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Die Experimentalfarm

I

Mr. Bensington wollte diesen Stoff ursprünglich, sobald er nur einmal wirklich imstande war, ihn zu präparieren, an Kaulquappen versuchen. Man stellt solche Versuche zunächst immer an Kaulquappen an; dazu sind Kaulquappen da. Und sie kamen überein, daß er die Experimente leiten sollte, und nicht Redwood, denn Redwoods Laboratorium war voll von dem ballistischen Apparat und von Tieren, die zu einer Untersuchung über die »Tägliche Variation in der Stoßlust des jungen Bullenkalbs« nötig waren, einer Untersuchung, die Kurven von abnormer und ganz verblüffender Art ergab – und die Anwesenheit von Glashäfen mit Kaulquappen war durchaus nicht erwünscht, so lange diese Untersuchung fortging.

Als aber Mr. Bensington seiner Cousine Jane einen Teil dessen mitteilte, was ihm auf der Seele lag, legte sie ein promptes Veto gegen die Einführung irgendwelcher beträchtlichen Anzahl von Kaulquappen oder ähnlichen experimentalen Geschöpfen in ihre Wohnung ein. Sie hatte nichts dagegen, wenn er eins der Zimmer in der Wohnung für die Zwecke einer nichtexplosiven Chemie benutzte, bei der, soweit sie in Frage stand, nichts herauskam; sie duldete, daß er einen Gasofen und einen Ausguß hatte, und auch einen staubdichten Schrank der Zuflucht vor dem wöchentlichen Gewitter der Reinigung, dessen sie sich nicht begeben wollte. Und da sie Leute gekannt hatte, die dem Trunk ergeben waren, so sah sie seine Begier nach Auszeichnung in gelehrten Gesellschaften als einen ausgezeichneten Ersatz für die gröbere Form der Verderbtheit an. Aber irgendwelche Art von Lebewesen – »krabbelig«, wie sie sein mußten, wenn sie am Leben waren, und »stinkig«, wenn tot – die konnte und wollte sie nicht dulden. Sie sagte, so etwas sei sicherlich ungesund, und Bensington sei ein notorisch schwächlicher Mann – es sei Unsinn, wenn er das leugne. Und als Bensington versuchte, die ungeheure Bedeutung dieser möglichen Entdeckung klarzumachen, sagte sie, das sei alles recht schön, aber wenn sie zugäbe, daß er alles im Hause scheußlich und ungesund machte (und darauf liefe alles hinaus), dann sei sie überzeugt, werde er sich zu allererst beklagen.

Und Mr. Bensington ging ohne Rücksicht auf seine Hühneraugen im Zimmer auf und ab und redete ohne den geringsten Erfolg fest und zornig auf sie ein. Er sagte, nichts sollte dem Fortschritt der Wissenschaft im Wege stehen, und sie sagte, der Fortschritt der Wissenschaft sei eins, aber in einer Etagenwohnung einen Haufen Kaulquappen haben, sei ein anderes; er sagte, in Deutschland sei es feststehende Tatsache, daß einem Manne mit einer solchen Idee sofort ein gehörig eingerichtetes Laboratorium von zwanzigtausend Kubikfuß zur Verfügung gestellt würde, und sie sagte, sie sei froh und sei immer froh gewesen, daß sie keine Deutsche sei; er sagte, es würde ihn unsterblich machen, und sie sagte, es sei viel wahrscheinlicher, daß es ihn krank machen würde, wenn er in einer Wohnung wie ihrer, einen Haufen Kaulquappen hielt; er sagte, er sei Herr in seinem Hause, und sie sagte, lieber als einen Haufen Kaulquappen besorgen, wolle sie als Anstandsdame in eine Schule gehen; und dann bat er, sie solle vernünftig sein, und dann bat sie, er solle vernünftig sein und all das mit den Kaulquappen aufgeben; und er sagte, sie könnte seine Ideen respektieren, und sie sagte, wenn sie stinkig wären, wollte sie nicht, und dann ließ er sich hinreißen und sagte – Huxleys klassischen Bemerkungen über den Gegenstand zum Trotz – ein schlimmes Wort. Das Wort war gar nicht sehr schlimm, aber schlimm genug war es schon.

Und darauf war sie schwer beleidigt, und er mußte um Verzeihung bitten, und die Aussicht, daß er die Nahrung der Götter je in ihrer Wohnung an Kaulquappen würde versuchen können, schwand in dieser Bitte um Verzeihung völlig dahin.

Also mußte Bensington einen anderen Weg in Erwägung ziehen, wie er diese Experimente mit der Ernährung ins Werk setzen konnte, wie sie nötig waren, um seine Entdeckung zu demonstrieren, sobald er seine Substanz isoliert und präpariert hatte. Ein paar Tage lang grübelte er über die Möglichkeit, seine Kaulquappen bei einer vertrauenswürdigen Person in Pension zu geben, und dann brachte der zufällige Anblick der Phrase in einer Zeitung seine Gedanken auf eine Experimentalfarm.

Und Kücken! Sowie ihm der Gedanke kam, war es der Gedanke an eine Geflügelfarm. Plötzlich befiel ihn eine Vision von wild wachsenden Kücken. Er sah ein Bild von Hühnerkäfigen und Gehegen, äußeren und noch äußeren Gehegen, und fortschreitend größer werdenden Hühnerkäfigen. Kücken sind so zugänglich, so leicht zu füttern und zu beobachten, so viel trockener zu handhaben und zu messen, daß ihm Kaulquappen jetzt im Vergleich mit ihnen zu seinem Zweck als ganz wilde und unzähmbare Bestien erschienen. Er konnte gar nicht begreifen, warum er nicht von Anfang an statt an Kaulquappen an Kücken gedacht hatte. Unter anderem hätte ihm das all den Ärger mit seiner Cousine Jane erspart. Und als er Redwood das vorschlug, war Redwood ganz seiner Meinung.

Redwood sagte, er sei überzeugt, damit, daß die experimentierenden Physiologen soviel an unnötig kleinen Tieren arbeiteten, begingen sie einen großen Fehler. Es sei genau, wie wenn man in der Chemie mit ungenügenden Materialmengen arbeitete; Irrtümer in der Beobachtung und Handhabung würden unverhältnismäßig groß. Es sei gerade jetzt von elementarer Wichtigkeit, daß die Wissenschafter ihr Recht auf großes Material verträten. Deshalb nehme er seine gegenwärtige Reihe von Experimenten im Bond Street College an Bullenkälbern vor, obgleich ihr gelegentlicher Übermut in den Gängen den Studenten und Professoren anderer Gegenstände bis zu einem gewissen Grade unbequem werde. Aber die Kurven, die er erhielt, seien ganz ausnahmsweise interessant und würden seine Wahl bei der Veröffentlichung vollauf rechtfertigen. Er für sein Teil würde, wenn es nicht um die unangemessene Dotierung der Wissenschaft in England wäre, nie an kleineren Tieren als Walfischen arbeiten. Aber ein öffentliches Vivarium auf genügend großem Fuße, um dies möglich zu machen, sei, fürchte er, vorläufig, wenigstens in England, ein utopistisches Verlangen. In Deutschland – usw.

Da Redwoods Bullenkälber seine tägliche Aufmerksamkeit verlangten, so fiel die Auswahl und Ausrüstung der Experimentalfarm zum großen Teil Bensington zu. Auch die ganzen Kosten, so war es ausgemacht, sollte Bensington bestreiten, wenigstens bis man durchsetzen konnte, daß eine Summe dafür bewilligt wurde. Also wechselte er seine Arbeit im Laboratorium seiner Wohnung damit ab, daß er die Straßen, die südlich aus London herausführten, nach Farmen auf und ab jagte, und seine spähende Brille, seine einfältige Kahlheit und seine zerfetzten Zeugschuhe erfüllten die Besitzer zahlreicher unerwünschter Anwesen mit eitlen Hoffnungen. Und er annoncierte in mehreren Tageszeitungen und der » Natur« um ein verantwortliches (verheiratetes) Paar zu finden, pünktlich, fleißig und an Geflügel gewöhnt, das eine Experimentalfarm von drei Äckern ganz in seine Obhut nehmen sollte.

Er fand das Anwesen, das er nötig zu haben meinte, in Hickleybrow bei Urshot in Kent. Es war ein wunderlicher, kleiner, isolierter Hof in einem Tal, umgeben von alten Fichtenwäldern, die nachts schwarz und unheimlich waren. Eine bucklige Dünenschulter schnitt sie vom Sonnenuntergang ab, und ein hagerer Brunnen mit einem baufälligen Wetterdach engte den Wohnsitz ein. Das kleine Haus war unbewachsen, mehrere Fenster waren zerbrochen und der Wagenschuppen zeigte um Mittag einen schwarzen Schatten. Es lag anderthalb Meilen vom letzten Hause des Dorfes entfernt, und seine Einsamkeit wurde zweifelhaft von einer zweideutigen Familie von Echos unterbrochen.

