Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Vielleicht hatte die mütterliche Freundin einiges Verdienst um den Vorzug, welcher Anatole von der schönen Helene eingeräumt wurde. Montague war der alten, aber lebenslustigen Dame stets als das Muster eines Kavaliers erschienen, und sie grollte ihm bereits, daß er nach seiner Rückkehr ihre Salons vernachlässigte. Sie wußte, warum er jetzt so eilig kam, aber sie verzieh ihm das gnädig lächelnd; sie las seine Leidenschaft in seinen Augen, doch wenn einer ihrer schönen, jungen Freundin würdig, so war es Montague, und daß bei solcher Umwerbung ihr Witwenstand nicht von langer Dauer sein könne, begriff sie schnell.
Montague war ein schöner und, was mehr, interessanter Mann. Montague besaß den ungezählten Reichtum, um die kostspieligen Instinkte befriedigen zu können, die sich unter so bewährter Leitung schnell in Helene entfesselten.
Aber Helene selbst schien für nichts weniger Sinn zu haben, als für ein neues Eheband. Das Witwentum in Paris hat seine besonderen Reize, es ist der Neid aller Mädchen, aller Frauen. Die ersteren stellen sich nichts herrlicher vor, als eine schöne, junge Witwe zu werden – natürlich eine reiche, um schrankenlos den eigenen Launen und Eingebungen leben zu können. Die anderen durchbrechen zwar auch schon nach den Flitterwochen jede Schranke als spießbürgerliches Vorurteil, aber es fehlt ihnen doch das süße Privilegium, das »Prestige« der Witwe, um dessentwillen man sich gern die Entbehrungen einer Jahrestrauer auferlegt. Das Boudoir einer schönen und reichen jungen Witwe ist in Paris für die Männerwelt der Himmel aller Wonnen, der nicht einmal durch das Porträt des Seligen getrübt wird. Die Ehe ist hier ja nur Konvenienz, und ist diese vorüber, so hat man seine Position in der Gesellschaft.
* * *
Wir sahen wenigstens den Vorhimmel, als Anatole, ungeduldig des Empfanges wartend, in demselben stand. Sein nervöser Zustand bewies, daß er diesen Himmel nicht ohne äußere und innere Kämpfe erreicht.
Helene Sostaniew war seit drei Monaten in Paris. Wie unnahbar sie während der ersten Zeit erschienen, wie souverän sie alle Huldigungen entgegengenommen, schon im zweiten Monat langweilte dies die Welt. In den Klubs, in den Logen der Theater begann schon die »Blague« sich an ihr zu versuchen, und im dritten Monat wollte man endlich schon allerlei Positives über die junge Witwe wissen. Unnatürlich wär's einem jeden erschienen, wenn man von ihr gar nichts zu erzählen gehabt hätte, als was alle Welt wußte: daß sie schön, unvergleichbar schön sei.
Die Marquise lächelte oft still und prophetisch vor sich hin. » La fille d'Eve!« murmelte sie. »Montague ist ohne Zweifel der Glücklichste; aber ob nicht andere auch glücklich sind? Unbegreiflich, wie man in ihrer Heimat, im Lande der Wölfe und Bären, umgeben von Bauern und Kosaken, so viel natürlichen Schick gewinnen kann! Sie ist routiniert; ich erschrecke jetzt bei dem Gedanken, daß ich sie als Schülerin habe behandeln können. In drei Monaten lernt selbst das größte Talent in diesem Fahrwasser nicht schwimmen! Sie muß die reizendste Heuchlerin sein, die mir jemals erschienen; aber warum? Spielt sie eine Rolle und weshalb? Sie ist frei, unabhängig, reich, schön ...«
»Hast du je eine junge Witwe auf so gefährlichem Posten wie dem ihrigen gesehen, die aufrichtig gewesen wäre?« warf der Marquis ein. »Den Kampf, den sie mit der Welt aufgenommen, kann sie nur mit Schlauheit führen. Bei ihr heißt's stets: sentinelle, en garde! und schläft diese Schildwache nur einmal ein, so ist sie überrumpelt und ... verloren, weil sie sich selbst zu überwachen hat. Frage ein einziges von allen Weibern, ja dich selbst, ob ihr ihr die Schönheit gönnt; frage einen einzigen von all den Männern, die für sie in den Tod gehen möchten, ob er für sie ist, ob sein Egoismus nicht auf ihr Verderben spekuliert, und du begreifst nicht, daß ihre Klugheit ihre einzige Waffe ist! Ihre aufrichtigen Freunde sind nur wir älteren Männer, die sie ohne Eigennutz bewundern ...«
»Aber mit Bedauern!« unterbrach ihn Frau von Chambras.
