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Die Erniedrigung Mr. Bensingtons

I

Noch während die Königliche Kommission für Herakleophorbia ihren Bericht vorbereitete, begann der Nährstoff die Eigentümlichkeit zu verraten, daß er überall durchsickerte. Und daß dieser zweite Ausbruch so früh kam, war, jedenfalls von Cossars Gesichtspunkt aus, um so unglücklicher, als der bereits entworfene Bericht, der noch vorhanden ist, zeigt, daß die Kommission sich schon unter der Führung jenes höchst fähigen Mitglieds, Doktor Stephen Winkles (F. R. S., M. D., F. R. C. P., D. Sc., I. P., D. L., usw.) darüber klar geworden war, daß zufällige Verbreitung unmöglich sei, und bereit war zu empfehlen, wenn man die Herstellung der Herakleophorbia einem geeigneten Komitee (hauptsächlich Winkles) anvertraue, so daß sie über den Verkauf völlige Kontrolle habe, so sei das ganz genug, um alle vernünftigen Einwände gegen die freie Verbreitung zu befriedigen. Dieses Komitee sollte ein absolutes Monopol haben. Und es ist zweifellos als ein Beispiel für die Ironie des Lebens anzusehen, daß der erste und beängstigendste dieser zweiten Reihe von Ausbrüchen keine fünfzig Meter weit von einem kleinen Landhaus zu Keston entfernt stattfand, das während der Sommermonate Doktor Winkles innehatte.

Es kann jetzt wenig Zweifel mehr darüber bestehen, daß Redwoods Weigerung, Winkles mit der Komposition von Herakleophorbia IV bekannt zu machen, in jenem Herrn ein neues und intensives Verlangen nach analytischer Chemie geweckt hatte. Er war kein sehr erfahrener Experimentator, und wahrscheinlich hielt er es eben aus diesem Grunde für angebracht, seine Arbeit nicht in den ausgezeichnet ausgerüsteten Laboratorien vorzunehmen, die ihm in London zur Verfügung standen, sondern, ohne irgend jemanden zu Rate zu ziehen, arbeitete er in einem rohen, kleinen Gartenlaboratorium auf dem Landhaus zu Keston. Er scheint weder sehr große Energie noch sehr großes Geschick in dieser Untersuchung entfaltet zu haben; ja, man muß annehmen, daß er die Untersuchung fallen ließ, nachdem er mit Unterbrechungen etwa einen Monat daran gearbeitet hatte.

Dieses Gartenlaboratorium, in dem die Arbeit geschah, war sehr ungenügend eingerichtet; es wurde durch eine Schlauchröhre mit Wasser versorgt, und der Abguß ging in ein Rohr, das in einen sumpfigen, binsenumstandenen Teich unter einem Erlenbaum in einem abgeschlossenen Winkel der Gartenhecke mündete. Das Rohr war geplatzt, und die Rückstände der Nahrung der Götter liefen gerade rechtzeitig für das Erwachen des Frühlings durch den Riß in eine kleine Pfütze unter Binsenbüscheln.

Alles bebte in diesem schaumigen kleinen Winkel vor Leben. Dort schwamm Froschlaich, der vor Kaulquappen zitterte, die gerade durch ihre Gelatinehülle brachen; kleine Pfützenschnecken krochen ins Leben hinaus, und unter der grünen Haut der Binsenstengel rangen sich die Larven eines großen Wasserkäfers aus ihren Eihüllen los. Ich zweifle, ob der Leser die Larve des (ich weiß nicht warum) Dyticus genannten Käfers kennt. Es ist ein gegliedertes, wunderlich aussehendes Wesen, sehr muskulös und plötzlich in seinen Bewegungen, das gern mit dem Kopf nach unten und dem Schwanz außerhalb des Wassers schwimmt; es ist von der Länge des vorderen Daumengliedes eines Mannes, eher mehr – zwei Zoll will ich für die hinzufügen, die nicht von dem Nährstoff gegessen haben – und es hat zwei scharfe Kiefer, die sich vorn an seinem Kopf treffen, röhrenartige Kiefer mit scharfen Spitzen, durch die es das Blut seiner Opfer einsaugt ...

