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VIII.
Der Thron der N'Gombis.

Das N'Gombivolk achtete einen Thron höher als alle anderen Schätze und zwar, weil dieser aus Elfenbein und aus von Eingeborenen gefundenem Silber gefertigt war; darin waren die N'Gombis geschickte Arbeiter.

Auf diesem Thron hatten Könige, große Krieger und Häuptlinge ihres Stammes gesessen, ebenso werte Gäste des Landes.

Bosambo, der Ochori, begab sich einst zum König der N'Gombis, um ein freundschaftliches Palaver mit ihm zu halten, saß auf diesem Throne und bewunderte ihn. Nachdem er gegangen war, kamen nachts vier Männer und trugen den Thron weg; und obwohl der König von N'Gombi und seine Räte das Land von einem Ende bis zum anderen absuchten, wurde dieser Stuhl doch niemals gefunden.

Er würde auch niemals gefunden worden sein, wenn nicht Mr. Wooling, ein Händler und Mann von Fähigkeiten, gewesen wäre. Dieser war an der Küste von einem Ende bis zum anderen als ein Verkäufer wunderbarer Dinge bekannt und, nach allgemeinem Dafürhalten, ein reicher Mann.

Eines Tages nahm er sich vor, unbekannte Welten zu erobern, und kam in Sanders' Bezirk mit dem Glauben an diese Sendung, mit einer Ladung der mannigfaltigsten Dinge und einer unbezähmbaren Neugier.

Bis dato hatte sich sein Handel auf die am meisten zivilisierten Striche des Landes beschränkt – auf Plätze, wo der gebildete Eingeborene die Wechselkurse studierte und die Ernte auf dem Halme verkaufte. Er hatte schon lange gewünscht, ein Land zu betreten, in dem das Heidentum eine führende Rolle innehatte, wo Weiße als Götter angesehen wurden, und wo ihnen gestattet war, in großem Maßstabe zu betrügen.

Wooling erfuhr manchen Rückschlag; nicht der geringste darunter war die Entdeckung, daß Genever, auch, wenn es deutscher Genever war, in vierkantigen Flaschen, prächtig etikettiert und in Strohhülsen gepackt, von Sanders nicht als eine marktfähige Ware angesehen wurde.

»Sie können sonst etwas verhandeln,« sagte Sanders, indem er lässig seinen Fliegenwedel handhabte, »aber der Schlagbaum ist zu, wenn es sich um die Einfuhr von Alkohol und Feuerwaffen handelt, denn beides ist im Besitze einer dafür begeisterten und zu Versuchen damit geneigten Bevölkerung von besonders tödlicher Wirkung.«

»Aber, Mr. Sanders,« protestierte der Mann, der sein Schäfchen zu scheren gedachte, mit dem zuversichtlichen Lächeln, das fünfundsiebzig Prozent seiner Habe darstellte, »ich bin keiner von jenen Neulingen, die eben von Mutters Schürzenband loskommen! Verdammt nochmal! Ich kenne die Eingeborenen! Ich spreche ihr Kauderwelsch vom Küstenenglisch bis zum Suaheli.«

»Aber Sie dürfen auf keinen Fall in Alkohol zu ihnen reden! Betrachten Sie das Palaver als beendet!« sagte Sanders.

Und alle Beredsamkeit Mr. Woolings war nicht imstande, den diamantharten Bezirksamtmann zu überzeugen und dessen Sinn zu ändern. Der Händler ging mit einer höflichen Anspielung auf das Wetter weg und mit innerlichen Verwünschungen gegen ein zu diensteifriges Schwein von einem britischen Hans-Narr im Amt, für die zu hören Sanders, Gott weiß, was gegeben hätte.

Wooling ging ins Innere und handelte nach bestem Können ohne jenes Lockmittel, welches das wirksamste auf seinem Beutezug war. Und, wenn man die Wahrheit sagen soll, und es liegt keine dringende Veranlassung vor, das nicht zu tun, er machte ein gutes Geschäft, bis er eines Morgens bei Ochoristadt rastete und einen Häuptling interviewte, dessen Name Bosambo war.