»Meinetwegen! Der Grund ist gleichgültig! Mein Eigennutz reicht nicht über das Handgelenk hinaus, wenn sie mir gestattet, ihre schönen Fingerspitzen küssen zu dürfen.«
»Und doch geht euer Auge weiter, denn gerade ihr seid es immer, die sich nicht an ihren Reizen satt sehen können!«
»Appetit haben und genießen können ist zweierlei.« Damit brach der Marquis das Thema ab und ließ sein Coupé vorfahren, um sich zu einer der galanten Aktricen des Baudevilletheaters zu begeben.
Helene Sostaniew war also seit drei Monaten in Paris. Sie führte die sorgenloseste Existenz, empfing bei sich die Blüte der weiblichen Aristokratie, war der Stolz der Modistinnen, deren Leistungen keine größere Reklame finden konnten, als Helenens tadellosen Wuchs. Erschien sie an heiteren Wintertagen an der Seite der Marquise oder sonst einer älteren Dame auf der Promenade, so war diese in Aufruhr; betrat sie die Loge des Theaters, so galt nur ihr die allgemeine Aufmerksamkeit.
Sie führte am Morgen ein wollüstiges halbes Traumleben, am Mittag die Existenz einer Königin, die ihre Huldigungen empfängt, bis spät in die Nacht ein Libellenleben im künstlichen Sonnenschein der Salons, und glücklich lächelnd bettete sie in der Nacht ihr schönes Haupt auf das Kissen, um eben jene schönen Träume zu durchleben, die noch in den hellen Morgen hineinragten, wenn sie nicht, wie Zoe schon verraten hatte, durch ein jähes Aufschreien der Seele zuweilen in diesem Zustand unterbrochen wurden.
Die verflossene Nacht war für Helene eine stürmische gewesen. Der Herzog von Vermont hatte zum letztenmal in der Saison die Creme der Gesellschaft bei sich gesehen. Helene war nicht nur der Liebling des alten Herzogs geworden, auch der Sohn, ein liebenswürdiger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, schwächlich und von nur zu weichem, biegsamem Charakter, schwärmte für sie und hatte in dem Trubel des Festes kurz vor Mitternacht, vielleicht ein wenig durch Helenens eigenes Zutun, die Gelegenheit gefunden, ihr seine Leidenschaft in den glühendsten Farben zu schildern. Und sie – –
»Herzogin von Vermont!« flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr, als sie heute am Vormittag, tief zurückgezogen, für die Welt nicht existierend, allein in ihrem Schlafgemach saß, einem mit blauem Damast tapezierten, mit den kostbarsten Mobilien garnierten Zimmer, das sie morgens nie zu verlassen pflegte, wenn sie sich unwohl fühlte.
Der russische Samowar, von dem sie sich auch hier nicht trennen mochte, brodelte und zischte vor ihr auf dem Tisch; sie hörte es nicht, während Zoe lauschend hinter der geschlossenen Tür stand, vergeblich den Augenblick erwartend, wo die Komtesse ihr befehlen werde, den Tee zu bereiten. In dem Kamin knisterte die Flamme verlöschend, da niemand sie pflegte, nur dann und wann aufzuckend und ein grelles Licht über den blauen Stahl und die kleinen Marmorkaryatiden werfend, welche das Gesims trugen. Der Pendel der Stutzuhr, eines Prachtstücks, das ihr der alte Herzog verehrt, ging geschäftig hin und her, der Zeiger sprang von einer Sekunde auf die andere, und die zierlichen, geflügelten Amoretten, die in ihren Händchen den Vorhang des Himmels lüfteten, um das schönste Weib in seinen Träumen lächeln zu sehen, sie warteten vergebens auf eine Bewegung der Herrin, die auf einer Chaiselongue im weißen Morgengewand hingegossen dalag.
