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Vll.
Bosambos Bruder.

Bosambo war ein Monrovianer und deshalb ein Dieb. Denn genau so, wie die meisten Schweden blond und mit blauen Augen geboren werden und Spanier mit dunkler Hautfarbe zur Welt kommen, genau so kommen alle Monorovianer als ausgefeimte Diebe zur Welt.

An anderer Stelle habe ich die Geschichte von der Ankunft des Häuptlings in Sanders' Bezirk erzählt Siehe: »15 Jahre bei den Kannibalen in Zentralafrika« von Edgar Wallace. In gleicher Ausstattung und zu gleichem Preis erschienen im Wilhelm Goldmann Verlag, Leipzig (1925).; von seiner gewagten Art und Weise, wie er sich den Thron, jenen verrückten Häuptlingssitz, anmaßte; und ich wies auf das plötzliche und unerwartete Ende hin, das damals, wenig ehrenvoll für Bosambo, die berechtigten Anwärter auf jene Häuptlingsschaft nahmen.

Bosambo war, an verschiedenem Maßstab gemessen, nach christlichem wie heidnischem, ein guter Mann. Er regierte seinen Stamm weise und zog in einem Jahre größere Einkünfte aus den faulen Ochoris, als irgendein früherer Häuptling in zehn Jahren aus ihnen herausgeholt hatte. Bosambo verstand es ausgezeichnet, sich bedeutenden Gewinn zu sichern, denn es gehörte zu seinen Gepflogenheiten, daß er, wenn er eine Abgabe für die Regierung eintrieb, den doppelten Betrag für sich einsammelte.

In jener weit zurückliegenden Zeit war er, wenn ich mich recht erinnere, ein unbotsamer Untertan des Präsidenten von Liberia gewesen. In einer feierlichen Gerichtssitzung war er einst des Diebstahls einer Glockenboje überführt worden, die er aus dem Fahrwasser gestohlen hatte, wo sie die Seefahrer vor einem dort liegenden Wrack warnen sollte, und die er für seinen eigenen Zweck verwandt hatte. Er war damals der Gefangenschaft entronnen und nach monatelanger mühevoller Wanderung im Ochorilande angekommen.

Sanders hatte ihn als zuverlässigen Mann befunden und traute ihm in allen Sachen, wo es sich um ein gutes Regieren handelte. Aber es gab andere, die Bosambo durchaus nicht trauten, besonders gewisse Häuptlinge der Isisis, der Akasavas und der N'Gombis.

Diese Leute hatten sich mit dem Fremdling, dem Herrscher der Ochoris gemessen und waren unterlegen. Und wegen gewisser mutiger Handlungen bei der Verteidigung seines Landes war es von einem Ende des Landes zum andern bekannt, daß Bosambo »ein Liebling Sanders« wäre und, wie das Gerücht in wenig schmeichelhafter Weise für diesen behauptete, mit dem Häuptling verwandt sei.

Wie dieses Gerücht entstehen konnte, wußte Bosambo am besten. Es ist eine einfache Tatsache, daß Nachrichten, die wandern, auf dieser Wanderung an Glaubwürdigkeit gewinnen.

So kam es, daß der Ruhm des ehemaligen Zuchthäuslers in Liberia und Monrovia selbst zusehends wuchs; man erhob ihn dort zu einer Stellung, die er niemals beansprucht hatte. Ich glaube, daß eine liberianische Zeitung, die ein Schwarzer oder einige Schwarze herausgaben, das verruchte Verbrechen, dessen Bosambo überführt war, so weit vergaß, daß sie von ihm als »unserem würdigen Mitbürger, Mr. Bosambo, Oberkommissar der Ochoriländer,« sprachen. Er wurde für sie zum reichen Fürsten, zum König. Er stand an Bedeutung über dem Bezirksamtmann Sanders. Ja, man sagte ihm sogar nach, daß er das englische Kolonialamt beeinflusse, eine Tatsache, die nicht ihresgleichen in der Geschichte der afrikanischen Küste hatte.

