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II
Der Schwätzer

Bei den Isisi lebte ein Mann, den alle Leute, sogar der Häuptling des Stammes, fürchteten. Dieser Mann war aber weder ein großer Krieger noch ein erfahrener Zauberdoktor. Er hieß M'anin, war groß und hager und gehörte dem einfachen Volk an. Seine Stimme war abstoßend und häßlich, trotzdem sprach er dauernd. Seine Worte klangen beißend und scharf, und er hatte vor niemand Respekt. In früheren Tagen hatte ihn der Dorfhäuptling einmal mit einer biegsamen Rhinozerospeitsche züchtigen wollen. M'anin sah ihn kommen und erschrak, denn er hatte schlecht von dem Häuptling und einer seiner Frauen gesprochen. Aber obwohl sein Herz wie Wasser war, trat er dem Häuptling kühn, ja unverschämt entgegen, denn es dämmerte dunkel eine Erkenntnis in ihm auf. Selbst die stärksten und wütendsten Leute kann man bezwingen, wenn man sie durch scharfe Rede angreift und nur fest auf dem Sinne beharrt.

»Ich sehe dich, Häuptling«, sagte er. »O ko! Du bist wie ein Affe, der vom Speer getroffen ist. Nun will ich dir die Wahrheit sagen. Du hast ein häßliches Gesicht, und du bist ein schlechter Häuptling. Wenn Sandi es erfährt, wird er dich absetzen.«

Er sprach so sicher und kühn, daß der Häuptling erschrak. »M'anin, habe ich schlecht von dir gesprochen? Habe ich dir Böses getan? Warum machst du mich lächerlich vor meinem Volk?«

M'anin sah ihn nachdenklich an.

»Ich spreche nur die Wahrheit, und wenn sich jemand dadurch verletzt fühlt, so ist es seine eigene Sache. Ich rede, wie mir zumute ist, selbst zu Sandi.«

So blieb M'anin am Leben, wurde immer älter, und niemand wagte, ihm etwas zu tun, obwohl er überall verhaßt war. Frauen suchten seine Gunst zu erlangen; man schickte die besten und leckersten Speisen in seine Hütte, um seine scharfe Zunge zu besänftigen. Obwohl die Isisi am Großen Strom leben und Unsauberkeit bei ihnen als Schande gilt, sagte man doch nichts über M'anin, der niemals badete. Er lebte mit einer sehr dicken Frau in einer Hütte abseits des Dorfes. Sie war häßlich und erinnerte an einen dicken Käfer. Wenn sonst niemand zuhörte, mußte sie seinen Wortschwall über sich ergehen lassen. Er ging nicht auf die Jagd, arbeitete nicht und sorgte auch kaum für seinen Lebensunterhalt. Aber wenn aus einer Hütte ein lockender Duft aufstieg, lud er sich dort selbst zu Gast. Und aus Angst vor seinen bissigen Worten ließen ihn alle an ihrem Mahl teilnehmen.

Manchmal lehnte er auch mit dem Rücken an einem Baum, und um ihn herum standen junge Leute. Dann sprach er schlecht von Dingen und Menschen, die ihnen gut erschienen. Zum Beispiel war er eifersüchtig auf den reichen Jäger Ogani und auf B'lini, dessen Boote den Strom auf und ab fuhren.

»Seht doch den großen Ogani, den sie einen tüchtigen Jäger nennen! Aber für mich ist er nur ein Fisch auf dem Trocknen, der hin und her zappelt und sein dummes Maul auf und zu macht ... Oh, ihr einfältigen Leute, warum zittert ihr vor Sandi? Er hat doch auch nur ein Leben, und er kann doch auch nicht zu gleicher Zeit zwei Mahlzeiten essen. Er versteht nicht zu regieren – wäre sonst unsere Ernte schlecht ausgefallen?«

Vielleicht hatte man Sanders diese Äußerung hinterbracht, aber er hatte viel Nachsicht mit Schwätzern. Und M'anin, stolz und befriedigt über sein kühnes Auftreten, hütete sich wohl, diese geringschätzigen Worte zu wiederholen.

