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Zwei Nächte nach Mr. Skinners Verschwinden war der Doktor von Podbourne noch spät in der Nähe von Hankey in seiner Chaise unterwegs. Er war die ganze Nacht aufgewesen und hatte einem andern unbedeutenden Bürger in diese unsere seltsame Welt verholfen, und nach vollbrachter Pflicht fuhr er in ziemlich schläfriger Stimmung nach Hause. Es war etwa zwei Uhr morgens, und der abnehmende Mond ging auf. Die Sommernacht war kalt geworden, und es lag ein niedriger, weißlicher Dunst, der die Dinge undeutlich machte. Er war ganz allein – denn sein Kutscher lag krank im Bett – und an beiden Seiten war nichts zu sehen als ein fließendes Geheimnis von Hecken, die durch den gelben Schein seiner Lampen liefen, und nichts zu hören als das Getrappel seines Pferdes und das Knirschen seiner Räder mit dem Echo aus den Hecken. Sein Pferd war so zuverlässig wie er selber, und man wundert sich nicht, wenn er einnickte ...
Man kennt jenes intermittierende Einschlummern, wenn man so dasitzt, das Sinken des Kopfes, das Nicken zum Rhythmus der Räder, dann das Kinn auf die Brust, und mit einem Male das plötzliche Auffahren.
Was war das?
Dem Doktor war, als habe er ganz nah ein dünnes, schrilles Quietschen gehört. Einen Moment war er ganz wach. Er sagte ein paar Worte unverdienten Vorwurfs zu seinem Pferde und blickte sich um. Er versuchte sich zu überreden, daß er den fernen Schrei eines Fuchses gehört habe – oder vielleicht ein junges Kaninchen, das von einem Wiesel gefangen war.
Schsch, schsch, schsch, klipp, klapp, schsch – – ...
Was war das?
Er fühlte, seine Phantasie begann zu arbeiten. Er schüttelte die Schultern und sagte zu seinem Pferde, es solle vorwärts machen. Er lauschte und hörte nichts.
Oder war es nichts?
Er hatte einen wunderlichen Eindruck, als habe irgend etwas eben über die Hecke nach ihm gespäht, ein wunderlicher, großer Kopf. Mit runden Ohren! Er blickte scharf aus, aber er konnte nichts sehen.
»Unsinn,« sagte er.
Er setzte sich mit dem Gedanken auf, er sei von einem Alp befallen, gab seinem Pferd einen ganz leichten Schlag mit der Peitsche, sprach zu ihm und spähte wieder über die Hecke. Der Schein seiner Lampe aber machte die Dinge gemeinsam mit dem Nebel undeutlich, und er konnte nichts unterscheiden. Ihm kam in den Kopf, sagte er, es könne nichts dort sein, denn sonst hätte sein Pferd davor gescheut. Aber trotzdem blieben seine Sinne nervös wach.
Dann hörte er ganz deutlich ein weiches Fußtrappeln, das ihn auf der Straße verfolgte.
Das wollte er seinen Ohren nicht glauben. Er konnte sich nicht umblicken, denn der Weg machte gerade da gewundene Kurven. Er gab seinem Pferd einen Schlag und blickte wieder zur Seite. Und dann sah er, wo ein Strahl aus seiner Lampe über ein niedriges Stück Hecke sprang, ganz deutlich den gewölbten Rücken eines – eines großen Tieres – was für eines Tieres konnte er nicht sagen – das in raschen, krampfhaften Sprüngen dahineilte.
Er sagt, er habe an die alten Märchen von Hexerei gedacht – das Wesen war allen Tieren, die er kannte, so absolut unähnlich, und aus Furcht vor der Furcht seines Pferdes griff er die Zügel fester. Obgleich er ein gebildeter Mann war, gibt er zu, fragte er sich, ob dies etwas sein konnte, was sein Pferd nicht sah.
Voraus rückte in der Silhouette vor dem aufgehenden Mond der Umriß des kleinen Ortes Hankey näher, tröstlich, obgleich er kein einziges Licht zeigte, und er knallte mit der Peitsche und sprach noch einmal, und dann waren die Ratten in einem Blitz über ihm!
Er hatte ein Gatter passiert, und in dem Moment sprang die vorderste Ratte in den Weg herüber. Das Vieh sprang aus der Unbestimmtheit in die äußerste Helle auf ihn los; das scharfe, gierige, rundäugige Gesicht, der lange Rumpf, der durch seine Bewegung übertrieben wurde; und was ihm besonders auffiel, die rosigen vorderen Schwimmfüße der Bestie. Was ihm die Sache damals am grauenhaftesten gemacht haben muß, war, daß er keine Ahnung hatte, daß das Vieh eins von den Schöpfungstieren war, die er kannte. Wegen der Größe erkannte er es nicht als Ratte. Sein Pferd machte einen Satz, als das Vieh neben ihm auf den Weg sprang. Die kleine Gasse erwachte vom Knall der Peitsche und dem Rufen des Doktors zum Tumult. Die ganze Geschichte kam plötzlich in Bewegung.
Klipp, klapp, krach, klapp.
Der Doktor, scheint es, stand auf, rief seinem Pferd zu und peitschte es mit aller Kraft. Die Ratte wand sich und wich bei seinem Schlage höchst beruhigend aus – im Schein seiner Lampe konnte er sehen, wie sich der Pelz unter der Peitsche furchte – und er peitschte immer von neuem, ohne auf den zweiten Verfolger zu achten und ihn zu bemerken, der ihn auf der anderen Seite einholte.
Er ließ die Zügel fahren und blickte nach rückwärts, wo er hinter sich die dritte Ratte auf der Verfolgung entdeckte ...
Sein Pferd setzte vorwärts. Die Chaise sprang aus einem Gleise hoch. Eine wahnsinnige Minute vielleicht schien alles in Sprüngen und Sätzen zu gehen ...
Es war nichts als gutes Glück, daß das Pferd gerade in Hankey stürzte und weder bevor noch nachdem die Häuser passiert waren.
Niemand weiß, wie das Pferd stürzte, ob es stolperte, oder ob die Ratte rechts es wirklich mit einem ihrer reißenden Zahnhiebe von oben nach unten packte (sie führte sie mit dem vollen Gewicht ihres Körpers aus); und der Doktor entdeckte erst, daß er selber gebissen war, als er im Hause des Ziegelmachers stand; viel weniger noch entdeckte er, wann der Biß geschah, aber gebissen war er, und zwar arg – ein langer Riß, ähnlich dem Riß eines Doppeltomahawks, der ihm zwei parallele Fleischbänder aus der Schulter gerissen hatte.
Er stand einen Moment aufrecht in seiner Chaise, und im nächsten war er zu Boden gesprungen, und obgleich er es nicht wußte, hatte er sich die Knöchel arg verstaucht, und er hieb wütend auf eine dritte Ratte ein, die direkt auf ihn losschoß. Er entsinnt sich des Satzes kaum, mit dem er oben über das Rad gesprungen sein muß, als die Chaise sich überschlug, so verwirrend heiß und rasch stürzten die Eindrücke auf ihn ein. Ich selber glaube, das Pferd bäumte sich, als ihm die Ratte von neuem nach dem Halse biß, und es stürzte zur Seite und riß die ganze Sache mit; und der Doktor sprang gleichsam instinktiv. Als die Chaise stürzte, explodierte das Bassin der Lampe und goß plötzlich einen Leuchtschein brennenden Öls, einen Strahl weißer Flammen in den Kampf hinein.
Das war das erste, was der Ziegelarbeiter sah.
Er hatte das Getrappel gehört, als der Doktor heranfuhr, und – obgleich des Doktors Erinnerung davon nichts weiß – sein wildes Schreien. Er war hastig aus dem Bett gesprungen, und als er das tat, kam der furchtbare Krach, und außerhalb der sich hebenden Jalousie schoß der Schein auf. »Es war heller als bei Tage,« sagte er. Er stand da, mit der Jalousieschnur in der Hand und starrte zum Fenster hinaus auf eine Alpverwandlung der vertrauten Straße vor ihm. Die schwarze Gestalt des Doktors mit seiner wirbelnden Peitsche tanzte vor den Flammen umher. Das Pferd schlug undeutlich aus, halb von der Flamme verborgen, eine Ratte am Hals. Im Dunkel vor der Kirchhofmauer leuchteten die Augen eines zweiten Ungeheuers. Ein drittes – eine bloße furchtbare schwarze Masse mit rot erleuchteten Augen und fleischfarbenen Händen – klammerte sich unstet auf der Mauer fest, auf die es beim Blitz der explodierenden Lampe gesprungen war.
Man kennt das spitze Gesicht einer Ratte, jene beiden scharfen Zähne, jene erbarmungslosen Augen. Vergrößert gesehen um nahezu sechsmal seine Lineardimensionen, und noch mehr vergrößert durch das Dunkel und den Schrecken und die springenden Launen einer hüpfenden Flamme, muß es für den Ziegelarbeiter – der noch mehr als halb schlief – ein schlimmer Anblick gewesen sein.
Dann hatte der Doktor die Gelegenheit erfaßt, die momentane Frist, die der grelle Schein ihm gab, und er war dem Ziegelarbeiter aus den Augen entschwunden und hämmerte unten mit dem dicken Ende seiner Peitsche gegen die Tür ...
Der Ziegelarbeiter wollte ihn nicht einlassen, ehe er Licht hatte.
Viele haben den Mann deswegen getadelt, aber ehe ich nicht meinen eigenen Mut als besser kenne, zögere ich, mich ihrer Zahl anzuschließen.
Der Doktor schrie und hämmerte ...
Der Ziegelarbeiter sagt, er weinte vor Angst, als die Tür schließlich aufging.
»Den Riegel,« sagte der Doktor, »den Riegel« – er konnte nicht mehr sagen: »den Riegel vor die Tür.« Er versuchte zu helfen und hinderte nur. Der Ziegelarbeiter verriegelte die Tür, und der Doktor mußte sich eine Zeitlang auf den Stuhl neben der Uhr setzen, ehe er nach oben gehen konnte ...
