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XI
Das Geschenk

D'mini, das Tanzmädchen, machte viele Leute glücklich. Durch ihre Kunst erfreute sie den alten König, der jenseits der Geisterberge herrschte. Abends saß er vor seiner schönen großen Hütte bei einem hellen Feuer und nickte schläfrig ein. Aber es bedeutete Tod für seine Führer und Unterhäuptlinge, ja selbst für seine Frauen, wenn sie wagten, zu niesen. Noch schwerere Strafen trafen eine Tänzerin, die nicht tanzte, wenn er plötzlich aufwachte. So war denn D'mini gezwungen, den ganzen Abend unaufhörlich zu tanzen, bis sie fast atemlos zusammenbrach.

Sie schenkte sich M'suru, dem Heerführer des alten Königs, der stolz, hartherzig und eitel war. Er nahm alles, was sie ihm geben konnte, und zeigte ihr dann sein breites Jagdschwert mit der scharfen Spitze. Gleichzeitig sagte er ihr, was passieren würde, wenn sie von ihrer Freundschaft zu anderen Leuten spräche. Felle und Ebenholz, die sie als Belohnung erhielt, schenkte sie einer alten Frau, die sich um sie kümmerte und die sie für ihre Mutter hielt. Und diese Frau erzählte ihr dafür wunderbare Geschichten, von denen sie träumen konnte.

Ausgestreckt auf ihr weiches Lager, lauschte D'mini mit geschlossenen Augen ...

»... cala-cala, vor unendlich langer Zeit, kam der weiße König über die Geisterberge, und mit ihm kam ein großer, schlanker Häuptling, der ein glänzendes Auge hatte. Ihn nannten die Leute Tibbetti, und selbst der alte König fürchtete ihn. Und im Lande des weißen Königs, den sie Sandi nennen, herrscht ein mildes und freundliches Regiment. Der König gestattet nicht, daß eine Frau geschlagen oder ein Mann während der Nachtzeit heimlich ermordet wird ... und der große, schlanke Häuptling mit dem glänzenden Auge ist sein Sohn, und er ist sehr schön – das heißt, so schön, wie weiße Menschen überhaupt sein können – und er ist sehr lieb und gut zu Frauen ...«

D'mini träumte gern, weil die rauhe Wirklichkeit ihr Leben betrübte und verbitterte. Aber sie ertrug alles und dachte im stillen immer an den großen weißen König und seinen schönen Sohn. Einmal wurde der alte König wütend und ließ sie auspeitschen, weil sie zu nachlässig getanzt hatte. Da richtete sie ihre Wünsche und Sehnsucht auf Sandis Sohn, der so gut zu Frauen war.

Eines Tages kam ihr Bruder, der in einem fernen Dorf lebte, zu ihr und sprach harte Worte gegen den alten König. Die Soldaten ergriffen ihn und töteten ihn unter Folterqualen ...

M'suru sprach weder an diesem Abend noch an dem folgenden zu ihr, und als sie vor dem alten König tanzen wollte, wurde sie von seinen Ratgebern fortgeschickt. Da wußte sie, daß sie nicht mehr lange leben würde.

Im Dunkel der Nacht nahm sie ein Boot und ruderte den schnellen Fluß hinunter. Als sie an die Stromschnellen kam, die kein Ruderer passieren kann, stieg sie an Land und wanderte zu Fuß über die hohen Berge, die in den kalten Monaten mit weißem Staub bedeckt sind.

Jenseits breitete sich das Land aus, in dem der weiße König herrschte und sein Sohn mit den glänzenden Augen, der lieb und gut zu Frauen war ...

*

»Am Ersten des nächsten Monats, mein lieber, alter Ham und Kamerad«, verkündete Bones anscheinend gleichgültig, »ist mein Geburtstag!«

»Wir wollen lieber bei der Sache bleiben und das Unterzeug zählen!« entgegnete Hamilton eisig kühl.

