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Der Hauptkundschafter Sandis in diesem wilden Lande war Kambara, der N'Gombimann; entschlossen, furchtlos und höchst eifrig im Dienste seines Herrn. Er lebte im tiefsten N'Gombiwald, in einem jener unvermuteten Dörfer auf einem kleinen Hügel, um dessen Fuß sich ein Nebenfluß des Großen Stromes halb herumschlängelte.
Sein Volk kannte ihn als einen klugen und schweigsamen Häuptling, der ein gerechtes Urteil fällte und um seinen Hals eine Kette mit einer Münze, dem Zeichen seines Amtes, trug. (Es war eine wundertätige Münze mit einem bärtigen Gesicht in erhabener Arbeit darauf und gewissen Teufelszeichen.)
Er unternahm lange Reisen, verließ sein Dorf, ohne daß jemand davon Kenntnis hatte, und kehrte ebenso unbemerkt zurück. Nachts konnte man ihn stumm und nachdenklich vor seinem Feuer sitzen sehen; am Morgen fehlte er. Manche sagten von ihm, daß er ein Zauberdoktor sei, und daß er seiner Zauberei in verborgenen Plätzen des Urwaldes nachgehe, andere, daß er sich in einen Leoparden verwandele und Menschen jage. Bildlich gesprochen, kam das zweite der Wahrheit nahe, denn Kambara war ein großer Aufspürer von Verbrechern, und keiner von ihnen war so schlau, daß er Kambaras unerbittlicher Verfolgung hätte entrinnen können.
So brachte sein Wort Sanders und seine Soldaten zur Stelle, als Bolobo, der Häuptling, einen Aufstand plante; zur grenzenlosen Bestürzung Bolobos, der dieses Geheimnis nur sich und seinen beiden Brüdern bekannt glaubte.
Ebenso vollbrachte Kambara die Vernichtung des großen Königs Sesikmi; ebenso verteidigte Kambara die ungenau bestimmte Grenzlinie des N'Gombilandes gegen Beutesüchtige und arabische Sklavenhändler wirksamer als eine Brigade Infanterie.
Sanders überließ Kambara seinem Plänemachen, sandte ihm solche Belohnungen, wie es seine Leistungen verdienten, und empfing im Austausch hierfür Nachrichten von besonders wertvoller Art.
Kambara war ein kluger Mann. Als Olandi, der Akasavamann, in den N'Gombiwald kam, brachte Kambara ihn in königlicher Weise unter, obwohl Olandi gegen das Gesetz verstieß, als er die Grenze überschritt. Aber Olandi war ein mächtiger Häuptling und im allgemeinen ein das Gesetz achtender Mann; und es gab Vergehen, denen gegenüber es Kambara vorzog, die Augen zu schließen.
So bewirtete er Olandi zwei Tage lang – er wußte nicht, daß sich irgendwo am Kleinen Fluß, in Olandis Lager, ein geraubtes Weib befand, das wehklagend ihre Hände rang und den Tod herbeisehnte.
Um Olandi zu unterhalten, feierte man Feste in dem kleinen Dorf, und Tisini, Kambaras Weib, tanzte den Zwei-Büffel-Tanz – eine Vorstellung, die genügt hätte, um die Türen irgendeines Varietés in London zu schließen und dessen Geschäftsführer ins Zuchthaus zu senden.
Um die gleiche Zeit, als Olandi aufbrach, verschwand auch Kambara, denn es liefen auch Gerüchte von Beutezügen an der Grenze um, und Kambara wollte im Interesse des Gouvernements gern näheres wissen.
Drei Wochen danach kam ein Mann schnell und auf heimlichen Wegen zur Akasavagrenze, und mit ihm kamen die seiner Sippe, die ihm nahe genug standen, um die Demütigung zu empfinden, die Olandi über sie gebracht hatte.
Denn Olandi, der Akasava, hatte das Lieblingsweib dieses Mannes, wenn auch nicht gegen ihren Willen, geraubt.
