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Zur Frühstückszeit prallten in der Residenz gewöhnlich die Gegensätze aufeinander, und die Auseinandersetzungen wurden besonders heftig, wenn Captain Hamilton an sein Leberleiden erinnert wurde oder sich von einem Fieberanfall erholte.
Auch Leutnant Tibbetts konnte sehr unangenehm werden. Er entdeckte dauernd Dinge neu, die jedem bekannt waren, oder er grub Theorien aus, die man schon längst zu den Akten gelegt hatte. Von jeder Inspektionsreise brachte er mindestens eine fabelhafte Sensation mit, über die man aber in der Residenz bereits unterrichtet war.
»Sie reden schon wieder von dem Zepter des großen Königs, Bones. Die Geschichte ist doch seit hundert Jahren erledigt!« sagte Hamilton gereizt. »Ein solches Ding hat es niemals gegeben. Und Sie wissen sehr wohl, daß die Eingeborenenhäuptlinge, ob sie sich nun Könige oder Fürsten oder Infanterieleutnants nennen –«
»Danke verbindlichst für das Kompliment«, murmelte Bones und schloß die Augen wie ein christlicher Märtyrer, der in Ergebenheit stirbt.
»Auf keinen Fall hatten sie Zepter oder Reichsapfel.«
»Wollen Sie vielleicht auch abstreiten, daß die Leute hier keinen Thronsessel kennen? Seien Sie doch vernünftig, lieber, alter Freund. Thronsessel werden schon in der Bibel erwähnt und Zepter auch. Da können Sie nichts machen. Und ich bin fest davon überzeugt, daß einer dieser alten Herrscher es verborgen hat. Bosambo sagt –«
»Bosambo ist ein frecher Lügner! Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie diesem notorischen Schwindler etwas glauben können!«
»Danke«, sagte Bones mit leidendem Gesichtsausdruck.
»Ich habe diese Geschichte nun schon mehr als hundertmal gehört, Bones«, mischte sich Sanders ins Gespräch. »Seitdem ich hier das Gebiet verwalte, hat man mich mit dem Zepter des Königs bedroht. Es herrscht der Glaube, daß viele Stämme einmal unter dem Zepter eines großen Königs vereinigt werden sollen, der die Weißen ins Meer treibt. Alle sechs Monate ungefähr steht immer ein anderer Mann auf und sagt: ›Ich bin der Fürst, auf den die Völker warten.‹ Wegen dieses verfluchten Zepters sind schon mehr Kriege geführt worden als wegen irgendeiner anderen Sache. Übrigens nennen es die Eingeborenen nicht Zepter, sondern Stab.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, liebe alte Exzellenz. Nun muß ich Ihnen aber auch etwas mitteilen – Bosambo hat das Königszepter nämlich wirklich gesehen!« Bones sprach mit erhobener Stimme, streckte einen Arm aus und trat einen Schritt zurück, um zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte auf seine Hörer machten. Aber es rührte sich niemand.
