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7

Luke saß in seinem Zimmer und überdachte die Lage. Vor drei Monaten hatte sich Goodie, wie er wußte, bei der Grafschaftsverwaltung über Wassermangel beklagt und Unterhandlungen aufgenommen, um einen Landsitz in Wiltshire zu kaufen. Dorthin wollte er dann seinen Rennstall verlegen. Mehrmals hatte er Leute bemerkt, die die Morgengaloppe seiner Pferde beobachteten, und er wollte in einer möglichst abgelegenen Gegend Land erwerben oder pachten, um solchen Unannehmlichkeiten nicht ausgesetzt zu sein.

Warum waren Gillywood und das Heideland, das man doch leichter übersehen konnte als Ländereien in Wiltshire, plötzlich so wertvoll für ihn geworden, daß er ein Angebot von fünfzigtausend Pfund dafür machte? Tat er es etwa, weil Edna Gray seine Nachbarin werden würde? Barg Longhall oder die Gillywood-Farm und das dazugehörige Land ein Geheimnis, das er nicht preisgeben konnte?

Für Luke war es kein Geheimnis; er hatte es durchschaut. In allernächster Nähe hatte er Erkundigungen eingezogen und dabei eine Entdeckung gemacht, über die er nicht wenig erschrak. Er war zwar ein tapferer Mann, aber unter den gegebenen Umständen würde er niemals den Versuch machen, nachts gewaltsam in dieses Haus einzudringen. Luke wußte, warum Goodie die Ställe nicht benützte und neue Gebäude in einer ziemlichen Entfernung von seinem Haus gebaut hatte. Mußte er das nicht Edna Gray mitteilen? Über dieses Problem war er sich noch nicht klar.

Auf jeden Fall konnte die Sache warten, bis er sich persönlich in Longhall umgesehen und alle Möglichkeiten erkannt hatte, die Edna Gefahr bringen konnten. Früher oder später mußte es unvermeidlich zu einem Zusammenstoß mit Goodie kommen, und Luke wollte sie vor allen Gefahren und allen Unannehmlichkeiten schützen.

Wenn er auch sein Büro in Scotland Yard hatte, so standen ihm doch außerdem noch Arbeitsräume in einem großen Geschäftshaus zur Verfügung, das kaum fünfzig Meter von Scotland Yard entfernt lag. Dazu gehörte auch eine eigene Registratur. Ein ganzer Stab von Beamten war nur für ihn allein tätig. Scotland Yard hatte Luke auf drei Jahre an die oberste Rennbehörde ausgeliehen. Infolgedessen hatte er spezielle Nachforschungen angestellt, die zu auffallenden und interessanten Resultaten führten.

Früher hatte er geglaubt, die Verbrecherwelt könnte ihm nichts Neues mehr bieten, aber jetzt erfuhr er von dunklen Machenschaften, mit denen der durchschnittliche Kriminalbeamte niemals in Berührung kam. In seinen Geheimakten erschienen die Namen harmloser Stalljungen neben denen hervorragender und berühmter Persönlichkeiten, und er lernte gefährliche Verbrecherbanden kennen, die nicht das große Publikum, sondern die Buchmacher ausplünderten. Auch die Namen nicht weniger Polizeibeamter standen in seinen Aufzeichnungen.

In Inspektor Lukes Kartothek waren die Namen sämtlicher Angestellten der Firma Trigger registriert, die der Beauftragten, der Stenotypistinnen, ja selbst der Putzfrauen, die abends nach Büroschluß die Räume säuberten. Und seine Beamten hatten diese Leute fast alle mehr oder weniger ausgefragt. Diese waren allerdings nur die Glieder des großen Unternehmens; das Gehirn dieses Organismus bildete der kleine, korpulente Mann, der in seinem mit Rosenholz getäfelten Büro saß. Hinter ihm war ein großer Safe in die Wand eingelassen, den Stahltüren von ganz beträchtlicher Stärke schützten.