Dieser Olandi war eine prächtige Bestie, groß und mit breiten Schultern; mit Muskeln wie ein Büffel, anmaßend und erbarmungslos. In der Eingeborenensprache nannte man ihn den Leoparden, weil er Kleider aus dem Fell dieses Tieres trug, und zwar zwei Felle, die so geschickt aneinandergefügt waren, daß ein zähnefletschender Kopf über jeder seiner breiten Schultern lag.
Olandi war Jäger und Krieger. Sein Schild war aus Flechtwerk, geschmackvoll gemustert und mit Kopallack überstrichen. Seine Speere waren von den geschicktesten N'Gombiwaffenschmieden gemacht und poliert, bis sie wie Silber glänzten. Um seinen Kopf trug er einen Ring von Silber; in jeder Hinsicht ein stattlicher Mann.
Manche sagten, daß er nach dem Königsthron der Akasavas trachte, und daß Tombilis Tod gerechterweise ihm zur Last gelegt werden müsse. Aber darüber bestand keine Gewißheit, denn Tombili war tot, als man ihn im Urwald fand.
Die Menschen mochten seine Tyrannei ertragen, demütig seine harten Urteile über sich ergehen lassen, ohne Klagen das Todesurteil aus seinen Händen empfangen, aber kein Mann ist so schwach, daß er den Verlust seines Lieblingsweibes hinnähme, ohne zu kämpfen. Und so kam es, daß jene Männer in wahnsinniger Hast durch die finstere Nacht paddelten. Außer dem Flip-Flap, das die Paddeln verursachten, wenn sie das Wasser berührten, und außer dem leisen Laut, der jedes Ausholen begleitete, war alles still.
Sie kamen zu dem Dorf, in dem Olandi herrschte, gerade als der Mond über die federartigen Wipfel des N'Gombiwaldes stieg.
Weiß und schweigend lag Bondondo im Mondenscheine da; zwei Reihen mit gelbem Stroh gedeckter Dächer und in der Mitte das geräumige Haus des Häuptlings mit einer Veranda, die zusammengedrehte junge Baumstämmchen stützten.
Der Geheimnisvolle und seine Brüder machten ihr Kanu fest und schwangen sich geschmeidig ans Land. Sie gaben keinen Laut von sich; ihr Führer ging ihnen voraus; sie glitten durch die Straße wie geisterhafte Schatten.
Vor der Hütte des Häuptlings glühten die Überreste eines niedergebrannten Feuers. An der Türe zögerte der Führer. Drei Hütten, die in der Form eines Dreiecks zueinander standen, bildeten das Gehöft des Häuptlings. Rechts und links befand sich ein Eingang, der mit Fellen verhängt war. Es war möglich, daß Olandi in der dritten Hütte schlief, zu der man durch jeden dieser beiden Eingänge gelangte.
Der Führer überlegte einen Augenblick. Dann schob er den Vorhang der Tür rechts beiseite und trat ein; sein Bruder, sein Onkel und seine beiden Vettern folgten.
Eine schläfrige Stimme fragte, wer da sei.
»Ich komme, um den Gebieter Olandi zu sprechen«, sagte der Eindringling.
Er vernahm ein Geräusch im entlegensten Winkel der Hütte und das Knacken eines mit Fellen bespannten Bettes.
»Was suchst du hier?« fragte eine Stimme, der man anhören konnte, daß sie einem Manne gehörte, der das Befehlen gewöhnt war.
»Bist du das, Herr?« fragte der Besucher. Er hielt in der Faust ein breitklingiges Messer fest umschlungen, wie es auf der Elefantenjagd gebraucht wird, und dessen Schneide so scharf war, daß ein Mann damit hätte die Haare von seinem Handrücken rasieren können.
»Ich bin Olandi«, antwortete der Mann aus dem Dunkeln und kam näher.
Lautlose Stille herrschte. Die, die warteten, konnten das ruhige Atmen der Schläfer ringsum vernehmen. Dann hörten sie ein leises »Whish«, wie es eine Hutnadel verursacht, die durch einen weichen Strohhut gestoßen wird.
Wieder gespanntes Schweigen, dann:
»Es ist so, wie es sein soll«, sagte der Mörder ruhig und rief leise einen Namen. Jemand kam unter erstickten Seufzern und Weinen aus dem Innenraum gestolpert.
