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XIX.

Worin Zephyrin Xirdal einen immer zunehmenden Widerwillen gegen die Feuerkugel empfindet und was daraus folgt.

 

Ob wohl Zephyrin Xirdal, wenn er allein gewesen wäre, seinen Bestimmungsort ohne Hindernisse erreicht hätte? Möglich wäre es vielleicht gewesen. Man würde aber jedenfalls klug und weise gewesen sein, lieber auf das Gegenteil zu wetten.

Doch wie dem auch sein möge: Es hatte die Gelegenheit gefehlt, hierüber Wetten abzuschließen, da ihn sein guter Geist unter den Schutz eines Mentors gestellt hatte, dessen praktischer Sinn die ungeordnete Phantasie dieses Originals neutralisierte. Zephyrin Xirdal erhielt also gar keine Kenntnis von den Schwierigkeiten der immerhin recht komplizierten Reise, die Robert Lecoeur einfacher als einen Ausflug in die Umgebung von Paris zu gestalten verstanden hatte.

In Havre, wohin sie der Schnellzug in wenigen Stunden gebracht hatte, wurden die beiden Reisenden sehr zuvorkommend an Bord eines prächtigen Dampfers empfangen, der sofort seine Haltetaue loswarf und, ohne andere Passagiere abzuwarten, aufs hohe Meer hinaussteuerte.

Der »Atlantic« war nämlich kein Paketboot, sondern eine von Robert Lecoeur gecharterte, fünf- bis sechshundert Tonnen große Jacht, die nun ausschließlich zu ihrer Verfügung stand. Im Hinblicke auf die Bedeutung der in Frage kommenden Interessen hatte der Bankier es für angezeigt gehalten, sich ein Beförderungsmittel zu beschaffen, mit dem er sich nach Belieben mit dem ganzen zivilisierten Erdkreis in Verbindung erhalten konnte. Da der ungeheure Gewinn, den er aus seinen Spekulationen in Goldminenanteilen schon eingeheimst hatte, ihm auch andere Wagestücke erlaubte, hatte er sich die ausschließliche Benützung dieses in England unter hundert andern ausgewählten Schiffes gesichert.

Der »Atlantic«, die Phantasie eines steinreichen Lords, war im Hinblicke auf die größtmögliche Schnelligkeit konstruiert. Von feinen Formen und schlank gebaut, konnte er mit seinen viertausend Maschinenpferdekräften eine Geschwindigkeit von zwanzig Knoten erreichen und sogar überschreiten. Robert Lecoeur hatte sich bei der Wahl durch diese Eigenschaft bestimmen lassen, die ihm gegebenenfalls von großem Vorteil sein mußte.

Zephyrin Xirdal zeigte sich nicht im mindesten verwundert, ein eigenes Schiff zur Verfügung zu haben. Wahrscheinlich war ihm das überhaupt nicht zum Bewußtsein gekommen. Jedenfalls begab er sich ohne Zögern auf dessen Deck und sogleich in seine Kabine, ohne darüber eine Bemerkung fallen zu lassen.

Die Entfernung zwischen Havre und Upernivik beträgt ungefähr achthundert Seemeilen, die der »Atlantic« unter Volldampf binnen sechs Tagen zurücklegen konnte. Da es Lecoeur aber keineswegs so eilig hatte, bestimmte er zwölf Tage für diese Überfahrt, und so traf der Dampfer erst am Abend des 18. Juli vor der Station Upernivik ein.

Seit zwölf Tagen brachte Zephyrin Xirdal schon kaum noch die Zähne auseinander. Bei den Mahlzeiten, die sie nun einmal zusammen verzehren mußten, bemühte sich Herr Lecoeur wer weiß wieviele Male, das Gespräch auf den Zweck ihrer Reise zu lenken, er erhielt dabei aber nie eine Antwort. So oft er auch von dem Meteor sprach, sein Neffe schien sich an dieses gar nicht mehr zu erinnern und kein Aufleuchten von Verständnis war in seinem gleichgültigen Blicke zu erkennen.