»Bosambo hat niemals etwas gesehen außer – ach, es hat ja gar keinen Zweck, darüber zu reden.«
Bones betrachtete Hamilton mit einem mitleidigen Lächeln. Er glaubte fest an die Geschichte von dem Königszepter und träumte davon, daß er es eines Tages entdecken würde. Wie schön mußte es sein, wenn er in späteren Tagen seine Kinder dann ins Britische Museum führte und ihnen dieses Prunkstück zeigte, das dort unter Glas auf einem roten Samtkissen liegen würde. Und auf einer vergoldeten Messingplatte konnte man lesen: »Der englischen Nation geschenkt von Leutnant Tibbetts, Mitglied der Königlichen Geographischen Gesellschaft.« Es folgte dann eine kurze Biographie von ihm selbst, die mit den Worten begann:
»Dieser kühne Forscher, dessen Name weit und breit bekannt ist ...«
*
Die Akasava-Leute waren gegen Fremde feindlich gesinnt. Wehe dem Isisifischer, der in ihren Gewässern Beute machen wollte! Und doch nahmen sie M'turi, den Sohn O'fakas, gastlich auf, weil sein Vater der größte aller Isisizauberer war und Kriege, Hungersnöte und merkwürdige Erscheinungen am Sternenhimmel prophezeit hatte. Schließlich hatte er den Tod des Isisikönigs in so lebhaften Farben geschildert, daß Sanders sich veranlaßt fühlte, schleunigst mit der »Zaire« den Fluß hinaufzudampfen. Es war auch hohe Zeit; er konnte den König gerade noch von einer Akonitvergiftung retten. Er hängte O'faka, den Seher und Propheten, und hielt den versammelten Häuptlingen und Ältesten einen interessanten Vortrag über Propheten, Zauberer und Wunderärzte. Darauf schlug die Stimmung um, und M'turi, der kein Seher und Prophet war, sondern nur ein hübscher, etwas eitler Mann, mußte zu den Akasava fliehen, wo er freundlich aufgenommen wurde. Denn es geht ein Sprichwort am Großen Strom: »Die Isisi lieben schöne Frauen, die Ochori gutes Essen, aber die Akasava sind neugierig, was die Zukunft bringt.«
Der Jäger M'turi besaß keine geheimen Kräfte, aber er war ein kluger Mann. Als er eines Tages in südlichem Gebiet, das zweifellos den Isisi gehörte, nach Affen jagte, kam er zu einer engen Schlucht. Der Strom floß hier mit reißender Schnelligkeit durch, und das Flußbett war sehr eng. Im Volksmund hieß diese Schlucht das Höllentor.
Im ganzen gab es sieben Höllentore am Großen Strom. Dieser Name klang großartig und flößte den Gemütern Furcht ein. Und alle Leute glaubten, daß das Höllentor in ihrer Nähe das einzig richtige sei. Im allgemeinen ist der Große Strom sehr breit und hat viele Sandbänke und Untiefen. Das Schlimmste ist jedoch, daß diese Hindernisse von Zeit zu Zeit verschwinden und an anderen Stellen wieder auftauchen, wo sich früher tiefes Fahrwasser befand. Bei dreien dieser Höllentore war das Flußbett schmal, und das Wasser schoß zwischen hohen Ufern dahin. Solche engen Flußtäler sind bei Stürmen durchaus nicht sicher, und Sanders hatte eine allgemeine Verfügung erlassen, daß die Häuptlinge und Dorfältesten genauen Bericht einsenden sollten, wenn die hohen Uferwände durch Regen unterspült oder sonst irgendwie unsicher wurden.
M'turi war müde. Er zündete ein kleines Feuer an und briet sich eine Affenkeule. Dann faßte er den Entschluß, über Nacht hier zu ruhen und erst am nächsten Morgen zur Akavasastadt zurückzukehren. Er war nicht in der allerbesten Stimmung, denn der König war es müde, einem Seher und Propheten Obdach zu gewähren, der nicht zaubern konnte.
Bevor er sich in sein Affenfell einrollte, um zu schlafen, ging er noch zu dem Felsenvorsprung, setzte sich nieder und ließ die Beine über die Klippe herabhängen. Der Abhang war an der Stelle über dreißig Meter hoch. Während er saß, fühlte er, daß sich der ganze Grund leicht hin- und herbewegte. Verwundert sah er sich um und entdeckte die Ursache. Es blies ein scharfer Wind, und zwei hochragende Isisipalmen schwankten hin und her. Die Bäume standen ungefähr hundert Schritte von ihm entfernt, und die Bewegungen des Bodens stimmten genau mit den Schwankungen der Bäume überein. Erstaunt erhob sich M'turi und ging zu den Bäumen.
Die Palmen wuchsen in einer tiefen Erdspalte, und er entdeckte, daß die scharf ins Tal vorspringende Höhe aus einem großen Felsen bestand, der sich so weit von dem anderen Gestein gelöst hatte, daß die Schwankungen der Bäume genügten, um auch den Felsen leicht zu bewegen. Eine nähere Untersuchung der Erdspalte ergab, daß der Felsblock nur noch lose in seiner Lage gehalten wurde. Es konnte höchstens noch einige Wochen oder Monate dauern, bis die ungeheuren Steinmassen in das Flußtal hinunterstürzten.