»Komm!« sagte der Mann, dann: »Ist das fremde Weib auch hier? Sie muß uns ebenfalls begleiten!«
Das Mädel rief leise eine andere; auch diese kam. Olandi war nicht wählerisch in seinem Geschmack und raubte unterschiedslos. Das erste Weib fuhr zurück, als ihr Ehemann seine Hand auf ihren Arm legte.
»Wo ist mein Herr?« wimmerte sie.
»Ich bin dein Herr,« gab der Mann trocken zurück, »und was den anderen anbetrifft, der hat keine Weiber mehr nötig, es sei denn, daß es auch in der Hölle Weiber gibt, was sehr wohl möglich ist.«
Niemand versuchte, die Eindringlinge aufzuhalten, als sie durch die Straße zu ihren Kanus zurückgingen, obwohl in Olandis Hütte Klagen und Seufzen herrschte und es in den Dörfern unruhig zu werden begann. Männer riefen die Kanuleute scharf an, als sie vorübergingen, und fragten: »Oilo?«, das heißt: Wer geht da?; aber sie erhielten keine Antwort.
Dann, als sie den Fluß vor sich sahen und sich bereits in Sicherheit wähnten, stand der Dorfwächter auf und rief die Gesellschaft an. Er hatte den schwachen Todesschrei aus Olandis Hütte gehört und hielt seinen schrecklichen Schlachtspeer vor sich, um seinem Anruf Nachdruck zu verleihen. Der Führer warf sich auf ihn, aber der Wachmann parierte geschickt den Streich und hieb mit seinem Speer abwärts, wie ein Mann in früheren Jahren seine Streitaxt schwingen mochte.
Dem andern wurde das Schwert aus der Hand geschlagen, und er hielt seinen unbewaffneten Arm in Abwehr, um dem Streich zu entgehen. Zweimal zerfleischte die Schneide des Speeres seine Hand, denn in dem ungewissen Lichte des Mondes irrte sich der Wachmann in der Entfernung. Als der Wächter dann zu einem entscheidenden Streich ausholte, trieb ihm einer der Verwandten des Führers sein Messer in die Kehle und der Wachmann brach mit schwach zuckenden Gliedern zusammen.
Der Verletzte wartete gerade so lange, bis seine blutende Handfläche verbunden war; dann führte er sein Weib, die zitternd mit sich selbst sprach wie ein wahnsinnig gewordenes Etwas, zum Kanu, zu dem ihm das zweite Weib folgte.
In den Dunkelstunden vor der Morgendämmerung brachten vier schnelle Paddler die Nachricht zu Sanders. Dieser schlief an Bord der »Zaire«, die am Ufer von Akasavastadt festgemacht hatte.
Sanders saß auf dem Rande seines kleinen Feldbetts, seine mit dem Pyjama bekleideten Beine über die Bettkante baumelnd, und horchte aufmerksam zu, und zwar mit einer Art Aufmerksamkeit, die nicht nur die Erzählung an sich, sondern auch den Einfluß des Pathos des Erzählenden, die Sympathie oder Antipathie, die Wut, die Verzweiflung oder die Resignation des Berichtenden in Rechnung zieht.
»Ich verstehe also,« sagte Sanders, als der Mann geendet hatte, – denn alle vier wollten zugleich erzählen und fielen einer dem andern ins Wort, um etwas, was der andere ausgelassen hatte, zu ergänzen –, »ich verstehe, daß Olandi von einem getötet wurde, dessen Weib er geraubt hatte, daß der Wachmann ebenfalls getötet, aber sonst niemand verletzt wurde.«
»Sonst niemand, Herr,« antwortete einer der Männer, »denn wir fürchteten uns sehr vor den Brüdern des Mörders. Aber wenn wir versucht hätten, ihn aufzuhalten, wären viele andere getötet worden.«
»Wenn die Sonne im Fluß unterginge,« sagte Sanders, »würde das Wasser die Fische kochen. Ich werde diesen Mann herausfinden, und er soll sich wegen dieses Verbrechens verantworten.«
Er erreichte die Mordstelle und hielt schnell eingehende Untersuchung. Niemand hatte das Gesicht des Unbekannten gesehen, außer dem Wachmann, und der war tot. Und was die beiden Weiber anbelangte – die Dörfler zuckten hoffnungslos die Schultern –, wer hatte sagen können, von welchem Volk, von welchem Stamme Olandi seine Weiber raubte?
