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Als Wera in die Kammer trat, um sich noch für einige Stunden niederzulegen, war es voller Tag. Die ersten Strahlen der Sonne füllten den elenden Raum und vergoldeten das schlechte Lager, darauf die holde Tania in friedlichem Schlummer lag. Der Traum mochte sie mit ihrem Verlobten zusammengeführt haben, denn ein glückseliges Lächeln spielte um ihre Lippen. Wera mußte an Wladimirs Lachen denken. Plötzlich sah sie Tanias Lächeln in einem tiefen, schmerzlichen Seufzer hinsterben. Der Sonnenschein schwand von der reizenden Gestalt. Aber, als dränge sich aller Glanz zu dem Haupt der Schlummernden, sammelte sich um dieses eine Korona von Strahlen.
Spät erwachte Wera, Tania war bereits aufgestanden und nicht mehr in der Kammer. Aber von draußen vernahm sie ihrer Freundin sanfte Stimme, leise, flehend, häufig von ersticktem Weinen unterbrochen. Sie hörte Wladimir antworten und dann hinausgehen, hörte ein lautes, krampfartiges Aufschluchzen. Darauf wurde es still.
Eine Weile zauderte Wera, dann ging sie in das Zimmer, darin sich Tania allein befand, das Gesicht in Tränen gebadet. Unfähig ein Wort zu sprechen, ließ sie sich von Wera in die Kammer führen.
Sie wollte es nicht sagen. Als Wera jedoch nicht weiter in sie drang, sondern sie nur zu beruhigen suchte, kam sie selbst damit heraus, indem sie die Freundin heftig umschlang und ihr Gesicht an deren Brust barg.
»Ich soll seine Frau werden; aber – denke dir! nicht in der Kirche, nicht im Namen Gottes; wir hätten nichts mit der Kirche, nichts mit Gott zu tun! Es gäbe gar keinen Gott, es gäbe auch keine Heiligen. Nicht einmal mein liebes, schönes Madonnenbild darf ich behalten. Wera! Wera!«
Doch Wera vermochte auf diesen Angstruf, auf diesen Notschrei keine Antwort zu geben.
»Es ist mir ja nur um seinetwillen,« klagte Tania. »Wenn er Gott und die Heiligen verwirft, so wird er von Gott und den Heiligen verworfen werden. Ich liebe ihn und ich kann ihm nicht helfen! Und ich werde doch sein Weib sein – nein, nicht sein Weib! Ich weiß nicht, was ich werde, aber sein Weib werde ich nicht. Stoße mich fort, verachte mich. O Pfui, wie häßlich ich bin!«
Sie warf sich, von wilden Schauern geschüttelt, auf das Bett. Hilflos stand Wera daneben, bemüht, ihre Gedanken zu sammeln. Als Tania endlich aus Erschöpfung ruhiger ward, begann ihre Freundin: »Ich weiß es ja auch nicht! Es geht so viel vor in der Welt, was wir nicht verstehen, nicht verstehen können. Aber deshalb darfst du dich nicht gleich verloren geben; weder dich, noch deinen Verlobten. Wenn er dich aus der Kirche verjagt, kannst du die Kirche um so schöner und heiliger in deinem Herzen aufbauen; wenn er dir Gott nehmen will, wirst du Gott um so unentreißbarer in deiner Seele festhalten. Vielleicht, daß du deinen Verlobten dir zu Gott nachziehst. Er will sich nicht durch die Kirche mit dir verbinden lassen« – sie errötete bis unter die Haarwurzeln – »deshalb wirst du doch sein rechtmäßiges Weib sein, wenn auch nicht vor den Menschen, so doch vor Gott. Ich kann es dir auch nicht deutlich machen; aber mir sagt eine innere Stimme, daß die Frau durch die Liebe das wahre Weib eines Mannes wird und nicht durch den Popen. Seit ich hier bin habe ich schon erkannt, daß die Unseren sich von allem losgesagt haben, was sonst Brauch und Sitte ist. Sie haben sich außerhalb der Weltordnung gestellt, also auch außerhalb der Gebote des Himmels. Sie sind wahrscheinlich dazu gezwungen worden; denn es gibt keinen Frieden zwischen uns und jenen, die der göttlichen Weltordnung ins Gesicht schlagen, indem sie uns knechten an Leib und Seele. Unsere schwere Herzensnot komme über sie! Wir aber dürfen nicht verzagen, sondern müssen hoffen.«
Sie half der heftig Weinenden in die Höhe, strich ihr das wirre Haar aus der Stirn und küßte sie herzlich auf Mund und Wangen. Dann forschte sie: »Was hast du Wladimir erwidert?«
»Ich habe geweint und gebeten. Wenn du es ihm sagen wolltest – –«
»Was?«
»Daß es geschehen soll, wie er fordert.«
»Ich werde es ihm sagen.«
Da rief im Nebenzimmer Sascha nach ihr: »Wera! Wera Iwanowna!«
»Hier bin ich! Ich komme.«
Sie ließ Tania allein, die sich auf ihre Knie warf und inbrünstig betete, daß die Schuld Wladimir vergeben werden möchte, daß die Todsünde auf sie falle.
