Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Daphne Olroy hatte Peters scherzhafte Ankündigung, daß er sie besuchen wolle, ernstgenommen und bis ein Uhr nachts auf ihn gewartet. Sie war schließlich in ihrem Sessel eingenickt und schreckte erst bei einem leichten Kältegefühl auf – ihr Feuer war ausgegangen, und sie begann sich selbst Vorwürfe zu machen, daß sie so dumm gewesen war, so lange zu warten.
Sie zog sich aus und schlüpfte gerade in ihren Schlafanzug, als die Türklingel schrillte. Hastig warf sie ihren Morgenrock über und ging zur Tür, da sie glaubte, daß es Peter sei. Als sie aber geöffnet hatte, starrte sie den späten Besucher verwundert an – es war Mr. Leicester Crewe. Sie erkannte ihn kaum, so bleich und verfallen war sein Gesicht.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« fragte er ohne ein weiteres Wort der Entschuldigung.
Sie war so erstaunt, daß sie – eigentlich ganz gegen ihren Willen – nickte und ihn hereinließ. Er folgte ihr ins Wohnzimmer.
»Wo ist der Geldbeutel?« Er sprach so grob, daß sie erschrak. Sie sah, wie seine Hand zitterte, als er sich über das Gesicht fuhr.
»Der Geldbeutel?«
Sie wußte einen Augenblick lang wirklich nicht, was er meinte. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an den Vorfall.
»Meinen Sie das Ding, das Mr. Farmer gehörte?«
Er nickte nervös.
»Ich habe jetzt keine Zeit, Ihnen die ganze Sache auseinanderzusetzen . . . Ich dachte, ich hätte ihn Mrs. Staines gegeben, erst später fiel mir ein, daß Sie hinter mir standen. Wo haben Sie den Geldbeutel?«
Sie zuckte hilflos die Schultern und sah die Enttäuschung auf seinem Gesicht.
»Haben Sie ihn etwa der Polizei gegeben?« fragte er mit heiserer Stimme.
»Ich gab ihn Mr. Dewin . . .«
»Dem Reporter? Warum haben Sie das gemacht?« fuhr er sie ärgerlich an.
»Ich bat ihn, den Geldbeutel der Polizei auszuhändigen«, erwiderte sie. »Sie haben mich doch so schnell fortgeschickt – und ich traf ihn draußen vor dem Haus. Hat er ihn nicht abgegeben?« Sie war jetzt selbst so aufgeregt, daß ihr Gedächtnis sie im Stich ließ.
Ein tödliches Schweigen folgte. Leicester Crewe war sich völlig klar darüber, daß der Geldbeutel bei Oberinspektor Clarke nicht abgeliefert worden war, denn er hatte gesehen, wie der Inhalt der Taschen des Toten auf seinem Schreibtisch ausgebreitet und von einem Polizeibeamten einzeln registriert wurde.
»Haben Sie – den Geldbeutel geöffnet . . . hineingesehen?« fragte er plötzlich.
»Nein, ich habe ihn nur Mr. Dewin gegeben. Aber ich nehme an, daß ein Schlüssel drin war – ich fühlte es von außen. Auf keinen Fall hätte ich den Geldbeutel geöffnet, ich bin nicht neugierig! Außerdem hätte ich auch gar keine Zeit dazu gehabt.«
Sein hageres Gesicht verzerrte sich vor Wut.
»Wie kommen Sie denn dazu, den Geldbeutel dem Reporter zu geben? Ich finde es einfach unerhört . . . Natürlich – es war ja eigentlich nichts von Bedeutung, nur . . . Schließlich hätten Sie doch mich zuerst fragen sollen, Farmer wollte mir ihn zur Aufbewahrung übergeben. Können Sie sich eigentlich noch daran erinnern, was ich zu Ihnen sagte?«
Sie wollte ihm schon entgegnen, daß er ihr den Auftrag gegeben hatte, den Geldbeutel ins Feuer zu werfen – aber dann gehorchte sie einer inneren Stimme und schüttelte nur den Kopf. Die Lüge fiel ihr um so schwerer, als er sie mit scharfen, mißtrauischen Blicken fixierte.
