Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Das Urteil war gefällt und lautete auf eine Geldstrafe von hundert Kronen und »Gerichtskosten«.

Das Ereignis wurde im »Kopenhagener« in folgender Weise publiziert:

Ein Urteil!

Gunnar Warbergs: Alte und Junge.

Das Kriminal- und Polizeigericht hat dem Lorbeerkranz, den unsere Gerichte in den letzten Jahren der dänischen Gerechtigkeit um die Schläfe gewunden, ein neues Blatt hinzugefügt:

Gestern vormittag hat das Gericht ein Urteil gefällt, demzufolge Herrn Gunnar Warberg für eine Erzählung »Alte und Junge«, die wir die Freude hatten, zu veröffentlichen, eine Geldstrafe von hundert Kronen auferlegt wird.

Nach der Ansicht des Gerichtshofes ist nämlich diese Erzählung eine unzüchtige Schrift und Herr Warberg folglich ein unzüchtiger Schriftsteller.

Es mag Herrn Warberg zum Trost gereichen, daß das Urteil der Menschen von Allgemeinbildung über seine schriftstellerischen Leistungen ein bißchen mit dem des Kriminal- und Polizeigerichts kontrastiert.

Wenn das Kriminalgericht sagt, daß Herrn Warbergs Novelle unzüchtig sei, so sagt jeder allgemein gebildete Mensch, daß sie ein kleines Meisterwerk schildernder Kunst ist. Und wenn das Kriminalgericht sagt, daß Herr Warberg ein unzüchtiger Schriftsteller sei, so sagt jeder allgemein gebildete Mensch, daß er zu den nicht sehr zahlreichen gehöre, auf denen sich die kommende dänische Literatur aufbauen wird.

Herr Warberg soll sich deshalb nicht einschüchtern lassen, weder von der Geldstrafe noch von dem Prädikat, mit dem ihn ein brutales Urteil bedenkt. Nie hat ein Urteil über Literatur einen Mann zu beflecken vermocht, und Herr Warberg ist heute ein ebenso guter und ebenso talentvoller Schriftsteller wie an dem Tage, ehe ihn das Kriminalgericht für eine seiner besten und feinsten Skizzen unzüchtig nannte.

Herr Warberg ist nicht der erste Schriftsteller, der im letzten Jahre die Ehre hatte, infolge jenes berüchtigten Paragraphen des Strafgesetzbuches verurteilt zu werden. Herr Warberg ist nicht der erste und darf glauben, daß er auch nicht der letzte sein wird. Denn die infame polizeiliche Auffassung von Literatur und Kunst, die nun in Dänemark zum geltenden Gesetz erhoben werden soll, wird vermutlich reiche Gelegenheit erhalten, um sich zu schlagen, so wahr wie es der guten Literatur niemals beikommen wird, auf polizeiliche Bestimmungen Rücksicht zu nehmen.

Herr Warberg kann also seine hundert Kronen mit Ruhe hinnehmen, wie es sich für einen jungen Mann geziemt, der gewiß täglich Gelegenheit hat, privater und öffentlicher Dummheit und Brutalität von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

Das Urteil, das ihn betroffen hat, wird von der gesamten jungen dänischen Literatur als eine persönliche Kränkung empfunden werden. Und alle Freunde seiner freien und starken Begabung werden sich vereinen in der Entrüstung über ein Gesetz und ein Urteil, das keinen Unterschied zu machen weiß zwischen Literatur und unzüchtiger Spekulation.

Wie es heißt, will Herr Warberg indessen dem Oberappellationsgericht in dieser Sache das letzte Wort überlassen.

Warberg lächelte, als er dieses Aktenstück gelesen hatte: Ach ja, »die junge dänische Literatur«! Nein, die geriet wohl nicht so leicht in Entrüstung! Keiner entrüstete sich mehr in diesem Lande, wo alles zu einem großen gemütlichen, mittelvergnügten, glatten Brei verschmolz! Leben und leben lassen, das war der Refrain. Zehn Jahre später, so saß wohl der Mann, der so harte Worte für Gesetz und Recht in Dänemarks Reichen gebraucht hatte, als eifriger Mitarbeiter in der Redaktion des konservativen »Berlingischen Politischen und Annoncenblattes« ... Na, aber was ging das ihn an!

Und es war ihm wirklich, als ob die Sache ihn nichts anginge! Ja, doch vielleicht noch angehen würde, denn, wurde er nun vom Oberappellationsgericht zu Gefängnis verurteilt, so mußte er ja seinen Stab ergreifen und hinter Schloß und Riegel wandern. Aber er fühlte sich doch mehr als Zuschauer, hier wie sooft im Leben. Es kam ihm vor, als führe man das ganze Schauspiel zu seiner speziellen Unterhaltung auf. Das einzige, was ihn so recht gründlich anging, waren seine Bücher, seine schriftstellerische Tätigkeit, und da sollte ihn nichts hindern, zu schreiben, wie er nun einmal schreiben zu können und zu müssen glaubte! Aber das war vielleicht nur eine fixe Idee!