Das Anwesen machte Bensington den Eindruck, als passe es hervorragend gut für die Erfordernisse wissenschaftlicher Untersuchung. Er ging über das Grundstück und entwarf mit geschwungenem Arm Gehege und Käfige, und er fand, daß die Küche eine Reihe von Brutapparaten und Pflegemüttern beherbergen konnte, wenn man sie nur ein ganz klein wenig veränderte. Er nahm das Anwesen sofort; auf dem Rückweg nach London machte er in Dunton Green Halt und schloß mit einem passenden Paar ab, das auf seine Annoncen geantwortet hatte, und noch am selben Abend gelang es ihm, eine Menge von Herakleophorbia I zu isolieren, die genügte, um diese Abschlüsse mehr als zu rechtfertigen.

Das passende Paar, das bestimmt war, unter Mr. Bensington die ersten Verwalter der Nahrung der Götter auf Erden abzugeben, war nicht nur sehr merklich bejahrt, sondern auch außerordentlich schmutzig. Diesen letzteren Punkt sah Mr. Bensington nicht, weil nichts die Kräfte allgemeiner Beobachtung so sehr vernichtet wie ein Leben experimentierender Wissenschaft. Sie hießen Skinner, Mr. und Mrs. Skinner, und Mr. Bensington sprach sie in einem kleinen Zimmer mit hermetisch versiegelten Fenstern, einem fleckigen Kaminspiegel und ein paar verkümmerten Calceolarien.

Mrs. Skinner war eine sehr kleine alte Frau, ohne Haube, mit schmutzig weißem Haar, das vom Gesicht straff zurückgestrichen war. Das Gesicht bestand anfangs hauptsächlich und jetzt, nach dem Verlust von Zähnen und Kinn, fast ausschließlich nur noch aus – Nase. Sie war in Schieferfarbe gekleidet (soweit ihr Kleid überhaupt eine Farbe hatte), die an einer Stelle von rotem Flanell durchbrochen war. Sie öffnete ihm und sprach behutsam mit ihm und spähte ihn um und über ihre Nase her an, während sie behauptete, Mr. Skinner nehme eine Änderung an seiner Toilette vor. Sie hatte einen Zahn, der ihre Aussprache behinderte, und sie hielt ihre beiden langen, verschrumpften Hände nervös gegeneinander. Sie sagte Mr. Bensington, sie habe Jahre lang Geflügel besorgt und wisse mit Brutapparaten genau Bescheid; ja, sie selber hätten einmal eine Geflügelfarm aufgetan, und sie seien schließlich nur am Mangel von Lehrlingen gescheitert. »Die Lehrlinge, die zahlen's«, sagte Mrs. Skinner.

Mr. Skinner, der schließlich erschien, war ein breitgesichtiger Mann, der lispelte und schielte, daß er einem über den Kopf wegsah. Er trug aufgeschlitzte Pantoffeln, die an Mr. Bensingtons Sympathien appellierten, und litt offenbar an Knopfmangel. Er hielt Rock und Hemd mit einer Hand zusammen und zeichnete mit dem Zeigefinger der anderen Muster auf das schwarzgoldene Tischtuch, während sein freies Auge Mr. Bensingtons Damoklesschwert, wenn ich so sagen darf, mit einem Ausdruck trauriger Losgelöstheit beobachtete. »Se wollen die Farm nich ums Geschäff auftun. Nei, Härr. Ganz egal, Herr. Eggsperimente! Ganß rech.«

Er sagte, sie könnten sofort auf die Farm gehn. Abgesehn von ein bißchen Schneiderei tue er nichts in Dunton Green. »Es is hier nich so elengant, wie ich mir gedach hab, und was ich krieg, is kaum der Mühe wert,« sagte er, »un wenn es Ihnen also paß, daß wir kommen tun ...«

Und eine Woche darauf waren Mr. und Mrs. Skinner auf der Farm installiert, und der Akkordzimmermann aus Hickleybrow variierte die Aufgabe, Gehege und Hühnerhäuser zu errichten durch eine systematische Erörterung über Mr. Bensington.

»Ich hab noch nich viel von 'm gesehn,« sagte Mr. Skinner. »Aberst soweit ich aus 'm kluch wer', scheint er 'n Schafskopp zu sein.«

»Ich meint, er schien 'n bißchen dösig,« sagte der Zimmermann aus Hickleybrow.

»Er verbeiß sich aufs Geflügel,« sagte Mr. Skinner. »O du meine Güte! Man könnt meinen, nieman' versteht was vons Geflügel als er.«

» Aussehn tut er wie ne Henne,« sagte der Zimmermann aus Hickleybrow; »mit seine Brille!«

Mr. Skinner trat näher an den Zimmermann aus Hickleybrow heran und sprach vertraulich, und das eine traurige Auge betrachtete das ferne Dorf, und das andere glänzte hell und boshaft. »Soll jeden Tag gemessen wer'n – jede Henne, sag er. Daß er auch sieht, daß se orrentlich wachsen. Was, o ... eh? Jede Henne – jeden Tag.«

Und Mr. Skinner hob die Hand, um hinter ihr auf kultivierte und ansteckende Art zu lachen, und er buckelte die Schultern stark – und nur seinem einen Auge gelang es nicht, mitzulachen. Dann kam ihm ein Zweifel, ob der Zimmermann die Pointe auch ganz erfaßt habe, und er wiederholte mit durchdringendem Flüstern: » Gemessen

»Er 's schlimmer als unser alter Pächter; laß mich hängen, wenn's nich wahr is,« sagte der Zimmermann aus Hickleybrow.

II

Experimentierende Arbeit ist das Langweiligste von der Welt (es seien denn die Berichte darüber in den Philosophischen Abhandlungen), und es schien Mr. Bensington endlos lange zu dauern, ehe sein erster Traum von ungeheuren Möglichkeiten durch einen Brocken der Verwirklichung ersetzt wurde. Er hatte die Farm im Oktober genommen, und es wurde Mai, ehe die ersten Spuren des Erfolgs begannen. Herakleophorbia I und II und III mußten versucht werden und blieben erfolglos; es gab Ärger über die Ratten der Experimentalfarm, und es gab Ärger mit den Skinners. Die einzige Art, wie man Skinner dazu bringen konnte, daß er etwas tat, was man ihm sagte, war, daß man ihn entließ. Dann rieb er sein unrasiertes Kinn – er war immer ganz wunderbar unrasiert und trug doch niemals einen Bart – mit flacher Hand und sah Mr. Bensington mit einem Auge an und mit dem andern über ihn weg und sagte: »Ooh, natürlich, Härr – wenn's Ihn'n Ernß is ...!«

Aber zuletzt dämmerte der Erfolg auf. Und sein Herold war ein Brief in der langen, schlanken Handschrift Mr. Skinners.

»Die neue Brut is raus,« schrieb Mr. Skinner, »und gefällt mich nich ganz, wie se aussieht. Wächs sehr üppig – ganz anners als das gleiche Volk, eh Ihre letzen Anweisungen kamen. Das letze war, eh die Katz se holte, n' hübsches fesses Kücken, aber diese wachsen wie die Disseln. Hab ich noch nie gesehn. Se picken so feste, immer übern Stiebel, daß ich de genauen Maße, wie befohlen, nich geben kann. Es sin richtige Riesen und fressen auch so. Wir brauchen bald neu Futter, denn so'n Fressen hat man bei Kücken noch nich erlebt. Größer als Bantams. Wenn's so weiter geht, müßten sie was für'n Jahrmarkt wer'n, so üppig sin se. Kriegt'n Schreck letze Nacht, dacht, die Katz wär dran, un als ich aus'n Fenster kuck, hätt ich schwör'n können, ich seh se unterm Draht reinkriechen. Die Kücken war'n wach und pickten hungrig herum, als ich rauskam, aber konnte nichs von die Katz sehn. Da gab ich ihn'n ne Handvoll Korn und machte feß zu. Möchte gern wissen, ob ich so weiter füttern soll wie befohlen. Das Futter, das Sie gemischt haben, is fast alle, un ich misch nich gern selber neues, von wegen den Mallhör mit den Pudding. Mit den besten Wünschen von uns beiden und der Bitte, die geehrte Gunst weiter zu bewahren

ganz ergebens Ihr Alfred Newton Skinner.«

Die Andeutung gegen Schluß bezog sich auf einen Milchpudding, in den ein wenig Herakleophorbia II hineingeraten war, was für die Skinners schmerzliche und fast verhängnisvolle Folgen hatte.

Aber Mr. Bensington, der zwischen den Zeilen las, sah in diesem wuchernden Wachstum sein lange gesuchtes Ziel erreicht. Am Morgen darauf stieg er auf dem Bahnhof Urshot aus, und in der Reisetasche in seiner Hand trug er, versiegelt in drei Zinndosen, einen Vorrat von der Nahrung der Götter, der für alle Kücken in Kent genügt hätte.

