Christoph Martin Wieland
Göttergespräche
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

Proserpina, Luna, Diana,
die einander auf einem Dreiwege begegnen.

Proserpina. Ei wie schön, daß uns der Zufall alle drei so unvermutet zusammen gebracht hat! So können wir doch endlich einmal einen Punkt ins reine bringen, der mir schon lange den Kopf warm macht.

Luna. Was kann das sein, Proserpina?

Proserpina. Sieh mir recht scharf ins Gesicht, Luna, betrachte mich von Kopf zu Fuß, von vorn und von hinten, und sage mir auf deine jungfräuliche Ehre, ob du mich wohl für Dianen angesehen hättest, wenn ich dir allein begegnet wäre?

Luna. Ich zweifle sehr daran. Gestalt und Kostüm ist ja so verschieden an euch, daß es unmöglich ist, euch selbst bei meinem blassesten Lichte zu verwechseln.

Proserpina. Aber dir und Dianen muß es doch öfters begegnet sein, daß jede sich selbst zu sehen glaubte, wenn ihr einander von ungefähr in den Wurf kamet?

Diana. Wir? Welch ein seltsamer Einfall! Ich sollte mich selbst in Lunen zu sehen glauben? Sie müßte sich nur in einen Spiegel verwandeln, wenn das möglich sein sollte.

Luna ironisch lächelnd. Wenn der Unterschied zwischen Dianen und mir auch geringer wäre als ich mir jemals geschmeichelt habe, so kenne ich mich doch selbst zu gut, um eines so seltsamen Irrtums fähig zu sein.

Proserpina. Ihr scheint also nicht zu wissen, daß wir alle drei, wiewohl unter verschiednen Eigenschaften und Namen, nur eine und eben dieselbe Göttin sind?

Luna. Wie? Du wärest – Ich?

Diana. Du – Diana?

Proserpina. Das will ich eben nicht behaupten, aber Ich bin Hekate, Du bist Hekate, und Sie ist Hekate, und ihr seid beide Hekate, ohne daß ich selbst deswegen weniger Hekate bin als ihr.

Diana. Vortrefflich! Und wer sagt uns solche Ungereimtheiten nach?

Proserpina. O das sagen Leute die es wissen müssen! das sagen die Mythologen!

Diana. Die Mythologen können sagen was ihnen beliebt! Ich denke doch, ich muß selbst am besten wissen was ich bin; und so lange ich nicht, wie die Töchter des Prötus, von der Nymphenwut befallen werde, soll mir niemand weis machen, daß ich Luna oder Proserpina, geschweige daß ich beide zugleich sei.

Luna lachend. Ereifere dich nicht, Diana! Wer weiß ob die Mythologen uns am Ende nicht besser kennen als wir selbst? Sie würden so etwas doch wohl nicht so positiv behaupten, wenn nichts wahres daran wäre?

Diana. Höre, Luna, über diesen Artikel verstehe ich keinen Scherz. Ich habe alle Achtung für dich: aber ich würde es auf keine Weise gut aufnehmen, wenn man mich mit dir verwechselte. Ich gönne dir deinen Endymion, und die funfzig Töchter, von welchen du ihn auf dem Latmos zum Vater gemacht haben sollst, von Herzen, nur verbitte ich mir die Ehre ihre Mutter zu sein.

Luna. Diana, Diana! zwinge mich nicht zum Reden! oder ich erinnere dich an etwas, worüber ich, wenn ich Diana wäre, mehr erröten würde, als über die Ehre, Mutter von funfzig hübschen Mädchen zu sein. Aktäon –

Diana. Du wirst mir doch den Aktäon nicht vorrücken wollen, der für das Unglück, mich ohne seine Schuld im Bade gesehen zu haben, hoffentlich strenge genug von mir bestraft wurde?

Luna. Die Faunen haben freilich lose Mäuler! und die Sterblichen, die von uns immer nach sich selbst urteilen, können sich unmöglich vorstellen, daß eine Göttin, die keine persönliche Ursache hat warum sie nicht im Bade überrascht werden will, einen so schönen Jäger, wie Aktäon, für einen Augenblick unschuldiger Augenlust so grausam bestrafen sollte. Sie meinen dir weit weniger unrecht zu tun, wenn sie den Faunen glauben, die bekanntermaßen große Lauscher sind, und die Verwandlung des armen Aktäon für eine bloße Folge der Kollision ausgeben, in welche die zärtliche Sorge für deinen Ruhm mit deinen Gefälligkeiten gegen ihn geraten sei.

Proserpina. Wie ich höre, so stände es eigentlich nur bei mir, die Ehre, mit Dianen und Lunen nur Ein Subjekt auszumachen, ein wenig zweideutig zu finden. Allein, da ich für meine eigene Person Proserpina bin, so kann ich es ganz wohl geschehen lassen, wenn ihr dieses oder jenes auf euerer Rechnung haben solltet, mit dessen Verantwortung ich mich eben nicht gern beladen möchte. Denn daß wir alle drei eine und eben dieselbe Hekate sind, hindert (wenn ich die Mythologen recht verstanden habe) nicht, daß jede für sich bleibt was sie ist; so daß Ich weder Luna noch Diana, sondern Proserpina bin, Du hingegen weder Proserpina noch Luna, sondern die jungfräuliche Jägerin Diana, und du, Luna, weder Diana noch Proserpina, sondern die nämliche Luna bist, die den glücklichen Endymion mit funfzig Töchtern beschenkte.