Die Stenotypistinnen kannten nicht einmal die Namen der Mitglieder. Trigger beschäftigte nur junge Damen und zahlte jeder ein Gehalt, das selbst für eine Privatsekretärin ziemlich hoch gewesen wäre. Er wählte sie mit der allergrößten Sorgfalt aus.

Jedes junge Mädchen hatte seinen Schreibtisch und seine Kartei. Aber die Karten trugen statt Namen nur Nummern. Diese wurden auf jeden Briefumschlag gestempelt, und all die vielen Kuverts wurden dann in Triggers Büro gebracht.

Er allein wußte, welche der vielen mit Namen und Adresse versehenen Matrizen einer Nummer entsprach. Er selbst schob sie in die Adressiermaschine, die er auch allein bediente. Außerdem brachte er die Briefe in seinem eigenen Auto fort. Er verteilte sie geschickt; in jeden Briefkasten, an dem er unterwegs vorbeikam, warf er einen Stoß davon. Es dauerte Stunden, bis er auf diese Weise seine Post aufgegeben hatte, aber das hing mit seinen Geschäftsprinzipien zusammen. Diese Arbeit durfte er keinem anderen übertragen.

Die Mitglieder seiner Organisation waren, wie Luke sagte, siebenmal gesiebt und erprobt. Die Hälfte der Gewinne, die diese Leute machten, wurde ihm spätestens eine Woche, nachdem das betreffende Pferd das Rennen gewonnen hatte, in starken Leinenkuverts von graugrüner Farbe als eingeschriebene Wertbriefe zugesandt. Jeder seiner Kunden erhielt eine ganze Anzahl dieser besonderen Umschläge, und diese wurden alle in sein Privatbüro gebracht. Er selbst kontrollierte die Eingänge und verbuchte sie nach einem Geheimschema. Kurz vor und kurz nach einer Transaktion arbeitete er nahezu achtzehn Stunden am Tag und schlief während dieser Zeit im Büro. Alle Anteile an Renngewinnen ließ er sich in barem Geld auszahlen. Was damit geschah, hatte Luke noch nicht herausbringen können. Große Summen wurden auf Triggers Bankkonto eingezahlt, um die ungewöhnlich hohen laufenden Ausgaben zu decken. Luke war fest davon überzeugt, daß die Geschäftsbücher, die Trigger führte und gegebenenfalls der Steuerbehörde zur Revision vorlegte, gefälscht waren. Die richtige Höhe seiner Gewinne konnte niemals festgestellt werden. Sobald eine Transaktion zur Ausführung kam, stempelte Mr. Trigger den Namen des Pferdes selbst auf jedes Telegramm. Zwanzig bis dreißig solcher Formulare wurden in Briefumschläge gesteckt, versiegelt und blieben in Bereitschaft bis zum Morgen des Tages, an dem das Rennen stattfand. Die Beauftragten brachten sie dann nach den verschiedensten Orten Englands. Erst auf dem Postamt erbrachen sie die Siegel, mitunter in Gegenwart eines zweiten Beauftragten, dann wurden die Telegramme aufgegeben. Diese zweiten Beauftragten, die die ersten kontrollierten, führten den Titel ›Inspektor‹. Sie hatten ein besonderes Büro in London und kamen mit den anderen Angestellten der Firma Trigger nur zusammen, wenn sie die Aufgabe der Telegramme kontrollierten.

Mr. Trigger war in seiner Art ein Feldherr, der seine Truppen umsichtig und geschickt leitete. Nichts überließ er dem Zufall und der Entscheidung seiner Untergebenen, er arbeitete alles bis ins letzte aus.

*

Im Lauf der nächsten Tage traf Luke Edna Gray zweimal, und zwar jedesmal zufällig. Obgleich sie ihr neues Haus noch nicht gesehen hatte, kaufte sie bereits Möbel dafür ein. Sie wollte seiner Meinung nach dadurch ihre Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, Longhall House als Wohnsitz zu wählen.