Bosambo besaß Verwandte an der Küste, und diese fanden sich im Verhältnis zu seiner wachsenden Größe ein. Er hatte einen Bruder, namens Siskolo, einen großen, knochigen und einflußreichen Mann.

Siskolo machte zunächst dadurch von sich reden, daß er an Bord eines Kriegsschiffes als Brandungsbootsruderer gedient hatte: dann, daß er eine oberflächliche Kenntnis des Englischen besaß, und daß er während der Zeit, wo er mit Weißen in Berührung gekommen war, genügend viel zusammengestohlen hatte, um sich in Liberia als eingeborener Ladenbesitzer niederzulassen. Er wurde mit Mister Siskolo angeredet und hatte den Ehrgeiz, dereinst Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft zu werden.

Es verstieße gegen die Wahrheit, wenn man behauptete der Besitz eines Bruders wie Bosambo hätte ihm während der Zeit, als Bosambos Name in Liberia gleichbedeutend mit »Dreck« war, Anlaß zu Stolz oder gar Entzücken gegeben. Es ist sogar gerichtsnotorisch festgestellt, daß er, nachdem er jede Verwandtschaft mit Bosambo abgeleugnet hatte, obwohl diese Verwandtschaft über jeden Zweifel erwiesen war, Bosambos nur als eines »gemeinen Niggers« gedachte, wenn er von ihm sprach.

Als das liberianische Gouvernement in seiner Großzügigkeit eine angemessene Belohnung für die Ergreifung dieses Verbrechers aussetzte, erbot sich Mr. Siskolo in seiner für das öffentliche Gemeinwohl begeisterten Art in der Presse, aus eigenen Mitteln eine persönliche Belohnung hinzuzufügen.

Später änderte sich die öffentliche Meinung Liberias Bosambo gegenüber, und mit diesem Umschwung änderten sich auch Siskolos Ansichten über seinen Bruder. Dann kam eine Zeit, wo Bosambo in seiner Heimat zu Ehren kam, die Leute auf ihn stolz waren und, wie ich bereits andeutete, sogar die Presse in Ausdrücken der Anerkennung über ihn schrieb.

Nun versammelte Mr. Siskolo, wie erzählt wird, alle seine näheren und entfernteren Verwandten, von dem nackt gehenden Großvater an bis zu dem Rock tragenden Schwiegersohn, der eine Schuhfabrik in Liberia betrieb.

»Freunde und Kameraden!« redete Mr. Siskolo diese orakelhaft an. »Ihr alle wißt, daß mein teurer Bruder Bosambo ein großes Reich besitzt, und daß er mehr als irgendein anderer farbiger Mann an der Küste geehrt wird. Nun habe ich ja Bosambo immer geliebt und habe oft des Nachts in heißem Gebet um seine Sicherheit gerungen. Auch habe ich allen Weißen, denen ich begegnet bin, stets nur Gutes über ihn gesagt. Und ich habe ihm bei vielen Gelegenheiten durch Boten große Summen Geldes gesandt. Wenn er dieses Geld nicht erhalten hat,« fuhr Mr. Siskolo mutig fort, »dann lag es daran, daß die Boten Diebe waren, oder daß Räuber sie unterwegs überfallen haben. Aber alle meine Angestellten und die Leute, die mich lieb haben, wissen, daß ich dieses Geld abgeschickt und ihm Briefe voller Lob und voll guter Wünsche für seinen Reichtum geschrieben habe.«

Mr. Siskolo machte hier eine Pause und steckte eine seiner knochigen Hände in die Hosentasche eines Gesellschaftsanzuges, den er von dem Diener des französischen Konsuls bekommen halte.