Es war ein heller und schöner Morgen spät im Mai, und seine Hühneraugen waren soviel besser, daß er beschloß, zu Fuß durch Hickleybrow auf seine Farm zu gehen. Es waren zusammen drei und eine halbe Meile durch Park und Dorf und dann an den grünen Lichtungen der Gehege von Hickleybrow hin. Die Bäume waren ganz übersät mit den grünen Flecken des Spätfrühlings, die Hecken standen voller Kamillen und Himmelsröschen und das Holz voll blauer Hyazinthen und purpurner Orchideen. Und überall herrschte großer Vogellärm, Gezwitscher von Drosseln, Amseln, Rotkehlchen, Finken und vielen anderen, und in einem warmen Winkel des Parks entrollte sich ein Farrenstrich, und dort huschte und sprang falbes Rotwild.

Diese Dinge brachten Mr. Bensington seine frühe und vergessene Lust am Leben zurück; die Aussichten seiner Entdeckung wurden vor seinem Auge leuchtend und freudig, und ihm war, er müsse wirklich zum glücklichsten Tage in seinem Leben gekommen sein. Und als er in dem sonnenhellen Gehege an der Sandbank unterm Schatten der Fichten die Kücken sah, die das Futter gefressen hatten, das er für sie gemischt hatte, riesenhaft und tölpisch, größer schon als manche Henne, die verheiratet und eingerichtet ist, und immer noch wachsend, immer noch in ihren ersten, weichen, gelben Federn (am Rücken hin ganz schwach mit Braun durchzogen), da wußte er wirklich, daß sein glücklichster Tag gekommen war.

Auf Mr. Skinners Drängen ging er in das Gehege hinein, als er aber ein- oder zweimal durch die Risse in seinen Schuhen gepickt war, lief er wieder hinaus und sah sich die Ungeheuer durch die Drahtnetze an. Er legte die Augen eng ans Netz und folgte ihren Bewegungen, als habe er noch nie im Leben ein Kücken gesehen.

»Wie se sein wer'n, wenn se ausgewachsen sin, kann man sich nich vorstell'n,« sagte Mr. Skinner.

»So groß wie ein Pferd,« sagte Mr. Bensington.

»Beinah,« sagte Mr. Skinner.

»An einem Flügel könnten sich mehrere satt essen!« sagte Mr. Bensington. »Dann kann man sie wie Ochsen in Braten schneiden.«

»Aberst se werd'n nich so weiter wachsen,« sagte Mr. Skinner.

»Nicht?« sagte Mr. Bensington.

»Nein,« sagte Mr. Skinner. »Ich kenn' das. Sie fangen üppig an, aberst das hört mal auf, verlassen Sie sich dadrauf! Ja.«

Es entstand eine Pause.

»Das is de Behannlung,« sagte Mr. Skinner bescheiden.

Mr. Bensington richtete plötzlich die Brille auf ihn.

»Auf den annern Hof haben wir se faß ebensogroß gekrieg,« sagte Mr. Skinner, und er hob das bessere Auge fromm empor und ließ sich ein wenig fortreißen; »ich un meine Frau.«

Mr. Bensington nahm seine gewohnte allgemeine Inspektion der Grundstücke vor, aber er kehrte bald zu dem neuen Gehege zurück. Es war auch, muß man wissen, so viel mehr als er je zu erwarten gewagt hatte. Der Gang der Wissenschaft ist so gewunden und langsam; nach den klaren Versprechungen und ehe die praktische Verwirklichung eintritt, kommen fast immer Jahre und Jahre komplizierter Arbeit, und hier – hier war die Nahrung der Götter nach weniger als einem Jahr des Probierens! Es schien zu viel – zu viel. Jene aufgeschobene Hoffnung, die die tägliche Nahrung der wissenschaftlichen Phantasie ist, sollte nicht mehr sein Teil sein! So schien es ihm wenigstens damals. Er kehrte ein übers andere Mal um und starrte diese seine verblüffenden Kücken an.

»Lassen Sie sehen,« sagte er. »Sie sind zehn Tage alt. Und neben einem gewöhnlichen Kücken sollt ich denken – etwa sechs bis siebenmal so groß ...«

»'s wir' Sseit sein, daß wir mehr verlangen,« sagte Mr. Skinner zu seiner Frau. »Er 's so ßufrieden damit, wie wir die Kücken ins hintere Gehege zu Gange gebracht haben – so ßufrieden is er.«

Er neigte sich vertraulich zu ihr. »Meint, es is das alte Futter,« sagte er hinter seiner Hand und ließ ein Geräusch unterdrückten Lachens in seinem Kehlkopf hören ...

Mr. Bensington war an diesem Tage wirklich ein glücklicher Mann. Er war nicht in der Stimmung, Einzelheiten im Betrieb zu tadeln. Der strahlende Tag hob die immer wachsende Nachlässigkeit des Skinnerpaares lebhafter hervor, als er sie je gesehen hatte. Aber seine Bemerkungen waren allermildester Art. Die Zäunung vieler Gehege war in Unordnung, aber er schien es für ganz befriedigend zu halten, als Mr. Skinner auseinandersetzte, das täte »ein Fuchß oder 'n Hund oder so was«. Er machte darauf aufmerksam, daß der Inkubator nicht gereinigt war.

»Das is er nich, Herr,« sagte Mrs. Skinner mit gekreuzten Armen, indem sie blöde hinter ihrer Nase lachte. »Scheint, wir haben noch keine Zeit gehabt, ihn zu reinigen, noch nich, so lange wir hier sind ...«

Er ging nach oben, um sich ein paar Rattenlöcher anzusehen, die, wie Skinner behauptete, eine Falle rechtfertigen würden – sie waren freilich enorm – und er entdeckte, daß das Zimmer, in welchem die Nahrung der Götter mit Mehl und Kleie gemischt wurde, in ganz schmählicher Unordnung war. Die Skinners gehörten zu den Leuten, die für gerissene Schüsseln und alte Kannen und Einmachbüchsen und Mostertdosen Verwendung haben, und damit war der Raum besät. In einem Winkel faulte ein großer Haufen Äpfel, die Skinner erübrigt hatte, und an einem Nagel im schrägen Teil der Decke hingen mehrere Kaninchenfelle, an denen er seine Begabung als Kürschner zu probieren beabsichtigte: (»Bei die Fellen und Dinger weiß ich so ziemlich mit allens Bescheid,« sagte Skinner.)

Mr. Bensington rümpfte über diese Unordnung freilich kritisch die Nase, aber er machte keinen unnötigen Lärm, und sogar, als er fand, wie sich eine Wespe in einem Topf halb voll Herakleophorbia IV gütlich tat, bemerkte er nur milde, diesen Stoff verschließe man besser gegen die Feuchtigkeit, als daß man ihn so der Luft aussetze.

Und er wandte sich von diesen Dingen sofort wieder ab, um zu bemerken – was ihm seit einiger Zeit im Kopf gelegen hatte: – »Ich glaube, Skinner – wissen Sie, ich werde eins von diesen Kücken töten – als Probe. Ich glaube, wir werden es heute nachmittag töten, und ich werde es mit nach London nehmen.«

Er tat, als blicke er in noch einen Hafen, und nahm dann die Brille ab, um sie zu putzen.

»Ich hätte gern,« sagte er, »ich hätte sehr gern eine Reliquie – ein Memento – von dieser besonderen Brut an diesem besonderen Tage.«

»Nebenbei,« sagte er, »Sie geben diesen kleinen Kücken doch kein Fleisch?«

»O! nein, Härr,« sagte Skinner, »ich kann Sie versichern, Härr, wir verstehn viel zu viel von die Behandlung vons Vogelvieh jeder Art, um sowas zu tun.«

»Ganz sicher, daß Sie nicht Ihren Mittagsabfall – – mir war, ich hätte die Knochen eines Kaninchens in der hinteren Ecke des Geleges herumliegen sehen – –«

Aber als sie hingingen und sie sich ansahen, fanden sie, daß es die größeren Knochen einer Katze waren; sie waren sehr sauber und trocken abgepickt.

III

» Das ist kein Kücken,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane.

»Na, ich sollte meinen, ich kenn' ein Kücken, wenn ich's sehe,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane hitzig.

»Erstens ist es für ein Kücken zu groß, und außerdem kann man ganz genau sehen, daß es kein Kücken ist.«

»Es sieht eher aus wie eine Trappgans, als wie ein Kücken.«

»Für meinen Teil,« sagte Redwood, der sich widerstrebend von Bensington in die Erörterung hineinziehen ließ, »muß ich gestehen, in Anbetracht all des Beweismaterials – –«

»O! wenn Sie so kommen,« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, »statt wie ein vernünftiger Mensch Ihre Augen aufzumachen – –«

»Ja, aber wirklich, Miß Bensington, –!«

»O! nur weiter!« sagte Cousine Jane. »Sie Männer sind alle gleich.«

»In Anbetracht all des Beweismaterials fällt es sicherlich unter die Definition – ohne Zweifel ist es abnorm und hypertrophisch – zumal es aus dem Ei einer normalen Henne ausgebrütet ist – ja, ich glaube, Miß Bensington, ich muß zugeben – soweit man ihm irgendeinen Namen geben kann, muß man es ein Kücken nennen.«

»Sie meinen, es ist ein Kücken?« sagte Cousine Jane.