»Wo wohnt dieser Dewin?« – »Keine Ahnung – Sie können seine Adresse aber sicher im Telefonbuch finden.«
»Sie haben ihm doch nicht etwa gesagt, daß ich Ihnen aufgetragen habe, die Börse zu verbrennen? Es stimmt doch auch, daß Sie sich auf meine Worte nicht mehr besinnen können, wie?«
Der Mann war vollständig fassungslos; er konnte nicht mehr logisch denken und sprechen. Von neuem las sie in seinem Gesicht grauenhafte Furcht, die sich allmählich auch ihr mitteilte. Als er sah, wie ängstlich sie ihn beobachtete, gewann er allmählich seine Selbstbeherrschung zurück und sah sich flüchtig im Zimmer um.
»Hier wohnen Sie also? Nicht gerade sehr luxuriös!« meinte er in seinem alten, arroganten Ton. »Nun, ich werde jetzt wieder gehen – tut mir leid, daß ich Sie gestört habe, Miss Olroyd.«
Bis zu diesem Augenblick schien er nicht daran gedacht zu haben, mit wem er eigentlich sprach.
»Sind Sie nicht doch noch zu der Überzeugung gekommen, daß es besser wäre, bei mir zu bleiben?« fuhr er fort. »Ich verreise bald – schon nächste Woche. Die Sache mit Farmer ist mir auf die Nerven gefallen, und ich werde voraussichtlich längere Zeit fortbleiben. Den Winter über bin ich wohl in Afrika . . .«
Sie ging aus dem Zimmer, öffnete die Haustür und machte damit der Unterredung ein Ende.
»Ich sehe Sie doch morgen wieder?« erkundigte er sich unverfroren. »Sicher wundern Sie sich, daß ich so viel Aufhebens um diesen alten Geldbeutel mache, aber es handelt sich um . . .«
Das Denken fiel ihm immer noch schwer, und er konnte im Augenblick beim besten Willen keinen glaubwürdigen Grund für seine Ängstlichkeit finden. Schließlich murmelte er noch etwas über wichtige Schlüssel und sensationshungrige Zeitungsreporter, bevor sie endgültig die Tür hinter ihm schloß.
Sein Wagen stand vor dem Haus; er stieg ein und fuhr zurück. Als er in sein Arbeitszimmer kam, fand er dort Paula Staines und Ella Creed, die von den Ereignissen der Nacht sehr mitgenommen waren. Paula lag halb schlafend auf dem Sofa; Ella stand vor dem Kamin und starrte düster in die Flammen. Sie drehte sich um, als er eintrat.
»Hast du den Schlüssel?« fragte sie schnell.
»Welchen Schlüssel?« knurrte er unwillig.
»Benimm dich nicht so idiotisch, Billy«, erwiderte die Schauspielerin ärgerlich. »Du bist doch schließlich nur deshalb fort gewesen, um den Geldbeutel mit dem Schlüssel zu holen! Hatte Daphne ihn noch?«
»Sie hat ihn Dewin gegeben – dem Reporter.«
Ella biß sich auf die Lippen.
»Was? Dewin, diesem Kerl, der seine Nase in alles stecken muß? Nun sitzen wir erst recht in der Tinte!«
»Was ist denn los?« fragte Paula, die aus ihrem Halbschlaf hochgefahren war. »Hast du den Schlüssel, Billy?«
Ella Creed lachte höhnisch.