Die ersten Wesen, die an die schwimmenden Körner des Nährstoffs gerieten, waren die kleinen Kaulquappen und die kleinen Wasserschnecken; besonders die kleinen Kaulquappen fraßen ihn mit Eifer, als sie ihn einmal geschmeckt hatten. Aber kaum begann eine von ihnen in jener kleinen Kaulquappenwelt zu einer hervorragenden Stellung heranzuwachsen und einen kleineren Bruder als Beihilfe zu der vegetarischen Kost zu probieren, so griff ihr eine von den Käferlarven mit ihren krummen Blutsaugerkrallen ins Herz, und mit jenem roten Strom zog Herakleophorbia IV in gelöstem Zustande in das System eines neuen Klienten hinüber. Das einzige, was bei diesen Ungeheuern Aussicht hatte, von dem Nährstoff etwas abzubekommen, waren die Binsen und der schleimige, grüne Schaum im Wasser und die Samenpflänzchen im Schlamm auf dem Grunde. Eine Reinigung des Laboratoriums wusch alsbald einen neuen Strom des Nährstoffs in die Pfütze hinunter und überschwemmte sie und trug diese ganze unheilvolle Steigerung des Kampfes ums Leben in den benachbarten Teich unter den Wurzeln der Erle hinüber.

Der erste, der entdeckte, was vorging, war ein Mr. Luky Carrington, ein Speziallehrer für Naturwissenschaft unter der Londoner Schulbehörde und in seiner Mußezeit Spezialist in Frischwasser-Algen, und um seine Entdeckung ist er gewiß nicht zu beneiden. Er war auf einen Tag nach Keston Common heruntergekommen, um eine Anzahl von Sammeltuben zu späteren Untersuchungen zu füllen, und als er, den mit einer Spitze versehenen Spazierstock in der Hand, über den sandigen Hügel und zu dem Teich herabkam, klapperten ihm etwa ein Dutzend Tuben in der Tasche. Ein Gartenjunge, der oben auf den Küchenstufen stand und Doktor Winkles' Hecke beschnitt, sah ihn in diesem einsamen Winkel und fand ihn und seine Beschäftigung unerklärlich und interessant genug, um ihn ziemlich scharf zu beobachten.

Er sah, wie Mr. Carrington sich, die Hand an dem alten Erlenstamm, neben dem Teich niederbückte und in das Wasser spähte, aber natürlich konnte er die Überraschung und das Vergnügen, mit dem Mr. Carrington die großen, unbekannt aussehenden Klumpen und Fäden des Algenschaums auf dem Boden erblickte, nicht würdigen. Kaulquappen waren nicht zu sehen – sie waren mittlerweile alle getötet – und es scheint, Mr. Carrington sah nichts Ungewöhnliches, außer der gesteigerten Vegetation. Er entblößte seinen Arm bis zum Ellbogen, neigte sich vor und tauchte tief hinein, um eine Probe zu fassen. Seine suchende Hand glitt hinab. Sofort blitzte aus dem kühlen Schatten unter den Baumwurzeln etwas hervor – –

Klapp! Es hatte ihm seine Krallen tief in den Arm gegraben – eine bizarre Gestalt war es, einen Fuß und mehr lang, braun, und wie ein Skorpion gegliedert.

Ihre häßliche Erscheinung und der scharfe, erschreckende Schmerz ihres Bisses – das war für Mr. Carringtons Gleichgewicht zu viel. Er fühlte, wie er fiel und schrie laut auf. Klatsch! taumelte er, den Kopf voran, in den Teich.

Der Junge sah ihn verschwinden und hörte das Klatschen seines Ringens im Wasser. Der unglückliche Mann tauchte von neuem in das Gesichtsfeld des Knaben empor, ohne Hut, triefend von Wasser, und schreiend!

