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So ist es nun also mit den Ebenbildern Gottes, daß eine Schwankung der Zeit, ein Erzittern der Weltachse sie verwandeln und stürzen kann, wie am Anfang einige der Engel verwandelt und gestürzt wurden. Daß nicht nur der Mann, der immer Schwankende und immer noch an die Gewalt Gebundene, hinabstürzen kann in das Blutige verschollener Anfangszeiten, sondern daß auch die Frau, das zum Lieben und Bewahren Bestimmte, losgelöst werden kann von der Ordnung der Natur, des Erbarmens entkleidet, und daß ihre Hand sich mit dem Tode verschwistern, ja, den Tod aussäen kann, mit der gleichen Kälte, ja mit der gleichen Hingabe des Herzens, derer der Mann fähig ist, wenn man das Gesetz niedergerissen hat vor ihm und die Bahn offen ist vor ihm wie in den Zeiten, als man einander mit Steinen erschlug um ein Stück Brot.
Und so kann es also auch mit einem Mädchen sein, ein paar Jahrzehnte, nachdem den Mädchen nichts anderes bestimmt war in dem Gang ihrer Erziehung als Bilder zu malen, ein bißchen Musik zu machen, über einem Stickrahmen zu sitzen und vor den Versen ihres Poesiealbums auf den Bestimmten oder Auserwählten zu warten, der die unerschütterte Reihe der Geschlechter fortsetzen würde, auf abgemessenen Bahnen, von dem Segen der Eltern, der Tradition, der Kirche geleitet.
Daß ein Mädchen nun zu marschieren beginnt, statt zu tanzen, eine Fahne in der Hand zu tragen statt eines Sonnenschirms, und mit Verachtung, ja mit Haß auf alle diejenigen zu blicken, die der neuen Ordnung nicht angehören wollen.
Daß ein Mädchen in das Bodenlose stürzen kann, sobald die Fahne gestürzt ist, weil es die Summe seiner Existenz an diese Fahne hingegeben hat. Und daß es ebenso schwer ist, Tote zu erwecken, als es aus dem Bodenlosen wieder hinaufzuheben in die alte, verachtete Ordnung mit ihren alten, verachteten Gesetzen der Liebe und des Erbarmens. Es kann sein, daß ein Schauer des Verlorenen es leise anrührt, vor den Augen der Kinder etwa, in denen sich die Kerzen eines Christbaumes spiegeln, oder unter der Hand eines Mannes, die sich leise und tröstend über eine zornige Wange legt.
Aber nur so lange, bis das Traumbild der letzten Jahre wieder aus dem Nebel aufsteht. In der Gestalt eines Einsamen und Ungebeugten etwa, der ungebrochen durch Sieg und Niederlage geschritten ist und dessen Hände immer noch ein Stück der Krone zu halten scheinen, der blutigen Krone, die einmal aufgehoben wurde aus den dunklen Wassern und deren finsterer Glanz schon begonnen hatte, über die ganze Erde zu leuchten, von der Küste des Ozeans bis zu den Schneegipfeln des Kaukasus und von der Mitternachtssonne des Nordkaps bis zu den zerbröckelnden Pyramiden am Nilstrom.
Und vor den Augen dieses Übriggebliebenen und Bewahrers der Größe versinken die Bilder der Kinderaugen und der tröstenden Hand. Vor diesen Augen besteht nur, was den Willen zur Macht hat; was die Kraft hat, Gesetze zu brechen, auch das Gesetz der Natur, auch das Gesetz eines lächerlichen jüdischen Gottes. Vor diesen Augen ist jeder Tod gerechtfertigt, mit dem man ein Stück Brot gewinnt oder einen Becher Wasser, weil dieser Tod nur die Minderwertigen trifft, das Geschlecht der Alten und der Zwerge, die ausgerottet werden müssen, damit die Edelrasse über die Erde herrsche, wie es ihr bestimmt gewesen ist vom Ursprung an.
Und so hatte es kein Zögern gegeben für das Mädchen Barbara, als in der Dämmerung der Mann aus dem Schilf getreten war und es seine Herkunft, seinen Weg und sein Ziel erkannt hatte. Er war nun ein anderer als die jungen Feiglinge, die sich gefürchtet hatten, ein Schloß in die Luft zu sprengen. Dieser würde die Erde in die Luft sprengen, wenn er die Macht dazu hätte, um unter ihren Trümmern alle diejenigen zu begraben, die den Lichtgott verraten hatten.
Aber auf ihn wartete, wenn man ihn fing, der Galgen, und ihn vor dem Galgen zu bewahren, war nun der einzige Lebenssinn des Mädchens. Er war wie der Gott der alten Tempel, dem die Mädchen des Landes sich opferten, und in jedem Opfer lag die Gewähr der letzten, der ewigen Seligkeit.
Als Barbara am Abend das Haus verlassen wollte und der alte Mann mit dem langen, blauen Tuchrock ihr den Weg vertrat, war er also nicht jemand, der sie in ihrer Freiheit beschränken wollte, sondern einer aus dem Reiche Lokis, der sich zwischen sie und den Gott des Lichtes stellte, ein albisches Wesen mit dem vergifteten Pfeil in der Hand, und sie kämpfte mit ihm, wie sie mit den Alben gekämpft haben würde, bis er sie in ihre Kammer trug und die Tür hinter ihr verschloß und die schweren Läden vor die Fenster nagelte. Und es half ihr nichts, daß sie mit den Fäusten gegen das Holz und die Wände schlug und nach ihrer Mutter schrie.
Denn die Frau saß vor dem erloschenen Herd, in ihr Umschlagtuch gehüllt, und nickte nur zu dem, was Christoph sagte: daß es der Befehl des Herrn sei und daß sie dessen sicher sein könne, daß der Befehl das Mädchen an etwas Schlimmerem verhindere. Böses sei um das Moor im Gange, und es sei nun genug, wenn dieses Haus an einem Opfer zu tragen habe.
Auch dauerte die Gefangenschaft nur bis zum übernächsten Morgen. Schon in der ersten Röte des Tages stand Donelaitis vor dem Lager des Freiherrn Amadeus, vom Tau der hohen Gräser bis zu den Hüften durchnäßt, aber so ruhig, als käme er vom Mähen einer Wiese, und meldete, daß er den Wolf habe und nun hinuntergehe, um die Amerikaner um das Moor herum zu der Stelle zu führen, bis zu der sie mit ihren Wagen fahren könnten. Und der Herr möchte ihn an den beiden Wacholderbüschen erwarten. Alles andere könne er später berichten.
Als Amadeus bei den Büschen ankam, stand die Sonne schon über dem Moor, die Nebel zerteilten sich, und der Tau funkelte unter dem blauen Himmel.
Er sah den »Dunklen« im Heidekraut liegen, gerade zwischen den beiden Büschen, und aus der Ferne dachte er, daß Donelaitis ihn erschlagen habe. Aber dann sah er, daß er lebte, ja, daß er anscheinend ohne eine Verwundung war, außer dem Zeichen, das das kleine Messer in seiner rechten Wange hinterlassen hatte.