Luna. Ah! nun habe ich die Auflösung des Rätsels gefunden! Hekate ist bloß ein Name, der uns allen dreien zukommt.

Proserpina. Um Vergebung! Hekate ist kein bloßer Name, sondern die wahre wirkliche leibhafte Hekate, die aus uns dreien zusammen genommen besteht und deswegen die dreifache und dreiförmige genannt wird.

Diana. Wir beide sind also so gut Hekate wie du?

Proserpina. So sagen die Mythologen.

Diana. Wenn dies ist, so sind drei Hekaten; das ist doch klar?

Proserpina. Mit nichten! ich sehe daß ihr mich noch immer nicht verstanden habt.

Luna. Wenn du dich nur erst selbst verständest, gute Proserpina! Wie können wir nur Eine sein, da unser doch, wie du siehest, drei sind?

Proserpina. Freilich drei, insofern ich Proserpina, du Luna, und diese Diana ist, aber nur Eine Hekate, insofern Luna und Diana eben so gut Hekate sind als ich selbst.

Luna. Gestehe, Göttin, daß du uns mit deinen mythologischen Subtilitäten ein wenig zum besten hast! Wir sind, und sind nicht; ich bin du, und du bist nicht ich; wir sind drei, und sind Eins, und was keine von uns einzeln ist, das sind wir alle drei – Was für ein Gallimathias! Ich will nicht Luna sein, wenn ich ein Wort davon verstehe.

Proserpina. Es geht mir selbst nicht besser, meine Liebe. Ich hoffte die Sache sollte durch unsre Zusammenkunft ins klare gesetzt werden: aber ich muß bekennen, daß mir über dem Bestreben, euch etwas, das ich selbst nicht begreife, begreiflich zu machen, grün und blau vor den Augen wird. Wenn wir nur gleich einen Mythologen hier hätten!

Luna. Der würde uns vollends so verwirren, daß uns mit aller Niesewurz in der Welt nicht wieder zu helfen wäre.

Diana. Wißt ihr was, Göttinnen? Das beste ist, wir denken dem Dinge gar nicht mehr nach. Die Mythologen mögen von uns sagen was sie wollen, sie können uns doch zu nichts mehr noch weniger machen als wir sind. Ziehen wir jede unsre Straße, und – Großer Jupiter! was für ein fürchterlicher Lärm ist das? Hört ihr?

Luna. Ich höre ein Gebell wie von tausend Hunden, und ein Gezische wie von zehntausend Schlangen –

Proserpina. Blitze fahren aus dem Boden auf, Sturmwinde heulen durch den Wald, Eichen werden krachend aus ihren Wurzeln gerissen –

Diana. Die Erde erbebt unter meinen Füßen, sie spaltet sich, dicke Schwefelflammen züngeln empor – Welch eine Gestalt steigt aus dem Abgrund auf? Habt ihr in euerm Leben so was entsetzliches gesehen?

Proserpina. Eine Frau steigt hervor, die zum wenigsten dreihundert Ellen hoch ist; die Blitze fahren armsdick aus ihren Augen, und statt der Haare wirbeln sich braun und blau gefleckte Schlangen in gräßlichen Zöpfen um ihre Scheitel, oder zischen in rollenden Locken an den schwarzgelben Schultern herab. Anstatt auf Füßen zu gehen, windet sie sich auf zwei ungeheuer Drachen daher, einen flammenden Kienbaum in der linken Hand, einen vierzig Ellen langen Dolch in der rechten schwingend –

Luna. Hier ist nicht gut verweilen – laßt uns fliehen!

Sie laufen alle drei in den Wald hinein, und stoßen auf einige gleichfalls entfliehende Nymphen und Faunen, die einander keichend zurufen: »Es ist Hekate! laßt uns fliehen! Hekate kommt.«

Diana zu Proserpinen. Hörst du was die Nymphen sagen? Diese Hekate wird wohl die rechte sein.

Luna. Immer besser! Aber das hoffe ich wenigstens gewiß zu wissen, daß ich nicht diese Hekate bin.

Proserpina. Dank sei dem Himmel daß mich eine andere, der es besser ansteht, von der beschwerlichen Ehre befreit, Hekate zu sein! Was sie ist, und ob sie dreifach oder vierfach ist, mag sie mit den Mythologen ausmachen; ich für meinen Teil bin sehr zufrieden, künftig nichts weiter als die einfache Proserpina vorzustellen. Gute Nacht, Göttinnen! ich kehre zu meinem finstern Ehegemahl zurück.

Diana. Ich zu meinen Dryaden und Windspielen.

Luna. Und ich, leise, zu meinem Endymion.


 << zurück weiter >>