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Zweiter Teil.
Die Kunst überhaupt.


§ 1.

Damit ihr Produkt, das Idealbild, kein bloß inneres bleibe, bedarf die Phantasie eines Trägers, d. h. eines Stoffs, der in diesem Verhältnis rein passiv, d. h. roh und tot sein soll. Dies fordert der strenge Begriff der reinen, selbstständigen Kunst. Ausnahmen bringen Schwierigkeiten oder begründen unselbständige Nebenzweige. Das Vermögen und die Thätigkeit, wodurch dieser Stoff zum Träger umgewandelt wird, heißt Kunst.

 

Da stehen wir nun. Der Phantasiebegabte, der Künstler, Musiker, Dichter, muß ein äußeres Material herbeiziehen, um seine Vorstellung zu verwirklichen. Soll das innerlich erzeugte Bild auch für andere da sein, so heißt es: einen sinnlichen Stoff nehmen und bearbeiten, daß er Träger dieses Bildes werde und es weiter gebe. Dem geeigneten Stoff wirft der Künstler sein inneres Geschautes über, es ist ein Geisterkleid. Phidias bildet aus Gold und Elfenbein seinen Zeus, von dessen Majestät wir uns kaum einen nahekommenden Begriff machen können. Was bedeutet nun hier das Gold und Elfenbein gegenüber seinem innerlich geschauten Götterbild? Er fügt diese Stoffe so zusammen, daß sich daran die Phantasie des Betrachters entzündet und dasselbe schaut, was er geschaut hat. Aber ist dies Geschaute nun in diesen Stoffen wirklich da? Gott bewahre! Wie kann Gold und Elfenbein eigentlich sagen, was er will? So weit hat er eben gemeißelt und weggefeilt. Das ist bereits erörtert. Die Form liegt eben da, wo der Stoff aufhört; dieser ist bloß passiver Träger Vgl. oben S. 52, 54..

Stoff bedeutet hier nur, was es auch im ganz ordinären Sinn bedeutet: Stein, Holz, Leinwand, Färbmaterien, Metalle, Gedärme von Tieren.

Der Stoff muß – wohl gemerkt! – roh und tot sein, sonst läßt er nicht mit sich anfangen, was der Künstler will, und bringt Störungen.

»Roh und tot«. Es gibt zwar nichts an sich Rohes, Ungeformtes. Auch der Stein ist geformt; er hat sein Korn, seine Textur, und ebenso das Metall. Das Holz ist zwar nicht mehr lebendig, aber es trägt in seinem vertrockneten, vegetabilischen Faserwerk die Gestalt des Lebens. Die aus Pflanzen oder Erde oder aus tierischer Materie bereiteten Farben haben auch ihre gewisse Form. Die Bestandteile dieser Stoffe sind jedoch in diesem Verhältnis roh und tot; denn es kann damit eine ganz andere Form geschaffen werden. Die Form, die der Stoff vorher schon hat, darf direkt ästhetisch mit der, die ihm nun aufgelegt wird, nichts zu schaffen haben. Und tot soll er sein, d. h. unorganisch oder abgestorben organisch.

Aber die Dichtkunst? Können wir denn auch die Sprache rohen und toten Stoff heißen? Da wird die Sache schwieriger. Ich habe schon gesagt, der Dichter hat eigentlich kein Material mehr Vgl. S. 22.. Die Sprache dient ihm als Vehikel. Doch im übertragenen Sinne bleibt der Ausdruck Stoff oder Material auch hierfür gültig. – An sich nun ist die Sprache, dieses erstaunlich feine Produkt des Geistes, des Vernunftinstinktes der Völker, dieser Wunderbau, gewiß nichts Rohes, aber gegenüber dem, was der Dichter daraus macht. So, wie sie im gewöhnlichen Alltagsbrauche lebt, wie sie dem nächsten Bedürfnis des Menschen dient, kann er sie nicht brauchen; er muß sie gänzlich umschaffen. In der gewöhnlichen Konversationssprache schwimmen zwar eine Menge poetisierender Wendungen, aber diese haben gar keine Bedeutung mehr, sind ganz verblaßt. Der Dichter sagt nicht mehr: der Morgen lächelt, und dergl.; das ist rein verbraucht. Mit der wissenschaftlichen Sprache kann er erst recht nichts anfangen, denn diese strebt ja mit aller Kraft nach dem Abstrakten, und die poetische mit aller Kraft gegen das Abstrakte.

Wie sie vorliegt, erscheint also die Sprache in diesem Zusammenhange roh. Kann man aber auch sagen: tot? An sich ist sie gewiß ein ganz Lebendiges; aber nicht für den Bedarf des Dichters. Ihm schlummert sie, ein Dornröschen, das zum Glücke weckbar ist; er muß sie zu ganz neuem Leben wecken.