Xirdal blickte jetzt nur »nach innen« und verfolgte die Lösung ganz anderer Probleme. Welcher? Das hat er niemand anvertraut. Sie mochten wohl irgendwie das Meer betreffen, denn von der Vorder- und von der Rückseite des Häuschens aus betrachtete Xirdal zuweilen den ganzen Tag über nur das Wasser. Vielleicht ist es nicht zu gewagt, anzunehmen, daß er sich im Geiste mit Nachforschungen über die Erscheinung der Oberflächenspannung beschäftigte, wovon er, in der Meinung, mit seinem Freunde Marcel Leroux zu sprechen, schon gegenüber einigen Vorübergehenden ein Wort hatte fallen lassen. Vielleicht standen die Schlußfolgerungen, zu denen er kam, auch in gewissen Beziehungen zu den merkwürdigen Erfindungen, womit er später die Welt überraschen sollte.

Am Tage nach der Ankunft in Upernivik wollte der Bankier Lecoeur, der schon zu verzweifeln anfing, die Aufmerksamkeit seines Patenkindes damit erwecken, daß er seine von ihrer Schutzhülle befreite Maschine hervorholte. Er hatte auch richtig gerechnet. Als Zephyrin Xirdal den Apparat bemerkte, raffte er sich, wie aus einem Traume erwachend, auf und sah rings umher mit einem Blicke, aus dem die Festigkeit und Klarheit seiner besten Tage hervorleuchtete.

»Wo sind wir eigentlich? fragte er.

– In Upernivik, antwortete Herr Lecoeur.

– Und mein Stück Land? ...

– Darauf befinden wir uns eben.«

Das war freilich nicht ganz richtig. Vorher hatte man sich an Herrn Biarn Haldorsen, den Verwalter im Inspektorat des Nordens, wenden müssen, dessen Wohnung leicht an der auf dem Dache wehenden Landesflagge zu erkennen war. Nach Austausch der hergebrachten Höflichkeitsbezeugungen ging man hier zu ernsteren Fragen über, mit Hilfe eines Dolmetschers, den sich Herr Lecoeur vorsichtigerweise zu beschaffen gewußt hatte.

Da zeigte sich gleich zu Anfang eine Schwierigkeit. Nicht daß es Herrn Biarn Haldorsen in den Sinn gekommen wäre, die ihm vorgelegten Besitzurkunden als unzureichend zu betrachten, ihre Auslegung war aber doch nicht bestimmt genug. Nach dem Inhalte der völlig regelrechten, mit allen nötigen Unterschriften und allen wünschenswerten amtlichen Siegeln versehenen Urkunden, hatte die grönländische Regierung, vertreten durch ihren diplomatischen Agenten in Kopenhagen, Herrn Zephyrin Xirdal ein Stück Land von neun Quadratkilometern Oberfläche überlassen, das von vier je drei Kilometer langen Seiten eingeschlossen war, die nach den Kardinal-Punkten orientiert waren und sich in gleicher Entfernung von einem in der Mitte unter 72° 51' 30'' nördlicher Breite und 55° 35' 18'' westlicher Länge gelegenen Punkte berührten. Für das Quadratkilometer war dabei ein Preis von fünfhundert Kronen, das heißt im ganzen ein solcher von sechstausend Francs vereinbart worden.

Herr Biarn Haldorsen war ja bereit, das anzuerkennen, es kam nur noch darauf an, die Lage jenes Mittelpunktes zu bestimmen. Er hatte recht wohl von einer gewissen Länge und Breite gehört und wußte recht gut, daß solche Dinge existierten, darauf beschränkte sich aber auch die Weisheit Biarn Haldorsens. Ob nun die Länge ein Tier oder eine Pflanze wäre und die Breite ein Mineral oder ein Möbelstück, das erschien ihm gleichmäßig annehmbar und er hütete sich klug, dem einen oder dem andern den Vorzug zu gewähren.

Zephyrin Xirdal vervollständigte mit einigen Worten die kosmographischen Kenntnisse des Verwaltungschefs im Inspektorate des Nordens und bewies ihm, daß sie irrig wären. Zugleich erbot er sich, mit Benutzung der Instrumente vom »Atlantic« die nötigen Beobachtungen und Berechnungen auszuführen. Der Kapitän eines auf der Reede ankernden dänischen Schiffes könnte dann seine Ergebnisse kontrollieren, um Se. Exzellenz Herrn Biarn Haldorsen vollständig zu beruhigen.