Noch nie hatte der Junge einen Mann schreien hören.

Dieser erstaunliche Fremde schien an etwas auf der Seite seines Gesichtes zu zerren. Dort erschienen blutige Striche. Er warf wie in Verzweiflung die Arme hoch, sprang wie ein Rasender in die Luft, lief heftig zehn oder zwölf Meter weit, stürzte dann und rollte am Boden hin, und der Junge sah ihn nicht mehr.

Der Junge war im Nu die Stufen hinunter und durch die Hecke – zum Glück noch mit der Gartenschere in der Hand. Als er durch die Ginsterbüsche prasselte, sagt er, hatte er halb Lust, wieder umzukehren, aus Furcht, er habe es mit einem Wahnsinnigen zu tun, aber der Besitz der Schere beruhigte ihn wieder. »Ich hätte ihm«, erklärte er, »auf jeden Fall die Augen ausstechen können.« Sowie Mr. Carrington ihn zu Gesicht bekam, wurde sein Benehmen sofort das eines gesunden aber verzweifelten Menschen. Er sprang auf die Füße, stolperte, stand auf und kam dem Jungen entgegen.

»Sehen Sie!« rief er, »ich kann sie nicht abkriegen.«

Und mit Grauen sah der Junge, daß an Mr. Carringtons Backe, an seinem nackten Arm, und an seinem Schenkel drei dieser entsetzlichen Larven hingen, die großen Kiefer tief in sein Fleisch gegraben, und um das liebe Leben saugten, während ihre biegsamen, braunen, muskulösen Leiber wütend umherpeitschten. Sie packten wie Bulldoggen, und Mr. Carringtons Anstrengungen, das Ungeheuer von seinem Gesicht zu lösen, hatten nur bewirkt, daß er das Fleisch, woran es sich geklammert hielt, zerfetzte; und Gesicht und Hals und Rock waren mit lebendigem Scharlach gestreift.

»Ich schneid 'n ab,« rief der Junge; »halten Se still, Herr.«

Und mit dem Wohlgefallen seines Alters an solchen Untersuchungen trennte er einem nach dem andern von Mr. Carringtons Angreifern den Kopf vom Rumpf. »Schwapp,« sagte der Junge jedesmal mit verzerrtem Gesicht, wenn einer vor ihm niederfiel. Noch jetzt hielten sie so zäh und entschlossen fest, daß die abgetrennten Köpfe noch eine Zeitlang sitzen blieben, während sie wild zubissen und immer noch sogen und ihnen hinten das Blut aus dem Halse herausfloß. Aber dem machte der Junge mit ein paar weiteren Schnitten seiner Schere ein Ende – bei einem der Schnitte freilich wurde Mr. Carrington in Mitleidenschaft gezogen.

»Ich konnte sie nicht loskriegen!« wiederholte Carrington und stand eine Weile, schwankend und reichlich blutend, still. Er faßte mit schwachen Händen nach seinen Verletzungen und prüfte das Ergebnis auf seinen Handflächen. Dann brachen ihm die Knie, und er fiel ohnmächtig dem Knaben zu Füßen zwischen die noch zuckenden Leiber seiner geschlagenen Feinde. Zum Glück kam dem Jungen nicht der Gedanke, ihm Wasser aufs Gesicht zu spritzen – denn es lebten noch mehr von diesen Bestien unter den Erlenwurzeln – und statt dessen kehrte er an dem Pfuhl um und ging mit der Absicht in den Garten zurück, Hilfe zu rufen. Und dort traf er den Gärtner und erzählte ihm die ganze Sache.

Als sie wieder zu Mr. Carrington kamen, hatte er sich aufgesetzt; er war betäubt und schwach, aber er konnte sie vor der Gefahr im Teich warnen.