Und dann, als Amadeus vor ihm stand, sah er, daß Donelaitis ihn in Wirklichkeit gefangen hatte wie einen Wolf. Ein schweres Fangeisen war über seinem rechten Knie zusammengeschlagen, eines von denen, die man einen »Schwanenhals« nannte. Die Kette spannte sich zu dem nächsten Erlenstamm, und der Gefangene lag auf der rechten Seite. Die Arme waren ihm auf dem Rücken zusammengeschnürt. Er hatte die Augen offen und blickte den Freiherrn an.
Ohne die Erfahrung der letzten Jahre würde Amadeus an diesem Gesicht achtlos vorübergegangen sein. Er würde vielleicht gedacht haben, daß es wohl irgendwo an der nördlichen oder nordwestlichen Meeresküste zu Hause sei, ein Gesicht aus den alten Bauerngeschlechtern, die dort seit der Vorzeit saßen, hell und hart und zugeschlossen, wie das Tagwerk und die Geschichte sie geformt hatten.
Aber nun sah er es anders, weil er viele solcher Gesichter gesehen hatte. Früher hatten sie sich über einen Pflug gebeugt, den sie durch schwere Erde zu führen hatten, und so sahen sie immer noch aus. Nur daß sie den Pflug jetzt nicht durch ein langes Feld führten, sondern durch lebendige Menschenleiber, die zu Tausenden vor der Pflugschar lagen, einer an den andern gebunden. Die Schollen wendeten sich, wie auf einem Acker, aber die Pflugschar wurde nun rot, und auf diese rote Pflugschar blickten sie mit genau demselben Gleichmut nieder wie auf ein Eisen, das die Weizenstoppel hob.
Und in diese Augen blickte der Freiherr nun lange nieder. Sie schlossen sich nicht vor ihm zu, sie wichen ihm auch nicht aus. Sie waren ruhig zu ihm aufgeschlagen, aber nicht wie zu einem fremden Menschengesicht, in dem vielleicht die Entscheidung über Tod und Leben lag, sondern wie zu einer Wolke, die über den Himmel zog, oder zu einem Spinngewebe, das zwischen zwei Schilfhalmen aufgespannt war, oder zu einer der tausend Erscheinungsformen des Moores, der Pflanzen- oder Tierwelt, auf die man im Laufe eines Tages traf. Zu etwas so Gleichgültigem, daß aus den Augen nicht abzulesen war, ob ihre Netzhaut das Bild überhaupt empfing, geschweige daß er das Bild einordnete und verarbeitete in dem Kreislauf der Vorstellungen und Gedanken.
Es würde auch nicht richtig gewesen sein, diesen Augen ein besonderes Maß von Härte oder Kälte zuzuschreiben, eine Ähnlichkeit etwa mit den Augen eines Raubtieres. Sie waren weder grünlich noch wimperlos, noch unterschieden sie sich sonst von den Augen eines Mannes, der im Morgenrot am Rand eines Moores lag, um in den blauen Himmel hinaufzublicken. Was sie allein von anderen unterschied, war ihr Unbeteiligtsein an den Erscheinungen dieser Erde. Nicht eine Art von Blindheit etwa, weil sie ja die Dinge der Morgenstunde spiegelten, sondern daß nur die Oberfläche der Augen sie spiegelte und daß die Bilder auf dieser Oberfläche blieben und nicht weiter hinunterreichten in den Grund der Augen. Ja, daß man gar nicht wußte, ob es unter der Oberfläche einen solchen Grund gab. Wie es bei einem Metallspiegel keinen Grund unter der Oberfläche gibt.
Wenn der Freiherr diesen Grund erblickt und auf ihm den Haß, die Grausamkeit oder die Summe alles Bösen gesehen hätte, würde es ihn nicht so erschreckt haben wie die kalte Leere dieser Augen, weil eben sie das im wahrsten Sinne Unmenschliche war. Es schien ihm, als steige in ihr noch einmal die Summe der vergangenen vier Jahre auf, die Summe von Leiden, Folter und Tod, und blicke ihn mit der kalten Gewißheit des Unsterblichen an. Als sei dieses letzte Jahr des Geborgenseins nur ein Traum gewesen und auch die Meinung ein Traum, daß dieses nun versunken und überwunden sei. Als habe er ein Jahr lang in einem Totenzimmer gelebt, still und behutsam, aber doch ohne Gefahr, weil in der dunkelsten Ecke das Böse aufgebahrt gelegen hatte.
Und nun, als er sich zum erstenmal umblickte, erkannte er, daß während der ganzen Zeit der Tote die Augen aufgeschlagen hatte und ihm mit diesen Augen gefolgt war, jeder Bewegung, jedem Atemzug einer vermeintlichen Sicherheit, ohne daß die erstarrten Lippen es für nötig gehalten hätten, durch ein Lächeln anzuzeigen, daß sie nicht gestorben waren.
Und so würde es immer bleiben, für alle, alle Zeit. Man mochte sie hinrichten und ausrotten von der Erde, bis in den dunkelsten Winkel hinein: immer würde jemand übrigbleiben wie dieser, der die Augen aufschlug und dem Ausrotten zusah, wie man einem Holzfeuer zusieht. Nicht weil ein Mensch übrigblieb, sondern weil das Böse übrigblieb, das Urböse, das in die Schöpfung hineingeschaffen war mit Gottes Willen und das nun nicht einmal mit Gottes Hand aus dem Gewebe herausgenommen werden konnte. Es war in der Weltordnung, nicht nur an ihrem Rande, sondern hineingeflochten, ja, gleichsam hineingelitten worden in sie, wie Schmerzen in einen Körper hineingelitten werden und mit ihm so verschmelzen, daß keine Trennung mehr möglich ist.
Der Freiherr ging ein paar Schritte zur Seite und setzte sich auf einen Baumstumpf, so daß er über das Moor blicken konnte und den Gefangenen nur am äußersten Rand seines Blickfeldes sah. Die Sonne war höher gestiegen, und die Umrisse der Wälder und Berge standen dunkel und scharf begrenzt in der klaren Frühe. Die Reiher zogen von ihren Schlafbäumen zu den Fischplätzen, die Ameisen zu seinen Füßen wanderten ihre Arbeitsstraße entlang, und von allen Seiten hob das schwermütige Lied der Heidelerche sich über die beglänzte Erde. Die Sicherheit der uralten Ordnung erfüllte den Raum bis an den Horizont, aber am Rande dieses Raumes lag das Dunkle unbeweglich im Heidekraut, und der Freiherr wußte, daß es die Augen aufgeschlagen und auf ihn gerichtet hatte wie auf einen Stein oder einen Fichtenstamm.
Und auch wenn man dieses Dunkle nun fortgeschafft hätte, in einen Kerker oder unter einen Galgen, doch würde es dasein, hier oder an einer anderen Stelle der Erde, dasein und dableiben, wie die Nacht auch am Tage da ist, die Potenz der Nacht gleichsam, ohne die der Tag nicht dasein würde.
Nein, es war nicht so leicht, sich zu verwandeln, dachte der Freiherr und faltete die Hände um die Knie. Und wenn man das Dunkle der Erde nicht verwandeln konnte, wie sollte man das Dunkle in sich selbst verwandeln, das doch nur ein Teil jener großen Dunkelheit war? »Geduld und Glaube der Heiligen«, das war das große Wort des Ursprungs wie des Endes.