»Du sollst zu Wladimir kommen,« sprach Sascha Wera an, indem er ängstlich vermied, ihr beim Reden ins Gesicht zu sehen. »Er will dir unsere geheime Druckerei zeigen. Aber trinke vorher Tee.«
»Später. Wo ist Wladimir Wassilitsch?«
»Auf dem Hofe. Er läßt Colja Kohl pflanzen; die Bohnen sind schon aufgegangen. Wolltest du nicht heute Natalia Arkadiewna besuchen?«
»Ich versprach es ihr.«
»So werde ich dich begleiten. Du wirst auch zu Anna Pawlowna müssen.«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Sie ist eine der Unseren. Die Unseren sind ihr großen Dank schuldig. Auch wohnst du in ihrem Hause.«
»So werde ich zu ihr gehen und mich bei ihr bedanken.«
»Das ist recht. Du darfst Wladimir Wassilitsch nicht glauben.«
»Was darf ich ihm nicht glauben?«
»Er war heute betrunken, als er das von Anna Pawlowna und der Wirtin Marja Carlowna sagte. Glaube ihm ja nicht.«
»Ich werde selbst sehen, was ich zu glauben habe und was nicht.«
»Ja, so bist du, so – so eigensinnig. Keiner vermag etwas über dich.«
Sie waren während dieses kurzen Gesprächs hinaus auf den Hof getreten, der selbst an diesem sonnigen Frühlingstag einen trostlosen Anblick darbot. Zwischen vorjährigen verfaulten Kohlstrünken war Colja mit Umgraben des Bodens beschäftigt; das Bücken ward ihm in Moskau nicht leichter, als es ihm in Eskowo geworden. Wladimir stand bei ihm und schlug mit einem Stocke die Erdklumpen auseinander. Als er die beiden kommen sah, warf er den Stock weg und ging ihnen entgegen. Er sah so schön und strahlend aus, als hätte er an diesem Morgen eine große Tat vollbracht und wäre sehr zufrieden mit sich.
Nach Tania fragte er nicht.
Sie begaben sich zu einem Schober, der mit Holz und allerlei Gerümpel gefüllt war. Davon wurde einiges beiseite geschoben, und darauf der Boden in dem Umfange eines Quadratmeters von Spänen und Erde befreit. Eine eiserne Falltür ward sichtbar. Sascha hob sie auf und Wera sah in eine dunkle Tiefe hinunter, in welche Wladimir zuerst auf einer Leiter hinabstieg. Als auch Wera drunten angelangt war, ließ Sascha die Tür von außen zufallen und blieb daneben stehen, um Wache zu halten. Wladimir machte Licht und Wera sah, daß sie sich in einer Art von Grube befanden.
Die Einrichtung der Druckerei war die einfachste von der Welt. Einige Kästchen mit Lettern, ein kleiner Zylinder mit einer klebrigen, leimartigen Substanz beschmiert, ein großer, mit Tuch überzogener Zylinder, der als Druckwalze diente, zwei Flaschen Druckerschwärze und ein Paar Bürsten und Schwämme.
Alles war so geordnet, daß es in einer Viertelstunde zusammengepackt und fortgeschafft werden konnte.
Nachdem Wladimir dem Mädchen alles gezeigt und erklärt hatte, öffnete er den Deckel einer schwarz angestrichenen Truhe, die beinahe einem Sarge glich und in der Mitte des unterirdischen Raumes stand.
»Was ist in der Kiste?«
»Dynamit«
Wera wollte fragen, was das sei, aber Wladimirs Mund zeigte wieder jenes Lächeln, welches ihr Grausen einflößte. Hastig trat sie von dem unheimlichen Kasten zurück, dessen Deckel er zufallen ließ. Es dröhnte wie ein Schuß.
Wladimir stand im Begriff, die Druckerei zu verlassen, als Wera ihn zurückhielt.
»Ich sollte dir auch sagen – –«
Aber sie stockte.
»Was solltest du mir sagen?«
»Tania hat mit mir gesprochen. Sie ist sehr unglücklich, aber sie ist stark. Sie will dir überallhin folgen; auch dorthin, wo, deinem Willen gemäß, kein Gott und kein Glaube sein sollen. Du hast sie ganz in deiner Hand, du kannst mit ihr beginnen was dir beliebt. Aber ich sage dir: Du bist ein Mann der Freiheit, du verkündigst die Freiheit der Völker als Evangelium, dein Weib aber willst du zu deiner Sklavin machen. Du knirschest gegen sie, die uns zu ihren Leibeigenen gemacht hatten, aber die einstige Mutter deiner Kinder willst du knechten an Leib und Seele. Du willst Tausende retten, aber dieses reine und heilige Gemüt willst du verderben. Hüte dich, Wladimir Wassilitsch! Du hast einen wilden, ungöttlichen Geist. Und mit diesem gedenkst du die Sache des Volkes zu führen? Freilich, du liebst ja wohl das Volk mehr, als du dein Weib lieben wirst. Sieh dich vor, daß du nicht beide verdirbst.«
Er starrte sie sprachlos an; doch sie kehrte sich nicht an seinen Blick, sondern stieg die Leiter empor und pochte an die Platte, die sogleich von Sascha gehoben wurde. Im nächsten Augenblick stand Wera wieder im Sonnenlicht.