»Ich glaube, es ist ein Kücken,« sagte Redwood.

»Was für ein Unsinn!« sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, und: »O!« gegen Redwoods Kopf gerichtet, »ich hab' keine Geduld mehr mit Ihnen,« und dann machte sie plötzlich kehrt und ging zum Zimmer hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.

»Und mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich es auch sehe, Bensington,« sagte Redwood, als der Widerhall des Türzuschlagens erstorben war. »Obgleich es so groß ist.«

Ohne das geringste Drängen von seiten Mr. Bensingtons setzte er sich in den niedrigen Sessel am Kamin und bekannte sich zu Taten, die selbst bei einem unwissenschaftlichen Mann gewagt gewesen wären. »Ich weiß, Sie werden es voreilig von mir finden, Bensington,« sagte er, »aber die Sache ist die, ich habe vor beinahe einer Woche ein wenig davon – nicht viel – aber etwas – in Babys Flasche getan.«

»Aber wenn nun – –!« rief Mr. Bensington aus.

»Ich weiß,« sagte Redwood und blickte das Riesenkücken in der Schüssel auf dem Tische an.

»Es ist alles gut geworden, dem Himmel sei Dank,« und er fühlte in seiner Tasche nach seinen Zigaretten.

Er gab fragmentarische Details. »Arme kleine Kerl wurde schwerer ... furchtbare Angst. – Winkles, ein scheußlicher Schafskopf ... früherer Schüler von mir ... nützte nichts ... Mrs. Redwood – unbedingtes Vertrauen zu Winkles ... Sie wissen ja, Mann mit 'nem Wesen wie eine Klippe – türmend ... Kein Vertrauen zu mir, natürlich ... Hab' Winkles unterrichtet ... kaum geduldet in der Kinderstube ... Irgendwas mußte geschehen ... Schlüpfte hinein, als die Amme frühstückte ... holte die Flasche.«

»Aber er wird wachsen,« sagte Mr. Bensington.

»Er wächst. Anderthalb Pfund, letzte Woche. Sie sollten Winkles hören. Es ist die Behandlung, sagte er.«

»Himmel! Das sagt Skinner auch!«

Redwood sah das Kücken von neuem an. »Die Schwierigkeit ist, die Sache aufrecht zu erhalten,« sagte er. »Sie lassen mich nicht allein in die Kinderstube, weil ich einmal versucht habe, eine Wachstumskurve von Georgina Phyllis zu bekommen. – Sie wissen ja – und wie ich ihm eine zweite Dosis geben soll –«

»Müssen Sie?«

»Er hat zwei Tage lang geschrien – kann jedenfalls mit seiner gewöhnlichen Nahrung nicht mehr auskommen. Er braucht jetzt mehr.«

»Sagen Sie's Winkles.«

»Zum Henker mit Winkles!« sagte Redwood.

»Sie können sich an Winkles machen und ihm Pulver fürs Kind geben – –.«

»Das werde ich schon noch tun müssen,« sagte Redwood und stützte das Kinn auf die Faust und starrte ins Feuer.

Bensington stand eine Weile da und streichelte die Federn auf der Brust des Riesenkückens. »Das werden kolossale Vögel,« sagte er.

»Das werden sie,« sagte Redwood, die Augen noch immer auf die Glut gerichtet.

»So groß wie Pferde,« sagte Bensington.

»Größer,« sagte Redwood. »Das ist es gerade!«

Bensington wandte sich von dem Probekücken ab. »Redwood,« sagte er, »diese Vögel werden Sensation erregen.«

Redwood nickte mit dem Kopfe gegen das Feuer.

»Und bei Gott!« sagte Bensington, indem er sich plötzlich mit einem Blitz in der Brille umdrehte, »Ihr kleiner Junge auch.«

»Daran denke ich gerade,« sagte Redwood.

Er lehnte sich zurück, seufzte, warf seine halb aufgerauchte Zigarette ins Feuer und schob die Hände tief in die Hosentaschen. »Daran denk ich gerade. Diese Herakleophorbia wird im Gebrauch ein wunderliches Zeug werden. Wie das Kücken gewachsen sein muß – –!«

»Ein kleiner Junge, der so wächst,« sagte Mr. Bensington langsam und starrte bei diesen Worten das Kücken an.

»Ich sage nur!« sagte Bensington. » Groß wird er.«

»Ich werde ihm immer kleinere Dosen geben,« sagte Redwood. »Oder auf jeden Fall wird Winkles es tun.«

»Es ist beinahe ein zu gewagtes Experiment.«

»Sehr gewagt.«

»Und doch, wissen Sie, ich muß gestehen. – Irgendein Baby wird es früher oder später versuchen müssen.«

»O, wir werden es an irgendeinem Baby versuchen – sicher!«

»Gewiß,« sagte Bensington und kam und trat auf den Kaminteppich und nahm die Brille ab, um sie zu putzen.

»Ehe ich diese Kücken gesehen hatte, Redwood, glaube ich, hatte ich noch nicht einmal angefangen – das geringste von den Möglichkeiten dessen, was wir machen, einzusehen. Es fängt erst an, mir aufzudämmern ... die möglichen Folgen ...«

Und noch immer war Mr. Bensington, wie man sich denken kann, weit davon entfernt, sich vorzustellen, welche Mine diese kleine Lunte sprengen würde.

IV

Das war Anfang Juni. Einige Wochen lang hielt ein ernster, imaginärer Katarrh Bensington ab, die Experimentalfarm zu besuchen, und einen notwendig gewordenen, flüchtigen Besuch machte Redwood. Als er zurückkehrte, war er ein Vater, der noch besorgter aussah, als er ging. Im ganzen folgten sich sieben Wochen eines stetigen, ununterbrochenen Wachstums ...

Und dann begannen die Wespen ihre Karriere.

Es war Ende Juni und fast eine Woche, ehe die Hennen in Hickleybrow ausbrachen, als die erste der großen Wespen getötet wurde. Der Bericht darüber erschien in mehreren Zeitungen, aber ich weiß nicht, ob die Nachricht Mr. Bensington erreichte, viel weniger, ob er sie mit der allgemeinen Nachlässigkeit in Verbindung brachte, die auf der Experimentalfarm vorherrschte.

Jetzt kann kaum noch ein Zweifel darüber herrschen, daß, während Mr. Skinner Mr. Bensingtons Kücken mit Herakleophorbia IV behandelte, eine Anzahl Wespen ebenso fleißig – vielleicht fleißiger – der frühen Sommerbrut in den Sandbänken jenseits der benachbarten Fichtenwälder Vorräte der gleichen Pasta zutrug. Und es ist völlig unbestreitbar, daß diese Frühbrut der Substanz ebensoviel Wachstum und Nutzen entnahm, wie Mr. Bensingtons Hennen. Es liegt in der Natur der Wespen, daß sie die tatkräftige Reife vor dem Hausgeflügel erreichen – ja, von all den Geschöpfen, die – durch die großmütige Nachlässigkeit der Skinners – an den Wohltaten teilnahmen, mit denen Mr. Bensington seine Hennen überhäufte, waren die Wespen die ersten, die in der Welt irgendwelche Rolle spielten.

Ein Wildhüter namens Godfrey auf dem Gut Oberstleutnant Rupert Hicks bei Maidstone begegnete dem ersten dieser Ungeheuer, von dem die Geschichte berichtet, und hatte das Glück, es zu töten. Er watete knietief in einem Farrenstrich über einen offenen Platz in den Buchenwäldern, die Oberstleutnant Hicks Park variieren, und er trug seine Flinte – zu seinem Glück eine doppelläufige Flinte – über der Schulter, als er das Tier zuerst erblickte. Es flog, sagt er, vor dem Licht herab, so daß er es nicht eher deutlich sehen konnte, und im Nahen gab es ein Fauchen von sich, »wie ein Automobil«. Er gibt zu, daß er Angst bekam. Es war offenbar so groß oder noch größer als eine Scheuneneule, und seinem geübten Auge muß sein Flug und besonders das nebelhafte Schwirren seiner Flügel unheimlich vogelhaft erschienen sein. Ich denke mir, der Instinkt der Selbstverteidigung mischte sich mit der langen Gewohnheit, als er, wie er sagt, »grad drauflos paffte«.

Die Sonderbarkeit des Erlebnisses beeinflußte offenbar sein sicheres Zielen; auf jeden Fall ging sein Schuß zum großen Teil fehl, und das Vieh sank nur einen Moment mit einem zornigen »Sssss«, das sofort die Wespe verriet, und dann erhob es sich wieder, und all seine Streifen glänzten im Licht. Er sagt, es wandte sich gegen ihn. Auf jeden Fall feuerte er seinen zweiten Lauf auf weniger als zwanzig Meter, warf seine Flinte hin, lief ein paar Schritt und bückte sich, um ihm auszuweichen.

