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Nun wollte der Zufall in den Tagen, als Caterham gegen die Kinder des Nährstoffs zu Felde zog, vor der Wahl, die ihn – unter den tragischsten und furchtbarsten Umständen – zur Macht bringen sollte, daß die Riesenprinzessin, jene Durchlaucht, deren erste Ernährung in Doktor Winkles' glänzender Karriere eine so große Rolle gespielt hatte, bei einer Gelegenheit, die für wichtig galt, aus dem Reich ihres Vaters nach England kam. Sie war aus Staatsgründen mit einem Prinzen verlobt – und die Hochzeit sollte zu einem Ereignis von internationaler Bedeutung gemacht werden. Es hatten sich geheimnisvolle Verzögerungen erhoben. Das Gerücht und die Phantasie arbeiteten in der Geschichte zusammen, und man sagte vieles. Man munkelte von einem widerspenstigen Prinzen, der erklärte, er wolle sich nicht lächerlich machen – wenigstens nicht in diesem Umfang. Das Volk sympathisierte mit ihm. Das ist die bezeichnendste Seite der Sache.
Nun mag es seltsam erscheinen, aber es ist eine Tatsache, daß die Riesenprinzessin, als sie nach England kam, von keinerlei anderen Riesen wußte. Sie hatte in einer Welt gelebt, wo der Takt beinahe eine Leidenschaft ist, und Zurückhaltung die Lebenslust. Man hatte es ihr verborgen; man hatte sie gegen jeden Anblick oder Argwohn riesiger Gestalten umzäunt, bis ihre verabredete Reise nach England fällig war. Bis sie dem jungen Redwood begegnete, hatte sie keine Ahnung davon, daß es so etwas wie einen zweiten Riesen in der Welt gebe.
Im Reiche des Vaters der Prinzessin gab es Wildnisse von Bergen und Hochland, wo sie frei umherzuschweifen gewohnt war. Sie liebte den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang und das ganze, große Drama des offenen Himmels mehr als irgend etwas sonst in der Welt, aber unter einem zugleich so demokratischen und so monarchischen Volk, wie den Engländern, wurde ihre Freiheit sehr eingeschränkt. Das Volk kam in Breaks, in Sonderzügen, in organisierten Massen, um sie zu sehen; man fuhr auf dem Rade weite Strecken, um sie anzustarren, und sie mußte beizeiten aufstehen, wenn sie in Frieden spazieren gehen wollte. An jenem Morgen war es kurz nach Sonnenaufgang, als der junge Redwood auf sie traf.
Der große Park bei dem Palast, wo sie wohnte, erstreckte sich von den westlichen Palasttoren einige zwanzig Meilen und mehr nach Westen und Süden. Die Kastanienbäume seiner Alleen reichten ihr hoch über den Kopf. Jeder schien ihr, wenn sie vorüberging, einen immer üppigeren Reichtum an Blüten darzubieten. Eine Zeitlang begnügte sie sich damit, anzusehen und zu riechen, aber schließlich ließ sie sich von dieser Darbietung gewinnen und begann so geschäftig auszuwählen und zu pflücken, daß sie den jungen Redwood erst bemerkte, als er ihr ganz nahe war.
Sie ging zwischen den Kastanien einher, während ihr vorbestimmter Liebhaber ungeahnt und unvermutet näher kam. Sie griff mit den Händen zwischen die Zweige, brach sie und sammelte sie. Sie war allein in der Welt. Und dann – –
Sie blickte auf und in dem Moment waren sie ein Paar.
Wir müssen unsere Phantasie zu seiner Statur erheben, um die Schönheit zu sehen, die er sah. Jene unnahbare Größe, die unsere unmittelbare Sympathie mit ihr hindert, existierte für ihn nicht. Sie stand da, ein anmutiges Mädchen, das erste Geschöpf, das ihm je als eine Gefährtin erschienen war, leicht und schlank, leicht gekleidet – und die frische Sonnenaufgangsbrise goß das feine, biegsame Gewand gegen die weichen, starken Linien ihrer Gestalt, und in der Hand trug sie einen großen Strauß blühender Kastanienzweige. Der Kragen ihres Kleides fiel auf die Weiße ihres Halses und zeigte eine weiche, beschattete Rundung, die dem Auge nach der Schulter zu entschwand. Und der Wind hatte eine Strähne oder so ihres Haares gestohlen und wehte ihr das rotspitzige Braun quer über die Backe. Ihre Augen waren offenes Blau, und ihre Lippen ruhten immer im Versprechen eines Lächelns, während sie unter die Äste griff.
Sie schrak zusammen und wandte sich ihm zu; sie sah ihn und sie blickten sich eine Zeitlang an. Für sie war sein Anblick so erstaunlich, so unglaublich, daß er, wenigstens ein paar Momente, geradezu furchtbar war. Er trat mit dem Stoß einer übernatürlichen Erscheinung vor sie hin; er brach alle festen Gesetze ihrer Welt. Er war damals ein Jüngling von einundzwanzig, mit seines Vaters Dunkelheit und seines Vaters Ernst. Gekleidet war er in nüchternes, weiches, braunes Leder, enganliegende, leichte Kleider, und in eine braune Hose, die ihm eine wackere Figur gab. Sein Kopf war bei jedem Wetter unbedeckt. Sie standen da und sahen einander an – sie, ungläubig erstaunt, und er mit rasch pochendem Herzen. Es war ein Moment ohne Vorspiel, die Hauptbegegnung ihres Lebens.