Wooling landete dort um die Mittagszeit, und innerhalb einer Stunde hatte er seine schönen Waren am Flußufer ausgelegt. Diese umfaßten Manchester-Baumwollwaren aus Belgien, echtes indisches Salzfleisch aus Birmingham, Salz, das einen beträchtlichen Teil guten Flußsandes enthielt, und ähnliche reizende Kaufobjekte.

Sein Besuch bei dem Häuptling war ein Ereignis. Er traf Bosambo an, wie dieser in einem Gewand aus Leopardenfellen vor seiner Hütte saß.

»Häuptling!« redete er ihn in der blumenreichen Redeweise seines Schlages an, »ich habe eine lange, ermüdende Reise durch den Urwald und gegen die Strömung des Flusses gemacht, um alle Häuptlinge in ihrer Größe zu schauen. Und ich bringe dir ein Geschenk des Königs von England, der mein persönlicher Freund und ein entfernter Verwandter von mir ist.«

Damit übergab er seinem Wirt feierlichst eine kleine Heiligenstatue, die einen gelben heiligen Sebastian vorstellte, der von purpurroten Pfeilen durchlöchert war – eine Figur, wie man sie von irgendeinem Fabrikanten an der Ostsee für drei Cents en gros beziehen konnte.

Bosambo empfing das Geschenk mit tiefem Ernst.

»Herr!« sagte er, »ich werde das zu den anderen Geschenken legen, die mir der König von England gesandt hat, und von denen einige von großem Werte sind, wie z. B. das wundervolle Bett aus Gold, eine Uhr aus Silber und eine Krone so voll von Diamanten, daß sie noch kein Mann hat zählen können.«

Er sagte das sehr ruhig, und dem betroffenen Mr. Wooling blieb der Atem weg.

»Was dieses schöne Geschenk anbetrifft«, fuhr Bosambo fort, indem er nachlässig mit dem Heiligenbilde herumtändelte, als ob er seinen Entschluß, es seiner Sammlung hinzuzufügen, bereue, »sieh, um dir zu beweisen, wie sehr ich dich liebe – da ich alle weißen Herren liebe – gebe ich es dir. Aber, da es von böser Vorbedeutung ist, ein Geschenk zurückzugeben, so sollst du mir zehn Silberdollars geben; auf diese Weise wird keinen von uns beiden ein Unglück treffen.«

»Häuptling!« antwortete Mr. Wooling, der sich mit großer Anstrengung wieder erholt hatte, »das ist ein wunderbares Geschenk, und der König dürfte sehr ärgerlich werden, wenn er hört, daß du das Geschenk zurückgegeben hast, denn ein Sprichwort sagt: ›Gib nichts zurück, was dir gegeben worden ist!‹ und dieses hier ist das Bild eines heiligen Mannes.«

Bosambo sah auf das kleine Standbild.

»Es ist ein sehr heiliger Mann«, gab er zu, »denn ich sehe, das ist die Figur des heiligen Judas – darum sollst du es haben, bei meinem Haupte und bei meiner Seele!«

Schließlich gewährte Mr. Wooling zögernd fünf Dollars, wobei er ihm die Heiligenstatue außerdem als eine Art geweihter Zugabe überließ. Überdies kaufte Bosambo für genau zehn Dollars Waren, einschließlich eines Stückes Chiffon, und bezahlte in barem Gelde. Mr. Wooling ging befriedigt von dannen.

Viele Tage danach entdeckte er unter seinem Bargeld zehn auffallende, ganz verschiedene Dollarstücke, die – jeder Irrtum war ausgeschlossen – unecht und von jener Sorte waren, von denen gewissenlose Geschäftshäuser an der Küste ein Dutzend für einen Dollar an die Händler verkauften, die mit ahnungslosen Heiden Handel trieben.

Wooling kam mit einem Profit zur Küste zurück, der geradezu eine Selbsttäuschung gewesen wäre, wenn man nicht die gemachte Erfahrung auf die Kreditseite des Hauptbuches hätte buchen können.

Sechs Monate später unternahm er einen neuen Zug ins Innere; diesmal nahm er eine besondere Sorte Grammophone mit sich, die hauptsächlich deshalb bemerkenswert waren, weil das Muster davon, das er vorzuführen pflegte, ein brauchbareres Instrument war als das, das der Käufer gerade erhielt.

Damit kam er auch nach der Ochoristadt.