Aber dann sprach eines Abends jemand über Bones. Leutnant Tibbetts mochte für seine nächste Umgebung eine komische Figur sein und manchmal unverantwortliche Dinge sagen und tun; für die Leute am oberen Strom war Tibbetti jedoch das Symbol der rächenden Nemesis. Er strafte die Bösen und ließ selbst Häuptlinge erbarmungslos an den Galgen knüpfen. Das kurze, rasselnde Stakkato seiner Maschinengewehre war bei vielen Stämmen in unvergeßlicher Erinnerung.

»Dieser Tibbetti ist ein entsetzlicher Narr«, sagte M'anin. »Er hat ja gar keine Augen, denn er steckt immer ein kleines Glas an die Stelle, wo sein Auge sein sollte.«

»O ko, M'anin«, erwiderte einer seiner bestürzten Hörer. »Hat er nicht die Leoparden vernichtet, die nachts in unsere Hütten kamen und uns so viel Leid antaten, daß wir uns schämen mußten?«

Die »Leoparden« waren eine eigenartige Geheimgesellschaft, die in der einen oder anderen Form in ganz Afrika bekannt ist.

»O ko«, spottete M'anin, »hat er nicht unendlich viele Soldaten zu dieser kleinen Arbeit gebraucht? Und sind die Leoparden nicht Freunde des Volkes?«

Seine Worte riefen allgemeines Staunen hervor, denn bisher hatte niemand gewagt, diese schrecklichen Leute öffentlich zu verteidigen. Aber M'anin wurde durch seine Erfolge immer kühner. Er hätte sogar die Gesetze der Regierung verteidigt, wenn ein anderer sie angegriffen haben würde.

»Diese Leoparden sind tüchtige Leute. Sie haben einen großen Ju-ju und leben auch heute noch. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen. Zu Armen sind sie sehr gut, aber sie sind hart zu den Reichen. Jeder Leopard ist groß in den Augen der Geister, und selbst M'shimba-M'shamba soll mit ihnen im Bunde sein.«

Das war nur der kleine Anfang. Diese törichten Worte des Schwätzers hatten große Wirkung auf die Isisi, der Häuptling der Ochori sorgte allerdings dafür, daß die entstehende Bewegung im Keim erstickt wurde.

Bosambo war zwar ein despotischer König, aber er regierte trotzdem sehr weise. Er besaß den untrüglichen Instinkt des wahren Herrschers, der stets genau weiß, wann er nachgeben und wann er festbleiben muß, selbst wenn die Situation noch so gefährlich erscheint. Aus persönlichem Ansehen und Popularität machte er sich wenig, und es blieb ihm gleichgültig, als M'lipi, ein kleiner Häuptling, der unter M'anins Einfluß stand, schlecht über ihn redete. Der Mann bezeichnete Bosambo als einen Fisch oder eine Schlange und verglich ihn mit einem komischen Ju-ju, der keine Macht mehr besaß. Aber Bosambo ließ ihn nicht zu sich kommen, um die Schale des Zorns über ihn auszugießen. Nur als die Zeit kam, wo die Abgaben zur Residenz geschickt werden mußten, wurden M'lipis Boote mit dem Tribut auf dem Wege zur Ochoristadt gestohlen, und trotz des lebhaften Widerspruchs seiner Untertanen mußte er neue Abgaben ausschreiben, um die Steuern in die Residenz schicken zu können.

Eines Tages erhielt Bosambo die Nachricht von seinen Spionen, daß alte Leute sich heimlich im Walde träfen und ihn einen Unterdrücker des Volks nannten (was er niemals war). Auch schalten sie ihn einen habgierigen Fremden (was zweifellos stimmte). Bosambo machte bei dieser Gelegenheit nur ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen über den Verstand alter Leute. Aber er rief seine sechs besten Führer zu sich, als er eine andere Mitteilung erhielt.

Vier Leute waren an einem geheimen Platz zusammengekommen.

»Dies sind die Tage der Frauen – Wa! Ich habe seit langem kein Blut mehr mit meinen Krallen fließen lassen«, sagten sie, und Bosambo waren diese Worte berichtet worden.