»Ich habe euch zusammengerufen,« sagte er langsam, »weil ich eine Reise ins Innere machen und meinen geliebten Bruder von Angesicht zu Angesicht sehen will. Denn ich vernehme, daß er große Schätze in seinem Lande hat, und es ist nicht gut, daß er so reich ist, und daß wir alle, die wir von seinem Blute sind, wir, die wir ihn geliebt haben, und die wir so viele Jahre für ihn gebetet haben, daß wir arm sein sollen.«

Keiner der Verwandten, die da im Raum herumhockten oder -saßen, verneinte das. In der Tat erhob sich ein Murmeln des Beifalls, das jedoch nicht ganz frei war von Mißtrauen, dem ein gewisser Lakiro, bei dem man allgemein juristische Kenntnisse voraussetzte, Ausdruck gab.

»Das ist alles Schnickschnack, Siskolo!« erwiderte dieser. »Aber wie sollen wir erfahren, in welchem Verhältnis unser teurer Verwandter Bosambo seine Reichtümer unter die von uns, die ihn geliebt haben, verteilt wissen will?«

Dieses Mal war der Beifall nicht mißzuverstehen.

Mr. Siskolo antwortete von oben herab: »Nachdem ich den Schatz von meinem lieben Bruder Bosambo – meinem leiblichen Bruder, der mir blutsverwandt ist, versteht mich recht, und nicht nur ein Vetter, wie ihr seid –, nachdem mir also dieser, mein leibhaftiger Bruder, den ich so lange und so innig geliebt habe, seine Schätze gegeben hat, werde ich mir die Hälfte davon nehmen, und die andere Hälfte werde ich gleichmäßig unter euch verteilen.«

Lakiro nahm eine sehr kritische Miene an.

»Es scheint mir,« sagte er, »daß wir alle Blutsverwandte sind, und daß wir Geld für die Reise, die du, Siskolo, machen willst, gesammelt haben. Denn, soweit ich unterrichtet bin, hast du keinen einzigen Dollar dazu gegeben. Und unser geliebter Freund und Verwandter Bosambo sähe es lieber, wenn seine großen Geschenke gleichmäßig verteilt würden.« – Er fixierte dabei die Brüder aus dem Hinterlande, die sich hier versammelt hatten, und die verständnislos der Unterhaltung zuhörten, die halb auf englisch, halb auf monrovianisch geführt wurde. »Es wäre besser denen weniger zu geben, die keines Geldes bedürfen, als uns, die wir durch unsere gute Erziehung kostspielige und schlemmerische Lebensgewohnheiten angenommen haben, wie Champagner und Wein zu trinken und ausgesuchte Speisen zu genießen.«

Zwei Tage lang und den größeren Teil zweier Nächte verhandelten sie über die Verteilung der Beute, die sie zuversichtlich erwarteten. Vierzehn Tage später reiste Siskolo mit einem Küstendampfer ab und kam im Laufe der Zeit im Standquartier Sanders' an.

Es mag hier erwähnt werden, daß der zivilisierte Eingeborene – das heißt, der Eingeborene im Gehrock und in hohem Hut – der Gegenstand besonderer Abneigung für Bezirksamtmann Sanders war. Er verabscheute ebenso alle Eingeborenen, die Englisch sprachen, wie schlecht sie es auch immer sprachen. Die einzige Ausnahme davon bildete Bosambo, dessen Sprachschatz mit fünfzig Worten erschöpft war. Trotzdem hörte Sanders geduldig zu, als Siskolo ihm seinen Plan unterbreitete, und mit der Offenbarung dieses Unternehmens kroch so was wie eine heilige Freude in Sanders' Herz.

Er lächelte sogar gnädigst auf diesen schwarzen Mann herab.

»Geh in Gottes Namen, Siskolo!« sagte er sanft. »Ich werde dir ein Kanu schicken, das dich zu deinem Bruder bringen soll. Es ist richtig, daß er, wie du sagst, ein großer Häuptling ist. Bosambos Reichtümer abzuschätzen, fehlen mir die Mittel. Ich habe nicht deine scharfen Augen.«

Siskolo überging schweigend die Beleidigung.