Die beiden saßen in dem drückend heißen Lagerschuppen. Auf langen Bänken und Tischen waren Kleidungs- und Uniformstücke ausgebreitet, die der Truppe ausgegeben werden sollten: Hemden, Khaki-Hosen, Drillichjacken, Stiefel, Tropenhelme, Gamaschen und andere Dinge, die ein Soldat während seiner Dienstzeit benötigt.

Bones seufzte schwer.

»Warum schicken Sie nicht eine Nachricht an die vorgesetzte Behörde und teilen mit, daß wir sie gefunden haben, mein lieber Ham? Wenn wir sagen, daß wir neunundsechzig Paar Unterhosen haben, und der entsetzliche Zahlmeister schreibt, wir hätten nur neunundvierzig, so müssen sich die Leute beim Generalgouvernement doch furchtbar freuen? Wenn ich an ihrer Stelle wäre und erführe, daß jemand neunundzwanzig Paar Unterhosen mehr hat, als er haben sollte, würde ich ihm sofort ein Telegramm schicken: ›Fahren Sie nur so fort, mein Lieber.‹«

»Sie leichtsinniger Windhund, wir haben doch gar keine überflüssigen Vorräte! Ich bin fest davon überzeugt, daß wir genau die Anzahl von Uniformstücken auf Lager haben, die uns geschickt worden ist. Sie haben einfach nicht richtig nachgezählt oder sonst einen Rechenfehler gemacht –«

Hamilton war mit Recht ungeduldig und aufgebracht.

»Warum machen wir uns dann noch die Mühe, wenn Sie es doch genau wissen?« fragte Bones empört. »Dann ist doch alles gut! Schicken Sie dem alten Inspektor einen Brief: ›Sehr geehrter Herr, in Beantwortung Ihres letzten Schreibens teile ich Ihnen mit, daß die Anzahl der Unterhosen genau stimmt. Alles ist in bester Ordnung und Gesundheit. Grüßen Sie die liebe Tante, küssen Sie das Baby. Mit herzlichem Gruß Bill.‹«

Hamilton setzte sich auf einen Stuhl und trocknete seine schweißbedeckte Stirne.

»Es wäre besser, man bände einen Mühlstein um Ihren Hals und versenkte Sie im Meer, wo es am tiefsten ist!«

Nach langem Suchen fand Hamilton endlich den Fehler. Es war aber keine Kleinigkeit, Bones' unleserliche Berichte in den Büchern durchzustudieren. Es stellte sich heraus, daß Bones die Größe der Beinkleider zu der Anzahl hinzuaddiert hatte.

Obwohl Leutnant Tibbetts am nächsten Tag keinen Geburtstag hatte, fand er doch beim Frühstück einen alten, vertrockneten Kuchen an seinem Platz, den irgendwelche gute Bekannte Hamilton vor einigen Monaten zugeschickt hatten. Sieben große Kerzen brannten darauf.

»Ich habe Ihnen das als Vorfreude geschenkt«, erklärte der Captain. »Die Lichter sollen nicht die Anzahl Ihrer Jahre angeben, sondern nur dem Wunsch Ausdruck verleihen, daß Ihnen endlich einmal ein Licht aufgehen soll.«

Bones war verletzt, nahm den Kuchen und schleuderte ihn in hohem Bogen durch die Tür auf den Exerzierplatz hinaus.

Er blieb sehr schweigsam, und erst als sie am kühlen Abend auf der Veranda saßen und Kaffee tranken, machte er den Mund wieder auf.

»Ich werde jetzt ein neues Leben beginnen, mein lieber alter Ham. Ich werde nicht mehr leichtsinnig und frivol sein. Geben Sie mir nicht recht, Exzellenz?«

»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung«, sagte Sanders, der an etwas ganz anderes dachte.

»Ich werde mein Banjo und mein Saxophon verbrennen und einen Kurs in Buchführung nehmen. Erst gestern habe ich eine Annonce gelesen, nach der man das ganze Fach in dreizehn Stunden beherrschen kann.«

»Das ist aber eine Unglückszahl«, bemerkte Hamilton ironisch.