»In dem und dem Dorfe leben vier Leute, die zu den Leoparden gehören«, sagte er. »Geht schnell und tötet sie, aber niemand darf etwas davon wissen.«

Die Unterhäuptlinge machten sich bei Nacht auf und marschierten bis zur Morgendämmerung. Dann legten sie sich nieder und schliefen während des Tages. Sobald es wieder dunkel wurde, nahmen sie die Wanderung von neuem auf, und durch vorsichtige Fragen gelang es ihnen, die Stelle im Walde zu finden, wo die Leoparden eine Geheimversammlung abhielten.

Die vier sprachen gerade über die Aufnahme neuer Mitglieder, als plötzlich die sechs Ochori, mit Schild und Speer bewaffnet, auftauchten.

»Kommt mit uns«, sagte der erste und führte sie in eine tiefe Schlucht.

Dort wurden sie getötet und den Leoparden zum Fraß überlassen, die dort in Mengen lebten.

Bosambos große Hütte stand an der Flußseite der Stadt, und zwischen ihr und dem Ufer lagen nur seine Kornfelder und die Hütten seiner Wachtleute. Er war vorsichtig und hielt sich immer den Zugang zum Wasser und seinen drei Kanus offen.

Die Hütten der Wachtleute waren dem Ufer so nah, daß man von dort aus Fische speeren konnte. Die jungen Männer, die die Leibgarde des Oberhäuptlings bildeten, wurden je nach Gelegenheit als Krieger oder als Ruderer verwendet. Es waren ausgesucht schöne, schlanke Menschen von großer Kraft und Tapferkeit. Auf ihre Stellung waren sie nicht wenig stolz, und jeder trug als Zeichen seiner Würde ein rotes Tuch um den Kopf.

Eines guten Tages saß Bosambo im Schatten einer großen Grasmatte und sprach mit Bosongo, dem Führer seiner Leibwache. Die Unterhaltung drehte sich um eine Isisifrau. Die Leute von der Leibwache durften nicht heiraten. Wenn sie sich eine Frau nahmen, gehörten sie wieder zu der großen Masse der Krieger, die keine feuerroten Kopftücher trugen.

»Mein Herr Bosambo, ich glaube, meine Zeit ist gekommen, denn diese Frau ist wunderbar schön, und ihr Vater ist reich. Ich will mir eine Hütte bauen und dir treu ergeben bleiben. Gib mir den Befehl über ein Regiment Speerleute, wie du es früher mit T'furi und M'suri Balana getan hast.«

Bosambo zog eifrig an seiner langen Pfeife und verpestete die Gegend mit dem Geruch seines schlechten Tabaks.

»Das will ich tun, Bosongo. Aber die Isisi sind ein merkwürdiges Volk und dulden es nicht, daß Frauen ihres Stammes den Fluß überschreiten, um in einem fremden Land zu wohnen. Es gibt doch auch hier in der Ochoristadt genügend Frauen.«

Bosongo nickte und drückte dadurch aus, daß er nicht zustimmte.

»Das Mädchen hat mich sehr gerne, und sobald ihr Vater mir Salz und Stäbe und Ziegen gegeben hat, die sie als Mitgift erhält, bringe ich sie bei Nacht in meinem Kanu hierher, und dann ist alles gut.«

Aber Bosambo ließ sich nicht so leicht überzeugen. Es lag ihm nichts an Stammesgebräuchen, aber er sah Verwicklungen voraus. Die Isisi benahmen sich in letzter Zeit ziemlich herausfordernd, denn ihre Ernten waren gut gewesen, und die Leute besaßen viel Korn und Salz. Unter diesen Umständen war die Kriegsgefahr sehr groß.

»Wenn nun aber aus dieser Sache ein Mordpalaver wird, was soll ich dann meinem Herrn Sandi sagen, der beinahe mein Bruder ist? Sind wir nicht zusammen in die Missionsschule gegangen und haben dort von Marki, Luki und Johanni gelernt, die die Zauberdoktoren der Weißen sind? Ich will es mir noch einmal überlegen, Bosongo, und in ein paar Tagen sollst du hören, zu welcher Entscheidung ich gekommen bin.«

»O Herr, es wird kein schlechtes Palaver geben«, erwiderte Bosongo eifrig, »denn diese Frau ist schon oft mit ihrem Vater und seinen Ruderern zu meinem Hause gekommen.«

Bosambo sah ihn verständnislos an.

