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Viertes Kapitel

Die Marquise de Chambras hatte in Nizza ein Wesen gefunden, das sie schützen, mit dem sie Furore machen konnte. Sie war einst, und zwar während der ersten Blütenjahre des neuen Empire, Hofdame gewesen und konnte ihre eigene Jugend nicht vergessen. Man sagte von ihr, sie habe bis ins vierzigste Jahr und darüber auf ihrer Toilette stets ein Bild von sich selbst aus der schönen Zeit, da sie zwanzig zählte, stehen gehabt und ihre Toilette nie eher beendet, als bis es ihr gelungen, durch Schminke und Farbe sich diesem Bilde wieder vollkommen ähnlich zu machen.

Ein starrer Legitimist, wie der Marquis war, hatte er die imperialistische Hofdame nur ihres großen Vermögens willen geheiratet, nachdem er das seinige durchgebracht, und die Marquise fand sehr bald, daß es ganz gleichgültig sei, welcher Partei man angehöre, wenn man sich nur amüsiere.

Ihre Klugheit ersah sehr schnell, welche Vorteile ihr eine so ausfallende Schönheit, wie die der Gräfin Sostaniew, gewähren könne. Sie suchte deshalb die Bekanntschaft derselben. Die schöne junge Witwe aber hatte für die Marquise einen Fehler, der erst überwunden werden mußte: sie liebte die Zurückgezogenheit, und das war bei solchen Vorzügen eine Betise.

Es war in den Augen der erfahrenen Frau eine Unmöglichkeit, daß diese Zurückhaltung andere als äußere Gründe haben könne. Ein so engelgleiches Lächeln konnte keinem Weib gegeben sein ohne die Gemütsanlage hierzu. Die Gräfin Sostaniew also ward von ihr gegen den Willen in allerlei Zerstreuungen hineingezogen: die Marquise beobachtete sie dabei aufmerksam und fand, daß es irgend etwas geben müsse, was das Herz der schönen Frau bedrücke.

Der Tod ihres Gatten war es nicht; und wie kann auch ein junges, reizendes Weib den Tod eines bald sechzigjährigen Mannes lange betrauern – zwei volle Jahre und darüber! Das war der Marquise erste Beobachtung. Die nächste ließ sie annehmen, daß die schöne Frau eine unglückliche erste Liebe im Herzen trage, und es gelang ihr durch Erkundigungen, dies so halb und halb bestätigt zu sehen. Gegen diesen empfindlichen Punkt richtete die Marquise also ihre Operationen.

Helene Sostaniew gab unter so erfahrener Führung in der Tat bald ihren Hang für die Einsamkeit auf. Sie akzeptierte sogar die hübsche kleine Zofe, die ihr die Marquise als Ersatz für die in Neapel gestorbene Begleiterin nach Nizza kommen ließ ohne Ahnung, daß Frau von Chambras in diesem gewandten Mädchen den Schlüssel zu allen früheren und späteren Geheimnissen der jungen Frau in Händen zu haben berechnete.

In mütterlicher Vorsicht schirmte sie die junge Freundin vor all den Bemühungen der Männerwelt, sich der letzteren zu nähern. Selbst der Marquis hatte strenge Order, alle zudringlichen Bitten um Vorstellung zurückzuweisen, soweit dies irgend der gute Ton gestatte, und unangefochten führte sie ihren Schützling nach Paris, wohin zu folgen Helene mit großer Freudigkeit eingewilligt. Hier glaubte die Marquise einen ganzen Feldzug mit der schönen Russin eröffnen zu können. Sie wußte, daß dieselbe enormes Furore machen werde. Helene besaß die Mittel, als junge Witwe ein glänzendes Appartement beziehen, Damen von Welt bei sich empfangen zu können, und schließlich gehörte eine solche Schönheit nirgendwohin als nach Paris.

Wie sehr die Marquise auch ferner noch in Helene gedrungen, um von deren früheren Lebensereignissen zu hören, sie hätte fast gerade so viel von einem eben aus der Pension kommenden Mädchen erfahren können. Helene sprach von ihrem Vaterhaus in Galizien, von ihrer Übersiedlung nach Petersburg und von ihrer Ehe, in der sie sich keineswegs unglücklich gefühlt. Sie lächelte dabei so harmlos, als bedaure sie, nicht mehr erzählen zu können, da ihr Leben zu unbedeutend gewesen.

Die Marquise meinte innerlich, ein kleiner Roman werde doch wohl mit untergelaufen sein, indes war es nicht geraten, ihn aufzufrischen.

Durch Fürsorge der Frau von Chambras bezog Helene Sostaniew in der Nähe derselben eine Wohnung, die in wenigen Tagen durch die Fournisseure im kokettesten Stil und Geschmack hergerichtet wurde. Auf Wunsch der Marquise hatte Helene sogar schon in Nizza einem von ihr protegierten jungen Maler sitzen müssen, der sich durch ein Meisterwerk, Helenens Porträt, in jenem Bade en vogue brachte, und nach wenigen Tagen schon zierte dies Bild den Empfangssalon der schönen Frau.

