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Anton Menacher hatte kaum eine Stunde im Kreise der »Freimütigen« geweilt, als er seinen bisherigen Entschluß plötzlich über den Haufen warf.
Als der Vorsitzende ihn fragte, ob er die fast einstimmig auf ihn gefallene Wahl annähme, antwortete er mit einem bestimmten »Nein«.
Das bläulich verschwommene Bild, das ihm auch jetzt, mitten im lichterhellten Saale wieder wie ein gespenstiger Schatten vor Augen schwebte, machte seinen Entschluß unumstößlich.
Wie mit einem Stift gezeichnet, stand seit Tagen der Kopf Roberts, an den Rändern wie von blauem Blitzgeleucht umflackert, mitten in der leeren Luft. Nicht nur in wachem Zustand, auch bis in seine Träume verfolgte es ihn. Er fühlte einen unwiderstehlichen Drang, es auszulöschen, aber sobald er sich bemühte, es deutlich ins Auge zu fassen, zerfloß und verschwamm es wie ein unbegreiflicher Nebel.
Das Unheimliche der Erscheinung quälte und ängstigte ihn, folterte seine Nerven, so daß er oft zu jeder Arbeit unfähig war.
Konnte er bei einem solchen Zustande den verantwortungsvollen Posten annehmen, den man ihm hatte übertragen wollen? Es war unmöglich. Mochten die Freunde und Gesinnungsgenossen auch enttäuscht ihm grollen, später würden sie ihm schon recht geben.
»Ich danke Ihnen allen für das Vertrauen, das Sie mir entgegengebracht haben,« sagte er kurz, »aber ein offenbares Nervenleiden, das mich seit kurzer Zeit verfolgt, macht es mir unmöglich, mich desselben würdig zu zeigen. Wählen Sie keinen, der treuer und hingebungsvoller an unsere Sache glaubt, denn das wäre nicht möglich, aber einen, der entschlossen und tatkräftig zu handeln weiß, und nicht der ohnmächtige Sklave empörter Gefühle und unberechenbarer Stimmungen ist.«
Man murrte und ärgerte sich hier und da, die Mehrzahl aber billigte Menachers Gründe. Besser vorher, wo man sich noch anders entscheiden konnte, enttäuscht werden, als nachher, wenn es zu spät war.
Der Vorsitzende drückte ihm das allgemeine Bedauern über seine Ablehnung aus und schlug einen neuen Kandidaten vor.
Menacher gab ihm noch seine Stimme. Dann aber fühlte er, daß er überflüssig geworden war. Er selber hatte sich abgetan, man vergaß ihn bereits, und das ganze Interesse vereinigte sich auf den neuen Mann.
Um so besser! So konnte er gehen. Ein Blick auf die Uhr belehrte ihn, daß es noch Zeit war. Mit der nächsten Automobildroschke konnte er noch rechtzeitig vor Schluß der Vorstellung das Theater erreichen.
Auf den Ankerplatz hinaustretend aber sah er sich unangenehm enttäuscht. Die Autoführer hatten auf keinen so frühzeitig die Versammlung Verlassenden gerechnet. Weit und breit war kein Kraftwagen, auch keine Droschke zu sehen.
So mußte er den Weg zu Fuß antreten und kam gerade an, als die ersten Besucher bereits das herzogliche Theater verließen.
Um auf das Herauskommen Kornelias zu warten, trat er in den Schatten einer Säule. Es genierte ihn, sich den neugierigen Augen von Hunderten offen zu zeigen. Zu viele in der kleinen Residenz wußten ja, welche Gefühle ihn für die schöne Künstlerin beseelten, – welche Hoffnungen ihn erfüllt hatten, bis der andere gekommen, der andere, der auf dem besten Wege schien, sie zu vernichten.
Das bläuliche Gespenst vor seinen Augen ward wieder intensiver. Seine Hände krampften sich zusammen, seine Lippen zuckten. Nur wie durch einen fahlen Nebelschleier sah er unweit seinen Burschen stehen. Bei Kornelias Zofe. Der verliebte junge Mensch bemerkte ihn nicht. Die beiden scherzten und lachten, vielleicht über ihn, über seine zertrümmerten Hoffnungen, die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen.