»Ich weiß nicht, was das für Bestien sind!« wiederholte er mehrere Male. »Ich weiß nicht, was das für Bestien sind!« – mit starkem Nachdruck auf dem »sind«.
Der Ziegelarbeiter hätte ihm Whisky geholt, aber der Doktor wollte nicht allein bleiben, wo gerade nichts als ein flackerndes Licht brannte.
Es dauerte lange, ehe der Ziegelarbeiter ihn dazu bringen konnte, hinauf zu gehen ...
Und als das Feuer aus war, kamen die Riesenratten zurück, holten das tote Pferd, schleppten es über den Kirchhof auf das Ziegelfeld und fraßen daran, bis die Dämmerung kam, und selbst da wagte noch niemand, sie zu stören ...
Redwood ging am nächsten Morgen gegen elf Uhr zu Bensington herum, in der Hand die »Extraausgaben« dreier Abendblätter.
Bensington blickte von einem verzweifelten Grübeln über den vergessenen Seiten des unterhaltendsten Romanes auf, den der Leihbibliothekar von Brompton Road hatte finden können. »Irgendwas Neues?« fragte er.
»Zwei Leute bei Chartham gestochen.«
»Sie hätten uns das Nest ausräuchern lassen sollen. Wahrhaftig. Es ist ihre eigene Schuld.«
»Gewiß ist es ihre eigene Schuld,« sagte Redwood.
»Haben Sie etwas – etwas über den Kauf der Farm gehört?«
»Der Hausmakler«, sagte Redwood, »ist ein Kerl mit einem großen Mund und aus zähem Holz. Er behauptet, irgend jemand sonst sei hinter dem Haus her – das tut er immer, wissen Sie und will nicht begreifen, daß die Sache Eile hat. ›Es handelt sich um Leben und Tod,‹ sagte ich, ›begreifen Sie nicht?‹ Er schloß die Augen halb und sagte: ›Warum geben Sie dann nicht die anderen zweihundert Pfund?‹ Lieber wollt ich in 'ner Welt von handfesten Wespen leben als mich mit der vermauerten Borniertheit dieses Giftgeschöpfes abgeben. Ich – –«
Er hielt inne, denn er fühlte, ein solcher Satz konnte sehr leicht durch seinen Zusammenhang verdorben werden.
»Es wäre zu viel gehofft,« sagte Bensington, »daß eine von den Wespen – –«
»Die Wespe hat von öffentlichem Interesse so wenig Ahnung wie – wie ein Hausmakler,« sagte Redwood.
Er redete eine Weile über Hausmakler und ähnliche Leute in jenem ungerechten und unvernünftigen Ton, in den so viele Leute irgendwie verfallen, wenn sie von diesem Geschäfts-Calculi reden (»Von allen verrückten Dingen in dieser verrückten Welt ist es meiner Meinung nach das Verrückteste, daß wir von einem Doktor oder einem Soldaten Ehre, Mut, Tüchtigkeit als selbstverständlich erwarten, daß man aber einem Anwalt oder einem Hausagenten nicht nur erlaubt, sondern sogar von ihm erwartet, daß er nur einen habgierigen, schmierigen, reaktionären, anmaßenden Blödsinn entfaltet – –« usw.) – und dann trat er sehr erleichtert ans Fenster und starrte auf den Verkehr der Sloane Street hinaus.
Bensington hatte den spannendsten Roman, der zu finden war, auf den kleinen Tisch gelegt, der seine elektrische Lampe trug. Er verschlang die Finger der rechten und linken Hand sehr sorgfältig und sah sie an. »Redwood«, sagte er, »reden sie viel von uns?«
»Nicht so viel, wie ich erwarten sollte.«
»Sie greifen uns überhaupt nicht an?«
»Keine Spur. Aber andererseits vertreten sie auch nicht, was, wie ich klarlege, zu geschehen hat. Ich habe an die Times geschrieben, wissen Sie, und die ganze Sache auseinandergesetzt – –«
»Wir nehmen das Daily Chronicle,« sagte Bensington.
»Und die Times hat einen langen Leitartikel über den Gegenstand – einen sehr gebildeten, gut geschriebenen Leitartikel mit drei Beispielen von Times-Latein – status quo ist eins – und er liest sich wie die Stimme eines unpersönlichen Jemand von der größten Bedeutung, der an Influenzakopfschmerz leidet und durch Schichten und Schichten von Filz hindurchredet, ohne die geringste Erleichterung davon zu haben. Wenn man zwischen den Zeilen liest, wissen Sie, ist es ziemlich klar, daß die Times meint, es sei nutzlos, die Dinge kleinzuhacken, und es müsse sofort etwas (etwas Unbestimmtes, natürlich) getan werden. Sonst noch mehr unerwünschte Folgen – Times-Englisch – wissen Sie, für mehr Wespen und Stiche. Durchaus diplomatischer Artikel!«
»Und unterdessen verbreitet sich dieses Wachstum auf alle möglichen häßlichen Arten.«
»Gewiß.«
»Ich möchte wissen, ob Skinner mit diesen großen Ratten recht hatte – –«
»O nein! Das wäre zuviel,« sagte Redwood.
Er trat neben Bensingtons Stuhl.
»Nebenbei,« sagte er mit leicht gesenkter Stimme, »wie nimmt sie – –?«
Er zeigte auf die geschlossene Tür.
»Cousine Jane? Sie weiß gar nichts davon. Bringt uns nicht damit in Verbindung und will die Artikel nicht lesen. ›Riesenwespen!‹ sagt sie, ›ich hab' keine Geduld, die Zeitungen zu lesen!‹«
»Das ist ein Glück,« sagte Redwood.
»Ich vermute – Mrs. Redwood – –?«
»Nein,« sagte Redwood, »gerade jetzt trifft es sich – sie hat furchtbare Not mit dem Kind. Sie wissen, es geht weiter.«
»Es wächst?«
»Ja. Hat in zehn Tagen zweieindrittel Pfund zugenommen. Wiegt fast vier Stein. Und erst sechs Monate alt! Natürlich etwas beängstigend.«
»Gesund?«
»Kräftig. Seine Amme geht ab, weil es so kräftig stößt. Und aus allem wächst es natürlich furchtbar heraus. Alles muß frisch gemacht werden, wissen Sie, Kleider und alles. Kinderwagen – leichtes Ding – brach ein Rad, der Junge mußte auf dem Handkarren des Milchmanns nach Hause gebracht werden. Ja. Großer Auflauf ... Und Georgina Phyllis haben wir wieder in die Wiege gelegt und ihn in Georgina Phyllis' Bett. Seine Mutter – natürlich ängstlich. Erst stolz, und wollte Winkles preisen. Jetzt nicht mehr. Fühlt, die Sache kann nicht gesund sein. Sie wissen's ja.«
»Ich meinte, Sie wollten ihn auf geringere Dosen setzen.«
»Hab's versucht.«
»Heult. Schon für gewöhnlich ist das Schreien von Kindern laut und betrübend; das ist zum Wohl der Gattung so eingerichtet – aber seit er mit Herakleophorbia behandelt ist – –«
»Mm,« sagte Bensington und betrachtete seine Finger mit mehr Resignation, als er bisher entfaltet hatte.
»Praktisch muß die Sache herauskommen. Die Leute werden von diesem Kinde hören, es mit unseren Hennen und so weiter in Verbindung bringen, und die ganze Sache wird meiner Frau zu Ohren kommen ... Wie sie es aufnehmen wird, habe ich nicht die geringste Ahnung.«
»Es ist schwierig,« sagte Mr. Bensington, »einen Plan zu fassen – ohne Zweifel.«
Er nahm seine Brille ab und putzte sie sorgfältig.
»Das ist wieder ein Beispiel,« sagte er, »von dem, was fortwährend geschieht. Wir – wenn anders ich mir das Wort anmaßen darf – Wissenschafter – wir arbeiten natürlich immer für ein theoretisches Resultat – ein rein theoretisches Resultat. Aber gelegentlich setzen wir Kräfte in Tätigkeit – neue Kräfte. Wir sollen sie nicht leiten – und sonst kann es niemand. Praktisch, Redwood, ist die Sache uns aus den Händen genommen. Wir liefern das Material – –«
»Und sie«, sagte Redwood mit einer Wendung zum Fenster, »holen sich die Erfahrung.«
»Soweit diese Aufregung in Kent in Betracht kommt, habe ich keine Lust, mich weiter zu quälen.«
»Wenn sie uns nicht quälen.«
»Ganz recht. Und wenn sie mit Anwälten und Zungendreschern und gesetzlicher Hinderung und gewichtigen Rücksichten auf die Tropf-Ordnung herumwirtschaften mögen, bis sie eine Anzahl neuer Riesenarten von Ungeziefer eingebürgert haben – – Die Dinge sind immer in Wirrwarr gewesen, Redwood.«
Redwood zog eine gewundene, verschlungene Linie in die Luft.
»Und unser wirkliches Interesse liegt gegenwärtig bei Ihrem Jungen.«
Redwood machte kehrt, kam und starrte seinen Mitarbeiter an.
»Was halten Sie von ihm, Bensington? Sie können die Sache objektiver ansehen als ich. Was soll ich mit ihm machen?«
»Ihn weiter füttern.«
»Mit Herakleophorbia?«
»Mit Herakleophorbia.«
»Und dann wird er wachsen.«
»Er wird, soweit ich nach den Hennen und Wespen berechnen kann, bis zur Höhe von fünfunddreißig Fuß wachsen – und alles im Verhältnis – –«
»Und was soll er dann tun?«
»Das«, sagte Mr. Bensington, »ist gerade, was die ganze Sache so interessant macht.«
»Zum Henker, Mann! Denken Sie an seine Kleider.«
»Und wenn er erwachsen ist,« sagte Redwood, »wird er ein einsamer Gulliver in einer Pygmäenwelt sein.«
Mr. Bensingtons Auge blickte vielsagend über den Goldrand.
