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Jupiter, Numa, hernach ein Unbekannter.
Jupiter. Wie kommt es, Numa, daß wir dich schon einige Tage nicht an der Göttertafel gesehen haben?
Numa. Die Nachrichten, die uns Merkur neulich von Rom brachte, ließen mir keine Ruhe, bis ich mit eigenen Augen gesehen hätte wie die Sachen ständen.
Jupiter. Und wie hast du sie gefunden?
Numa. Ich sage es mit schwerem Herzen, Jupiter, aber vermutlich sage ich dir nichts neues damit: dein Ansehen bei den Sterblichen scheint unwiederbringlich verloren zu sein.
Jupiter. Hast du nicht gehört was Apollo neulich über der Tafel sagte?
Numa. Er vertröstete dich weit hinaus, Jupiter, – und auch dieser Trost dreht sich am Ende doch nur um ein Wortspiel. Es ist gerade als wenn ein Chaldäischer Wahrsager den großen Alexander, da er zu Babylon mitten im Genusse seiner Eroberungen an einem armseligen Fieber sterben mußte, mit der Versicherung hätte trösten wollen, daß zweitausend Jahre nach seinem Tode ein edler Enkel des großen Wittekind sein Bild in einem Ringe tragen werde. Ein solcher Gedanke mag, so lange man sich wohl befindet, ganz angenehm sein: aber für den Verlust des ersten Thrones der Welt ist er eine schwache Vergütung.
Jupiter. Ich hätte gedacht, Freund Numa, dein Aufenthalt im Olymp sollte deine Vorstellungen von solchen Dingen berichtiget haben?
Numa. Ich weiß sehr wohl, daß dich ein Dekret des Senats zu Rom des Einflusses, den du auf die Unterwelt hast, nicht berauben kann: aber –
Jupiter lächelnd. Sprich nur gerade heraus was du denkst! – mein Ohr ist seit einiger Zeit sehr duldsam geworden – Aber was?
Numa. Dieser Einfluß muß doch wohl von keiner sonderlichen Bedeutung sein, oder ich begreife nicht, wie du dich des göttlichen Ansehens und der hohen Vorrechte, die du so viele Jahrhunderte lang in der ganzen Römischen Welt genossen hast, entsetzen lassen konntest, ohne auch nur einen Finger zu rühren.
Jupiter. Wenn mein Flamen so etwas nicht begreifen kann, das mag ihm hingehen! aber du, Numa? –
Numa. Aufrichtig zu reden, Jupiter, – wiewohl ich gewissermaßen für den Stifter der Altrömischen Religion gelten kann, so war es doch nie meine Meinung, dem Aberglauben der rohen Römer mehr Nahrung zu geben, als zu ihrer Policierung unumgänglich nötig schien. Ich änderte zwar nichts wesentliches am Dienste der Götter, die ein uralter Volksglaube vorlängst in den Besitz der öffentlichen Verehrung gesetzt hatte: indessen war doch mein Augenmerk dahin gerichtet, den Weg zu einer reinern Erkenntnis des höchsten Wesens, so zu sagen, offen zu erhalten, und wenigstens der gröbsten Art von Abgötterei dadurch vorzubeugen, daß ich nicht erlaubte, die Gottheit weder unter tierischer noch selbst unter menschlicher Gestalt abzubilden und in den Tempeln aufzustellen. Ich betrachtete schon damals die verschiedenen Personen und Namen, die der Glaube der Voreltern zu Göttern erhoben hatte, entweder als Symbolen der unsichtbaren und unergründlichen Urkraft der Natur, oder als Menschen, welche die Dankbarkeit der Nachwelt für große Verdienste um das gesellige und bürgerliche Leben zu der Würde öffentlich verehrter Schutzgeister erhoben hatte. –
Jupiter. Und der Augenschein hat dich belehrt, daß du dich, in dieser letztern Vorstellung wenigstens, nicht sehr irrtest; wiewohl ich, was die Götterbilder betrifft, nicht deiner Meinung bin.
Numa. Hätt es zu meiner Zeit Phidiasse und Alkamenen im Latium gegeben, vermutlich würden diese Künstler auch mich auf andere Gedanken gebracht haben.
