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»Zum ›Glückhaften Schiff‹, – ich selbst will steuern.«
Kornelia Heinloth ließ sich im Hinterteil des langen, schmalen Bootes nieder, Anton Menacher gegenüber. Auf der Mittelbank führten Matthias und Nettchen die Ruder, und am Schnabel saßen, zuweilen sich verstohlen die Hände drückend, Rechtsanwalt Ostertag und Martha.
Es war einer jener wehmütig schönen, goldig klaren Herbsttage, an denen die Natur sich, wie zum Abschied, noch einmal in ihre reichsten, farbenbuntesten Gewänder kleidet, und an denen es den Menschen, von nachgeborenen Frühlingstrieben beseelt, unwiderstehlich hinaustreibt, auf Feld und Flur, die letzten Blumen zu brechen.
Sanft und leicht glitt der Kahn über das silberhelle Wasser der Haller dahin, dem dunklen, in blauem Frieden träumenden Lärchenholz entgegen, und ruhig wie die glatte Oberfläche der Flut erschien auch das von den überstandenen Leiden noch bleiche Gesicht der Tragödin. Eine weiche Resignation lag auf den sonst so herben Zügen, jenes verklärende Entsagen, mit dem die sinkende Sonne um den trotzigen Gipfelstolz schneebedeckter Bergesriesen spielt.
Während ihre schlanken Hände bald rechts, bald links die Steuerschnur anzogen, hing ihr Auge wie gebannt an den fernen Höhen, die nebeldunstig mit dem matten Blau des Himmels verschwammen, und ihre Lippen murmelten halblaut die Worte Grillparzers vor sich hin:
»Was ist der Erde Ruhm? – Ein Schatten. –
Was ist der Erde Glück? – Ein Traum.« –
»Wirklich nur ein Traum?« flüsterte Menacher mit bebender Stimme. In den letzten Wochen war er der einzige gewesen, der im Hause der Künstlerin Zutritt gehabt, und sie hatte ihn ihren treuesten Freund genannt, ihm selbst das trauliche »Du« angeboten.
Wie erwachend, blickte sie auf, ein mildes Lächeln kam in ihre Züge.
»Wohl dem, der glaubt. Was braucht es denn mehr als träumen? Wenn nur der Traum beglückt!«
»Du denkst an Robert?« Menachers Stimme klang unsicher.
Sie schüttelte ernst den Kopf. »Der Tote ist tot. Aber auch der Lebende wäre es für mich. Er hat die rechte Liebe nie gekannt. Sie blüht nur da, wo Vertrauen den Boden düngt. Wer Liebe prüfen will, der tötet sie. Er selbst hat sie in meinem Herzen gemordet.«
»Aber doch nicht deine Kunst, deine Begeisterung für das Höchste. Ich kann es noch immer nicht fassen. Ist es denn wirklich wahr, daß du der Bühne entsagen willst?«
»Ich werde die Bretter nicht mehr betreten. Gestern schon habe ich Abschied genommen. Und darum lud ich euch heute ein, – dich, deine Schwester und Albert, – zur Fahrt nach dem ›Glückhaften Schiff‹.«
Menacher blickte in den treibenden Strom. »Oh – daß es ein solches würde!«
Sie schien das sehnende Wort nicht gehört zu haben.