Dann hörte er die Wagen kommen und zwischen den Büschen halten. Er sah die farbigen Streifen um die Stahlhelme der Militärpolizei und stand auf. Er erklärte, was zu erklären war, und öffnete mit Donelaitis vorsichtig das schwere Eisen. Es schien, daß das Bein über dem Knie nicht gebrochen war, aber sie legten den Gefangenen doch auf eine Bahre und trugen ihn zu den Wagen. Er gab keinen Laut von sich, und seine Augen gingen über die Gesichter der Soldaten hin, wie sie über das Gesicht des Freiherrn hingegangen waren.
Als das Geräusch der Motoren erstorben war, löste Donelaitis die Kette des Eisens vom Erlenstamm und berichtete. Während ihrer ersten Tage in der Scheune der Försterei habe er das Eisen in einem Holzschuppen gesehen, und daran habe er sich nun erinnert. Es sei immer unsicher, mit den Händen einen Menschen zu fangen, der eine Pistole habe. In der ersten Nacht habe er das Eisen eingegraben, ganz flach, zwischen den beiden Büschen. Auch dies sei unsicher gewesen, aber er habe es versuchen müssen.
Und in der Morgendämmerung sei er wirklich gekommen, von außen her, so daß er also unterwegs gewesen sei. Er, Donelaitis, habe nichts gehabt als die alte Hirtenschleuder, die sie in der Jugend gebraucht hätten. Ein gespaltenes Holz und einen runden Stein darin. Aber früher hätte er die Krähe im Fluge damit getroffen. Nun hätte er sie nicht gebraucht, weil der Mann in das Eisen gegangen wäre, als ob dort eine offene Tür gestanden hätte. Und im selben Augenblick wäre er schon über ihm gewesen, ehe er nach der Pistole habe greifen können. Auch solche Leute erschräken ein bißchen, wenn ein Eisen über ihnen zusammenschlage.
Und das sei nun alles.
Sie gingen zusammen zurück, einer hinter dem anderen, und Donelaitis nahm gleich seine Axt und Säge, um in den Holzschlag zu gehen, in dem sie noch arbeiteten. Sein Gesicht sah nicht anders aus, als habe er eben einen Zaun um seinen kleinen Garten gesetzt.
Amadeus ging zur Försterei und fand Christoph in der Küche. »Du brauchst sie nicht mehr zu hüten«, sagte er. »Wir haben ihn.«
»Das ist gut«, erwiderte Christoph nach einer Weile und stieg die schmale Treppe hinauf.
Amadeus saß noch vor dem Herde bei der verstörten Frau, als Barbara in die Küche trat. Er sah, daß ihr Gesicht älter geworden war, aber dann sah er sie nicht mehr an.
»Du brauchst nicht mehr hinzugehen«, sagte er leise. »Er ist nicht mehr da. Wir haben ihn gefangen.«
Sie lehnte sich an die Wand, und sie starrte ihn an wie eine Erscheinung. »Mörder«, flüsterte sie endlich. »Ihr Mörder …«
Nun hob er doch den Blick zu ihrem weißen Gesicht und sah sie lange an. Nein, es waren doch nicht die gleichen Augen, und es war ihm leichter ums Herz, als er es erkannte. Es waren Augen, die mit Haß und einem Schatten von Todesangst gefüllt waren, aber sie sahen nicht durch ihn hindurch wie jene Augen am Rande des Moores. Es waren Augen, die man vielleicht noch einmal zurückrufen könnte mit der Geduld und dem Glauben der Heiligen. Sie waren nicht wie ein blinder Spiegel. Auf ihrem Grunde war noch Leben.
»Ich habe dich schon einmal ermahnt, deine Mutter nicht zu schlagen«, sagte er langsam. »Weil sie eine arme und wehrlose Frau ist. Und eine Hand, die das Wehrlose schlägt, ist so, daß ich sie nicht mehr berühren möchte. Und meine Hand hat vieles berührt in diesen Jahren.«
Sie erwiderte nichts, als er aufstand und zur Tür ging, aber ihre Augen folgten ihm, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte.
Die Verhandlung wurde in der großen Stadt vor dem obersten Militärgericht geführt. Der Geheimdienst besaß eine Photographie des »Dunklen« und die Einzelheiten seiner Laufbahn. Sie hatte durch fast alle Lager geführt und die blutige Spur eines Wolfes hinterlassen. Aber man verurteilte ihn nicht wegen dieser Spur, sondern nur wegen der letzten Monate, die er im Schilf des Moores zugebracht hatte. Alle Zeugen erkannten ihn, obwohl er eine Maske getragen hatte. Er selbst schwieg, und seine kalten Augen gingen über die Gesichter der ihn Richtenden, wie sie über das Gesicht des Freiherrn Amadeus gegangen waren: unbeteiligt, unberührt, unangesprochen.
Erst als Donelaitis und seine Frau aufgerufen wurden, sah er sie mit einer Art von tödlicher Neugier an, als bedenke er ruhig, welche Fallen und welche Todesart ihnen am angemessensten sein könnten.
Und als der Mann aus dem Einödhof auftrat, dem er die Frau und das Kind erschossen hatte, weil sie sich zur Wehr gesetzt und weil das Kind geschrien hatte, und als der Mann mit der Hand auf ihn deutete wie auf ein reißendes Tier in Ketten und mit zitternder Stimme fragte: »Aber das Kind? Weshalb das Kind?«, bewegten sich die schmalen Lippen des Angerufenen zum erstenmal, als ob er zum ersten Male eine Antwort geben wollte. Aber es war nur etwas, das wie ein Lächeln aussah, was seine Lippen verzog. Der verächtliche Versuch eines Lächelns gleichsam, so unbeteiligt, als glitte ein Windhauch über ein graues Wasser und kräuselte die Oberfläche. Als seien die Frage des Mannes und seine Anklage von einer so abgründigen Dummheit, daß sie nur mit diesem Anschein eines Lächelns beantwortet werden könnten.
Der Mann trat einen Schritt zurück, als er das Lächeln sah, und einen Augenblick lang lag ein tödliches Schweigen über dem Saal, das Schweigen des Grauens. Wie vor einem Türspalt, durch den man für die Länge eines Herzschlags das Furchtbare des Jenseits erblickt hätte.
Auch der Freiherr Amadeus hatte das Lächeln erblickt und sah sich im Saal um. Aber das Mädchen war nirgends zu sehen, und sein Name war nicht genannt worden.
Der »Dunkle« wurde verurteilt und acht Tage später gehenkt.
Donelaitis wurde eine Belohnung zugesprochen, aber er weigerte sich, sie anzunehmen.
Von den Soldaten, die ihn und seine Frau zur Verhandlung gefahren hatten, erschien ab und zu einer oder der andere bei den Moorhütten. Sie saßen vor der Bank des kleinen Holzhauses, verteilten Schokolade an die Kinder und versuchten ein Gespräch mit Frau Erdmuthe. Aber sie schüttelte nur den Kopf, lächelte auf ihre abwesende Art und sah die Besucher mit unbewegtem Gesicht wieder davongehen.