Darüber wurde man denn auch einig.

Binnen zwei Tagen hatte Zephyrin Lirdal seine Arbeit beendigt, deren peinliche Genauigkeit der dänische Kapitän nur bestätigen konnte. Jetzt erhob sich aber eine zweite Schwierigkeit.

Der Punkt der Gebietsfläche, der als Koordinaten 72° 51' 30'' nördlicher Breite und 55° 35' 1'' westlicher Länge hatte, lag mitten im Meere, gegen zweihundertfünfzig Meter nördlich von der Insel Upernivik!

Durch diese Entdeckung aus allen Wolken gefallen, erging sich Herr Lecoeur in den heftigsten Vorwürfen. Was war nun zu tun? Wäre man in diese weltferne Gegend gekommen, um die Feuerkugel dummerweise im Wasser verschwinden zu sehen? Welch unverantwortliche Leichtfertigkeit! Wie konnte Zephyrin Xirdal – ein Gelehrter! – einen so groben Irrtum begehen?

Die Erklärung hierfür war ziemlich einfach: Zephyrin Xirdal hatte nicht gewußt, daß Upernivik nicht nur eine Landmasse und Station, sondern auch eine Insel bedeutete, das war alles. Nach der mathematischen Bestimmung der Stelle für das Herabfallen der Feuerkugel, hatte er sich auf eine schlechte Karte in einem kleinen Schulatlas verlassen, den er jetzt aus einer seiner Taschen hervorholte und vor dem ergrimmten Bankier aufschlug. Aus dieser Karte sah man, daß sich der unter 72° 51' 30'' nördlicher Breite und 55° 35' 18'' westlicher Länge gelegene Punkt der Erde ziemlich nahe bei dem Flecken Upernivik befand, sie ließ aber nicht erkennen, daß der kleine Ort, der hier ziemlich weit ins Land verlegt war, im Gegenteil dicht an der Meeresküste lag. Ohne weiter zu suchen, hatte Zephyrin Xirdal dieser Karte mit ihren ungenauen Angaben aufs Wort geglaubt.

Das mögen sich auch andere merken. Möchten sich doch die Leser dieser Erzählung dem Studium der Geographie hingeben und vor allem nicht vergessen, daß Upernivik eine Insel ist! Das dürfte sich als nützlich an dem Tage erweisen, wo sie vielleicht eine Feuerkugel im Werte von fünftausendsiebenhundertachtuudachtzig Milliarden in Empfang nehmen sollten.

Anderseits konnten die Dinge, soweit sie Whaston betrafen, hiermit auch noch nicht wieder ins Gleis kommen.

Wenn das Gebiet als etwas südlicher gelegen bezeichnet worden wäre, hätte ja, im Falle einer Abweichung der Feuerkugel, dieser Betrug noch etwas für sich gehabt. Zephyrin Xirdal hatte aber die Unklugheit begangen, die geringe Bildung Sr. Exzellenz des Herrn Biarn Haldorsen zu vervollständigen, und da er sich doch auch einer sehr lästig gewordenen Kontrolle unterworfen hatte, war die bescheidene Täuschung nicht einmal mehr möglich. Jetzt hieß es also, koste es, was es wollte, sich mit der Sachlage so abzufinden, wie sie eben war und das erkaufte Gebiet mit zur Hälfte Wasser und zur Hälfte Landfläche zu übernehmen.

Die südliche Grenze des zweiten Teiles, des wichtigsten von beiden, verlief nach der letzten Berechnung zwölfhunderteinundfünfzig Meter landeinwärts vom Nordufer Uperniviks, und da ihre Länge von drei Kilometern die Breite der Insel übertraf, folgte daraus, daß deren Enden im Osten und Westen ins Meer hinausreichten. Zephyrin Xirdal erhielt also tatsächlich nur ein wenig über zweihundertzweiundsiebzig Hektar statt neun Quadratkilometer, die gekauft und bezahlt waren, wodurch dieses Grundstücksgeschäft natürlich weit weniger vorteilhaft wurde.

