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Major Commeder Banks, Generalinspektor der afrikanischen Kolonien, war ein nervöser, aufgeregter Mann. Er war stattlich und breitschulterig und hatte blonde Haare. Wäre er nicht so korpulent gewesen, so hätte man ihn fast mit einem Apollo vergleichen können.
Niemand wußte Genaueres von ihm. Es war nur bekannt, daß er ein großes Vermögen besaß, früher Armeeoffizier gewesen war und viermal geheiratet hatte. Die Leute, die das Unglück hatten, in nähere Berührung mit ihm zu kommen, verstanden sehr gut, daß seine Frauen schnell hintereinander wegstarben. Er war gemein, brutal und hochmütig, und es machte ihm Vergnügen, seinen Untergebenen das Leben zu verbittern.
Als Sanders die Nachricht erhielt, daß Major Commeder Banks zu einer Inspektion kommen würde, machten Bones und Hamilton lange Gesichter, denn der Generalinspektor war sowohl Vorgesetzter der Zivil- als auch der militärischen Beamten.
»Heute abend wollen wir uns aber einmal an die Arbeit machen und alle Kompanieabrechnungen durchsehen, Bones«, sagte Hamilton ernst. »Ich helfe Ihnen, und Sanders stellt Ihnen sicher seinen Schreiber zur Verfügung, wenn Sie ihn darum bitten.«
»Überlassen Sie nur alles dem lieben, guten Bones«, erwiderte Leutnant Tibbetts, aber seine Worte klangen nicht sehr überzeugend. »Dieser alte, niederträchtige Banks wird mich nicht aus der Fassung bringen, mein alter Ham.«
»Aus der Fassung wird er Sie nicht bringen, aber er wird Sie umbringen!«
In der heißen Tropennacht saßen Hamilton und Bones zusammen und versuchten, im Rechnungsbuch Ordnung zu schaffen, und als es schließlich nach unendlicher Mühe gelungen war, bot es einen kläglichen Anblick.
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ein neues Buch anzulegen. Wir müssen ein paar Schreiber Tag und Nacht an die Arbeit setzen, und wenn der gestrenge Vorgesetzte dann kommt, haben wir nichts zu befürchten.«
Aber der gestrenge Vorgesetzte kam einen Tag zu früh. Commeder Banks besaß eine eigene kleine Dampfjacht, und es machte ihm ein besonderes Vergnügen, schon am Dienstag in seinem Amtsbezirk zu erscheinen, wenn man ihn erst am Freitag erwartete.
In seiner Begleitung befand sich eine schlanke, etwas blasse junge Dame mit ängstlichem Gesichtsausdruck.
»Also, Sie sind Hamilton?« sagte er mit lauter Stimme und schüttelte die ausgestreckte Hand des Haussa-Captains nachlässig. »Und das ist Tibbetts?«
»Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein lieber, alter Inspektor«, erwiderte Bones. »Ebenso die Bekanntschaft Ihrer netten, liebenswürdigen Tochter –«
Banks' Gesicht wurde dunkel wie eine Gewitterwolke.
»Das ist meine Frau«, sagte er böse. »Und was fällt Ihnen eigentlich ein, mich ›lieber, alter Inspektor‹ zu titulieren? Die Disziplin scheint hier ja vollkommen abhanden gekommen zu sein, Sanders!«
»Mr. Sanders«, entgegnete der Amtmann ruhig.
Einen Augenblick maßen sie sich. Aber die wässerig-blauen Augen des Inspektors unterlagen den stahlharten Augen von Sanders. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte sich Major Banks nicht wohl.
»Emmie«, wandte er sich zu der nervösen jungen Dame, »ich möchte dir Mr. Sanders, Tibbetts und Hamilton vorstellen.« Dann drehte er sich um und ging vor Sanders die Verandatreppe hinauf.