Doch stand sie dann manchmal abends am Moor und blickte über die braune Fläche in das große Abendrot hinein, das wie ein fernes Feuer über der Erde lag. Erst wenn Donelaitis von der Arbeit kam und sie rief, ging sie langsam zurück und gab Antwort auf seine Fragen, aber so, als weile sie noch in einem anderen Raum.
Die Frauen meinten, daß sie Heimweh habe, aber Donelaitis kannte das Wort nicht. Er kannte vielleicht das Gefühl, aber nicht das Wort, und eines Morgens, ehe er zur Arbeit ging, sagte er in seiner wortkargen Art, daß er diese Besuche nicht mochte.
Sie sah ihn von der Seite an, als habe er etwas Merkwürdiges gesagt, zuckte die Achseln und erwiderte, daß sie keinen Amerikaner verhindern könne, an das Moor zu kommen. Auch spreche sie nicht mit ihnen, da sie die Sprache nicht verstehe.
Er hielt schon den Türgriff in der Hand und kehrte sich nicht um. Aber er blieb noch einmal stehen, sah vor sich nieder auf das braune Holz unter seinen Fingern und sagte langsam, daß es nicht auf die Sprache ankomme.
Dann erst ging er.
Sie blieb noch eine Weile stehen und sah ihm durch die geschlossene Tür nach, als bilde das Holz keine Scheidewand für ihre Augen. Dann lächelte sie auf ihre verschlossene Art, aus der nicht abzulesen war, worüber sie lächelte, und begann ihre Morgenarbeit.
Aber nach einer Weile blieben die Soldaten aus, und sie ging wie sonst am Nachmittag in den Wald, um Pilze zu sammeln, die sie im Schlosse verkaufte oder tauschte.
Ganz langsam verliefen die Kreise sich, die von dem Schicksal des »Dunklen« ausgegangen waren, als wäre er nur ein Stein gewesen, den man in ein stilles Wasser geschleudert hatte. Die Landschaft schloß sich wieder zu um die Menschen, das Tagwerk, die Zeit. Es war nun ein Jahr vergangen, und ein Jahr ist eine lange Frist für jemanden, der soviel zu vergessen hat. Die winterliche Straße etwa mit den gekrümmten Weidenbäumen oder die im Schneesturm verwehenden Rufe oder das weiße Gesicht auf der Kirchenschwelle oder den Stacheldraht um den Raum, in dem gestorben wurde.
Und es hing ja auch nicht von ihnen ab, ob sie vergaßen oder nicht. Manchmal blieb es im dunklen, und manchmal stand es auf. Manchmal glaubten sie, daß die Züge dessen, das aufstand, immer matter, unwirklicher und ferner wurden wie die Züge von Toten, an die man sich nur mühsam erinnert. Und manchmal, wenn sie aus den Träumen auffuhren, waren sie so nahe, daß die Hand sie erreichen konnte.
Man mußte es nun dabei bewenden lassen. Das Tagwerk wollte keine Toten, und es mußte erfüllt werden, wie die Vorfahren es erfüllt hatten. Die Vorfahren hatten nicht viel nach Glück gefragt, weil Glück eine Sache der Herren gewesen war. Die Zeit war dahingegangen und das Glück auch von den Herren genommen, und es war, als ob die Herren nun näher bei ihnen ständen, seitdem auch sie nur das Tagwerk hatten und nicht das Glück.
Und es war nun doch wohl so geworden, ohne ihr Wollen und auch ohne ihr Wissen, daß der Freiherr Amadeus am nächsten bei ihnen stand, weil die Zeit ihm am wenigsten Glück und auch am wenigsten Tagwerk gelassen hatte. Er war der ärmste, ärmer noch als sie. Ohne Frau, ohne Kind. Er hatte nur einen Anzug und einen Mantel, und der Mantel war überdies gestreift und hatte Flecken, die nicht ausgingen. Und er lächelte am seltensten von ihnen allen, und wenn er lächelte, war es ein trauriges Lächeln, ohne Absicht traurig, nur so von innen heraus, und also mußte sein Inneres so sein, daß es nur auf eine traurige Weise lächeln konnte.
Seine beiden Brüder waren nun wieder in der Zeit und im Tagwerk. Der eine pflügte und ordnete und befahl, und der andere versuchte, eine verstörte Menschenherde im Zaum zu halten. Aber dieser war bei ihnen geblieben, ohne Zeit und Tagwerk. Er wohnte in einem Schafstall und ging über das Moor oder saß vor seinem kleinen Feuer. Sie wußten nicht, was er tat oder dachte. Aber wenn er bei ihnen stand oder saß oder ihnen zusah, erkannten sie, daß er der ärmste unter ihnen war. Daß er nicht an das Leben gebunden war wie sie, weder an den Tag noch an die Nacht. Daß man seine Wurzeln durchschnitten hatte. Und wenn sie ihm zusahen, wie er in der Dämmerung am Moorrand stand, war es ihnen, als wartete er, ob er dort Wurzeln schlagen könnte wie ein alter, verpflanzter Baum.
Es war doch wohl dieses, daß er im Leid gewesen war, was ihre Herzen bewegte. Die beiden anderen waren in Gefahr gewesen und auf der Flucht wie sie selbst, und waren nun in der Armut wie sie selbst. Aber im Leid, dort wo es am tiefsten war und wo man es allein auf den gebeugten Schultern trug, dort waren sie noch nicht gewesen. Und in ihnen allen lebte noch eine ganz leise Erinnerung an die Jahrhunderte, in denen ihre Vorfahren tief im Leid gewesen waren, das heißt in der Willkür, der Gewalt und der völligen Hoffnungslosigkeit. Was die Leibeigenschaft war, das hatte nur dieser ihrer Herren erlebt und erlitten, und deshalb war er ihnen so nahe wie ihresgleichen. Für sie war er einer, den Gott gezeichnet hatte, wie er früher die Wahnsinnigen, die Heiligen und die Bettler gezeichnet hatte. Und es war ihnen von ihren Vorfahren überkommen, daß man solchen die Hand aufzutun hätte. Ihnen hatte man nichts nachzurechnen und nichts nachzutragen, weil man nicht wußte, was Gott mit ihnen vorhatte.
Sie wunderten sich auch nicht, als der Freiherr Amadeus eines Morgens begann, die schwarze Erde um ihre kleinen Holzhäuser umzugraben, so daß ein dunkles Viereck um jedes Haus lag. Und daß er in diese dunkle Erde Samen aus kleinen Papiertüten schüttete. Er sagte nur, wenn die Frauen bei ihm stehenblieben, daß die Kinder doch ein paar Blumen vor den Fenstern haben sollten. Die Augen der Menschen würden anders, wenn sie in der Kindheit Blumen gesehen hätten.
Und er teilte auch die Erde in kleine Beete ein und wies die Kinder an, welche sie als die ihrigen betrachten sollten. Die »Goldene« bekam ein Beet für sich allein.
Die Männer, wenn sie am Abend aus dem Walde oder von den Torfbrüchen zurückkehrten, sahen ihm still zu wie einem, der ein müßiges Spiel treibt, aber sie bedankten sich bei ihm, und wenn sie in der Dämmerung noch eine Weile auf der Bank vor dem Hause saßen, blickten sie nachdenklich auf die schwarze Erde zu ihren Füßen, in die der Freiherr den Samen gelegt hatte, und sprachen ein bißchen von ihm und seiner Verlassenheit, und daß er wohl dem alten Freiherrn am ähnlichsten sei von den drei Brüdern. So ähnlich, daß auch er vielleicht eines Tages zu den Unterirdischen hinabsteigen würde.
