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XXI.

Das letzte Kapitel mit dem Epilog dieser Geschichte, worin der Richter John Proth das letzte Wort hat.

 

Nach Befriedigung ihrer Neugier blieb der herzugeströmten Menge nichts andres übrig, als sich wieder auf den Weg zu machen.

Waren die Leute wirklich befriedigt? Das dürfte fraglich sein. Der Ausgang der Sache wog doch kaum die Beschwerden und Unkosten einer Reise hierher auf. Nachdem man das Meteor gesehen hatte, ohne sich ihm weiter als bis auf vierhundert Meter nähern zu können, erschien das Endergebnis ja recht mager. Man mußte sich aber wohl oder übel damit abfinden.

Bestand denn eine Hoffnung, dafür früher oder später entschädigt zu werden? Würde jemals wieder eine goldne Feuerkugel an unserm Horizonte auftauchen? Nein, dergleichen ereignet sich nicht zweimal. Zweifellos werden noch andre aus Gold bestehende Himmelskörper im Weltraume umherirren, so gering ist aber die Aussicht, daß sie in den Bereich der Anziehung unsrer Erde kommen könnten, daß man von dieser Möglichkeit am besten ganz absieht.

Und das ist auch ein wahres Glück. Sechs Trillionen Gold dem Goldumlaufe zugeführt, würden eine unmäßige Entwertung dieses Metalls zur Folge haben ... eine schlimme für die einen, die jetzt Gold besitzen, eine gute für die andern, die keins ihr Eigen nennen. Niemand brauchte also den Verlust dieser Feuerkugel zu beklagen, die, nicht zufrieden, einen Umsturz des Geldmarktes der Welt herbeizuführen, vielleicht gar noch einen Krieg aller gegen alle entfesselt hätte.

Die freilich, die an dieser Lösung besonders interessiert waren, hatten gewiß recht, sie als eine Enttäuschung zu betrachten. Mit welchem innern Kummer starrten Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson die Stelle an, wo ihre Feuerkugel explodiert war! Es war ja hart, zurückzukehren, ohne auch nur etwas von dem himmlischen Golde mit heimzubringen. Nicht einmal so viel, eine Krawattennadel oder einen Manschettenknopf daraus anfertigen zu lassen, nicht ein Körnchen, das man hätte als Andenken aufbewahren können ... immer vorausgesetzt, daß Herr von Schnack nicht alles für sein Land mit Beschlag belegte.

In ihrem Schmerze hatten die beiden Gegner ihre frühere Rivalität schon völlig vergessen. Es konnte ja auch kaum anders sein. Wäre es möglich gewesen, daß der Doktor Hudelson noch einen Groll gegen den hegte, der so edelmütig dem Tode getrotzt hatte, um ihn zu retten? Und ist es anderseits nicht rein menschlich, daß man doch den hochschätzen und lieben mußte, für den man vielleicht den Tod zu erleiden wagte? Das Verschwinden der Feuerkugel hätte nötigenfalls schon allein eine Aussöhnung herbeigeführt ... warum sich noch um den Namen eines Meteors streiten, das nicht mehr vorhanden war?

Ob sich die beiden alten Gegner das wohl vorstellten und ob sie wohl das Bewußtsein hatten, von dem, was der eine für den andern getan hatte, als sie jetzt im ersten Viertel des Honigmondes eines erneuerten Freundschaftsbundes Arm in Arm dahingingen?

»Ein großes Unglück, sagte der Doktor Hudelson, daß die Forsythsche Feuerkugel verloren gegangen ist.

– Die Hudelsonsche Feuerkugel, berichtigte ihn Mr. Dean Forsyth, sie gehörte ja dir, lieber Freund.

– Nein, gewiß nicht, protestierte der Doktor. Deine Beobachtung, bester Freund, war der meinigen vorangegangen.

– Nein, sie war ihr nachgefolgt, lieber Freund.

– Warum nicht gar! Der Mangel an Genauigkeit meines an die Sternwarte in Cincinnati gerichteten Schreibens würde das schon allein beweisen. Statt daß ich wie du gesagt hätte, ›zu der und der Stunde‹ habe ich nur ›zwischen der und der Stunde‹ gesagt. Das ist ein gewaltiger Unterschied!«

Er wollte von seiner Ansicht nicht ablassen, der vortreffliche Doktor, Mr. Dean Forsyth aber freilich auch nicht. Das gab neues, diesmal jedoch nicht beleidigendes Hinundwiderreden.

Es ging so weit, daß diese plötzliche Sinnesänderung fast ans Komische streifte. Einer, der nicht darüber lachte, war aber Francis Gordon, der sich nun wieder offiziell als Verlobter seiner lieben Jenny fühlte. Die beiden jungen Leute genossen nach so vielen Stürmen das gute Wetter doppelt und brachten gewissenhaft die vielen verlornen Stunden wieder ein.