Es flog seiner Überzeugung nach innerhalb eines Meters an ihm vorbei, schlug auf den Boden, erhob sich wieder, stürzte vielleicht dreißig Meter weit entfernt von neuem und überschlug sich mit zappelndem Leib, während sein Stachel im letzten Todeskampf herausstach und zurückfuhr. Er schoß nochmals seine beiden Läufe darauf ab, ehe er sich zu nähern wagte.

Als er das Vieh maß, fand er, daß es quer über die offenen Flügel siebenundzwanzig und einen halben Zoll hatte, und der Stachel war drei Zoll lang. Der Unterleib war glatt vom Rumpf abgeschossen, aber er schätzte die Länge des Geschöpfes vom Kopf bis zum Stachel auf achtzehn Zoll – was ziemlich korrekt ist. Seine Sammelaugen waren von der Größe unseres Pennystücks.

Das ist das erste bezeugte Auftreten dieser Riesenwespen. Am Tage darauf hätte ein Radfahrer, der, die Füße von den Pedalen, zwischen Sevenoaks und Tonbridge den Hügel hinabfuhr, um ein Haar ein zweites dieser Riesentiere überfahren, das über die Chaussee kroch. Beim Vorbeifahren schien es zu erschrecken, und es stieg mit einem Geräusch wie eine Sägemühle auf. Sein Rad sprang in der Aufregung des Moments auf den Fußpfad, und als er sich umblicken konnte, stieg die Wespe über den Wäldern nach Westerham hin empor.

Nachdem er kurze Zeit hindurch unsicher gefahren war, zog er die Bremse an, stieg ab – er zitterte so heftig, daß er dabei über seine Maschine stürzte – und setzte sich am Wege hin, um sich zu erholen. Er hatte nach Ashford fahren wollen, aber er kam an diesem Tage nicht über Tonbridge hinaus ...

Danach wird seltsamerweise drei Tage lang nichts mehr davon berichtet, daß irgendeine große Wespe gesehen wäre. Ich habe die meteorologischen Berichte über diese Tage nachgelesen und gefunden, daß sie bewölkt und kalt waren, und daß lokale Regenschauer fielen, was diese Unterbrechung vielleicht erklärt. Dann, am vierten Tage, kam ein blauer Himmel und strahlender Sonnenschein, und zugleich ein solcher Ausbruch von Wespen, wie ihn die Welt sicher noch nie gesehen hatte.

Wieviele große Wespen an jenem Tage zum Vorschein kamen, läßt sich unmöglich abschätzen. Es sind mindestens fünfzig Berichte von ihrem Auftreten vorhanden. Ein Opfer gab es, einen Krämer, der eins dieser Ungeheuer in einer Zuckerkiste fand und es sehr voreilig mit einem Spaten angriff, als es aufflog. Er schlug es einen Moment zu Boden, und es stach ihn durch den Stiefel, als er zum zweitenmal nach ihm schlug und seinen Rumpf entzweischnitt. Er war von beiden zuerst tot ...

Das dramatischste von allen fünfzig Beispielen ihres Auftretens war sicherlich das der Wespe, die um Mittag das Britische Museum besuchte, indem sie aus heiterem Himmel auf eine der zahllosen Tauben fiel, die im Hofe dieses Gebäudes fressen, und zum Gesimse aufflog, um ihr Opfer in Muße zu verschlingen. Darauf kroch sie eine Weile über das Museumsdach, drang durch ein Oberlichtfenster in die Kuppel des Leseraumes, summte eine kleine Weile im Innern umher – unter den Lesern entstand eine Panik – und fand zuletzt ein zweites Fenster, durch das sie mit plötzlichem Verstummen der menschlichen Beobachtung entschwand.

Die meisten anderen Berichte erzählen nur von einem Vorüberfliegen oder einem Niederlassen. Auf Aldington Knoll wurde eine Picknickgesellschaft zerstreut und alle Süßigkeiten und Marmeladen wurden verzehrt, und in der Nähe von Whitstable wurde ein Hündchen unter den Augen seiner Herrin in Stücke zerrissen ...

Die Straßen hallten an jenem Abend von Ausrufern wieder, die Zeitungsplakate widmeten sich in den größten Lettern ausschließlich den »Riesenwespen in Kent«. Aufgeregte Redakteure und Hilfsredakteure liefen gewundene Treppen auf und nieder und schrien etwas von »Wespen«. Und Professor Redwood, der um fünf aus seinem College in der Bond Street auftauchte, erhitzt von einer heftigen Diskussion mit seinem Komitee über den Preis von Bullenkälbern, kaufte ein Abendblatt, schlug es auf, wechselte die Farbe, vergaß alsbald Bullenkälber und Komitee vollständig und nahm Hals über Kopf einen Wagen nach Bensingtons Wohnung.

V

Die Wohnung, so schien es ihm, war – unter Ausschluß jedes anderen Vernunftwesens – von Mr. Skinner und seiner Stimme in Anspruch genommen, wenn anders man ihn oder sie ein Vernunftwesen nennen kann!

Die Stimme war sehr laut und gurgelte unter den Noten der Angst umher. »Es is ganß unmöglich, daß wir bleib'n, Härr. Wir sin geblieb'n, weil wir hofft'n, es würd' besser wer'n, und es is bloß schlimmer gewor'n, Härr. Es sin nicht bloß die Wesp'n, Härr – wir haben große Ohrwürmer, Härr – so große, Härr.« (Er zeigte seine ganze Hand und noch etwa drei Zoll vom fetten, schmutzigen Handgelenk.) »Mrs. Skinner krieg beinahe Anfälle davon, Härr. Und die stechenden Nesseln, bei den Ställen, Härr, die wachsen auch, Härr, und die Schlingpflanzen, die wir bei die Senkgrube gesät haben, Härr – die haben in der Nacht ihre Ranken durchs Fenstere gesteck, und Mrs. Skinner beinah bei die Beine gefaß, Härr. Das is Ihr Futter, Härr. Wo wir es hingestreut hab'n, Härr, wenn auch bloß 'n bißchen, da wächs allens doller, Härr, als ich je für möglich gehalten hab. Es is nich möglich, noch 'n Monat zu bleiben, Härr. Das is mehr, als unser Leben wert is, Härr. Und wenn uns die Wespen nich totstechen, Härr, dann werden uns die Schlingpflanzen versticken, Härr. Sie können sich nich vorstellen, Härr – wenn Se nich runter kommen und 's sich ansehn, Härr – –«

Er wandte sein höheres Auge auf das Gesims über Redwoods Kopf. »Wie soll'n wir wissen, ob die Ratten 's noch nich haben, Härr. Wir haben tagelang Angst gehab von wegen die Ohrwürmer, die wir gesehen hab'n – wie Hummer waren sie – zwei Stück, Härr – un wie furchbar die Schlingpflanzen wuchsen, und sowie ich die Wespen hörte – sowie ich sie hörte, Härr, da wußt ich Bescheid. Ich hab keine Sseit verlor'n, bloß noch 'n Knopf angenäht, den ich verlor'n hatte, und dann kam ich an. Noch diesen Augenblick, Härr, bin ich wie verrück vor Angß, Härr. Was weiß ich, was Mrs. Skinner passiert, Härr. Die Schlingpflanzen wachsen wie die Schlang'n übers ganze Haus, Härr – Gott helf mir, aber Sie brauch'n se bloß sehn, Härr, und Se springen ihn'n aus'n Weg! – und die Ohrwürmer wer'n immer größer und größer, und die Wespen – –. Sie hat nich n'mal 'n blauen Sack, Härr – wenn was passieren sollte, Härr!«

»Aber die Hennen,« sagte Mr. Bensington; »wie geht es den Hennen?«

»Wir haben se bis gessern gefüttert, Gott soll mir helfen,« sagte Mr. Skinner. »Aber heut' morgen haben wir's nich gewag, Härr. Der Lärm von die Wespen war – ganz furchbar, Härr. Sie kamen rauß – zu Duzzenden, Härr. So groß wie Hennen. Ich sag zu ihr, ich sag, näh mir man bloß 'n paar Knöpfe an, sag ich, denn ich kann nich so nach London gehn, sag ich, un ich will zu Mißter Bensington, sag ich, un ihm die Sache auseinandersetzen. Un du bleibst mich in dies Zimmer, bis ich zurückkomm, sag ich, und hälß die Fenster so feß zu wie du nur kannß, sag ich.«

»Wenn Sie nicht so verdammt unsauber gewesen wären – –« sagte Redwood.

»O! sagen Se das nich, Härr,« sagte Skinner. »Nicht jetzt, Härr. Wo ich so bekümmert bin um Mrs. Skinner, Härr! O, bitte nich, Härr! Ich hab nich das Herz, mit Ihnen zu streiten. Gott soll mir helfen, Härr, wahrhaftig! Ich muß immerlos an die Ratten denk'n – wie soll ich wissen, daß se sich nich an Mrs. Skinner gemacht haben, während ich mich hier aufhalte?«

»Und Sie haben kein einziges Maß von all diesen wundervollen Wachstumskurven!« sagte Redwood.