»Von jetzt an wird mein Leben nur noch der Pflicht geweiht sein«, entgegnete Bones fest entschlossen. »Ich habe schon einen neuen Lebensplan ausgearbeitet. Hören Sie zu: Von 7-8 schwedische Gymnastik, von 8-9 Militärrecht, von 9-11 Buchführung, von 11-1 Dienst, je nachdem er von meinen Vorgesetzten verlangt wird. Dann folgt eine Pause von einer Stunde für das Mittagessen, aber vielleicht auch weniger. Von 2-4 Strategie und Taktik, von 4-4.30 eine einfache Tasse Tee, bestenfalls eine dünne Schnitte Brot mit Butter. Von 4.30-7 Biologie, Zoologie oder sonst ein allgemein bildendes Fach. Um 8 Uhr unweigerlich Bettruhe.«

»Mir wäre es viel lieber, Sie setzten sich ein paar Stunden auf den Hosenboden und lernten einmal richtig und ordentlich schreiben, damit man Ihre unglaubliche Klaue lesen kann!« brummte Hamilton.

»Das werde ich natürlich auch tun«, rief Bones. »Das bedeutet dann eben ein paar Stunden weniger Schlaf und ein paar Stunden früher aufstehen. Aber selbstverständlich mache ich das, schon um Ihretwillen, Ham.«

Er bückte sich rasch, weil Hamilton ein dickes Buch nach ihm warf.

Einige Tage lang hielt sich Bones mehr oder weniger an das aufgestellte Programm. Jedenfalls blieb er nachmittags von 2 bis 5 unsichtbar. Auch an anderen Stunden des Tages ließ er sich wenig sehen, und zwar gerade dann, wenn Hamilton ihn am meisten brauchte. Aber merkwürdigerweise blieb er ernst, und als Hamilton einmal dazukam, wie Bones freiwillig eine Abteilung Haussas im Bajonettfechten unterrichtete, hatte er tatsächlich den Eindruck, daß ein neuer Lebensabschnitt für Leutnant Tibbetts begonnen hatte.

Aber wie Hamilton einmal richtig bemerkte, änderte sich Bones' Lebensanschauung alle drei Tage, und man konnte nie wissen, was der nächste Morgen bringen würde.

M'suru-b'langa, der Führer des alten Königs, der jenseits der Geisterberge wohnte, kam mit zwanzig Kriegern ins Land der Ochori, denn er verfolgte das Tanzmädchen D'mini. Er kümmerte sich nicht um Grenzen, aber Bosambo achtete scharf auf die Einhaltung der gültigen Gesetze. Mitten im Wald stieß Bosambo mit seinen Jägern auf die Schar und sah den Fremden mit bösen Blicken an.

»O Bosambo, ich sehe dich«, sagte M'suru so gleichgültig, als ob er mit einem Gleichgestellten spräche. »Habt ihr hier nicht ein Mädchen gesehen?«

»Wessen Hund bist du eigentlich?« fragte Bosambo von oben herab.

M'suru richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

»Ich bin M'suru, der dicht neben dem Thron des großen Königs steht.«

Bosambo konnte sehr ironisch und sarkastisch werden.

»O ko, das ist gut, denn jetzt stehst du in der Nähe des Königs der Ochori. M'suru, nur meine Leibgarden dürfen zu mir sprechen mit dem Speer in der Hand.«

M'suru zögerte. Er kannte die vielen Gerüchte, die jenseits der Geisterberge über Bosambo umliefen, und er wußte, daß dieser Mann schnell im Töten war und sich weder vor Königen, Geistern noch Teufeln fürchtete. Prüfend glitt sein Blick über die muskulöse Gestalt des Häuptlings, dann legte er langsam den Speer zu seinen Füßen nieder. Seine Leute folgten dem Beispiel ihres Führers.

»Nun sollst du mir sagen, M'suru, warum du mit deinen Speerleuten in mein schönes Land gekommen bist, denn ich will ein Buch machen und es meinem Herrn Sandi schicken. Setze dich nieder!«

M'suru kochte vor Wut, aber er setzte sich. Sonst durfte nur der König seines eigenen Landes zu ihm sagen: »Setze dich« oder »Stehe auf«, und er war ein stolzer Mann.