Er hatte in seinem großen Warenkanu einen Phonographen und vierundzwanzig Dinger, die einem Phonographen ähnlich sahen. Es waren auch in der Tat Phonographen, nur mit dem Unterschiede, daß sie kein Gehwerk hatten. Und Phonographen ohne Mechanismus sind eine schlechte Ware auf dem afrikanischen Markt.

Nichtsdestoweniger erstand Bosambo einen zu einem lächerlich niedrigen Preise, und der Häuptling beobachtete mit gekränktem und vorwurfsvollem Ausdruck die erschöpfenden Versuche, die Mr. Wooling mit dem von Bosambo dafür bezahlten Gelde anstellte.

»Herr!« sagte Bosambo sanft, »dieses Geld ist gutes Geld, denn es wurde mir von meinem Halbbruder Sanders gesandt.«

»Geh zum Teufel mit deinem Halbbruder Sandi!« antwortete Wooling in energischem Englisch, und zu seinem Erstaunen antwortete der Häuptling in derselben Sprache.

»Du machst'm schwören? Du leben einem Tag für Hölle zu kommen! Du sagen verfluchtige Worte! Du nix sein gut für machen Engels.«

Wooling war, als er in der nächsten Stadt ankam, die zum N'Gombiland gehörte, sicherlich kein Engel, denn er hatte entdeckt, daß er auf irgendeine geheimnisvolle Weise Bosambo den echten, den wirklichen Monographen verkauft hatte, und daß er nun keinen hatte, mit dem er seine neuen Kunden zum Kauf verlocken konnte.

Er machte einen Gewaltmarsch nach Ochoristadt zurück und entdeckte Bosambo, wie dieser gerade eine große Zuhörerschaft mit einer kreischenden Vorführung der »Heiligen Stadt« unterhielt.

Als der wütende Händler seinen Weg durch die sich lang dahinwindende Straße stapfte, wehte ihm auf den Schwingen des Abendwindes die Stimme des weit entfernten Tenors entgegen:

»Jer–u–salem! Jer–u–salem!
Sing, denn die Nacht ist vorüber!«

»Häuptling!« sagte Mr. Wooling erregt, »das ist ein schlimmes Palaver, denn du hast meine beste Zauberkiste genommen, die ich dir gar nicht verkauft habe.«

»Letzte Nacht lag ich im Schlummer,
Da kam ein Traum so schön«.

sang der Phonograph seelenvoll.

»Herr,« antwortete Bosambo, »diese Zauberkiste habe ich gekauft – ich habe dich mit zehn Dollars bezahlt, in die Deine Lordschaft hineingebissen hat, in der Befürchtung, daß es schlechte Dollars seien.«

»Bei deinem Kopf, du Dieb!« fluchte Wooling, »die hier habe ich dir verkauft.« Er zeigte einen Ersatz dafür, den er unter dem Arm trug.

»Herr,« sagte Bosambo ziemlich demütig, »das tut mir leid.«

Er stellte den Phonographen ab. Er nahm das große Schallrohr aus Zinn ab – allerdings sehr zögernd. Er hüllte das Instrument höchst eigenhändig in ein Stück einheimischer Grasmatte ein und übergab es dem Händler. Und Mr. Wooling, der Streit erwartet hatte, stiftete dem höflichen Wirt einen ganzen Dollar.

»So belohne ich die, die ehrlich sind«, sagte er großmütig.

»Herr!« entgegnete Bosambo, »damit wir immer mit freundlichen Gefühlen aneinander denken, hast du hier die Hälfte, und ich behalte die andere Hälfte.«

Mühelos brach er die Münze in zwei Hälften, denn sie war aus Metall gemacht, dessen Wert wesentlich geringer war als der eines echten Silberdollars.

Wooling war ein Mann, der nicht leicht in Verlegenheit zu setzen war, dennoch ist es erwiesen, daß er schließlich in seiner Aufregung Bosambo einen echten Dollar gab, und daß er bereits die Hälfte des Weges nach Akasavastadt zurückgelegt hatte, ehe er seinen Irrtum bemerkte. Dann lachte er still vor sich hin, denn der Phonograph wog all die Mühe auf und das Geld obendrein.