Das Mittagessen war für alle Beteiligten sehr unangenehm, nur Major Banks machte eine Ausnahme. Er sprach unaufhörlich, unterhielt sich aber niemals mit Bones. Dieser junge Mann hatte ihn offenbar so tief beleidigt, daß er ihm nie verzeihen würde. Und Bones' Lage besserte sich auch nicht, als er seine Aufmerksamkeit Mrs. Banks zuwandte. Sie war in ihrer Weise sehr schön. Sanders hielt sie für vierundzwanzig, tatsächlich war sie aber zwei Jahre jünger und hatte den Major im Alter von achtzehn geheiratet.
»Was Sie sich wirklich ansehen müßten, meine liebe, alte Mrs. Banks, das ist das N'gombi-Gebiet.«
»Nennen Sie meine Frau nicht ›liebe, alte Mrs. Banks‹«, fuhr ihn der Major an, dessen Gesicht sich vor Zorn gerötet hatte. Dann warf er seiner Frau einen bösen Blick zu.
»Denkst du noch an den Schlüssel, mein Liebling?« Er suchte in seiner Westentasche und holte einen kleinen Yale-Schlüssel heraus. Die junge Frau schrak davor zurück, als ob er sie ins Gesicht geschlagen hätte, aber er wollte sich ausschütten vor Lachen.
»Sie wissen natürlich nicht, was das zu bedeuten hat«, sagte er. »Aber Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich meine Frau einschließe, wenn sie unartig ist. Sie weiß sehr gut – fragen Sie sie nur!«
Es trat eine peinliche Stille ein, und Sanders rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, als der Major seiner Frau mit dem Finger drohte.
»Keinen Flirt, meine liebe Emmie –, denke an die Sache mit Freddie!«
»Ich habe ihm den Schlüssel niemals gegeben«, erklärte sie entschieden. »Das weißt du ganz genau.«
Er brachte sie durch eine Handbewegung zum Schweigen. Mehr wurde über den geheimnisvollen Schlüssel und seine Geschichte nicht gesprochen, aber es war bezeichnend für den häßlichen Charakter des Majors, daß er den Schlüssel Tag und Nacht bei sich trug und ihn seiner Frau sogar in Gegenwart fremder Leute zeigte, um sie zu demütigen.
Den ganzen Nachmittag prüfte er die Papiere in Sanders' Büro. Er nahm die Berichte, die Sanders selbst geschrieben hatte, Wort für Wort vor und verglich gewisse Zahlen und Steuertabellen mit einem kleinen Buch, das er neben sich liegen hatte.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte er plötzlich. »Das scheint doch ein Fehler zu sein. Die N'gombi zahlten doch achtundzwanzigtausend Kilo Gummi, und hier schreiben Sie dreizehn.«
»Das sind die Unteren N'gombi«, erwiderte der Amtmann kühl. »In einem anderen Bericht werden Sie finden, daß die Oberen N'gombi fünfzehntausend Kilo abgeliefert haben.«
Der Major schüttelte den Kopf.
»Viel zu wenig für ein so großes Gebiet«, sagte er mißbilligend. »Sie sollten zweimal soviel Abgaben erheben.«
»Das ist eine Sache, die Sie mit der Zentralverwaltung abmachen müssen«, entgegnete Sanders eisig. »Ich habe nur den Auftrag, achtundzwanzigtausend Kilo einzusammeln. Aber ich werde Ihre Beanstandung notieren und einen Bericht darüber nach London schicken.«
»Ich mache durchaus keine Anstände«, sage der Major schnell, denn man hatte ihn vor Sanders gewarnt. Er wußte, daß der Amtmann viele einflußreiche Freunde in England hatte, und in Zukunft enthielt er sich jeder weiteren Kritik. Aber man konnte sofort erkennen, daß er den Widerwillen, den er gegen Bones gefaßt hatte, auch auf Sanders übertrug.
Beim Abendessen war er unausstehlich. Er stritt sich mit seiner Frau, widersprach Sanders, brachte Hamilton zum Schweigen und versuchte dasselbe bei Bones, aber dieser ließ sich nicht unterdrücken.
»Dieses Gebiet müßte ganz anders organisiert werden! Die ganze Verwaltung taugt nichts!« schalt er.
»Da haben Sie vollkommen unrecht, mein netter, alter Inspektor«, sagte Bones freundlich. »Sie irren wirklich.«
Banks starrte ihn an, aber Bones wurde nicht im geringsten verlegen.