»Ich habe keinen kleinen Häuptling der Isisi in der Stadt gesehen.«

Bosongo fühlte sich nicht sehr behaglich.

»Er brachte sie zur Nachtzeit, da er wußte, wie sehr ich sie liebe. Am Morgen nahm er sie wieder mit.«

Bosambo sagte nichts mehr und winkte den Mann fort.

In der Dämmerung kam ein Späher Bosambos aus dem Land der Isisi zurück, denn der Häuptling der Ochori überließ nichts dem Zufall. Der Geheimbund der Leoparden, der vor drei Jahren nach großen Schwierigkeiten durch eine ganze Kompanie Haussas mit vier Maschinengewehren vernichtet worden war, breitete sich wieder von den Unteren Akasava bis zu den Oberen Isisi aus. Und doch hing im Winde noch das Tau, an dem der Führer der Leoparden gehängt worden war.

Eine Stunde lang unterhielt sich Bosambo mit seinem Mann im Dunkel seiner Hütte ... Später in der Nacht schlich sich der Späher wieder davon und ging am Ufer des Flusses entlang, bis er nach einem Weg von einer Meile zu einem Boot mit fünf Ruderern kam. Er gab einen kurzen Befehl, und der Gefangene, der gefesselt und geknebelt darin lag, wurde von den Ruderern an Land gebracht. Sie lösten die Fesseln und entfernten den Knebel, dann gaben sie dem Mann einen Becher Wasser zu trinken.

»Komm mit mir, kleiner Leopard«, sagte der Späher. »Wenn du Bosambo die Wahrheit sagst, so wird dir nichts geschehen.«

Nach dieser Versicherung ging er schweigend in ihrer Mitte, bis sie in die Nähe der Ochoristadt kamen. Dann führten sie ihn auf Geheimwegen zu der großen Hütte Bosambos, in der er allein schlief.

Man gab ihm Bier zu trinken, und er wurde immer redseliger, je mehr er trank. Schließlich war Bosambo zufrieden.

In derselben Nacht kamen drei Leoparden aus dem Stamm der Isisi, die auf geheimnisvolle Weise von dem Tod der vier Leoparden in der Schlucht erfahren hatten. Geräuschlos kamen sie in einem schwarzen Kanu angerudert, schlichen sich zwischen den Wohnungen der Wachtleute hindurch und erreichten die Hütte Bosambos. An ihren Händen trugen sie mit scharfen Stahlklauen versehene Fausthandschuhe aus Leopardenfell, das Abzeichen der Geheimgesellschaft. Einem von ihnen gelang es, in die Hütte hineinzukommen, und er stieß mit einem Messer auf einen Mann los, den er im Dunkeln unsicher vor sich sah. Und als er fühlte, daß sein Opfer in Todeszuckungen lag, brauchte er seine Krallen, wie es das Ritual vorschrieb.

Der Mörder kroch langsam zum Ausgang zurück, aber plötzlich packte ihn eine große Hand am Genick und drückte sein Gesicht auf den Boden. Im nächsten Augenblick saß ihm das Knie Bosambos im Rücken. Er machte einen schwachen Versuch, wieder in die Höhe zu kommen, aber ein Schlag streckte ihn nieder.

Als er wieder zu sich kam, lehnte er mit dem Rücken an einem Baum und die Morgendämmerung brach eben an. »O Mann, ich sehe dich!« sagte Bosambo. »Was für eine böse Tat hast du begangen!«

Er sah nach rechts, und die Blicke des Gefangenen folgten ihm. Der Leopard, der Bosambo so viel erzählt hatte, lag dort in seinem Blute. Die beiden Ruderer der Isisi, die ihn begleitet hatten, sah der Mann freilich nicht, denn Bosambo hatte sie am Flußufer umbringen lassen.

»Diesen Mann hast du ermordet«, fuhr Bosambo fort. »Deshalb schicke ich dich zur Residenz, wo Sandi sein Urteil sprechen wird. Ich kann dich nicht töten, weil ich mein Wort verpfändet habe, und in meinem Lande, das ich für Sandi und seinen König regiere, bricht niemand das Gesetz. Aber jetzt wirst du mir sagen, wer dich ausgeschickt hat und wer das Oberhaupt der Leoparden ist, und noch viele andere interessante Dinge.«

Der Gefangene starrte ihn dumpf an.