Wenn Sie dazu kommen, von berühmten Dichtungen Konzepte zu sehen, so werden Sie staunen, wie die verkorrigiert sind. Ein Freund von mir sah Hölderlins Manuskript zur herrlichen Ode auf Heidelberg und machte eine genaue Kopie davon, welche ich besitze. Sie ist so bunt, so übergangen mit Durchstrichen und Aenderungen, daß man es kaum glauben möchte. Daraus sehen Sie, was der Dichter für eine Not mit der Sprache hat. Wohl beginnt er mit einem kühnen Wurf; das innere Bild muß klar und entschieden vor ihm stehen, ehe er daran denkt, es der Sprache einzuverleiben. Aber nun muß das geschehen, und er muß an der Sprache reiben, bis sie Funken gibt und in Flammen sein Bild offenbart.

Ich kann hier eine Bemerkung anfügen: Wenn große Dichter (wie für uns namentlich Goethe und Schiller) die Sprache außerordentlich durchgebildet und bis zu größter Geschmeidigkeit zubereitet haben, so scheint sie nun dem poetischen Trieb dermaßen entgegenzukommen, daß Hunderte und Tausende meinen, sie können dichten. Was sie hervorbringen, ist aber nur ein Anreihen von poetischen Redensarten. Allbekannt ist Schillers Distichon:

»Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?«

Der Wert und Vorzug toten Materials erklärt sich sehr leicht, wenn wir nun gewisse Gattungen der Kunst betrachten, gewisse Kunstformen, worin Lebendiges verwendet wird. Das pariert nicht ganz dem gestaltenden Willen, und darum sind diese Gattungen unselbständig. – Mit dem Ausdruck »unselbständig« seien sie aber ja nicht heruntergesetzt; er ist nicht so schlimm, als mancher meint. Sie stehen eben nicht in der Mitte der eigentlich selbständig produzierenden Künste.

Vergleichen Sie z. B. ein Gemälde mit einem tableau vivant, so haben Sie sofort, was ich meine. Will man mit lebendigen Menschen ein Bild darstellen, so hat man hier eben ein Material, das nicht ganz pariert. Sie können niemals Personen auftreiben, die ganz den Charakterköpfen des zu repräsentierenden Gemäldes entsprechen. Das Ding ist ferner jedem Zufall ausgesetzt; und wahrhaftig, ich meines Teils muß gestehen, wenn ich ein tableau vivant sehe, so meine ich immer, die Figuren können kaum mehr still halten, es müsse einer niesen oder lachen, und kann dann selber das Lachen nicht mehr unterdrücken. Kurzum, das ist eine gebrechliche Darstellungsform und gehört nicht in die eigentliche Kunst, weil dazu lebendiges Material gebraucht wird.

Weiter. Tiere auf dem Theater. Man kann sie ja oft nicht entbehren. Daß Geßler zu Pferd kommt in der hohlen Gasse, ist von Schiller in großem Zusammenhang gefühlt. Der Hochmut zu Roß! Es ist wesentlich, daß er vom Sattel heruntergeschossen wird. Aber welche Not hat man, wenn das Pferd kommt. Man weiß nicht, ob dieser Stoff auf der Bühne nicht unpassenderweise improvisiert. Und das störende Stampfen der Hufen auf den Brettern!

Goethe hat als Theaterdirektor seinen Abschied genommen, weil ein Pudel auf die Bühne sollte. – Das hing bei ihm freilich damit zusammen, daß er doch einen mächtig großen Mangel in seinem, sonst so rein menschlichen, weltweit genialen, Wesen hatte: er konnte keine Hunde leiden.

Nehmen Sie ferner die Gartenkunst. Ein Dr. Schneider in Leipzig nimmt mir übel, daß ich sie nicht unter die selbständigen Künste zähle, obgleich doch mein Wort »unselbständig« nur eine ganz harmlose, relativ indifferente Bezeichnung ist. Die Gartenkunst malt Landschaften mit wirklicher Erde, wirklichem Wasser, wirklichen Bäumen. Wer wollte das unterschätzen? Aber sie kann ihr Material, eben weil es lebendig ist, nie ganz bezwingen. Es wird und wächst doch nicht vollkommen so, wie sie will. Man kann den Boden nicht ganz so umarbeiten, wie es malerischer Zweck wäre. Und den Himmel? Den malt der Maler, wie er ihn braucht. Aber der wirkliche Himmel eines Gartens fragt nichts danach, wie man ihn braucht.