Zu der Hochzeit des Freiherrn Ägidius waren sie alle geladen, und Amadeus war der einzige, der zurückblieb. Der Bruder sollte es ihm nicht verargen, hatte er gebeten, aber dazu sei er wohl noch nicht imstande.
So blieb er den Tag über bei den verlassenen Moorhütten, und während er die jungen Keimblätter der Pflanzen betrachtete und am Abend die jungen Sträucher goß, erkannte er zum ersten Male, daß das Moor einsam und verlassen war ohne den Rauch aus den Schornsteinen und ohne die Spiele der Kinder im Heidekraut.
Er blieb so stehen, wie er war, die Gießkanne in der Hand, und sah sich um. Es war ihm, als wäre mit dieser Erkenntnis etwas Großes mit ihm geschehen, etwas, das er niemals für möglich gehalten hatte. Als wäre er auf seiner Wanderung, die immer im selben Kreis herumführte, an ein neues Tor gekommen, und er brauchte nur die Hand zu heben, um es zu öffnen und über den gewohnten Kreis auf ein neues Stück der Erde zu blicken.
Es ergriff ihn viel mehr, als es dem kleinen Anlaß entsprach, und er setzte sich auf eine der Hausbänke, legte die Arme rechts und links auf die Lehne und blickte auf das Moor. Auch der vertraute Anblick der großen, schweigenden, einsamen Fläche hatte nun etwas Neues für ihn bekommen. Etwas, das nicht mehr ganz außerhalb des Lebens lag, für sich daseiend. Etwas, das nicht nur ein Raum war, durch den man gehen konnte wie durch andere Räume. Sondern etwas, das angeknüpft war an das Leben, das in Beziehung stand zu dem Leben und das nun, an diesem Abend, von einer besonderen Schweigsamkeit war, weil die Hütten schweigsam waren. Etwas, das die Menschen herausgestellt hatten aus dem großen Schweigen mit ihrer Arbeit oder ihrem Lächeln oder nur mit ihrem Dasein. Etwas, in dem sie Wurzeln geschlagen hatten und womit sie die fremde Erde verwandelt hatten, so daß sie näher herangekommen war an die Türen und Fenster.
Er blieb lange so sitzen und dachte darüber nach, weshalb nun auch er sich eingeschlossen fühlte in diese langsame Verwandlung. Und ob es nun davon komme, daß er hier ein Stück dieser Erde umgegraben hatte, oder davon, daß er sie für diese Kinder umgegraben hatte.
Die Sterne waren schon aufgezogen, als er immer noch dasaß. Der einzige Mensch wahrscheinlich, der am Rande des Moores wachte, als ob er Zwiesprache mit den Eulen hielte, die einander über die dunkelnde Fläche zuriefen. Ab und zu schoß eine Sternschnuppe in die dunkle Tiefe hinunter, und er sah ihr ohne Gedanken nach, einer schmalen, goldenen Bahn, die aufleuchtete und versank wie das Schriftzeichen eines fernen, unbekannten Gottes, der seiner nicht achtete.
Als er zum Schafstall hinaufstieg, dachte er eine Weile an die Brüder und wie sie nun immer mehr ein eigenes Leben gewannen, ein tätigeres als das seine, das nur Blätter beschrieb und Blumensamen ausstreute. Aber der Gedanke machte ihn nicht einsamer. Sie hatten einander immer Raum gelassen, aber nur soviel, daß ein leiser Ruf immer den anderen erreichte, und so würde es immer bleiben. Auch die Frau würde nichts daran ändern können, und er erinnerte sich, wie sie zum erstenmal bei ihm gesessen hatte, in einer großen Verlassenheit, und daß sie seinem Herzen vielleicht nicht so fernstand, wie er gemeint hatte. Ja, daß es vielleicht daran lag, daß er sein Herz den andern Herzen so fernhielt und daß er vielleicht der einzige war, der einen Schatten auf diesen Tag geworfen hatte.
Aber am nächsten Tag war Erasmus nun voll des Erzählens, als wüßte er sehr gut von diesem Schatten und als müßte er soviel erzählen, daß der Schatten darunter verschwände und niemanden bedrückte, weder den, von dem er ausgegangen war, noch diejenigen, über die er gefallen war.
Auch ließ die Frau zwei Wochen vergehen, bevor sie Amadeus einen Besuch machte. Er hatte ihn nicht erwartet, und es beschämte ihn. Sie saß in dem großen Stuhl am Herde, in dem kein Feuer brannte, in einem dunklen Kleid, über dem sie die Hände gefaltet hatte. Ihre Augen gingen langsam in der Kammer umher, ohne Neugier, aber mit einer Art von stiller Teilnahme, und dann blieben sie an dem Gesicht des Freiherrn Amadeus haften.
»Es hat ihm leid getan«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme, »und auch mir. Vielleicht hat es mir noch mehr leid getan als ihm.«
»Es war keine Kränkung«, erwiderte Amadeus. »Es war noch zu früh für mich. Ich kann das noch nicht.«
Sie nickte. »Ich wußte es«, sagte sie, »und ich habe es auch nicht erwartet. Ich weiß, daß Sie drei wie in einen Ring eingeschlossen sind, und es ist schwer für mich. Es ist mir, als sei ich tief in Ihrer Schuld.«
Davon könne keine Rede sein, erwiderte Amadeus.
»Ich habe ihn aufrichten können«, fuhr sie leise fort. »Bei ihm war es am leichtesten. Aber bei Ihnen kann ich es nicht. Es steht mir nicht zu, und es geht auch über meine Kraft. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich es möchte.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Amadeus, »und ich habe es immer gewußt. Ich habe Ihnen nicht gegrollt, daß Sie ihn fortgenommen haben von uns. Wenn Sie es nicht gewesen wären, würde es ein andrer gewesen sein. Die Erde hat ihn gerufen, der Acker, oder wie Sie es nennen wollen. Es konnte nicht immer mit uns bleiben wie im Märchen.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie, »ob es nicht doch so geblieben ist. Das Glück der Frau steht immer auf schwachen Füßen. Eine Frau würde den letzten Acker hingeben um ihr Glück. Ein Mann nicht.«
»Aber dieses Glück«, sagte Amadeus und sah sie an, »würde sie niemals für sich selbst haben wollen.«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie leise und blickte in die Asche des Herdes. »Ich weiß es wirklich nicht …, aber ich bin dankbar, daß Sie so sprechen. Und ich habe es so verbrieft, daß alles sein Eigentum bleibt, auch wenn er mich einmal nicht mehr um sich haben möchte.«
»Sie sollten nicht so von ihm denken«, sagte Amadeus.