Eine, so sagten andere Mitbewohner von Olandis Hütte, sei unzweifelhaft eine Ochori gewesen. Und was die zweite anbetraf, die hätte nie gesprochen, denn sie hätte den Toten geliebt und sei gern seine Gefangene gewesen.
Olandi hatte also weit und breit gewildert, er war ein stürmischer Liebhaber gewesen und einer, der die Weiber zahm kriegte; wie zahm, sollte Sanders noch gewahr werden, denn, wie eine Redensart bei den Isisis ging: Der Mann, der eines Weibes Zunge überreden kann, kann eine Schlange Mais mahlen machen.
In einem zivilisierten Lande hätte Sanders wahrscheinlich deutliche Anhaltspunkte in des Häuptlings Hütte gefunden, aber ein Wilder hinterläßt keine Spuren für den nachforschenden Detektiv, und dieser muß die Schläue eines Wilden mit solcher Überlegung und solchem Instinkt paaren, die ihm die Zivilisation gegeben hat.
Eingehendes Absuchen des Flußufers hatte keinen Erfolg. Der Fluß hatte die Spuren, wo die Kanus an Land gezogen worden waren, fortgewaschen. Sanders unterwarf die Leichen der beiden Ermordeten einer genauen Besichtigung und wurde daraus nicht klüger. Kurz, ehe er den Ort verließ, machte Sergeant Abiboo eine Entdeckung.
Es gibt dort einen gewissen Baum am Flußufer, dessen Blättern außergewöhnliche Heilkraft zugeschrieben wird. Einige Schritte von dem Platze, wo der Wachtmann zusammenbrach, wuchs ein solcher Baum. Abiboo fand unter seinen untersten Zweigen eine Anzahl Blätter, die frisch gepflückt waren. Einige davon waren mit Blut befleckt, und eins davon zeigte den deutlichen Abdruck der Innenfläche einer Hand.
Sanders prüfte alles aufmerksam. Die Linien der Innenhand hoben sich deutlich auf der glänzenden Oberfläche des Blattes ab, und in der Mitte dieser Handinnenfläche zeigte sich ein unregelmäßiger Schnitt, der aussah wie ein roh gezeichnetes St.-Andreas-Kreuz. Sanders verwahrte das Blatt sorgsam in seinem Schrank und stellte weitere Nachforschungen an.
Nun bietet von allen Verbrechen, die schwierig aufzuklären sind, keins solche Hindernisse wie ein aus Blutrache begangenes, hinter dem ein Weiberpalaver steckt.
Die Menschen dort sprechen offen über andere Verbrechen, sagen alles darüber, was darüber zu sagen ist; sind willens, ja sogar darauf bedacht, ihren ehemaligen Kameraden dem Henker zu überliefern, vorausgesetzt, daß der Mord nach ihrem Eingeborenenmaßstab ein Mord ist. Aber wenn dieser Mord ihnen als ein Akt der Gerechtigkeit erscheint, ist nichts aus ihnen herauszubringen. Denn wäre es nicht möglich, daß der Angeber eines Tages selbst in einem ähnlichen Falle in die Lage kommen könnte, sich auf die Schweigsamkeit seiner Freunde zu verlassen, um sein Leben zu retten?
Sanders suchte fleißig nach den Mördern, aber niemand hatte sie gesehen. Keiner wußte, in welcher Richtung sie geflohen waren. In der Tat, sobald ihnen das Motiv zur Tat bekannt wurde, wollte keiner etwas gesehen haben. Da erinnerte sich Sanders Kambaras und schickte nach ihm. Aber Kambara, hieß es, sei in einer wichtigen Angelegenheit an der Grenze.
