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Peter Owen hatte mittlerweile in aller Ruhe auch die zweite Portion bewältigt, einige ausgiebige Schlucke darauf gesetzt und schnitt sich nun einen Priem, der die Genüsse dieses schönen Abends vervollständigen sollte. Und was dem ehemaligen Oberbootsmaat sonst noch fehlte, um ihn wirklich restlos zu befriedigen, drückte er in einem kurzen Satz aus.
»So – und jetzt könnte eigentlich was geschehen, damit das Blut nicht zu dick wird . . .«
»Es wird auch was geschehen«, bemerkte sein Genosse mundfaul und neigte sich dann dicht zu Peters gewaltiger Ohrmuschel. Er flüsterte eine ziemliche Weile abgerissene Worte in den Trichter, und Peter Owen saß steil wie ein Stock. Nur der Priem in seinem Mund kreuzte lebhaft von einer Wange zur andern.
Dem Dieb wurde bei dieser Heimlichkeit seiner Beschützer mit einem Mal sehr beklommen zumute, und als Peter endlich kurz nickte und ihm unvermittelt den Dolch in die Hand drückte, fiel ihm das Herz vollends in die Hosen. Auch die ermutigenden Worte, die er dabei zu hören bekam, vermochten seinen Schreck nicht zu mindern.
»Steck das Ding vorläufig wieder ein, mein Junge«, sagte Peter gelassen, »damit du doch für alle Fälle etwas bei dir hast. Wir werden deine Suppe nun wohl auslöffeln müssen, aber das laß unsere Sorge sein. Wenn du parierst und dich nicht albern anstellst, wird es für dich nicht ärger sein, als wenn du mit deinem Frauenzimmer im Hyde Park spazieren gingst. Der Gentleman hier« – er deutete mit dem Daumen respektvoll auf Ramsay – »geht voraus, und du hältst dich genau sechs Schritte hinter ihm. Und sechs Schritte hinter dir komme ich. Sieh zu, daß du uns nicht verlierst, denn sonst schneiden sie dir wirklich den Hals ab. Aber das ist dann nicht unsere Schuld. So, und nun zahle, wie es ausgemacht ist, und dann gehen wir.«
Fünf Minuten später war es soweit, aber in dem halbdunklen Flur nahm Ramsay den tatendurstigen Peter nochmals beiseite.
»Also«, flüsterte er ihm eindringlich zu, »den Mann müssen wir heil herausbringen, koste es was es wolle. Ich brauche ihn. Deshalb wird sogar geschossen, wenn es nicht anders gehen sollte. Aber nicht so wild darauf los, daß etwa einer von den Burschen sich hinlegt. Knallen Sie bloß vor die Füße, das wird genügen . . .«
Peter fand diese Weisung nicht ganz nach seinem Geschmack und hatte seine Bedenken. »Wenn es aber zufällig daneben geht? So was kann doch in der Finsternis sehr leicht vorkommen . . .«
»Es darf keiner auf dem Platz bleiben«, schnitt Ramsay die Unterhaltung ungeduldig ab. »Und es wird auch nicht notwendig sein, viel herumzuknallen. Es sind gewiß einige Polizeistreifen unterwegs und zwei oder drei Schüsse werden ausreichen, sie lebendig zu machen. – Welchen Weg also?«
»Links um das Haus und dann geradeaus in die Gasse neben der Laterne«, tuschelte Peter zurück. »Dort gibt es vierhundert Schritte weiter eine Stelle, wo einige der kleinen Buden etwas zurückgebaut sind. Wenn wir bis dahin kommen und uns hinter die Ecken drücken, kann man von keiner Seite an uns 'ran. Und dann haben wir auch schon die Commercial Road auf kaum eine halbe Seemeile vor uns.«
Es ging alles glatt, denn sie wußten ihren Weg, der lauernde Simonow aber mußte ihn erst in Erfahrung bringen. In unmittelbarer Nähe des ›Durstigen Stockfisch‹ loszuschlagen, schien ihm nicht ratsam.
Erst als die Erwarteten gemächlich den freien Platz passiert hatten und in das kleine Gäßchen eingebogen waren, gab Simonow im tiefen Schatten eines baufälligen Speichers rasch seine Befehle, und die Umfassungsgruppe begann zu laufen, weil sie eine ziemliche Strecke zurückzulegen hatte. Die andern aber schlichen einzeln und lautlos den dreien nach, darauf bedacht, ihnen nicht zu nahe zu kommen, bevor vorne nicht abgeriegelt war.
Diese Vorsicht war überflüssig, denn die drei waren schon weit voraus. Kaum in der Dunkelheit, waren sie mit langen Sprüngen vorwärtsgestürmt, und es bestand offenbar keine Gefahr, daß sie den Dieb verlieren würden. Dieser machte Sprünge wie ein gehetzter Hirsch und hielt sich so dicht hinter Ramsay, daß er ihn jederzeit am Joppenzipfel fassen konnte.
So erreichten sie ungeschoren die Nische bei den Buden und sahen sogar auch den weiteren Weg vor sich noch immer frei. Die Commercial Road war wirklich kaum mehr als einen guten Büchsenschuß entfernt, und ihr Licht schimmerte bereits am Ende der Gasse.
Aber schon in der nächsten Sekunde tauchten dort rasch hintereinander mehrere dunkle Schatten auf, und Ramsay wandte sich nach Peter Owen um.
»Bloß vor die Füße!« gebot er nochmals.
»Wenn mir aber die Hand vom Laufen so schrecklich zittert . . .«, knurrte Peter zurück, und dann war auch schon zu hören, daß sich in nächster Nähe etwas vorbereitete . . .
Es mochte wohl an der zitternden Hand Peters gelegen haben, daß auf seiner Seite der erste Schuß losging. Und er mußte auch allzu knapp vor den Füßen eingeschlagen haben, denn als Echo kamen ein kurzer Aufschrei und ein gewaltiger Fluch zurück.
Und dann schien es einen Augenblick kritisch werden zu wollen, weil Peter plötzlich auf kaum zehn Schritte so viele Füße vor sich sah, daß er nicht wußte, vor welche er zuerst halten sollte. Er nahm sie daher hübsch der Reihe nach, und nun krachte es auch dreimal kurz hintereinander an der Ecke bei Ramsay . . .
Aber damit war der Spektakel auch schon zu Ende, denn vorne in der Commercial Road und rechts und links machten wirklich die Polizeipfeifen auf einmal einen so protzigen Lärm, daß Peter Owen aus dem Spucken nicht heraus kam. Und die tüchtigen Leute Simonows fanden das Gepfeife noch bedenklicher als die Schießerei. Die von vorne gekommen waren, stürmten daher lieber auf die gefährliche Nische los, als daß sie umgekehrt wären. Dabei hatten sie solche Eile und machten so wenig die Augen auf, daß einer von ihnen mit dem Gesicht an Peters langem Revolver hängenblieb und ein Stück seiner Nase daran zurückließ.
Wenigstens erzählte es Peter Owen so, als Ramsay deswegen eine Bemerkung fallen ließ.