»Der Leopard haßt und stirbt«, erwiderte er eisig. »Du weißt, Bosambo, daß wir nicht von unserem schrecklichen Ju-ju sprechen.«

»Und doch wirst du zu mir sprechen. Und wenn du mich haßt, bei Ewa, dem Tod, du sollst mich noch mehr hassen, bevor Sandi dich an einem langen Tau aufhängt und alle seine Soldaten über dich spotten.«

Eine Stunde später saß Bosambo vor einem großen Kasten auf der Erde und schrieb mit großer Mühe einen Brief. Das Blatt, das vor ihm lag, war so dünn wie Zigarettenpapier. Als er fertig war, sandte er seine Botschaft mit einer Brieftaube zur Residenz.

»Reise schnell, mein kleiner Freund«, sagte er und warf den kleinen Vogel in die Luft.

*

Im Hauptquartier der Haussa saß ein bösartiger, alter Major, der Leutnant Tibbetts furchtbar haßte. Zur Erklärung mag angegeben werden, daß er zuviel trank und an verschiedenen Tropenkrankheiten litt, die die Stimmung und gute Laune bei einer Temperatur von vierzig Grad Celsius im Schatten allerdings verderben konnten. Seine Briefe brachten Bones regelmäßig zur Verzweiflung.

Einmal kam der Major sogar persönlich auf einer Inspektionsreise zur Residenz an der Mündung des Großen Stromes.

»In der Tat sehr nett«, meinte er, als er die Kompanieabrechnungen durchblätterte. »Ich vermute, daß Sie der hierfür verantwortliche Offizier sind?«

»Jawohl«, bemerkte Bones kurz und selbstzufrieden.

»Ist die Sache nicht von einem ungebildeten Nigger gemacht worden, der erst seit kurzer Zeit in die Geheimnisse der englischen Sprache einzudringen sucht?«

»Durchaus nicht!«

»Dann werden Sie meinen Irrtum verzeihen«, erklärte der Major ungewöhnlich freundlich. »Aber er ist verständlich, wenn man diese unleserlichen Schriftstücke betrachtet. In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht gesehen!«

Bones war froh, als Omes wieder von dannen zog. Er bemühte sich, die unangenehmen Vorgänge möglichst bald wieder zu vergessen. Einen Monat später hatte er eine neue Liebhaberei, nachdem er ein Buch über Seelenwanderung gelesen hatte. Es schien für Kinder geschrieben zu sein, denn er verstand alles bis zum letzten Satz.

Wie gewöhnlich teilte er anderen Menschen von seinen geistigen Eroberungen mit. Das begann schon morgens beim Frühstück, obwohl Hamilton krampfhaft versuchte, die Gedanken seines Untergebenen auf irdische Dinge abzulenken.

»Wissen Sie schon, mein lieber, alter Vorgesetzter und Kamerad«, begann Bones, »daß unsere Seele nur vorübergehend von unserem Körper Besitz ergriffen hat? Ich meine, daß sie sich einmal hier und einmal dort verkörpert und dann wieder davonflitzt?«

»Wollen Sie so gut sein, Bones, und sofort nach dem Depot flitzen und einmal die Bestände an Drillichhosen für die Haussas nachzählen? Und wenn Sie damit fertig sind, flitzen Sie schnell in die Schreibstube der Kompanie und zählen die Personalbogen der Mannschaft nach. Major Omes hat wieder geschrieben.«

»Gewiß, mein lieber, alter Ham; aber ich bitte Sie, einmal kurze Zeit nicht vom alten Omes zu sprechen. Es macht mich krank, wenn ich immer seinen Namen höre. Haben Sie verstanden, was ich Ihnen eben erklären wollte? Ihre Seele hat sich früher die Körper niederer Tiere als Behausung ausgesucht. Vielleicht waren Sie eine Ente oder sogar eine Schlange. Es ist einfach entsetzlich, wenn man daran denkt. Vielleicht sind Sie auch eine Katze gewesen. Denken Sie einmal, wenn Sie jetzt auf der Veranda säßen und ich Sie in den Schwanz kneifen würde! Wie Sie davonsausen würden!«