Er horchte angestrengt. Aber er vernahm nur, wie sie sich eine glückliche Zukunft ausmalten, wie das Mädchen von einem Funde, von dem Reichtum Roberts sprach, und wie der Bursche eine gehässige Bemerkung über die Reichen machte.
Er verstand ihn, – auch er stimmte ihm zu. Verflucht das Geld, das sie fortlockte von ihm zu dem andern! Wer ihm den gleißenden Köder entrisse, der täte ein gutes Werk!
Urplötzlich schwand das bläuliche Schattenbild vor seiner Seele. Die Wirklichkeit trat an seine Stelle.
Er sah Robert Rivinius an Kornelias Seite daherkommen.
Robert, sein Todfeind, der einst sein Freund gewesen! Wie ein grell aufzuckender Blitzstrahl plötzlich eine in dunkle Wetternacht gehüllte Landschaft magisch erhellt, so stand im scharfen Licht der Erinnerung die Jugend wieder vor ihm.
Gemeinsam, als die treuesten Kameraden, hatten sie damals Lust und Leid geteilt. Die gleiche Schwärmerei für das Theater verband sie, die gleiche Begeisterung für die Künstler. Mehr noch für die Künstlerinnen.
Es waren weder Schönheiten noch Genies, die damals an der bescheidenen Bühne ihrer Vaterstadt auftraten. Aber der Zauber der Kulissenwelt umfloß sie mit verklärender Glorie.
Irene hatte sie sich genannt, Irene Morgenrot, – eine schwarzhaarige Jüdin mit nachtdunklen Augen, schlank wie eine Birke, geschmeidig wie die Tigerkatze und mit einem Lächeln, das einer Welt den Kopf verdrehen konnte.
So wenigstens hatte sie die idealisierende Phantasie der Primaner gesehen, und so sah er sie im Geiste wieder.
Einträchtig waren sie damals ihren Spuren gefolgt, hatten Lieder auf sie gesungen, Tagebücher mit ihrer Liebe gefüllt, den Staub beneidet, den ihre kleinen Füße traten, und hatten glückselig ganze Nächte von dem Lächeln geträumt, mit dem sie ihren scheuen Gruß erwiderte. Nichts hatte sie damals entzweit, beiderseitiges Verstehen ihr Glück noch erhöht, – und er hatte geglaubt, so könnte es wieder werden!
Mit krampfigen Fingern fuhr er sich ins Haar, als wollte er es ausreißen für seine Torheit.
O der seligen Stunden, da er sich schon sicher gewähnt hatte, das angebetete Weib zu erringen!
So gut hatten Cornelia und er sich verstanden. Zu gut vielleicht. Denn die Extreme sollten sich berühren. Das Gleiche ermüdet einander, stößt sich ab auf die Dauer. Zu hoch, in nebelhafte Ätherhöhen hatte sich ihrer beide schwärmende Phantasie verstiegen. Sie mochte sich nach Ernüchterung gesehnt haben, und da war ihr der kühler denkende, alles sorglich erwägende und prüfende Robert begegnet, der Egoist mit seiner rücksichtslos an sich reißenden Macht, nach dem sein Bestes verschwenderisch hinwerfenden Idealisten.
Und er, er selbst war der Narr gewesen, der die jetzt immer inniger sich berührenden Extreme zusammengeführt hatte. Der Stolz auf ihren vermeintlich schon gesicherten Besitz hatte ihn verlockt, den plötzlich wiederaufgetauchten Jugendfreund mit Kornelia bekannt zu machen.
Aber sein Glück, an dem der Freund sich freuen sollte, begehrte dieser für sich selbst. Nach wenigen Tagen schon war ihm die fürchterliche Gewißheit geworden. Nun waren Wochen, Monate verflossen, und täglich entglitt die schimmernde Perle ihm mehr, – hinüber zu der selbstsüchtig fordernden Hand des andern.