Im Hinblick auf das Niederfallen der Feuerkugel wurde es sogar ganz wertlos. Der von Zephyrin Xirdal mit so viel Scharfsinn dafür festgestellte Punkt lag mitten im Meere. Gewiß war dabei die Möglichkeit einer Abweichung nicht ausgeschlossen, im Gegenteil, sogar ein »Spielraum« von fünfzehnhundert Metern Radius um jenen Punkt zugestanden; in welcher Richtung freilich eine solche Abweichung erfolgen würde, das wußte leider niemand. Wenn es immerhin möglich war, daß das Meteor in dem beschränkten Gebiete niederfiel, das Xirdal noch besaß, so hätte doch das Gegenteil gewiß nicht wunder nehmen können. Das war's auch, was Herrn Lecoeur so quälend im Kopf herumging.

»Was willst du nun jetzt anfangen?« fragte er sein Patenkind.

Der hob aber, zum Zeichen, das selbst nicht zu wissen, nur die Arme zum Himmel empor.

»Etwas muß doch geschehen, fuhr sein Pate zürnenden Tones fort. Du wirst uns aus dieser Sackgasse befreien müssen!«

Zephyrin Xirdal sann einen Augenblick nach.

»Das erste, was zu geschehen hat, sagte er dann, besteht darin, dieses Stück Land abzuschließen und darauf eine für uns ausreichende Unterkunftshütte zu errichten. Das weitere wird sich finden.«

Herr Lecoeur ging sofort an die Arbeit. In acht Tagen hatten die Leute vom »Atlantic«, unterstützt von mehreren, durch das Angebot eines hohen Taglohnes gewonnenen Grönländern, eine Einhegung mit Drahtverbindung hergestellt, deren beide Enden ins Meer tauchten, und eine Blockhütte errichtet, die mit den unentbehrlichsten Gegenständen ausgestattet wurde.

Am 26. Juli, drei Wochen vor dem Tage, wo die Feuerkugel herabfallen sollte, ging Zephyrin Xirdal an seine besondre Arbeit. Nachdem ihm einige Beobachtungen des Meteors in den obern Luftschichten gelungen waren, erhob er sich selbst in die höchsten Schichten der mathematischen Wissenschaft. Seine neuen Berechnungen bestätigten dabei nur die Richtigkeit der frühern. Da war nirgends ein Irrtum begangen. Keine Abweichung ließ sich nachweisen. Die Feuerkugel würde genau auf dem vorher erkannten Punkte, das heißt auf 72° 51' 3'' nördlicher Breite und 55° 35' l8'' westlicher Länge, auf die Erdkugel fallen.

»Und folglich ins Meer, schloß Herr Lecoeur, seine Wut mit Mühe verbeißend.

– Ins Meer, natürlich ins Meer,« sagte Xirdal heiter. Als Mathematiker erfüllte ihn ja ausschließlich die Befriedigung, seine Berechnungen in jeder Beziehung bestätigt zu finden.

Fast gleichzeitig trat ihm aber die andre Seite der Frage vor Augen.

»Zum Teufel!« rief er mit völlig verändertem Tone und sah dabei seinen Paten mit unsicherem Blicke an.

Jetzt mahnte dieser ihn zur Ruhe.

»Na na, Zephyrin, sagte er mit dem Ausdrucke, dessen ein Älterer sich Kindern gegenüber bedient, wir wollen nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wir haben einen Schnitzer gemacht, der muß korrigiert werden. Da du imstande gewesen bist, die Bewegung der Feuerkugel hoch oben am Himmel zu beeinflussen, muß es dir doch ein Leichtes sein, sie zu einer Abweichung von ein paar hundert Metern zu zwingen.