Jupiter. Wenn du uns also nie für etwas andres gehalten hast als was wir sind: woher die Verwunderung, daß wir es ganz wohl geschehen lassen können, wenn auch die Erdbewohner so weit kommen, uns für nichts mehr zu halten?
Numa. Es mag sein, daß die Gewohnheit unter euch zu leben, und euch von so langer Zeit her immer im Besitze der Anbetung der Menschen zu sehen, schuld daran ist. Beides hat euch in ein wunderbares Helldunkel für mich gesetzt, und mir vielleicht unvermerkt eine zu hohe Meinung von euerer Natur und Erhabenheit gegeben. Kurz, ich gestehe daß es mir Mühe kosten wird, Jupiter, mich an eine andere Vorstellungsart zu gewöhnen.
Jupiter. Beinahe hätt ich Lust, aus dem Helldunkel hervor zu treten, und die Decke von dem Geheimnisse meiner Familie wegzuziehen, worüber sich so viele wackere Leute auf der Erde den Kopf ohne Not zerbrochen haben.
Numa. Ich bin gewiß, daß du nichts dadurch verlieren wirst.
Jupiter. Man gewinnt immer bei der Wahrheit, Freund Numa! – Du weißt, daß keiner von uns Olympiern, wie lange wir auch schon da sind, und wie weit unsere Blicke reichen, einen Zeitpunkt angeben kann, da dieses unermeßliche Ganze zu sein angefangen hätte, dessen Dasein vielmehr der überzeugendste Beweis ist, daß es nie angefangen hat. Hingegen kann man mit eben so großer Gewißheit sagen, daß von allen sichtbaren Teilen desselben keines immer so gewesen sei, wie es ist. So hat z. B. die Erde, die wir einst bewohnten, schon vielerlei große Revolutionen ausgehalten, wovon sich, zum Teil, durch mündliche Überlieferung bei den ältesten Völkern einige Spuren erhalten haben. Von dieser Art ist die Sage unter den Nordländern, Indiern und Ägyptern: es habe eine Zeit gegeben, da die Erde von Göttern bewohnt worden sei. In der Tat waren die Bewohner der Erde in diesem ersten Zeitraume, wofern man sie anders Menschen nennen kann, eine Art von Menschen, die sich gegen die jetzigen ungefähr verhielt, wie der Olympische Jupiter des Phidias zu den Priapen von Feigenholz, die das Landvolk zu Hütern seiner Gärten aufstellt; so weit ragten sie an Größe und Schönheit der Gestalt, an körperlicher Stärke und an Kräften des Geistes über die Menschen der spätern Perioden empor. Die Erde befand sich mit ihnen und durch sie in einem Zustande von Vollkommenheit, der ihrer damaligen Bewohner würdig war: aber nach Jahrtausenden trugen sich große Veränderungen mit ihr zu. Ein Teil der Nachkommenschaft ihrer ersten Bewohner artete auf verschiedenen Erdstrichen aus, über welche ihr Anwachs sie genötigt hatte sich auszubreiten. Ungewöhnliche Weltbegebenheiten, Erschütterungen, Vulkane, Überschwemmungen, veränderten die Gestalt dieses Planeten. Während ganze Länder vom Ozean verschlungen wurden, stiegen andere allmählich aus den Fluten empor: aber der größte Teil der alten Erdbewohner ging unter dieser furchtbaren Umwälzung der Dinge zu Grunde. Die wenigen übrig gebliebenen irrten betäubt, mutlos und einzeln unter den Trümmern der Natur umher. Der Zufall brachte zwar hier und da einen Deukalion mit einer Pyrrha zusammen; aber ihre Nachkommen sanken bald aus Mangel und Elend bis zu tierischer Wildheit herab. Inzwischen erholte sich die Erde allmählich wieder aus dem chaotischen Zustande, der die natürliche Folge jener schrecklichen Konvulsionen war, und wurde immer geschickter ihren neuen Bewohnern Aufenthalt und Nahrung zu geben. Die neuen Stämme, womit sie sich wieder bevölkerte, nährten sich kärglich von Jagd und Fischerei, und, wo diese fehlten, von