Die Wintersaison war auf ihrer Höhe, als die Marquise ihren Schützling in die Gesellschaft einführte. Sie hatte vollauf Ursache, mit dem Erfolg zufrieden zu sein. Helene vergaß die stille Melancholie, die sie oft tagelang umfangen hielt; sie ward heiter, konnte sogar hinreißend in einem Übermut sein, der sie so schön kleidete: sie entwickelte das Talent zu einer Koketterie, eine Sicherheit auf dem Parkett, eine Unbefangenheit inmitten all der Bewunderung, die sie zum Stern der Gesellschaft machte, einen Esprit, eine Pikanterie in der Unterhaltung und namentlich eine Fähigkeit, sich in dem Lichtmeer der Lüsters, zwischen den Wellen der sie umrauschenden Gazen, Tülle und Seidenstoffe zu bewegen, welche selbst dem größten Talent doch nur die Gewohnheit geben konnte. Der Marquise wollte es deshalb erscheinen, als sei Helene Sostaniew nicht ganz aufrichtig in ihren Bekenntnissen gewesen; indes sollte sie sich bald überzeugen, daß es taktlos von ihr selbst gewesen, einer jungen Witwe, die sich so vollkommen ihrer Reize bewußt, in welcher der Lebensdrang, die Freude an der Welt seit ihrem Eintritt in Paris so mächtig erwachte, ein Bekenntnis ihrer Schicksale abfordern zu wollen. Es war genug, daß Helene die feinste Erziehung, den höchsten Takt zeigte, sich vollständig auf der Höhe der Stellung einer Dame du monde bewegte.

Vielleicht erfuhr sie ja, was sie wissen wollte, noch durch Zoe, die ihr zuweilen einen konfidentiellen Besuch machte. Übrigens hatte sie schon von dieser vorläufig gehört, daß die schöne Witwe von ganz merkwürdig ungleicher Gemütsstimmung sei, daß sie oft an Schlaflosigkeit leide, zuweilen, wenn sie sich selbst überlassen, zusammenschrecke, daß sie zucke, wenn sie unerwartete Tritte höre, überhaupt oft an großer Nervenstörung kränkeln müsse, was wohl eine Folge erlittenen Kummers sein werde.

Die Marquise wußte, daß es unter hundert Frauen in Paris kaum eine gibt, die nicht »ihre Nerven« habe; Helene ward ihr dadurch doppelt interessant. Es lag nur an der jungen Frau selbst, jeden Tag, jede Stunde sich eine »große Sensation« zu bereiten, welche das Nervensystem wieder in Ordnung bringe. Die reichsten und glänzendsten Kavaliere kannten keinen höhern Wunsch, als ihr zu Füßen liegen zu dürfen, und namentlich Anatole Montague lief dem Wahnsinn in die Arme mit seiner Schwärmerei für Helene, die ihrerseits, ohne bei dem ersten Zusammentreffen mit diesem jungen Mann nur den Schatten einer Gemütsbewegung zu zeigen, sich doch erinnerte, in Neapel im Theater eine nicht von ihm begehrte Galanterie entgegengenommen zu haben.

Man konnte nach der Marquise Meinung nicht gleichgültiger von einem so eleganten und allgemein begehrten Kavalier wie Montague sprechen hören, als Helene. Dieselbe Gleichgültigkeit aber zeigte sie den übrigen Herren, die sie umschwärmten. Sie behandelte den einen ernst und mit der Haltung einer Königin, den anderen lächelnd und mit bezauberndem Übermut; keiner aber durfte sich des geringsten Scheines eines Vorzugs rühmen. Sie sah sich sogar gern umschwärmt; sie suchte gleich anfangs in Paris die Gesellschaft, wenn sie nicht ihre Tage hatte, an denen sie erklärte, sie sei ermüdet, erschöpft durch das Übermaß von Zerstreuung und wolle ihre Wohnung nicht verlassen, an denen sie sogar ihrer Zofe Urlaub gab, um zu den Eltern zu gehen. Strahlender aber, heiterer und übermütiger trat sie danach wieder in den glänzenden Kreis, der in ihr seine Sonne vermißt hatte.

Ihre stillen Neiderinnen behaupteten, die Komtesse Helene ziehe sich stets nur auf einige Tage zurück, um mit ihren Modistinnen insgeheim neue Toilettenüberraschungen zu beratschlagen, denn enorm reich, wie sie sein müsse, sei ihr Wiedererscheinen nach einer solchen Pause immer durch die Sensation bezeichnet, welche sie durch irgendeine neue Toilette mache.

Inzwischen aber beobachteten die »Intimen«, daß auch Frau von Chambras, die vor ihrer Reise nach Nizza endlich kapituliert, das heißt die Übermacht der Zeit anerkannt hatte, viel schöner und jugendlicher werde. Sie hatte von neuem zur Palette gegriffen, um durch peinlich sorgfältige Maquillage ihres Schützlings würdig zu erscheinen.


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