– Ja, das glauben Sie! antwortete Zephyrin Xirdal, den Kopf schüttelnd. Als ich auf das Meteor einwirkte, war es vierhundert Kilometer entfernt, da übte die Anziehungskraft der Erde nur einen Einfluß, bei dem die Energiemenge, die ich auf eine seiner Seiten wirken ließ, imstande war, eine Störung des sehr labilen Gleichgewichts hervorzubringen. Jetzt ist das anders geworden. Die Feuerkugel steht uns weit näher und unterliegt der Anziehung durch die Erde so stark, daß ein etwas mehr oder weniger von solcher fast bedeutungslos ist. Wenn sich anderseits die absolute Geschwindigkeit der Feuerkugel vermindert hat, so ist ihre Winkelgeschwindigkeit desto mehr vergrößert. Das Meteor bewegt sich jetzt wie der Blitz nach dem ihm gelegensten Punkte und man hat kaum auch nur die Zeit, darauf einzuwirken.

– Du vermagst also nichts zu tun? stieß Herr Lecoeur hervor, indem er die Lippen zusammenbiß, um nicht zu platzen.

– Das hab' ich nicht gesagt, verteidigte sich Zephyrin Xirdal. Die Sache ist nur schwierig, doch kann man sie immerhin versuchen.«

Er versuchte sie wirklich und mit solcher Zähigkeit, daß er am 17. August glaubte, einen gewissen Erfolg erwarten zu können. Die endgültig abgelenkte Feuerkugel würde voraussichtlich aufs Land niederfallen, und zwar fünfzig Meter vom Uferrande, was jede Gefährdung durch sie ausschloß.

Unglücklicherweise raste jener heftige Sturm, der die Schiffe auf der Reede von Upernivik so arg heimsuchte, über die ganze Landfläche hin, und Xirdal befürchtete mit Recht, daß die Bahn der Feuerkugel durch die gewaltsame Luftbewegung doch wieder verschoben sein möchte.

Der Sturm legte sich, wie wir wissen, in der Nacht zwischen dem 18. und dem 19. August, die Bewohner der Blockhütte konnten die Galgenfrist, die ihnen die empörten Elemente gewährten, aber nicht mehr ausnützen. Das nun unmittelbar bevorstehende Ereignis gestattete ihnen nicht mehr, eine Minute auszuruhen. Nachdem sie noch, gegen halb elf Uhr des Abends, den Sonnenuntergang beobachtet hatten, sahen sie auch, drei Stunden später, das Tagesgestirn an einem völlig wolkenlosen Himmel wieder auftauchen.

Der Fall erfolgte genau zu der von Zephyrin Xirdal vorausgesagten Stunde. Um sechs Uhr siebenundfünfzig Minuten fünfunddreißig Sekunden zerriß ein blendender Lichtschein den Himmelsraum des Nordens der Insel, der Herrn Lecoeur und seinem Patenkind, die von der Tür ihrer Hütte aus nach dem Horizonte starrten, fast das Sehvermögen raubte. Fast gleichzeitig ließ sich ein dumpfes Donnerkrachen vernehmen, während die Erde unter dem furchtbaren Stoße erzitterte.

Das Meteor war herabgestürzt.

Als Zephyrin Xirdal und Herr Lecoeur wieder sehen lernten, war das erste, was sie wahrnahmen, der fünfhundert Meter vor ihnen liegende Block gleißenden Goldes.

»Er brennt! stammelte Lecoeur in tiefster Erregung.

– Ja,« antwortete Zephyrin Xirdal, außerstande etwas andres als dieses einsilbige Wort hervorzustoßen.

Allmählich fanden jedoch beide ihre Ruhe wieder und gaben sich genaue Rechenschaft über das, was sie sahen.

Die Feuerkugel befand sich tatsächlich in glühendem Zustande. Ihre Temperatur mochte wohl über tausend Grad betragen und dem Schmelzpunkte für Gold nahe sein. Deutlich zeigte sich auch ihre poröse Struktur und die Sternwarte in Greenwich hatte sie zutreffend mit einem Schwamme verglichen. Die Oberfläche, die durch Ausstrahlung gegen die Kälte des Weltraumes eine dunkle Färbung erhalten hatte, durchsetzend, zeigte sich eine Unmasse von Kanälen, worin das Metall in heller Rotglut glänzte. Geteilt, einander kreuzend und in den vielfältigsten Windungen verlaufend, bildeten diese Kanäle eine Anzahl großer Hohlräume, denen die überhitzte Luft pfeifend entströmte.