»D'mini hat böse Worte gegen den König gesprochen, weil er ihren Bruder zu Tode foltern ließ. Auch ist sie eine Hexe, denn wenn sie tanzt, müssen alle Männer tanzen. Deshalb bin ich hergekommen, um sie zu fangen und sie meinem Herrn zurückzubringen, damit er sie tötet.«

Bosambo sah den Sprecher lange an, bevor er antwortete.

»Wenn du alle Frauen töten willst, die die Männer tanzen lassen, wird die Welt aussterben, denn es wird keine lebendigen Frauen mehr geben«, erwiderte er dann trocken. »Gehe zurück in dein Land, M'suru; dieses Gebiet gehört meinem König, der keine Frauen tötet und keine Männer zu Tode foltert. Das Palaver ist aus.«

M'suru erhob sich und nahm seinen Speer auf.

»Das will ich tun, Bosambo«, sagte er.

Seine Stimme klang fast demütig, und sein Benehmen war gehorsam. Bosambo, der sich von dieser plötzlichen Unterwürfigkeit nicht beeindrucken ließ, hob den Schild bis zum Kinn.

M'suru drehte sich um, und dem Brauche gemäß tat Bosambo dasselbe, denn es ist seit undenklichen Zeiten ein Gesetz, daß Feinde, oder solche, die es vielleicht später werden können, sich gleichzeitig den Rücken kehren müssen, wenn sie im Guten voneinander scheiden.

»Nimm dich in acht«, hörte Bosambo plötzlich eine furchterfüllte Frauenstimme aus nächster Nähe. Er fuhr herum und sah, daß M'suru den Speer gegen ihn schleuderte. Mit der Mitte des Schildes fing er ihn auf, und als sich M'suru dann zur Flucht wandte, traf ihn Bosambos Speer zwischen den Schulterblättern, und er starb sofort.

»Verfolgt die Hunde«, rief Bosambo seinen Leuten zu, als die anderen im Gebüsch verschwanden. Dann wandte er sich um. »Komme zu mir, o Mädchen«, sagte er.

Das hohe Gras bewegte sich, und D'mini, die Tänzerin, kam zum Vorschein.

Sie war sehr schlank und schön und trug weder Kleider noch Gürtel. Ihre Nase war dünn und gerade wie die der Araber, und ihr Haar war schlicht und lang. Mit großen Augen sah sie Bosambo an, ohne sich im geringsten zu fürchten.

»Ich bin D'mini von dem Volk des großen Königs«, sagte sie, »und ich suche den schönen, schlanken Sohn deines Königs, der lieb und gut zu Frauen ist, und den sie Tibbetti nennen.«

Bosambo schaute sie erstaunt an.

»O Mädchen, Tibbetti ist nicht für dich. Aber ich werde ein Buch mit deinen Worten an meinen Herrn Sandi schicken, damit er weiß, was er mit dir tun soll. Später will ich dich in einem Boot zu seinem schönen Hause schicken, damit er über dein Geschick entscheiden kann.«

Als Bosambos Leute von der Verfolgung zurückkehrten, konnten sie nur einen blutigen Speer zeigen. Bosambo kehrte nach dem kleinen Dorf der Ochori zurück, das er am Morgen verlassen hatte, und sandte von da aus einen Läufer in seine Hauptstadt. Der Mann trug ein dünnes Blatt Papier, auf das Bosambo die Nachricht geschrieben hatte, und eine Brieftaube brachte die Botschaft zur Mündung des Stroms. Mit knapper Not entrann sie der Gefahr, denn sie wurde von einem Habicht verfolgt.

Sanders lag halb schlafend in seinem Korbstuhl, als die Mitteilung ankam. Bald darauf alarmierten laute Trompetensignale die Garnison, denn der Amtmann kannte den großen König, der jenseits der Geisterberge regierte.

Bosambo traf diesmal kein Tadel; er hatte nach den Landesgesetzen gehandelt und M'suru in Selbstverteidigung erschlagen. Aber der große König war ein Fremder und unterstand nicht Sanders' Gerichtsbarkeit. Wenn es Krieg mit ihm gab, so bedeutete das Komplikationen mit anderen europäischen Großmächten. Und der Krieg war unvermeidlich, denn der große König, der der Sage nach älter war als die Welt, verfügte über viele gut ausgebildete Kampftruppen.