Mit keinem Wort noch hatte die Heinloth ihm verraten, daß sie Rivinius liebe, daß ihr seine eigenen, unausgesetzten Werbungen lästig geworden, aber dennoch fühlte er die Wahrheit, daß sie von Tag zu Tag kühler gegen ihn, wärmer gegen den jetzt zum verhaßten Nebenbuhler gewordenen Freund wurde.
Vermeidend, von dem Paare gesehen zu werden, verließ er sein Versteck hinter der Säule und mischte sich, ohne seinen Diener zu rufen und nach dem Erfolg des Abends zu befragen, in den über den Platz flutenden Menschenstrom.
Aber es handelte sich nur um ein Weichen und Fliehen für den Augenblick. Entschlossen, hoch aufgerichtet schritt er durch das Getümmel.
Nicht wie ein feiger Schwächling wollte er das Feld räumen. Warf man ihm den Fehdehandschuh hin, gut, er nahm ihn auf. Wer Sieger blieb, das stand bei Gott und dem Zufall. Noch war es nicht entschieden. Und von Roberts brutaler Kraft wollte er lernen. Furchtsames Zurückweichen mußte ihm den letzten Rest der einst so deutlich bekundeten Sympathie rauben.
Auf das Lilienfest würde sie gehen, er wußte es. Denn sie hatte ja einen deklamatorischen Vortrag zugesagt. Robert begleitete sie zum Union-Hotel. Darum hatte er sie erwartet und abgeholt. Aber auch er wollte dort sein; das Recht, das er schon auf ihr Herz besessen, von neuem geltend zu machen. Und sollte es nicht gelingen, so störte wenigstens seine Anwesenheit die erhofften Freuden ihres Beisammenseins!
Das Lilienfest, das alljährlich als Wohltätigkeitsbasar zum Besten des Elisabeth-Kinder-Spitals abgehalten wurde, vereinigte die vornehmste Gesellschaft der Residenz.
In dem mit Girlanden geschmückten Saale waren zahlreiche Buden aufgeschlagen, in denen liebreizende Verkäuferinnen aus den ersten Kreisen der Stadt die von der Geschäftsleitung gestifteten Waren feilboten.
An das Bierbüfett schloß sich eine Sektbude, in der die anmutige Gräfin Heide das prickelnde Naß ausschenkte, der Platz daneben war für Tanzlustige reserviert, und in der Mitte des Raumes erhob sich der reich ausgestattete Glückshafen, von dem die Veranstaltung ihren Namen herleitete. In Form einer riesigen Urne war seine grüne Grundfarbe mit weiß schimmernden Lilien dekoriert, welche die an der Stirnseite angebrachten Amoretten verschwenderisch auszustreuen schienen.
Rechts und links flankierten ihn ein Blumenkiosk und eine Schießbude, während den Hintergrund der Theaterpavillon einnahm, auf dessen kleiner Bühne heitere Einakter mit Liedervorträgen, Violinsolos, Tänzen und Rezitationen wechselten.
Hier hatte auch Kornelia Heinloth nach Schluß des Theaters den Vortrag einer ernsten Dichtung versprochen, aber ihr Eintreffen verspätete sich, und man mußte einstweilen einige andere Nummern gern gehörter Solisten einschieben.
Das Hauptinteresse wandte sich indessen Haireddin-Bey zu, für dessen unheimliche Experimente ein mit Teppichen belegter Winkel des Saales durch einen grünen Seidenvorhang abgegrenzt war.
