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Die zwei Knäuel.

Es war eine Wittwe und hatte zwei Töchter. Die eine hieß Fränzchen, die andere Tonchen. Die Mutter sprach: »Liebe Töchter, es geht nicht an, daß Ihr länger zu Hause bleibet, die Noth ist groß, Ihr müßt dienen gehen.« Da sagten die Töchter: »Mutter, wir wollen gehen. Da wir aber noch nirgend in der Fremde waren, so wissen wir nicht, wohin wir uns wenden sollen.« Tonchen sagte: »Liebe Mutter, heut wollen wir noch nicht gehen, sondern erst morgen früh, bis ich zu Gott gebetet, daß er uns Glück verleihe.« Tonchen betete lange, und ging dann schlafen. Des Nachts erwachte sie und sagte: »Mutter, mir träumte, wir sollten Knäuel winden, einen rothen und einen weißen; die sollten wir auf die Erde lassen, und wohin sie kugeln würden, dorthin sollten wir gehen.« Früh kauften die Schwestern Seide, und wanden die Knäuel. Als sie sie gewunden, nahmen sie Abschied von der Mutter, ließen die Knäuel auf die Erde, und sprachen: »Kugelt, wir wollen Euch nachgehen!« Die Knäuel kugelten bis zu einem großen Garten. Als die Schwestern zu dem Garten kamen, sahen sie darin viele schöne Rosen, rothe und weiße; sogleich öffnete sich die Thür vor ihnen, und die Knäuel kugelten bis in die Mitte des Gartens. In dem Garten war ein Tisch, und an dem Tische saß ein hochbejahrter Greis. Sie baten den Greis, er möchte nicht schelten, daß sie ohne Erlaubniß gekommen; sie hätten den Knäueln nachgehen müssen, die bis hierher gekugelt wären. Der Greis fragte sie, was sie begehrten. Sie sagten, sie möchten gern in Dienste treten, und wüßten nicht, wo und bei wem. Der Greis erwiederte, er brauche gerade zwei Dienerinnen; er wolle die eine als Köchin aufnehmen, und die andere als Gärtnerin. »Wollt Ihr bleiben?« fragte er sie. »O recht gern!« antworteten sie. Dann fragte er sie, ob sie Schwestern seien. Sie sagten, sie seien Schwestern. Auch fragte er sie, wie sie hießen. Die Aeltere sagte, daß sie Tonchen, die Jüngere, daß sie Fränzchen heiße. Der Greis sprach: »Du Tonchen wirst in der Küche, und Du Fränzchen wirst im Garten sein. Jetzt kommt, ich will Euch etwas zur Labung geben!« Da gingen sie, und der Greis gab ihnen Aepfel, und mancherlei gute Dinge aus dem Garten, Feigen und Datteln, Mandeln und Rosinen. Als sie sich gelabt, zeigte er Tonchen den Speisevorrath, und befahl ihr, sie solle Alles wohl besorgen, als ob es das Ihrige wäre. »Kommt ein Bettler, gieb ihm ein Almosen. Aber käm' Einer, der's nicht verdiente, spar' und gieb ihm nichts!« Fränzchen gab er Spaten und Gießkanne, und sprach: »Du wirft hier im Garten arbeiten, daß die Bäume nicht verderben. Besorge sie wohl!«

Nach einiger Zeit kam der Greis zur Köchin in die Küche nachsehen. Er ging und musterte, was er ihr übergeben, wie viel sie noch davon habe. Dessen war nicht viel weniger geworden, und doch erzählten die Bettler, daß sie ihnen reichlich schenke, und daß der Alte noch nie eine Hauswirthin gehabt, die gar so gut gewesen wäre. Der Greis fragte sie, wie das käme, daß sie die Bettler so priesen, da doch des Vorraths nicht viel weniger geworden. Sie sprach zu ihm: »Nun, wenn ich etwas in den Topf gebe, so mach' ich immer das Kreuz, damit es Gott segne. Meine Mutter lehrte mich, ich möge was immer in den Topf geben, solle ich stets das Kreuz machen, und so thu' ich's denn.« – »Daran thust Du gut, meine Tochter!« entgegnete der Greis. »Thu's auch künftig so, alles in Gottes Namen!«

Der Greis ging nun in den Garten zu Fränzchen, um zu sehen, wie es da stehe. Es stand Alles schön. Der Greis sprach: »Fahr' so fort, meine Tochter, damit Alles immer so sei, wie es jetzt ist. Ihr sollt Beide guten Lohn bekommen für Eure Arbeit.«