II

Das waren die Umstände, durch die die Welt zum erstenmal erfuhr, daß der Nährstoff von neuem entfesselt war. Nach einer Woche war Keston Common als das, was Naturforscher ein Distributionszentrum nennen, in voller Tätigkeit. Diesmal gab es keine Wespen oder Ratten, keine Ohrwürmer und keine Nesseln, aber es waren mindestens drei Wasserspinnen, mehrere Wasserjungfernlarven, die bald zu Wasserjungfern wurden und ganz Kent mit ihren fliegenden saphirnen Leibern blendeten, vorhanden, und ein scheußliches, gelatineartiges Schaumgewächs, das über die Teichufer hinausschwoll und seine schleimigen grünen Massen den Gartenpfad halb zu Doktor Winkles Haus hinaufsandte. Und es begann ein Wachstum von Binsen, Schachtelhalmen und Potamogeton, das erst mit der Austrocknung des Teiches aufhörte.

Es wurde der öffentlichen Meinung bald klar, daß diesmal nicht nur ein Distributionszentrum vorhanden war, sondern eine ganze Reihe von Zentren. Eins war in Ealing, darüber kann jetzt kein Zweifel mehr bestehen, und von ihm ging die Plage der Fliegen und roten Spinnen aus; eins war zu Sunbury, und es brachte große, wilde Aale hervor, die an Land kommen und Schafe töten konnten; und eins, in Bloomsbury, gab der Welt eine neue, furchtbare Art von Küchenschaben – es war ein altes Haus in Bloomsbury, stark bewohnt von unerwünschten Wesen. Plötzlich sah die Welt sich von neuem den Erfahrungen von Hickleybrow gegenüber, und an Stelle der Riesenhennen und Ratten und Wespen sah sie allerlei wunderliche Übertreibungen vertrauter Ungeheuer. Jedes Zentrum brach mit seiner eigenen, charakteristischen Lokalfauna und Flora aus ...

Wir wissen jetzt, daß jedes dieser Zentren einem von Doktor Winkles' Patienten entsprach, aber das war damals durchaus nicht bekannt. Doktor Winkles war der letzte, der sich in der Sache ein Odium zuzog. Es entstand natürlich eine Panik, es gab eine leidenschaftliche Entrüstung, aber es war eine Entrüstung nicht gegen Doktor Winkles, sondern gegen den Nährstoff wie gegen den unglücklichen Bensington, den die Volksvorstellung von Anfang an hartnäckig als den in dieser neuen Sache einzig und allein Verantwortlichen angesehen hatte.

Der Versuch, ihn zu lynchen, der darauf folgte, ist nur eins jener explosiven Ereignisse, die in der Geschichte so großen Raum einnehmen und dabei in Wirklichkeit die unbedeutendsten Geschehnisse sind.

Die Geschichte des Aufruhrs ist ein Geheimnis. Der Kern der Volksmenge kam sicherlich von einer Anti-Herakleophorbia-Versammlung im Hyde Park, die die Extremen der Caterham-Partei organisiert hatten, aber es scheint niemand anwesend gewesen zu sein, der die Ausschreitung, an der sich so viele Menschen beteiligten, zuerst vorschlug, niemand, der je eine dahingehende Andeutung hätte fallen lassen. Es ist ein Problem für Mr. Gustave le Bon, ein Geheimnis in der Psychologie der Massen. Die eine Tatsache taucht empor, daß sich Sonntag nachmittag um drei Uhr eine ungewöhnlich große und häßliche Londoner Volksmenge gänzlich unbezähmbar die Thursday Street herabwälzte, gierig auf Bensingtons exemplarischen Tod – eine Warnung für alle wissenschaftlichen Forscher – und daß sie ihrem Ziel näher kam, als es je einer Londoner Volksmenge gelungen ist, seit in den fernen Zeiten der Viktoria die Hyde-Park-Gitter eingerissen wurden. Diese Volksmasse kam ihrem Ziel so nahe, daß eine Stunde lang oder länger ein Wort das Schicksal des unglücklichen Herrn besiegelt hätte.