»Warum einsam?« sagte und wiederholte noch dunkler: » Warum einsam?«
»Aber Sie wollen doch nicht – –?«
»Ich sagte,« sagte Mr. Bensington mit der Selbstgefälligkeit eines Mannes, der ein gutes, bedeutungsschweres Wort produziert hat: »Warum einsam?«
»Und meinen, man könnte noch andere Kinder – –?«
»Meine nichts als meine Frage.«
Redwood begann im Zimmer herumzugehen. »Natürlich,« sagte er, »man könnte – – Aber dann! Wohin kommen wir?«
Bensington genoß offenbar seine hohe, geistige Loslösung. »Was mich von allem am meisten interessiert, Redwood, ist der Gedanke, daß das Gehirn in seinem Kopfe, soweit meine Einsicht geht, gleichfalls fünfunddreißig Fuß über unserm Niveau stehen wird ... Was ist los?«
Redwood stand am Fenster und starrte auf ein Zeitungsplakat auf einem Papierwagen, der die Straße heraufrasselte.
»Was ist los?« wiederholte Bensington und stand auf.
Redwood tat einen heftigen Ausruf.
»Was gibt es?« sagte Bensington.
»Lassen Sie eine Zeitung holen,« sagte Redwood und ging zur Tür.
»Warum?«
»Lassen Sie eine Zeitung holen. Etwas – Ich hab nicht genau gesehen – Riesenratten –!«
»Ratten?«
»Ja, Ratten. Skinner hatte doch recht!«
»Was meinen Sie?«
»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen, bis ich eine Zeitung habe. Große Ratten! Gütiger Gott! Ich möchte wissen, ob er gefressen ist!« Er sah sich nach seinem Hut um und entschied sich, ohne Hut zu gehen.
Als er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinabstürzte, konnte er die Straße entlang das mächtige Geheul der hin und her laufenden Zeitungsverkäufer hören, die ihren Lärm machten.
»Fuchbare Geschichte in Kent – fuchbare Geschichte in Kent. Doktor ... von Ratten gefressen. Fuchbare Geschichte – fuchbare Geschichte – Ratten – gefressen von golossaalen Ratten. Alle Einzelheiten – fuchbare Geschichte.«
Cossar, der bekannte Zivilingenieur, fand sie im Torweg der Mietshäuser: Redwood hielt das noch feuchte Blatt, und Bensington stand auf den Zehenspitzen und las über seinem Arm. Cossar war ein breitgebauter Mann mit hageren, uneleganten Gliedmaßen, die ganz zufällig an passenden Ecken seines Rumpfes saßen, und mit einem Gesicht gleich einer in früher Phase als für die Vollendung allzu aussichtslos aufgegebenen Skulptur. Seine Nase war viereckig geblieben, und sein Unterkiefer sprang über den Oberkiefer hinaus vor. Er atmete hörbar. Nur wenig Leute fanden ihn hübsch. Sein Haar war völlig tangential, und seine Stimme, von der er schonenden Gebrauch machte, war hoch und hatte gewöhnlich den Ausdruck bitteren Protestes. Er trug bei allen Gelegenheiten einen grauen Jacketanzug und Zylinder. Er tauchte mit einer riesigen, roten Hand in eine abgründige Hosentasche, zahlte seinen Kutscher und kam mit entschlossenem Keuchen die Stufen herauf, ein Exemplar der Zeitung, wie Jupiters Donnerkeil in der Mitte gepackt, in der Hand.
»Skinner?« sagte Bensington, ohne seines Nahens zu achten.
»Nichts über ihn,« sagte Redwood. »Muß gefressen sein. Alle beide. Es ist zu furchtbar. Hallo! Cossar!«
»Dies Ihr Zeug?« fragte Cossar, indem er das Blatt schwang.
»Na, warum machen Sie kein Ende damit?« fragte er.
»Kann nicht vertuscht werden!« sagte Cossar.
» Das Nest kaufen?« rief er. »Was für 'n Unsinn! Verbrennen Sie's! Ich wußte, Ihr Jungen würdet's verpfuschen. Was Sie tun müssen? Na – was ich Ihnen sage.
» Sie? Tun? Na! Die Straße hinaufgehen, zum Büchsenmacher natürlich. Wozu? Um Flinten. Ja – es ist nur ein Laden da. Holen Sie acht Flinten! Büchsen. Keine Elefantenbüchsen – nein! Zu groß. Keine Armeeflinten – zu klein. Sagen Sie, um – um einen Bullen zu töten. Sagen Sie, um Büffel zu schießen! Verstehen? Eh? Ratten? Nein! Wie, zum Teufel, sollen die das begreifen? ... Denn wir brauchen Gewicht. Holen sie Masse Munition. Keine Flinten ohne Munition – Nein! Bringen Sie alles in 'ner Droschke nach – wo es ist? Urshot? Charing Croß also. Es fährt ein Zug – Na, der erste Zug, der nach zwei Uhr fährt. Meinen, Sie können's machen? Schön. Jagdscheine? Holen Sie acht auf'm Postamt, natürlich.
»Sie – Bensington. Haben Sie Telephon? Ja. Ich klingle fünf von meinen Burschen aus Ealing an. Warum fünf? Weil das die richtige Zahl ist!
»Wohin woll'n Sie, Redwood? Hut holen? Unsinn. Nehmen Sie meinen. Sie brauchen Flinten, Mann, keine Hüte. Geld bei sich? Genug? Schön. Bis nachher.
»Wo ist das Telephon, Bensington?«
Bensington machte gehorsam kehrt und führte.
Cossar benutzte das Instrument und hing es wieder an. »Dann bleiben die Wespen,« sagte er. »Schwefel und Salpeter wird für die sorgen. Ganz klar. Gipsmörtel. Sie sind Chemiker. Wo kann ich Schwefel tonnenweis in tragbaren Säcken bekommen? Wozu? Na, Gott behüte mir Herz und Seele! – um das Nest auszuräuchern natürlich! Ich denke, es wird Schwefel sein müssen, eh? Sie sind Chemiker. Am besten Schwefel, eh?«
»Ja, ich sollte denken, Schwefel.«
»Nichts anderes besser?«
»Schön. Das ist Ihr Geschäft. Besorgen Sie so viel Schwefel wie Sie können – Salpeter? damit 's brennt. Geschickt? Charing Croß. Direkt. Sorgen Sie dafür, daß sie 's auch tun. Folgen Sie ihm. Sonst noch was?«
Er dachte einen Augenblick nach.
»Gipsmörtel – irgendwelchen Gips – Nest zukleben – Löcher – wissen Sie. Den besorg besser ich.«
»Wieviel?«
»Wieviel was?«
»Schwefel.«
»'n Tonn'. Verstanden?«
Bensington drückte sich die Brille mit einer Hand fest, die von Entschlossenheit zitterte. »Recht,« sagte er sehr kurz.
»Geld in der Tasche?« fragte Cossar.
»Zum Henker mit Schecks. Vielleicht kennt man Sie nicht. Barzahlen. Selbstverständlich. Wo ist Ihre Bank? Schön. Halten Sie unterwegs und holen Sie vierzig Pfund – Noten und Gold.«
Neues Nachdenken. »Wenn wir die Geschichte den Staatsbeamten überlassen, haben wir ganz Kent in Fetzen,« sagte Cossar. »Ist nun – sonst noch was? Nein! HE!«
Er reckte seine riesige Hand gegen einen Wagen aus, der in krampfhaften Eifer geriet, ihm zu dienen. (»Wagen, Herr?« sagte der Kutscher. »Selbstverständlich,« sagte Cossar); und Bensington lief, noch immer ohne Hut, die Stufen hinunter, um einzusteigen.
»Ich glaube,« sagte er, die Hand auf dem Wagenleder, mit einem plötzlichen Blick zu den Fenstern seiner Wohnung hinauf, »ich sollte meiner Cousine Jane Bescheid sagen – –«
»Mehr Zeit dazu, wenn Sie wiederkommen,« sagte Cossar, indem er ihn mit einer riesigen Hand, die er ihm über den Rücken spannte, hineinschob ...
»Gescheite Jungen,« bemerkte Cossar, »aber nicht die Spur Initiative. Cousine Jane, wahrhaftig! Ich kenne sie. Zum Teufel mit diesen Cousinen Janes! Land ist verpestet mit ihnen. Ich vermute, ich werde die ganze Nacht damit zubringen und sehen, wie sie tun, was sie ganz genau wissen, daß sie es längst hätten tun sollen. Möchte wissen, ob die Forschung sie so macht, oder Cousine Jane oder was sonst?«
Er ließ dieses dunkle Problem fallen, sann eine Zeit mit der Uhr in der Hand nach und entschied, er würde gerade Zeit haben, in ein Restaurant zu gehen und ein wenig zu essen, ehe er den Gips aufjagte und nach Charing Croß Bahnhof brachte.
Der Zug fuhr fünf Minuten nach drei, und er kam viertel vor drei auf Charing Croß an, wo er Bensington in hitzigem Streit zwischen zwei Polizisten und seinem Kutscher draußen, und Redwood im Gepäckabteil wegen seiner Munition in technische Schwierigkeiten verwickelt vorfand. Jedermann behauptete, nichts zu wissen und keine Befugnis zu haben, wie es Beamte der South Eastern Railway lieben, wenn sie jemanden zu fassen bekommen, der es eilig hat.