»Miss Olroyd hat ihn Dewin gegeben! Ausgerechnet Dewin! Der arme alte Joe hat immer gesagt, daß er der hartnäckigste Spürhund in ganz London ist und vier richtige Kriminalbeamte aufwiegt – und ausgerechnet der muß den Schlüssel haben!«
»Sei ruhig!« fuhr Leicester sie böse an und schaute vom Telefonbuch auf, in dem er nach Dewins Adresse suchte. »Konnte ich vielleicht wissen, daß Daphne hinter mir stand? Ich dachte eben, es sei Paula.«
Ella warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
»Hast du nie daran gedacht, daß es durchaus möglich ist, daß deine hübsche Miss Olroyd für die gefiederte Schlange arbeitet? Du hättest sie längst hinauswerfen sollen – schon vor Monaten, damals, als ich es dir sagte!«
Leicester Crewe gab ihr keine Antwort. Er fuhr mit dem Finger eine Namenspalte entlang. Plötzlich hielt er an.
»Hier steht es. Peter Dewin, Journalist, 49 Harcourt Gardens (Pension), Bayswater.«
Er kritzelte die Adresse auf ein Stück Papier und klappte das Buch zu.
»Was hast du vor?« fragte Paula.
»Ich werde den Schlüssel wieder besorgen – das ist momentan das Wichtigste.«
»Meinst du nicht, daß es am besten ist, wenn du einfach hingehst und ihn nach dem Geldbeutel fragst?« meinte Ella.
»Ihn einfach danach fragen!« explodierte Crewe. »Was würde der wohl Clarke für eine Geschichte erzählen, wenn ich ihn wegen eines Geldbeutels, der aus Joes Tasche fiel, mitten in der Nacht aus dem Schlaf aufstörte? Und was würde Clarke mir erzählen; wenn ich ihm berichtete, daß der Geldbeutel nicht mehr da sei?«
Fluchend verließ er das Zimmer und kam nach zehn Minuten zurück. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt einen dunklen Anzug und einen dunklen Schal.
»Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, den Schlüssel wieder zu beschaffen – auf jeden Fall werde ich es aber versuchen. Am besten, ihr wartet hier, bis ich zurückkomme; falls die Sache mißlingt, müssen wir sofort einen anderen Plan fassen. Sollte der Schlüssel in die Hände der Polizei gelangen, kommt die ganze Geschichte heraus – und bevor dann die Bombe platzt, möchte ich lieber ein paar tausend Meilen zwischen mir und London wissen.«
Die beiden Frauen hörten, wie die Haustür zuschlug. Ella stocherte böse mit einem Schüreisen im Kamin.
»Was ist nur mit Billy los, daß er so völlig seine Selbstbeherrschung verloren hat? Er ist wirklich ein Angsthase. Nehmen wir doch einmal an, sie wüßten es – welche Beweise haben sie dann gegen uns? Und was für eine Anklage könnten sie gegen uns erheben?«
Paula Staines klopfte sorgfältig eine Zigarette auf dem Deckel ihres Bernsteinetuis ab und zündete sie an, bevor sie antwortete:
»Billy hat schon recht – die größte Gefahr kommt von dieser gefiederten Schlange. Ich wünschte nur, daß ich nicht selbst so nervös wäre – ich kann einfach nicht mehr in Ruhe überlegen . . . Übrigens ist es eigentlich sonderbar – ich habe doch immer die verrücktesten Dinge gezeichnet, du kennst ja meine Vorliebe dafür, aber es wäre mir niemals eingefallen, eine gefiederte Schlange aufs Papier zu bringen.«
Ella sah sie mit einer gewissen Neugierde und Bewunderung an.
»Muß doch eigentlich sehr schön sein, wenn man so zeichnen kann wie du. Wo hast du das eigentlich gelernt?«
Paula blies einen Rauchring zur Decke und wartete, bis er sich aufgelöst hatte.
»Mein Vater unterrichtete mich darin – und manchmal wünsche ich, er hätte es nicht getan«, erwiderte sie ironisch. Aber plötzlich änderte sie ihren Ton. »Kannst du denn auch keine Lösung finden, Ella? Erinnerst du dich nicht an irgend etwas, das darauf hindeutet, daß Lane mit der gefiederten Schlange zu tun hatte?«
»Lane – dieser dumme Kerl?« entgegnete Ella geringschätzig. »Der ist doch glücklicherweise tot.«
Sie zog die Brauen zusammen.
