Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Jupiter Olympius, Lycinus, ein Bildhauer, und Athenagoras.
Die Szene ist im Tempel zu Olympia.
Lycinus, nachdem er den Gott lange mit stummer Entzückung betrachtet hat, sich vor ihm hinwerfend. Dank sei den Göttern, daß ich nicht aus dem Leben gehen mußte, ohne dieses göttlichsten Anblicks genossen und den König der Götter und der Menschen gegenwärtig angeschaut und angebetet zu haben!
Athenagoras. Wie? bist du auch einer von diesen starrblinden Elenden, die in einem von Händen gemachten Götzenbilde den Feind Gottes und der Menschen, das verworfene Oberhaupt der höllischen Geister, anbeten? Deinen Jahren und Gesichtszügen nach hielt ich dich für vernünftiger!
Lycinus vor sich, indem er ihn starr ansieht. Was für ein Mensch kann das sein? Doch, ich erkenne den Vogel an seinem Gesange. Ich muß ihm gar nichts antworten oder gelassen bleiben. – Wie ists möglich, Freund, daß dieser zugleich so schauervolle und so herzerhebende Anblick, das Anschauen des Höchsten, was sich jemals einem über die Grenzen der Menschheit empor strebenden Künstlergenius dargestellt hat, wie ists möglich, daß es eine so unnatürliche Wirkung auf deine Seele tut?
Athenagoras. Schade um das schöne Elfenbein und das viele Gold, das die abgöttischen Eleaten auf eine so verdammliche Weise verschwendet haben, um das unwissende Volk in der Verblendung zu erhalten, und die Ehre der Anbetung, die allein dem wahren Gotte gebührt, einem aus Ton gekneteten, mit Elefantenzähnen überzogenen, und inwendig durch unzählige Sparren, Riegel und Latten zusammen gehaltenen Kolosse zuzuwenden, der so hohl als der kindische Wahnglaube seiner Anbeter ist, und Ratten und Mäusen zur Wohnung dient. Ein feiner Gott, daß ein vernünftiges Geschöpf die Kniee vor ihm beugen soll!
Lycinus fährt fort, während Athenagoras spricht, Jupitern mit unverwandten Augen zu betrachten, und gibt ihm keine Antwort.
Athenagoras nach einer Pause. Du antwortest mir nicht, Götzendiener? Das war auch die klügste Partei, die du nehmen konntest! Was wolltest du gegen die sonnenhelle Wahrheit aufbringen?
Lycinus. Wenn du ein bloßer Sophist wärest, so würde ich dir vielleicht antworten: aber wer wird mit einem Blinden über die Wirkung von Licht und Farben, oder mit einem Stocktauben über den Zauber der Musik hadern?
Athenagoras. Du tust mir unrecht, wenn du glaubst, daß ich die Kunst und die Vortrefflichkeit der Arbeit an diesem großen Werke des berühmten Phidias verkenne. Was ich verabscheue ist bloß der Mißbrauch, der von der Kunst gemacht wird, wenn man sie dem verdammlichen Götzenbilde huldigen läßt.
Lycinus. Du hast, mit Erlaubnis zu sagen, eine wunderliche Vorstellungsart. Wie kannst du ein Werk, welches gerade das höchste ist, was Genie und Kunst jemals hervorgebracht haben, einen Mißbrauch der Kunst nennen? Oder wie kann die Kunst edler angewandt werden, als, durch sichtbare Darstellung eines Gottes, die Sterblichen mit einem Gefühle zu durchdringen, das demjenigen ähnlich ist, womit sie das Erscheinen der Gottheit selbst erschüttern würde? Was wäre Theophanie, wenn es dieser Anblick nicht ist?
Athenagoras. Alles dies würde seine Richtigkeit haben, wenn die Rede von dem einzigen wahren Gotte wäre.
Lycinus. Was nennst du den einzigen wahren Gott?
Athenagoras. Welche Frage von einem vernünftigen Menschen! Wer könnte es anders sein, als der unsichtbare, ewige, unerforschliche, allgegenwärtige Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erde? – dessen Dasein sogar euere abgöttischen Vorfahren, mitten in dem dicken Nebel, der ihren Verstand umhüllte, geahnet haben mußten, da sie ihm zu Athen unter dem Namen des unbekannten Gottes einen Altar widmeten.
Lycinus. Und wie willst du, daß Phidias diesen unsichtbaren, allgewaltigen, alles erfüllenden unbekannten Gott hätte abbilden sollen?