Das Gesicht des Pseudo-Türken, der ein buntgesticktes, orientalisches Gewand trug, erhellte sich, als er Menacher den abgeschlossenen Raum betreten sah. An den roten, mit schwarzer Troddel geschmückten Fes greifend, verbeugte er sich bittend:
»Bester Herr, Sie müssen mir einen Gefallen erweisen. Unter den Anwesenden findet sich niemand bereit, und ich bin in Verlegenheit um ein geeignetes Medium. Sie sind das beste, das ich in hiesiger Stadt kennenlernte, – wollen Sie mir nicht Ihre schätzbare Kraft für eine Viertelstunde zur Verfügung stellen?«
Menacher war im ersten Augenblick von dem Vorschlag unangenehm berührt. »Wie, ich soll hier, vor dieser glänzenden Gesellschaft –«
Haireddin-Bey strich seinen lang über die Mundwinkel herabhängenden pechschwarzen Schnurrbart und sah ihn mit seinen dunklen Augen unverwandt und eindringlich an. Es lag etwas Zwingendes in diesem Blick, etwas unmittelbar Beherrschendes, vor dem sich der Wille beugte, und das auf den widerstrebenden Geist eine lähmende, einschläfernde Wirkung übte.
»Sie werden mir meine Bitte nicht abschlagen, nicht wahr?«
Menacher suchte der Gewalt der ihn bannenden Augen zu entrinnen und sah in dem Kreise der dicht gedrängt auf Stühlen sitzenden Zuschauer umher.
In der vordersten Reihe saß Prinz Oskar, auch er schien die Erfüllung des allgemeinen Wunsches zu erwarten. Sie verweigern, hieß den hohen Herrn, die angesehensten Persönlichkeiten kränken.
Kornelia war noch nicht anwesend, wie er sich gleich beim Eintritt in den Saal überzeugte. Vor ihr sich zu dem Gaukelspiel herzugeben, hätte ihm widerstrebt. So aber gab er zögernd nach.
»Meinetwegen, um der guten Sache willen.«
Triumphierend führte ihn Haireddin-Bey zu dem isoliert stehenden schwarzen Samtsessel und stellte in einiger Entfernung davon einen leeren Stuhl auf.
Eine Weile machte er langsam seltsame Bewegungen mit den Händen, dann hielt er Menacher ein glänzendes Metallstück vor, auf das der mystische Schein einer unter der Decke angebrachten roten Lampe fiel.
Die Augen des Mediums vermochten sich nicht davon loszureißen. Sie wurden starr, unbeweglich. Dann atmete Menacher tief, preßte die Hand gegen das Herz, und sein Kopf sank wie im Schlafe langsam gegen die Brust herab. Er schien nicht mehr zu wissen, was um ihn vorging.
Jetzt schlug Haireddins als Odaliske gekleidete Begleiterin auf dem seitwärts stehenden Harmonium einen einzelnen tief dunklen Ton an, den sie allmählich ersterben ließ, und während die letzten leisen Schwingungen durch den Raum zitterten, ersuchte der Hypnotiseur das Publikum, ruhig auf seinen Plätzen zu bleiben, da jede Annäherung an das Medium gefährlich werden könne.
»Ich werde in dem Herrn die Vorstellung der Eifersucht erwecken,« fügte er erklärend hinzu, »und Sie werden sehen, welche Folgen die Gewalt der Einbildung haben wird.«
»Sie lieben eine Dame –« begann er. Menachers Kopf hob sich wieder. Er schien auf ferne, unbestimmte Melodien zu lauschen. Zwei-, dreimal nickte er wie verstehend, und eine freudige Helle verbreitete sich über sein etwas bleiches, von dichtem, dunklem Vollbart umrahmtes Gesicht, aus dem die blauen Augen schwärmerisch und leidenschaftlich in die Welt blickten.
»Sie wollen nicht glauben, daß die Dame einen andern bevorzugt,« fuhr Haireddin-Bey mit halblaut flüsternder Stimme fort.
Menacher wechselte jäh den Ausdruck. Seine Züge verzerrten sich. Das Fräulein am Harmonium schlug ein paar alarmierende Akkorde an, bei deren Klang der Körper des Hypnotisierten schmerzlich zusammenzuckte.