»Ich denke von ihm nicht so. Ich denke an den Mann, nicht an ihn. Manchmal tragen Männer keine Namen.«
Als sie aufstand, sah sie sich in der Kammer um. »Ich hatte Sie bitten wollen«, sagte sie, »bei uns zu leben. Es ist noch Platz genug dort. Aber nun sehe ich, daß Sie das nicht können. Sie sind der einzige von ihnen, der zu Ende gegangen ist. Wenn Sie rufen, gibt es kein Echo mehr.«
»Solange Kummer auf der Welt ist«, erwiderte er, »ist man noch nicht zu Ende gegangen.«
Er brachte sie bis zu dem schmalen Weg, der den Berg hinunterführte. »Als er das letzte Mal hier war«, sagte er, während er noch ihre Hand hielt, »hat er uns gebeten, zu Ihnen zu sagen: ›Sei willkommen unter uns!‹ Er hätte nicht zu bitten brauchen. Wir würden es auch so getan haben.«
Sie hob seine Hand, ehe er es verhindern konnte, schnell an ihre Wange, ließ sie dann los und ging den Berg hinunter.
»Wie ist es nun dort, lieber Bruder?« fragte Amadeus am Abend, als Erasmus bei ihm saß. »Sie war heute hier, und es war mir nicht gerade so, als ob sie strahlte.«
Erasmus brauchte einen Augenblick, um ihn zu verstehen, aber dann schüttelte er den Kopf. »Sie wird niemals so strahlen wie andere«, erwiderte er. »Es gibt Frauen, bei denen auch die Freude oder das sogenannte Glück nach innen geht. Was wir dann außen sehen, ist nur ein Widerschein. Es ist, als ob sie ihr Herz anfüllen für Zeiten der Not. Und sie wissen auch, daß Glück nichts Beständiges ist. Beständig ist nur das, worin wir es verwandelt haben.«
»Also ist es doch eine Schule der Weisheit, die du dort unter den Frauen hast?« fragte Amadeus lächelnd.
»Ja, vielleicht auch dort, lieber Bruder«, erwiderte Erasmus. »Sie haben es doch besser überstanden als die Männer. Und wenn auch nur mit einem Scheuertuch. Denn viele der Männer haben nicht einmal das. Sie haben gar nichts, verstehst du? Sie haben nur Hunger. Wenn man ihnen das Tischtuch fortgezogen hat, fragen sie nur: ›Wer ist schuld?‹ Die Frauen aber bücken sich und suchen die Scherben zusammen.«
»Das ist eine große Weisheit, lieber Bruder«, sagte Amadeus.
»Wo siebzig oder achtzig Menschen zusammenleben, fällt immer etwas Weisheit von den Tischen«, erwiderte Erasmus. »Aber mit ›ihr‹, lieber Bruder, ist es doch so, daß wir gut zu ihr sein müssen. Sie weiß nämlich nicht, ob er wirklich sie geheiratet hat. Und das Große an ihr ist, daß sie es von Anfang an nicht gewußt hat und auch nicht hat wissen wollen.«
»Ja, es ist nicht leicht mit uns«, sagte Amadeus. »Auch wenn wir nicht Hunger haben und nicht nur nach dem Schuldigen suchen …«
Aber ein paar seien nun doch da, erzählte Erasmus beim Abschied, die ein bißchen arbeiten wollten. Es sei ihnen in den Sinn gekommen, Torf zu stechen hier oben. Weshalb, wisse er nicht. Er wisse nicht einmal, ob sie jemals einen Spaten in der Hand gehabt hätten. Wahrscheinlich wollten sie nur der sogenannten Gemeinschaft entfliehen. Die Leute hier oben sollten ihnen ein bißchen zur Hand gehen, und länger als ein paar Tage werde es wohl ohnehin nicht dauern.
»Es wird sie nicht freuen«, sagte Amadeus. »Aber der Torfbruch ist so groß, daß sie ihnen nicht unter den Füßen zu sein brauchen. Schicke sie also ruhig herauf.«
Es war nun auch so, daß sie nicht länger als ein paar Tage blieben und daß die Früchte ihrer Arbeit etwas verunglückt aussahen, wie sie am Rande der Torflöcher herumlagen. Eine Weile spielten die Kinder damit, und dann wuchs das Heidekraut über sie hin, und die Gutsleute vergaßen wieder, daß hinter dem Moor noch Menschen lebten.
Aber einer war nicht fortgeblieben. Er kam nicht jeden Morgen, und manchmal verging eine Woche, bis sie ihn wiedersahen. Aber dann stand er wieder am Rand des Bruches, wo sie ihm seinen Platz angewiesen hatten, soweit wie möglich von den Hütten entfernt, und den ganzen Tag sahen sie das Blitzen seines Spatens, wenn die Sonne auf das Eisen fiel. Manchmal ruhte er auch für eine Weile aus, die Hände auf den Spaten gestützt, und blickte über das Moor, wie der Freiherr Amadeus oder die junge Frau Erdmuthe zu tun pflegten, und in den Hütten sagten sie dann lächelnd, daß er seinen Torf zähle.
Aber das tat er nun nicht. Sein ernstes, stilles, von vielen Furchen durchzogenes Gesicht war nicht das Gesicht eines Rechners. Es entspannte sich nur von der schweren Arbeit und ließ das große Schweigen der Landschaft in sich hineinfallen. Es schien dann, als habe es sich losgelöst von dem Tagwerk und sei nur da, damit die Sonne es bescheine, wie sie das Moor beschien. Es sah heiter und glücklich aus, trotz den vielen Falten, die es durchzogen. Fast wie ein Kindergesicht, das vom Spielen aufblickt, um zu sehen, wie groß die Welt ist.
Die Leute wußten nichts von ihm, als Amadeus sie fragte, und eines Abends ging er selbst hinaus, weil er wissen wollte, wer da so still in seine Welt eingekehrt war, als ob er nach Hause gekommen wäre.
Die weiche Erde machte seine Schritte lautlos, und er kam von hinten an den Mann heran, ohne daß dieser ihn hörte. Er stand wieder auf seinen Spaten gelehnt und blickte in die Ferne, und als der Freiherr ihn fast erreicht hatte, vernahm er zu seiner Verwunderung, daß der Mann leise sang. Er hatte die Hände über dem Griff des Spatens gefaltet, den Kopf auf eine Seite geneigt, und sang vor sich hin. Ohne Worte, nur die Melodie, und es war ohne Zweifel die Melodie eines Kirchenliedes. Amadeus erinnerte sich des Textes nicht, aber er erinnerte sich der Melodie, und er blieb ohne Bewegung stehen und hörte zu. Der Mann stand da wie auf einem alten Bilde, in etwas versunken, das nur vor seinen Augen lag. Man wußte nicht, ob es etwas Fröhliches oder etwas Trauriges war. Man wußte nur, daß es gleichsam etwas Gewisses war, etwas, an dem er keinen Zweifel hatte und in das er hineinsang, als ob ihm Antwort von dort kommen würde. Ein Echo der Melodie, die er summte, und mit diesem Echo auch ein Widerhall der Worte, auf die man die Melodie geschrieben hatte.
Kinder konnten so stehen, in sich versunken, und ihr halb unbewußtes Leben in den Raum hineinsingen. Es ergriff den Freiherrn Amadeus plötzlich, als hätte er seit seiner eigenen Kinderzeit so etwas nicht gesehen, und er schämte sich, daß er so hinter dem Mann stand und ein Zeuge von etwas wurde, das nicht für ihn bestimmt war.