Er empfand weniger Überraschung. Er hatte sie gesucht, und doch schlug ihm das Herz schnell. Er kam langsam auf sie zu, die Augen auf ihr Gesicht gerichtet.
»Sie sind die Prinzessin,« sagte er. »Mein Vater hat mir davon erzählt. Sie sind die Prinzessin, der die Nahrung der Götter gegeben wurde.«
»Ich bin die Prinzessin – ja,« sagte sie mit Augen des Staunens. »Aber – wer sind Sie?«
»Ich bin der Sohn des Mannes, der die Nahrung der Götter gemacht hat.«
»Die Nahrung der Götter?«
»Ja, die Nahrung der Götter.«
»Aber – –«
Ihr Gesicht drückte unendliche Verständnislosigkeit aus.
»Was? Ich verstehe nicht. Die Nahrung der Götter?«
»Sie haben nicht davon gehört?«
»Von der Nahrung der Götter? Nein!«
Sie merkte, daß sie heftig zitterte. Die Farbe verließ ihr Gesicht. »Ich wußte nicht,« sagte sie. »Wollen Sie sagen – –?«
Er wartete auf sie.
»Wollen Sie sagen, es gibt mehr – Riesen?«
Er wiederholte: »Wußten Sie das nicht?«
Und sie antwortete mit dem wachsenden Erstaunen des Verständnisses: » Nein!«
Die ganze Welt und die ganze Bedeutung der Welt verwandelte sich für sie. Ein Kastanienzweig entfiel ihrer Hand. »Wollen Sie sagen,« wiederholte sie dumpf, »es gäbe noch andere Riesen in der Welt? Eine Nahrung – –?«
Er begriff ihr Erstaunen.
»Sie wissen nichts?« rief er. »Sie haben nie von uns gehört? Sie, welche die Nahrung mit uns verwandt gemacht hat!«
Immer noch lag Schrecken in den Augen, die ihn anstarrten. Ihre Hand hob sich zu ihrem Hals und sank wieder. Sie flüsterte: » Nein.«
Ihr war, als müsse sie weinen oder ohnmächtig werden. Dann hatte sie plötzlich Gewalt über sich, und sie sprach und dachte klar. »All das ist mir verborgen worden,« sagte sie. »Es ist wie ein Traum. Ich habe geträumt – – Ich habe solche Dinge geträumt – – Aber im Wachen – – Nein. Erzählen Sie mir! Erzählen Sie mir. Was sind Sie? Was ist diese Nahrung der Götter? Erzählen Sie mir langsam – und klar. Warum hat man mir verborgen, daß ich nicht allein bin?«
»Erzählen Sie mir,« sagte sie, und der junge Redwood begann ihr zitternd und aufgeregt zu erzählen – es war eine Weile ein ärmliches und gebrochenes Erzählen – zu erzählen von der Nahrung der Götter und von den Riesenkindern, die über die Welt verstreut waren.
Man muß sie sich beide vorstellen, gerötet und aufgeregt in ihrem Gebaren, wie sie den Sinn des andern nur durch endlose, halbgehörte, halbgesprochene Sätze verstanden, wie sie sich unterbrachen, wie sie Pausen starren Staunens machten und neuen Anlauf nahmen – eine wundervolle Unterhaltung, in der sie aus der Unwissenheit ihres ganzen Lebens erwachte. Und sehr langsam wurde es ihr klar, daß sie keine Ausnahme in der Ordnung der Menschheit war, sondern zu einer zerstreuten Brüderschaft gehörte, die alle den Nährstoff gegessen hatten und den engen Grenzen des Volkes unter ihren Füßen auf immer entwachsen waren. Der junge Redwood sprach von seinem Vater, von Cossar, von den durchs Land zerstreuten Brüdern, von der großen Dämmerung weiterer Bedeutung, die endlich in die Geschichte der Welt getreten war. »Wir stehen im Anfang eines Anfangs,« sagte er, »diese ihre Welt ist erst das Vorspiel zu der Welt, die der Nährstoff schaffen wird.«
»Mein Vater glaubt – und ich glaube es auch – es werde eine Zeit kommen, in der die Kleinheit ganz aus der Menschenwelt verschwunden sein wird. In der die Riesen frei auf dieser Erde – ihrer Erde – umhergehen werden und immer größere und glänzendere Dinge vollbringen. Aber das – das wird erst kommen. Wir sind noch nicht einmal die erste Generation von ihnen – wir sind die ersten Experimente.«
»Und von diesen Dingen«, sagte sie, »hab' ich nichts gewußt!«
»Es gibt Zeiten, wo mir scheint, als wären wir zu früh gekommen. Ich glaube irgend jemand hätte vor uns kommen müssen. Aber die Welt war auf unsere Ankunft ganz unvorbereitet, und ebenso auf die Ankunft all der geringeren, großen Dinge, die ihre Größe aus dem Nährstoff zogen. Es sind Fehler gemacht worden; es hat Kämpfe gegeben. Die kleinen Leute hassen unser Geschlecht ...