»Schließlich aber überzeugen Sie sich selbst von der Wahrheit. Sie sehen Ihren begünstigten Nebenbuhler im gleichen Raume vor sich, – dort auf dem Stuhle. Was werden Sie tun?«
Aller Blicke hingen in höchster Spannung an Menacher, der plötzlich aufschnellte und seine hohe Gestalt gleich dem zum Sprung ansetzenden Tiger niederduckte.
Aus seinen Augen loderte glühende Eifersucht, und einen unartikulierten Laut ausstoßend, taumelte er vorwärts auf den leer gebliebenen Stuhl zu.
Sein Atem ging keuchend. Die Arme ausbreitend, schien er ein Luftgebilde zu packen und mit eherner Faust zusammenzupressen.
Schweiß trat auf seine Stirn, die Muskeln strafften sich, der ganze Körper zuckte und arbeitete in schwerem Kampfe mit einem Unsichtbaren.
Ein Flüstern ging durch die Zuschauer.
»Es ist die Bewegung des Erwürgens.«
»Er scheint rasend vor Wut.«
»Kein Zweifel, er würde ihn töten.«
Die scharfe Stimme Haireddin-Beys machte dem Gemurmel ein Ende.
»Sie haben sich getäuscht. Der Argwohn hat Sie blind gemacht. Der dort ist nicht Ihr Feind. Lassen Sie ab von ihm.«
Es klang wie ein Befehl, und Menacher gehorchte in seinem Traumzustand willenlos.
Schleppenden Ganges, wie ein Hund, der Schläge fürchtet, kam er zurück und ließ sich auf seinen vorigen Sitz niederdrücken.
Unter den gebieterisch auf ihn gerichteten Augen des Hypnotiseurs begann er heftig zu zittern. Die Brust hob und senkte sich krampfhaft, die weit geöffneten, glasähnlichen Augen glitten suchend umher.
Vom Harmonium her ertönte eine milde, süße Weise, weich und einschläfernd.
Der kurze, stoßende Atem des Hypnotisierten ward ruhiger, die künstliche Spannung legte sich und wich einer momentanen Erschlaffung. Dann sank er, wie von einer Ohnmacht aufgelöst, in sich zusammen, und ein Zug Haireddins an der Seidenschnur, die den Vorhang sich zusammenschließen ließ, entzog dem Publikum den Anblick des langsam wieder zum Bewußtsein Erwachenden.
Die Beklommenheit, das leise Grauen vor dem Unbegreiflichen, das sich bei dem seltsamen Schauspiel der Zuschauer bemächtigt hatte, wich schnell wieder einer neuen Sensation.
»Die Heinloth ist gekommen,« lief es von Mund zu Mund. Alles erhob sich, auch der Prinz wandte sich dem Theaterpavillon zu.
Es schien, als wollte er das Gerücht von der ihm zuteil gewordenen Abweisung widerlegen, denn mit jovialer Liebenswürdigkeit begrüßte er die schöne Künstlerin. Entweder hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, oder er wollte zeigen, daß er ihr nichts nachtrug.
Kornelia schien von seiner Freundlichkeit überrascht und betroffen.
Blaß, in sichtbarer Erregung stand sie vor ihm, ohne ihre sonst in Haltung und Ausdruck bewahrte stolze und kühle Ruhe. Ihre unruhig flackernden Augen suchten den Boden, und nur gewaltsam schien sie einen in ihrer Seele tobenden Sturm niederzuzwingen.
Nachdem sie wegen ihres verspäteten Eintreffens ein paar entschuldigende Worte gestammelt, bestieg sie rasch, mit einer ungewohnten, unsteten Hast das Podium, wie um alles Weitere abzuschneiden, und begann den Vortrag von Lenaus düsterer Ballade »Anna«:
»Nein, o nein, ich glaub' es nimmer,
Wenn es auch die Welt mir schwört,
Daß so heller Rosenschimmer
Meinen Wangen angehört.«
Wie ein Schauer überlief es sie, sie stockte, verwirrte sich einen Moment und fand nur mit Mühe den Faden wieder.