»Schade, daß sie nicht all diese Kerle zusammenschießen und neue hintun können,« bemerkte Cossar mit einem Seufzer. Aber für alles Fundamentale war die Zeit zu kurz, und so fegte er durch diese geringeren Streitigkeiten hindurch, grub in einem dunklen Versteck etwas auf, was der Stationsvorsteher so gut sein konnte wie nicht, ging auf dem Bahnhof umher, indem er ihn festhielt und in seinem Namen Befehle erteilte, und war mit allen und allem an Bord aus dem Bahnhof heraus, ehe dieser Beamte noch für die Brüche im heiligsten Herkommen und Reglement, die begangen wurden, ganz erwacht war.
»Wer war das nur?« sagte der hohe Beamte, indem er sich den Arm streichelte, den Cossar gepackt gehalten hatte, und mit gerunzelter Stirn lächelte.
»Es war 'n Gentleman, Härr,« sagte ein Gepäckträger, »das is gewiß. Er un de ganze Gesellschaft fuhr erste Klasse.«
»Na, wer er auch war – wir haben ihn und sein Zeug flott genug expediert,« sagte der hohe Beamte, indem er sich mit einem Gefühl, das der Befriedigung nahe kam, den Arm rieb.
Und als er, im ungewohnten Tageslicht blinzelnd, langsam zu jener würdigen Verschanzung zurückging, in der die höheren Beamten von Charing Croß vor der Belästigung des Pöbels Schutz finden, lächelte er noch immer ob seiner ungewohnten Energie. Es war trotz der Steifheit in seinem Arm eine sehr erhebende Offenbarung seiner eigenen Möglichkeiten gewesen. Er wünschte, ein paar von jenen verdammten Schreibsessel-Kritikern der Eisenbahnverwaltung hätten es sehen können.
Um fünf Uhr an diesem Abend hatte dieser erstaunliche Cossar ohne jeden Schein der Eile all das Zeug für seinen Kampf mit dem aufrührerischen Wachstum aus Urshot heraus und auf dem Wege nach Hickleybrow. Zwei Fässer Paraffin und eine Last trockenen Buschholzes hatte er in Urshot gekauft; reichliche Säcke Schwefel, acht große Jagdflinten mit Munition, drei leichte Hinterlader mit Schrotmunition für die Wespen, ein Beil, zwei Schnabelhacken, eine Picke und drei Spaten, zwei Taurollen, etwas Flaschenbier, Soda und Whisky; ein Groß Pakete mit Rattengift und kalter Vorrat auf drei Tage waren aus London heruntergekommen. All diese Dinge hatte er auf einem Kohlenkarren und einem Heuwagen höchst geschäftsmäßig expediert, nur die acht Flinten und ihre Munition waren unter der Bank des Wagens versteckt, der Redwood und die fünf auserlesenen Leute tragen sollte, die auf Cossars Ruf von Ealing heraufgekommen waren.
Cossar leitete all diese Vorgänge trotz der Tatsache, daß ganz Urshot wegen der Ratten in Panik war, und alle Fuhrleute extra bezahlt werden mußten, mit der unbesiegbaren Miene von etwas ganz Alltäglichem. In Urshot waren alle Läden geschlossen, und kaum eine Seele war auf der Straße, und wenn er an eine Tür donnerte, so öffnete sich meist ein Fenster. Er schien anzunehmen, die Erledigung von Geschäften durch offene Fenster sei eine ganz berechtigte und gewöhnliche Methode. Schließlich bekamen er und Bensington den Dogcart aus dem roten Löwen, und sie machten sich mit dem großen Wagen auf den Weg, um das Gepäck zu überholen. Das gelang ihnen ein wenig hinter den Kreuzwegen, und so kamen sie zuerst in Hickleybrow an.
Bensington, der mit einer Flinte zwischen den Knien im Dogcart neben Cossar saß, entfaltete eine seit langem keimende Verblüffung. Alles, was sie taten, war ohne Zweifel, wie Cossar hartnäckig behauptete, das ganz Selbstverständliche, nur –! In England tut man so selten das Selbstverständliche. Er blickte von den Füßen seines Nachbarn zu den kühn skizzierten Händen an den Zügeln empor. Cossar hatte offenbar noch nie gefahren, und er folgte der Linie des geringsten Widerstandes die Mitte der Straße hinunter bei einem ohne Zweifel ganz selbstverständlichen aber sicher ungewöhnlichen eigenen Licht.
»Warum tun wir nicht alle das Selbstverständliche?« dachte Bensington. »Wie würde die Welt da laufen! Ich möchte zum Beispiel wissen, warum ich solchen Haufen von Dingen nicht tue, von denen ich genau weiß, daß sie recht wären – Dinge, die ich tun möchte. Sind alle so, oder ist das bei mir etwas Besonderes?« Er tauchte in dunkle Spekulationen über den Willen hinab. Er dachte an die komplizierten, organisierten Nichtigkeiten des täglichen Lebens, und im Gegensatz zu ihnen an die einfachen und handgreiflichen Dinge, die zu tun sind, die süßen und strahlenden Dinge, die uns irgendwelche unglaublichen Einflüsse nie tun lassen. Cousine Jane? Cousine Jane, merkte er, spielte eine bedeutende Rolle in der Frage, und zwar auf eine verstiegene und schwierige Art. Warum muß man denn eigentlich essen und trinken und schlafen und unverheiratet bleiben und hierher gehen und dorthin zu gehen vermeiden, und alles aus Ehrerbietung gegen Cousine Jane? Sie wurde symbolisch, ohne daß sie darum aufhörte, unbegreiflich zu sein!
Ein Gatter und ein Pfad quer über die Felder fielen ihm ins Auge und erinnerten ihn an jenen anderen hellen Tag, der erst so kurz verflossen war, in seinem Gefühl aber so fern lag, den Tag, da er von Urshot aus zur Experimentalfarm gegangen war, um die Riesenkücken zu sehen ...
Das Schicksal spielt mit uns.
»Brr, brr,« sagte Cossar. »Los.«
Es war ein heißer Nachmittag, kein Windhauch, und der Staub lag dick auf den Wegen. Wenig Leute waren draußen, aber das Wild hinter den Parkgittern weidete in tiefer Ruhe. Kurz vor Hickleybrow sahen sie ein paar großer Wespen, die einen Stachelbeerbusch plünderten, und eine weitere kroch auf der Front des kleinen Krämerladens an der Dorfstraße auf und ab und versuchte einen Eingang zu finden. Der Krämer war drinnen dunkel zu sehen, wie er, eine uralte Vogelflinte in der Hand, ihre Bemühungen beobachtete. Der Kutscher des großen Wagens hielt vor den Lustigen Fuhrknechten an und meldete Redwood, sein Teil des Geschäfts sei vollbracht. In diesem Streit schlossen sich ihm alsbald die Fuhrleute des Kohlen- und Heuwagens an. Nicht nur das behaupteten sie, sondern sie weigerten sich auch, die Pferde weiter mitzulassen.
»Die großen Ratten sind wie versessen auf Pferde,« wiederholte der Kohlenkarrenkutscher.
Cossar überschaute die Situation einen Augenblick.
»Nehmen Sie die Sachen aus dem großen Wagen,« sagte er, und einer seiner Leute, ein großer, blonder, schmutziger Maschinist, gehorchte.
»Geben Sie mir die Flinte da,« sagte Cossar.
Er trat zwischen die Fuhrleute. »Zum Fahren brauchen wir Sie nicht,« sagte er.
»Sie können sagen, was Sie wollen,« lenkte er ein, »aber wir brauchen diese Pferde.«
Sie begannen zu protestieren, aber er redete weiter.
»Wenn Sie versuchen, uns anzugreifen, werde ich in der Notwehr auf Ihre Beine paffen. Die Pferde gehen weiter.«
Er behandelte den Zwischenfall als beendet. »Steigen Sie auf den Leiterwagen da, Flack,« sagte er zu einem untersetzten, sehnigen, kleinen Mann. »Boon, nehmen Sie den Kohlenkarren.«
Die beiden Fuhrleute wüteten gegen Redwood.
»Sie haben Ihre Pflicht gegen Ihre Arbeitgeber getan,« sagte Redwood. »Sie warten in diesem Dorf, bis wir zurückkommen. Niemand wird Sie tadeln, da wir Flinten bei uns haben. Wir wünschen nicht, ungerecht oder gewalttätig zu handeln, aber die Sache ist dringend. Ich zahle, wenn den Pferden etwas passiert; keine Angst.«
» Das ist recht,« sagte Cossar, der selten Versprechungen gab.
Den großen Personenwagen ließen sie zurück, und die Leute, die nicht fuhren, gingen zu Fuß. Über jeder Schulter hing eine Flinte. Es war für eine englische Landstraße die wunderlichste kleine Expedition, ähnlich einer Yankeegesellschaft, die in den guten, alten Indianertagen nach Westen zog.
Sie stiegen die Straße hinauf, bis sie auf der Höhe neben dem Gatter die Experimentalfarm zu Gesicht bekamen. Sie fanden dort eine kleine Gruppe von Leuten mit einer Flinte oder so – die beiden Fulchers waren darunter – und ein Fremder aus Maidstone stand vor den anderen und besah sich das Anwesen durch ein Opernglas.
Diese Leute drehten sich um und starrten Redwoods Gesellschaft an.
»Was Neues?« fragte Cossar.
»Die Wespen fliegen immer aus und ein,« sagte der alte Fulcher. »Kannich sehn, ob se was bringen.«
»Die Schlingpflanzen sind nun schon zwischen den Fichten,« sagte der Mann mit dem Fernglas. »Da waren sie heute morgen noch nicht. Man kann sie wachsen sehen.«
Er zog ein Taschentuch heraus und putzte seine Objektive mit sorgfältiger Bedachtsamkeit.
»Ich denk mir, Sie wollen da runter?« riskierte Skelmersdale.
»Wollen Sie mit?« sagte Cossar.
Skelmersdale schien zu zögern.
»Es ist 'ne Sache für die ganze Nacht.«
Skelmersdale entschied sich fürs Bleiben.
»Ratten draußen?« fragte Cossar.