»Ich bin ßu aus'm Häuschen, Härr,« sagte Mr. Skinner. »Wenn Se wüssen, was wir durchgemach haben – ich un meine Frau! Den ganßen letzen Monat. Wir hab'n nich gewuß, was wir dadraus machen sollt'n. Mit die Hennen, die so üppig wuchs'n und die Ohrwürmer un Schlingpflanz'n. Ich weiß nich, ob ich Ihn'n erzählt hab, Härr – die Schlingpflanzen ...«

»Das haben Sie uns alles schon erzählt,« sagte Redwood. »Die Sache ist, Bensington, was sollen wir tun?«

»Was sollen wir tun?« sagte Mr. Skinner.

»Sie werden zu Mrs. Skinner zurückgehn müssen,« sagte Redwood. »Sie können sie da nicht die ganze Nacht allein lassen.«

»Nich allein, Härr, das tu ich nich. Das tät ich nich, und wenn 'n Dutzend Mrs. Skinner da wären. Mister Bensington – –«

»Unsinn,« sagte Redwood. »Die Wespen werden nachts Ruhe geben. Und die Ohrwürmer werden Ihnen aus dem Wege gehn –«

»Aber die Ratten?«

»Ratten sind gar nicht da,« sagte Redwood.

VI

Seine Hauptangst hätte Mr. Skinner sich sparen können. Mrs. Skinner harrte ihren Tag nicht aus.

Gegen elf Uhr begannen die Schlingpflanzen, die den ganzen Morgen über in ruhiger Tätigkeit gewesen waren, über das Fenster zu klettern und es stark zu verdunkeln, und je dunkler es wurde, um so klarer sah Mrs. Skinner ein, daß ihre Stellung schnell unhaltbar werden würde. Und auch, daß sie viele Jahre gelebt hatte, seit Skinner fort war. Sie blickte eine Zeitlang aus dem dunklen Fenster durch die sich regenden Ranken, und ging dann sehr vorsichtig an die Bettzimmertür, öffnete sie und lauschte ...

Alles schien ruhig, und so nahm Mrs. Skinner ihre Kleider hoch um sich auf und rannte mit einem Satz ins Schlafzimmer. Dort sah sie erst unters Bett und schloß sich ein; dann machte sie sich mit der methodischen Geschwindigkeit einer erfahrenen Frau daran, zum Aufbruch zu packen. Das Bett war noch nicht gemacht, und das Zimmer war mit den Stücken der Schlingpflanzen besät, die Skinner abgehackt hatte, um über Nacht das Fenster schließen zu können. Aber um diese Unordnung kümmerte sie sich nicht. Sie packte in ein reines Laken. Sie packte all ihre eigene Garderobe ein und eine Velvetjacke, die Skinner in seinen eleganteren Momenten trug, und sie packte einen Krug mit Eingelegtem ein, der noch ungeöffnet war, und soweit war sie in ihrem Packen gerechtfertigt. Aber sie packte auch zwei von den hermetisch geschlossenen Büchsen mit Herakleophorbia IV ein, die Mr. Bensington bei seinem letzten Besuch mitgebracht hatte. (Sie war keine Diebin, die gute Frau – aber sie war Großmutter, und das Herz hatte ihr im Leibe gebrannt, als sie so gutes Wachstum auf eine Bande verdammter Kücken verschwendet sah.)

Und als sie all diese Dinge gepackt hatte, setzte sie den Hut auf, nahm die Schürze ab, band ein neues Schuhband um ihren Schirm, lauschte lange an Tür und Fenster, öffnete die Tür und vollzog den Ausfall in die gefahrenvolle Welt. Der Schirm stak ihr unterm Arm, und das Bündel hielt sie mit zwei krummen und entschlossenen Händen gepackt. Es war ihr bester Sonntagshut, und die beiden Mohnblumen, die den Kopf mitten unter seiner Pracht an Bändern und Perlen erhoben, schienen erfüllt vom gleichen zitternden Mut wie sie.

Die Züge um ihre Nasenwurzel waren kraus vor Entschlossenheit. Sie hatte genug davon. Hier ganz allein! Skinner mochte dahin zurückkehren, wenn er wollte.

Sie ging zur Vordertür hinaus und zwar nicht, weil sie nach Hickleybrow gehen wollte (ihr Ziel war Cheasing Eyebright, wo ihre verheiratete Tochter wohnte), sondern weil die Hintertür wegen der Schlingpflanzen unpassierbar war, die so wütend gewachsen waren, seit sie in der Nähe ihrer Wurzeln die Kanne mit dem Nährstoff umgestoßen hatte. Sie lauschte eine Weile und schloß die Vordertür aufs sorgfältigste hinter sich.

An der Hausecke machte sie Halt und rekognoszierte ...

Eine weite Sandnarbe am Hügel hinter den Fichtenwäldern bezeichnete das Nest der Riesenwespen, und die studierte sie mit allem Ernst. Das Ein- und Ausfliegen des Morgens war vorbei, es war gerade keine Wespe in Sicht, und abgesehen von einem Ton, der kaum merklicher war, als es eine arbeitende Dampfsäge zwischen den Fichten gewesen wäre, war alles still. Ohrwürmer sah sie keine. Unten im Kohl freilich rührte sich etwas, aber es konnte ebensogut eine Katze sein, die Vögel beschlich. Das beobachtete sie eine Zeitlang.

Sie ging ein paar Schritte um die Ecke, bekam das Gehege mit den Riesenkücken in Sicht und machte wieder Halt. »Ah!« sagte sie und schüttelte bei ihrem Anblick langsam den Kopf. Sie waren um die Zeit von der Höhe der Emus, aber im Rumpf natürlich viel dicker – überhaupt größer. Es waren jetzt lauter Hennen und im ganzen fünf, da die zwei Hähne sich getötet hatten. Sie zögerte, als sie ihre gedrückte Haltung sah. »Die armen Tierchen!« sagte sie und legte ihr Bündel nieder; »sie haben kein Wasser. Und seit vierundzwanzig Stunden haben sie nichts zu fressen gehabt! Und bei dem Appetit, den sie haben!« Sie legte sich einen hageren Finger an die Lippen und ging mit sich zu Rate.

Und dann tat dieses schmutzige, alte Weib etwas, was mir als eine ganz heroische Tat des Erbarmens erscheint. Sie ließ ihr Bündel und ihren Schirm mitten auf dem Ziegelpfad liegen, ging an den Brunnen und schöpfte nicht weniger als drei Eimer voll Wasser für den leeren Trog der Kücken, und als sie sich alle darum drängten, machte sie ganz leise die Tür des Geheges auf. Dann wurde sie äußerst beweglich, nahm ihr Gepäck wieder auf, kletterte hinten im Garten über die Hecke, ging über die üppigen Wiesen (um dem Wespennest auszuweichen) und arbeitete sich den gewundenen Pfad nach Cheasing Eyebright hinauf.

Sie keuchte den Hügel hinauf und blieb im Gehen hin und wieder stehen, um ihr Bündel abzulegen und auf das kleine Landhaus neben dem Fichtenwalde unten zurückzustarren. Und als sie zuletzt nahe beim Kamm des Hügels in weiter Ferne drei verschiedene Wespen schwer nach Westen niedersinken sah, half ihr das sehr auf ihrem Wege.

Sie war bald aus dem freien Lande heraus und auf dem hohen Hohlwege dahinter (dort schien es ihr sicherer) und eilte so an Hickleybrow Combe hinauf in die Dünen. Dort am Fuße der Dünen, wo ihr ein großer Baum den Schein des Schutzes gewährte, ruhte sie eine Weile auf einem Gatter.

Dann sehr entschlossen wieder vorwärts ...

Man stellt sie sich, hoffe ich, vor, mit ihrem weißen Bündel, wie sie, eine Art aufrechter schwarzer Ameise unter der heißen Sonne des Sommernachmittags den kleinen, weißen Wegpfad hin quer durch die Dünenhänge entlang eilte. Immer vorwärts arbeitete sie, ihrer entschlossenen, unermüdlichen Nase nach, und der Mohn auf ihrem Hute zitterte beständig, und ihre Stiefel wurden vom Dünenstaub immer weißer. Klipp, klapp, klipp, klapp, machten ihre Schritte durch die stille Hitze des Tages, und hartnäckig, unheilbar suchte ihr Schirm unter dem Ellbogen, der ihn festhielt, herauszuschlüpfen. Die Mundfalte unter ihrer Nase war mit äußerster Entschlossenheit gerümpft, und immer wieder sagte sie ihrem Schirm, er solle heraufkommen, oder sie gab ihrem fest gepackten Bündel einen rachsüchtigen Stoß. Und bisweilen bewegten sich ihre Lippen vor Fragmenten einer vorausgesehenen Auseinandersetzung mit Skinner.

Und in weiter Ferne, Meilen und Meilen weit entfernt, wuchsen ein Kirchturm und ein Hügel unmerklich aus dem unbestimmten Blau empor und markierten immer deutlicher den ruhigen Winkel, wo Cheasing Eyebright vor dem Tumult der Welt geschützt dalag und wenig oder nicht an die in jenem weißen Bündel verborgene Herakleophorbia dachte, die so beharrlich zu seinem geordneten Asyl emporstrebte.