»Sie sind hart gegen uns, weil sie so klein sind ... Und weil unsere Füße schwer auf die Dinge treten, die ihr Leben ausmachen. Aber auf jeden Fall hassen sie uns jetzt; sie wollen keinen von uns – erst, wenn wir wieder zu ihrer gewöhnlichen Größe zusammenschrumpften, würden sie uns zu verzeihen beginnen ...
»Sie sind in Häusern glücklich, die für uns Gefängniszellen sind; ihre Städte sind zu klein für uns; wir gehen ihre engen Straßen im Elend hin; wir können in ihren Kirchen nicht anbeten ...
»Wir sehen über ihre Mauern und Schutzgitter hinweg; wir blicken ihnen unabsichtlich in die oberen Fenster; wir übersehen ihre Sitten; ihre Gesetze sind für uns nicht mehr als ein Netz um unsere Füße ...
»So oft wir stolpern, hören wir sie schreien; so oft wir gegen ihre Grenzsteine stoßen oder uns zu irgendeiner geräumigen Handlung ausrecken ...
»Unsere leichten Schritte sind für sie ein wilder Flug, und alles, was sie groß und wundervoll finden, ist für uns nicht mehr als eine Puppenpyramide. Die Kleinlichkeit ihrer Methoden und Erfindungen und ihrer Phantasie hindert und schlägt unsere Kräfte. Es gibt keine Maschinen für die Kraft unserer Hände, keine Hilfe, unseren Bedürfnissen zu dienen. Sie halten unsere Größe durch tausend unsichtbare Bande in Sklaverei. Wir sind Mann für Mann hundertmal stärker, aber wir sind waffenlos; schon unsere Größe macht uns zu Schuldnern; sie beanspruchen das Land, auf dem wir stehen; sie besteuern unser höheres Bedürfnis an Nahrung und Obdach, und für all das müssen wir mit den Werkzeugen arbeiten, die uns diese Zwerge machen können – und das, um ihre Zwergenlaunen zu befriedigen ...
»Sie hegen uns auf jede Weise ein. Um nur zu leben, muß man ihre Grenzen überschreiten. Selbst um Sie hier heute zu treffen, bin ich über einen Merkstein hinausgegangen. Alles, was im Leben vernünftig und wünschbar ist, ziehen sie aus unseren Grenzen heraus. Wir dürfen nicht in die Städte gehen; wir dürfen keine Brücken überschreiten; wir dürfen nicht auf ihre gepflügten Felder treten, noch in die Lager des Wildes, das sie töten. Ich bin jetzt von all unsern Brüdern, außer von den drei Söhnen Cossars, abgeschnitten, und selbst zu ihnen wird der Weg von Tag zu Tag enger. Man könnte denken, sie suchten nur nach einer Gelegenheit gegen uns, um etwas noch Schlimmeres zu tun ...«
»Aber wir sind stark,« sagte sie.
»Wir sollten stark sein – ja. Wir alle fühlen – ich weiß, auch Sie müssen fühlen – daß wir Kraft in uns haben, Kraft, große Dinge zu vollbringen, Kraft, die in uns aufsteht. Aber ehe wir irgend etwas zu tun vermögen –«
Er schwang eine Hand, die eine Welt fortzufegen schien.
»Obgleich ich in der Welt allein zu sein glaubte,« sagte sie nach einer Pause, »habe ich an diese Dinge gedacht. Man hat mich immer gelehrt, Kraft sei beinahe eine Sünde, es sei besser, klein zu sein als groß, alle wahre Religion bestehe darin, die Schwachen und Kleinen zu schützen, die Schwachen und Kleinen zu ermutigen, ihnen zu helfen, daß sie sich mehren und mehren, bis sie schließlich übereinander wegkröchen, all unsere Kraft in ihrer Sache zu opfern. Aber ... immer hab' ich an dem gezweifelt, was sie lehrten.«
»Dieses Leben,« sagte er, »diese unsere Körper sind nicht zum Sterben da.«
»Nein.«
»Noch auch zu einem Leben in Nichtigkeit. Aber wenn wir das nicht wollen, so ist es schon all unsern Brüdern klar, daß ein Konflikt kommen muß. Ich weiß nicht, was für eine Bitternis des Kampfes nun bald kommen muß, ehe das kleine Volk uns wird leben lassen, wie wir leben müssen. Alle Brüder haben daran gedacht. Cossar, von dem ich Ihnen erzählt habe, der hat auch daran gedacht.«
»Sie sind sehr klein und schwach.«
»Auf ihre Art. Aber Sie wissen, alle Mittel des Todes sind in ihren Händen und für ihre Hände gemacht. Hunderttausende von Jahren hindurch haben diese kleinen Leute, in deren Welt wir eingedrungen sind, gelernt, einander zu töten. Darin sind sie sehr tüchtig. Sie sind in vieler Hinsicht tüchtig. Und außerdem können sie täuschen und sich plötzlich ändern ... Ich weiß nicht ... Es kommt ein Konflikt. Sie – Sie sind vielleicht anders als wir. Für uns kommt der Konflikt gewiß ... Was sie Krieg nennen. Wir kennen ihn. Gewissermaßen rüsten wir dazu. Aber Sie wissen – diese kleinen Leute! – wir wissen nicht, wie man tötet, wenigstens wollen wir nicht töten – –«
»Sehen Sie,« unterbrach sie, und er hörte ein gellendes Horn.