Am nächsten Morgen ging M'turi zur Akasavastadt, wo man ihm nicht mehr freundlich gesinnt war. Er hatte weder eine Prophezeiung gesprochen, noch hatte er Geister gesehen. Und er hatte nicht einen einzigen Mann oder eine Frau bezeichnet, die vom Teufel besessen waren.
Als er ankam, hielten die Ältesten gerade ein Palaver ab. Zwischen einigen Jägern der Ochori und der Akasava hatte es einen Zusammenstoß im nördlichen Gebiet der Akasava gegeben. Glücklicherweise war niemand dabei ums Leben gekommen. Aber Bosambo, der Häuptling der Ochori, eilte schnell zu der Grenze seines Gebietes und forderte die Oberhäuptlinge der Akasava auf, mit ihm bei den vier Gummibäumen zusammenzukommen. Dies war seit undenklichen Zeiten der Palaverplatz für die beiden Stämme. Und Bosambos Einfluß war so stark, daß die vier großen Häuptlinge, wenn auch widerwillig, zu der festgesetzten Zeit eintrafen.
Das Recht war auf Bosambos Seite. Die Akasavaleute hatten auf verbotenem Gebiet gejagt, und sie wußten, daß Sandi solche Übertretungen schnell und rücksichtslos durch Abgaben von neuen Steuern strafte.
»Mein Herr Bosambo, das ist die Wahrheit«, sagte der Oberhäuptling der Akasava. »Der Jäger M'turi von den Isisi, der in meiner Stadt wohnt, hat meine jungen Leute zu dieser Übertretung verleitet. Diese Nacht will ich ihn zu seinem Stamm zurückschicken und ihn für seine schlechte Tat schlagen.«
Bosambo sagte nichts. Er wußte sehr gut, daß nur die Furcht vor Sanders' Namen die Akasava zurückhielt. Sonst wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen, und bei dieser Gelegenheit hätte er den kürzeren gezogen. Dazu durfte er es unter keinen Umständen kommen lassen, denn die Hälfte seines Gebiets befand sich in Aufruhr, weil er seinen Leuten eine neue Steuer auferlegt hatte. Und die Stimmung der kriegerischen Akasava war zur Zeit gefährlich. Der kleinste Anlaß genügte, um den Ausbruch von Feindseligkeiten herbeizuführen.
Aber auch der Häuptling der Akasava kam in düsterer Stimmung in seine Stadt zurück.
»Ich sage dir, M'turi, du hast Schande über die Akasava gebracht, denn dieser Hund von Bosambo, dessen Vater ein Sklave und Knecht ist, hat sich über mich lustig gemacht, als ob ich ein hilfloses Kind oder ein kraftloser alter Mann wäre. Und wenn nicht Sandi wäre, so hätte ich meine Speerleute aufgerufen, und die Ochori wären sehr traurig geworden. Wir haben dir hier eine Hütte und Nahrung gegeben, weil du der Sohn deines Vaters bist, aber du hast uns keinen Zauber gezeigt und auch nicht von großen Dingen geredet, die in der Zukunft kommen sollen.«
»O Häuptling, höre meine Worte!« erwiderte M'turi. »Sammle deine Krieger und ziehe gegen die Ochori, denn Sandi wird nicht kommen, auch nicht sein kleines Schiff und seine Gewehre, die Ha-Ha sagen. Ein großes Wunder wird geschehen. Mein Ju-ju wird in dem Fluß stehen und große Wunder wirken, so daß kein kleines Schiff den Strom herauffahren kann.«
»Das ist das Geschwätz eines Toren«, entgegnete der Akasavahäuptling wütend und ärgerlich.
In der Nacht gaben sie M'turi ein altes schlechtes Boot, ein halbzerbrochenes Ruder und Nahrung für einen Tag, und er kochte vor Wut gegen die Akasava, daß sie ihn so von sich schickten.