»Ist es in Ordnung, daß ein Subaltern-Beamter einen hohen Vorgesetzten der Lüge zeiht? Ich sage ausdrücklich – der Lüge?«
»Sie haben vollkommen unrecht, mein lieber, alter Inspektor. Und es ist gut, daß Sie es einsehen. Ich dachte schon eben selbst daran, als Sie unserer netten, alten Exzellenz widersprachen. Es war sehr unangenehm für uns.«
Der Major wußte nicht mehr, was er sagen sollte, und schwieg. Hamilton fürchtete im geheimen für Bones, und seine Besorgnis stieg, als Bones seiner Tischdame eine nette Geschichte erzählte und sie darüber lächelte.
»Emmie, Liebling«, sagte der Inspektor mit unheimlicher Freundlichkeit und zeigte ihr wieder den Schlüssel. »Vergiß es nicht.«
Sanders atmete erlöst auf, als sich der Major und seine Frau zurückzogen. Der schreckliche Abend war vorüber, aber die eigentliche Tragödie sollte erst am nächsten Morgen beginnen.
»Alle Abrechnungsbücher sind mir ins Büro zu bringen«, befahl der Major. »Ich brauche keine Erklärungen und keine Hilfe, denn ich bin vollkommen mit der Materie vertraut. Sanders – Mr. Sanders, könnten Sie diesen jungen Offizier nicht ein wenig fortschicken? Sie sagten doch gestern abend, daß Sie in der nächsten Zeit ein Palaver am Strom abhalten müßten? Könnten Sie nicht Mr. Tibbetts mitnehmen?«
»Wie lange wird denn die Revision der Rechnungen dauern?« fragte Sanders erstaunt.
»Eine Woche. Ich will jeden Beleg selbst prüfen und alles vergleichen. Beschuldigen will ich niemand, aber ich habe Erfahrung in solchen Dingen. Es kommen häufig kleine Unterschleifen vor, wenn man nicht gewissenhaft kontrolliert.«
»Wollen Sie damit sagen, daß ich mir Unterschlagungen habe zuschulden kommen lassen?« fragte Hamilton.
»Fahren Sie mich nicht so an«, erwiderte der Major ärgerlich. »Sie haben doch Schreiber und Unterbeamte, denen so etwas passieren kann. Wenn man seine Leute nicht genügend überwacht, kommen jeden Augenblick Unregelmäßigkeiten vor. Mehr will ich im Moment nicht sagen.«
Sanders mußte allerdings ein Palaver abhalten, aber es hätte auch noch einige Wochen verschoben werden können. Unter diesen Umständen teilte er jedoch dem Inspektor mit, daß er am nächsten Morgen mit der »Zaire« nach Norden fahren würde.
Der Abend verging mit dem Sammeln der Belege, die sich meistens in Bones' Koffern und in den Ecken seiner Hütte fanden. Auch mußten die Schriftstücke noch nach dem Datum geordnet werden.
Der Generalinspektor war an dem Abend freundlicher als sonst und erzählte Sanders etwas von seinen Vermögensverhältnissen. Er war ungewöhnlich wohlhabend, stark an amerikanischen Petroleumfeldern interessiert und besaß ein schönes Haus in Sussex, in dem schon königliche Prinzen gewohnt hatten.
Aus seiner Abneigung gegen Bones machte er kein Hehl und nannte ihn einmal einen unverschämten jungen Dachs. Er hatte einen der eingeborenen Schreiber so lange ausgefragt, bis er von den Schwierigkeiten erfahren hatte, die die beiden Offiziere bei der Durcharbeitung der Rechnungsbücher gehabt hatten. Der Major freute sich schon darüber, daß er Hamilton und Bones hereinlegen konnte.
Sanders war glücklich, als er am nächsten Morgen mit Bones und einem halben Dutzend Haussasoldaten den Strom hinauffahren konnte. An einer verabredeten Stelle kam er mit fünf kleineren Häuptlingen zusammen, um ein wichtiges Palaver über Gebietsgrenzen abzuhalten. Außerdem war noch die Sache mit M'gala zu regeln, und ohne daß er es wußte, war dies der wichtigste Punkt der Besprechung.