»Eine war heut morgen oben in den Fichten auf Kaninchenjagd, glauben wir.«
Cossar schlotterte vorwärts, um seine Gesellschaft einzuholen.
Bensington, der die Experimentalfarm unter seiner Hand her ansah, konnte jetzt die Kraft des Nährstoffes ermessen. Sein erster Eindruck war der, daß das Haus kleiner war als er gedacht hatte, sehr viel kleiner, sein zweiter war die Bemerkung, daß alle Vegetation zwischen Haus und Fichtenholz außerordentlich groß geworden war. Das Dach über dem Brunnen spähte aus Grasbüscheln von gut acht Fuß Höhe heraus, und die Schlingpflanzen umrankten die Schornsteine und gestikulierten mit steifen Ranken gegen den Himmel. Ihre Blüten bildeten lebhafte gelbe Flecken, die auf diese Meile Entfernung deutlich als getrennte Punkte sichtbar waren. Ein großes, grünes Kabel hatte sich quer über die dicken Drahteinfassungen des Geheges der Riesenhennen geschlungen und entsandte gewundene Blattstengel um zwei freistehende Fichten. Reichlich halb so hoch wie diese war der Hain von Nesseln, der hinter dem Wagenschuppen herumlief. Der ganze Anblick erinnerte, als sie näher kamen, immer mehr an einen Einfall von Pygmäen in ein Puppenhaus, das in dem vernachlässigten Winkel eines großen Gartens stehen geblieben ist.
Im Wespennest, sahen sie, herrschte lebhaftes Kommen und Gehen. Ein Schwarm schwarzer Gestalten verschlang sich in der Luft über dem rotbraunen Hügelhange hinter dem Fichtendickicht, und hin und wieder schoß eine davon mit unglaublicher Geschwindigkeit in den Himmel empor und auf irgendeine ferne Suche davon. Ihr Brummen wurde auf mehr als eine halbe Meile Entfernung vor der Experimentalfarm hörbar. Einmal senkte sich ein gelbgestreiftes Ungeheuer auf sie zu und blieb eine Zeitlang schweben, indem es sie mit seinen großen Sammelaugen beobachtete, aber auf einen erfolglosen Schuß Cossars schoß es wieder davon. Unten in einem Feldwinkel nach rechts zu krochen mehrere über ein paar knorrige Knochen, die wahrscheinlich die Reste des Lammes waren, das die Ratten von Huxters Farm geholt hatten. Die Pferde wurden sehr unruhig, als sie diesen Geschöpfen näher kamen. Keiner von der Gesellschaft hatte Erfahrung im Fahren, und sie mußten einen Mann zu jedem Pferde stellen, der es führte und mit der Stimme ermutigte.
Von den Ratten konnten sie nichts sehen, als sie zum Hause kamen, und alles schien, abgesehen von dem Steigen und Fallen des »wssssSSS« aus dem Wespennest, vollkommen still zu sein.
Sie führten die Pferde in den Hof, und einer von Cossars Leuten, der die Tür offen sah – die ganze Mittelpartie der Tür war ausgenagt – ging ins Haus. Niemand vermißte ihn vorläufig, denn der Rest war mit den Paraffinfässern beschäftigt, und die erste Andeutung, die sie erhielten, daß er von ihnen getrennt war, war der Knall seiner Büchse und das Zischen seiner Kugel. »Bumm, bumm!« beide Läufe, und seine erste Kugel, scheint es, ging durch die Schwefeltonne, schlug eine Latte aus dem ferneren Boden heraus und füllte die Luft mit gelbem Staub. Redwood hatte seine Flinte in der Hand behalten und schoß auf etwas Graues, das an ihm vorbeiflog. Er sah einen Moment das breite Hinterteil, den langen schuppigen Schwanz und die langen Sohlen der Hinterfüße einer Ratte und feuerte seinen zweiten Lauf ab. Er sah Bensington fallen, als die Bestie um die Ecke verschwand.
Dann hatte eine Zeitlang alles mit einer Flinte zu tun. Drei Minuten lang stand der Preis eines Lebens auf der Experimentalfarm niedrig, und Flintengeknatter erfüllte die Luft. Redwood achtete in seiner Aufregung nicht auf Bensington, stürzte auf die Verfolgung und wurde von einer Masse von Ziegelfragmenten, Mörtel, Gips und verfaulten Lattensplittern, die gegen ihn anflog, als eine Kugel durch die Mauer schlug, jäh zu Boden geschleudert.
Er fand sich mit Blut an Händen und Lippen auf dem Boden sitzend wieder, und eine große Stille brütete rings um ihn.
Dann bemerkte eine dünne Stimme von innerhalb des Hauses: »Heoh!«
»Hallo!« sagte Redwood.
»Hallo dort!« antwortete die Stimme.
Und dann: »Habt ihr Jungen sie?«
Ein Gefühl für die Pflichten der Freundschaft kehrte bei Redwood zurück. »Ist Mr. Bensington verletzt?« sagte er.
Der Mann drinnen hörte unvollkommen. »Niemand ist zu tadeln, wenn nicht ich,« sagte die Stimme drinnen.
Es wurde Redwood klarer, daß er Bensington erschossen haben mußte. Er vergaß die Schnitte in seinem Gesicht, stand auf und ging zurück, um Bensington auf dem Boden sitzend zu finden, wo er sich die Schultern rieb. Bensington blickte über seine Brille. »Wir haben sie gepfeffert, Redwood,« sagte er und dann: »Sie versuchte über mich wegzuspringen und warf mich zu Boden. Aber ich hab's ihr mit beiden Läufen gegeben und Donner! wie sie mir die Schulter zerschlagen hat!«
In der Tür erschien ein Mann. »Ich hab' sie einmal in die Brust und einmal in die Seite gekriegt,« sagte er.
»Wo sind die Wagen?« sagte Cossar, der in einem Dickicht von riesigen Schlingpflanzenblättern erschien.
Es stellte sich zu Redwoods Erstaunen heraus, erstens, daß niemand erschossen war, und zweitens, daß der Karren und der Leiterwagen ihren Standpunkt um fünfzig Meter verändert hatten und jetzt mit ineinandergefahrenen Rädern unter den wirren Verschlingungen von Skinners Küchengarten standen. Die Pferde hatten aufgehört, auszuschlagen. Halbwegs auf sie zu lag das zerbrochene Schwefelfaß mit einer Wolke von Schwefelstaub darüber im Wege. Er zeigte Cossar dies und ging darauf zu. »Hat irgendwer die Ratte gesehen?« rief Cossar und folgte ihm. »Ich hab' sie einmal zwischen die Rippen getroffen, und einmal, als sie sich gegen mich wandte, ins Gesicht.«
Zwei Leute kamen noch zu ihnen, als sie sich mit den verfahrenen Rädern abplagten.
»Die Ratte hab' ich getötet,« sagte einer von den Leuten.
»Haben Sie sie?« fragte Cossar.
»Jun Bates hat sie hinter der Hecke gefund'n. Ich hab' sie grad gekrieg', als sie um die Ecke kam ... Klatsch hinter die Schulter ...«
Als alles wieder ein wenig aufgetakelt war, ging Redwood hin und starrte den riesigen, ungestalten Leichnam an. Das Vieh lag auf der Seite, den Körper leicht gebogen. Die Nagezähne, die über den zurückspringenden Unterkiefer griffen, gaben seinem Gesicht das Ansehen kolossaler Schwäche, schwacher Gier. Es schien durchaus nicht wild oder furchtbar. Seine Vorderpfoten erinnerten an hagere, entfleischte Hände. Abgesehen von einem einzigen scharfen, runden Loch mit versengtem Rand auf beiden Seiten des Nackens war das Geschöpf absolut intakt. Er grübelte eine Zeitlang über diese Tatsache nach. »Es müssen zwei Ratten dagewesen sein,« sagte er schließlich, indem er sich abwandte.
»Ja. Und die, die alle getroffen haben – ist weggekommen.«
»Ich bin sicher, daß mein eigener Schuß – –«
Eine Schlingpflanzenranke, die mit jener geheimnisvollen Suche nach einem Haltepunkt beschäftigt war, in der die Karriere einer Ranke besteht, beugte sich verbindlich zu seinem Hals herab, so daß er eilig beiseite trat.
»WsssssSSS,« aus dem fernen Wespennest, »wsssss.«
Nach diesem Zwischenfall war die Gesellschaft auf der Hut, aber nicht abgespannt.
Sie brachten ihre Vorräte ins Haus, das nach Mrs. Skinners Flucht offenbar von den Ratten geplündert war, und vier von den Leuten schafften die Pferde nach Hickleybrow zurück. Sie schleppten die tote Ratte durch die Hecke und an eine Stelle, die von den Fenstern des Hauses aus beherrscht wurde, und dabei trafen sie zufällig im Graben auf einen Knäuel von Riesenohrwürmern. Diese Geschöpfe zerstreuten sich eiligst, aber Cossar streckte unberechenbare Glieder aus und brachte es fertig, mehrere mit seinen Stiefeln und seinem Flintenschaft zu töten. Dann hackten zwei von den Leuten mehrere der Hauptstämme der Schlingpflanzen durch – es waren riesige Zylinder, ein paar Fuß im Durchmesser, die neben der Senkgrube hinten herauswuchsen, und während Cossar das Haus für die Nacht in Ordnung brachte, gingen Bensington, Redwood und einer der Hilfselektriker vorsichtig die Hühnergehege ab, um Rattenlöcher zu suchen.
Die Riesennesseln umgingen sie in weitem Bogen, denn diese Riesenkräuter bedrohten sie mit Giftdornen, die einen guten Zoll lang waren. Dann trafen sie hinter dem benagten, verfallenen Gatter unvermittelt auf die riesige, höhlenartige Mündung des westlichsten der Riesenrattenlöcher, eine übelriechende Vertiefung, um die sie alle sich aufstellten.
» Hoffentlich kommen sie heraus,« sagte Redwood mit einem Blick auf das Wetterdach des Brunnens.