War es der Blick Menachers, der, hinter dem Vorhang herausgetreten, mit glühenden Augen ihre Gestalt verschlang, was sie so außer Fassung brachte?« –
Die Zuhörer merkten nichts davon. Die meisten hielten alles für fein berechnetes Spiel, aber dem Argwöhnischen entging ihre auffällige Erregung, die Unsicherheit, die sich während des ganzen Vortrages immer wieder bemerkbar machte, nicht.
Blitzartig durchzuckte ihn der Verdacht. Wahrscheinlich hatte Rivinius die Künstlerin bis zum Union-Hotel begleitet! War es auf dem Wege zur entscheidenden Aussprache gekommen, und zitterte und bebte die Erregung darüber noch in ihren Nerven nach?
Im ersten Augenblick war er erfreut darüber gewesen, seinen Nebenbuhler nicht mit Kornelia auf dem Feste erscheinen zu sehen. Jetzt vermehrte es seinen Argwohn.
Warum war jener zurückgeblieben? Vielleicht, weil sie die Wahrheit noch geheimhalten wollten, weil sie fürchteten, vor der Öffentlichkeit ihre Gefühle zu verraten? Vielleicht auch, daß sie nachher, wenn die Künstlerin ihrer Pflicht genügt – er wollte es nicht ausdenken, alles in ihm empörte sich dagegen, und während es ihn kalt überlief, stand wieder das fürchterliche Bild in dem fahlen bläulichen Schimmer starr, unverrückbar vor seinem geistigen Auge.
Gewißheit mußte er haben! Vielleicht, daß ihr Benehmen ihm gegenüber alles verriet. Als der Vortrag zu Ende, der stürmische Beifall verklungen war, trat er zu ihr und beglückwünschte sie.
Sie reichte ihm die Hand und dankte ihm für die Blumen, in denen sie seine Karte, seinen Gruß gefunden. Aber die Hand faßte sich eisig an, wie die einer Toten, und aus ihrem Lächeln fühlte er förmlich die Kälte.
Eine Weile plauderten sie über gleichgültige Dinge. Aber die Künstlerin schien seine Worte zu hören, ohne sie zu verstehen, und sprach immer wieder von etwas anderem. Es war, als weilten ihre Gedanken weit fort von hier, – in einer ganz anderen, fernen Welt.
Menacher brach die Unterhaltung ab, ging zu der Sektbude und begann zu trinken. Die leidenschaftliche Erregung, in der er sich befand, bewirkte, daß ihm der berauschende Rebensaft schneller als sonst zu Kopfe stieg.
Aber je dunkler und verschwommener es in seinen Sinnen ward, um so schärfer und härter prägte sich das bläuliche Bild aus. Sooft er nach Kornelia hinüberblickte, glaubte er es unmittelbar neben ihrem Gesicht zu sehen, als wenn es sie küssen wollte.
Die Vorstellung machte ihn rasend. In diesem Augenblick haßte er den einstigen Freund. Wenn er ihm zuvorkommen, den ersten Kuß von ihren Lippen rauben könnte!
Wie im Traume hörte er, was neben ihm vorging. Ein flotter Ulanenleutnant flirtete mit der anmutigen Verkäuferin.
»Gnädigste wissen doch, daß es immer so Brauch war –«
»Aber der Preis ist erhöht worden,« kokettierte die Gräfin, der Geheimrätin, der Leiterin des Basars, zuliebe.
»Gnädigste hätten allerdings ein Recht, zu behaupten, daß Ihre Gunst unbezahlbar wäre.«
Die Gräfin lächelte errötend. »Sie Schmeichler! Aber Geschäftsleute lassen mit sich handeln.«
»Und wenn man bei Kasse ist –« Der Leutnant zog einen Hundertmarkschein hervor und legte ihn in die zierliche Hand.
»In Gottes Namen denn, – für Wohltun und Nächstenliebe.«
Sie warf das Papier in die eiserne Kasse, beugte sich über die schmale Eichenplatte des Büfetts und berührte mit ihren Lippen flüchtig den bärtigen Mund des schmucken Leutnants.