Versuchen wir es nur mit der höchsten Gerichtsbarkeit und Gerechtigkeit, dachte er. Es kann ganz interessant werden, zu erfahren, wie sie über die Sache denkt!

Und er fügte den Kehrreim seiner privaten Weltanschauung hinzu:

»Man soll lernen, solange man lebt! ... Und dann im übrigen mag der Teufel die ganze Geschichte holen!«

Er setzte sich an den Schreibtisch, tauchte die Feder ein und schrieb auf sein Löschpapier:

Mich affiziert auf Erden nichts weiter mehr als meine Hühneraugen!

Gunnar Warberg, cand. phil.

Aber dann fuhr er auf:

»Na, zum Satan, soll ich denn keine Ruhe mehr haben!«

Es hatte jemand an die Tür geklopft. Er ging hin und öffnete.

Der Briefbote war es, der ihm einen Brief in einem großen blauen Kuvert überreichte.

»Ämenäi«, sagt er; »hm, hm! ... ich sehe, daß der Herr verurteilt worden sind.«

»So, das sehen Sie, Petersen?«

»Ja, hm, hm, und wenn ich dem Herrn einen Rat geben darf, dann sollen der Herr man ja nich ans Appellationsgericht gehen mit die Geschichte!«

»Also nicht?«

»Nein, denn die auf dem Postamt sagen, dann, hm, hm, – dann kriegen der Herr erst richtig was aufgebrummt.«

»Soo – oo, ja ...«

»Ja, dann äjä, sehen Sie, ämenäi, ... die, die da oben beim Oberappellationsgericht sitzen, die sind noch viel älter als die, die beim Gericht sitzen! Und das weiß man doch, äjä, je älter man wird, desto strenger wird man auch gegen die Jugend!«

»Es ist etwas dran, Petersen!«

»Und mir lesen alle da auf dem Postamt die Geschichten, hm, hm, die der Herr schreibt!«

»So, tut ihr? Und was sagt ihr dazu?«

»Ja, äjä, so geht's ja natürlich zu in der Welt, aber, ämenäi, was ich sagen wollte, die Leute machen sich bloß nichts daraus, es gedruckt zu sehen, Herr! Und ich finde auch, äjä, und das sagt der Postassistent Finsen auch, wenn man so klug und begabt is wie der Herr, dann müßte man doch am Ende was dichten können un, äjä, un brauchte nich sich so einfach bloß damit zu begnügen, aufzuschreiben was passiert! – ... Un äjä, wenn es nu noch dazu, hm, kremenell is, Herr!«

»Ja, gewiß, Petersen, ja gewiß, das ist dumm von mir!«

»Ja, ja«, nickte der Briefbote und begann die Treppe hinunterzugehen, »der Herr lachen; aber äjä, es is drum wahr, was ich sage!«

»Ich lache durchaus nicht über Ihre Wahrheiten, mein guter Petersen, ich weine!«

»Ja, ja ... Adieu, Herr!«

»Adieu, adieu, Petersen! ... Ich werde es mir schon überlegen, was Sie gesagt haben!«

»Puh!« blies Gunnar, als er ins Zimmer zurücktrat. »Immer und ewig das alte Geschwätz! ... Aber wenn auch drei Generalpostdirektoren mit ihren Direktricen in meine Tür träten, und ... Na, Teufel! ich spucke auf die ganze Geschichte, wie der Russe sagt!«

Er öffnete das Kuvert und nahm ein ungeheuer großes Dokument daraus hervor.

»Ho, ho – o«, sagte er, nachdem er es gelesen hatte. »Das ist ja toll, wie sich die höchste Gerechtigkeit auf die Strümpfe macht! Sie will uns wohl, ämenäi, zuvorkommen! Ach ja, selbst göttliche Institutionen können an menschlichen Schwächen leiden!«

Das Dokument lautete:

Kopenhagener Polizei. Polizeibehörde. d.. Dezember 18 ...

Das Justizministerium hat mir unter dem 15. d. M. folgenden Auftrag zugehen lassen:

Daß in dem Prozeß gegen Gunnar Johannes Warberg mit dem heutigen Tage noch einmal beim Oberappellationsgericht Berufung eingelegt worden, sowie daß die Rechtsanwälte beim Oberappellationsgericht Petersen und Sörensen beordert sind, die erwähnte Sache zu bearbeiten, dieser als Ankläger und jener als Verteidiger, das solle man anläßlich des geschätzten Schreibens der Kopenhagener Polizeibehörde vom 9. d. M. zur geschätzten Kenntnisnahme und weiteren Bekanntmachung hiermit auf dienstlichem Wege melden.

Was Ihnen hiermit auf dienstlichem Wege gemeldet wird.
Hansen.

An Herrn cand. phil. Gunnar Johannes Warberg.
Kronprinsensgade Nr.87, 4.Etage,
Kopenhagen.

»Doch ärgerlich, daß man nun verhindert worden ist ... als eine schöne Nummer eins durchs Ziel zu gehen!« murmelte Gunnar.

 


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