Am Morgen des 4. September lichteten die auf der Reede von Upernivik liegenden Dampfer und Kriegsschiffe die Anker und steuerten südlicheren Himmelsstrichen zu. Von allen Neugierigen, die kurze Zeit die hochnördliche Insel so außerordentlich belebt gemacht hatten, blieben, da sie die Rückkehr des »Atlantic« abwarten mußten, nur Herr Lecoeur und sein Pseudo-Neffe noch zurück. Die Jacht traf schon am nächsten Tage ein, und Herr Lecoeur und Zephyrin Xirdal gingen sofort an Bord. Sie hatten gerade genug an dem um vierundzwanzig Stunden verlängerten Aufenthalt in Upernivik.

Da die Blockhütte durch die auf die Explosion folgende Riesenwoge zerstört worden war, hatten sie die Nacht unter freiem Himmel in recht kläglichen Verhältnissen zubringen müssen. Das Meer hatte sich nicht nur damit begnügt, ihr Häuschen fortzuspülen, sondern hatte sie auch bis auf die Knochen durchnäßt. Durch die bleiche Sonne der Polargegenden nur notdürftig getrocknet, fehlte es ihnen obendrein an einer Decke, sich gegen die Kälte der Stunden der Dunkelheit zu schützen. Bei dem furchtbaren Wassereinbruch war alles zugrunde gegangen bis auf das geringste Ausrüstungsstück ihrer Wohnung, bis auf die Reisekoffer und die Instrumente Zephyrin Xirdals. Begraben das getreue Fernrohr, womit er das Meteor so oft beobachtet hatte, und ebenso begraben die Maschine, die es ihm ermöglicht hatte, dieses Meteor, bevor er es ins Wasser stürzte, auf die Erde herabzuziehen.

Herr Lecoeur konnte sich über die Vernichtung eines so wunderbaren Apparates gar nicht trösten, während Xirdal darüber nur lachte. Da er die eine Maschine hergestellt hatte, war er ja gewiß imstande, sich auch noch eine zweite, bessere und noch mächtigere herzustellen.

Natürlich wäre ihm das gelungen, daran ist nicht zu zweifeln, leider dachte er aber niemals daran. Sein Pate drängte ihn vergeblich, diese Arbeit vorzunehmen, er verschob das jedoch immer von einem Tag zum andern, bis er, schon in vorgerücktem Alter, sein Geheimnis ins Grab mitnahm.

Man muß also auf sie verzichten: diese wunderbare Maschine ist für die Menschheit für immer verloren und ihr Prinzip wird unbekannt bleiben, solang nicht ein zweiter Zephyrin Xirdal auf Erden wandelt.

Der jetzige kehrte von Grönland tatsächlich ärmer zurück, als wie er dahin gegangen war. Ohne die Instrumente und seine reiche persönliche Ausstattung zu rechnen, hinterließ er hier auch ein umfängliches Landgebiet, das um so schwieriger wieder zu veräußern sein mußte, als jetzt der größte Teil dieses Eigentums im Meere versunken war.

Wie viele Millionen hatte dagegen sein Pate im Verlaufe dieser Reise gewonnen! Diese Millionen fand er bei der Heimkehr in die Rue Drouot und sie bildeten die Grundlage des ungeheuern Vermögens, das das Bankhaus Lecoeur in gleiches Niveau mit den mächtigsten Geldinstituten der Erde setzte.

Zephyrin Xirdal war ja an dem Wachstume dieser kolossalen Macht nicht unbeteiligt, und Herr Lecoeur, der sich jetzt überzeugt hatte, was sein Patenkind leisten konnte, wußte das bestens auszunützen. Alle Erfindungen, die dem genialen Gehirn entsprangen, brachte die Bank zur praktischen Ausführung. Das hatte sie niemals zu bereuen: statt des Goldes vom Himmel sammelte sie dabei einen beträchtlichen Teil des Goldes der Erde in ihren Panzerschränken an.

Herr Lecoeur war übrigens kein Shylock. Von dem Vermögen, das doch eigentlich Zephyrin Xirdals Werk war, hätte sich dieser leicht sein Teil, und auch das größte, nehmen können, wenn das sein Wunsch gewesen wäre. Wenn aber auf so etwas die Rede kam, sah einen Zephyrin Xirdal so blöde an, daß man ein solches Gespräch gern abbrach. Geld? ... Geld? Was hätte er damit anfangen sollen? In unregelmäßigen Zwischenräumen die bescheidenen, seinen Bedürfnissen genügenden Summen abzuheben, nun ja, dagegen hatte er nichts einzuwenden. Bis ans Ende seines Lebens suchte er zu diesem Zwecke denn auch, doch stets zu Fuß, seinen »Onkel»und »Bankier« auf, ließ sich indes nie dazu bewegen, seine sechste Etage in der Rue Cassette zu verlassen oder der Witwe Thibaud, der Fleischersfrau, zu kündigen, die bis zu seinem Ende als plauderlustige Dienerin bei ihm blieb.

Sieben Tage nach dem erwähnten Auftrage Lecoeurs an seinen Korrespondenten in Paris war der endgültige Verlust der Feuerkugel auf dem ganzen Erdenrund bekannt. Der französische Kreuzer war es gewesen, der auf der Rückfahrt von Upernivik der ersten Semaphorstation davon Mitteilung gemacht hatte und von der aus verbreitete sich die Neuigkeit mit außerordentlicher Schnelligkeit in der ganzen Welt.