Der Beglückte wollte noch eine galante Bemerkung machen, aber im selben Augenblick kam Kornelia an der Bude vorüber, und die Gräfin rief sie an.
»Ah, liebe Heinloth, möchten Sie nicht die Güte haben, mich ein paar Minuten zu vertreten. Ich komme gleich zurück.«
Die Künstlerin, die Menacher erblickte, schien zu zögern und nach einer Ausflucht zu suchen. Als aber die Gräfin ihre Bitte wiederholte, wagte sie doch keine Ablehnung und trat hinter das Büfett.
Die anfängliche Blässe ihres Gesichts war einer unnatürlichen Röte gewichen, ihre Wangen glühten wie im Fieber.
Unverwandt ruhten Menachers Blicke auf der herrlichen, schlanken Gestalt, den wunderbar biegsamen Gliedern voll elastischer Grazie, dem stolzen Nacken, den ein klassischer Kopf von regelmäßig geschnittenen Zügen, fein geschwungenen Lippen und dunklen Brauen krönte. Über den sonst so feurig blickenden schwarzen Augen lag es wie ein leichter Schleier, der ihre Schönheit gleichsam noch verinnerlichte, noch geheimnisvoller und begehrenswerter machte.
Das Erscheinen der allbeliebten Tragödin an Stelle der Gräfin hatte im ersten Augenblick einen tollen Ansturm auf die Sektbude hervorgerufen. Die Kasse füllte sich zusehends, und Kornelia hatte alle Hände voll zu tun, die Durstigen zu befriedigen.
Erst als eine Bewegung am anderen Ende des Saales entstand, wo eben Prinz Oskar sich verabschiedete, und die zahlreichen Offiziere, die Kornelias Gäste gewesen waren, sich dorthin wandten, konnte sie eine Minute aufatmen und sich erheben. Ein Goldstück in die Kasse werfend, schenkte sie sich selbst ein hohes Spitzglas voll und goß den perlenden Inhalt hastig hinunter.
Sein Wohl trinkt sie – durchzuckte es Menacher, aber ich will ihm zuvorkommen. »Fräulein Kornelia – –«
»Ah, Sie –« Die Banknote, die er ihr entgegenstreckte, zwang sie nun doch, ihm Beachtung zu zollen. »Soll ich Ihnen einschenken?«
Er machte eine abwehrende Bewegung und beugte sich über den Tisch.
»Einschenken mit Ihren Lippen, – ein einziges Mal!«
Unwillig warf sie das Haupt mit dem rötlich schimmernden Goldhaar zurück. »Ich verstehe Sie nicht. Was wollen Sie?«
»Einen Kuß. Dreihundert Mark für einen Kuß.«
»Was fällt Ihnen ein, Herr Menacher!«
»Der Leutnant, den Sie vorhin gehen sahen, hat nur hundert gezahlt.«
»Bei der Gräfin,« antwortete sie stolz, »ich handle nicht damit.«
»Aber es ist Brauch, –« beharrte Menacher, sich immer mehr in seine Absicht verbohrend und, vom Champagner erregt, mit unsicher lallender Stimme. »Sie dürfen nicht dagegen verstoßen.«
Trotzig fing sie seinen heiß begehrenden Blick auf. »Wollen Sie mir Vorschriften machen?« entgegnete sie in fast drohendem Tone.
»Mein Recht will ich, – wie jeder andere.«
»Ich habe solche Verpflichtungen nicht übernommen,« klang es hart und scharf, »wenden Sie sich an die Gräfin.«
»Fräulein Kornelia, – ich bitte, ich flehe Sie an,« änderte er seinen Ton, mit dem Eigensinn des Berauschten einen letzten Versuch machend.
Die Künstlerin wandte ihm den Rücken. »Behalten Sie Ihr Geld. Meinetwegen sollen Sie sich nicht in Unkosten stürzen. Ich wäre untröstlich, wenn man sagen würde, ich hätte zu Ihrem Ruin beigetragen.«
Menacher hatte ein Gefühl, als würde ihm ein kaltes Eisen mitten in die Brust gestoßen. Vernichtender, eisiger Hohn war das, womit sie seine glühende Verehrung erwiderte.