Als er vom Ufer aus nicht mehr zu sehen war, machte er einen großen Bogen und kam heimlich in der Dunkelheit wieder zurück zu der Stelle, wo die besten Fahrzeuge der Akasava lagen. Er nahm sich das schönste Boot von allen und ruderte den Strom hinauf, aber nur während der Nachtzeit. Am Tage verbarg er sich und schlief. Nach einiger Zeit kam er in das Land der Ochori.
Ein Wächter brachte ihn vor den Häuptling Bosambo, und M'turi kauerte sich zu Füßen des großen Mannes nieder.
»Ich sehe dich, Bosambo. Ich bin M'turi, der Sohn des großen O'faka aus dem Lande der Isisi. Und weil mein Vater ein großer Prophet und Zauberer war, bin ich hergekommen, um dir die Zukunft zu sagen. Nimm deine Speerleute und ziehe mit ihnen gegen die Akasava, dann wirst du König über dieses Land und über die Akasava und die Isisi sein. Denn ich habe einen mächtigen Ju-ju, der sich Sandi in den Weg stellen wird, so daß er nicht mit seinen Soldaten, seinem kleinen weißen Schiff und seinem Gewehr, das Ha-Ha sagt, den Strom herauffahren kann. Mein Ju-ju ist so mächtig, daß er ihn zurückstößt, und du bist dann für immer Herr über diese Länder.«
Bosambo sah den schlanken M'turi verächtlich an, dann spuckte er nach links und nach rechts.
»Du verdammter Nigger«, sagte er in Englisch und gab seinen Kriegern, die in der Nähe standen, ein Zeichen.
Sie führten M'turi ans Ufer, nahmen ihm alles, was er hatte, schlugen ihn mit einer Rhinozerospeitsche und jagten ihn in sein Boot. Wütend und racheerfüllt fuhr er wieder den Strom hinunter. Eingeschüchtert kam er zu den Isisi, baute sich außerhalb der Stadt eine Hütte und war froh, daß die Sünden seines Vaters inzwischen vergessen worden waren und daß sich die kleinen Jungen nicht mehr über ihn lustig machten, weil sein Vater gehängt worden war ...
*
»Zwischen Bosambo und diesen verdammten Akasava hat es eine Auseinandersetzung gegeben«, sagte Sanders. »Die Sache scheint im Augenblick beigelegt zu sein, aber wenn Sie in die Gegend kommen, Bones, dann sehen Sie sich einmal um. Nehmen Sie diesmal die ›Zaire‹. Ich habe Nachricht erhalten, daß ein Ingenieur herkommt, der die ›Wiggle‹ überholen und den Motor nachsehen soll.«
»Wenn es irgendwie zu Zusammenstößen kommt, meine liebe, alte Exzellenz, so dürfen Sie sich darauf verlassen, daß der brave Bones alles zum besten regelt«, erwiderte Leutnant Tibbetts ernst.
Am nächsten Morgen dampfte die »Zaire« bei Tagesanbruch den Fluß hinauf. Bones war zufrieden, daß er die Leitung des Schiffes Yoka überlassen konnte, denn er hatte an anderen Dingen zu arbeiten. Er saß in seiner Kabine und setzte einen Artikel für die Presse auf, der in Surrey, seiner Heimat, erscheinen sollte. Die Überschriften lauteten:
Ein merkwürdiger afrikanischer Fetisch.
Das Zepter eines prähistorischen Königs gefunden.
Äußerst wertvolle, sensationelle Entdeckung von Leutnant Tibbetts.
Bones hatte während seiner Reise schlechtes Wetter, das auch noch anhielt, als er ins Land der Isisi kam. Drei Wochen lang hatte es geregnet und gestürmt, und schwere Gewitter waren bei Tag und bei Nacht niedergegangen. Der Strom war angeschwollen, und der kleine Nebenfluß im Land der Lulanga trat über seine Ufer und bildete einen großen See. Schon lange bevor er zur Einmündung kam, sah Bones die gelben und die schwarzen Wasser nebeneinander herfluten, und er wurde unruhig. Manchmal kam er nur zwei Knoten die Stunde vorwärts. Nur wenn er in der Nähe des Ufers fahren und die heftigen Strömungen vermeiden konnte, ging es etwas schneller.