»Sie waren früher bestimmt ein Scheusal von Hyäne«, brummte Hamilton. »Oder ein Papagei.«

»Nein, ein Paradiesvogel«, fiel ihm Bones ins Wort. »Es ist merkwürdig, ich habe doch schon so oft geträumt, daß ich fliegen könnte und Federn auf dem Kopf hätte.«

»Dann waren Sie damals bestimmt ein Engel, Sie verrücktes Huhn«, knurrte Hamilton.

»Meiner Ansicht nach –«

»Seien Sie doch endlich ruhig, Bones«, seufzte Sanders.

Bones stand auf und verneigte sich.

»Ich hätte ja gar nichts dagegen«, sagte Hamilton später zu Sanders, als sie allein waren. »Aber er bringt die ganze Kompanie durcheinander. Abibu, der ein strenggläubiger Moslem ist, wäre beinahe in die Luft gegangen, als ihm Bones erzählte, daß er früher wahrscheinlich ein Meerschweinchen gewesen sei.«

Bones begnügte sich nicht damit, seinen lieben Mitmenschen zu erzählen, in welcher Gestalt sie ihm vor Zeiten begegnet seien. Er erinnerte sich jetzt auch an seine eigenen früheren Existenzen.

»Heute morgen fiel es mir ein, alter Junge«, sagte er zu Hamilton. »Die Erinnerung kam mir wie eine blitzartige Erleuchtung. Ich lebte in Rom zur Zeit des netten alten Nero, und ich befand mich im Hippodrom, wo die armen, netten Christen zu Tode verbrannt wurden.«

»Waren Sie Nero oder das Hippodrom?« fragte Hamilton seufzend. »Vermutlich meinen Sie das Colosseum?«

»Ja, es war eins dieser ganz großen Gebäude. Nero saß in seiner Staatsloge, die ganz mit Gold und Purpur dekoriert war. Ich selbst –«

»Spielten Sie etwa im Orchester mit?«

»Nein, mein lieber alter Ham, ich war unten in der Arena. Löwen jagten hinter mir her. Ich fühlte schon den heißen Atem an meiner Schulter, und sie wollten sich gerade auf mich stürzen, als ich aufwachte.«

»Schade, daß Sie nicht ein paar Sekunden länger geträumt haben. Dann hätten die Löwen Sie aufgefressen, und ich wäre Sie los und könnte mir einen anderen Leutnant schicken lassen.«

Bones zuckte nur mitleidig die Schultern, ging zu seiner Hütte zurück und schrieb einen Brief zu Ende, der an die Neue Theosophische Gesellschaft gerichtet war.

Seine Liebhabereien waren im Grunde ganz unschuldiger Natur, und es hätte sich niemand darüber beschwert, wenn er nicht stets den inneren Drang gefühlt hätte, seine neuen Kenntnisse auch anderen Menschen beizubringen.

*

Sanders erhielt die Taubenbotschaft, die Bosambo in Arabisch gekritzelt hatte, er war sehr beunruhigt. Er hatte den untrüglichen Instinkt für ursächliche Zusammenhänge, und als er eine Stunde über das gefährliche Wiederauftauchen der Leoparden nachgedacht hatte, fand er eine befriedigende Erklärung.

Er schickte nach Leutnant Tibbetts, und Bones erschien auch gleich darauf. Er hielt ein Telegramm in der Hand und machte ein niedergeschlagenes Gesicht.

»Unangenehme Nachricht? Ist etwa Major Omes –« fragte Hamilton.

»Aus dem irdischen Jammertal davongeflitzt«, sagte Bones traurig. »Zu seinen lieben, alten Papas versammelt. Tragisches Schicksal.«

»Major Omes?« Hamilton runzelte ungläubig die Stirne.

»Ja, der ist nun auch so ein netter, alter Engel geworden«, erwiderte Bones düster. »Noch nie in meinem Leben habe ich einen solchen Schock bekommen.«

»Tot?« fragte Hamilton.