M'gala gehörte zu den Unteren N'gombi, aber er war nirgends beliebt. Man konnte auch nicht erwarten, daß jemand Gutes von ihm sprach oder daß ihn die Frauen freundlich ansahen, denn es lastete seit seiner Geburt ein Fluch auf ihm, und er war von Geistern besessen.
Als M'gala eines Nachts schreiend auf die Welt kam, sah der Zauberdoktor Tiki M'simba nach und nach viele böse Geister und Teufel in die Hütte seiner Mutter schleichen, und sie kamen nicht wieder heraus. Ein Mann zweifelte allerdings daran und sagte, daß Tiki M'simba sich nur rächen wolle, weil er einmal mit M'galas Vater einen langen Streit gehabt hätte. Aber ob nun Rachsucht oder wirkliches Hellsehen der Grund für diese Feststellung war, alle Leute bei den Unteren N'gombi glaubten fest daran. Die Mutter haßte ihr Kind, und der Vater setzte es auf einer sandigen Insel aus, wo sich die Krokodile sonnten.
Als aber das erste Krokodil erschien, kam Sanders und streckte das Tier mit einem wohlgezielten Schuß nieder, so daß es vergaß, den Jungen aufzufressen. Sanders nahm den kleinen braunen Kerl an Bord der »Zaire« und hielt im nächsten Dorf ein Palaver ab, um herauszufinden, wer seine Eltern seien. Die Entdeckung war nicht schwer, denn M'galas Vater befand sich unter den Zuhörern.
»Mein Herr Sandi, dieses Kind ist voller Teufel«, sagte der einfache Mann und erzählte die näheren Umstände bei M'galas Geburt.
Sein Bericht dauerte eine ganze Stunde, aber Sanders lauschte interessiert.
»Ruft Tiki M'simba hierher«, befahl er schließlich, und widerwillig erschien der Zauberdoktor vor ihm. »O Mann«, wandte sich Sanders sanft an ihn, »du magst Geister und Teufel und wundervolle Ju-jus sehen, aber sie dürfen keinem lebenden Menschen ein Unheil zufügen.«
»O Herr, ich sehe, was ich sehe«, erwiderte Tiki M'simba, der sich durch den freundlichen Ton des Amtmanns täuschen ließ.
»Dann wirst du auch fühlen, was du fühlst.«
Man band den Zauberdoktor an einen Baum, und der Sergeant Abibu, der einen besonders starken rechten Arm hatte, gab ihm zwanzig Schläge mit der Nilpferdpeitsche, um ihn zu bessern.
Infolgedessen wuchs M'gala in einer ihm feindlichen Umgebung heran. Wenn er Tiki M'simba auf der Dorfstraße begegnete, so sah ihn dieser mit einem schreckenerregenden Blick an. Die kleinen Jungen und Mädchen schlossen ihn von ihrer Gesellschaft aus. Sein Vater baute ihm eine kleine Hütte, die kaum Raum genug für einen Hund bot. Hier mußte M'gala schlafen und essen, denn alle Leute wußten, daß er Unglück brachte und den bösen Blick hatte.
Wenn er längere Zeit auf eine Ziege sah, so starb das Tier. Blieb er vor einem Haus stehen und schaute in das dunkle Innere, so wurden die Frauen oder Kinder in dem Haus krank. Wenn er mit Menschen sprach, so bekamen sie Schmerzen. Einmal sah er zu, wie Männer einen Baum fällten. Plötzlich stürzte der Stamm um und tötete zwei Leute. Die Fischer ließen ihn nicht ans Ufer kommen, weil sie fürchteten, daß er die Fische verscheuchte.
So wuchs er denn schlank und hager heran und wurde schweigsam und in sich gekehrt. Seine Züge verrieten aber mehr Intelligenz als die Gesichter der gewöhnlichen Eingeborenen. Niemand tat ihm etwas, weil man Sanders fürchtete, und beim Volk bildete sich der Aberglaube, daß weder Gift noch Eisenwaffen ihn töten könnten.