Eines Morgens rief sie ihn an und teilte ihm mit, daß sie die Absicht habe, ihr Landgut zu besuchen. Sie holte ihn in ihrem Wagen ab, und die beiden fuhren nach Berkshire hinaus.

»Ich dachte, Sie wollten einen Freund mitbringen?« fragte sie.

Er nickte.

»Ich habe ihm telefoniert, daß er uns dort erwarten soll. Er wohnt in Reading und hat nur einen verhältnismäßig kurzen Weg dorthin.«

»Ist er auch Kriminalbeamter?«

Er zögerte mit der Antwort.

»In gewisser Weise, ja.«

Sie hatte wieder von Garcia gehört; in einem Telegramm aus München hatte er sie eingeladen, ihn auf einer längeren Reise durch Europa zu begleiten.

»Der alte Herr wird ja recht vergnügungssüchtig«, bemerkte Luke. »Haben Sie in letzter Zeit eigentlich Rustem einmal gesehen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Auch keinen seiner Freunde?«

»Doktor Blanter sah ich. Er hat in meinem Hotel zu Mittag gegessen, und er schien sich sehr für mich zu interessieren.«

»Darauf können Sie sich verlassen. Das ist der eigentliche Bösewicht«, sagte Luke sehr ernst. »Es ist ihm bis jetzt immer gelungen, alles so zu schieben, daß man ihn nicht von der Liste der Ärzte gestrichen hat. Blanter ist immer noch approbierter Arzt. Er war allerdings in mehrere unangenehme Fälle verwickelt und hielt es für besser, seine Praxis zu verkaufen. Vor allem ist er Spezialist für Gifte; darüber weiß er mehr als sonst jemand in England. Wenn er nicht auf dem Rennplatz ist, bringt er seine Zeit im Laboratorium zu. Er hat ein wunderbar eingerichtetes Landhaus in der Nähe von Maidenhead.«

Sie erzählte ihm, daß sie bereits einige vorzügliche Dienstboten engagiert habe.

»Ist es nicht merkwürdig, wie geklatscht wird? Ich habe meiner Meinung nach nicht mehr als zwei Leuten gesagt, daß ich aufs Land ziehe, und doch haben sich bereits eine Menge Dienstboten bei mir gemeldet. Ich habe eine großartige Haushälterin, eine Köchin und zwei hübsche Stubenmädchen. Ich habe ihnen gesagt, daß sie heute dort sein sollen, um sich das Haus einmal anzusehen. Außerdem wollte ich mit der Haushälterin darüber sprechen, was sie zu tun hat.«

»Glänzend. In bezug auf Organisationstalent stellen Sie ja Trigger in den Schatten!«

Sie fuhren langsam durch das Dorf, hinter dem die Gillywood-Farm lag, und kamen dann an der düsteren Einfahrt zu Mr. Goodies Haus vorüber.

»Sieht es nicht wie ein Gefängnis aus?«

»Ja, es ist sehr düster«, gab sie zu. »Aber gerade dieses geheimnisvolle Haus interessiert mich.«

»Hoffentlich werden Sie nicht eines Tages enttäuscht«, erwiderte er grimmig.

Die eisernen Tore von Longhall waren offen, und in der Nähe der Haustür standen mehrere Leute – vier Frauen und ein hagerer Mann.

Luke ging mit ihr zu den wartenden Dienstboten. Die älteste von den Frauen machte einen etwas altmodischen Knicks. Edna merkte, daß nicht sie, sondern ihr Begleiter das Hauptinteresse der anderen erregte. Sie sahen ihn scharf an und beobachteten jede seiner Bewegungen.

Luke ging zu dem hageren Mann hinüber, wechselte ein paar Worte mit ihm und brachte ihn dann zu Edna.

