Blendwerk bezaubert sehe, in dessen Verfolgung sie ihren Untergang fand, könntest du mir übel nehmen, daß ich dich von einem Wege zurückrufe, worauf du unvermerkt mit ihr zusammen treffen würdest?

Wähne übrigens nicht, Hipparchia, daß dein Vater einer Verbindung, von welcher er sich das Glück seiner alten Tage verspricht, so leicht entsagen werde. So lange du nichts besonderes und erhebliches gegen Leotychus einzuwenden vermagst, werden wir uns nie bereden, daß es dir mit seiner Verwerfung Ernst sei. Man wird dir Zeit lassen dich eines Bessern zu besinnen, und Lamprokles wird sich hoffentlich in der Erwartung, daß er eine eben so gehorsame als gelehrte Tochter habe, nicht betrogen finden.

Den 12ten Thargelion.


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