»Begreifst du denn nicht,« fuhr sie fort, »daß es mir nach dem Geschehenen unmöglich geworden. Seine Mutter und ich, wir sind in Frieden geschieden, gewiß. – Die Richter haben mich freigesprochen, aber das Blut bleibt doch einmal an meiner Hand, und das – das werden die Leute immer sehen. Es wird Reklame für mich machen, ohne daß ich es will, – das Publikum wird mich nicht mehr um meiner Kunst, nur um der Sensation willen sehen wollen, – und während sie mir Beifall klatschen, werden sie mit lüsternem Grauen sich zuflüstern: Schau, das ist die berühmte Heinloth, die ihren Liebsten umgebracht hat, – wie Brunhild den Siegfried, wie Judith den Holofernes.«
»Du siehst zu schwarz.«
»Nein, mein Freund, – ich kenne die Welt. Und eben darum will ich mir das Höchste, das Beste, an das ich glaube, wie an einen Gott, – nicht trüben lassen. Als reine Priesterin habe ich der Kunst gedient, – jetzt aber sind diese Hände befleckt trotz Freispruch, Verzeihung und Gewissensruhe, – schmutzig und unrein vor den Augen der Welt. Das widerstrebt mir im Innersten, das hat mich auf Wien verzichten lassen, mich veranlaßt, auch hier ein schnelles Ende zu machen.«
Das Fahrzeug streifte über eine Sandbank, und der leichte Stoß führte die Köpfe der Rudernden nahe zusammen. Niederwieser erschrak beinahe, als er plötzlich einen herzhaften Kuß auf seinen Lippen fühlte.
»Aber, Nettchen, wenn das dein Fräulein sieht!«
»Oh, die Gnädige is nich mehr so,« gab die Zofe leise zurück. »Die hat ja selber Absichten.«
»Doch nicht auf meinen Herrn?«
Nettchen zuckte die Achseln.
»Wer kann's sagen. Umsonst fahren wir heute nicht zum ›Glückhaften Schiff‹.«
»Woher weißte denn das?«
»Na, ich denk' mir's halt so. Schau, gestern hat die Gnädige auf einmal neben mir gestanden, hat mich lächelnd angeguckt und gesagt: »Du, – Nettchen, – wenn ich mal heirate, wirst du wohl auch nicht ledig bleiben wollen?«
»Nee, gewiß nich, Fräulein!« hab' ich beteuert.
»Na, – dann ist es gut,« hat sie weiter gesagt, »daß ich für eine Mitgift für dich gesorgt habe. Wenn auch dein Thia nichts hat, sie reicht schon für beide.«
Nur mit Mühe unterdrückte der Bursche einen lauten Freudenschrei.
Aber er war nicht der einzige, dem es froh und hoffnungsvoll ums Herz war. Auch die beiden im Vorderteil des Kahnes flüsterten zärtlich und vertraut miteinander.
»Denkst du noch daran, Albert? – Da war's.« – Martha war feuerrot geworden, als sie, von der seligen Erinnerung erfüllt, plötzlich die Worte ausgestoßen.
Auch der Rechtsanwalt hatte die Tanne erkannt, unter der sie damals im weichen Moose gesessen und die ersten heißen Küsse getauscht hatten. »Wenn wir nur nicht ewig mit unseren Gefühlen Verstecken spielen müßten!« seufzte er, durstig nach ihren frischen Lippen schielend.
»Oh – es wird schon anders kommen. Anton hat ja jetzt wieder Hoffnung, vielleicht daß –, aber da taucht ja schon das ›Glückhafte Schiff‹ auf.«
Auch Kornelia hatte es gesehen, ebensowenig wie ihr das verräterische Geflüster der beiden Paare entgangen war. Es schien, als raffe sie sich zu einem Entschlusse auf, ein leises Zucken kam in ihr eben noch starres Gesicht, und ihre dunklen Augen blieben auf Menacher haften:
»Du sagst mir nichts, mein Freund?«
»Wenn ich darf, so habe ich nur eine Frage. Wenn du dein Ideal aufgibst, für was willst du künftig leben?«
»Für die Liebe.«
Betroffen sah er sie an. »Robert ist tot. Und die Liebe zur Kunst –«
»Du verstehst mich nicht –« unterbrach sie ihn. »Die Liebe zur Kunst, ja, sie lohnt mit Ruhm, der uns selbst beglückt. Aber es gibt eine andere, die höher, gewaltiger, edler ist als der Ruhm, die nicht Schatten, sondern Licht gebiert, – die Liebe, die andere beglückt.«
Atemlos lauschte Menacher ihren Worten. Der seltsame Schein, der in ihren Augen aufflimmerte, spiegelte sich auch auf seinem Gesicht wider als ein flüchtiger Schein von Glück.