»Immer muß durch diese dummen Frauen Krieg kommen!« sagte er ärgerlich. »Schicken Sie Nachricht an Bosambo, daß er mit Bones an der Vereinigung der Flüsse zusammentreffen und D'mini mitbringen soll.«

»Wird es sehr schlimm werden?« fragte Hamilton.

»Fünftausend Patronen und zweihundert Schrapnells kostet die Sache. Wir wollen uns nicht verhehlen, daß die Lage ernst ist. Bones soll mit der ›Wiggle‹ vorausfahren, wir kommen mit den anderen Truppen nach. Wenn wir gleich zu Anfang unsere ganzen Mannschaften aufmarschieren lassen, schmeicheln wir dem alten Teufel zu sehr.«

Bones war gerade mit seinen Nachmittagsstudien beschäftigt, hörte die Trompetensignale nicht und wußte nichts von Kriegsgefahr. Er hatte einen Yorkshire-Pudding zu Mittag gegessen, und dieser ist schon in kaltem Klima ein ausgezeichnetes Schlafmittel.

Hamilton fand ihn in seiner Hütte, auf dem Bett ausgestreckt. Bones trug einen purpurroten Schlafanzug, der mit einem gelben Zickzackmuster geschmückt war. Über seinen nackten Füßen lag ein Moskitonetz.

»Stehen Sie auf – gürten Sie Ihre Lenden!« rief Hamilton dem Schläfer zu.

Bones blinzelte.

»Alles in bester Ordnung«, sagte er heiser, als er die Füße auf den Boden setzte. »Ich habe tief nachgedacht, mein alter Ham – durchaus nicht geschlafen, nur nachgedacht. Was ist denn eigentlich heute morgen los?«

»Es ist doch schon Nachmittag! Sie müssen sofort zu Sanders kommen.«

Verwirrt zog Bones seine Moskitostiefel an.

»Bin stets dienstbereit«, sagte er entschlossen. »Man kann ja doch nur einmal sterben. Persönlich wäre es mir allerdings lieber, wenn man es öfter könnte, denn dann würde man sich allmählich daran gewöhnen. Sie müssen wirklich zugeben, daß ich ein kaltblütiger Philosoph bin.«

Er verschwand im Nebenraum, und Hamilton hörte, wie er sich wusch und die Zähne putzte. Ein paar Minuten später erschien er, notdürftig bekleidet.

»Entsetzlicher Anblick«, erklärte Hamilton. »Wie kann man nur so dürr und knochig sein!«

*

Der alte König hegte einen tiefen Groll gegen Sanders und seine Regierung, und es war schon mehrmals zu blutigen Zusammenstößen zwischen ihnen gekommen. Einmal hätte der Krieg mit der Absetzung des großen Königs geendet, wenn sich nicht verschiedene europäische Mächte eingemischt hätten. Jede Regierung beanspruchte sein Land für sich, und so blieb der alte König unabhängig und wurde von Jahr zu Jahr anmaßender und unverträglicher. Einmal hatte Sanders ihn zu einem Palaver gebeten, um verschiedene Streitpunkte zu besprechen, aber der König mißachtete die Botschaft und schickte erst viel später eine freche Antwort.

Als ihm M'surus Tod gemeldet wurde, verlor er keine Zeit. Innerhalb von achtundvierzig Stunden hatten seine Kriegstrommeln zwei Regimenter Speerleute zu den Waffen gerufen. Sie marschierten zu dem Paß, der über die Geisterberge führt.