Ja, aber die menschliche Stimme? Sie werden sagen: Der Gesang ist am Ende doch die schönste Musik. Was kann es Höheres geben, als wenn das musikalische Instrument derselben Person, welche fühlt, was vorzutragen ist, auch unmittelbar im eigenen Leib angehört? Was kann es Dienlicheres geben? Die Stimme ist doch ein Material, das vollkommen pariert und ganz in der Gewalt des Sängers steht. Hier ist der Besitzer selbst der Künstler.

Da haben wir es, wie Kant sagen würde, mit einer Antinomie zu thun, das heißt mit einem der Fälle, wo zwei Sätze, die einander widersprechen, beiderseits mit gleich vielen Gründen verteidigt werden können. Gewiß, der Gesang, produziert von der Stimme, die das Organ der empfindenden Seele selbst ist und identisch mit ihr, weil sie ihrem Körper angehört, erscheint als die höchste, ausdrucksvollste, seelenvollste Form der Musik. Aber auf der anderen Seite muß man zugeben, daß es kaum und nur als äußerste Ausnahme eine Stimme gibt, die ganz rein, ganz ohne fremde Klangfarbe tönt. Wie alles Naturschöne ist sie unberechenbaren Zufällen preisgegeben. Sie werden nie hören, daß ein Violinist, wenn eine Oper aufgeführt werden soll, sich damit entschuldigt, seine Geige sei heiser. Aber die Sängerinnen, bei denen kommt's ja so häufig vor; und man weiß überdies nicht, ob's nicht verlogen ist. Totes kann man kaufen und, wo es untauglich geworden, ersetzen. Saiten kann ich in die Tasche schieben, neue aufspannen. Bei allen lebendigen Stoffen kommen dagegen die störendsten Naturzufälle, denen alles wirkliche Leben ausgesetzt ist; und so hat der Gesang eine schlimme Schwäche, und man wird sagen: nein, die Instrumente entwickeln doch am reinsten das Wesen der Musik, obwohl der Gesang das Höchste ist.

Dann die Schauspielkunst. Gewiß eine hochstehende Gattung. Es ist keine kleine Leistung, des Dichters dramatisches Geistesgebilde vor Auge und Ohr zu bringen. Und der Schauspieler muß ihm in seine Tiefen nachtauchen, muß die kongenial reproduzierende Kraft ihm entgegenbringen. Aber er verwendet lebendigen Stoff, nimmt seine eigene Person und Gestalt, sein Gesicht und Organ, um den geistigen Mantel des Kunstwerks darüber zu werfen. Was er auch leisten mag an Kunst und Virtuosität, mit Maske, Kostüm, Schminke, Perücke, wie treu er sich der darzustellenden Rolle anpassen mag, er kann sie doch nicht ganz ausfüllen. Sein Körper und Gehaben ist eben nicht für diesen, sondern für den eigenen Charakter gebildet. Sein Spiel und das in unserer Phantasie schwebende Bild des Dichters decken sich nicht ganz. Er kommt ihm nur nahe, trifft es nur ungefähr. Diese sterbliche Seite, diese Achillesferse der Schauspielkunst erkennen Sie klar, wenn Sie in einer und derselben Rolle das eine Mal den Schauspieler X, das andere Mal den Schauspieler Y, oder im Verlauf der Zeit gar mehrere auftreten sehen. Jeder hebt einen Zug derselben heraus, aber keiner gibt sie ganz im Sinne des Dichters. Sie unterscheiden sich in Auffassung, Gestalt und Gesichtsform; und dazu kommt noch, was alles auf dem Theater an Zufällen passieren kann.

Jetzt ist es deutlich gemacht, und niemand darf mehr darüber stutzen, wenn ich sage: der Stoff soll roh und tot sein, damit der Künstler um so freier arbeiten könne. Lebendiger Stoff ist vielleicht schon an sich schön, aber anders schön. Er drückt Anderes aus und ist nicht rein passiv. Hat er an sich schon ästhetischen Reiz, so ist dieser bloß naturschön, nicht wahrhaft schön. Das wirkliche Leben ist auch das getrübte und von stoffartiger Wirkung.

