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11

Tommy Dix, ein Veteran unter den Jockeis, war stolz auf seine lange Verbindung mit dem Turf und lebte das typische Leben eines Rennreiters. Er kannte auch Mr. Goodie, und eines Sonntagmorgens kam er nach Berkshire, um ›Weiße Lilie‹ bei der Morgenarbeit zu prüfen. Mr. Goodie war bei der Gelegenheit zugegen. ›Weiße Lilie‹ gewann nur um eine Halslänge vor einem anderen, ziemlich gewöhnlichen Gaul, und als Tommy aus dem Sattel stieg, kam Mr. Goodie zu ihm.

»Nun, was meinen Sie? Ist das Pferd gut genug, daß es das Rennen in Cambridgeshire gewinnen kann?«

Tommy sah auf ›Weiße Lilie‹, dann auf Mr. Goodie.

»Hat der Sattel das Normalgewicht?«

Goodie nickte.

»Dann haben Sie keine Aussichten«, erklärte Tommy.

Er war ein wenig erstaunt. Auf dem Weg zum Start hatte er den Sattel untersucht, aber kein Bleigewicht entdecken können. Es kam häufig vor, daß Trainer die Jockeis nicht ins Vertrauen zogen, und da Tommy Dix den Ruf Goodies kannte, hatte er erwartet, daß Goodie den Sattel schwerer gemacht hätte. Seiner Meinung nach hatte das Pferd keine Aussicht zu gewinnen.

Dem Jockei war es ganz gleich, wer das Pferd beim Cambridgeshire-Rennen reiten sollte. Es war nun einmal klar, daß von den vielen Pferden, die bei einem solchen Rennen starteten, nur eins gewinnen konnte. Er machte einen schwachen Versuch, aus dem Vertrag auszusteigen, aber Mr. Goodie erklärte ihm sofort, daß er ihn nicht aus dem Kontrakt entlassen würde. Und die oberste Rennbehörde war in diesem Punkt auch sehr scharf. Wenn ein Jockei einen Vertrag abschloß, mußte er ihn unter allen Umständen einhalten, sonst konnte es ihn die Lizenz kosten.

Mr. Goodie wartete, bis der Jockei in seinem Auto fortgefahren war und man in der Ferne nur noch eine Staubwolke sah. Dann gab er Jose den Befehl, den Sattel abzunehmen. Jose war ein starker Mann und konnte infolgedessen leicht den Sattel heben, der auf Anordnung Goodies besonders hergestellt worden war. In den Sitz war eine schwere Bleiplatte eingearbeitet. ›Weiße Lilie‹ hatte bei dem Galopp tatsächlich einen zu schweren Sattel getragen.

Tommy fuhr nach London zurück, und als er durch die Vorstädte kam, hielt er vor dem Hause eines bekannten Buchmachers. Es war eine bedauernswerte Tatsache, daß Jockeis und Buchmacher häufig zusammenkamen.

»Nun, wie ist ›Weiße Lilie‹ gelaufen?«

»Auf das Pferd können Sie ruhig Wetten annehmen, dabei verlieren Sie nichts. Der Gaul gewinnt das Cambridgeshire-Rennen nicht.«

Es war Tommys größter Fehler, daß er den Mund nicht halten konnte. In wenigen Tagen wußten alle Leute in Newmarket, die es wissen wollten, ebenso die meisten Berichterstatter in der Fleet Street in London, daß ›Weiße Lilie‹ für einen Sieg beim Cambridgeshire-Rennen nicht in Betracht kam.

›Ich hoffe, daß sie noch bedeutend aufholt‹, schrieb Mr. Goodie am nächsten Tag an Tommy Dix. ›Sie wird immer besser, und ich hoffe, daß sie schnelle Fortschritte macht.‹

Tommy las den Brief und machte eine unfreundliche Bemerkung.

*

Auch Edna Gray hatte den Galopp am Sonntag morgen gesehen. Sie hatte einen großen Ritt über die Wiesen und Felder gemacht und war gerade zu dem Trainingsfeld gekommen, als Tommy Dix startete. Sie verstand nicht viel von Rennen, aber sie war doch der Ansicht, daß der Mann im Sattel außerordentlich viel konnte.

Schließlich ritt sie weiter und wählte zum Abstieg einen steilen, ziemlich gefährlichen Pfad. Sie kam am Eingang der Perrywig-Höhlen vorbei, ließ ihr Pferd halten und schaute auf die große, düstere Öffnung. Über das schwere Tor hinweg suchte sie mit ihren Blicken die Dunkelheit zu durchdringen, aber sie sah nichts als eine Felswand, die die Höhle in verhältnismäßig kurzer Entfernung abschloß. Sie hatte gehört, daß man durch ein Labyrinth von Gängen meilenweit unter der Erde vordringen könne und die Hügel vollkommen unterminiert seien.

Sie trieb das Pferd ein paar Schritte vor, dann hielt sie wieder. Es war deutlich zu sehen, daß hier ein Picknick stattgefunden hatte; die Reste der Mahlzeit – Apfelsinenschalen, Hühnerknochen und ein paar Stück Brot – waren hinter einen Strauch geworfen worden.

Luke hatte versprochen, am Sonntag zum Mittagessen zu erscheinen, und als sie nach Hause kam, war sie angenehm überrascht, ihn in einem großen Korbstuhl in der Sonne sitzend bereits anzutreffen.

»Sie haben also den Geist auch gehört?« begrüßte er sie und machte nicht einmal Anstalten, sich zu erheben. Er hatte wirklich sehr schlechte Manieren. »Sind Sie jetzt endlich so vernünftig geworden, daß Sie mit mir in die Stadt kommen?«

Er erhob sich endlich, als sie näher kam.