»Mr. Sanders,« sagte er, in die Landessprache fallend, da er sich wenig ermutigt fühlte, in Sanders' eigener Sprache fortzufahren, »Mr. Sanders, ich bin im Innersten meines Herzens froh, daß ich meinen Bruder Bosambo sehen werde, und daß ich ihm die Hand drücken darf. Was seinen Schatz anbelangt, so zweifle ich nicht, daß er mehr besitzt als die meisten Menschen; denn, wie ich weiß, ist Bosambo ein sehr schlauer Mann. Ich bringe ihm reiche Geschenke; darunter eine Uhr aus meinem eigenen Laden, die in keinem Hafen der Küste unter drei Dollars gekauft werden dürfte; außerdem ganze Stücke an Zeug von gehöriger Länge.«

Mr. Siskolo war früh an einem Julimorgen aufgestanden. Er begab sich in einem hohen Hut – seinen Gehrock hatte er sorgfältig zusammengelegt und in dem kleinen verdeckten Raum des Kanus untergebracht und sogar seine Beinkleider durch ein Stück Pappkarton gegen die Elemente geschützt – auf den langen Weg, der zwischen ihm und seinem geliebten Bruder lag.

In einem Lande, wo die Zeit nichts wert ist, und wo die Phantasie keine Rolle spielt, ist Reisen eine sehr angenehme, aber eine etwas langwierige Beschäftigung. Es dauerte einen Monat und drei Tage, ehe Siskolo an die Grenze von Bosambos Reich kam. Zwei Meilen von Ochoristadt setzte er sich seinen Hut auf und warf sich in seinen Gehrock und in die Hosen der Zivilisation, damit er seinen Einzug in einer Weise hielte, die des Verwandten eines großen und reichen Fürsten würdig sei.

Bosambo nahm die Nachricht von seines Bruders Ankunft mit einem Gefühl auf, das einer Bestürzung ziemlich nahe kam.

»Wenn dieser Mann wirklich mein Bruder sein sollte,« sagte er, »dann bin ich in der Tat ein glücklicher Mann, denn er schuldet mir noch vier Dollars, die er sich vor langer Zeit von mir geborgt und die er mir niemals wiederbezahlt hat.«

Dennoch befand er sich in Aufregung. Verwandte bringen stets das Kunststück fertig, bei ihren Gastgebern eine merkwürdige Unruhe hervorzurufen. Das beschränkt sich nicht auf eine Rasse oder auf eine Farbe allein; und so ging denn auch Bosambo mit einem Gefühl der Besorgnis in seinen Staatskleidern in feierlicher Prozession seinem Bruder entgegen.

In seinem Eifer stieg Siskolo aus dem Kanu, ehe dieses Grund unter sich hatte, und watete ans Ufer, um seinen Bruder zu begrüßen.

»Du bist tatsächlich mein Bruder – mein einziger Bruder, Bosambo!« begrüßte er diesen und umarmte ihn herzlich. »Das ist ein unvergeßlicher Tag für mich.«

»Für mich«, erwiderte Bosambo, »scheint die Sonne heute doppelt so hell, und die kleinen Vögel singen lauter denn je, und ich fühle mich so froh, daß ich in einem fort tanzen könnte. Nun sage mir, Siskolo,« fuhr er fort, indem er einen etwas nüchterneren Ton anschlug, »warum hast du dir den weiten Weg zu mir gemacht? Denn ich bin ein armer Mann und kann dir nichts geben.«

»Bosambo,« antwortete Siskolo vorwurfsvoll, »ich bringe dir Geschenke von großem Wert. Ich will dafür nicht einmal einen Dollar haben. Alles, was ich wünsche, ist, dein treffliches Antlitz zu sehen und deine weisen Worte zu vernehmen, die die Menschen von einem Ende des Landes bis zum andern wiederholen.«

Siskolo drückte von neuem Bosambos Hände.