»Wenn sie nicht kommen – –« überlegte Bensington.
»Sie kommen,« sagte Redwood.
Man dachte nach.
»Wir werden irgendein Licht in Gang bringen müssen, wenn wir hineingehen,« sagte Redwood.
Sie gingen einen kleinen weißen Sandpfad durch den Fichtenwald hinauf und blieben kurz darauf stehen, als sie die Wespenlöcher zu Gesicht bekamen.
Die Sonne ging jetzt unter, und die Wespen kamen endgültig nach Hause; ihre Flügel bildeten im goldenen Licht wirbelnde Strahlenkränze um sie. Die drei Männer spähten unter den Bäumen hervor – es drängte sie nicht, bis an den Rand des Gehölzes zu gehen – und beobachteten diese kolossalen Insekten, wie sie sich niederließen und eine Weile krochen und dann im Erdboden verschwanden. »Jetzt werden sie in ein paar Stunden still sein,« sagte Redwood ... »Dies ist, als wäre man wieder ein Junge.«
»Diese Löcher können wir nicht verfehlen,« sagte Bensington, »wenn die Nacht auch noch so dunkel ist. Nebenbei – das Licht – –«
»Vollmond,« sagte der Elektriker. »Ich hab' nachgesehen.«
Sie kehrten zurück und berieten sich mit Cossar.
Er sagte, »selbstverständlich« müßten sie den Schwefel, den Salpeter und den Gipsmörtel vor Einbruch des Zwielichts durch den Wald bringen, und dann begannen sie abzuladen und schleppten die Säcke. Nach dem notwendigen Geschrei der einleitenden Anweisungen wurde kein Wort mehr gesprochen, und da das Brummen des Wespennestes einschlief, hörte man kaum einen Laut in der Welt, außer dem Geräusch der Schritte, dem schweren Atmen beladener Männer und dem Stoßen der Säcke. Alle beteiligten sich an dieser Arbeit, nur Mr. Bensington nicht, der handgreiflich untauglich war. Er bezog mit einer Büchse im Schlafzimmer der Skinners Posten, um das Aas der fetten Ratte zu bewachen, und die anderen lösten sich ab, um vom Sacktragen auszuruhen und zu zweit bei den Rattenlöchern hinter dem Nesselwald Posten zu stehen. Die Pollengefäße der Nesseln waren reif, und hin und wieder wurde die Wache durch das Platzen derselben unterbrochen, da das Springen der Gefäße wie der Knall einer Pistole klang, und die Pollenkörner prasselten so groß wie Rehposten um sie nieder.
Mister Bensington saß an seinem Fenster auf einem harten, mit einem schmierigen Antimakassar bezogenen Roßhaarsessel, der dem Wohnzimmer der Skinners seit vielen Jahren einen Anflug sozialer Vornehmheit verliehen hatte. Seine ungewohnte Büchse ruhte auf dem Fensterbrett, und seine Brille bewachte bald die dunkle Masse der toten Ratte im dunkler werdenden Zwielicht, bald wanderte sie in seltsamem Grübeln rings um ihn her. Draußen herrschte ein leichter Paraffingeruch, denn eins der Fässer leckte, und er mischte sich mit einem weniger unangenehmen Duft, der aus den zerhackten und zerquetschten Schlingpflanzen aufstieg.
Das Gemisch drinnen, wenn er den Kopf wandte, ein Gemisch blasser häuslicher Gerüche, Bier, Käse, faule Äpfel und alte Schuhe als Leitmotive, war voller Reminiszenzen an die verschwundenen Skinners. Er sah das düstere Zimmer eine Weile an. Die Einrichtung war sehr durcheinander geworfen – vielleicht von einer neugierigen Ratte – aber ein Mantel auf einem Kleiderhaken an der Tür, ein Rasiermesser, ein paar schmutzige Papierfetzen und ein Stück Seife, das durch Jahre des Nichtgebrauchs zu einem hornigen Würfel verhärtet war, dufteten nach Skinners besonderer Persönlichkeit. Es drängte sich Bensingtons Geist mit absolut neuer Klarheit auf, daß der Mann in aller Wahrscheinlichkeit, wenigstens zum Teil von dem Ungeheuer getötet und aufgefressen war, das nun dort im Dunkel lag.
Wenn man bedachte, wozu eine harmlos aussehende Entdeckung in der Chemie führen konnte!
Hier saß er im vertrauten England, und doch in unendlicher Gefahr, saß da mit einer Flinte in einem dämmrigen Trümmerhaus, fern von jedem Luxus, die Schulter von einem Flintenrückschlag schwer gequetscht, und – bei Gott!
Jetzt erfaßte er erst, wie gründlich sich die Ordnung des Weltalls für ihn verwandelt hatte. Er war geradewegs in dieses erstaunliche Unternehmen hineingelaufen, ohne seiner Cousine Jane auch nur ein Wort zu sagen!
Was mußte sie von ihm denken!
Er versuchte, es sich vorzustellen und er konnte nicht. Er hatte eine außerordentlich starke Empfindung, als seien sie und er auf ewig getrennt und würden sich nie mehr begegnen. Er fühlte, er war mit einem Schritt in eine Welt neuer Unermeßlichkeiten getreten. Was für andere Ungeheuer mochten diese tiefer werdenden Schatten nicht noch verbergen? ... Die Wipfel der Riesennesseln standen scharf und schwarz vor dem Blaßgrün und Bernsteingelb des westlichen Himmels. Alles war sehr still, auffallend still. Er wunderte sich, warum er die anderen dort um die Hausecke nicht hören konnte. Der Schatten im Wagenschuppen war jetzt ein abgründiges Schwarz.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bumm ... bumm ... bumm.
Eine Folge von Echos und ein Ruf.
Eine lange Stille.
Bumm, und ein Diminuendo von Echos.
Stille.
Dann, dem Himmel sei Dank! Redwood und Cossar kamen aus der unhörbaren Dunkelheit hervor, und Redwood rief: »Bensington!«
»Bensington! Wir haben noch eine von den Ratten im Sack!«
»Cossar hat noch eine von den Ratten im Sack!«
Als die Expedition ihre Erfrischung beendet hatte, war die Nacht völlig gekommen. Die Sterne glänzten hell, und eine steigende Blässe nach Hankey zu verkündete den Mond. Der Posten bei den Rattenlöchern war aufrecht erhalten, aber die Wächter waren nach dem Hügelhang über den Löchern gezogen, denn ihn empfanden sie als einen sicheren Schußstandpunkt. Sie hockten dort in etwas reichlichem Tau und bekämpften die Feuchtigkeit mit Whisky. Die anderen ruhten im Haus, und die drei Führer besprachen das Werk der Nacht mit den Leuten. Der Mond stieg gegen Mitternacht empor, und sobald er klar über den Dünen stand, brachen alle, außer den Rattenlochposten, unter Cossars Führung im Gänsemarsch nach dem Wespennest auf.
Soweit das Wespennest in Betracht kam, fanden sie ihre Aufgabe ausnahmsweise leicht, erstaunlich leicht. Abgesehen davon, daß es ziemlich lange dauerte, war es keine ernstere Sache, als es jedes gewöhnliche Wespennest hätte sein können. Gefahr war ohne Zweifel vorhanden, Lebensgefahr, aber sie steckte auch nicht einmal den Kopf aus jenem unheilschwangeren Hügelhang hervor. Sie stopften den Schwefel und den Salpeter hinein, sie verpichten die Löcher gehörig, und sie zündeten ihre Lunten an. Dann machte die ganze Gesellschaft außer Cossar in gemeinsamem Impulse kehrt und lief quer durch die langen Fichtenschatten; als sie aber fanden, daß Cossar zurückgeblieben war, machten sie nach hundert Metern in einem Knäuel Halt, bequem bei einem Graben, der Schutz gewährte.
Eine Minute lang vielleicht war die mondhelle Nacht mit ihrem Schwarz und Weiß schwer erfüllt von einem erstickten Summen, das sich zu einem Brüllen hob und anschwoll zu einer tiefen, vollen Note, die kulminierte und erstarb, und dann war die Nacht unglaublich still.
»Bei Gott!« sagte Bensington beinahe flüsternd, » es ist getan!«
Alle standen erwartungsvoll da. Der Hügel über dem schwarzen Gewebe der Fichtenschatten schien so hell wie der Tag und so farblos wie Schnee. Der festwerdende Gips in den Löchern leuchtete geradezu. Cossars loser Umriß bewegte sich auf sie zu.
»Soweit – –« sagte Cossar.
»Bumm – bumm!«
Ein Schuß in der Nähe des Hauses und dann – Stille.
» Was ist das?« sagte Bensington.
»Eine von den Ratten hat den Kopf herausgesteckt,« vermutete einer der Leute.
»Nebenbei, wir haben unsere Flinten da oben gelassen,« sagte Redwood.
»Bei den Säcken.«
Alles begann wieder nach dem Hügel zu gehen.
»Das müssen die Ratten sein,« sagte Bensington.
»Selbstverständlich,« sagte Cossar und nagte an seinen Fingernägeln.
» Bumm!«
»Hallo?« sagte einer der Leute.
Dann plötzlich kam ein Schrei, zwei Schüsse, ein lauter Schrei, der fast ein Kreischen war, drei Schüsse in rascher Folge und ein Splittern von Holz. Alle diese Laute waren in der ungeheuren Stille der Nacht sehr klar und sehr kurz. Dann einige Minuten lang nichts als eine winzige verhüllte Verwirrung aus der Richtung der Rattenlöcher, und dann wieder ein wilder Schrei ... Alle eilten nach den Flinten.
Zwei Schüsse.