Das erste, was ihn auf die Sache aufmerksam machte, war der Lärm des Volkes draußen. Er ging ans Fenster und sah hinaus, ohne zu ahnen, was drohte. Eine Minute lang vielleicht beobachtete er sie, wie sie um den Eingang kochten und ein Dutzend ohnmächtige Polizisten beseitigten, die ihnen den Weg versperrten, ehe ihm seine eigene Bedeutung in der Sache klar wurde. Es ging ihm wie ein Blitz auf – daß diese brüllende, tobende Menge hinter ihm her war. Er war – vielleicht zum Glück – ganz allein in der Wohnung, da seine Cousine Jane nach Ealing hinuntergefahren war, um bei einer Verwandten mütterlicherseits Tee zu trinken, und er hatte nicht mehr Ahnung davon, wie er sich unter solchen Umständen benehmen mußte, als er von der Etikette am jüngsten Tage hatte. Er flog noch in der Wohnung umher, fragte seine Möbel, was er tun sollte, drehte Schlüssel in Schlössern und schloß dann wieder auf, er stürzte auf Türen zu, auf Fenster und auf sein Schlafzimmer – da kam der Hausdiener zu ihm herein.

»Kein Augenblick zu verlieren, Herr,« sagte er. »Sie haben die Zimmernummer auf dem Schild in der Halle gefunden! Sie kommen geradewegs rauf!«

Er stieß Mr. Bensington in den Gang hinunter, der schon von dem nahenden Tumult auf der Haustreppe widerhallte, verschloß die Tür hinter ihm und führte ihn mit Hilfe seines Doppelschlüssels in die gegenüberliegende Wohnung.

»Das ist jetzt unsere einzige Möglichkeit,« sagte er.

Er stieß ein Fenster auf, das in einen Ventilationsschacht führte, und zeigte ihm, daß die Mauer mit Eisenklammern versehen war, die die gröbste und gefährlichste Mauerleiter als Notausgang aus den oberen Stockwerken bildeten. Er schob Mr. Bensington zum Fenster hinaus, zeigte ihm, wie er sich anklammern mußte und verfolgte ihn die Leiter hinauf, indem er ihn mit einem Schlüsselbund stach und stieß, so oft er zu klettern aufhörte. Zu Zeiten war es Bensington, als müsse er diese Leiter ewig weiterklettern. Oben die Brustwehr war unzugänglich fern, unten – er mochte an das da unten nicht denken.

»Immer vorwärts,« rief der Hausdiener und faßte ihn am Knöchel. Es war geradezu grauenhaft, wenn einem so der Knöchel gepackt wurde, und Mr. Bensington klammerte sich wie ertrinkend fester an die Eisenklammer oben und stieß einen schwachen Angstschrei aus.

Ihm wurde klar, daß der Hausdiener ein Fenster zertrümmert hatte, und dann war es, als sei er eine riesige Strecke zur Seite gesprungen, und man hörte das Geräusch eines Fensters, das aufgeschoben wurde. Er schrie ihm Worte zu.

Mr. Bensington drehte vorsichtig den Kopf, bis er den Hausdiener sehen konnte. »Kommen Sie sechs Stufen herunter,« befahl der Hausdiener.

All dies Herumklettern schien furchtbar töricht, aber sehr, sehr vorsichtig tastete Mr. Bensington mit einem Fuß abwärts.

»Nicht ziehen!« schrie er, als der Hausdiener ihm aus dem offenen Fenster hinaushelfen wollte.

Ihm schien, von der Leiter aus das Fenster zu erreichen, würde für einen fliegenden Hund eine ganz achtbare Leistung sein, und eher mit dem Gedanken an einen anständigen Selbstmord als in der Hoffnung, ihn fertig zu bringen, tat er schließlich den Schritt, und ohne jedes Erbarmen zog ihn der Hausdiener herein. »Hier werden Sie bleiben müssen,« sagte der Hausdiener; »hier nützen mir meine Schlüssel nichts. Es ist ein amerikanisches Schloß. Ich gehe hinaus und werde die Tür hinter mir zuschlagen. Ich will sehen, ob ich den Bewohner dieser Etage finden kann. Sie werden eingeschlossen. Gehn Sie nicht ans Fenster, weiter ist nichts nötig. Es ist der häßlichste Pöbel, den ich je gesehen habe. Wenn sie nur glauben, daß Sie ausgegangen sind, werden sie sich wahrscheinlich damit begnügen, Ihr Zeug zu zertrümmern –«

»Das Schild sagte: Zu Hause,« erklärte Bensington.