Sie machten einen Augenblick halt, während Siskolo seine nassen Beinkleider auszog, »denn,« erklärte er, »diese kosten mich drei Dollars.«

So gingen sie, Arm in Arm, ganz nach der Art der Weißen, in die Ochoristadt. Und alles Volk starrte wie verhext auf das Schauspiel, das ein großer schmächtiger Mann in einem Gehrock und in hohem Hut, mit dem Zipfel eines weißen Hemdes darbot, das um seine Beine schlug, während er selbst in einer Haltung herzlicher Zuneigung mit ihrem Häuptling Bosambo daher kam.

Bosambo stellte seinem Bruder seine beste Hütte zur Verfügung. Er ließ Mädchen von sechs verschiedenen Stämmen vor diesem dafür sehr eingenommenen Mitglied der äthiopischen Kirche tanzen. Nichts, was er erdenken konnte, nichts, was von seinem Volke ohne Bezahlung erlangt werden konnte, blieb ungetan, um den Aufenthalt seines Bruders glücklich und unvergeßlich zu gestalten.

Dennoch war Siskolo nicht zufrieden. Trotz allem Vergnügen, das er in all diesen glücklichen Tagen hatte, für die Bosambo besorgt war, um ihm Beweise seiner Macht und seiner Beliebtheit zu geben, blieb der wichtige Nachweis von Bosambos Reichtum zu bringen übrig, nach dem es Siskolo verlangte.

Er schnitt dieses Thema eines Nachts an, bei einem Feste, das Bosambo ihm zu Ehren gab, einem Feste, dessen Kosten – nebenbei bemerkt – von denen getragen wurden, die dabei saßen, und die eine solche Verschwendung ihrer kostbarsten Güter grollend verfolgten.

»Bosambo, mein Bruder,« sagte Siskolo, »obwohl ich dich liebe, beneide ich dich. Du bist ein reicher Mann, und ich bin arm, und ich weiß, daß du viele schöne Schätze an geheimen Plätzen verborgen hast.«

»Beneide mich nicht, Siskolo,« kam es traurig von Bosambo, »denn obwohl ich ein Häuptling bin und ein Liebling Sandis, habe ich doch keine Reichtümer. Aber du, mein Bruder und Freund, hast mehr Dollars als Sandkörner. Nun weißt du ja, daß ich dich liebe,« fuhr Bosambo atemlos fort, denn der andere öffnete eben die Lippen zum Widerspruch, »und ich tue alles dieses ohne Hoffnung auf Belohnung. Ich würde in der Tat einen großen Schmerz in meinem Herzen empfinden, wenn ich daran denke, du könntest mir hierfür kleine Silbermünzen anbieten. Dennoch, wenn du es so haben willst, würde ich das annehmen, da ich weiß, wie niedrig ich vor deinem Antlitz bin, und nicht, weil ich mich nach Reichtümern sehne, sondern, weil ich ein armer Mann bin.«

Siskolos Gesicht wurde lang und länger.

»Bosambo,« erwiderte er, und es lag wenig Heiterkeit in seinem Tone, »auch ich bin ein armer Mann, da ich eine große Familie habe und viele Verwandte, die auch deine Verwandten sind. Und ich denke, es wäre eine gute Sache, wenn du mir ein feines Geschenk machtest, das ich mit zur Küste zurücknehmen könnte. Ich würde dann alle Leute zusammenrufen und ihnen sagen: Seht, das habe ich von meinem Bruder Bosambo erhalten, der ein großer Häuptling in einem fernen Lande und sehr reich ist.«

Bosambos Gesicht zeigte nicht, daß er besonders dafür eingenommen sei.

»Das ist richtig,« sagte er leise, »das wäre sehr schön, wenn man's tun könnte, aber mir ist ganz elend im Herzen, daß ich das nicht tun kann, denn ich bin furchtbar arm.«

So verlief die Unterhaltung, die die beiden Brüder in Anspruch nahm, sobald der Gang der Darbietungen einmal Zeit zum Reden gab.