Eicheln und andern wilden Früchten; sie wohnten größtenteils in Wäldern und Höhlen, und die meisten waren so roh, daß sie nicht einmal den Gebrauch des Feuers kannten. Glücklicher Weise hatte sich auf den Höhen des Imaus ein Stamm jener ersten vollkommnern Menschenrasse bei seinen ursprünglichen Vorzügen und im Genuß aller Vorteile der Künste und der Wissenschaften, die ihre Vorfahren erfunden hatten, erhalten. Durch ähnliche Katastrophen genötiget, ihre angeerbten Wohnsitze zu verlassen, verbreiteten sie sich gegen Süden und Westen, und überall, wohin sie kamen, war ihre Ankunft der Erscheinung wohltätiger Götter gleich. Denn sie brachten nebst einer gebildeten Sprache und milden Sitten alle die Künste mit, von welchen unter jenen verwilderten Tiermenschen keine Spur mehr anzutreffen war, und deren Mangel sie eben zu dieser unmenschlichen Tierheit herab gewürdiget hatte. Du begreifst, Freund Numa, daß sie von diesen armseligen Geschöpfen wie Götter aufgenommen wurden, und durch alles Gute, das sie ihnen mitteilten, durch die Künste des Ackerbaues, der Viehzucht und der Anpflanzung, wodurch sie die Schöpfer einer neuen Erde, durch die bürgerlichen Gesellschaften, deren Stifter, die Städte, deren Erbauer und Gesetzgeber sie wurden, durch die lieblichen Künste der Musen, wodurch sie mildere Sitten, feinere Freuden und süßern Lebensgenuß verbreiteten, – du begreifst, sage ich, daß sie durch alle diese Wohltaten sich verdient genug um die Menschen gemacht hatten, um nach ihrem Tode (wovon ihr Aufsteigen in dieses reinere Element die natürliche Folge war) von einer dankbaren Nachwelt als Schutzgötter verehrt zu werden. Auch wirst du nicht weniger begreiflich finden, daß diejenigen, die sich einst so viele und große Verdienste um die Sterblichen erworben, auch nach ihrem Übergang in eine höhere Art von Leben noch Freude daran finden mußten, der Menschen, die das, was sie zu Menschen machte, von ihnen empfangen hatten, sich noch ferner anzunehmen, und überhaupt für die Erhaltung alles dessen zu wachen, wovon sie in gewissem Sinne die Schöpfer gewesen waren.
Numa. Nun wird mir auf einmal alles klar, Jupiter, was ich bisher nur wie in einem Nebel gesehen hatte –
Jupiter. Und nun wird dir hoffentlich auch klar sein, warum ich sagte: ich könne es ganz wohl geschehen lassen, wenn die Menschen so weit in der Aufklärung kommen, daß sie uns für nichts weiter halten als was wir wirklich sind. Aberglauben und Pfaffenbetrug, von Dichtern, Künstlern und Mythologen kräftig unterstützt, hatten den Dienst, den man uns erwies – und den wir uns bloß wegen seines wohltätigen Einflusses auf die Menschheit gefallen ließen –, nach und nach in eine törichte Abgötterei verwandelt, die nicht dauern konnte noch sollte; die von der immer zunehmenden Kultur notwendig untergraben wurde, und, wie alle menschlichen Dinge, endlich in sich selbst zusammen sinken mußte. Wie könnte ich verlangen, daß etwas nicht erfolge, was nach den ewigen Gesetzen der Notwendigkeit erfolgen muß?
Numa. Aber diese fanatischen Neuerer begnügen sich nicht, euern uralten und auf so große Wohltaten gegründeten Dienst zu reinigen; – sie zerstören, sie vernichten ihn! Sie rauben euch sogar, was sie euch schlechterdings schuldig sind; und, weit entfernt, die Begriffe der Völker von den Göttern ihrer Vorfahren zur Wahrheit herab zu stimmen, treiben sie den Unsinn ihrer frevelhaften Frechheit so weit, euch sogar für böse Dämonen und höllische Geister zu erklären und als solche zu behandeln.