»Beinahe, alter Kamerad. Er hat einen Zusammenbruch gehabt, so daß sie ihn auf den Dampfer bringen mußten. Eine traurige, alte Ruine.«

Major Omes war tatsächlich noch nicht den Weg allen Fleisches gegangen. Am Morgen nach einer schweren Sitzung im Kasino war es furchtbar heiß gewesen, und als Omes den Versuch machte, durch Turnen sein überflüssiges Fett zu vermindern, erlitt er einen Schlaganfall. Beinahe hätte es eine Lücke in der Rangliste gegeben.

»Schade«, sagte Sanders, als er den wahren Sachverhalt erfuhr. »Aber Bones, ich habe einen Auftrag für Sie. Gehen Sie mit zwanzig Mann und einem Maschinengewehr ins Land der Isisi und verhaften Sie M'anin. Bringen Sie ihn sofort hierher. Verhaften Sie auch Tigisaki und B'welo ...«

Er nannte noch ein halbes Dutzend anderer Namen.

»Bei dem geringsten Widerstand lassen Sie sofort scharf schießen. Die Leoparden haben sich wieder organisiert, und diesmal wollen wir reinen Tisch machen.«

Bones fuhr mit dem Regierungsdampfer ›Zaire‹ ab. Im Augenblick hatte er keine Zeit, an Seelenwanderung zu denken. Zehn Tage lang verfolgte er Tigisaki und seine zehn Anhänger durch Dschungel, Sümpfe und unzugängliches Gelände bis an die Grenzen des Landes, das dem Großen König gehört. Eine weitere Woche verbrachte er damit, im Mondlicht geheime Versammlungen zu belauschen und entsetzliche Riten zu beobachten. Er sah, wie Leichen ausgegraben wurden, und erlebte andere fürchterliche Dinge. Aber schließlich gelang es ihm, den Geheimbund der Leoparden zu vernichten und die Missetäter gefangenzunehmen. Auf dem Rückmarsch kam Bones durch die Wälder zur Stadt der Isisi und hielt dort in dem kleinen Palaverhaus am Ufer des Flusses Gericht ab.

Auch M'anin erschien und war durchaus nicht eingeschüchtert, obwohl er zwischen zwei Haussas mit aufgepflanztem Bajonett stand. Er verließ sich auf seine wunderbare Redegabe.

»Ich sehe dich, Tibbetti«, sagte er unverschämt. »Und ich will dir alles ganz genau sagen, denn beim letzten Vollmond ist ein neuer starker Geist in mich gefahren. Ich glaube, die Seele eines großen weißen Mannes ist zu meinem Herzen gekommen.«

»Was sagst du da?« fragte Bones interessiert. Zufällig hatte Major Omes beim letzten Vollmond den Schlaganfall gehabt.

»Ja, so ist es«, fuhr M'anin fort. »Und ich kann ohne Furcht zu dir sprechen, denn du bist nur ein kleiner Mann in meinen Augen und handelst sehr töricht. Du bist wie ein Kind, und die Leute lachen über dich. Ich habe noch niemals einen Menschen gesehen, der so wie du den kleinen Affen gleicht, die auf den Bäumen sitzen.«

Bones hörte ihm verblüfft zu, und M'anin war zufrieden mit dem Eindruck, den er gemacht hatte.

»Nun wirst du mich und diese Leute hier verlassen und fortgehen«, sprach er weiter, »und ich werde die Leoparden zurückbringen. Denn habe ich sie nicht wieder zum Leben erweckt, als sie bereits tot waren? Habe ich sie nicht gelehrt, mit Klauen in den Wald zu gehen? Habe ich nicht dabei gesessen, als sie tanzten und ihren Zauber vollführten? Dies alles sage ich dir, weil ich keine Furcht vor dir habe. Du bist wie ein Fisch –«

Plötzlich drohte ihm Bones mit dem Finger.

»Omes, alter Junge«, rief er plötzlich in Englisch, »Sie haben sich den falschen Körper ausgesucht. Das kommt Ihnen teuer zu stehen!«

Er wandte sich an den Sergeanten Abibu.

»Hänge ihn an dem hohen Baum dort auf!«


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