Und dann verstummte die leise Stimme, als hätte sie nun alles gesagt, Freude oder Heimweh oder Kummer, und als der Mann sich wieder zu seiner Arbeit wendete, sah er den Freiherrn hinter sich. Er erschrak nicht, er lächelte nur freundlich und nickte ihm zu, als sei er ihm seit langem bekannt.
Nun, aus der Nähe, konnte Amadeus sehen, daß sein Haar schon grau war und daß das Beherrschende in seinem Gesicht nicht die Falten waren oder der Mund, sondern die Augen. Große, etwas tiefliegende, sehr ernste Augen, von einer außerordentlichen und fast beglückenden Wärme, die noch erfüllt schienen von der besonnten Landschaft, mit der er eben Zwiesprache gehalten hatte. Sie blickten den Freiherrn weder mit Verwunderung an noch mit Scheu, sondern mit einer Art Freude des Wiedererkennens, als sei er ihm vor langer Zeit begegnet, lange bevor er den Spaten in der Hand gehalten hatte.
Und auch seine Stimme war warm und vertraut, als er sagte, daß es ihn freue, den Herrn Baron einmal zu sehen, weil er sich wahrscheinlich nie das Herz gefaßt haben würde, ihn in seinem Schafstall aufzusuchen.
Ob er ihn denn kenne? fragte der Freiherr verwundert.
Ja, wie sollte er ihn nicht kennen, erwiderte der Mann, da er doch im Schloß lebe, unter der Obhut des Freiherrn Erasmus. Und da er ihn fast täglich über das Moor gehen sehe, um den Abend zu finden.
»Um was zu finden?« fragte der Freiherr.
»Den Abend, Herr Baron. Denn viele von uns gehen ja heute nur durch den Tag, um den Abend zu finden. Früher war der Abend von selbst da, wenn der Morgen dagewesen war, und man brauchte ihn nicht zu suchen. Aber heute ist nichts von selbst da. Es ist soviel verlorengegangen, daß die Menschen Angst haben, auch die Zeit könnte ihnen verlorengehen. Oder doch der Ablauf der Zeit, so daß sie nicht einmal ihres Abends sicher sind. Und dabei liegt er doch so wunderbar da, so gewiß und so für jedermann, daß man singen muß vor Freude, daß er da ist.«
Und er nahm die rechte Hand vom Spaten und beschrieb mit ihr einen Kreis über das Moor hin, als wollte er dem Freiherrn den Abend zeigen, den er entdeckt hatte.
»Sind Sie ein Vertriebener?« fragte Amadeus endlich.
Der Mann lächelte. »Nicht mehr als andere«, erwiderte er. »Nicht mehr als jeder von uns, seitdem der Engel mit dem Schwert vor dem Tor des Paradieses gestanden hat. Nur daß den Menschen das Wort erst eingefallen ist, seitdem sie kein eigenes Dach mehr über dem Kopf haben.«
»Und Ihnen ist es früher eingefallen?«
»Viel früher, viel früher. Und deshalb ist das Dach des Schlosses für mich so gut wie früher mein eigenes Dach. Vielleicht noch besser. So wie das Dach des Schafstalles für den Herrn Baron viel besser ist als das frühere Dach.«
Ob er das so genau wisse? fragte Amadeus.
»Nicht so genau, wie die meisten Menschen etwas wissen. Ihre Dienstanweisung oder ihre Weltanschauung, oder daß sie recht haben und die anderen unrecht. Aber doch so ziemlich genau, wie ich weiß, daß dieses schön ist.« Und wieder beschrieb er mit der Hand einen Bogen um das Moor.
»Und was taten Sie früher?« fragte Amadeus nach einer Weile. »Ehe Sie zum zweiten Male vertrieben wurden? Was waren Sie?«
»Ein Pfarrer natürlich«, erwiderte der Mann erstaunt. »Was denn sonst? Haben Sie das nicht bemerkt?«
Wie er es denn bemerkt haben sollte? fragte Amadeus.
»Ja, einfach so …, an der Sprache zum Beispiel. Jedes Handwerk und jeder Beruf ist zu erkennen. Der Schuster an seinem Daumen und der Seemann an seinem Gang. Darin ist nichts Verächtliches, nicht einmal etwas Komisches. Und Jakob Böhme zum Beispiel war durchaus nicht komisch. Die Pfarrer aber haben ihre Sprache. Das liegt an der Bibel, mit der sie sich Mühe gegeben haben. So wie ein Richter mit dem Corpus juris. Und außer der Sprache haben sie noch so eine Art von Sicherheit, die kein anderer Beruf hat. Wenn einer zu ihnen kommt und seinen Korb mit Schmerzen vor ihnen auspackt, wissen sie gleich immer etwas zu sagen. Aus dem Alten oder Neuen Testament. Vielen von ihnen ist anzumerken, daß sie mit dem lieben Gott zusammen auf der Schulbank gesessen haben. Und meistens ›einen drüber‹, wie es in der Schulsprache heißt.«
»Aber Sie haben nie einen drüber gesessen?« fragte Amadeus.
»Ach nein, Herr Baron. Immer drunter, viele, viele drunter. Und meistens war ich der Letzte unter meinen Amtsbrüdern.«
»Und jetzt?«
Der Pfarrer lächelte. »Jetzt habe ich ein bißchen Ferien«, sagte er. »Nicht vom lieben Gott, aber von meinem Amt. Von Gott hat man nie Ferien, das wissen Sie ja.
Zuerst dachte ich, ich müßte schnell wieder eine Gemeinde bekommen. So wie Kinder denken, denen ein Rad am Wagen zerbrochen ist. Aber da, wo ich vorsprach, sahen sie mich so ein bißchen von der Seite an. Nicht von oben herab, das wäre nicht so schlimm gewesen, weil das überall so ist, wo ein Mensch über den Menschen gesetzt ist. Obwohl das in der Kirche nicht sein sollte, wo nur Christus über uns gesetzt ist.
Aber von der Seite, und das ist schlimmer. Von der Seite sieht man nicht die Untergebenen an, sondern die Gefährlichen. Die außen stehen. Vor den Fenstern zum Beispiel, und dort sehen sie zu, was die drinnen treiben. Oder die Kranken oder vielmehr Krankhaften, die ihre besonderen Meinungen haben.«
»Und weshalb erschienen Sie den anderen krankhaft oder gefährlich?« fragte Amadeus.
Der Pfarrer lächelte wieder und stopfte sich eine kurze, sehr unansehnliche Pfeife, zu der er den Tabak mit den Fingern aus der Rocktasche sammelte. »Ach«, sagte er, »ich sagte wohl ein paar Dinge, die ihnen seltsam erschienen. ›Ich möchte irgendwohin‹, sagte ich, ›wo ich dienen könnte.‹ – ›Das tun wir überall‹, sagte der Bischof mit einem leisen Tadel. – ›Ach nein‹, sagte ich, ›das tun wir nicht überall. Viele haben dem Staat gedient, und viele dienen der Kirche, und einige haben dem Goldenen Kalb gedient.‹
Da war es denn natürlich zu Ende mit mir, und sie sagten, vorläufig sollte ich auf dem Schlosse bleiben, da gebe es schon genug zu tun.«
»Und da sind Sie nun?« fragte Amadeus.