In der Dunkelheit erreichte er das Höllentor. Der Scheinwerfer am Bug der »Zaire« leuchtete die Fahrrinne ab. Die Maschine lief mit voller Kraft, und der Dampfer bebte unter dem gewaltigen Anprall der Wassermassen. Yoka hatte ein starkes Feuer unter den Kesseln anmachen lassen, und die Schornsteine spien Funken zum Himmel empor. Die »Zaire« befand sich in der stärksten Strömung.
Bones stand vollständig durchnäßt neben dem Steuermann und schaute geradeaus. Das kleine Schiff kam nur langsam vorwärts, und die Bugwelle rauschte hoch empor. Von Zeit zu Zeit wanderten Bones' Blicke ängstlich zu den hohen Uferwänden, denn in der Regenzeit passierten fast immer Unfälle durch Einstürzen von Felsblöcken.
Stunde für Stunde arbeitete sich der kleine Dampfer gegen den Strom vorwärts, und die »Zaire« war nahe der engen Stromschnelle, als Bones plötzlich ein gewaltiges Getöse und Krachen hörte. Erschreckt sah er auf. Das hohe, steinige Ufer brach vor seinen Augen zusammen. Unter großem Getöse rutschten die Felsmassen langsam, unglaublich langsam in die Tiefe ...
Ein Steinregen prasselte auf das Deck der »Zaire« nieder, und ein entwurzelter Baum fiel seitlich auf das Deck. Diesem Umstand war es wahrscheinlich zu danken, daß die »Zaire« nicht zertrümmert wurde. Eine ungeheuer große Woge faßte den Dampfer, hob ihn hoch und drückte ihn gegen das felsige Ufer. Aber der Baum mit seinen Ästen und Wurzeln diente als Prellbock, und einige Sekunden später glitt das Schiff wieder in tiefes Fahrwasser.
»Donnerwetter!« stieß Bones atemlos hervor.
Er war noch bleich und verstört, als er am nächsten Morgen die Stadt der Isisi erreichte. Der alte Häuptling B'fundi brachte seine neue Frau mit zum Ufer, um Tibbetti zu begrüßen. Die Leute nannten sie nur »Die Frau mit dem wundervollen Gang«. Selbst Bones bewunderte sie.
An der Grenze des französischen Gebiets leben merkwürdige Stämme, die keine Steuern zahlen und sich niemand unterordnen wollen. Dort wohnte auch ein N'gombifischer mit seinen sieben Töchtern, die schlank gewachsen waren und einen herrlichen Gang hatten. Die Mannequins von Paris hätten den Vergleich mit dem Gang dieser N'gombimädchen nicht aushalten können, und die Töchter Bolikis waren selbst bei ihrem eigenen Volk berühmt.
Die Frauen kamen von weither aus ihren Dörfern zu den fünf Hütten am seichten Sagarfluß, um von dem graziösen Gang der Töchter Bolikis zu lernen. Die Leute hatten bei ihrem Anblick den Eindruck, daß sie festständen und der Boden unter ihren Füßen wegglitte.
Häuptling B'fundi war ein reicher Mann. Er war auch so alt, daß er bald sterben mußte, aber da er viel Macht hatte, wagte niemand, über seine Torheiten zu spotten. Auch er hörte von den sieben schönen Töchtern des Fischers, fuhr in seinem besten Boot zu ihm, sah die hübschen Mädchen und heiratete eine. Boliki überschüttete er mit Geschenken, und dieser war sehr zufrieden, denn er konnte sich mit diesen reichen Gaben eine neue Frau kaufen.