Bensington merkte, daß er, die Flinte in der Hand, durch die Fichten scharf hinter einer Zahl zurückweichender Rücken herschritt. Es ist merkwürdig, daß der oberste Gedanke in seinem Geist in diesem Moment der Wunsch war, seine Cousine Jane möchte ihn sehen können. Seine knolligen, geschlitzten Stiefel flogen in weiten Schritten einher, und sein Gesicht war zu einem dauernden Grinsen verzogen, weil das seine Nase kraus machte und die Brille an ihrer Stelle hielt. Und die Mündung seiner Flinte hielt er gerade vor sich her, als er durch das Schachwerk des Mondlichts eilte. Der Mann, der fortgerannt war, kam ihnen in vollem Lauf entgegen – er hatte seine Flinte weggeworfen.
»Hallo!« sagte Cossar und fing ihn mit den Armen auf. »Was gibt's?«
»Sie sind alle zusammen herausgekommen,« sagte der Mann.
»Die Ratten?«
»Ja, sechs Stück.«
»Wo ist Flack?«
»Gefallen.«
»Was sagt er?« keuchte Bensington, der unbeachtet herankam.
»Flack ist gefallen?«
»Er stürzte.«
»Sie kamen eine nach der anderen heraus.«
»Was?«
»Machten einen Ausfall. Ich feuerte beide Läufe zuerst.«
»Sie haben Flack verlassen?«
»Sie kamen auf uns zu.«
»Kommen Sie,« sagte Cossar. »Sie gehen mit uns. Wo ist Flack? Führen Sie.«
Die ganze Gesellschaft zog vorwärts. Der Mann, der fortgelaufen war, ließ weitere Einzelheiten über das Gefecht fallen. Die anderen drängten sich um ihn, nur Cossar führte.
»Wo sind sie?«
»Vielleicht in ihre Löcher zurück. Ich setzte über sie weg. Sie stürzten auf ihre Löcher zu.«
»Wie meinen Sie? Sind Sie hinter sie gekommen?«
»Wir gingen neben ihren Löchern herunter. Sahen Sie herauskommen, wissen Sie, und versuchten, sie abzuschneiden. Sie lungerten heraus – wie die Kaninchen. Wir liefen hinunter und gaben Feuer. Nach unserem ersten Schuß rannten sie wild umher und stürzten plötzlich auf uns zu. Auf uns zu.«
»Wie viele?«
»Sechs oder sieben.«
Cossar führte zum Rand des Fichtenholzes und machte Halt.
»Wollen Sie sagen, sie haben Flack gekriegt?« fragte einer.
»Eine von ihnen stürzte auf ihn los.«
»Haben Sie nicht geschossen?«
»Wie konnte ich?«
»Alle geladen?« fragte Cossar über die Schulter.
Es folgte eine bejahende Bewegung.
»Aber Flack – –« sagte einer.
»Meinen Sie – Flack – –« sagte ein anderer.
»Es ist keine Zeit zu verlieren,« sagte Cossar und rief: »Flack!« als er führte. Die ganze Macht rückte gegen die Rattenlöcher vor, der Mann, der fortgelaufen war, ein wenig in der Nachhut. Sie gingen durch das üppige, übertriebene Kraut und kamen an der Leiche der zweiten Ratte vorbei. Sie bildeten eine bucklige Linie, alle die Flinten vor sich her gerichtet, und sie spähten im klaren Mondenschein rings um sich nach irgendeiner hockenden, ominösen Gestalt, einer kauernden Form aus. Die Flinte des Mannes, der fortgelaufen war, fanden sie sehr bald.
»Flack!« rief Cossar. »Flack!«
»Er lief an den Nesseln vorbei und stürzte,« sagte der Mann, der fortgelaufen war.
»Wo?«
»Da herum.«
»Wo fiel er?«
Er zögerte und führte sie eine Zeitlang quer durch die langen schwarzen Schatten und machte dann vorsichtig Halt. »Hier herum, denke ich.«
»Na, jetzt ist er nicht mehr hier.«
»Aber seine Flinte – –?«
»Zum Henker!« fluchte Cossar, »wo ist alles geblieben?« Er trat einen Schritt auf die schwarzen Schatten am Hügel zu, die die Löcher maskierten, und blieb spähend stehn. Dann fluchte er von neuem. »Wenn sie ihn hineingeschleppt haben – –!«
So zögerten sie eine Weile, indem sie sich Gedankenfragmente zuwarfen. Bensingtons Brillengläser blitzten wie Diamanten, als er von einem zum andern blickte. Die Gesichter der Leute wechselten von kalter Klarheit zu geheimnisvollem Dunkel, wenn sie sich aus dem Mondschein fortwandten. Alle redeten, keiner vollendete einen Satz. Dann wählte Cossar unvermittelt seine Linie. Er warf die Glieder hierhin und dorthin und stieß Befehle in Schrotform aus. Es war klar, er wollte Laternen haben. Alle außer Cossar gingen aufs Haus zu.
»Sie wollen in die Löcher?« fragte Redwood.
»Selbstverständlich,« sagte Cossar.
Er machte es noch einmal klar, daß man die Laternen des Karrens und des Leiterwagens holen und ihm bringen sollte.
Bensington, der dies erfaßte, ging den Pfad neben dem Brunnen davon. Er blickte über die Schulter zurück und sah Cossars riesenhafte Gestalt dastehen, als betrachte er nachdenklich die Löcher. Bei dem Anblick stand Bensington einen Moment still und drehte sich halb um. Sie ließen Cossar alle im Stich – –!
Cossar konnte natürlich für sich selber sorgen!
Plötzlich sah Bensington etwas, wobei er ein atemloses »Hei!« ausstieß. In einer Sekunde waren drei Ratten aus dem dunklen Gewirr der Schlingpflanzen auf Cossar zugeschnellt. Drei Sekunden lang merkte Cossar nichts von ihnen, und dann war er das beweglichste Wesen von der Welt geworden. Er gab kein Feuer. Offenbar hatte er keine Zeit zum Zielen; Bensington sah, wie er sich unter einer springenden Ratte wegduckte und ihr dann mit dem Gewehrkolben den Hinterkopf zerschmetterte. Das Ungeheuer tat noch einen Satz und überschlug sich.
Cossars Gestalt stürzte jäh außer Sicht in das Rohrgras, dann sprang er wieder auf und lief auf eine zweite der Ratten zu, indem er seine Flinte um den Kopf schwang. Ein schwacher Schrei drang Bensington zu Ohren, und dann sah er die beiden übrigen Ratten auseinanderstürzen und Cossar sie auf die Löcher zu verfolgen.
Die ganze Geschichte war eine Sache dunstiger Schatten, alle drei Ungeheuer waren durch die täuschende Helle der Nacht übertrieben und unwirklich gemacht. In Momenten war Cossar kolossal, in Momenten unsichtbar. Die Ratten blitzten in plötzlichen, unerwarteten Sprüngen vor dem Auge vorüber, oder sie liefen mit so schnellen Fußbewegungen, daß sie auf Rädern zu gleiten schienen. In einer halben Minute war alles vorbei. Niemand außer Bensington sah es. Er konnte die anderen, die noch immer auf das Haus zugingen, hinter sich hören. Er rief etwas Unartikuliertes und lief dann zu Cossar zurück, während die Ratten verschwanden.
Er holte ihn neben den Löchern ein. Im Mondschein deutete die Verteilung der Schatten, die Cossars Gesicht bildeten, auf Ruhe. »Hallo!« sagte Cossar, »schon zurück? Wo sind die Laternen? Jetzt sind sie alle wieder in ihren Löchern. Einer hab' ich den Hals gebrochen, als sie an mir vorbeilief ... Sehen Sie? da!« und er streckte einen hageren Finger aus.
Bensington war zu erstaunt, um etwas zu sagen ...
Die Laternen schienen endlos lange auszubleiben. Zuletzt erschienen sie, erst ein unverwandtes, leuchtendes Auge, vor dem ein schwankender, gelber Schein herlief, und dann zwei weitere, die hin und wieder dunkel wurden und dann wieder aufblitzten. Mit ihnen kamen kleine Gestalten mit leisen Stimmen, und dann ungeheure Schatten. Diese Gruppe bildete gleichsam einen Brandfleck auf dem riesigen Traumland des Mondscheins.
»Flack,« sagten die Stimmen. »Flack.«
Ein lichtbringender Satz schwebte heran. »Hat sich in der Dachstube eingeschlossen.«
Cossar wurde fortwährend wunderbarer. Er brachte große Hände voll Watte zum Vorschein und stopfte sie sich in die Ohren – Bensington wunderte sich: wozu? Dann lud er seine Flinte mit einer Viertelladung Pulver. Wer sonst hätte daran denken können? Das Wunder fand seinen Höhepunkt, als Cossars Zwillingsreihe von Stiefelsohlen die Mittelhöhle hinauf verschwanden.
Cossar lag auf allen Vieren, mit zwei Flinten; auf jeder Seite hing eine an einer Schnur unter seinem Kinn, und sein zuverlässigster Assistent, ein kleiner, dunkler Mann mit ernstem Gesicht, sollte gebückt hinter ihm drein gehen und ihm eine Laterne über den Kopf halten. Alles war so vernünftig und selbstverständlich und passend eingerichtet, wie der Traum eines Nachtwandlers. Die Watte, scheint es, war wegen der Erschütterung der Büchse; der Assistent hatte auch welche. Selbstverständlich! Solange die Ratten Cossar den Schwanz zukehrten, konnte ihm nichts passieren, und sowie sie gegen ihn kehrt machten, würde er ihre Augen sehen und zwischen sie feuern. Da sie den Zylinder der Höhle herabkommen mußten, konnte Cossar kaum fehlen. Es war, beharrte Cossar, die selbstverständliche Methode, ein wenig langweilig vielleicht, aber absolut sicher. Als der Assistent sich bückte, um einzudringen, sah er, daß an seinen Rockschoß das Ende einer Bindfadenrolle gebunden war. Daran sollte er das Tau einholen, wenn es gebraucht werden sollte, um die Leichen der Ratten herauszuziehen.