»Zum Teufel! Na, auf jeden Fall laß ich mich besser nicht finden – –«

Er verschwand, und die Tür schlug zu.

Bensington war wieder seiner eigenen Initiative überlassen.

Sie führte ihn unters Bett.

Dort fand ihn bald darauf Cossar.

Bensington war einfach starr vor Angst, als er ihn fand, denn Cossar hatte die Tür mit der Schulter aufgesprengt, indem er über die Breite des Ganges hinweg dagegensprang.

»Kommen Sie heraus, Bensington,« sagte er. »Alles in Ordnung. Ich bin's. Wir müssen hier raus. Sie zünden die Kiste an. Die Portiers räumen aus. Die Dienstboten sind fort. Es ist ein Glück, daß ich den Mann erfaßte, der Bescheid wußte.

»Sehn Sie!«

Bensington spähte unter dem Bett hervor und erblickte unerklärliche Kleidungsstücke auf Cossars Arm, und in seiner Hand – was sollte das bedeuten! – einen schwarzen Damenhut!

»Sie suchen alles durch,« sagte Cossar. »Wenn sie das Haus nicht anzünden, werden sie herkommen. Die Truppen kommen vielleicht noch in 'ner Stunde nicht. In je mehr Wohnungen sie einbrechen, um so besser wird's ihnen gefallen. Selbstverständlich ... sie machen reinen Tisch. Sie ziehen diesen Rock an und setzen den Hut auf, Bensington, und dann gehen Sie mit mir weg.«

» Meinen Sie – –?« begann Bensington, indem er wie eine Schildkröte den Kopf vorschob.

»Ich meine, ziehen Sie ihn an und kommen Sie! Selbstverständlich.« Und mit plötzlicher Heftigkeit zerrte er Bensington unter dem Bett hervor und begann ihn für seine neue Rolle als eine ältliche Frau aus dem Volke anzuziehen.

Er rollte ihm die Hosen hoch und ließ ihn die Pantoffeln abwerfen; er nahm ihm Kragen und Krawatte und Rock ab, zog ihm einen schwarzen Frauenrock über den Kopf, legte ihm ein rotes Flanellmieder um, und darüber zog er eine Taille. Seine allzu charakteristische Brille mußte er abnehmen, und dann setzte er ihm den Hut auf den Kopf. »Sie hätten als alte Frau geboren sein können,« sagte er, als er die Hutbänder band. Dann kamen die Gummizugstiefel – eine furchtbare Folter für Hühneraugen – und der Schal – die Verkleidung war vollendet. »Hinauf und hinunter,« sagte Cossar, und Bensington gehorchte.

»Das wird gehen,« sagte Cossar.

Und in dieser Verkleidung zog der ursprüngliche Entdecker von Herakleophorbia IV mit linkischem Stolpern über den ungewohnten Rocksaum den Korridor von Chesterfield Mansions hinunter, indem er mit wunderlichem Falsett zu dem Brüllen eines Pöbels, der ihn lynchen wollte, weibliche Flüche auf sein eigenes Haupt herabrief, um seine Rolle aufrecht zu erhalten: gemischt unter jene entbrannte, aufgelöste Menge; und so verschwand er völlig aus dem Faden der Ereignisse, die unsere Geschichte bilden.

Nach dieser Flucht kümmerte er sich nie mehr um die stupende Entwicklung der Nahrung der Götter, die zu beginnen von allen Menschen er am ersten geholfen hatte.