»Andere, – was meinst du?« fragte er mit unsicherer Stimme.
Mit großen Augen, in denen es aufzuckte wie von verhaltenen Tränen, sah sie ihn an. »Verstehst du mich immer noch nicht, – andere beglücken, um mich selbst zu entsühnen.«
»Kornelia, – du hast keine Schuld,« brach er leidenschaftlich aus.
»Doch,« erwiderte sie ernst. »In dem Freispruch lag ja meine Strafe, denn er verurteilte mich zugleich. Unschuldige litten mehr als ich. Ich duldete es. Und dafür strafte man mich nicht.«
»Und das willst du sühnen?«
»An dem, den meine Tat am schwersten getroffen. Denn sein Glück wird auch das der andern sein.«
»Kornelia, –« schrie Menacher aus, – »verstehe ich dich jetzt, – meinst du mich?« Und ein jubelnder Klang war in seiner Stimme.
Sie ließ die Schnur des Steuers fahren, – denn das Boot trieb, mitten in der Strömung, unbeirrt dem Ufer beim ›Glückhaften Schiff‹ zu, – und wollte ihre Rechte auf die seine legen. Aber ebenso rasch zog sie sie, wie über sich selbst erschrocken, wieder zurück.
»Ja, – aber wirst du auch nicht zurückschaudern vor dieser blutigen Hand? Du weißt ja nicht, ob auch ein höherer Richter mit Menschenaugen sieht, – ob auch er mich freigesprochen hat.«
»Oder ob er mich verurteilt!«
»Dich?«
»Ja, bin ich denn besser als du? Die Tat, die du getan, auch ich wäre fähig gewesen, sie zu begehen. Aber weniger schuldlos als du, – aus weniger edlen Motiven. Man soll nicht den Splitter im Auge des Nächsten richten und den Balken im eigenen nicht sehen. Sieh, an jenem Abend, als ich das Fest verließ, da habe ich wirklich mit dem Gedanken gespielt. Und während ich halb sinnlos durch die Straßen irrte, da habe ich in der Betäubung geträumt, daß Robert nicht mehr in der Welt sei, daß ich ihn hinausgestoßen und nun allein dich besitzen dürfe. In den Träumen, Kornelia, ist Wahrheit, wie im Weine, sie verraten die letzten, geheimsten Gedanken. Der Traum ist wahrer als das Wachen. Denn wachend sieht kein Lebender in das tiefste Dunkel seiner Seele. Wenn also der Traum mich anklagt, dann bin ich so schuldig, nein, schuldiger als du, – und wenn das, was ich gelitten, eine Strafe war, so habe ich sie verdient.«
»Nein, – nein,« wehrte Kornelia mit heftiger Geberde ab. »Deine Philosophie täuscht mich nicht. Aber alles, was du sagst, beweist mir ja nur deine heiße, innige Liebe zu mir, die ich so lange verkannte.«
Hingerissen, in fassungsloser Seligkeit ergriff Menacher die weiße, schlanke Hand, die wie ein schönes, unerreichbares Traumbild so lange vor seinen Augen gestanden.
»Kornelia, – du willst?«
Hingebend, verheißend neigte sich das stolze, schöne Haupt ihm zu, während das Boot von selbst auf den weichen Ufersand des »Glückhaften Schiffes« auflief.
»Ich will vergelten, – hat der Herr gesprochen,« flüsterte sie mit bebenden Lippen, und große, schimmernde Tränen standen in ihren Augen. »Aber Gott kann nur mit Liebe vergelten. Laß mich nach seinem Beispiel tun, dir und euch allen, die um mich gelitten, – vergelten mit der ganzen Fülle meiner Liebe!«