Er folgte der Richtung ihrer Augen und sah ein Helles, gelbes Automobil mit bebrilltem Lenker und pelzbekleideten Passagieren, das grimmig an seiner Ferse schrie und pochte und fauchte. Er nahm den Fuß beiseite, und die Maschine setzte ihren geräuschvollen Weg zur Stadt mit dreifachem, zornigem Schnaufen fort. »Sperrt die Straße!« schwebte zu ihm herauf.
Dann sagte jemand: »Sehen Sie! Haben Sie gesehen? Da hinter den Bäumen steht die Monstreprinzessin!« und all ihre bebrillten Gesichter drehten sich um und starrten.
»Hören Sie,« sagte ein anderer. » Das geht so nicht ...«
»All dies«, sagte sie, »ist verblüffender als ich sagen kann.«
»Daß man Ihnen nichts erzählt hat,« sagte er und ließ den Satz unvollendet.
»Bis Sie auf mich trafen, hatte ich in einer Welt gelebt, wo ich – allein groß war. Ich hatte mir ein Leben zurechtgelegt – dazu. Ich hatte gedacht, ich sei das Opfer irgendeiner seltsamen Laune der Natur. Und jetzt ist meine Welt in einer halben Stunde niedergebröckelt, und ich sehe eine andere Welt, andere Bedingungen, weitere Möglichkeiten – Gemeinschaft – –«
»Gemeinschaft,« antwortete er.
»Ich möchte, daß Sie mir noch mehr erzählen und viel mehr,« sagte sie. »Sie wissen, dies zieht mir durch den Geist wie ein Märchen, das erzählt und abgetan ist. Selbst Sie ... In einem Tage oder nach mehreren Tagen werde ich vielleicht an Sie glauben. Jetzt – jetzt träume ich ... Horch!«
Der erste Schlag einer Glocke über den Palastämtern in weiter Ferne war zu ihnen gedrungen. Beide zählten mechanisch: »Sieben!«
»Dies«, sagte sie, sollte die Stunde meiner Rückkehr sein. Man wird die Schale Kaffee in den Saal bringen, wo ich schlafe. Die kleinen Beamten und Diener – Sie lassen sich nicht träumen, wie ernst sie sind – werden sich an ihre kleinen Pflichten machen.«
»Sie werden sich wundern ... Aber ich möchte mit Ihnen reden.«
Sie dachte nach. »Aber ich möchte auch nachdenken. Ich möchte ganz allein nachdenken und diese Veränderung in den Dingen ausdenken, die alte Einsamkeit fortdenken und Sie und jene anderen in meine Welt hineindenken ... Ich werde gehen. Ich werde heute in meinen Saal im Schloß zurückkehren und morgen werde ich mit Sonnenaufgang wieder hierher kommen – hierher.«
»Ich werde hier auf Sie warten.«
»Den ganzen Tag werde ich von dieser neuen Welt, die Sie mir gegeben haben, träumen und träumen. Noch jetzt kann ich kaum glauben – –«
Sie trat einen Schritt zurück und überblickte ihn von den Füßen bis zum Gesicht. Ihre Augen trafen sich und blieben einen Augenblick ineinander ruhen.
»Ja,« sagte sie mit einem leisen Lachen, das beinahe ein Schluchzen war, »Sie sind wirklich. Aber es ist so wunderbar! Glauben Sie – wirklich – –? Wenn ich nun morgen komme und Sie – wie die anderen als Pygmäen finde ... Ja, ich muß nachdenken. Und so für heute – wie die kleinen Leute tun – –«
Sie hielt ihre Hand hin, und zum erstenmal berührten sie einander. Ihre Hände faßten sich fest, und ihre Augen trafen sich noch einmal.
»Adieu,« sagte sie, »für heute Adieu! Adieu! Bruder Riese!«
Er zögerte mit etwas Unausgesprochenem und schließlich antwortete er einfach: »Adieu«.
Eine Zeitlang hielten sie ihre Hände gefaßt und studierten ihre Gesichter. Und noch viele Male blickte sie sich, als sie auseinander gegangen waren, halb zweifelnd nach ihm um, der noch an der Stelle stand, wo sie sich getroffen hatten ...
Sie ging über den großen Hof des Palastes in ihre Gemächer zurück wie eine, die in einem Traume geht, und ein großer Kastanienzweig hing ihr aus der Hand nach.