Bensington bemerkte, daß das, was er in der Hand hielt, Cossars Zylinder war.
Wie war der dahin gekommen? ...
Auf jeden Fall würde er eine Erinnerung an ihn sein.
Vor jedem der benachbarten Löcher stand eine kleine Gruppe mit einer Laterne auf dem Boden, die in die Höhle hinaufleuchtete, und ein Mann kniete und zielte auf die runde Leere vor sich, wenn irgend etwas auftauchen sollte.
Die Ungewißheit war endlos.
Dann hörten sie wie eine Explosion in einer Mine Cossars ersten Schuß ...
Dabei spannten sich aller Muskel und Nerven, und bumm! bumm! bumm! hatten die Ratten einen Ausbruch versucht, und noch zwei waren tot. Dann bemerkte der Mann, der die Bindfadenrolle hielt, ein Zerren. »Er hat eine da drinnen getötet,« sagte Bensington, »und er will das Tau.«
Er beobachtete, wie das Tau in das Loch hineinkroch, und es war, als sei es von einer Schlangenintelligenz belebt – denn die Dunkelheit machte den dünnen Bindfaden unsichtbar. Schließlich hörte es zu kriechen auf, und es folgte eine lange Pause. Dann kroch ein Ungeheuer, das Bensington als das wunderlichste von allen erschien, langsam aus der Höhle heraus und entwickelte sich zu dem kleinen Ingenieur, der rückwärts auftauchte. Hinter ihm kamen, tiefe Furchen pflügend, Cossars Stiefel zum Vorschein, und dann sein laternenerleuchteter Rücken ...
Nur eine Ratte war jetzt noch am Leben, und dieses arme, gerichtete Geschöpf kauerte in den innersten Schlupfwinkeln, bis Cossar und die Laterne von neuem hineinkrochen und Cossar es erschlug. Und schließlich kroch Cossar, dieses menschliche Frettchen, durch alle Gänge, um sich zu vergewissern.
»Wir haben sie,« sagte er schließlich zu seiner fast scheubefallenen Gesellschaft. »Und wenn ich nicht ein kotiges Mistvieh gewesen wäre, hätt' ich mich bis an die Hüften ausgezogen. Selbstverständlich. Fühlen Sie meinen Ärmel, Bensington! Ich bin ganz naß von Schweiß. Bißchen schwer, an alles zu denken. Nur 'ne tücht'ge Dosis Whisky kann mich vor 'ner Erkältung wahren.«
Es gab während dieser wunderbaren Nacht Momente, in denen es Bensington schien, als sei er von der Natur für ein Leben phantastischer Abenteuer vorbestimmt. Das war besonders eine Stunde oder so der Fall, nachdem er einen steifen Whisky getrunken hatte. »Werde nicht nach Sloane Street zurückgehen,« vertraute er dem großen, blonden, schmutzigen Ingenieur an.
»Nicht, eh?«
»Keine Angst,« sagte Bensington, indem er dunkel nickte.
Nach der Anstrengung, mit der man die sieben toten Ratten zu dem Scheiterhaufen bei dem Nesselwald geschleppt hatte, war er in Schweiß gebadet, und Cossar wies auf die selbstverständliche, natürliche Reaktion des Whiskys hin, um ihn vor der sonst unvermeidlichen Erkältung zu bewahren. In der alten ziegelgepflasterten Küche fand eine Art Brigantennachtmahl statt, während draußen die Reihe toter Ratten an den Heckengehegen lehnte, und nach etwa dreißig Minuten der Ruhe spornte Cossar seine Genossen zu den Arbeiten an, die noch zu tun waren. »Selbstverständlich mußten sie«, wie er sagte, »den Ort ausstreichen. Keine Streu liegen lassen, keinen Skandal. Verstehn Sie?« Er reizte sie zu dem Gedanken auf, die Vernichtung vollkommen zu machen. Sie zerschlugen und zersplitterten jedes Holzfragment im Hause, sie bauten Haufen gespaltenen Holzes auf, wo immer große Pflanzen wuchsen; sie errichteten einen Scheiterhaufen für die Rattenleichen und begossen sie mit Paraffin.
Bensington arbeitete wie ein gewissenhafter Erdarbeiter. Gegen zwei Uhr erreichte er eine Art Höhepunkt der Heiterkeit und Energie. Wenn er beim Werk der Zerstörung eine Axt schwang, flohen die Tapfersten seiner Nachbarschaft. Später ernüchterte ihn der Verlust seiner Brille ein wenig, bis man sie schließlich für ihn in seiner seitlichen Rocktasche fand.
Überall liefen Leute umher – rußige, energische Leute. Cossar bewegte sich wie ein Gott unter ihnen.
Bensington trank jenes Entzücken menschlicher Zusammengehörigkeit, das glückliche Heere überkommt, kraftvolle Expeditionen – niemals die, die das Leben nüchterner Bürger in Städten leben. Nachdem Cossar ihm die Axt weggenommen, und ihn beim Holztragen angestellt hatte, ging er hin und her und sagte, sie seien alle »gute Jungen«. Er hielt noch aus, als er schon lange gemerkt hatte, daß er müde war.
Zuletzt war alles bereit, und das Anstecken des Paraffins begann. Der Mond, der jetzt seines mageren Nachtgefolges der Sterne beraubt war, leuchtete hoch über der Dämmerung.
»Verbrennen Sie alles,« sagte Cossar, der hin und her ging, »verbrennen Sie den Boden und machen Sie reinen Tisch. Verstehen Sie?«
Bensington bemerkte ihn, wie er jetzt in den bleichen Anfängen des Tageslichts ganz hager und furchtbar aussah, wenn er vorübereilte, den Unterkiefer vorgeschoben, und in der Hand eine grelle Fackel aus Zunderholz.
»Kommen Sie her!« sagte jemand und zog Bensington am Arm.
Die stille Dämmerung – es sangen nirgends Vögel – war plötzlich erfüllt von einem prasselnden Aufruhr; eine kleine, stumpfe, rote Flamme lief um die Basis des Scheiterhaufens, verwandelte sich auf dem Boden zu Blau und begann Blatt für Blatt den Stamm einer Riesennessel emporzuklimmen. Ein singender Ton mischte sich in das Prasseln ...
Sie holten ihre Flinten aus dem Winkel in Skinners Wohnzimmer, und dann lief alles. Cossar kam mit schweren Sätzen hinter ihnen her ...
Dann standen sie still und blickten auf die Experimentalfarm zurück. Sie lohte auf; der Rauch und die Flammen strömten wie eine Menschenmenge in einer Panik heraus, aus Türen und Fenstern und tausend Rissen und Spalten im Dach. Man lasse Cossar ein Feuer aufbauen! Eine große Rauchsäule, durchschossen mit blutroten Zungen und zuckenden Blitzen, jagte zum Himmel empor. Es war, als stände plötzlich ein mächtiger Riese auf, der sich nach oben reckte und unvermittelt seine großen Arme über den Himmel ausbreitete. Das Feuer trieb die Nacht zu ihnen zurück und verbarg und verlöschte das Glühen der Sonne, die dahinter aufging, völlig. Ganz Hickleybrow hatte jenen verblüffenden Rauchpfeiler bald gesehen, und alles kam in mancherlei déshabillés auf den Hügel heraus, um die Expedition zurückkommen zu sehen.
Hinten schwankte und schwebte, einem phantastischen Pilze gleich, dieser Rauchpfeiler, aufwärts, in den Himmel hinein – so daß die Dünen niedrig aussahen, und alle anderen Gegenstände klein, und im Vordergrunde folgten, von Cossar geführt, die Urheber dieses Unheils dem Pfade, acht kleine, schwarze Gestalten, die müde mit geschulterten Flinten über die Wiese kamen.
Als Bensington zurückblickte, kam ihm eine vertraute Formel in den abgehetzten Geist und fand ein Echo. Wie war es doch? »Ihr habt heute – –?« Ihr habt heute – –?«
Dann fielen ihm Latimers Worte ein: »Wir haben heute in England eine Kerze entzündet, die kein Mensch je wieder auslöschen kann –«
Was für ein Mann Cossar doch war! Er bewunderte eine Zeitlang seine Rückansicht und war stolz darauf, jenen Hut gehalten zu haben. Stolz! Obgleich er ein bedeutender Forscher war, und Cossar sich nur mit angewandter Wissenschaft befaßte.
Plötzlich begann er ungeheuer zu frösteln und zu gähnen, und er wünschte, er wäre warm in sein Bett gepackt in der kleinen Wohnung, die auf die Sloane Street hinaussah. (Es ging nicht, auch nur an Cousine Jane zu denken.) Seine Beine wurden zu Baumwollschnüren, seine Füße zu Blei. Er fragte sich, ob ihnen in Hickleybrow irgend jemand Kaffee besorgen würde. Er war seit dreiunddreißig Jahren nicht mehr die ganze Nacht aufgewesen.
Und während diese acht Abenteurer um die Experimentalfarm mit Ratten kämpften, kämpfte neun Meilen entfernt, im Dorfe Cheasing Eyebright, eine alte Dame, deren Nase übertriebene Formen zeigte, beim Licht einer flackernden Kerze mit großen Schwierigkeiten. Sie hielt in der einen knorrigen Hand einen Sardinenbüchsenöffner, und in der anderen hielt sie eine Dose Herakleophorbia, die sie zu öffnen entschlossen war, oder zu sterben. Sie rang unermüdlich und grunzte bei jeder neuen Anstrengung, während die Stimme des Babys Caddles durch die gebrechliche Wandabteilung klagte.
»Das arme Herz,« sagte Mrs. Skinner; und dann biß ihr einsamer Zahn in einer Ekstase der Entschlossenheit auf ihre Lippe: »Willst du auf!«
Und alsbald: »Krach!« war ein frischer Vorrat von der Nahrung der Götter entfesselt, um seine Kräfte des Riesentums an der Welt auszulassen.