Helene war bleich wie der Marmor des Kamins; ihre Augen schienen geschlossen, und dennoch zuckte es zuweilen in den langen Wimpern; ihr dunkel kastanienbraunes Haar hatte sich aus den losen Banden befreit, es fiel über die Schläfe auf den üppigen Nacken, über die halb entblößte Brust, während eine kleine, weiße Hand das durch die Unruhe verschobene Gewand fröstelnd auf derselben festzuhalten suchte. Kein Bildhauer hat je so vollendete Konturen geschaffen, wie sie sich hier von der Schulter bis auf die Fußspitze abzeichneten, von der eben ein zierlicher seidener Schuh zu dem andern hinabzufallen drohte, der schon auf dem weißen Teppich lag.
Die Uhr tat zwölf helle Schläge. Helenens Augen öffneten sich lauschend. Sie zählte. Leicht bewegten sich die schmalen Flügel einer vollendet schönen griechischen Nase; es spielte etwas um die Winkel der heute entfärbten, ideal geschnittenen Lippen; dann schlug sie die großen dunklen Augen weit auf zur Decke. Ihre Arme, sich entblößend, streckten sich, die eine Hand schob das Kissen unter dem Haupt ungeduldig zurecht, die andere strich das dunkle Haar von der Schläfe und beide Hände vereinigten sich dann auf dem Schoß der Daliegenden, während die klassisch geformte Brust sich unter einem langen Seufzer hob. Eine Welt lag zwischen diesen in tiefstem Ernst sinnenden, unter schwerer Gedankenwucht seufzenden und jenem so hold, fast kindlich lächelnden Weib, vor dessen Bild an diesem Morgen im Empfangssalon Anatole Montague stand.
So wie da draußen, mit denselben heiteren, strahlenden Zügen hatte man sie gestern abend in der glänzenden Soiree gesehen und bewundert; so wie sie jetzt in ihrem Schlafgemach dalag, schön trotz dem düster unheimlichen Glanz, der in dem feuchten Auge blitzte, schön trotz dem unglücklichen Schatten, der dieses Auge heute umrahmte – so sollte niemand sie sehen, selbst Zoe nicht, obgleich sie der Diskretion dieses gewandten Mädchens trauen zu dürfen glaubte.
Die Uhr setzte ihr Ticktack fort, das Kaminfeuer knisterte und puffte – Helene lauschte regungslos; nur die Brust arbeitete taktmäßig und leise bewegten sich zuweilen die bleichen Lippen. Endlich hoben sich die beiden Arme wieder von dem Morgengewand; beide Hände preßten sich auf die Stirn; die dunklen Augen schlossen sich minutenlang.
»Warum setze ich diese wüsten Träume in wachendem Zustand fort?« flüsterte sie vor sich hin. »Mir war's, als fühle ich mich wie gelähmt! ...« Sie blickte umher, schien überrascht durch ihr Daliegen. »Es überkam mich plötzlich wie ein ernstliches Unwohlsein; ein Schwindel befiel mich ... Gewiß, es ist die Folge dieser unruhigen Nächte! Man läßt mich nicht zu mir kommen; man macht Ansprüche an mich, die meine Kräfte übersteigen; man läßt mir nicht die notdürftigste Muße, mir selbst zu gehören! Es ist aufreibend, erschöpfend, dieses Leben, in das ich wie durch einen Wirbelwind hineingerissen worden ... Und doch fühle ich so gern ein Behagen darin; es reißt mich von mir selber los und nur die Ermüdung zwingt mich zeitweise zur Einkehr in mich ... auch wider meinen Willen, denn ich bin mir selbst eine unbequeme Genossin. Zoe hat recht, wenn sie mir rät, meine Nerven zu kräftigen! Es ist nur Erschöpfung, die mir diese wüsten Gespenster einladet, wenn ich allein bin ... Und weshalb? ... Warum befällt mich eine unerklärliche Angst zuweilen so heiß, als tropfe mir siedendes Blei aufs Herz! ... Warum dieses plötzliche Bangen immer, wenn es still um mich her? Warum höre ich so oft ein Geräusch, als näherten sich mir kaum vernehmbare Schritte? ... Warum ist's mir im Traum zuweilen, als lege sich eine kalte eisige Hand auf die meinige, daß ich aufschreien muß? ... Sicher, ich habe nichts getan, was strafbar wäre, was ich selbst zu verantworten hätte! Ich bin nur feig, und diese innere Mahnung an Vergangenes ist krankhaft, nervöse Aufregung! Nichts weiter! ... Ich könnte so glücklich sein, gerade so glücklich, wie die Welt mich schätzt ...«
Helene richtete sich so hastig auf, daß die ganze dunkle Fülle der Locken sich über Brust und Nacken wälzte. Sie starrte in den Kamin, in welchem eben ein Rest der »Brulots« wieder Feuer fing und, sie erschreckend, aufloderte. Sie legte die Hand wieder an die Stirn ...