Diese beiden trafen sich vor dem Anfang des Endes im ganzen vierzehnmal. Sie trafen sich im großen Park oder auf den Höhen und in den Schluchten des braunstraßigen, heidigen Moorlands, das sich nach Südwesten erstreckte. Zweimal trafen sie sich in der großen Kastanienallee, und fünfmal bei dem weiten Dekorationswasser, das der König, ihr Urgroßvater angelegt hatte. Dort war eine Stelle, wo eine große, schöne, mit Koniferen besetzte Wiese anmutig zum Wasserrand hinabsank, und dort saß sie, und er lag zu ihren Knien und sah zu ihr auf, in ihr Gesicht, und sprach und erzählte von allen Dingen, die gewesen waren, und von der Arbeit, die sein Vater ihm aufgegeben hatte, und von dem großen und weiten Traum dessen, was die Riesen eines Tages sein würden. Meist trafen sie sich in der frühen Dämmerung, aber einmal trafen sie sich dort am Nachmittag, und da sahen sie im Nu eine Menge spähender Horcher um sich, Radfahrer, Fußgänger, die aus den Büschen hervorspähten und unter den toten Blättern im Wald dahinter raschelten (wie Sperlinge in den Londoner Parks um einen rascheln), die in Booten den See zu einem Auesichtspunkt hinabglitten und ihnen näher zu kommen versuchten, um hören zu können.
Es war die erste Andeutung von dem ungeheuren Interesse, das die Gegend an ihren Begegnungen nahm. Und einmal – es war das siebente Mal und es beschleunigte den Skandal – trafen sie sich draußen auf dem windigen Moorland unter hellem Mondschein, und dort sprachen sie in Flüstertönen, denn die Nacht war warm und still.
Sehr bald waren sie von der Erkenntnis, daß sich in ihnen und durch sie eine neue Welt des Riesentums auf der Erde gestaltete, von der Erwägung des gewaltigen Kampfes zwischen Groß und Klein, an dem sie offenbar teilzunehmen bestimmt waren, zu zugleich persönlicheren und umfassenderen Interessen übergegangen. Jedesmal, wo sie sich trafen und sprachen und einander ansahen, schlich es ein wenig mehr aus ihrem Unterbewußtsein zu klarer Erkenntnis hervor, daß zwischen ihnen etwas bestand, was teurer und wunderbarer war als Freundschaft, und es wandelte zwischen ihnen hin und zog ihre Hände zusammen. Und in kurzer Zeit kamen sie zu dem Wort selber und merkten, daß sie sich liebten, Adam und Eva eines neuen Geschlechts in der Welt.
Sie traten nebeneinander in das wundervolle Tal der Liebe mit seinen tiefen und ruhigen Winkeln. Die Welt verwandelte sich um sie mit ihrer verwandelten Stimmung, bis sie gleichsam zu einer Gitterschönheit um ihre Zusammenkünfte geworden war, und die Sterne waren nur noch Blumen des Lichts unter den Füßen ihrer Liebe, und Sonnenaufgang und Sonnenuntergang die farbigen Teppiche am Wege hin. Sie hörten auf, einander und sich Wesen von Fleisch und Blut zu sein; sie wurden zu einem körperlichen Gewebe von Zärtlichkeit und Verlangen. Sie liehen ihm erst Flüsterworte und dann Schweigen und schmiegten sich aneinander und blickten unter dem unendlichen Himmelsbogen in ihre monderleuchteten und schattigen Gesichter. Und die noch schwarzen Fichten standen wie Posten um sie her.
Die schlagenden Schritte der Zeit wurden zur Stille gedämpft, und ihnen war, als stehe das Weltall still. Nur ihre Herzen waren zu hören, wenn sie pochten. Sie schienen zusammen in einer Welt zu leben, wo kein Tod ist, und freilich war es damals mit ihnen so. Ihnen war, als erforschten sie – und sie erforschten wirklich – so verborgene Pracht im Herzen der Dinge selber, wie sie noch keiner zuvor erreicht bat. Selbst für niedrige und kleine Seelen ist Liebe die Offenbarung der Pracht. Und dies war ein Liebespaar von Riesen, die die Nahrung der Götter gegessen hatten ...
Man kann sich die immer wachsende Bestürzung in dieser geordneten Welt vorstellen, als bekannt wurde, daß die Prinzessin, die mit dem Prinzen verlobt war, die Prinzessin, Ihre Durchlaucht! mit königlichem Blut in den Adern! sich mit dem hypertrophischen Sprossen eines gewöhnlichen Physiologieprofessors, eines Geschöpfes ohne Rang, ohne Stellung, ohne Reichtum traf – sich häufig mit ihm traf – und mit ihm redete, als gäbe es keine Könige und Prinzen, keine Ordnung und Ehrfurcht – nichts als Riesen und Pygmäen in der Welt, mit ihm redete und ihn – es war nur zu gewiß – liebte.
»Wenn diese Zeitungskerle die Sache zu fassen kriegen!« keuchte Sir Arthur Poodle Bootlick ...
»Ich höre – –,« flüsterte der alte Bischof von Frumps ...
»Neue Geschichten oben,« sagte der erste Lakai, als er unter dem Dessert herumnaschte. »Soweit ich daraus klug werden kann, hat diese unsere Riesenprinzessin – –«
»Man sagt – –« sagte die Dame, die den Schalter am Haupteingang zum Palast innehatte, wo die kleinen Amerikaner sich ihre Billets für die Staatsgemächer holen ...