Aber als der Junge fünfzehn Jahre alt war, hatte der Zauberdoktor M'simba die Dorfältesten so weit gegen ihn aufgehetzt, daß sie fremde Leute mieteten, die ihn in den N'gombiwald verschleppen und dort umbringen sollten. Die vier Männer machten sich auch auf, um M'gala zu verfolgen, der in den Wald auf die Jagd gegangen war. Aber später fand man sie von Leoparden zerrissen, obwohl man keine wilden Tiere in der Gegend gesehen hatte und die Jäger auch keine Spuren finden konnten.
M'gala baute sich dann selbst eine Hütte abseits von seinen Stammesangehörigen. Jeden Tag ging er durch das Dorf, ohne nach rechts und nach links zu schauen. Als er einmal in Dornen trat, die jemand in böser Absicht auf seinen Weg gelegt hatte, lehnte er sich gegen eine Hütte, um sie wieder auszuziehen. Ein paar Schritte weiter wiederholte sich dasselbe, und er lehnte sich gegen eine andere Hütte. In der folgenden Nacht brannten die beiden Hütten ab, und das Feuer zerstörte fast das ganze Dorf.
Tiki M'simba rief einen geheimen Rat der Ältesten zusammen, an dem auch der kleine Häuptling teilnahm, der ganz unter seinem Einfluß stand.
»Sandi ist jetzt am Großen Strom und hält Palaver ab. Ich schlage vor, daß einer von uns zu ihm geht und ihm alle die schrecklichen Dinge erzählt. Wir müssen ihn bitten, M'gala von uns zu nehmen, weil er uns nur Unglück bringt.«
Sie wählten einen Mann aus, den Sanders gern hatte, und dieser kam zu dem Zusammenfluß der beiden Ströme, wo die »Zaire« vor Anker lag. Am Abend ließ ihn der Amtmann zu sich kommen und hörte ihn ruhig an.
Er behandelte solche Fälle stets mit dem größten Ernst, denn er hatte erfahren, daß die großen Dinge manchmal kleine Ursachen haben. Deshalb wurde er nicht ungeduldig über all die vielen Erzählungen von Teufeln und Geistern, sondern er dachte tief darüber nach. Auch Bones zog er zu Rate, der mit den Gebräuchen der Eingeborenen sehr vertraut war.
»Das ist eine merkwürdige Geschichte, liebe, alte Exzellenz. Aber ich habe schon öfter ähnliche Fälle gehabt. Der Aberglaube der Eingeborenen ist wirklich bemerkenswert. Die sonderbare Handlungsweise der Leute läßt sich nur dadurch erklären. Was meinen Sie dazu, wenn ich ihnen einmal eine kleine Vorlesung über Recht und Gesetz halte? Dann könnte ich doch den verrückten Leuten einmal beibringen, was sie tun sollen.«
»Ich glaube nicht, daß das viel nützen wird. Die Leute brauchen Hilfe und keine Vorlesungen. Ich werde M'gala holen lassen und ihn zur Residenz mitnehmen. Er scheint ja soweit ein ganz intelligenter Junge zu sein, und ich brauche sowieso einen Boy für das Haus.«
»O mein Herr Sandi«, warnte ihn der Bote, »dieser Mann bringt allem Unglück, was er berührt. Auch hat er gedroht, daß jeder sterben wird, der ihn schlägt. Und niemand hat gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben, weil sie deine Befehle fürchten.«
»O ko«, erwiderte Sanders, der nun doch ungeduldig wurde. »Lasse mich diesen Wunderknaben einmal sehen. Ein paar Hiebe schaden keinem Menschen.«
Er dachte in diesem Augenblick an den Generalinspektor.
Als M'gala das Dorf verließ, kam niemand, um sich von ihm zu verabschieden, denn alle fürchteten, daß ihnen Böses widerfahren würde.
Sanders kam mit der »Zaire« zur Residenz zurück, Hamilton erwartete ihn am Ufer mit einem traurigen Gesicht.