Er befand sich in einer unangenehmen Lage. Die nördlichen Ochori waren ihrem Oberhäuptling nicht freundlich gesinnt und standen auf Seiten des alten Königs. Im Laufe der Zeit hatten sich Handelsbeziehungen zwischen den beiden Stämmen angebahnt, und er durfte die Leute nun nicht aufsässig machen. Ein feindlich gesinntes Volk konnte in der Nähe des Passes gefährlich werden. Er durfte also seine Truppen nicht durch das Ochoriland marschieren lassen, und er kannte die Grenze zwischen dem ihm wohlgesinnten und dem ihm feindlichen Teil der Bevölkerung nicht genau. Seine Regimenter marschierten daher am Fuß der Berge entlang, bis sie an den Großen Strom kamen. Sie umgingen die Stromschnellen und fingen die Boote, die von oben heruntergelassen wurden, unten auf.

Das erste Regiment hatte die Grenze noch nicht überschritten, als Bosambo schon Nachricht von der Annäherung feindlicher Streitkräfte erhielt. Er mußte drei Stunden mit dem Boot fahren, um Bones an der verabredeten Stelle zu treffen, und er wartete bereits an der Vereinigung der beiden Flüsse, als die kleine »Wiggle« in Sicht kam.

»Mein Herr Tibbetti, es gibt viel Schwierigkeiten wegen dieses Tanzmädchens«, sagte der Häuptling.

Er brachte D'mini mit an Bord. Sie stand zur Seite und wurde von den Soldaten bewacht. Mit dem größten Interesse betrachtete sie den jungen, weißen Offizier, der sich überhaupt nicht um sie kümmerte.

Wenn Bones theoretisch in Taktik und Strategie geprüft wurde, waren seine Kenntnisse nie sehr groß, aber wenn man ihn mitten in die Wirklichkeit stellte, leistete er Hervorragendes. Er gab seine Anordnungen und Befehle kurz und mit großer Bestimmtheit. Bosambo, der gewohnt war, sich nach seinen Worten zu richten, lauschte gespannt und schrieb sich alles auf.

Bones schickte eine Abteilung über den Fluß hinüber, die die Feinde an der Stelle aufhalten sollte, wo der Fluß ein enges Bett hatte. Er ließ auch viele alte Boote mit Ketten zusammenbinden und versperrte damit den Strom. Dann schickte er ein Ochoriregiment mit einer kleinen Truppe Haussasoldaten und mit einem Maschinengewehr zu einer Bodenerhöhung, der einzigen Stelle, an der die Streitkräfte des großen Königs landen konnten.

Der feindliche Befehlshaber war der Häuptling Mofolobo, der Jäger des alten Königs, ein sehr kluger und schlauer Mann, der sich die letzten Befehle seines Herrn wohl gemerkt hatte.

»Schlage die Ochori vernichtend und bringe mir D'mini zurück, bevor Sandi und seine Soldaten kommen. Wenn aber Sandi oder einer seiner Unterführer mit Haussasoldaten bei Bosambo ist, so sollst du sie nicht angreifen. Suche D'mini durch List in deine Gewalt zu bekommen und lasse heimlich den Führer der Weißen ermorden. Dann werden die Herzen der Soldaten wie Wind sein und wie Wasser im Strom. Führe meine Befehle aus, aber es soll niemand wissen, daß dies ein Anschlag des großen Königs ist.«

Die Späher Mofolobos kamen in der Nacht zu der Bootssperre und brachten ihrem Führer Nachricht. Daraus ersah er, daß der weiße Mann und seine Soldaten schon den Strom heraufgekommen waren. Er zog also seine Boote zurück und schickte nur ein schnelles Kanu vor, das mit verwegenen Kriegern bemannt war.

Am Abend ließ Bones D'mini kommen. Sie wandte den Blick nicht von ihm, sobald sie in seiner Nähe war, und saß ehrfurchtsvoll vor ihm, hypnotisiert durch die Größe seiner Erscheinung und seiner Macht.

»O D'mini«, sagte Bones, »um deinetwillen entbrennt ein großer Krieg, und viele Männer werden sterben.«

»O mein Herr, das wird nicht geschehen«, erwiderte sie, »denn der alte König sagte oft, daß er seine Krieger nicht gegen deinen König Sandi schicken will, weil er früher viel Verdruß davon gehabt hat. Auch kenne ich das Herz von M'suru.« Sie zitterte. »Er war dem König sehr nahe.«

Bones sah sie interessiert an.