Die Thätigkeit nun, die den Stoff verarbeitet, hat notwendig etwas vom Handwerk und will in ihrem Ernste wohl gewürdigt sein. Der Uebergang aus dem Inneren zur Herstellung des Kunstgebildes ist schwer und führt durch eine enge Pforte. Es scheint, das Vermögen darzustellen, müsse mit dem inneren Talent schon da sein, das Ausführen gehe so von selbst, das Bild der Phantasie rinne nur so hinüber zum Stoff, es sei eine innerlich schon fertige Reinschrift, die man nur abzuschreiben brauche. Man sollte meinen, wer dazu begabt ist, der werde ganz leicht formen, malen, dichten, komponieren lernen, die Natur habe ihm dazu schon die Hand und den fühlenden Nerv in die Fingerspitzen gegeben. Aber nein! Hier liegt eine eigentümliche Erscheinung vor. Was dem Begriff nach zusammengehört: Talent, innerlich Schönes zu schauen, und Talent, es hinauszustellen in die Welt, findet sich im Leben doch auch wieder vielfach getrennt. So kann einer ein geborener Maler sein und doch nie recht malen lernen. Ein anderer hat entschieden eine poetische Ader, sie ist aber unterbunden, er vermag seine dichterischen Motive nicht dem Wort und Vers einzuverleiben.

»Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.«

Auch das vollkommene, schaffensstarke Talent muß mit dem Stoff einen anstrengenden Kampf kämpfen. Heraustretend aus seinem zarten inneren Leben, wird der Geist rauh empfangen von dem Material, mit dem er sich verbinden soll. Auf einmal heißt es: Halt, das geht nicht so leicht! Du mußt ringen! Roher und toter Stoff läßt sich formen, aber das muß eben geleistet werden; und die Sprödigkeit hat er in jeder Kunst, daß er auch dem Talentvollsten eine Welt von Schwierigkeiten entgegenhält. Damit hat der Künstler zu kämpfen. Und auch der Dichter, denn für ihn ist die gewöhnliche Sprache des Umgangs nicht viel besser als das Holz und der Stein, woran der Bildner mit Schnitzmesser, Schlägel und dem seinen Meißel arbeiten muß. Schiller sagt in seinem Gedicht »das Ideal und das Leben«:

»Wenn das Tote bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Thatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve
Und beharrlich ringend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprödes Korn.«

Da heißt es also: Ringen, Arbeit, Handwerk. Wir nehmen das Wort Handwerk in Bezug auf alle Künste, auch auf die Poesie, wie Goethe, der einmal sagt: »wie viel Handwerk die Poesie fordert, wenn die guten Leute es nur wüßten!« Warum an dem Wort einen Anstoß nehmen? Peter Vischer nannte sich Rotgießer. Die Bildhauer, Maler und Architekten im alten Griechenland nannten sich selbst Handarbeiter.

Ein Teil der mühevollen Arbeit künstlerischen Schaffens ist nun lernbar und Sache der Schule. Es haben sich in jeder Kunst mit der Zeit Erfahrungen der Praxis angesammelt und daraus Regeln festgesetzt. Dazu kommen die wissenschaftlichen Disciplinen: Geometrie, Statik, Perspektive, Anatomie, Farbenlehre, Generalbaß, Kompositionslehre, Metrik etc.

Das kann man also lernen. Aber daran ist doch auch etwas nicht Lernbares. Indem ein Künstler von Talent lernt, was objektiv zu lernen ist, wirkt darin sein Talent mit, so daß er in dieses überlieferte Ganze von Regeln und Gesetzen bereits seine eigene individuelle Seele hineinträgt; und wenn er es endlich zur technischen Virtuosität gebracht hat, dann ist mit dem Erlernten etwas absolut Unlernbares, Originales da. Jeder Künstler hat seine Handschrift in Form und Farbe. Man braucht diesen Ausdruck gern. Dürer, Holbein, Raphael, Tizian, jeder ist sofort daran zu erkennen. Darin liegt das individuelle Geheimnis.

Manche lernen freilich zu wenig; das spürt man ihnen immer an, und um so mehr, je talentvoller sie sind. Genelli hat nicht genug gelernt, er macht Fehler. Cornelius versieht sich oft in der Proportion; der ist auch einer unserer großen Zeichner und hat nicht recht zeichnen können. Rottmann, der große Landschafter, der ist vollkommen durchgebildet. Und welch ein Meister der Pinselführung! Betrachten Sie seine idealen Arkadenfresken in München! Es ist jammerschade, daß sie mehr und mehr zu Grunde gehen. Bald werden sie ganz dahin sein. Sein Schönstes, der Aetna mit den ewig schönen, unsterblichen Farben, ist nun ganz erblindet. Doch findet sich an diesem herrlichen Cyklus immer noch manches so weit unversehrt, um bewundern zu lassen, wie da die Farben hervorgezaubert sind. Rottmanns Pinselstrich scheint ganz leicht gezogen, aber niemand kann ihn nachmachen, und niemand erreicht mit so wenig Mitteln den Zauber seiner Kunst. Als diese Landschaften neu waren, sagten die Leute: »dies ist Coulissenmalerei«, jedoch man hat es anders ansehen gelernt.