»Ich wünschte nur, daß nicht ausgerechnet Dewin mit der Sache zu tun hätte. Er ist einer der findigsten Reporter – und außerdem erlauben sich diese Journalisten Dinge, die die Polizei nicht wagen würde . . . Was war das?« Man hörte ein schwaches Klingeln und gleich darauf die Schritte des Dieners, der aufgeblieben war. Die Haustür wurde geöffnet, gedämpft klangen Stimmen herüber. Dann kam der Diener ins Zimmer.
»Draußen ist ein Mann – er heißt Hugg –, der Mr. Crewe sprechen will.«
Die beiden Frauen sahen sich einen Augenblick bedeutungsvoll an.
»Es ist gut, lassen Sie ihn herein.«
Als der Diener gegangen war, erhob sich Paula von ihrer Couch und ging quer durch das Zimmer zum Kamin.
»Der Mann, der an Billy schrieb«, flüsterte sie. »Der Sträfling, der bei Lane war, als er starb.«
Mr. Hugg trat unsicher ins Zimmer, er lächelte ziemlich verlegen und sah so aus, als ob er sich entschuldigen wolle, daß er überhaupt geboren sei. Sein glasiger Blick und sein leises Schwanken ließen vermuten, daß er getrunken hatte.
»Verzeihen Sie vielmals – ist Mr. Crewe hier?« fragte er.
»Nein, Mr. Crewe ist ausgegangen . . . Sind Sie nicht der Mann, der bei William Lane war, als er starb?«
»Ganz richtig, meine Dame«, entgegnete Hugg. »Gerade deshalb will ich ja mit Mr. Crewe sprechen . . . Ich habe ihn wiedergesehen!«
Paula starrte den kleinen Mann mit weitaufgerissenen Augen an.
»Ihn wiedergesehen?« wiederholte sie langsam. »Wen?«
»William Lane«, entgegnete Hugg.
»Der Kerl ist also nicht tot!« rief Ella dazwischen.
Mr. Hugg schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Natürlich ist er tot, darauf können Sie Gift nehmen, ich habe ihn ja damals sterben sehen – er ist tot«, erklärte er ohne Zögern. »Was ich heute abend sah, war sein Geist – er saß in einem Taxi, das in der Edgeware Road hielt. Ich ging zu ihm hin und sprach ihn an . . . Ich sagte: ›Du bist doch William Lane, der mit mir zusammen im Kittchen saß – in der Abteilung D in Dartmoor?‹ und er sagt ›ja‹. Hat nicht einmal geleugnet, daß er tot ist! Ich sage dann: ›Ich muß mich wirklich sehr über dich wundern, William, daß du hier mit einem Auto herumfährst, obwohl du doch in Thatcham überfahren wurdest.‹«
Er schwankte noch heftiger, und Ella sah jetzt, was mit ihm los war.
»Sie sind ja betrunken«, fuhr sie ihn an.
Mr. Hugg schüttelte wehleidig den Kopf.
»Ich habe nur ein paar Gläschen auf nüchternen Magen gekippt«, verteidigte er sich. »Betrunken? Niemals, mein Fräulein – nur ein wenig die Gurgel geschmiert. Und ich war durchaus nicht betrunken, als ich William sah!«
»Haben Sie den Vorfall etwa der Polizei gemeldet?« erkundigte sich Ella schnell.
Mr. Hugg lächelte verächtlich und sah sie vorwurfsvoll an.
»Glauben Sie denn, daß ich jemand verpfeife, der womöglich von der Polente gesucht wird? Allerdings weiß ich nicht, ob er sich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis auch noch als Geist bei der nächsten Polizeiwache melden muß.
Ich fragte ihn dann, wie es ihm so ginge«, fuhr der betrunkene Hugg fort, wobei er sehr ernst und feierlich dreinschaute. »Und er sagte mir, er wäre gerade unterwegs, um einen Mann abzufangen, der ihm übel mitgespielt habe – einen Kerl, dessen Namen er früher im Gefängnis schon immer im Schlaf genannt hat – Bill oder Beale, so was Ähnliches, einen Kerl, der ihm einen Streich mit einer Schlange gespielt hat – verstehen Sie, einer richtigen Schlange.«
»Meinen Sie die gefiederte Schlange?« fragte Paula.