Sanders begab sich zu den Ochoris.
»Eins dieser beiden Weiber war von deinem Volk«, sagte er zu Bosambo, dem Häuptling. »Nun fordere ich dich hiermit auf, mir ihren Ehemann aufzufinden.«
Bosambo stand verlegen bald auf dem einen Bein, bald auf dem anderen.
»Herr,« antwortete er, »kein Mann aus meinem Stamm hat das getan. Und was das Weib angeht, so werden viele Weiber von entfernter liegenden Dörfern gestohlen, ohne daß ich etwas davon weiß. Und in allen diesen Weiberpalavern verhält sich mein Volk so stumm wie das Vieh.«
Bosambo hatte ein Weib, das ihn vollständig beherrschte. Als Sanders gegangen war, wand er sich hilflos unter ihrer scharfen Zunge.
»Herr und Häuptling,« sagte sie zu ihm, »warum hast du Sandi belogen? Du weißt doch sehr genau, daß das Ochoriweib, das gestohlen wurde, die Michimi aus Tasali am Fluß war? Du selbst warst ja auf der Suche nach ihr, als uns die Nachricht von Olandis Ermordung erreichte.«
»Das sind keine Weiberangelegenheiten«, gab Bosambo zurück. »Darum, Freude meines Daseins, laß uns von anderen Dingen reden!«
»Vater meines Kindes,« beharrte sein Weib, »hat diese Michimi keinen Liebhaber oder einen Mann, der diesen Mord vollbracht haben kann? Willst du nicht den Unterhäuptling von Tasali am Fluß vorladen und ihn fragen?«
Sie war interessiert daran – mehr interessiert als Bosambo.
»Gott ist allsehend und barmherzig«, sagte Bosambo fromm. »Verlasse mich nun, denn ich habe heilige Gedanken und gewisse Zauberideen, um den Mörder Olandis aufzufinden, obwohl ich ihm nichts Böses wünsche.«
* * *
Sanders hatte die Eigenheit, besorgniserregende Nachrichten mit einer den Berichterstatter aus der Ruhe bringenden Fassung aufzunehmen.
Leute, die sich die Aufgabe stellten, seine Haut schaudern zu machen, sahen ihre Mühe unbelohnt; sein höfliches, aber ungläubiges »O, ko«, das, mit einer gewissen Betonung geäußert, so viel hieß wie: »O, wirklich?«, brachte den Überbringer solcher Nachrichten zur Verzweiflung. Komo, bis zu einem gewissen Grade protzenhaft und von dem Gedanken beseelt, seinem Gebieter beizubringen, daß er kein gewöhnlicher Häuptling, sondern ein wachsamer, eifriger und gewissenhafter Herrscher sei, kam lärmend den Fluß herunter, in einem frohen Übereifer, seine Kenntnis von den Vorgängen an der Grenze seines Landes an den Mann zu bringen. Sanders gewährte dem Mann eine sofortige Unterredung, obwohl dieser mitten in der Nacht ankam.
Man stelle sich die Szene vor: Sanders in Pyjama im Bett sitzend, zwei regendurchweichte Haußas – denn draußen wütete ein Gewitter –, von denen einer eine brennende Laterne hält, und deren Licht genügt, um einen dampfenden glänzenden, nassen Komo zu beleuchten, der auf dem Boden hockt und geschwätzig seine unheilvollen Nachrichten vorbringt.
»Wie es meine Gepflogenheit ist, Herr,« sagte Komo, »beobachtete ich Menschen und Dinge im Interesse von deiner Ehren Bequemlichkeit, da ich dir dienen möchte. Und auf diese Weise habe ich von gewissen Vorkommnissen, von Tänzen und bösem Zauber erfahren, die bei den Ochoris an der Tagesordnung sind.«
»Bei den Ochoris?«
Sanders war baff. »Bei den Ochoris, denen ich mein Vertrauen schenkte?«
Die schalkhafte Wendung, die seine Rede annahm, ließ kein Mißverstehen zu; die letzten Worte waren voll leiser Ironie.