In dieser Nacht versammelte er die Akasavaleute um sich, um sie die »Heilige Stadt« hören zu lassen, aber nur, um zu entdecken, daß er zum zweitenmal in Ochoristadt ein Phonographengehäuse ohne Werk eingetauscht hatte.

In der Ochoristadt aber jauchzte um dieselbe Zeit während der ganzen Nacht eine kreischende Stimme Jerusalem an und erregte die Bewunderung und Ehrfurcht der Ochorileute. – – –

»Teilweise Ihre eigene Schuld!« sagte Sanders, als sich der Händler beklagte. »Bosambo wurde in einem zivilisierten Gemeinwesen erzogen und eignete sich dort eine Fingergewandtheit an, die weniger talentierte Leute nicht besitzen.«

»Mr. Sanders,« antwortete der Schäfchenscherer sehr ernst, »ich habe als junger Mensch und als Mann sechzehn Jahre lang hier an der Küste Handel getrieben und« – er sprach mit schmerzlicher Betonung – »da war niemals und wird auch niemals ein ewig verdammter eingeborener Nigger in diesem durch die Vorsehung unvermeidlich verfluchten Erdteil sein, der Will Wooling über das Ohr haut.«

Alles dieses sagte er, indem er in seiner verzeihlichen Aufregung verschiedene düstere Gleichnisse anwandte, die hier nicht wiedergegeben zu werden brauchen.

»Mir behagt Ihre Ausdrucksweise nicht, aber ich bewundere Ihre Entschlossenheit«, sagte Sanders.

Tatsächlich war die Entschlossenheit Mr. Woolings so groß, daß er einen Monat später mit einer dritten Ladung in den Busch ging; diesmal war es eine, die besonders lockte, denn sie bestand in der Hauptsache aus goldenen Ketten von überraschender Schwere, die in Zwischenräumen mit sehr seltenen und kostbaren Stücken farbigen Glases besetzt waren. »Und diesmal,« bemerkte er zu dem unerschütterlichen Bezirksamtmann, der aus Langeweile zur Landungsstelle heruntergekommen war, um den Händler abfahren zu sehen, »diesmal kriegt es Bosambo gehörig eingerieben.«

»Halten Sie sich von den N'Gombileuten fern!« riet Sanders, »sie sind ein unruhiges Volk. In das Gebiet dürfen Sie mir nicht hinein!«

Mr. Wooling gab einen grollenden Laut von sich, denn er hatte sich seine Wegroute durch das N'Gombiland, das sehr reich an Gummi und Kopal ist, bereits zurechtgelegt.

Er hatte eine angenehme Reise durch das Land, denn er war ein zungenfertiger Mann, der immer eine Erklärung für die bereit hatte, die sich bitter über die fehlerhaften Eigenschaften ihrer früheren Einkäufe beklagten.

Er ging geradeswegs zum Ochoribezirk. Dort harrten seiner Aufgaben für seine Verschmitztheit und seine besonderen Anlagen. Und er vergaß die äußere Würde seines Standes so weit, daß er gerade auf sein Ziel losging.

»Bosambo!« redete er diesen an, »ich habe dir sehr kostbare und wundervolle Sachen mitgebracht. Nun schwöre ich dir bei ...« hier folgte mit der an ihm charakteristischen Zungenfertigkeit ein ganzes Bündel der verschiedensten Gottheiten und heilige Dinge –, »daß diese Ketten«, – er breitete eine von besonderer Schönheit aus, um die Bewunderung des anderen zu reizen – »mir teurer sind als mein Leben. Dennoch sollst du sie haben – für einen Elfenbeinzahn.«

»Herr,« fragte Bosambo, der das Kleinod ehrfürchtig betastete, »welche Zauberkraft wohnt dieser Kette inne?«

»Sie ist ein großer Töter von Feinden,« sagte Wooling begeistert, »sie schützt vor Gefahr und gibt ihrem Träger Mut. Sie ist zwei Elfenbeinzähne wert, aber weil du's bist, und weil Sanders dich schätzt, will ich dir sie für einen Elfenbeinzahn lassen.«

Bosambo grübelte.

»Elfenbeinzähne kann ich dir nicht geben,« sagte er, »aber ich will dir einen Sessel aus Elfenbein geben, der wirklich wundervoll ist.« Damit holte er das Wunder aus einem Versteck in seiner Hütte hervor.