Athenagoras. Er kann gar nicht abgebildet werden! Das ewige Urwesen läßt sich so wenig in eine Idee als in eine sichtbare Gestalt einschränken.
Lycinus. Das versteht sich! Phidias hätte also, deiner Meinung nach, seinen Jupiter Olympius gar nicht machen sollen?
Athenagoras. Wie kannst du nur so eine Frage tun? Es war eine höchst frevelhafte Unternehmung, ein Bild zu machen, dessen Anblick einfältige Menschen zu Empfindungen verführt, die allein dem Gotte gebühren, der nicht abgebildet werden kann, und in keinem von Menschenhänden gebauten Tempel wohnt.
Lycinus. Mich dünkt, wenn du dies aus deinem Grundsatze folgerst, so mußt du entweder die Religion aus der Welt verbannen, oder verlangen, daß die Menschen Empfindungen haben sollen, welchen kein Objekt in ihrer Vorstellung entspricht. Unsere ältesten Gesetzgeber hielten es in ihrer Weisheit für gut, das dunkle Gefühl einer höchsten Ursache aller Dinge, das sogar in den rohesten Naturmenschen schlummert, und immer von verschmitzten Betrügern auf tausenderlei Arten zu ihrem Nachteil gemißbraucht worden ist, zum gemeinen Besten der bürgerlichen Gesellschaft anzuwenden. Sie mußten also diesem Gefühl eine gewisse Bildung und Richtung geben; und wie konnten sie das, ohne es mit einem anschaulichen Gegenstande zu verbinden, dessen Vorstellung jenes Gefühl unmittelbar und lebhaft rege machte? Sie waren also in der Notwendigkeit, an die Stelle dessen, was an sich selbst unerkennbar ist, etwas zu setzen, das im Grunde zwar ein bloßes Zeichen desselben, aber doch geschickt sein sollte, die Idee des Höchsten und Vollkommensten, was der Mensch sich anschaulich machen kann, in ihm zu erregen; und dies gab, in den Zeiten, wo die bildenden Künste sich zu einer gewissen Höhe empor gearbeitet hatten, den menschlichen Götterbildern das Dasein. Denn wie sehr sich auch die Einbildungskraft des erfindungsreichsten Menschen anstrengen mag, es wird ihr ewig unmöglich bleiben, eine schönere, edlere und vollkommnere Gestalt zu erfinden als die menschliche. Da sie sich aber so selten oder niemals bei einzelnen Personen in ihrer ganzen Vollkommenheit zeigt, so geziemt es sich, wenn sie zu einem nicht ganz unwürdigen Zeichen der göttlichen Natur erhoben werden soll, sie nicht nur von allem, was sie durch die Zeit, die Leidenschaften, und tausend andere zufällige Ursachen gelitten haben kann, zu reinigen, sondern sie auch, so viel möglich ist, noch zu veredeln, und über sich selbst zu erheben, um ihr diese mehr als menschliche Größe und Schönheit, diese Erhabenheit über die Bedürfnisse und Sorgen der Sterblichen, diesen Geist der Unvergänglichkeit und ewigen Jugendkraft, kurz, diesen Charakter der Göttlichkeit zu geben, der die Götterbilder des Phidias so sehr über alle andere erhebt, wiewohl dieser große Künstler, in Menschenbildern, von mehr als Einem übertroffen wurde. Dies ist es, was er seinem Jupiter in einem so hohen Grade zu geben gewußt hat, daß ich versichert bin, du selbst, trotz deiner Vorurteile, mußt dir Gewalt antun, um das unfreiwillige Gefühl zurück zu halten, das dich bei seinem Anblick überwältigt und vor ihm niederwirft. – Und dies, was das größte Verdienst des Künstlers ist, willst du ihm zum Verbrechen machen?
Athenagoras. Welche Verblendung! Wie? es sollte nicht das größte Verbrechen sein, dessen ein Bildner sich schuldig machen kann, wenn er alle Kräfte seiner Kunst aufbietet, um euerm Jupiter, dem nicht einmal ein ehrbarer Mensch gleich sein möchte, das wirkliche Ansehn eines Königs der Götter und der Menschen zu geben? Bei mir, und bei allen andern, deren Augen geöffnet sind, hat es keine Gefahr: aber, daß Menschen, die von Kindheit an gewöhnt wurden vor Götzen zu knien, eine Bildnerei, wie diese hier, nicht anschauen können, ohne in ihrer Abgötterei bestärkt zu werden, das fühle ich selbst, und das ist es eben, was ich dem Phidias nicht verzeihen kann.