»Mr. Lane«, stellte er ihn vor. »Wenn Sie nichts dagegen haben, wollen wir erst einmal einen kleinen Rundgang durch das Haus machen. Die Dienstboten bleiben besser draußen im Freien, bis Sie es von innen gesehen haben. Ich glaube auch nicht, daß sie großes Verlangen haben, ins Innere zu gehen.«

»Erwarten Sie, daß eine Bombe explodiert oder etwas Ähnliches?« fragte sie ärgerlich.

»Nein, aber wir werden viele Ratten sehen.«

Sie schauderte zusammen. Die Äußerung Goodies über die Ratten hatte sie vergessen.

Luke öffnete die Haustür mit dem Schlüssel.

»Wenn Sie gestatten, werden Mr. Lane und ich vorausgehen.«

Er trat einen Schritt ins Innere und blieb dann auf der Schwelle stehen. Sie bemerkte, daß im selben Augenblick die vier Dienstboten furchtsam zurücktraten. Zwei verängstigte Tiere eilten aus der Tür die Treppe hinunter; und als sie auch dort keinen Ausgang fanden, stürzten sie nach der offenen Tür. Edna wurde bleich. Sie haßte Ratten, und hier schien es eine Unmenge zu geben.

Luke grinste seine Begleiterin an.

»Es stimmt schon, Lane. Bringen Sie die Hunde.«

Der Mann ging aus dem Haus und kam nach kurzer Zeit mit drei Terriern wieder, die zusammengekoppelt waren. In der Zwischenzeit hatte Luke alle Fenster im Erdgeschoß geöffnet.

»Warten Sie ruhig hier; ich werde erst die Ratten aus dem Hause vertreiben.«

Edna stand vor der Tür und hörte das erregte Bellen der Hunde. Eine halbe Stunde später kam Luke wieder zu ihr.

»Treten Sie ein, ich glaube, die meisten Ratten sind erledigt.«

»Aber sie sind doch noch im Haus?« entgegnete sie ängstlich.

»Einige mögen noch dort sein, aber selbst das ist unwahrscheinlich. Die Ratten sind erst heute morgen hier eingesperrt worden, damit Sie eine Freude haben sollten. Goodie muß sich viel Mühe gemacht haben, um so viele zusammenzubringen. Lane hat Erfahrung als Rattenfänger, deshalb habe ich ihn hierhergebracht. Er wird einige Tage im Haus bleiben. Er hat mir gesagt, daß die Tiere ursprünglich gar nicht hier waren, sondern von außen hereingebracht wurden. Das geht schon daraus hervor, daß auch Feldratten darunter waren.«

Als sie von einem Zimmer ins andere ging, sah sie die toten Ratten, die die Terrier erlegt hatten. In dem Raum, den sie sich als Schlafzimmer ausgesucht hatte, fand sie Lane, der die Hunde wieder zusammenkoppelte.

»Ich will das Haus noch gründlich durchsuchen, Miss Gray, aber ich glaube nicht, daß ich irgendwo Rattennester finden werde. Das ist kein Platz, an dem sie sich aufhalten. Sie haben doch hier nichts zu fressen. Ja, drüben in den Ställen gibt es sehr viele, aber hier im Hause ...«

Es fiel Edna schwer, die vier Dienstboten zu überreden, ins Haus zu kommen. Die beiden Mädchen weigerten sich glatt. Luke, der interessiert und belustigt zugehört hatte, winkte die Haushälterin zu sich.

»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Ratten im Haus seien?«

Die Frau sah ihn unsicher an.

»Ich dachte mir gleich, daß hier Ratten sein müßten. Es sah schon von außen so aus.«

»Also, wer hat Ihnen das gesagt?« fragte Luke aufs neue. »Wer hat Ihnen allen gesagt, daß das Haus von Ratten wimmelt und daß Sie besser draußen blieben?«

»Niemand.«

Die Köchin antwortete für alle.

»Wie heißen Sie denn?« fragte der Inspektor die Haushälterin.