Nach zehn Tagen war Bosambo ein müder Mann; er gab Winke, die jeder andere als Bosambos Bruder beachtet hätte. So sagte er zum Beispiel: »Bruder, ich hatte einen Traum in letzter Nacht. Deine Familie war erkrankt, und dein Geschäft ging zum Teufel. Nun denke ich, wenn du schnell in deine Heimat zurückkehrtest ...«

Oder: »Bruder, mich erfüllt bange Sorge, denn jetzt kommt die Zeit in unserem Lande hier, wo alle Fremden an Geschwüren leiden.«

Aber Siskolo entgegnete auf all diese Anzapfungen gewandt und entschlossen, denn er war nicht umsonst Bosambos Bruder.

Der Häuptling war von düsteren Ahnungen erfüllt. Als die Wochen dahinflossen und sein Bruder noch immer keine Vorbereitungen zur Abreise traf, nahm Bosambo sein schnellstes Kanu und zehn Paddler und fuhr nach I'kan, wo Sanders gerade Steuern eintrieb.

»Herr,« sagte Bosambo, indem er sich auf Deck vor dem müden Bezirksamtmann niederhockte, »ich habe dir eine Geschichte zu erzählen.«

»Dann laß es eine Geschichte sein, die man zwischen dem Sichniedersetzen eines Moskitos und seinem Stich erzählen kann«, antwortete Sanders.

»Herr, es ist eine kurze Geschichte,« kam es traurig von Bosambo, »aber es ist eine sehr üble Geschichte – wenigstens für mich.«

Und er erzählte die Geschichte vom unwillkommenen Bruder.

»Herr,« fuhr er fort, »ich habe alles getan, was ein Mann tun kann, denn ich habe ihm Dinge zu essen gegeben, die nicht mehr ganz genießbar waren; und eines Nachts spielten meine jungen Leute mir zuliebe ein Stück, in dem sie sich als gewisse wilde Isisileute aufführten, obwohl Deine Lordschaft weiß, daß sie durchaus nicht wild sind, aber ...«

»Weiter, weiter!« knurrte Sanders, denn der Tag war heiß gewesen und das Steuereintreiben mehr als ermüdend.

»Nun komme ich zu dir, Herr, mein Gebieter und Herr,« sagte Bosambo, »da ich weiß, daß du sehr klug und weise bist, und daß dir die Macht der Götter innewohnt. Sende meinen Bruder von mir weg, denn ich liebe ihn so sehr, daß ich fürchte, ich werde ihm eines Tages Schaden tun.«

Sanders war ein Mann, der nichts für seine Beachtung zu unbedeutend hielt, außer Zank zwischen Weibern. Denn er hatte den Anfang von Fehden in stecknadelkopfgroßen Meinungsverschiedenheiten gesehen und hatte es erlebt, daß eine Expedition von achttausend Mann in den Busch ging, um eine Streitigkeit aus der Welt zu schaffen, die sich ursprünglich um einen Kochtopf drehte.

Er dachte eine Weile angestrengt nach. Dann sagte er:

»Vor zwei Monaten kam ein jagender Akasavamann zu mir, der mir erzählte, im Ochoriwalde, gerade an der Isisigrenze, befinde sich eine Stelle, wo fünf große Bäume in der Form eines Halbmonds wüchsen ...«

»Ehre sei Gott und seinem Propheten Mohammed!« unterbrach ihn Bosambo fromm und bekreuzte sich dabei in recht unlogischer Weise.

»In Gestalt eines Halbmonds«, fuhr Sanders fort. »›Und am Fuße des mittelsten Baumes‹ – so sagte der junge Akasavamann, ›befindet sich ein großer Schatz von Elfenbein.‹« (Es handelt sich dabei um »totes« Elfenbein, d. h. um Elfenbein, das vergraben oder aufgespeichert worden ist.)