Lycinus. Ich für meine Person finde nichts lustiger, als die Menschen die einander ihre Vorurteile vorwerfen. Ich gestehe dir gerne zu, daß wir die unsrigen haben: aber die deinigen müssen, wenn ich es sagen darf, sehr dick auf deinen Augen liegen, wenn du nicht siehest, daß eben darin das höchste Verdienst des Künstlers liegt, daß er uns den König der Götter und der Menschen in einer Majestät dargestellt hat, die auf einmal alle Spuren der falschen Eindrücke auslöschen muß, welche die allegorischen Märchen der Dichter und die albernen Legenden der Mythologen in unserm Gehirne zurück gelassen haben können. Was braucht es mehr als einen Blick auf diesen Jupiter Olympius, um zu fühlen, daß nicht jener fabelhafte Jupiter, der sich als Schwan um den Busen einer Leda schlingt, oder in goldnen Tropfen einer Danae in den Schoß regnet, sondern dieser hier, der wahre Jupiter ist?
Athenagoras lachend. Der wahre Jupiter! Das ist gerade als wenn du von wahren Centauren und wahren Sirenen sprächest. Ha, ha, ha! der wahre Jup – Kyrie Eleison! was ist das?
Lycinus. Götter! was seh ich? Ists möglich daß die Täuschung der Kunst so weit gehen kann? – Wie? der Gott belebt sich, ein überirdisches Feuer blitzt aus seinen Augen, er bewegt seine Augenbraunen, der Tempel erzittert, die Erde schwankt, ein Donnerschlag! –
Jupiter mit wieder gesenkten Augenbraunen, lächelnd zu Athenagoras . Du bist ein grausamer Mensch, Athenagoras! Nimm mir, auf deine Gefahr, was du kannst: aber daß ich bin was ich bin, das wirst du mir doch nicht in meiner eigenen Gegenwart ableugnen wollen?
Lycinus. Nun, weiser Athenagoras, oder wie du dich nennst, wie ist dir nun zumute?
Athenagoras. O auf dies war ich vorbereitet! – Er macht eine Menge Kreuze vor sich, und fängt an Jupitern zu exorcisieren. Apage Satanas! Ego exorcizo te in nomine –
Jupiter. Signa te signa temere me tangis et angis!
Athenagoras fährt fort sich zitternd zu bekreuzigen, und Beschwörungsformeln zwischen den Zähnen zu murmeln.
Jupiter. Sei ruhig, närrischer Mensch! Du siehst ja, daß ich dir nichts zu tun begehre. Ich wollte dich nur überzeugen, daß Jupiter Olympius wirklich und wahrhaftig – Jupiter Olympius ist.
Athenagoras vor sich. Welche herrliche Bekräftigung unsrer Lehre, daß die Götzen der Heiden nichts andres als die abtrünnigen Engel sind, die sich von diesen Betrogenen als Götter anbeten lassen, und in dergleichen Bildern ihr Wesen treiben!
Jupiter. Was murmelst du da in deinen Bart hinein?
Athenagoras. Trotze nicht zu sehr auf die kurze Frist, die dir noch gegeben ist, verworfner Geist! Dein Reich wird, nur zu bald für dich, zu Ende gehen! Ich hoffe den Tag noch zu erleben, da man deinen goldnen Bart in die Münze tragen, und funkelneue Denarien daraus prägen wird.
Jupiter. Das ist, wie die Welt dermalen geht, nicht unmöglich. Ich hoffe wohl noch tollere Dinge zu erleben.
Athenagoras. Die ganze Welt wird von dir abfallen, deine Tempel werden zerstört, deine Altäre umgeworfen, deine Bilder zertrümmert werden, und deine Priester Hungers sterben, oder anders glauben lernen.
Jupiter. Desto schlimmer für sie und euch! Ich werde darum nicht weniger bleiben was ich bin, und ihr werdet die einzigen sein die dabei verlieren. Denn darauf könnt ihr euch verlassen, eure Mythologen werden keinen Phidias, und eure Phidiasse keinen Jupiter Olympius hervorbringen.
Athenagoras. Wenn ich noch zweifeln könnte, wer du seiest, so würde ich dich an dieser hoffärtigen Sprache erkennen.
Jupiter. Du bist ein drolliger Kerl, und ich möchte mir wohl noch länger Spaß mit dir machen, wenn ich nicht mehr zu tun hätte. Also gehab dich wohl, und lerne von Jupiter, wie man die Narren erträgt.