So verstrich ein Jahr. Der Greis fragte die Schwestern, ob sie noch ein Jahr bleiben wollten. Es blieben Beide. Der Greis sprach: »Nun wird Tonchen aus der Küche in den Garten, und Fränzchen aus dem Garten in die Küche gehen, damit Eure Arbeit gleich sei, denn ich will Euch gleichen Lohn geben.« So wechselten denn die Schwestern ihr Geschäft. Tonchen war im Garten gar fleißig, und bemühte sich noch mehr, als Fränzchen, von dem Greise belobt zu werden, daß sie sich das Ihrige angelegen sein lasse. Sie grub, und wenn die Zeit kam, begoß sie, damit der Greis Alles schön hätte. Sie schlief wenig, und war stets nur mit ihrer Arbeit beschäftigt. Als der Greis kam, um nachzusehen, sagte er: »Du machst es noch schöner, als Deine Schwester. Gieb nur Acht, daß Alles so bleibe, wie es ist!« Tonchen erwiederte: »Ja wohl! Ich will gern Alles recht schön und ordentlich halten.«

Der Greis ging ein ander Mal zu Fränzchen hin. »Nun, wie geht es, Hauswirthin?« fragte er. Fränzchen antwortete: »Ich weiß nicht, wie Ihr zufrieden sein werdet. Es kommen fortwährend Bettler, die ich beschenken soll. Ich fürchte, Ihr werdet böse sein, daß der Vorrath stark abnimmt.« Der Greis sprach: »Ich sagte Dir, Du sollest nur jenen Bettlern geben, denen Du anstehst, daß sie's bedürfen.« Dann sah er nach, wie viel fehle. Sie hatte nur noch wenig von Dem, was er ihr übergeben. »Fränzchen,« sprach er, »Du wirthschaftest schlecht. Du hast dessen weniger als Tonchen, und doch beklagen sich die Bettler, daß Du ihnen wenig gebest, und manche fortschickest, ohne sie zu beschenken. Giebst Du nicht den Armen und Dürftigen, so wird Dir Gott auch nicht geben, und ich befehle Dir, daß Du ihnen gebest, und sie nicht ausscheltest, sonst bliebe weder mir etwas, noch Dir selbst.« Fränzchen sagte: »Ich gebe wohl, doch hab' ich Angst.« Der Greis fragte sie: »Seid Ihr nicht einer Mutter Töchter?« Sie entgegnete: »Freilich sind wir's.« Der Greis sprach: »Hat Dich die Mutter nicht auch gelehrt, was sie Tonchen lehrte?« Fränzchen entgegnete: »Das hat sie wohl gethan; aber ich gab nicht Acht, und kümmerte mich nicht darum, was sie sagte,« Der Greis fragte sie: »Machst Du denn auch das Kreuz über dem Topf, wenn Du etwas hineingiebst?« Sie sagte: »Ich mache kein's.« Der Greis tadelte sie: »Da fehlst Du.« Fränzchen versprach, künftig eins zumachen, sobald der Greis aber aus der Küche war, murrte und schalt sie. Den Greis, der's noch hörte, betrübte das, und er ging zu Tonchen in den Garten. Tonchen kam ihm schon entgegen, und faltete bittend die Hände, und sagte: »Ach wo seid Ihr so lange? Ich habe Angst. Ein Bäumlein ist mir verdorrt, obwohl ich Alles that, was ich vermochte. Ich bitt' Euch, seid nicht böse auf mich!« Der Greis hatte große Freude daran, daß sie ihn so schön bat. Er trat zu dem Bäumlein und schaute, was ihm geschehen sein möchte. Da fand er, daß es der Wurm angefressen, und daß sie keine Schuld trage.

Das zweite Jahr war zu Ende. Der Greis sprach: »Töchterchen, die Mutter wird Euer harren. Ich entlass' Euch und will Euch den Lohn geben für die zwei Jahre, die Ihr bei mir waret.« Er führte sie in ein Gemach, wo er den Lohn für sie schon bereit hatte, und stellte ihnen frei, sich zu wählen, was sie wollten, Tonchen bat ihn noch einmal um Verzeihung, daß sie ihm Schaden gemacht, und suchte sich das Schlechteste aus, das aber nützlich war. Fränzchen nahm sich das Schönste, was auswendig gleißte. Nachdem sich Beide nach Gefallen ausgewählt, ließ er jeder, was sie genommen. Dann ging er mit ihnen in den Stall, und sagte, es solle sich jede zwei Pferde, zwei Kühe, vier Schafe, ein Hündchen und ein Kätzchen nehmen. Er gab ihnen auch einen Wagen, aber einen Fuhrmann, der sie gefahren hätte, konnte er ihnen nicht geben. Tonchen sagte: »Ich will schon selbst fahren.« Der Greis sprach: »Da wirst Du gut fahren, meine Tochter!« Sie wusch nun und reinigte ihr Hündchen und ihr Kätzchen, und gab ihnen zu essen. Fränzchen gab ihrem Hündchen und ihrem Kätzchen nichts zu essen, wusch und reinigte sie auch nicht, sondern war ganz mit den schönen Sachen beschäftigt, die sie sich ausgesucht.