Es war in der Tat ein hübsches Ding und viele solcher Ketten wert.

»Diesen kannst du an die N'Gombis verkaufen! Die sind Liebhaber von solchen Sachen und werden dich gut bezahlen«, sagte Bosambo süß wie Zucker. –

Wooling kam im N'Gombigebiet mit dem Gefühl an, fünfzig Pfund Sterling Wert für einen Vierpence erstanden zu haben. Und er betrat dieses Land, denn er betrachtete amtliche Warnungen als den Ausdruck einer armseligen Form von Laune.

Er fand die N'Gombis – wie er erwartete – in einer sehr zugänglichen und entgegenkommenden Stimmung. Sie erstanden – das Geld hierfür wurde durch öffentliche Sammlung aufgebracht – eine seiner schönen Ketten, um den Hals ihres Häuptlings zu schmücken; sie feierten Wooling und ließen Tanzweiber von den umliegenden Dörfern kommen, um ihm Ehre zu erweisen. Sie drückten ihre Liebe und Bewunderung für Sanders sehr redselig aus, bis sie entdeckten, daß ihre Begeisterung für den Genannten bei dem Zuhörer auf keine Gegenliebe stieß; da wagten sie sich mit ihrer Meinung hervor, daß Sandi ein grausamer und tyrannischer Herr sei.

Hierauf bediente Wooling sie recht geläufig mit Flüchen, nannte sie Fischfresser und Liebhaber von Hunden; denn es ist gegen das streng beobachtete und eingewurzelte Glaubensbekenntnis der Küste, einem Nigger zu erlauben, in Tönen der Mißachtung von einem Weißen zu sprechen, selbst wenn dieser Weiße ein Regierungsbeamter ist.

»Nun hört mir alle zu!« rief Wooling, »ich habe euch hier ein großartiges und entzückendes Ding zu verkaufen ...«

* * *

Über die Baumwipfel wogte eine dicke gelbe Wolke, die sich in phantastische Fetzen ballte und fortwirbelte.

Sanders ging an den Bug der »Zaire«, um die Stahltrosse zu besichtigen. Seine leichtsinnige Mannschaft hatte die Gewohnheit, am ersten besten dürren und faulenden Baumstumpf festzumachen, der ihnen vor die Augen kam. Diesmal aber hatten sie eine gute Festmachestelle gefunden. Die Vertäutrosse war am Stamm eines starken jungen Kopalbaumes festgemacht, der in der Nähe des Uferrandes wuchs. Eine Prüfung der Hecktrosse erwies sich als ebenso zufriedenstellend.

»Nun mögen die Elemente toben!« rief Sanders, und wirklich antworteten die Elemente auf der Stelle.

Ein zickzackgeformter blauer Flammenstreifen sprang aus den gelblichen Wolken hervor, ein ohrenbetäubendes Donnergekrach ging los, und plötzlich traf ein orkanartiger Sturm den kleinen Dampfer in seinem geschützten Winkel und beugte die Wipfel der Bäume ohne Ausnahme bis zur Erde.

Sanders erreichte seine Kabine, schob die Türe zurück und zog sie wieder hinter sich zu.

In der Stille der Kabine beobachtete er den Tornado durch sein Fenster, denn die Kabine befand sich an Oberdeck, und er hatte von dort aus eine so ausgedehnte Fernsicht, wie das überhaupt von der kleinen Bucht aus möglich war.

Er sah die sonst ruhigen Wasser des breiten Flusses zu Wogen aufgepeitscht, sah einen Baum nach dem anderen wanken und brechen, als M'shimba M'shamba, der Herr der Hölle, mit furchtbarem Schritt durch den Urwald stampfte; er hörte das hohe durchdringende Geheul des Sturmes, unterbrochen von dem zerreißenden Krachen des Donners, und war, nach der Art der Philister, froh, daß er nicht dort war, wo sich andere Leute befanden.

Die Nacht brach mit beängstigender Schnelle herein.

Vor einer halben Stunde noch war er beim ersten Anzeichen des Tornados auf den ersten besten, Schutz versprechenden Halteplatz zugesteuert. Bei den letzten Strahlen eines blutroten Sonnenunterganges hatte er sein Fahrzeug an die Landungsstelle gebracht.