»Ist Bosambo tot, daß diese Dinge vor sich gehen?« fragte Sanders trocken. »Oder tanzt er vielleicht gar selber mit?«
»Herr, Bosambo tanzt sogar selber mit«, antwortete Komo mit Nachdruck. »Denn, da er Häuptling ist, ist er der erste, der den Takt mit dem Fuße stampft und dabei ›Ho‹ ruft. Er wohnt auch den Opfern bei und ist auf dem besten Wege zu verabscheuungswürdigem Verrat.«
»O wirklich!« gab Sanders, innerlich erlöst, zurück. »Ich will dir mal was erzählen, Komo. Da war einmal ein großer Gebieter, der traute keinem Menschen, auch seinem ganzen Gefolge nicht, weder seinen Weibern, noch seinen Sklaven. Und er ging immer mit dem Rücken der Sonne zugewendet, so daß er seinen eigenen Schatten stets vor sich sah, denn er traute selbst seinem Schatten nicht. Eines Tages kam er an einen Fluß, der reißend angeschwollen war. Und nun, paß auf! Sein Schatten lag also vor ihm. Und da er fürchtete, seinem eigenen Schatten den Rücken zuzukehren, stürzte er sich in den Fluß und ertrank.«
»Herr, ich habe diese Geschichte gehört. Es war ein König, und zwar ein großer«, bemerkte Komo.
Sanders nickte. »Darum, Komo, beachte: Ich traue allen Menschen – etwas. Ich traue Bosambo viel, denn er war mir in guten und bösen Tagen treu ergeben.« Er wandte sich an die schweigenden Haußas. »Sorgt für Komos Unterkommen, entsprechend seiner Würde und gebt ihm ein Geschenk an Zeug! Das Palaver ist aus.«
Sanders zog sich die Bettdecke bis über die Ohren, denn die Nacht war kalt, wandte sich auf die Seite und schlief bereits, ehe der Häuptling und sein Gefolge noch die Veranda verlassen hatten.
»Ein Geschäftelhuber«, war Sanders' Urteil über Komo. Dennoch, weil da, wo Rauch, auch Feuer ist, hielt er es für ratsam, sich selbst zu überzeugen.
Zwei Tage, nachdem der Häuptling seinen Heimweg angetreten hatte, lief die »Zaire«, in derselben Richtung fahrend, in der Mitte des Stromes an seinem Kanu vorbei, und der Anblick ihres weißen Schiffsrumpfes und ihrer beiden Schornsteine war ein Trost für Komo.
»Mein Gebieter hat also doch meine Worte beachtet,« sagte er zu seinem Kanuführer, »denn in seiner Stadt sagte man, daß der Puck-a-Puck bis zum Neumond nicht abfahren würde. Und hier kommt er, obwohl der alte Mond noch immer an seiner Rinde sägt.«
»Häuptling,« antwortete der Kanusteuerer, »du bist groß im Rat und sogar Sandi hört auf dich und gehorcht. Du bist klüger als die Eule, schnell und fürchterlich wie ein Habicht, und deine Stimme ist wie der Stoß eines Sturmes.«
»Du redest wahr«, gab der Häuptling zurück, der nicht an falscher Bescheidenheit litt. »Ich bin auch sehr listig, das wirst du noch sehen.«
Sanders fuhr in der Tat zum Ochoriland. Er war beunruhigt; nicht durch Komos düstere Anspielungen, sondern weil sich seine eigenen Späher nicht meldeten. Wenn man im Ochorilande große Tänze abhielt, hätte ihm das hinterbracht werden müssen, wie unschuldig auch diese Tänze sein mochten.
Brieftauben waren ihm vorausgeflogen, um seine bevorstehende Reise zu melden, und er fand den ersten seiner Geheimagenten bei dem Zusammenfluß des Ikeli mit dem Isisifluß.