Es gibt also in der Kunst einen lernbaren und einen unlernbaren Teil; ihr Handwerk besteht in äußerlicher, formaler Technik und zugleich in geheimnisvoll beseelter Technik. Das ist das Resultat.

Nun ist aber noch etwas zu besprechen. Denn die Technik wirkt auch zurück auf die Phantasie. Ihr inneres Bild gewinnt dadurch, daß es ein äußeres wird; es erhält am realen Halt der Ausführung mehr Bestimmtheit. Indem ein Künstler sich im Handwerk übt, lernt er in seinem Geiste reiner, schöner schauen. Und die innere Thätigkeit seiner Phantasie wird von der Technik auch befruchtet.

In Lessings Emilia Galotti (Akt I, Scene 4) sagt der Maler Conti: »Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren! Oder meinen Sie, daß Raphael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden?« Darauf ist zu antworten: Nein! Raphael wäre ein unentwickelter Keim zu einem großen Maler gewesen; aber den hätte man nicht. Durch die Technik, durch die Praxis des Malers hat Raphaels inneres Geistesleben erst malerischer schauen gelernt. Der Künstler wird und wächst in seinem Inneren durch seine Technik. Das innere Schauen der Phantasie lenkt, berichtigt, nährt, läutert, erhöht die Technik, und umgekehrt. Nur der Raphael, der gemalt und sich malend bemüht hat mit seiner Hand, nur der hat auch so geschaut, wie er geschaut hat. Und so wird es mit allen Künsten sein. Der Dichter, der die prosaische Sprache – erlauben Sie ein Wort aus der Equitation – »anzureiten« begonnen hat, dem wird sie zu einem edlen, ebenso fügsamen als feurigen Roß und endlich zum Pegasus.

Befruchtend wirkt die Technik auf die innere Phantasiethätigkeit zurück, indem sie ihr auch Motive bringt. So ist z. B. daraus, daß es der Architekt so schwer hat, Steine herbeizuschaffen, das Backsteinmotiv entstanden. Das Reimen macht große Mühe, will man nicht lauter hergebrachte Phrasen dazu brauchen. Es ist dann freilich so leicht zu reimen: Herz und Schmerz, Sonne und Wonne. Soll der Reim aber Originalität haben, so ist es gar nicht leicht, und der Dichter wird sich oft quälen müssen. Ein anderes Mal jedoch bringt ihm diese Qual ein neues Motiv.

Ich habe Sie schon früher auf die bunten Manuskripte der Poeten und insbesondere auf ein Konzept Hölderlins hingewiesen. An anderen Beispielen wäre kein Mangel. Sie kennen die Verdeutschung der Odyssee von Voß. Sein Manuskript hierzu ist über und über korrigiert. Und Heine hat an seinen Gedichten, die so leicht laufen und so mühelos aussehen, sehr kritisch geändert und gefeilt. Das darf uns gar nicht beirren, es thut dem Adel der Phantasie keinen Abbruch. Die Sache ist die: Ich trage in mir ein geistiges Bild, und es soll heraus. Ich habe die Sprache, aber sie ist so, wie sie im gewöhnlichen Brauch lebt, dazu nicht hergerichtet. Nun suche ich und arbeite, bis für die Stimmung des und des Teiles in dem und dem Gedicht das rechte Wort gefunden ist. Ich finde es nicht sogleich und muß also herumtasten im Material der Sprache. Wie ein Maler sich ein Modell oder eine Farbe aussucht, so darf der Dichter in einem Reimbuch nachschlagen. Diese Arbeit ist etwas ganz Natürliches und Löbliches. Der Künstler arbeitet und arbeitet, bis sein inneres Bild ganz heraußen ist. Er reibt und reibt, bis die rechte Farbe an ihrem Orte da ist. Eberhard Wächter hat einmal gesagt: »das Gefühl erkaltet, wenn man oft über eine Stelle fährt,« aber es soll vielmehr erwarmen.

Unser Wort Kunst kommt von Können. Wir brauchen es freilich von jedem Ueberwinden einer Schwierigkeit vermöge einer angeborenen Kraft, die durch Zucht und Uebung ins Erstaunliche gesteigert ist. Auch Kunststücke sind ja eine Kunst. Allein wir nehmen das Wort doch meist im ausgezeichneten, emphatischen Sinne und bezeichnen damit das höhere Können, wodurch dem spröden, schwer zu verwandelnden Stoff der geistige Stempel des Idealbildes aufgedrückt wird. Das ist wahre Kunst.


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