»Ja, da bin ich nun.«
Er stieß den Spaten in die schwarze Erde und setzte sich auf einen der trockenen Torfhaufen. »Sie müssen es mir nachsehen, Herr Baron«, sagte er, »aber ich bin müde. Dies ist uns nämlich nicht beigebracht worden auf der Universität. Dort war der liebe Gott nicht auf den Mooren zu Hause.«
»Und jetzt?«
»Jetzt ist er hier mehr zu Hause als in dem Schloß dort, Herr Baron. Es ist ihm zu laut dort.«
»Und tun Sie das nun für sich, daß Sie hier Torf stechen?«
»Für mich? Ach nein, für mich tue ich so wenig wie möglich. Aber für die da drinnen und für den lieben Gott tue ich es. Es ist nämlich aus mit den alten Vorstellungen, Herr Baron. Sie mögen das nicht mehr, die Leute im Schloß, daß sich einer hinstellt, mit oder ohne Talar, und redet. Es ist soviel geredet worden, daß sie für eine Weile genug haben. Sie sind mißtrauisch geworden. Nicht nur gegen den ›himmlischen Vater‹, sondern auch gegen die, die sich auf den Kanzeln auf ihn berufen haben. Sie wollen Brot haben und einen Rock. Sie mögen nicht, daß ihre Pfarrer weiße Hände haben.«
»Und nun sind Sie hier«, fragte Amadeus, »um ihnen zu zeigen, daß Sie braune Hände bekommen?«
»Sicherlich«, erwiderte der Pfarrer ohne einen Augenblick des Zögerns. »›Beten Sie draußen auf dem Moor, Herr Pfarrer?‹ hat mich gestern eine von den Frauen gefragt. Es war keine sehr freundliche Frage. ›Nein‹, habe ich geantwortet. ›Ich will soviel Torf stechen, daß eines von Ihren Kindern den Winter über nicht zu frieren braucht.‹ Und das ist nun auch meine Art, zu leben, Herr Baron. In zwei braunen Händen kann viel Überredungskraft liegen. Ja, es kann sogar ein kleines Stückchen Evangelium in ihnen liegen. Die ›frohe Botschaft‹, wenn man es so übersetzt. Wenn die Urzeit wiedergekommen ist, kann nämlich auch so etwas wie das Urchristentum wiederkommen.«
»Und Sie meinen, daß die ›Urzeit‹ wiedergekommen ist?«
»Sicherlich«, sagte der Pfarrer wieder. »Die Kreuzigungen jedenfalls sind wiedergekommen, und sie waren immer ein Zeichen der Urzeit.«
Der Freiherr Amadeus blickte auf das Moor hinaus, weil er sich plötzlich des geneigten Hauptes an der Kirchentür erinnerte. »Aber ist es nun nicht zu Ende mit den Kreuzigungen?« fragte er endlich.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Sie fangen erst an«, erwiderte er. »Die lauten sind vorbei und auch die nicht einmal überall. Aber die leisen fangen erst an. Die der Herzen, nicht die der Körper … Und in solchen Zeiten dürfen die Pfarrer nicht über ihrer Gemeinde stehen, auf einer geschnitzten und erhöhten Kanzel, sondern unter ihrer Gemeinde. Sie müssen die Ärmsten sein, verstehen Sie, Herr Baron? Die Allerärmsten. Denn nur ihnen wird geglaubt werden. Nur wenn sie Torf stechen, wird an die Arbeit geglaubt werden, an die Wärme, an das Feuer. Nur wenn sie barfuß gehen, wird geglaubt werden, daß Christus barfuß ging. Nur wenn sie für Narren gehalten werden, wird an die Weisheit geglaubt werden, die vor zweitausend Jahren verkündet wurde. Anders nicht, Herr Baron, anders nicht. Auch wenn die Kirchen voll sind.«
Er klopfte die Pfeife an seiner zerrissenen Schuhsohle aus und löschte die Glut. »Ich muß nun gehen«, sagte er und stand auf. »Es sind ein paar Kranke da, bei denen ich noch ein bißchen sitzen muß.«
Er nahm den Spaten über die Schulter und sah sich noch einmal um. »Da ist er, der Abend«, sagte er lächelnd, »den wir gesucht haben. So still wie Gottes Wort, ehe es noch Kirchen gab.«
Sie gingen zusammen zum Schafstall hinauf.
Ob er ganz allein sei, fragte der Freiherr.
»Ja, ganz allein. Und nur dann kann man eigentlich ruhig ein Narr sein. Zwei Narren zusammen sind schon gefährlich. Und wahrscheinlich auch ein bißchen komisch.«
»Aber Sie waren nicht immer allein?«
»Ach nein. Aber die anderen sind nun im Frieden. Wir blieben bis zuletzt, an der Ostseeküste, wo ich meine Gemeinde hatte … Wir sind dann zusammen fortgegangen. Die Kinder sind erfroren. Drei. Zwei Mädchen und ein Junge. Und meine Frau ist von Tieffliegern erschossen worden. Sie war schon verdunkelten Sinnes, und so war es wohl eine Gnade für sie. Sie fluchte Gott, und für einen Pfarrer ist das ja ein bißchen schwer.«
»Und Sie meinen, daß sie im Frieden sind?«
»Sicherlich«, erwiderte der Pfarrer wieder ohne Zögern. »Damals streckte Gott Tag und Nacht die Hände aus über die Straßen, um aufzunehmen. Wenn die Menschen sich versagen, streckt er immer die Hände aus.«
Der Pfarrer blieb noch an der Tür des Schafstalles stehen und blickte hinein. »So also sieht es aus«, sagte er. »Ich habe oft gedacht, wie es hier aussehen mag.«
»Sie dürfen nun immer hier sitzen, sooft Sie wollen«, sagte der Freiherr. »Es sitzen wenige hier.«
Der Pfarrer nickte. »Es werden bald mehr sein«, sagte er mit seiner stillen Sicherheit, »Wenn die Leidenden nicht die Menschen anziehen, leiden sie falsch.«
»Und Sie meinen, daß ich leide?« fragte der Freiherr.
»Wer denn sonst?« erwiderte der Pfarrer. »Wer denn sonst? Aber es wird besser werden. Schon wenn Sie den Torf für diesen kleinen Herd selber stechen werden, wird es besser werden. Mit den Händen fängt es immer an.«
»Aber wenn das Herz nicht vorher anfängt, fangen auch die Hände nicht an?«
»Für das Herz sorgt der liebe Gott«, sagte der Pfarrer und nahm den Spaten wieder über die Schulter. »Dessen seien Sie ganz gewiß, Herr Baron. Trotz Bischof und Kirchen. Aber für die Hände müssen wir selbst sorgen. Daß sie nämlich ein bißchen braun werden, nicht wahr?«
Und er lächelte auf seine kindliche Weise, ganz ohne Arg, und so mit seinem ganzen Wesen, daß es aussah, als ob alle Falten seines stillen Gesichtes mitlächelten.
Und dann nickte er dem Freiherrn zu und stieg langsam den schmalen Pfad hinunter.