»Die Ratten sind, wie ich gehört habe, vollkommen verschwunden. Rustem und Goodie haben viel Zeit und Geld nutzlos verschwendet. – Begleiten Sie mich in die Stadt?«

»Warum denn?«

»Es ist doch ein furchtbar einsames Leben hier für eine hübsche junge Dame. Übrigens – mir ist etwas sehr Dummes passiert.«

Er folgte ihr in die Halle und ließ sich dazu herbei, ein Kissen für sie in einen Sessel zu legen.

»Es ist ja erstaunlich, daß Sie solche Geständnisse machen. Was haben Sie denn getan?«

»Irgendein Unbekannter hat mich gestern angeläutet und gefragt, ob ich Sie kenne. Als ich das bestätigte, sagte er eine Gemeinheit über Sie. Es war natürlich eine grobe Erfindung, die in ganz bestimmter Absicht ausgesprochen wurde, und ich bin auch sofort darauf hereingefallen und habe mich furchtbar aufgeregt. Weiter wollte der Mann nichts. Er legte schon auf, als ich merkte, wie dumm ich mich benommen hatte.«

Sie sah ihn groß an.

»Das verstehe ich nicht.«

»Ist es nicht schlimm, wenn man sich durch einen so einfachen Trick fangen läßt? Ich muß sagen, daß ich mich schäme.«

»Aber was bedeutet das alles? Welche Gemeinheit hat er gesagt?«

»Darauf kommt es im Augenblick nicht an. Der Mann wollte vor allem wissen, ob ich mich genügend für Sie interessiere, um bei der ersten gemeinen Bemerkung über Sie in Wut zu geraten und er hat tatsächlich sein Ziel erreicht.«

Bevor sie etwas erwidern konnte, sprach er weiter.

»Wenn ich sage, daß ich mich genügend für Sie interessiere, dann soll das nicht heißen, daß ich mich hoffnungslos in Sie verliebt habe. Es bedeutet nur, daß ich Sie gern habe. Zwischen diesen beiden Zuständen besteht ein großer Unterschied.«

»Das hoffe ich auch«, entgegnete sie kühl.

»Wenn dieser Mann zum Beispiel glaubt, er könne mich dadurch treffen, daß er Ihnen ein Leid antut, dann ist das für mich sehr wichtig. Ich muß also dafür sorgen, daß er nicht an Sie herankommt. Doktor Blanter ist ein Mann, mit dem Sie nicht zusammentreffen dürfen.«

Sie wandte sich schnell zu ihm und verbarg ihren Ärger nicht.

»Sie hätten das vielleicht ein wenig taktvoller sagen können, Mr. Luke«, erwiderte sie ungnädig. »Er mag ein unangenehmer Mensch sein, aber ich habe Ihnen doch nicht das Recht eingeräumt, zu bestimmen, mit wem ich zusammentreffen soll oder nicht. Es tut mir leid, daß Sie sich eine ganz falsche Stellung anmaßen. Sie sind zuvorkommend und liebenswürdig zu mir gewesen, das will ich gern anerkennen, aber ich kann nicht dulden, daß Sie so tun, als ob Sie für mich verantwortlich wären. Das ist nicht nur peinlich, sondern geradezu empörend.«

Er antwortete nicht gleich, sah sie aber sehr ernst an.

»Ich glaube, Sie haben recht«, sagte er nach einem langen Schweigen. »Sie müssen schon entschuldigen, daß meine Manieren nicht gerade die besten sind. Es tut mir leid.«

Sie bereute sofort, daß sie so vorschnell gewesen war, aber sie nahm sich zusammen und ließ sich nichts von ihrer Reue anmerken. Sie hatte einen kleinen Sieg über ihn davongetragen, allerdings nicht ohne Opfer. In gewisser Weise hatte sich seine Haltung ihr gegenüber vollkommen geändert.

Während des Essens gab sie sich Mühe, wieder das alte vertrauliche Verhältnis herbeizuführen, das jedenfalls weit erträglicher war als dieses absolut korrekte und respektvolle Benehmen, das er jetzt zeigte. Schließlich machte sie ihm Vorwürfe, daß er in schlechter Stimmung sei.

Er lachte.

»Hoffentlich haben Sie unrecht. Aber in den Männern kennt man sich nie aus; sie sind eitle Geschöpfe, die sehr leicht etwas übelnehmen. – Haben Sie noch etwas von den großen schwarzen Hunden gesehen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sehen Sie sich die Tiere genauer an, wenn Sie wieder Gelegenheit dazu haben. Fürchten Sie sich nicht vor ihnen?«

»Vor Hunden fürchte ich mich nicht.«

Er blieb nach Tisch noch eine Stunde, und sie hätte nie geglaubt, daß er ein so guter Gesellschafter sein könnte. Als er gegangen war, blieb sie mit einem Gefühl der Verlassenheit zurück. Sie war mit sich, mit ihm, mit ihrem Haus und ihrem ganzen Leben unzufrieden, und sie fürchtete sich fast vor dem einsamen Abend, der ihr bevorstand.

Sie klingelte ihrer Zofe.

»Packen Sie meinen Koffer und rufen Sie das Carlton-Hotel an, daß Zimmer für mich reserviert werden. Dann sagen Sie dem Chauffeur, daß ich heute abend noch nach London fahren will.«

Zum erstenmal seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft teilte sie Luke nicht mit, daß sie in die Stadt kam.

London ist an einem regnerischen Sonntagabend eine langweilige Stadt, selbst wenn man in einem so eleganten Hotel wohnt. Nicht einmal ins Theater konnte sie gehen, und sie legte sich deshalb frühzeitig zur Ruhe, enttäuscht von sich und der ganzen Welt. Am liebsten hätte sie weinen mögen.


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