VII

Soweit ich in Erfahrung bringen kann, kamen die Hennen gegen drei Uhr nachmittags nach Hickleybrow. Ihre Ankunft muß eine lebendige Geschichte gewesen sein, obgleich niemand auf der Straße gewesen war, um sie zu sehen. Das heftige Schreien des kleinen Skelmersdale scheint die erste Kunde von etwas Auffallendem gegeben zu haben. Miß Durgan vom Postamt stand, wie gewöhnlich am Fenster und sah die Henne, die das unglückliche Kind gepackt hatte, mit ihrem Opfer rasend die Straße hinauffliehen, von zwei anderen eng verfolgt. Man kennt ja jenen schwingenden Schritt der emanzipierten, athletischen, modernen Henne! Man kennt die scharfe Beharrlichkeit des hungrigen Huhns!

Wahrscheinlich wurde Miß Durgan nicht völlig überrumpelt. Trotz Mr. Bensingtons Einschärfung des Geheimnisses waren Gerüchte von den großen Kücken, die Mr. Skinner züchtete, im Dorf seit Wochen im Umlauf gewesen. »Himmel!« rief sie, »das hab' ich erwartet.«

Sie scheint sich mit großer Geistesgegenwart benommen zu haben. Sie griff sofort den versiegelten Briefsack auf, der nach Urshot weitergehen sollte, und stürzte zur Tür hinaus. Fast zugleich erschien Mr. Skelmersdale selber unten im Dorf, in der Hand eine Gießkanne, die er am Ausguß gepackt hielt, und im Gesicht sehr weiß. Und natürlich stürzte alles im Dorf im Nu an Tür und Fenster.

Das Schauspiel der Miß Durgan auf der Straße, mit der Hickleybrowschen Korrespondenz eines ganzen Tages in der Hand, gebot der Henne, die Master Skelmersdale gepackt hielt, Einhalt. Sie zögerte einen Moment der Unentschiedenheit und wandte sich dann zu den offenen Toren von Fulchers Hof. Der Moment war verhängnisvoll. Die zweite Henne rannte scharf gegen sie an, ergriff das Kind mit wohlgezieltem Picken und sprang über die Mauer in den Pfarrgarten.

»Karahk, kahk, kahk, kahk, kahk!« kreischte die hinterste Henne, scharf getroffen von der Gießkanne, die Mr. Skelmersdale geworfen hatte, und flatterte wild über Mrs. Glues Haus und so auf das Feld des Doktors, während der Rest dieser gargantuanischen Vögel die Henne, die das Kind trug, über den Pfarrasen hin verfolgte.

»Gütiger Himmel!« rief der Pfarrer, oder auch (wie manche sagen) etwas viel Männlicheres, und indem er seinen Krockethammer schwang und schrie, lief er der Jagd voran.

»Halt, du Vieh!« rief der Pfarrer, als wären Riesenhühner etwas ganz Gewöhnliches im Leben.

Und als er dann sah, daß er sie unmöglich würde abfangen können, schleuderte er mit aller Macht und Kraft seinen Hammer, und hin flog er in anmutiger Kurve, und um einen Fuß an Master Skelmersdales Kopf vorbei und durch die Glashaube des Gewächshauses. Krach! Das neue Gewächshaus! Der Frau Pfarrerin schönes, neues Gewächshaus!

Das erschreckte die Henne. Es hätte jeden erschreckt. Sie ließ ihr Opfer in einen Lorbeerbusch fallen (aus dem es alsbald herausgezogen wurde, zersaust, aber, abgesehen von seinen weniger zarten Kleidern, unverletzt), sprang mit einem Flügelschlag auf das Dach von Mr. Fulchers Ställen, trat durch eine schwache Stelle der Ziegel und kam sozusagen aus der Unendlichkeit in die beschauliche Ruhe des gelähmten Mr. Bumps herabgestürzt – der, wie jetzt über jeden Zweifel bewiesen ist, dieses eine Mal in seinem Leben ohne jede Hilfe durch seinen ganzen Garten und ins Haus kam, wo er sofort wieder in christliche Resignation und hilflose Abhängigkeit von seiner Frau verfiel ...

Die anderen Hennen wurden von den anderen Krocketspielern zurückgetrieben und liefen durch des Pfarrers Küchengarten auf des Doktors Feld, zu welchem Rendezvous schließlich auch die fünfte kam, die nach einem erfolglosen Versuch, auf den Gurkenrahmen auf Mr. Witherspoons Hof zu gehen, trostlos gluckste.

Es scheint, sie standen eine Zeitlang nach Hennenart umher, scharrten ein wenig und gackerten nachdenklich, und dann pickte eine nach einem Bienenkorb des Doktors und darüber weg, und darauf setzten sie tölpisch, ruckweise, federig quer über die Felder auf Urshot zu, und die Straße von Hickleybrow sah sie nicht mehr. In der Nähe von Urshot trafen sie wirklich auf angemessenes Futter in Gestalt eines Rübenfeldes und pickten eine Zeitlang mit Gusto, bis sie ihr Ruf einholte.

Die unmittelbare Hauptreaktion dieses erstaunlichen Einbruchs von Riesenvögeln in den Bereich des menschlichen Geistes war eine außerordentliche Leidenschaft zu schreien und zu rennen und Gegenstände zu werfen, und in ganz kurzer Zeit war fast die ganze mobile Mannschaft von Hickleybrow, und sogar mehrere Damen, mit einer wunderbaren Sammlung von Schlag- und Wurfinstrumenten in der Hand auf den Beinen. Sie trieben sie nach Urshot hinein, wo ein Landfest im Gange war, und Urshot nahm sie als den Haupttrumpf eines glücklichen Tages auf. Man begann bei Findon Beeches auf sie zu schießen, aber zunächst nur mit einer Krähenflinte. Natürlich konnten Vögel von der Größe unbegrenzte Mengen kleinen Schrotes ohne Unbehagen vertragen. Sie zerstreuten sich irgendwo in der Nähe von Sevenoaks, und bei Tonbridge floh einer von ihnen in äußerster Aufregung etwas vor und parallel mit dem Nachmittags-Dampferexpreßzug einher – zur großen Verwunderung aller, die sich darin befanden.

Und gegen halb sechs wurden zwei von ihnen auf sehr geschickte Weise von einem Zirkusbesitzer in Tunbridge Wells gefangen. Er lockte sie in einen Käfig, der durch das Ableben eines verwitweten Dromedars leer geworden war, indem er Kuchen und Brot hinstreute.

VIII

Als der unglückliche Mr. Skinner an diesem Abend zu Urshot aus dem Zuge der South-Eastern-Railway stieg, war es beinahe Dämmerung. Der Zug hatte Verspätung, aber keine ungehörige Verspätung – und Mr. Skinner machte gegen den Stationsvorsteher eine Bemerkung darüber. Vielleicht sah er etwas im Auge des Stationsvorstehers lauern. Nach dem kürzesten Zögern und mit einer vertraulichen Handbewegung neben seinem Munde fragte er, ob heute »irgendwas« passiert sei.

»Wie meinen Sie?« sagte der Stationsvorsteher, ein Mann mit harter, emphatischer Stimme.

»De Wespen hier und de Viecher.«

»Wir hab'n nich viel Zeit gehab, an Wespen ze denken,« sagte der Stationsvorsteher liebenswürdig. »Wir hab'n ze viel mit Ihre verdammten Hennen ze tun gehab,« und er eröffnete Mr. Skinner die Neuigkeit von den Hühnern, wie man einem politischen Gegner die Fenster einschlägt.

»Sie hab'n nichß von Mrs. Skinner gehört?« fragte Skinner mitten unter dem Geschoßschauer von Auskunft und Anmerkung.

»Keine Angst!« sagte der Stationsvorsteher – als wisse er etwas.

»Dadrüber muß ich Erkunnigungen einßiehen,« sagte Mr. Skinner, indem er sich aus dem Bereich von des Stationsvorstehers zwingenden Verallgemeinerungen über die Verantwortlichkeit fortschob, die an der Überernährung von Hennen hinge ...

Als er durch Urshot ging, wurde Mr. Skinner von einem Kalkbrenner aus den Gruben drüben bei Hankey angerufen und gefragt, ob er nach seinen Hennen suche.

»Sie haben nichß von Mrs. Skinner gehört?« fragte er.

Der Kalkbrenner – besten genaue Phrasen uns nicht interessieren – gab seinem höheren Interesse an Hennen Ausdruck ...

