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Der Sprecher

Es gibt Werke, und das vorliegende gehört zu ihnen, die man am besten mit einem Porträt des Verfassers beginnt. Und das ist in unserem Fall, um einem sehr natürlichen Mißverständnis vorzubeugen, sogar der einzig mögliche Weg. Es klingt ein Ton durch diese Blätter, ein deutlicher und persönlicher Ton, der zuweilen scharf und schneidend wird, und alles, was nicht wie die vorhergehende Einführung mit andern Typen gedruckt ist, wird von der einen Stimme gesprochen. Nun darf man – und dies ist das Besondere an der Sache – diese Stimme nicht für die des Verfassers halten, der für das Buch zeichnet. Jede Voreingenommenheit dieser Art muß verbannt werden. Den Sprecher stelle man sich vor als einen weißblonden, rundlichen Mann, nicht ganz mittelgroß, im jüngeren Mannesalter, mit blauen Augen, beweglichen Manieren und einer kleinen kahlen Stelle auf dem Scheitel – nicht größer als ein Taler. Seine Stirne ist gewölbt. Zuweilen sinkt er in sich zusammen, wie die meisten von uns, aber gewöhnlich trägt er sich stolz wie ein Spatz. Er macht gelegentlich eine elegante, erklärende Handbewegung. Und seine Stimme (die nun unser Medium sein wird) ist ein reizloser Tenor, der manchmal durchdringend wird. Man stelle sich vor, er sitze an einem Tisch, lese in einem Manuskript über Utopien und halte dieses Manuskript in seinen beiden, am Gelenk starken Händen. So hebt sich der Vorhang über ihm. Sobald jedoch die vorzüglichen Mittel dieser wenig mehr geübten literarischen Kunst recht in Wirkung treten, wird man seltsame und interessante Dinge mit ihm erleben. Aber er kehrt immer wieder an den kleinen Tisch zurück, um uns, das Manuskript in der Hand, seine Schlußfolgerungen gewissenhaft darzulegen. Womit der Leser unterhalten werden soll, das ist weder eine gut erfundene Handlung, wie er sie in Romanen so gerne liest, noch auch eine streng aufgebaute Abhandlung, denen er so gerne ausweicht, sondern ein Mittelding zwischen beiden. Stelle dir nun vor, der Sprecher sitze auf einer Bühne, ein bißchen aufgeregt und doch zurückhaltend, er habe seinen Tisch, sein Glas Wasser und alles, was zu ihm gehört, ich selbst sei der aufdringliche Vorsitzende, der erbarmungslos auf »einigen Worten« der Einführung besteht, ehe er sich auf die Seite schlägt, stelle dir ferner hinter unserm Freund einen Lichtschirm vor, worauf von Zeit zu Zeit bewegliche Bilder erscheinen, und bedenke schließlich, daß er dir von dem erzählen will, was seine Seele auf ihren Forschungen in Utopia erlebt hat: so wirst du wenigstens auf einige der Schwierigkeiten meines Werkes vorbereitet sein.

Diesem hier vorgestellten Schriftsteller steht eine zweite irdische Person gegenüber, die sich aber erst dann zu einer deutlichen Persönlichkeit verdichtet, wenn wir sie zuvor mit dem Leser in Beziehung gesetzt haben. Sie heißt der Botaniker und ist schlanker, ziemlich größer, ernster und viel weniger redselig. Sein Gesicht ist leidlich hübsch und von grauem Teint; er ist blond, hat graue Augen und macht den Eindruck, als wäre er magenleidend. Dieser Verdacht ist nicht unbegründet. »Leute dieses Schlags« – mit dieser Erklärung drängt sich plötzlich der Vorsitzende ein – »sind romantisch mit einem Schatten von Niedrigkeit, sie suchen Begierden zu verbergen und zu schärfen, sie geraten mit den unter einer außerordentlichen Empfindsamkeit ihre sinnlichen Frauen in gewaltige Konflikte und Nöte, und auch der Botaniker hat seine Widerwärtigkeiten gehabt. Man wird von ihnen hören, denn auch dies ist eine Eigenschaft seines Typus. Er kommt in diesem Buch selbst nicht zu Wort, es spricht immer der andere, aber vieles von dem Was und einiges von dem Wie seiner Einwürfe kann man aus den Nebenbemerkungen und aus der Stimme des Sprechers entnehmen.

So weit mußten die Helden der modernen Utopie, die sich als Hintergrund der beiden Forscher entrollen wird, porträtiert werden. Das Bild einer kinematographischen Vorstellung drängt sich auf. Man wird den Eindruck haben, als gingen die beiden vor dem Lichtkreis einer ziemlich schadhaften Laterne hin und her, die bisweilen aussetzt, dann wieder das Bild verzerrt, der es gelegentlich aber auch gelingt, ein bewegliches Momentbild utopistischer Verhältnisse auf den Lichtschirm zu werfen. Manchmal erlischt auch das Bild vollständig, die Stimme aber redet und redet, die Rampenlichter leuchten wieder auf, und ihr sitzt da und lauscht von neuem dem etwas zu rundlichen, kleinen Mann, der an seinem Tisch eine Behauptung nach der andern ausspricht, und vor dem sich jetzt der Vorhang hebt.


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