»Wir sind ermächtigt zu dementieren – –« sagte ›Picaroon‹ im Gossip.
Und so kam die ganze Sache heraus.
»Sie sagen, wir müssen uns trennen,« sagte die Prinzessin zu ihrem Geliebten.
»Aber warum?« rief er. »Welche neue Narrheit haben sich diese Leute in den Kopf gesetzt?«
»Weißt du,« fragte sie, »daß mich lieben – Hochverrat ist?«
»Meine Liebe,« rief er; »aber was tut das? Was ist uns ihr Recht – ein Recht ohne den Schatten von Vernunft – und ihr Verrat und ihre Loyalität?«
»Du sollst hören,« sagte sie und erzählte ihm von dem, was man ihr gesagt hatte.
»Es war der wunderlichste kleine Mann, der zu mir kam, mit sanfter, wundervoll modulierter Stimme, ein kleiner Herr mit sanften Bewegungen, der sich wie eine Katze in das Zimmer schob und seine hübsche, kleine Hand immer so hob, wenn er etwas Bedeutsames zu sagen hatte. Er ist kahl, aber natürlich nicht nackt kahl, und seine Nase und sein Gesicht sind runde, rosige, kleine Dinge, und sein Bart ist auf die hübscheste Art spitz zugeschnitten. Er tat mehrere Male, als habe er Empfindungen, und ließ seine Augen leuchten. Du weißt, er ist ein großer Freund der wirklichen königlichen Familie hier, und er nannte mich seine liebe junge Dame, und war von Anfang an vollkommen teilnehmend. ›Meine liebe junge Dame, Sie wissen – Sie dürfen nicht‹ – sagte er mehrmals und dann: ›Sie haben eine Pflicht‹.«
»Wo machen sie solche Leute?«
»Er tut es gern,« sagte sie.
»Aber ich sehe nicht ein – –«
»Er hat mir ernste Dinge gesagt.«
»Du meinst doch nicht,« sagte er, indem er sich ihr plötzlich zuwandte, »daß an dem, was er gesagt hat, etwas dran ist?«
»Ganz sicher ist etwas daran,« sagte sie.
»Du meinst – –?«
»Ich meine, ohne es zu wissen, haben wir die heiligsten Begriffe der kleinen Leute zu Boden getreten. Wir Königlichen sind eine Klasse für uns. Wir sind angebetete Gefangene, Prozessionsspielzeuge. Wir zahlen für die Anbetung durch den Verlust – unserer elementaren Freiheit. Und ich hätte jenen Prinzen heiraten sollen – – Aber du weißt nichts von ihm. Nun, ein Pygmäenprinz. Auf ihn kommt nichts an ... Es scheint, das hätte das Band zwischen meinem Land und einem anderen gestärkt. Und auch dieses Land – sollte Nutzen davon haben. Stell dir vor! – die Bande zwischen ihnen verstärken!«
»Und jetzt?«
»Sie wollen, ich soll das fortsetzen – als gäbe es nichts zwischen uns beiden.«
»Nichts!«
»Ja. Aber das ist nicht alles. Er sagte –« »Dein Spezialist im Takt?«
»Ja. Er sagte, es würde für dich besser sein, für alle Riesen besser, wenn wir beiden – uns des Verkehrs enthielten. So drückte er es aus.«
»Aber was können sie anfangen, wenn wir es nicht tun?«
»Er sagte, du könntest deine Freiheit behalten.«
» Ich!«
»Er sagte mit Nachdruck: ›Meine liebe junge Dame, es wäre besser, es wäre würdiger, wenn Sie freiwillig auseinandergingen.‹ Das war alles, was er sagte. Mit dem Nachdruck auf freiwillig.«
»Aber – –! Was geht es diese kleinen Elenden an, wo wir uns lieben, wie wir uns lieben! Was haben sie und ihre Welt mit uns zu tun?«
»So denken sie nicht.«
»Natürlich,« sagte er, »achtest du auf all das nicht.«
»Es scheint mir außerordentlich töricht.«
»Daß ihre Gesetze uns fesseln sollten! Daß wir im ersten Frühling des Lebens von ihren alten Abmachungen, ihren sinnlosen Institutionen zu Fall gebracht werden sollten! O – –! Wir achten nicht darauf!«
»Ich bin dein. Soweit – ja.«
»Soweit? Ist das nicht alles?«
»Aber sie – – Wenn sie uns trennen wollen – –«
»Was können sie tun?«
»Ich weiß nicht. Was können sie tun?«
»Wer fragt danach, was sie tun können, oder was sie tun werden? Ich bin dein und du bist mein. Worauf kommt es sonst an? Ich bin dein und du bist mein – auf ewig. Meinst du, ich halte um ihrer kleinen Regeln willen inne, um ihrer kleinen Verbote, ihrer roten Schilder willen! – und bleibe dir fern?«
»Ja. Aber trotzdem, was können sie tun?«
»Du meinst,« sagte er, »was sollen wir tun?«
»Ja.«
»Wir? Wir können uns weiter lieben.«
»Aber wenn sie uns zu hindern suchen?«
Er ballte die Hände. Er blickte um sich, als käme das kleine Volk schon, um sie zu hindern. Dann wandte er sich von ihr fort und blickte über die Welt hin. »Ja,« sagte er. »Deine Frage war die richtige. Was können sie tun?«
»Hier in diesem kleinen Land,« sagte sie und hielt inne.