B'fundis Söhne, die hart für ihren Vater gearbeitet hatten und ihr Bestes taten, um ihn mit Gummi, Häuten und anderen Reichtümern zu versehen, die seine Vorratskammern füllten und ihm eßbare Hunde brachten, sahen die junge, schöne Frau, aber sie blieben ihr gegenüber gleichgültig. Sie wußten nur zu gut, daß sie ein Spielzeug für ihren Vater war, der bald sterben mußte.
Die Frauen der Isisi kamen aus den entferntesten Gegenden, um zu sehen, wie Lilaga die Hauptstraße entlangschritt. Die Männer saßen vor ihren Hütten, runzelten die Stirne und hielten die geballten Fäuste an die Zähne; die Frauen aber waren eifersüchtig, weil Lilaga so schön und anmutig gehen konnte.
Aber mit der Zeit gewöhnten sich die Leute daran, und als Bones mit der »Zaire« ankam, achtete man kaum noch darauf. Die Frauen hatten versucht, ihren Gang nachzuahmen, aber keinen Erfolg gehabt. Und wenn Lilaga jetzt die Straße entlangschritt, sahen die Männer kaum noch nach ihr hin. Nur die klatschsüchtigen Frauen machten böse Bemerkungen über ihren Gang.
Aber im Hause des alten B'fundi sah man bekümmerte Gesichter, denn Lilaga hatte den alten Mann mit ihren schönen Augen vollständig behext. Wenn sie ihn um irgend etwas bat, schenkte er es ihr.
Als Lilaga angekommen war, hatte der Jäger M'turi am Ufer gestanden und sich auf seinen Speer gestützt. Er war ein großer, schöner Mann, und seine Muskeln spannten sich unter der braunen Haut. Lilaga schaute nach ihm und er nach ihr. Und später erzählten sich die Leute, daß sie im Dunkel der Nacht zu seiner Hütte schlich, die abseits von dem Ort lag. Ob diese skandalösen Gerüchte der Wahrheit entsprachen oder nicht, es stand jedenfalls fest, daß M'turi, der bis dahin ein armer Mann gewesen war, plötzlich reich wurde. Er baute sich neue Ställe, in denen er Hunde fütterte, und er hatte große Ziegenherden, Säcke voll Salz und Messingzierate, ein weiches Bett von Fellen und andere Annehmlichkeiten, die sich nur reiche Leute leisten können.
In einer mondlosen Nacht traf Lilaga M'turi am Rande des Waldes und ging vor ihm zu seiner Hütte. Sie trug einen kleinen Beutel in der Hand, in dem es lieblich klang. »Dies ist der Schatz, den er unter seinem Lager vergraben hatte und den er mir jetzt schenkte, weil er mich liebt.«
Aber M'turi wollte über andere Dinge mit ihr sprechen.
»Heute abend hörte ich eine Nachricht von Lokoli-Trommeln. Der enge Fluß an der Stromschnelle bei dem Höllentor soll kein Fluß mehr sein. Nur noch Erde und Felsen liegen im Flußbett. Und morgen wird Tibbetti kommen. Du bist sehr klug, Lilaga, und dein Mann, der Häuptling, steht bei Tibbetti in Gunst. Finde für mich heraus, ob Sandi einen Zauber besitzt, um das Strombett wieder frei zu machen. Und wenn er einen solchen Zauber besitzt, dann sollst du ihn für mich stehlen. Dann bin ich ein großer Mann unter den Isisi, und wir wohnen in der Hütte des Häuptlings. Denn er wird sterben, und wir wollen seine Reichtümer unter uns teilen.«
Fünf Tage später kam Sanders, der eine Taubenpost von Bones erhalten hatte. In seiner Begleitung befand sich der Ingenieur, der die »Wiggle« reparieren und überholen sollte. Der Amtmann hatte die Botschaft gerade bekommen, als der große Postdampfer in der Bucht vor Anker lag, der den Ingenieur zur Mündung des Großen Stromes brachte. Auf diese Weise war es ihm möglich, allerhand Hilfsmittel an Bord der »Wiggle« zum Ufer zu bringen. Das kleine Dampfboot konnte die Menge der Werkzeuge und Leute kaum fassen. In der Nähe der Stadt der Isisi wurde ein Lager aufgeschlagen, und B'fundi ließ in aller Eile drei große Hütten für Sandi bauen.