»Der Herzog!« hauchte sie, von einem Gedanken getroffen, vor sich hin. »Träumte mir's oder ... Und doch, ich sehe mich, wie er mich fand! Ich hatte ermüdet ein stilles Plätzchen gesucht; ich saß versteckt in der Blumengalerie, in der schattigsten Nische. Niemand war aus den Sälen gefolgt. Ich glaubte mich vollkommen unbeobachtet. Und dennoch mußte mich der junge Herzog gesehen haben, wie ich dem Gewühl der Tänzer mich entzog. Während das Orchester wieder zur Quadrille rief und ich, die Stirn in die Hand gelehnt, dasaß, öffnete sich der Fond der Nische mir gegenüber. Der junge Herzog trat ein. Ich wollte aufspringen. Er legte beschwörend den Finger an den Mund, und ehe ich mich erheben konnte, lag er zu meinen Füßen, hatte sich meiner Hand bemächtigt und bedeckte sie mit Küssen ...«
»Wenn Montague es gesehen hätte!« fuhr sie, die Hände mutlos in dem Schoß haltend, fort. »Ich bin ihm freilich keine Verpflichtung schuldig, aber ich habe ihm gestattet, was der junge Herzog sich erkühnte, was ich nicht hindern konnte, ohne ihn und mich zu kompromittieren ... Aber ich hörte seine Schwüre an; ich war willenlos. Ich bin verloren, wenn der Herzog mein törichtes Benehmen für einen Erfolg hält und ihn auszubeuten sucht! Ich bin ja schon gestraft für meine Torheit. Der Zufall mußte den alten Herzog durch die Galerie führen; sein Sohn sprang auf; er hatte Geistesgegenwart genug, dem Vater zu sagen, es sei mein Wunsch gewesen, aus der Schwüle der Säle, die mich unwohl gemacht, hinausgeführt zu werden ... Wie viel wird der Herzog davon glauben? Er, der sonst die Galanterie selbst gegen mich ist, war den Rest der Nacht merkbar kühl ... Großer Gott, ich habe ja noch keinem von all den Kavalieren, die mich umlagern, auch nur den Schein irgendeines Rechtes auf mich gegeben, außer ... ja, Anatole allein dürfte sich rühmen, aber auch ihn habe ich auf halbem Wege festgebannt. Ich sah Anatole ja schon in Neapel gern; er war der einzige dort, der mir seine Bewunderung mit vertrauenerregendem Ernst zeigte; nur als ich ihn in Pompeji an der Seite jenes mir verhaßten, zudringlichen Menschen sah, ward ich auch gegen ihn eingenommen. Erst hier, als ich ihm im Hause des Marquis begegnete, hörte ich von ihm, daß dieser Lästige ihm nur eine flüchtige Reisebegegnung gewesen ... Die Marquise war darauf die unermüdliche Lobrednerin Anatoles; jedes andere Weib hätte ebenfalls Interesse für ihn fassen müssen ... Aber wohin soll das führen? frage ich mich täglich! Ich bin frei, ja, ich bin es; aber die Furcht läßt mich zu keiner wirklichen Freiheit kommen, die zu genießen mein armes Herz mich so stürmisch drängt! Es gibt kein Weib hier in diesem freudenreichen Paris, das so dürstet nach dem Quell, aus dem hier alles schöpft, und ich darbe, während mir alles den Becher reicht und mir zuruft: trinke, trinke! ... Und jetzt, wo ich die Hand danach ausstrecke, zuckt sie erschreckt zurück – feig, müßte ich sagen, denn vergebens biete ich die Kraft zu einem Trotz auf, den ich nicht besitze, und vergebens sage ich mir: verachte die Drohung, die Gefahr! Genieße!«