III

Dieser kleine Mann, der die ganze Sache in Bewegung brachte, verschwindet aus der Geschichte, und nach kurzer Zeit verschwand er völlig aus der Welt der Dinge, soweit sie sichtbar und sagbar ist. Da er aber die ganze Sache in Bewegung brachte, so ziemt es, seinem Abtritt eine Schaltseite der Aufmerksamkeit zu widmen. Man kann ihn sich in seinen späteren Tagen vorstellen, wie Tunbridge Wells ihn kennen lernte. Denn zu Tunbridge Wells tauchte er nach zeitweiliger Obskurität wieder auf, sobald ihm völlig klar geworden war, wie vorübergehend, wie ausnahmsweise und sinnlos jene Wut des Aufruhrs gewesen war. Er erschien unter dem Flügel Cousine Janes und machte eine Kur gegen nervöse Zerrüttung durch, die jedes andere Interesse ausschloß. Gegen die Schlachten, die damals um jene neuen Distributionszentren rasten, und gegen die Babykinder des Nährstoffs war er, so schien es, völlig gleichgültig.

Er nahm Quartier im Mount Glory Hydro-Therapeutic Hotel, wo es ganz besonders gute Einrichtungen für Bäder, Kohlensäurebäder, Kreosotbäder, galvanische und faradeysche Behandlung, Massage, Fichtenbäder, Stärkebäder und Schierlingsbäder, Radiumbäder, Lichtbäder, Kleiebäder und Nadelbäder, Teer- und Birdsdownbäder, kurz, alle möglichen Bäder gibt; und er widmete seinen Geist der Entwicklung jenes Systems der Heilbehandlung, das noch, als er starb, unvollkommen war. Und bisweilen fuhr er in einem gemieteten Wagen mit einem mit Sealskin besetzten Rock hinunter, und bisweilen, wenn seine Füße es ihm erlaubten, ging er zu Fuß nach den Pantiles, und dort schlürfte er unter den Augen seiner Cousine Jane eisenhaltiges Wasser.

Seine gebeugten Schultern, seine rosige Erscheinung, seine strahlende Brille – das wurde ein »Zug« von Tunbridge Wells. Niemand war im geringsten unfreundlich gegen ihn, ja, Ort und Hotel schienen sich der Auszeichnung seiner Anwesenheit sehr zu freuen. Diese Auszeichnung konnte ihm jetzt niemand mehr rauben. Und obgleich er es vorzog, die Entwicklung seiner großen Entdeckung nicht in den Tageszeitungen zu verfolgen, so war es doch, wenn er die Promenade des Hotels überschritt oder die Pantiles hinabging und flüstern hörte: »Da ist er! Da ist er!« keine Unzufriedenheit, was seinen Mund weich machte und ihm einen Augenblick im Auge glänzte.

Diese kleine Gestalt, diese winzige, kleine Gestalt hatte die Nahrung der Götter auf die Welt losgelassen! Man weiß nicht, was erstaunlicher ist, die Größe oder die Kleinheit dieses Wissenschafters und Philosophen. Man stellt ihn sich dort auf den Pantiles vor, den Überrock mit Pelz besetzt. Er steht unter jenem Porzellanfenster, wo der Brunnen speit und hält ein Glas Eisenwasser in der Hand und schlürft daran. Ein helles Auge ist über den Goldrand weg mit einem Ausdruck der Strenge auf Cousine Jane fixiert. »Mm,« sagt er und schlürft.

So nehmen wir uns unsere Erinnerung, so photographieren wir diesen, unseren Entdecker zum letztenmal und verlassen ihn, der nur ein Punkt in unseren Vordergründen war, und gehen zu dem größeren Bilde über, das sich um ihn entfaltet hat, zu der Geschichte seines Nährstoffs, wie die verstreuten Riesenkinder Tag für Tag emporwuchsen, in eine Welt hinein, die für sie zu klein war, und wie sich das Netz von Herakleophorbia-Gesetzen und Herakleophorbia-Konventionen, das die Herakleophorbia-Kommission schon damals wob, mit jedem Jahre ihres Wachstums immer enger um sie zusammenzog. Bis –


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