Er schien das Ganze zu durchblicken. »Sie sind überall.«
»Aber wir könnten – –«
»Wohin?«
»Wir könnten gehen. Wir könnten zusammen übers Meer schwimmen. Über dem Meer – –«
»Ich bin nie übers Meer gekommen.«
»Dort gibt es große und einsame Gebirge, in denen wir auch nur als kleine Leute erscheinen würden, dort sind entlegene und verlassene Täler, dort sind verborgene Seen und schneeumgürtete Hochlande, die der Fuß des Menschen noch nie betreten hat. Dort – –«
»Aber um dorthin zu kommen, müssen wir uns Tag für Tag durch Millionen und Millionen von Menschen den Weg erkämpfen.«
»Es ist unsere einzige Hoffnung. In diesem überfüllten Land gibt es keine Festung, kein Obdach. Wo ist unter diesen Mengen Platz für uns? Die, welche klein sind, können sich voreinander verbergen, aber wo sollen wir uns verbergen? Wir haben keinen Ort, wo wir essen könnten, keinen Ort, wo wir schlafen könnten. Würden wir fliehen – sie würden Tag und Nacht unsern Spuren folgen.«
Ihm kam ein Gedanke.
»Einen Ort gibt es,« sagte er, »sogar auf dieser Insel.«
»Wo?«
»Den Ort, den unsere Brüder dort drüben geschaffen haben ... Liebste! Ich habe geträumt, ich habe vergessen! Die Tage sind vergangen, und ich habe nichts getan, als auf das Wiedersehen mit dir gewartet ... Ich muß zu ihnen gehen und mit ihnen reden und ihnen von dir und von allem erzählen, was über uns hängt. Wenn sie uns helfen wollen, können sie uns helfen. Dann könnten wir wirklich hoffen. Ich weiß nicht, wie stark ihre Verschanzung ist, aber sicherlich wird Cossar sie stark gemacht haben. Schon vor all dem – ehe du zu mir kamst – braute Unheil. Es stand eine Wahl bevor – wo all die kleinen Leute die Dinge erledigen, indem sie Köpfe zählen. Die muß jetzt vorbei sein. Man drohte gegen unser ganzes Geschlecht, das heißt, gegen unser ganzes Geschlecht, außer gegen dich. Ich muß unsere Brüder sprechen. Ich muß ihnen alles sagen, was zwischen uns geschehen ist, und alles, was uns jetzt droht.«
Zu ihrer nächsten Zusammenkunft kam er erst, als sie schon einige Zeit gewartet hatte. Sie sollten sich an diesem Tage gegen Mittag auf einer großen Parkfläche treffen, die sich in eine Flußkrümmung einschmiegte, und als sie wartete und immer unter ihrer Hand her nach Süden spähte, fiel ihr auf, daß die Welt sehr still war, ja, daß es brütend still war. Und dann merkte sie, daß trotz der Späte der Stunde ihr gewohntes Gefolge von Spionen fehlte. Als sie nachsah, war nach rechts und links niemand zu sehen, und kein Boot schwamm auf der Silberwindung der Thames. Sie versuchte, einen Grund für diese seltsame Stille in der Welt zu finden ...
Dann sah sie – ein freudiger Anblick für sie – den jungen Redwood in weiter Ferne über einer Lücke in den Baummassen, die ihre Aussicht begrenzten.
Gleich darauf verbargen ihn die Bäume, und dann brach er durch sie hindurch und kam wieder in Sicht. Sie konnte sehen, daß etwas anders war, und dann sah sie, daß er ungewöhnlich eilte, und dann, daß er hinkte. Er winkte ihr, und sie ging auf ihn zu. Sein Gesicht wurde klarer, und sie sah mit unendlicher Sorge, daß er bei jedem Schritt zuckte.
Sie lief auf ihn zu, den Geist voll von Fragen und unbestimmter Furcht. Er kam heran und sprach ohne Gruß.
»Sollen wir auseinandergehen?« keuchte er.
»Nein,« antwortete sie. »Warum? Was ist geschehen?«
»Aber, wenn wir nicht auseinandergehen –! Die Zeit ist da.«
»Was ist geschehen?«
»Ich will mich nicht von dir trennen,« sagte er. »Nur – –«
Er brach unvermittelt ab, um zu fragen: »Du willst nicht von mir gehen?«
Sie begegnete seinen Augen mit einem festen Blick. »Was ist geschehen?« drängte sie.
»Auch nicht auf eine Zeitlang?«
»Auf wie lange?«
»Auf Jahre vielleicht.«
»Von dir! Nein!«
»Du hast es überlegt?« beharrte er.