Es war schon dunkel – wenigstens so dunkel wie eine klare Juninacht in England sein kann – als Skinner – oder wenigstens sein Kopf in die Schenke zu den Lustigen Fuhrknechten kam und sagte: »Hallo! Sie hab'n woll nichß von die Geschichte mit meine Hennen gehör, was?«

»O, nich!« sagte Mr. Fulcher. »Na, 'n Teil von die Geschichte is mir in 'n Stalldach eingebrochen, und 'n anneres Kapitel hat 'n Loch in Missis Pasters Mistbeet – bitt' um Verzeihung – Gewächshaus geschlagen.«

Skinner trat ein. »Ich hätt' gern 'n bißchen was Stärkendes,« sagte er, »heißen Gin mit Wasser,« und alles begann ihm von den Hühnern zu erzählen.

»Du meine Güte!« sagte Skinner.

»Sie hab'n nichß von Mrs. Skinner gehör, was?« fragte er in einer Pause.

»Das hab'n wir nich!« sagte Mr. Witherspoon. »Wir hab'n nich an sie gedach. Wir hab'n an keinen von Ihnen gedach.«

»Sin Sie heute nich ze Haus gewes'n,« fragte Fulcher über einem Krug.

»Wenn einer von diese verdammtigen Vögel se gepick hat,« begann Mr. Witherspoon und überließ ihrer Phantasie das volle Grauen ohne Hilfe ...

Es deuchte die Versammlung zur Zeit, es werde ein interessanter Schluß eines ereignisreichen Tages sein, wenn man mit Skinner ginge und nachsähe, ob Mrs. Skinner etwas passiert sei. Man weiß nie, was man für Glück haben kann, wenn Unglücksfälle im Schwange sind. Aber Skinner, der am Schenktisch stand und seinen heißen Gin mit Wasser trank, während sein eines Auge über die Dinge hinter dem Schenktisch schweifte und das andere aufs Absolute fixiert war, verfehlte den psychologischen Moment.

»Es schein, mit die großen Wespen hat es heute nirgenß was gegeben?« fragte er mit ausgesuchter Uninteressiertheit.

»Zu viel mit Ihre Hennen ze tun gehab,« sagte Fulcher.

»Ich glaub, jetz sin se auf jeden Fall nach Haus gegangen,« sagte Skinner.

»Was – die Hennen?«

»Ich dachte eigentlich mehr an die Wespen,« sagte Skinner.

Und dann fragte er mit einer Miene der Vorsicht, die in einem wochenalten Baby Argwohn erweckt hätte, indem er schweren Nachdruck auf die meisten Worte legte, die er wählte: »Mir schein, nieman hat noch von irgeneinen annerm großen Vieh gehör, das rumläuf, was? Großen Hunnen oder Katzen oder irgen so was? Mir schein, wenn große Hennen aufkommen, und große Wespen – –«

Er lachte mit dem fein gespielten Ausdruck eines Mannes, der müßiges Zeug redet.

Aber über die Gesichter der Leute aus Hickleybrow legte sich ein brütender Ausdruck. Fulcher war der erste, der ihrem sich verdichtenden Denken die konkrete Form der Worte lieh.

»Eine Katz gegen die Hennen – –« sagte Fulcher.

»Jaah!« sagte Witherspoon, »eine Katz gegen die Hennen.«

»Das müßt 'n Tiger sein,« sagte Fulcher.

»Mehr als 'n Tiger,« sagte Witherspoon.

Als schließlich Skinner dem einsamen Fußpfad über das schwellende Feld hin folgte, das Hickleybrow von der düsteren, fichtendunklen Mulde trennte, in der die Riesenschlingpflanzen im Schweigen mit der Experimentalfarm rangen, folgte er ihm allein.

Man sah ihn deutlich am Horizont aufragen, vor der warmen, klaren Unendlichkeit des Nordhimmels – denn so weit folgte ihm das öffentliche Interesse – und dann in die Nacht versinken, in ein Dunkel, aus dem er, will es scheinen, nie wieder auftauchen wird. Er ging – in ein Geheimnis. Bis auf den heutigen Tag weiß niemand, was ihm passiert ist, nachdem er den Kamm überschritten hatte. Als später, getrieben von ihrer eigenen Phantasie, die beiden Fulchers und Witherspoon den Hügel emporstiegen und ihm nachstarrten, hatte ihn die Nacht völlig verschlungen.

Die drei Männer standen nah beieinander. Kein Laut kam aus dem bewaldeten Dunkel, das ihren Augen die Farm verbarg.

»Alles in Ordnung,« sagte der junge Fulcher am Schluß des Schweigens.

»Seh keine Lichter,« sagte Witherspoon.

»Kann man nicht von hier.«

»Es is dunstig,« sagte der ältere Fulcher.

Sie überlegten eine Weile.

»Er wär zurückgekomm'n, wenn was verkehr wär,« sagte der junge Fulcher, und das schien so klar und entscheidend, daß der alte Fulcher »Na« sagte, und die drei gingen nach Haus und zu Bett – ich will zugeben, nachdenklich.

Ein Hirt draußen bei Hucksters Farm hörte nachts ein Quietschen, für dessen Quelle er Füchse hielt, und morgens war eins seiner Lämmer getötet, halbwegs nach Hickleybrow geschleppt und zum Teil verschlungen ...

Das Unerklärliche daran ist das völlige Fehlen jeder unbestreitbaren Überreste Skinners!

Viele Wochen später fand man unter den verkohlten Ruinen der Experimentalfarm etwas, was ein menschliches Schulterblatt so gut sein konnte wie nicht, und in einem anderen Teil der Ruinen einen langen Knochen, der stark benagt und gleich zweifelhaft war. In der Nähe des Gatters nach Eyebright zu fand man ein Glasauge, und viele Leute entdeckten darauf, daß Skinner einem solchen Besitztum viel von seinem persönlichen Charme verdankte. Es starrte mit jenem gleichen unvermeidlichen Ausdruck der Losgelöstheit in die Welt hinaus, jener gleichen, ernsten Melancholie, die die Erlösung seiner sonst weltlichen Züge gewesen war.

Und rings um die Ruinen entdeckte eine fleißige Nachsuche die Metallringe und die verkohlten Bezüge zweier Leinenknöpfe, drei ganze Knochenknöpfe und einen jener metallischen Art, wie sie an den weniger sichtbaren Nähten der menschlichen Bekleidung getragen werden. Diese Reste sind von maßgebenden Personen als für die Vernichtung und Zerstreuung eines Skinner beweisend angesehen worden, aber nach meiner vollen Überzeugung und in Anbetracht seiner charakteristischen Idiosynkrasie, muß ich gestehen, wären mir weniger Knöpfe und mehr Knochen lieber.

Das Glasauge scheint natürlich äußerste Überzeugungskraft zu besitzen, aber wenn es wirklich Skinner gehört hat – und selbst Mrs. Skinner wußte nicht sicher, ob jenes sein unbewegliches Auge aus Glas war – so hat irgend etwas seine Farbe aus einem flüssigen Braun in ein heiteres und zuversichtliches Blau verwandelt. Jenes Schulterblatt ist ein äußerst zweifelhaftes Dokument, und ich sähe es gern Seite an Seite neben den benagten Scapulae einiger der gewöhnlicheren Haustiere, ehe ich seine Menschlichkeit zugäbe.

Und wo waren zum Beispiel Skinners Stiefel? So pervers und seltsam das Gelüst einer Ratte sein muß, ist es zu denken, daß dieselben Geschöpfe, die ein Lamm nur halbverzehrt liegen lassen konnten, Skinner rein aufgefressen haben sollten, Haar, Knochen, Zähne und Stiefel?

Ich habe so viele Menschen, die Skinner einigermaßen genau kannten, ausgefragt, wie ich nur konnte, und samt und sonders stimmten sie darin überein, daß sie sich nicht vorstellen konnten, daß irgend etwas ihn fressen mochte.

Er gehörte, wie mir ein ehemaliger Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und in einem von Mr. W. W. Jacobs' Häusern in Dunton Green wohnte, versichert hat, zu jenen Menschen mit einer vorsichtigen Bedeutsamkeit des Wesens, wie sie in jenen Gegenden nicht ungewöhnlich ist, Menschen, die »irgendwie aufgespült werden« und, was das verzehrende Element angeht, »gerade dazu taugen, ein Feuer auszulöschen«. Er meinte, Skinner werde auf einem Floß so sicher sein wie irgendwo. Der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, fügte hinzu, er wünsche nichts gegen Skinner zu sagen; Tatsachen seien Tatsachen. Und lieber als sich seine Kleider von Skinner machen lassen, sagte der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, wollte er die Gefahr auf sich nehmen, daß man ihn einsperrte. Diese Bemerkungen zeigten Skinner sicherlich nicht im Licht eines appetitanregenden Gegenstandes.

Um ganz offen gegen den Leser zu sein, so glaube ich nicht, daß er jemals auf die Experimentalfarm zurückgekehrt ist. Ich glaube, er trieb sich lange zögernd um die Felder der Scholle von Hickleybrow umher, und als dann jenes Quietschen begann, wählte er die Linie des geringsten Widerstandes aus seinen Schwierigkeiten in das Unbekannte hinaus.

Und im Unbekannten, ob in dieser oder der anderen, unerforschten Welt, ist er bis auf den heutigen Tag hartnäckig und ganz unbestreitbar geblieben ...


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