»Linton.«

»Früher hießen Sie doch Carr. – Und wie ist Ihr Name?« wandte er sich an die Köchin.

»Mrs. Keeler.«

»Früher hießen Sie Wheeler. Ihnen scheint ja auch ein Name ebensogut zu sein wie der andere. – Und von den beiden Mädchen dahinten ist bereits eine wegen Ladendiebstahls bestraft worden. – Das sind Sie.«

Er zeigte auf die hübschere von den beiden, die erst rot, dann bleich wurde.

»Und Sie waren doch seinerzeit in diese Hallam-Street-Geschichte verwickelt – stimmt das nicht?«

Die andere wechselte ebenfalls die Farbe. Sprechen konnte sie nicht, sie nickte nur.

Edna hörte bestürzt dieser Unterhaltung zu.

»Sie können alle nach Hause gehen«, sagte Luke freundlich. »Die Fahrt müssen Sie schon allein bezahlen. Und belästigen Sie Miss Gray nicht wieder, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun. Ich werde mich auch einmal etwas genauer darum kümmern, woher Sie alle die guten Zeugnisse haben, die Sie Miss Gray gezeigt haben. Sagen Sie nur dem Herrn, der Sie geschickt hat – ich glaube, es war Mr. Rustem –, daß er sich keine Mühe mehr zu geben braucht, die anderen vier oder fünf Dienstboten herzuschicken, mit denen er gesprochen hat. Sie sind alle beobachtet worden, wie Sie in sein Büro gingen, bevor Sie Miss Gray aufsuchten. Einer meiner Beamten hat das genau kontrolliert. Guten Morgen.«

Wie begossene Pudel gingen die vier davon.

»Aber warum sagen Sie das alles? Was sind das für Leute?« fragte Edna verwirrt. »Warum haben Sie denn –«

»Die waren besonders für Sie ausgesucht. Das war ein sehr ungeschickter Schachzug von Mr. Rustem, da sie sich alle ganz entsetzlich vor den Ratten fürchteten.«

»Aber woher wußten Sie das alles? Sie haben mich doch nicht etwa beobachten lassen?«

»Ach, man muß doch ein Auge auf seine Freunde haben«, sagte er leichthin. »London ist im allgemeinen eine sehr gefährliche Stadt. Ich habe das alles herausbekommen, weil ich Rustem beobachten ließ. Also, was werden Sie jetzt tun, Miss Gray? Sind Sie noch immer entschlossen, in diese alte, verfallene Ruine zu ziehen, oder werden Sie vernünftig sein und sich irgendwo in Mayfair ein Haus kaufen oder eine Wohnung in der Piccadilly mieten und dort ein angenehmes Leben führen?«

»Ich werde hier wohnen«, entgegnete sie entschlossen. »Je mehr ich von dem Haus sehe, desto besser gefällt es mir.«

»Dann wollen wir einmal die Runde machen.«

Sie gingen durch das hohe Gras an der Rückseite des Hauses und kamen auf einen Hof. Die Mauer, die Longhall von der Gillywood-Farm trennte, war nur fünfzig Meter entfernt. Longhall House war in der einen Ecke des großen Grundbesitzes errichtet worden. Luke ging an der Mauer entlang und untersuchte sie genau. In der Mitte war ein schweres hölzernes Tor in der Mauer angebracht. Er sah sofort, daß das Schloß geölt worden war; allem Anschein nach war dieses Verbindungstor in letzter Zeit benutzt worden.

»Schließt einer Ihrer Schlüssel hier?«

Sie nahm sie aus ihrer Handtasche, und er versuchte sie alle der Reihe nach, ohne jedoch Erfolg zu haben. Dann machte er eine kurze Eintragung in sein Notizbuch.

»Das Schloß des Tores muß geändert werden.«

In der Nähe von Mr. Goodies Wohnhaus schloß sich an die Mauer ein hoher Drahtzaun an.