»Ich will nicht von dir gehen.« Sie nahm seine Hand. »Wenn es den Tod gälte, sofort, ich ließe dich nicht gehen.«
»Wenn es den Tod gälte,« sagte er und sie fühlte seinen Druck um ihre Finger.
Er blickte sich um, als fürchte er, die kleinen Leute kommen zu sehen, während er sprach. Und dann: »Vielleicht gilt es den Tod.«
»Nun erzähle mir,« sagte sie.
»Sie versuchten, mein Kommen zu hindern.«
»Wie?«
»Und als ich aus meiner Werkstatt kam, wo ich die Nahrung der Götter mache, damit die Cossars sie in ihrem Lager aufspeichern, fand ich einen kleinen Polizeibeamten – einen Mann in Blau mit sauberen weißen Handschuhen – der mir stillzustehen winkte. ›Dieser Weg ist gesperrt!‹ sagte er. Das achtete ich gering; ich ging um meine Werkstatt herum, wo eine zweite Straße nach Westen läuft, und dort stand ein zweiter Beamter: ›Diese Straße ist gesperrt!‹ sagte er, und fügte hinzu: ›alle Straßen sind gesperrt!‹«
»Und dann?«
»Ich stritt ein wenig mit ihm. »Es sind öffentliche Straßen!« sagte ich.
»›Ganz recht,‹ sagte er. ›Sie ruinieren sie für das Publikum.‹«
»›Schön,‹ sagte ich, ›ich werde über die Felder gehen,‹ und da sprangen weitere hinter einer Hecke hervor und sagten: ›Diese Felder sind Privatbesitz.‹«
»›Zum Henker mit Ihrem öffentlich und privat,‹ sagte ich, ›ich gehe zu meiner Prinzessin,‹ und ich bückte mich und hob ihn sehr sanft auf – er stieß und schrie – und setzte ihn zur Seite. Im Nu schienen all die Felder rings um mich von laufenden Menschen lebendig. Ich sah einen zu Pferde neben mir hergaloppieren, und im Reiten mit lautem Rufen etwas vorlesen. Als er fertig war, machte er kehrt und galoppierte von mir fort den Kopf gesenkt. Ich konnte es nicht verstehen. Und dann hörte ich hinter mir das Krachen von Flinten.«
»Flinten!«
»Flinten – genau wie sie auf die Ratten schießen. Die Kugeln kamen mit einem Ton durch die Luft, als zerrisse etwas: eine traf mich ins Bein.«
»Und du?«
»Eilte zu dir her weiter und ließ sie schreiend und rennend und schießend hinter mir zurück. Und jetzt – –«
»Jetzt?«
»Das ist erst der Anfang. Sie wollen, daß wir uns trennen. Schon kommen sie hinter mir her.«
»Wir wollen nicht.«
»Nein. Aber wenn wir uns nicht trennen wollen – dann mußt du jetzt mit mir zu unseren Brüdern kommen.«
»Welchen Weg?« sagte sie.
»Nach Osten. Dahinten ist der Weg, den meine Verfolger kommen werden. Also ist dies der Weg, den wir gehen müssen. Diese Baumallee entlang. Laß mich vorausgehen, damit, wenn sie warten –«
Er tat einen Schritt, aber sie hatte ihn am Arm gefaßt.
»Nein,« rief sie. »Ich gehe dicht neben dir und halte dich. Vielleicht bin ich königlich, vielleicht bin ich heilig. Wenn ich dich halte – Wollte Gott, wir könnten fliehen, wenn ich dich mit meinen Armen umfasse! – vielleicht werden sie nicht auf dich schießen –«
Sie umschlang, während sie sprach, seine Schulter und faßte seine Hand; sie drängte sich näher an ihn. »Vielleicht werden sie dich nicht erschießen,« wiederholte sie und mit plötzlicher, leidenschaftlicher Zärtlichkeit nahm er sie in die Arme und küßte sie auf die Wange. Eine Weile hielt er sie so.
»Selbst, wenn es der Tod ist,« flüsterte sie.
Sie legte ihm die Hände um den Hals und hob ihr Gesicht zu seinem empor.
»Liebster, küsse mich noch einmal.«
Er zog sie an sich. Schweigend küßten sie sich auf die Lippen und noch einen Augenblick hingen sie aneinander. Dann machten sie sich Hand in Hand, während sie ihren Körper seinem stets nahe zu halten strebte, auf den Weg, um zu versuchen, ob sie das Zufluchtslager, das Cossars Söhne erbaut hatten, erreichen könnten, ehe die Verfolgung der kleinen Leute sie einholte.
Und als sie die großen Flächen des Parks hinter dem Schloß überschritten, kamen unter den Bäumen hervor Reiter galoppiert und versuchten vergeblich mit ihren Riesenschritten Schritt zu halten. Und bald standen vor ihnen Häuser, und Männer kamen mit Flinten aus den Häusern gelaufen. Bei dem Anblick drängte sie ihn, obgleich er weiter vorzudringen suchte und selbst zum Kampf und zum Durchbruch geneigt war, nach Süden zur Seite abzuweichen.
Als sie flohen, zischte zu Häupten eine Kugel über sie hinweg.