Als sie zur Abfahrt bereit waren, bedankten sie sich bei dem Greise. Fränzchen dankte ihm ohne Liebe, Tonchen voll Liebe, küßte ihm die Hand, und wünschte ihm alles Gute. Sie gingen und setzten sich in den Wagen die Aeltere, Tonchen, setzte sich vorn, und nahm das Hündchen und das Kätzchen in ihren Schooß. Fränzchen nahm Hündchen und Kätzchen, und warf sie in den Wagenkorb. Als sie fuhren, riefen Tonchens Hündchen und Kätzchen in einem fort: »Unsere Frau fährt lauter Silber und Gold! Alles Garstige nahm sie, alles Schöne fährt sie!« Fränzchen wollte beständig, ihr Hündchen und ihr Kätzchen sollten auch so rufen, die aber waren stumm. Sie sagte zu ihnen: »Warum ruft Ihr nicht, wie das Hündchen und das Kätzchen der Schwester rufen?« Sie antworteten: »Hast selbst gegessen, kannst selbst Dir rathen!« Fränzchen gerieth in Zorn und schlug sie. Als sie geschlagen wurden, riefen Hündchen und Kätzchen: »Unsere Frau fährt lauter Skorpione, Schlangen und Kröten! Alles Schöne nahm sie, alles Garstige fährt sie!« Fränzchen schlug die Thiere desto mehr, und befahl ihnen: »Ruft, wie die dort: Unsere Frau fährt lauter Silber und Gold! Hört Ihr, wie sie rufen?« Die Thiere antworteten, sie könnten nicht so rufen, da sie Skorpione, Schlangen und Kröten fahre. Da ward sie betrübt, und begriff nicht, warum ihr Hündchen und ihr Kätzchen so riefen, da sie sich doch das Schönste genommen, während die andern fortwährend riefen: »Unsere Frau fährt lauter Silber und Gold!«

Als die beiden Töchter zur Mutter nach Hause kamen, ging die Mutter zuerst zu Fränzchen, und nahm ihr Alles ab, Pferde, Kühe, und Schafe, und was sie mitgebracht. Sie schloß das Vieh in den Stall; als sie aber mit Fränzchen in einer Weile nachsehen ging, sah es mager und elend aus. Fränzchen ward noch mehr betrübt. Sie ging nun mit Fränzchen und öffnete die eine Truhe. Dort waren nur wenige Kleider, und unter ihnen nur ein kleines Klümpchen Gold, ein Klümpchen Silber und einige Thaler. Sie ging zu der andern Truhe und öffnete. In der hatte Fränzchen lauter Skorpione, Schlangen und Kröten, wie das Hündchen und das Kätzchen prophezeit hatten. Die Mutter sprach: »Tochter, Du warst ungehorsam! Das ist an dem Lohne zu erkennen, der so garstig ist.« Die Mutter war betrübt darüber, ging zu der Aelteren, und nahm ihr gleichfalls Pferde, Kühe und Schafe ab; bei der jedoch war Alles schön. Dann ging die Mutter mit Tonchen in der Truhe nachsehen. Tonchen hatte dort viele Gewänder, und die glänzten wie pures Gold. Unter den Gewändern hatte sie einen großen Klumpen Gold, einen Klumpen Silber, und hundert Stück Ducaten. Auch goldne Schuhe hatte sie dort. Der Mutter war leid, daß Tonchen so viel hatte, und sie fragte die Tochter: »Habt Ihr Beide an einem Ort gedient?« – »Ja wohl,« antworteten sie. Die Mutter begann auf den Alten zu schelten. Tonchen aber sagte, es habe ihnen freigestanden zu wählen. Fränzchen habe sich alles Schöne ausgesucht, und habe übel gethan; sie selbst habe das Schlechtere genommen, denn sie sei in Furcht gewesen, weil sie dem Alten Schaden gemacht und ihr ein Bäumlein verdorrt sei; da es jedoch so gut mit ihr ausgefallen, so sei sie herzlich froh. Die Mutter sprach zu Fränzchen: »Das ist nicht recht von Dir, Tochter, daß Du nichts sagst von Deinem Ungehorsam, und von dem Schaden, den Du angerichtet!« Fränzchen sah ihre Schuld ein, und sagte: »Mich däucht, Mutter, ich habe darin gefehlt, daß ich immer selbst bei Seite aß, und wenn ich kochte, kein Kreuz über den Topf machte, und den Bettlern nicht gab; darum nahm mein Vorrath so ab. Die Bettler beklagten sich über mich bei dem Alten, und er kam und machte mir Vorwürfe; doch als er fortging, murrte ich über ihn. Er hörte das hinter der Thür, und ward noch böser auf mich. Er war so gut, und darum, däucht mich, hat mich Gott gestraft, und mir so garstige Sachen bescheert, damit ich meinen Fehler erkenne, und damit ich mich bessere.«


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