Er nickte bedächtig und schwankte wieder.
»Dieser Kerl, dieser Beale hat einen Haufen Geld . . ., dann fragte ich ihn, ob er nicht Harry, den Vagabunden, gesehen habe. Denken Sie sich nur, meine Damen, den habe ich nach dem Unglück nicht mehr getroffen – ich lag nämlich im Krankenhaus . . .«
Er sprach völlig zusammenhanglos weiter, bis ihn Ella unterbrach.
»Es wird besser sein, wenn Sie morgen früh noch einmal herkommen und mit Mr. Crewe sprechen.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Wo wohnen Sie?«
Er nannte ihr seine Adresse – ein billiges Absteigequartier –, die sie sich notierte.
Paula schloß die Tür hinter ihm. Die Aufregung war ihr deutlich anzusehen.
»Das verstehe ich ganz und gar nicht«, sagte sie. Ella lachte.
»Aber ich bitte dich, er ist vollständig betrunken! Er kam doch nur deshalb hierher, um mit dieser im Suff erfundenen Geschichte aus Billy noch mehr Geld herauszulocken. Wir haben doch den Totenschein gesehen!«
Paula zuckte die Schultern. Sie wußte aus Erfahrung, daß es keinen Zweck hatte, sich mit Ella zu streiten.
Ella sah gerade aufmerksam in den Spiegel. »Morgen werde ich zehn Jahre älter aussehen – und dabei muß ich in zwei Vorstellungen auftreten. Hoffentlich läßt uns Crewe nicht mehr so lange warten.«
»Der arme alte Joe«, meinte Paula nach einer kleinen Pause.
»Er hat es ja selbst so gewollt!« Ellas Stimme klang schon wieder gereizt. »Warum muß er auch unbedingt der gefiederten Schlange nachspüren? Ich wette, daß es Joe nur deshalb ans Leder ging. Außerdem war er natürlich in mehr üble Geschäfte verwickelt, als gut war, und hatte sehr viele Feinde. Sicher war der Täter jemand, den er früher einmal übers Ohr gehauen hat.«
»Dein Charakter läßt wirklich nichts zu wünschen übrig, Ella!« Paula sah sie gelassen an. »Gerade du hättest doch eigentlich allen Grund dazu, vorsichtig zu sein – und auch nicht zu viel Schlechtes über Joe zu sagen.«
»Meinst du?« Ella wandte sich hastig um. »Ich habe mich schließlich schon seit Jahren bemüht, von Joe loszukommen!«
»Du hättest dich ja ohne weiteres von ihm scheiden lassen können!«
»Mich von Joe scheiden lassen!« fuhr Ella hoch. »Glaubst du denn, daß ich es auch noch in den Zeitungen lesen wollte, daß ich mit einem solchen Schuft verheiratet war? Joe hat zweimal gesessen – und alle Welt weiß das!«
Das Gespräch verstummte endgültig. Paula ließ sich wieder auf die Couch sinken, aber obwohl sie die Augen schloß, konnte sie nicht schlafen. Sie war auch die erste, die das leise Geräusch eines Schlüssels hörte, der sich in der Haustüre drehte.
»Das ist Billy«, sagte sie und ging ihm entgegen.
Mr. Leicester Crewe sah im Gegensatz zu seiner sonstigen Eleganz sehr merkwürdig aus. Sein Anzug war an verschiedenen Stellen zerrissen, vor allem die Hosen hatten an den Knien große Löcher.
»Fragt mich jetzt nicht«, sagte er verstört. »Ich will mich zuerst umziehen.«
Zehn Minuten später kam er wieder, gewaschen und gekämmt und einen Bademantel um die Schultern.
»Wie steht es, hast du den Schlüssel?« erkundigte sich Ella sofort.