Jetzt war es pechfinster. Schon als er die wilde Wut des Unwetters beobachtete, ging es in bleiernes Grau, dann tintenartiges Blau über – dann verhinderte die hereinbrechende Wetternacht jeden Ausblick.

Er tastete nach dem Hebel für das elektrische Licht, drehte ihn, und die Kabine füllte sich mit mildem Licht. Er drückte auf den Knopf der Telephonverbindung zwischen Kabine und Soldatenraum und rief den Sergeanten Abiboo herbei.

»Laß die Leute auf die Vertäutrossen aufpassen!« befahl er. Ein tiefer Kehllaut antworte ihm.

Sanders befand sich im oberen Bereich des Tesai, einem unbekannten Gebiete. Die Stämme ringsherum waren ihm offenkundig feindlich gesinnt, aber in einer Nacht wie in dieser würden sie sich kaum herauswagen.

Draußen krachte der Donner, und die Blitze zuckten ohne Unterlaß. Sanders fand eine Nikotinrübe in seiner Kommode und zündete sie an; und bald war die Kabine blau von Rauch, denn er hatte den Ventilator schließen müssen. Essen war unter diesen Verhältnissen unmöglich geworden, denn das Feuer der Schiffsküche schien erloschen zu sein. Der Regen, der jetzt wild gegen die Fensterscheiben prasselte, hatte das Herdfeuer wohl längst ausgelöscht.

Sanders ging ans Fenster und spähte hinaus. Er drehte das Licht aus, um die Lage draußen besser übersehen zu können. Der Sturm brüllte noch immer, Blitze zuckten noch immer über die Baumwipfel, und neben dem Tosen des Windes und dem Rauschen des Wassers war das dumpfe Grollen des Donners hörbar.

Aber die Wolken waren zerrissen, und zeitweise tanzten Mondstrahlen auf den mit weißem Schaum gekrönten Wellen. Plötzlich ging Sanders zur Tür und schob sie zurück.

Er sprang an Deck.

Die ersterbende Gewalt des Orkanes packte ihn und warf ihn gegen die Kabinenwand, aber er klammerte sich an ein Geländer, das ihm in den Weg kam, und zog sich an die Schiffsseite heran. Draußen in der Strommitte hatte er ein Kanu gesehen und ein bleiches Gesicht bemerkt.

»Noka! Abiboo!« brüllte Sanders. Aber der Sturm verschlang seine Stimme. Seine Hand griff an seine Hüfte. Ein Revolver krachte. Leute kamen das Deck entlang und tasteten sich Hand über Hand an der Reling hin. Stumm wies Sanders auf das Kanu.

Eine Leine wurde ausgeworfen, und aus der wirbelnden Gewalt des Stromes zog man alles, was von Mr. Wooling übriggeblieben war.

Er konnte gerade noch so viel Atem schnappen, um ein einziges Wort zu flüstern, – ein Wort, das gehöriges Leben auf dem Deck der »Zaire« hervorbrachte. Sanders hatte Dampf auf – er hätte es nicht gewagt, die Feuer herausziehen zu lassen in einem Sturm, der imstande war, die Vertäutrossen zu brechen und sein Fahrzeug der Wut der Elemente zu überantworten.

»... sie waren auf dem Fluß hinter mir her ... einige habe ich erschossen ... aber sie kamen ... dann packte uns der Sturm ... sie sind nicht weit ab ...«

Eingehüllt in einen dicken Überzieher und zitternd trotz der Schwüle der Nacht saß er bei Sanders, als dieser in die wogenden Wasser des Flusses hinaussteuerte.

»Was ist denn eigentlich los?« fragte Sanders.

Der Sturm wehte seine Worte in Fetzen, aber die in sich zusammengekrochene Gestalt, die an seiner Seite hockte, hörte es doch und antwortete.

»Worum handelt sich's denn?« fragte Sanders, sich zu ihm hinabbeugend.

Wooling brüllte von neuem.

Sanders schüttelte den Kopf.

Er fing zwei Worte auf: »Sessel« und »Bosambo«.

Aber in diesem Augenblicke brachten sie keinerlei Aufklärung für Sanders.

* * *


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