Sanders hielt inne, und Bosambo sah ihn an.

»Solche Geschichten werden oft erzählt«, bemerkte Bosambo.

»Dann erzähl' sie weiter!« sagte Sanders bedeutungsvoll.

In Bosambos Augen leuchtete Verständnis auf.

Zwei Tage später war er wieder in seiner Stadt, und nachts rief er seinen Bruder zu einem geheimen Palaver.

»Bruder,« begann er, »ich habe viele Tage über dich nachgedacht und darüber, wie ich dir am besten dienen könnte. Wie du weißt, bin ich ein armer Mann.«

»Ein König ist ein armer Mann, und ein Bettler ist noch ärmer«, zitierte Siskolo anmaßend und ungläubig.

Bosambo holte tief Atem.

»Nun will ich dir etwas anvertrauen«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Für meine alten Tage und für den Fall, daß mich mein aufsässiges Volk verraten sollte, habe ich einen großen Schatz Elfenbein aufgehäuft. Ich habe dieses Elfenbein meinem Volke genommen. Ich habe es in blutigen Schlachten gewonnen. Ich habe viele Elefanten gejagt. Siskolo, mein Bruder,« fuhr er in erkünstelter Erregung fort, »alles dieses gebe ich dir, weil ich dich und meine trefflichen Verwandten liebe. Gehe nun in Frieden, aber kehre nicht hierher zurück, denn, wenn mein Volk erfährt, daß du den Volksschatz suchst, wird es dir nicht verzeihen, und dann werde ich meine Leute nicht halten können, obwohl ich ihr Häuptling bin.«

Die ganze Nacht hindurch saßen sie, Bosambo traurig, aber dennoch Winke gebend; in Siskolo zitterte alles vor Aufregung.

Bei Tagesanbruch reiste der Bruder auf dem Wasserwege nach der Isisigrenze, dorthin, wo fünf Bäume in der Form eines Halbmonds wuchsen.

* * *

»Herr!« rief Bosambo bitter und verletzt, »ich bin einmal Christ gewesen, einmal ein Anbeter von Dämonen, ein Fetischmann, und nun bin ich ein Anhänger des wahren Glaubens – obwohl ich alle Ursache habe, daran zu zweifeln.« Er stand vor Sanders in dessen Standquartier.

Unten am kleinen Kai des Flusses lagen Bosambos erschöpfte Paddler, denn Bosambo war Tag und Nacht gerudert, um den Fluß herunterzukommen.

Sanders sprach nicht. Nur der Schalk saß in seinem Augenwinkel, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen.

»Und es scheint mir,« sagte Bosambo mit tragischem Pathos, »daß mich keiner der Götter liebt.«

»Das ist dein Palaver«, sagte Sanders. »Und vergiß nicht, dein Bruder liebt dich mehr als jemals!«

»Herr,« rief Bosambo verzweifelt, indem er seine Arme ausstreckte, »wußte ich denn, daß unter dem mittelsten Baum von den fünfen tatsächlich zehn große Elefantenzähne begraben wären? Herr, bin ich denn verrückt, daß ich diesem Hunde einen solch unermeßlichen Schatz geben konnte?« –

»Ja, ich habe es auch für ein bloßes Gerücht gehalten«, sagte Sanders leise.

»Herr, darf ich einmal sehen?«

Sanders nickte, und Bosambo ging an das Ende der Veranda und sah auf die See hinaus.

Eine Rauchfahne war am Horizont sichtbar. Es war der Rauch des abfahrenden Postdampfers, der Siskolo und seinen wunderbaren Elfenbeinschatz zurück nach Monrovia nahm.

Bosambo erhob feierlich seine geballte Faust und verfluchte das verschwindende Schiff.

»O Bruder!« jammerte er, »o du Teufel! Du Schlange! Nigger! Nigger! Verdammter Nigger!«

Bosambo weinte.

* * *


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