Totenblaß taumelte Menacher zurück, seine Hände fuhren unstet herum, die Zähne knirschten ihm in ohnmächtiger Wut. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Rivinius war ihrer sicher! Von ihm kam jene Beleidigung, von dem Millionär, der jedes Weib sich kaufen konnte, auch das schönste, angebetetste, und der für den minderbegüterten Freund nur spöttische Verachtung hatte!
Kornelia vermochte er auch in diesem Augenblick nicht zu hassen, – nur Robert, der aus ihr gesprochen, Robert, der ihn verraten, den haßte er wie nichts in der Welt!
Seine Züge verzerrten sich, mit seinen Fäusten hätte er den Schändlichen erwürgen können, und alles um sich her vergessend, schüttelte er drohend die Arme in die Luft.
Kornelia, die einen tätlichen Angriff des Rasenden fürchtete, schrie auf. Schon eilten zwei Herren des Vorstandes, die den erregten Wortwechsel aus einiger Entfernung gehört hatten, zu ihrem Beistand heran.
»Fräulein Heinloth,« rief Kommerzienrat Salten erschreckt, »wir wollen nicht hoffen, daß irgendeine Unannehmlichkeit –«
»Sagen Sie uns bitte, – was es gegeben hat,« ergänzte sein Begleiter, Professor Steinherr.
»Oh, nichts, –« antwortete die Künstlerin, die jedes Aufsehen zu vermeiden suchte, beschönigend, – »nichts von Bedeutung, – ich glaube nur, der Herr hier hat seinen Wohltätigkeitssinn gerade beim Sekt etwas zu stark betätigt.«
»Ein Opfer aufopfernder Freigebigkeit,« lächelte der Kommerzienrat, um den drohenden Skandal, so gut es ging, aus der Welt zu schaffen. »Wir können uns nichts Besseres wünschen. Aber vielleicht würde Ihnen die frische Luft gut tun?«
Blaß bis in die Stirn, biß Menacher schweigend die Lippen zusammen. Der Auftritt hatte ihn völlig ernüchtert. Das beschämende Bewußtsein des Geschehenen raubte ihm die Sprache. So ließ er sich fast willenlos von seinen begütigend auf hin einredenden Begleitern aus dem Saal führen.
Draußen aus der Straße aber packte ihn von neuem die Wut. Stürmisch tobte das Blut in seinen Adern, und in seinem Kopfe wirbelte es wie toll.
Der Schimpf, den man ihm angetan und den er doch selbst verschuldet, gährte wie Gift in seinem Blute.
An die Luft hatte man ihn gesetzt, auf die Straße geworfen wie einen Trunkenbold, wie einen ungezogenen Buben!
Und der, der ihn so weit gebracht, dem er das alles verdankte, war Robert Rivinius!
Mit magnetischer Gewalt, wie dem Zwange einer Suggestion gehorchend, zog es ihn in die Prinzenpromenade, zu der Wohnung seines beglückten Nebenbuhlers.
In dem Parterrezimmer, das auf den Garten hinausging, und das er seit Wochen nicht mehr betreten, brannte trotz der späten Stunde die Lampe.
Robert wachte also noch und wartete wohl. Auf wen aber konnte er warten, als auf Kornelia?
Mochte es auch nur sein, um vielleicht Wort und Gruß mit ihr zu tauschen, wenn sie das Lilienfest verließ, um sie bis an ihre Wohnung zu begleiten.
Der Gedanke hielt ihn fest.
Das Brennen der Wunde fühlend, wollte er auch die Hand sehen, die aus dem Verborgenen ihn getroffen, damit es hinfort keine Täuschung mehr gab.
Und so wanderte er, einem ruhelosen Geiste gleich, scheu jedem Begegnenden ausweichend, immerfort um den Garten, von der Prinzenpromenade in die Mauerstraße und zurück, bis zum nahenden Morgen. –