»Was soll ich mit dir machen?« fragte er. »Du gehörst zu keinem der Völker am Großen Strom.«

Sie atmete schnell, und ihre großen Augen leuchteten auf.

»Mein Herr Tibbetti, laß mich deine Dienerin sein. Ich will für dich arbeiten und deinen Garten bestellen.«

»Wir wollen morgen weiter darüber sprechen«, sagte er und fragte sie noch über den alten König aus.

Bevor die Sonne unterging, verließ er das Schiff, um die Posten zu kontrollieren, und fand, daß Bosambo schon für alles gesorgt hatte.

»Tibbetti«, sagte der Häuptling, »ich habe erfahren, daß der alte König nicht gegen dich kämpfen wird, weil du ein weißer Mann bist. Aber er wird versuchen, mit List zu erreichen, was ihm nicht im offenen Kampf glückt. Bringe dein Schiff deshalb nahe ans Ufer, wo meine Soldaten ein Lager aufgeschlagen haben und schlafen. Dann kann dir kein Unheil zustoßen.«

Aber Bones lehnte das entschieden ab. Bosambos Soldaten lagen an einer Bucht im Fluß, und er wollte nicht an einer Stelle angegriffen werden, wo er kein freies Schußfeld hatte. Er ließ im Gegenteil die »Wiggle« an der Spitze einer Halbinsel vertäuen, und bevor er zu Bett ging, stellte er noch Posten an den markantesten Punkten aus.

»Wo ist denn D'mini?« fragte er Abibu. Er glaubte bestimmt, daß sie an Land gegangen wäre.

»Mein Herr Tibbetti, sie sitzt vor deiner Tür und will nicht fortgehen.«

Bones fand sie dort, und auch er konnte sie nicht überreden, ans Ufer zu gehen und dort zu schlafen. Er hätte aber darauf bestanden, wenn sie ihm nicht erklärt hätte, warum sie in der Nähe des Führers bleiben und nicht zu den Soldaten gehen wollte. Schließlich ging er in seine Kabine, und als er die Tür schloß, lehnte sie sich dagegen.

»Verflucht unangenehm«, sagte Bones und legte seine beiden Browningpistolen auf den Tisch neben seinem Bett. Dann streckte er sich auf sein Lager aus und war in der nächsten Minute fest eingeschlafen.

Nicht einmal die aufgestellten Posten und Schildwachen hörten oder sahen das dunkle Boot, das im Schatten den Strom herunterkam.

»Das Mädchen kann ich nicht in meine Gewalt bekommen«, sagte Mofolobo zu seinem Vertrauten, »aber der junge Mann mit dem glänzenden Auge schläft in der Mitte seines großen Kanus.«

Bones schlief friedlich. Es mußte ein leises, kaum wahrnehmbares Geräusch entstanden sein, denn er begann zu träumen. Es war sein Geburtstag. Dieser Tatsache war er sich selbst im Schlaf bewußt. In der Residenz war große Gesellschaft, und alle hatten Geschenke mitgebracht. Aber was für seltsame Leute kamen zu der Feier? Da war der alte Pfarrer von Guildford, sein Hauslehrer und der Feldwebel, der ihn als Kadett in Sandhurst so unverschämt gedrillt hatte. Sie saßen alle rund um den Tisch, und vor jedem lag ein kostbares Geschenk ... blitzende Diamanten ...

»An Diamanten liegt mir aber nichts«, murmelte Bones und richtete sich plötzlich auf.

Mit Bewußtsein hatte er nichts gehört, aber sein Unterbewußtsein ließ ihn die Gefahr ahnen. Er war sofort vollkommen wach und schlich sich mit der Pistole in der Hand zur Tür. Dann fielen kurz hintereinander zwei Schüsse, und man hörte das Geräusch geschäftiger Ruderer im Wasser.

»Die wollten mir anscheinend ein Geburtstagsgeschenk bringen«, sagte Bones und öffnete die Tür. Etwas fiel gegen seine Beine, und als er das Licht andrehte, sah er in die brechenden Augen D'minis, der Tänzerin, die ihm das Leben gerettet hatte.


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