»Hier war inzwischen der Teufel los«, erzählte er. »Der gemeine Kerl hat die beiden Rechnungsbücher gefunden und mir den Vorwurf gemacht, daß ich die Abrechnungen gefälscht hätte. Er schimpfte furchtbar und hat sich verschworen, Bones den Hals zu brechen. Augenblicklich arbeitet er gerade einen langen Bericht an das Kolonialministerium aus.«
»Um was handelt es sich denn?« fragte Bones.
Es war charakteristisch für Hamilton, daß er Bones in dieser Krise mit einem freundlichen Lächeln begrüßte.
»Ich fürchte, es wird fürchterlich für Sie werden«, sagte er und erklärte ihm alles.
»Das kann ich doch wieder in Ordnung bringen«, meinte Bones leichthin. »Und wenn die Rechnungen um ein paar Pfund nicht stimmen, dann zahle ich eben den Fehlbetrag aus meiner Tasche darauf.«
»Das wird nicht so einfach sein. Es handelt sich um hundertdreiundsechzig Pfund. Ich habe den Inspektor noch nie so vergnügt gesehen, als wie er das heraus hatte!«
Der Major war beim nächsten Frühstück allerdings in der besten Stimmung. Er rieb sich vergnügt die Hände, als er Bones ankommen sah, und Leutnant Tibbetts deutete diese Geste so verkehrt, daß er dem Inspektor auf die Schulter klopfte.
»Was fällt Ihnen denn ein, Sie unverschämter Mensch?« schrie ihn Commeder Banks an. »Sind Sie denn ganz von Sinnen? Was habe ich denn mit einem Verbrecher, wie Sie einer sind, zu tun?«
»Nächstens nennen Sie mich auch noch Räuber und Dieb, mein lieber, alter Inspektor! Sagen Sie, wäre es nicht schön, wenn Mrs. Emmie, Sie und ich einmal zusammen einen Ausflug auf dem Strom machten, um zu angeln?«
Mrs. Banks sah ihn verzweifelt an, aber Bones verstand sie nicht.
Sanders und Hamilton hatten fast eine Stunde zu tun, um Bones von dem Ernst der Lage zu überzeugen.
»Nehmen Sie sich doch endlich zusammen«, sagte der Captain ernst. »Wenn Sie sich nicht vorsehen, stellt Sie der Mann noch vor ein Kriegsgericht! Sie wissen doch, daß er den jungen Verney wegen ganz ähnlicher Geschichten degradieren ließ!«
Schließlich dämmerte auch Bones eine Ahnung von der Gefahr auf.
»Aber er meint es doch nicht im Ernst, mein alter Kamerad. Ich steh doch so gut mit seiner Frau.«
Hamilton stöhnte und seufzte.
Der Major arbeitete den ganzen Vormittag an seinem Bericht. Vor dem Mittagessen setzte er sich in einen Korbsessel auf der Veranda und ließ sich einen Whisky-Soda bringen, weil er durstig war.
Sanders sah, wie der neue Boy vorsichtig die Stufen zur Veranda emporstieg und das Tablett in den Händen balancierte. Er dachte gerade, daß es doch sehr unvernünftig von dem Koch war, diesen ungewandten Jungen zu schicken, als er einen Schlag hörte. M'gala war mit dem Tablett und den Gläsern zu Boden gefallen.
»Du abscheulicher Lümmel!« brüllte der Major.
M'gala erhob sich langsam. Er war noch niemals geschlagen worden, und in seinen Augen glühte ein düsteres Feuer, als er die Treppe hinunterging und um die Ecke des Hauses verschwand. Der Major wischte mit dem Taschentuch seine Beinkleider ab.
»Was haben Sie denn da für einen albernen Menschen«, sagte er böse.
»Er ist noch ganz fremd hier. Ich habe ihn erst heute morgen aus dem Innern mitgebracht.«
»Wirklich ein ungebildeter, rüpelhafter Kerl. Er legte die Hand auf meine Schulter, als er mir das Glas reichte.«
»Ach so!« sagte Sanders, und plötzlich fielen ihm die Geschichten ein, die man ihm von M'gala erzählt hatte.