»Herr, es ist wahr, daß die Ochoris tanzen«, meldete der Mann. »Aber da ich wußte, daß deine Lordschaft dem Bosambo traut, habe ich nichts berichtet.«
»Darin hast du unrecht gehandelt«, sagte Sanders. »Selbst wenn ein Habicht einen Papageien umbringt, oder wenn die Krokodile sich einen neuen Brütplatz suchen, so will ich darüber wissen, was ich darüber wissen muß.«
Je mehr er sich dem Ochorilande näherte, desto mehr Nachrichten sammelte er über die geheimnisvollen Lustbarkeiten, die Bosambo im Walde abhielt, und war betroffener denn je.
»Herr,« sagte der Häuptling eines N'Gombidorfes, »viel Volk geht hin zu diesen Ochoritänzen, denn Bosambo, der Häuptling, macht einen großen Zauber.«
»Was für 'ne Sorte Zauber?«
»Herr, es ist ein weißer Zauber«, der Häuptling zeigte stolz seine Hand. Quer über das rötliche Braun seines Handtellers zog sich ein unregelmäßiger Strich weißer Farbe.
»Das hat mir Mr. Bosambo gemacht,« sagte er, »und jeder Tag, solange dieser Zauber anhält, wird glücklich für mich sein.«
Sanders betrachtete das Zeichen mit allen Anzeichen einer starken Bewegung.
Zwei Monate früher hatte Sanders viele Büchsen mit weißer Ölfarbe an Bosambo geschickt mit der Anweisung, die Leute des Ochorihäuptlings sollten die Grenzpfosten seines Landes und besonders die, die gegen das Ausland abgrenzten, mit einem neuen Anstrich versehen.
»Viele Isisis, N'Gombis und Akasavaleute gehen zu Bosambo,« plauderte der Häuptling weiter, »denn, siehe, dieser Zauber Bosambos wischt allen Schmutz fort. Und wenn ein Mann etwas Böses getan hat, dann wird er damit frei von der Strafe. Ich«, fügte er stolz hinzu, »habe einmal Calacala – vor langer Zeit –, den Vater meines Weibes getötet, und ich habe mich oft darüber gegrämt, weil mein Weib mich oft daran erinnert. Aber nun, Herr, bin ich ein entsühnter Mann, so rein, daß, als heute morgen mein Weib wieder von diesem alten Vergehen anfing, ich sie mit meinem Speerschaft verprügelt habe. So rein weiß ich mich jetzt.«
Sanders kombinierte rasend schnell.
»Und was bezahlt ihr Bosambo dafür?«
»Nichts, Herr.«
»Nichts?« fragte Sanders ungläubig.
»Herr, Bosambo gibt seinen Zauber umsonst. Er sagt, er habe fremden Göttern ein Gelübde getan, so zu handeln. Und da es umsonst geschieht, gehen viele Leute zu diesem Reinigungstanz. Sogar Herr Kambara selbst, der Schweigsame, kam zu diesem Zwecke heute bei Sonnenaufgang hier durch.«
Sanders lachte im stillen. Kambara hatte natürlich ein Interesse an fremden Schuldbekenntnissen ...
Das war es! Blitzartig durchzuckte ihn das Verständnis für Bosambos Vorgehen. Das Anmalen der inneren Handflächen, der Köder der Entsühnung – Bosambo wartete auf den Mann mit der Narbe in der Hand.
Sanders setzte seine Reise fort, machte fünf Meilen vor der Ochoristadt fest und ging zu Fuß durch den Wald zu dem Treffplatz.
Es war dunkel, ehe er noch die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Aber er brauchte keinen Kompaß, auch wenn der Weg selbst schwieriger gewesen wäre. Vor ihm zeigte sich ein düsterer, roter Schein am Himmel. Da brannten Bosambos Feuer.
Vier Feuer waren dort angezündet, an jeder Ecke eines gedachten Vierecks eins. In der Mitte ein Kreis von Steinen und im Mittelpunkt dieses Kreises drei Speere mit roten Schäften.
Bosambo hatte augenscheinlich einmal der Einweihungszeremonie eines monrovianischen Geheimbundes als Zeuge beigewohnt oder daran teilgenommen.
Inmitten des Kreises bewegte sich Bosambo, und außerhalb des Kreises bewegten sich, zwei oder drei Glieder tief, die, die seine barmherzigen Dienste in Anspruch nehmen wollten.