Luke fand eine alte Leiter, stellte sie an die Mauer und überblickte von oben das Grundstück auf der anderen Seite. In nicht allzugroßer Entfernung lagen rechts die zur Zeit leeren Ställe. Links erstreckte sich der Drahtzaun etwa drei- bis vierhundert Meter weiter nach Süden, bog dann ab und zog sich weiter an dem Grundstück entlang, auf dem das Wohnhaus Mr. Goodies stand. In einer Entfernung von etwa fünfzig Meter sah Luke eine Vertiefung im Boden, die von Betonmauern eingeschlossen war. Er konnte nicht erkennen, welchem Zweck sie diente, aber jedenfalls trug sie nicht zur Verschönerung des Gartens bei. Weiter in der Ferne sah er zwei dunkle Öffnungen in den felsigen Hügeln; es waren die Eingänge zu den Perrywig-Höhlen, die in der Geschichte eine Rolle gespielt hatten. Schmuggler hatten sie benützt, und es war sogar ein Mord dort geschehen. Zwischen den Höhlen und dem Haus lag eine große, nicht sehr ordentlich gehaltene Schonung, und rechts davon erhob sich ein neues, rotes Gebäude, in dem Mr. Goodies Pferde untergebracht waren.

Luke kannte die ganze Gegend; er hatte sie früher schon häufig durchstreift. Eines Tages wollte er auch in die Höhlen eindringen, die jetzt durch schwere Tore verschlossen waren. Er wollte erfahren, welches Geheimnis sie bargen. Goodies Vergangenheit war nicht einwandfrei und noch wenig aufgeklärt. Selbst Scotland Yard mit seinem glänzenden Nachrichtendienst und all seinen Hilfsmitteln hatte das nicht fertiggebracht. So nahm Luke sich vor, die Sache zu klären. Goodies Name tauchte öfter im Zusammenhang mit schweren Verbrechen auf, ohne daß man dem Mann die Teilnahme daran nachweisen konnte. Luke wußte, daß es sich um einen starken, rücksichtslosen Menschen handelte, aber er wußte nichts von Goodies Ehrgeiz, und er hatte keine Ahnung von dem Bibliothekszimmer, das fast den ganzen oberen Stock von Gillywood Cottage einnahm. Dort saß Goodie in den stillen Nachtstunden an seiner Schreibmaschine und arbeitete an seinem großen Werk. Luke vermutete, daß der Trainer jeden Abend von Doncaster hierherkam und in den frühen Morgenstunden wieder zurückkehrte.

»Nun, was sehen Sie denn?« fragte Edna ungeduldig, denn er stand schon lange Zeit oben auf der Leiter.

»Ländereien, Zäune, neue Stallgebäude und eine Grube, die von Betonmauern eingefaßt ist. Ich kann aber nicht daraus schlau werden. Und hier wollen Sie also nun wirklich bleiben?«

»Heute nacht noch nicht. Aber daß ich später hierherziehe, ist ganz gewiß.«

»Gut, dann werde ich dafür sorgen, daß Sie wenigstens gute Dienstboten bekommen.«

*

Er hielt Wort und schickte in den nächsten Tagen sechs weibliche Dienstboten, einen Butler, einen Diener und ebenso Mr. Lane, den Rattenfänger, in ihr Hotel. Telefonisch bat er sie, Mr. Lane zu engagieren.

»Er hat große Erfahrung als Gutsverwalter. Außerdem hat er beim Militär gedient und kann Sie im Fall einer Gefahr beschützen.«

»Mit wem soll er denn kämpfen?«

»Das wird sich schon noch zeigen. Man kann nie wissen, was geschieht. In allem Ernst würde ich Ihnen empfehlen, ihn anzustellen. Übrigens ist der Butler, den ich Ihnen geschickt habe, ein früherer Polizeibeamter.«

»Sie wollen wohl mein Haus zu einer Polizeistation machen?«

»Ich könnte mir keinen schöneren Platz dafür denken.«


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