B'fundi war wirklich ein weiser alter Mann, und sein Reichtum war im ganzen Lande bekannt. Er war aber auch so mächtig, daß die Oberhäuptlinge der Isisi ihn in Ruhe ließen und nur die gesetzmäßige Steuer von ihm erhoben. Weil er so alt geworden war, glaubten die Leute, daß er magische Kräfte besäße. Man erzählte sich, daß er die fürchterlichsten Geister herbeirufen könne, wenn er nur mit den Fingern schnappte.
In einer schrecklichen Nacht hatte einmal ein entsetzlicher Sturm in der Gegend gewütet. Alle Hütten im Ort waren beschädigt, die Hälfte der Wohnungen stürzte ein, und auf den Feldern war das Korn durch den Orkan und den Regen zu Boden gedrückt. Ertrunkene Hunde schwammen im Strom, nur B'fundis Häuser hatten nicht gelitten, seine Ställe waren gefüllt von kläffenden Hunden, und das Korn auf seinen Feldern stand stolz und hoch. B'fundi war ein Freund M'shimba-M'shambas, des großen Gewittergottes.
»Ich habe Zauberkräfte, und ich spreche oft mit Geistern«, sagte er selbstzufrieden zu Sanders. »Aber alle meine Geister sind friedfertig und schaden niemand. Sie streicheln nur mein Gesicht und meine Nase und sagen mir, daß ich länger lebe als die Welt. Aber, mein Herr Sandi, du mußt auch einen großen Zauber besitzen, daß du den großen Felsblock fortschaffen kannst, mit dem M'shimba-M'shamba den Fluß versperrt.«
Dies sagte der Häuptling nur, weil Lilaga ihn dazu angespornt hatte.
»Das werde ich tun«, erwiderte Sanders. »Eines Tages wird mein großer Geist kommen, und er wird bellen wie eine große Kanone, und die Steine werden nach allen Seiten in die Luft fliegen, so daß die Leute am Ufer getötet werden. Und dann wird der Fluß wieder in seinem alten Bett laufen.«
B'fundi hörte es wohl, glaubte es aber nicht.
»Mein Herr Sandi, die Akasava sagen, daß es bald kein Gesetz mehr geben wird, denn dieser große Felsblock ist durch ihren Zauber in den Fluß gefallen, so daß dein kleines Schiff und deine Soldaten mit dem Gewehr, das Ha-Ha sagt, nicht mehr hinauffahren können. Dann werden sie tun, was sie für gut halten, und keinen Tribut mehr schicken, weder Gummi noch Fische, weder Ziegen noch Salz.«
Sanders lächelte grimmig.
»Schon oft haben die Leute törichte Dinge gesprochen, B'fundi. Ihre Hütten sind eingefallen, und das Gras wächst über die Trümmer. Ihre weißen Knochen bleichen in der Sonne. Auch ich kann wundervoll wandeln«, sagte er bedeutungsvoll, denn er hatte von der Tochter Bolikis gehört und vielleicht auch von ihrem Verhältnis zu M'turi.
B'fundi quälte ihn mit Bitten, und schließlich gab Sanders nach und zeigte ihm gewisse Wunderdinge. Bones hätte natürlich alles mit viel großartigeren und hochtrabenderen Worten erklären können, aber er war mit der »Zaire« und allen entbehrlichen Mannschaften zur Stadt der Ochori gesandt worden.
»O ko«, sagte B'fundi mit ehrfürchtigem Staunen, als ihm Sanders alles erklärt hatte.
Später erzählte er seinem Weibe Lilaga, was er gehört hatte, und sie brachte die Neuigkeiten zu M'turi. Dieser stahl sich eines Nachts, als die Haussa-Schildwache mit einem Mädchen schäkerte, in das Vorratshaus und nahm einen der Zauberstäbe, mit denen die Felsen aus dem Fluß geschleudert werden sollten.