Wenn das, wie kaum anders zu erwarten, auch eine große Aufregung verursachte, so legte sich diese doch bald. Man stand ja einer vollendeten Tatsache gegenüber und da war es am besten, an die Sache nicht weiter zu denken. In kurzer Zeit hatten sich die Menschen wieder mit ihren persönlichen Sorgen abzufinden und vergaßen darüber gänzlich dem himmlischen Sendboten, der ein so klägliches, man könnte fast sagen, ein so lächerliches Ende gefunden hatte.

Keiner sprach schon mehr davon, als der »Mozik« am 18. September in Charleston Anker warf.

Außer seinen ursprünglichen Passagieren setzte der »Mozik« auch eine Dame ans Land, die sich zur Ausreise nicht darauf eingeschifft hatte. Das war niemand anders, als Mrs. Arcadia Walker, die, jetzt beseelt von dem Wunsche, sich ihrem frühern Gatten auch noch ferner dankbar zu erweisen, sich beeilt hatte, die durch Herrn von Schnacks Abgang frei gewordene Kabine zu belegen.

Von Südkarolina nach Virginien ist die Entfernung nicht groß und in den Vereinigten Staaten fehlt es ja nirgends an Eisenbahnen. Schon am nächsten Tage, am 19. September, waren Mr. Dean Forsyth, Francis und Omikron einerseits und Mr. Sydney Hudelson samt seiner Tochter anderseits, die ersten in der Elisabeth-, die zweiten in der Morrißstraße, wieder glücklich heimgekehrt.

Hier wurden sie mit erklärlicher Ungeduld erwartet. Mrs. Hudelson und Loo hatten sich auf dem Whastoner Bahnhof eingefunden, ebenso auch die respektable Mitz, als der Schnellzug von Charleston seine Passagiere absetzte. Und diese mußte der Empfang, der ihnen hier zuteil wurde, wirklich tief rühren. Francis Gordon umarmte seine zukünftige Schwiegermutter, und Mr. Dean Forsyth drückte der Mrs. Hudelson so herzlich die Hand, als ob vorher gar nichts geschehen wäre. An jene peinlichen Tage wäre überhaupt nicht wieder erinnert worden, wenn Loo nicht hätte die geheimste Last vom Herzen schütteln wollen.

»Na, nun ist wohl die Streitaxt begraben,« rief sie, indem sie sich dem Mr. Dean Forsyth um den Hals warf.

Ja, so war es ... für immer begraben. Als Beweis dafür diene, daß am 30. September alle Glocken der Saint-Andrewkirche ihre metallnen Stimmen über der virginischen Stadt ertönen ließen. Vor einer glänzenden Versammlung, darunter die Eltern, die Freunde der beiden Familien und die Notabilitäten der Stadt, vollzog der Reverend O'Garth die Vermählung Francis Gordons mit Jenny Hudelson, die endlich nach so vielen Irrwegen und Hindernissen den ersehnten Hafen glücklich erreicht hatten.

Selbstverständlich war Miß Loo bei der Feierlichkeit als Ehrenjungfrau anwesend ... reizend in ihrer schon seit vier Monaten fertigen Staatsrobe. Auch Mitz fehlte nicht und die lächelte und weinte abwechselnd über das Glück ihres »Söhnchens«. Jedem, der es hören wollte, erklärte sie, noch niemals in ihrem Leben wäre sie so bis in Herz und Nieren erregt gewesen.

Fast gleichzeitig erfolgte andernorts noch eine Vermählung, wenn auch mit weniger Zulauf und Aufwand. Diesmal hatten Mr. Seth Stanfort und Mrs. Arcadia Walker den Richter John Proth weder zu Pferd, noch zu Fuß oder mittels Ballon aufgesucht. Nein, sie saßen dabei hübsch nebeneinander in einem schönen Wagen und zum erstenmal betraten sie Arm in Arm das Haus des Beamten, um ihm auf weniger phantastische Weise ihre – in bester Ordnung befindlichen – Papiere zu überreichen.

Der Beamte tat, was ihm zukam und vereinigte nochmals das frühere Ehepaar, das durch Scheidung einige Wochen getrennt gewesen war und vor dem er sich jetzt galant verneigte.

»Besten Dank, sagte Mrs. Stanfort.

– Und leben Sie wohl, setzte Mr. Seth Stanfort hinzu.

– Leben Sie wohl, Mister und Mistreß Stanfort!« antwortete John Proth, der sich dann gleich umwendete, die Blumen seines Gartens zu pflegen.

Ein kleines Bedenken ging dem würdigen Philosophen dabei aber doch nicht aus dem Kopfe. Als er das dritte Mal zu begießen anfing, hörte seine Hand plötzlich auf, die durstenden Geranien mit dem Naß zu erquicken.

»Leben Sie wohl? ... murmelte er, mitten im Gange nachdenklich stehen bleibend, hätte ich vielleicht doch nicht besser getan, zu den beiden ›Auf baldiges Wiedersehen!‹ zu sagen?«

 

Ende

 


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