Er bewegte sich langsam. In einer Hand hielt er eine blinkende Dose mit der der Regierung gehörenden Farbe, in der anderen Hand einen dem Gouvernement gehörigen Pinsel.
Sanders grinste beifällig von seinem Beobachtungsplatze aus über die Feierlichkeit, in die Bosambo die Zeremonie kleidete.
Einen nach dem anderen strich er die Leute an – einen Klecks mit dem Pinsel, eine gemurmelte Beschwörung, und der Zauber war ausgeführt.
Sanders bemerkte Kambara in der vordersten Reihe und war betroffen, denn der Mann meinte es offenbar ernst. Wenn er gekommen sein mochte, um sich lustig zu machen, hatte er sich bald in einen Andächtigen umgewandelt. Große Schweißperlen glitzerten auf Kambaras Stirn, und die ausgestreckten Hände zitterten.
Bosambo näherte sich ihm, erhob seinen Pinsel, schoß einen Blick auf Kambaras Handflächen, dann zog er mit einer Armbewegung den N'Gombihäuptling zu sich heran.
»Bruder,« sagte er artig, »ich brauche dich.«
Sanders verstand, was er meinte, und sprang durch das krachende Unterholz an Bosambos Seite. Der schreiende Haufen, der sich um das ringende Paar gebildet hatte, machte Platz.
»Herr, hier ist der Mann, den du suchst!« rief Bosambo und zog mit Gewalt Kambaras Handfläche nach sich.
Sanders nahm seinen Gefangenen mit an Bord der »Zaire«. Von da ab gab es, soweit es das Verbrechen betraf, keine weiteren Schwierigkeiten, denn Kambara gestand.
»Herr,« sagte er, »meine Hand allein ist im Spiel. Denn, obwohl meine Leute mich begleiteten, habe ich allein Olandi getötet. Nun mach' mit mir, was du willst, denn mein Weib haßt mich, und ich bin krank aus Mangel an Schlaf.«
»Das ist ein schlimmes Palaver,« sagte Sanders ernst, »denn dir habe ich getraut.«
»Herr,« antwortete Kambara, »wo ein Weib im Spiele ist, darfst du keinem Menschen trauen. Ich bin froh, daß ich sterbe, denn ich war ihr Hund. Und Olandi kam und blieb eine Nacht in meinem Dorfe; und alles, was ich ihr war, und alles, was ich ihr gab, war ihr nichts. Und nun weint sie alle Tage um ihn, ebenso das Ochoriweib, das ich mit ihr nahm. Und, Herr, wenn Weiber nur die Toten lieben ... mache ein Ende mit mir, denn ich bin krank von ihrer Verachtung.«
Sanders neigte den Kopf vornüber, faltete die Hände auf dem Rücken und pfiff, die Augen auf den Fußboden seiner Kabine gerichtet – sie befanden sich an Bord der »Zaire« – eine Melodie; diesen Kunstgriff wandte er an, wenn er sich mit etwas abquälte.
»Geh in dein Dorf zurück!« befahl er. »Du zahlst an Olandis Familie dreißig Ziegen und zehn Säcke Salz als Sühne für sein Blut.«
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»Herr,« sagte Bosambo, »ich habe eine große Freude im Herzen darüber, daß du diesen Mann nicht gehängt hast, denn, wie es mir scheint, ist Olandi nicht einen Augenblick zu früh gestorben, und was das Ochorimädel anbetrifft,« fuhr er fort, »so hätte ich Olandi ihretwegen ermordet – nur kam mir Kambara zuvor. Das vertraue ich dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, Herr, denn – das Mädel gehörte mir.«
Sanders sah Bosambo scharf an.
»Man sagt mir, Bosambo, du habest nur ein Weib.«
»Ich habe eins,« antwortete Bosambo ausweichend, »aber auf meinem Lebenswege liegen viele Versuchungen, von denen mein Weib nichts weiß, denn es steht geschrieben in der Sure des Djinn: ›Die Männer wissen am besten, die am meisten wissen, aber eines Weibes Glück liegt darin, daß sie nicht weiß.‹«
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