Auf halbem Wege zu seiner Hütte traf er Lilaga.
»Diese Nacht hat Tibbetti Sandi eine Nachricht geschickt. Seine Soldaten wollen dich gefangennehmen. Flieh schnell zu den Akasava.«
Der gehetzte M'turi mußte wieder ein Boot besteigen und fuhr mit dem Zauberstab zum König der Akasava. Dieser war aber in schwerer Bedrängnis, weil Tibbetti mit Soldaten und Maschinengewehren an der Grenze seines Landes stand. Um ihn zu besänftigen, nahm der Oberhäuptling der Akasava M'turi gefangen und schickte ihn Bosambo.
Der Gefangene kam um Mitternacht an. Bosambo verhörte ihn, und sein Herz freute sich, als er den Zauberstab sah, denn in der vergangenen Nacht hatte ihm Tibbetti seine Gunst entzogen.
»Lob sei Gott dem Allmächtigen und dem Propheten«, sagte er auf arabisch. Dann ging er an Bord der »Zaire« und weckte Bones.
»Mein Herr Tibbetti –« begann er.
»Scher dich zum Teufel!« schrie Bones wütend. »Hebe dich von meinem Schiff, du Mann der tausend Lügen! Sonst lasse ich dich mit der Peitsche schlagen!«
»O mein Herr Tibbetti, ich habe gefunden, was ich früher nicht hatte«, erwiderte Bosambo mit bittender Stimme. Er hockte vor der Kabinentür. »Und als ich dir gestern abend sagte, ich hätte vergessen, wo ich das Zepter des großen Königs verborgen habe, sprach ich die Wahrheit. Und trotzdem sagtest du, daß ich ein schlechter Mann sei. Aber in dieser Nacht, Tibbetti, hatte ich einen Traum ...«
Bones kam jetzt in seinem Schlafanzug neugierig heraus und hörte Bosambos Erzählung mit größtem Interesse an.
*
Es war nicht so schwer gewesen, die Steinmassen im Höllentor wegzusprengen, wie Sanders gefürchtet hatte. Dicht hinter den Stromschnellen war der Fluß breit und tief. Nach mehreren Sprengungen war der Lauf wieder frei, und nach einiger Zeit nahm der Fluß seine gewöhnliche Höhe wieder ein. Als Sanders ein paar Tage später mit seinem Dampfer die Stelle passierte, war nicht mehr das geringste Hindernis zu bemerken.
Befriedigt über den Erfolg kehrte er zur Residenz zurück und schickte Bones Nachricht, daß er M'turi verhaften und als Gefangenen mitbringen sollte.
Dieser Befehl wurde ausgeführt. Drei Tage später kam Bones mit der »Zaire« wohlbehalten an der Mündung des Großen Stromes an. Sanders und Hamilton saßen gerade beim Abendessen, als Bones hocherhobenen Hauptes auf die Veranda trat und einen länglichen Gegenstand auf den Tisch legte.
»Das ist das Königszepter, mein guter, alter Kamerad und Vorgesetzter. Beharrlichkeit führt zum Ziel. Äußerste Energie und Willensanstrengung, meine liebe, alte Exzellenz. Das ist das Zepter des großen, alten Königs. Es ist eine der ältesten und kostbarsten Reliquien ...«
Um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben, schlug er mit der Hand auf den Tisch.
»Die Eingeborenen wissen glücklicherweise nicht, was es bedeutet –«
»Bones!« rief Sanders warnend. »Gehen Sie vorsichtig mit der Stange Dynamit um, sonst fliegt das ganze Haus in die Luft!«
Bones wurde kreidebleich und trat einige Schritte vom Tisch zurück.
»Was – das soll Dynamit sein?« fragte er leise. »Ich habe das Ding immer unter meinem Kopfkissen gehabt und darauf geschlafen!«
Hamilton nahm den gefährlichen Dynamitstab, trug ihn zum Fluß und versenkte ihn im Wasser.