Er sah sie nur mißmutig an. Dann wandte er sich nach einer Pause an Paula.
»Ich bin tatsächlich ganz aus der Übung – habe alles versucht, um in die Wohnung hineinzukommen. Vor zehn Jahren . . .«
»Warst du in seinem Zimmer?« fragte Paula.
»Das habe ich geschafft – und nur mit viel Glück«, erzählte er. »An allen Türen der Pension stehen Namensschilder, so daß es nicht weiter schwer war, sein Zimmer herauszufinden. Ich habe die Taschen seines Anzugs durchsucht und war noch nicht ganz fertig, als er aufwachte und das ganze Haus auf die Beine brachte. Ich konnte gerade noch entwischen – zu meinem Glück ließ die Polizei auf sich warten.«
»Also nichts – Erfolg gleich null«, meinte Paula mutlos.
Ella erzählte ihm, daß Hugg hier gewesen war, und er hörte mit wachsendem Interesse zu.
»Hugg? Was wollte denn der?«
Ella berichtete die seltsame Geschichte des Betrunkenen.
»Aber das ist doch alles Unsinn!« rief er. »Lane ist tot! Ich habe ja seinen Totenschein.«
Trotz dieser Tatsache klangen seine Worte nicht sehr überzeugt.
»Ich habe die ganze Zeit über die Sache nachgedacht«, erwiderte Paula nach einiger Zeit. »Erzählte Hugg dir eigentlich, daß Lane ganz plötzlich starb?«
»Er sei tot hingefallen«, entgegnete Crewe.
»Weißt du auch, daß Hugg selbst später im Krankenhaus lag?«
»Nein, er sagte damals nichts dergleichen.«
Crewe suchte den Totenschein heraus und las jetzt zum erstenmal aufmerksam die Todesursache.
»›Schädelbruch infolge eines Unglücksfalles‹ Warum hat mich der Kerl nur angelogen?« Crewe biß sich auf die Lippen und betrachtete nachdenklich die Spitzen seiner Hausschuhe.
»Hat er dir nicht auch gesagt, daß Lane manchmal im Schlaf redete?« fuhr Paula fort.
»Weshalb sprecht ihr eigentlich immer über Lane?« fuhr Ella ärgerlich dazwischen. »Wenn er im Schlaf nichts Vernünftigeres gesagt hat als im Wachen, dann hat sein ganzes Gerede nichts zu bedeuten. Was wirst du nun wegen des Schlüssels unternehmen, Billy?«
Sein Achselzucken bewies, daß er offenbar noch keinen Plan hatte.
»Vielleicht könntest du etwas tun, Ella«, sagte er schließlich nach langem Nachdenken. »Du kennst Dewin doch und bist raffiniert genug, ihn herumzubringen.«
»Wenn er nun aber inzwischen den Schlüssel der Polizei übergibt?« fragte Paula.
»Das wird er sicher nicht tun«, meinte Ella. »Nach allem, was mir Joe von ihm erzählt hat, ist er ehrgeizig genug, die Sache selbst aufklären zu wollen. Verlaßt euch darauf, der gibt den Schlüssel nicht heraus.«
Paula gähnte und reckte sich müde.
»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte sie. »Wenn du willst, nehme ich dich mit, Ella, und setze dich bei deiner Wohnung ab. Mein Wagen steht hinten in der Garage.«
Ella nickte, und alle drei gingen zur Haustür. Es war inzwischen taghell geworden, und als Mr. Crewe die Tür öffnete, strich die kalte Morgenluft herein. Sie zitterten vor Kälte.
»Am liebsten würde ich . . .«, begann Crewe und brach plötzlich entsetzt mitten in der Rede ab.
Er war vorausgegangen und sah als erster drei Karten, die mit Reißnägeln an der Tür befestigt waren. Auf jeder war das Bild der gefiederten Schlange, und darunter stand ein Name. Auf der ersten stand »Billy«, auf der zweiten »Ella« und auf der dritten »Paula«. Und die Karte mit dem Namen »Billy« war schwarz eingerahmt.