»Dem jungen Windhund, der hier bei Ihnen ist, breche ich das Genick«, fuhr Major Banks fort und freute sich, daß er wieder über dieses angenehme Thema sprechen konnte. »Ich weiß nicht, wie weit Sie für derartige Dinge verantwortlich sind, das kann ja der Generalgouverneur der Kolonien entscheiden. Die Abrechnungen von Leutnant Tibbetts sind jedenfalls in einem fürchterlichen Zustand. Ich habe einen Fehlbetrag von hundertdreiundsechzig Pfund feststellen können – Emmie, komm hierher.« Die letzten Worte hatte er laut und scharf gesprochen.
Die junge Frau erhob sich und kam vom anderen Ende der Veranda herüber. Sanders sah, daß sie etwas auf dem Rücken hielt.
»Was ist das für ein Brief, den du eben gelesen hast?« fragte der Major.
Sie wurde noch bleicher.
»Heute morgen ist doch keine Post gekommen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ist der Brief von jemand, den du schätzt? Laß mich ihn einmal sehen.«
Selbst Sanders der doch eine gute Beobachtungsgabe besaß, hatte nicht gemerkt, daß sie in ihrem Stuhl gelesen hatte.
»Zeige mir den Brief!«
Die Röte kam allmählich wieder in ihre Wangen.
»Nein, das tue ich nicht«, erklärte sie trotzig. »Der Brief ist von einem Freund.«
Der Major grinste.
»Wohl von Freddie?«
»Ja!«
Er grinste noch gemeiner.
»Nach dem Essen sprechen wir darüber. Was hat denn Freddie an dich zu schreiben?«
Er suchte in seiner Westentasche nach dem Schlüssel, aber als er ihn hervorzog, riß sie ihn aus seiner Hand und warf ihn über das Geländer.
»Ich lasse mir das nicht länger gefallen! Freddie bedeutet mir alles – so, nun habe ich es dir gesagt!«
Sie wandte sich schnell um und ging ins Haus. Der Major saß bestürzt in seinem Sessel, und als er sich erheben wollte, fiel er wieder zurück.
»Donnerwetter, das war ein starkes Stück!« brachte er schließlich hervor. Seine Stimme verriet deutlich genug, welchen Eindruck das Verhalten seiner Frau auf ihn gemacht hatte. Sie war die erste, die es wagte, ihm Widerstand entgegenzusetzen.
»Dieser Tibbetts – Sie nennen ihn ja immer Bones – ist verantwortlich für die Geschichte. Er hat ihr dumme Gedanken in den Kopf gesetzt!«
In diesem Augenblick kam der Telegrafist auf die Veranda.
»Was wollen Sie?« schrie ihn der Major an.
Der Mann überreichte ihm ein Telegramm.
Banks las es, und seine Züge verzerrten sich.
»Was soll denn das bedeuten?« stieß er heiser hervor. »Das ist doch nicht wahr! Lesen Sie, Sanders – lesen Sie!«
Der Amtmann nahm ihm das Telegramm aus der Hand.
»Sehr dringend. Calder drahtet, daß Petroleumaktien von siebeneinhalb Dollar auf fünfundsiebzig Cents fielen. Petroleumquellen versiegt. Panik am Petroleummarkt. Soll ich Papiere verkaufen oder halten?«
»Mein ganzes Vermögen steckt darin«, rief der Major. »Ich bin ruiniert!«
Sanders sagte nichts, und der Generalinspektor nahm seinen Tropenhut mechanisch auf. Er wankte die Treppe hinunter wie ein alter Mann, ging quer über den Exerzierplatz und verschwand hinter den Hütten der Haussas.
Um vier Uhr nachmittags war er noch nicht wieder zurückgekehrt. Sanders fürchtete, daß Banks ins Wasser gefallen sein könnte, und schickte Leute aus, die das Gelände absuchen sollten.
Man fand ihn im hohen Grase am Ufer. Er lag mit dem Gesicht auf der Erde und hatte einen Revolver in der Hand. In seiner Nähe lag M'gala, auch er war tot. Niemand hatte den Schuß gehört, der den unglücklichen Jungen tötete. Und auch sein Speer, der Banks' Kehle durchschnitten hatte, war geräuschlos durch die Luft geflogen.
Ende