»Aber tät' ich es selbst! Könnte ich den Mut finden, Anatoles Leidenschaft erschreckt mich; was sie begehrt, geht über das Maß dessen hinaus, was ich gewähren könnte – vielleicht ja nur eine Spanne Zeit, während er das ganze Leben begehren würde. Ich könnte ihn zum unglücklichsten Menschen machen, wo er den Gipfel des Glücks träumt! Seine Liebe, nur allzu glühend, könnte mir ein neuer Fluch werden, und ich trage doch schon schwer genug! Der junge Herzog hingegen, den der Vater seiner Körperschwäche wegen vor jeder Leidenschaft zu hüten sucht wie vor dem Feuer ...«
Ein bitteres, fast höhnisches Lächeln breitete sich entstellend über die schönen Züge, während sie sich selbstbewußt und selbstbewundernd wieder auf das Sofa zurückgleiten ließ, den Kopf in ihre gefalteten Hände legte, ihre tadellosen Glieder ausstreckte, ihr Auge fast wollüstig auf denselben ruhen ließ und eine leichte Röte auf die Marmorfarbe ihres Gesichtes zurückkehrte.
»Gewiß hat er recht, der alte Herzog, sein schwächliches Kind vor dem Feuer zu hüten!« sprach sie spöttisch vor sich hin, ohne den Blick von sich selbst losreißen zu können. »Ich will den Schwärmer eben wie ein Kind behandeln, will ihm sagen, es sei nur ein übermütiger Scherz von mir gewesen! Ich kann nicht Herzogin von Vermont werden, auch nicht Helene von Montague heißen, aber Anatole liebe ich, und das Weib möchte ich sehen, das schöner wäre als das, welches er mit einem solchen Feuer liebt!«
Der Stolz auf sich selbst hatte ihre Gedanken ganz von dem düsteren Hintergrund gelöst und diese in die lachende Gegenwart zurückgeführt.
Ein leichtes Pochen an der Tür störte sie. Zoe war's, welche den Besuch des Herrn von Montague meldete.
»Anatole!« rief Helene, halb aufspringend, vor sich hin. »Es ist spät!« Ein Blick auf die Uhr überzeugte sie, daß Mittag vorüber. Sie überlegte, auf dem Sofa sitzend, das runde Knie in die Hand legend, einige Sekunden in sichtbarer Verlegenheit. »Er weiß nichts von dem Herzog, und doch sah ich ihn so zerstreut. Ich kann ihn jetzt nicht empfangen, ob ich auch möchte ... Ganz recht! ...«
Sie hatte eine Idee gefaßt.
»Zoe, komm herein!« rief sie zur Tür. »Gib mir ein Blatt Papier und ein Crayon! Dort liegt beides!«
Zoe gehorchte, nicht ohne einen bewundernden Blick auf die so leicht umhüllte Statue. Schweigend reichte sie ihr das Verlangte auf einer Tablette.
Helene überlegte nochmals, ehe sie schrieb, anscheinend unschlüssig. Sie trug der Zofe dies und jenes auf, um sich inzwischen zu sammeln. Eine Viertelstunde war verstrichen, als Zoe dem jungen Mann das Billett überbrachte ...
»Ich will Toilette machen, Zoe! Ich erinnere mich, daß ich der Marquise versprach, um zwei Uhr mit ihr zur Alexandrine zu fahren!«
Zoe fand es sonderbar, daß ihre Herrin nicht fragte, welchen Eindruck das Billett gemacht. Sie wagte auch nicht, an das Frühstück zu erinnern, das die Gräfin ganz vergaß, und ging dienstfertig an ihre Geschäfte.
» Décidement,« dachte sie bei sich, »verliebt ist sie in ihn nicht! ... Der arme Montague, wie bleich und seltsam er aussah! Ich wette darauf, daß gestern zwischen den beiden etwas vorgefallen ist!«
Zoe verstand sich bereits aus Erfahrung auf dergleichen.