Jupiter. Ereifere dich nicht, guter Numa! Mußte ich mir nicht auch, als meine Altäre noch rauchten, jedes platte und unanständige Märchen gefallen lassen, womit die Poeten ihre klaffenden Zuhörer auf meine Unkosten belustigten? Was kümmert es mich, was man da unten von mir spricht oder glaubt, nachdem der Zeitpunkt nun einmal gekommen ist, da der Dienst Jupiters den Menschen wohltätig zu sein aufgehört hat? Soll ich sie etwa mit Donnerkeilen zwingen, mehr Respekt vor mir zu haben? Was kann mir daran gelegen sein, ob sie mir den Olymp oder den Tartarus zur Wohnung anweisen? Bin ich hier nicht vor allen Wirkungen ihrer Meinung von mir gesichert? oder schenkt mir Ganymed deswegen eine einzige Schale Nektar weniger ein?
Numa. Aber ihnen ist daran gelegen, Jupiter, sich nicht durch die Aufhebung aller Gemeinschaft zwischen dir und ihnen, wozu sie sich verführen lassen, der Vorteile zu berauben, welche die Welt bisher unter deiner Regierung genossen hat.
Jupiter. Ich danke dir für deine gute Meinung von meinem Regimente, Freund Pompilius! Es gibt Spitzköpfe da unten, die meinen Einfluß auf die menschlichen Dinge in keinen so hohen Anschlag bringen; und, alles genau berechnet, dürften sie wohl so gar unrecht nicht haben. Man kann nicht mehr für die Leute tun als sie empfänglich sind; mit Wundertun hab ich mich nie gern abgegeben; und so geht dann gewöhnlich alles seinen natürlichen Gang, – toll genug, wie du siehst, aber im Ganzen doch so, daß man dabei bestehen kann. Dabei wird es, denke ich, auch fürs künftige sein Verbleiben haben. Was ich zum gemeinen Besten beitragen kann, ohne aus meiner Ruhe heraus zu gehen, werde ich immer mit Vergnügen tun: aber zu schwärmen und mich für Undankbare und Narren kreuzigen zu lassen, das ist Jupiters Sache nicht, mein guter Numa.
Der Unbekannte erscheint.
Numa. Wer mag wohl der Fremde sein, der dort auf uns zu kommt? Oder kennest du ihn etwa schon, Jupiter?
Jupiter. Nicht daß ich mich erinnerte. Er hat etwas in seinem Ansehen, das keinen gewöhnlichen Menschen ankündigt.
Der Unbekannte. Ist es erlaubt an euerer Unterredung Teil zu nehmen? Ich gestehe, daß sie mich aus einer ziemlichen Entfernung hierher gezogen hat.
Jupiter vor sich. Eine neue Art von Magnetismus! – Zum Unbekannten . Du weißt also schon wovon wir sprachen?
Der Unbekannte. Ich besitze die Gabe zu sein wo ich will; und wo ihrer zwei Wahrheit suchen, da ermangle ich selten, sichtbar oder unsichtbar der dritte zu sein.
Numa den Kopf ein wenig schüttelnd, leise zu Jupiter . Ein sonderbarer Patron!
Jupiter, ohne auf Numa zu achten, zum Unbekannten . So bist du ein sehr guter Gesellschafter! Mich freut es deine Bekanntschaft zu machen.
Numa zum Unbekannten . Darf man nach deinem Namen fragen, und woher du kommst?
Der Unbekannte. Beides tut nichts zur Sache, wovon die Rede unter euch war.
Jupiter. Wir sprachen bloß von Tatsachen; und diese erscheinen, wie du wissen wirst, einem jeden Zuschauer, nach seinem Standpunkt und nach Beschaffenheit seiner Augen, anders als den übrigen.
Der Unbekannte. Und doch kann eine jede Sache nur aus Einem Gesichtspunkte richtig gesehen werden.
Numa. Und der ist? –
Der Unbekannte. Der Mittelpunkt des Ganzen.
Jupiter leise zu Numa . Hinter dem ist entweder sehr viel – oder gar nichts. – Zum Unbekannten . Du kennest also das Ganze?
Der Unbekannte. Ja.
Numa. Und was nennest du seinen Mittelpunkt?
Der Unbekannte. Die Vollkommenheit, von welcher alles gleich weit entfernt ist, und der sich alles nähert.