Obgleich sich die Feuerkugel bei ihrem rasenden Falle stark abgeplattet hatte, war ihre ursprüngliche Kugelform doch noch zu erkennen. Der obere Teil erschien noch regelmäßig abgerundet, während die verdrückte, halb zerschmetterte Unterseite den Unregelmäßigkeiten des Erdbodens entsprach.

»Sie wird aber ins Meer gleiten!« rief Lecoeur nach einigen Augenblicken.

Sein Patenkind schwieg dazu.

»Du hattest gesagt, sie würde fünfzig Meter vom Ufer niederfallen!

– Davon ist die eine Seite, da dabei ihr halber Durchmesser mitzurechnen ist, nur zehn Meter entfernt.

– Zehn sind aber keine fünfzig.

– Sie wird durch den Sturm etwas abgelenkt worden sein.«

Zu einer weitern Aussprache kam es zwischen beiden nicht, sie starrten nur schweigend die goldne Kugel an.

Lecoeur empfand jetzt gewiß eine ganz berechtigte Unruhe. Die Feuerkugel war nur zehn Meter vom äußersten Uferrande auf dem abschüssigen Boden niedergefallen, der diese Spitze mit der übrigen Insel verband. Da ihr Radius – nach der zutreffenden Angabe der Greenwicher Sternwarte – fünfundfünfzig Meter maß, reichte sie fünfundvierzig Meter ohne Stütze frei hinaus. Die durch die Hitze schon erweichte gewaltige Metallmasse, die auf schiefer Unterlage ruhte, war sozusagen über das Steilufer hingeglitten und hing frei und geneigt bis auf ein kleines Stück über der Meeresfläche. Der andre, in den Felsboden buchstäblich eingegrabene Teil hielt nur noch das Ganze zusammen.

Da die Metallmasse sich nicht weiter senkte, mußten beide Hälften im Gleichgewichte sein. Jedenfalls war dieses Gleichgewicht aber sehr leicht zu stören und der geringste Stoß drohte die kostbare Masse vollends ins Meer zu stürzen. Glitt sie aber einmal den Abhang hinunter, so hätte sie keine Macht der Erde mehr aufhalten können und sie verschwand dann unwiderruflich im Meere, das sich über ihr schloß.

Ein weitrer Grund, sich zu beeilen, dachte plötzlich Lecoeur, als er sich einigermaßen gesammelt hatte. Es war ja die reine Torheit, hier zum großen Nachteil für seine Interessen die Zeit mit einem nutzlosen Anschauen zu vergeuden.

Ohne noch eine Minute zu verlieren, lief er hinter das Häuschen und hißte die französische Flagge an einem Maste, der hoch genug war, von den vor Upernivik liegenden Schiffen aus gesehen werden zu können. Wir wissen schon, daß dieses Signal bemerkt und verstanden wurde. Der »Atlantic« war sofort ausgelaufen, die nächste Telegraphenstation aufzusuchen, durch die dann an die Adresse des Bankhauses Robert Lecoeur, Rue Drouot in Paris, eine Depesche in verabredeter Sprache abgesendet wurde, worin man (in Übersetzung) klar und deutlich las: »Feuerkugel gefallen. Verkauft.«

In Paris würde man sich beeilen, dem nachzukommen, und das mußte Herrn Lecoeur, der ja wußte, wie die Dinge lagen, einen weitern, ungeheuern Gewinn abwerfen. Wenn das Herniederfallen erst bekannt war, würde das ja einen heftigen Kurssturz der Minenanteile zur Folge haben, und dann kaufte diese Herr Lecoeur zu vorteilhaften Bedingungen wieder zurück. Das war, was nun auch immer geschehen mochte, jedenfalls ein sicheres gutes Geschäft und Herr Lecoeur mußte dabei auf jeden Fall ein paar nette runde Millionen einstreichen.

Zephyrin Xirdal, der für solche irdische Interessen unempfindlich war, blieb noch weiter in Betrachtung versunken, als ein lautes Stimmengewirr ihm ans Ohr schlug. Sich umdrehend, sah er die Schar der Touristen, die es, mit Herrn von Schnack an der Spitze, gewagt hatten, in sein Gebiet einzudringen. Sapperment, das ging doch zu weit! Xirdal, der ein Stück Land erworben hatte, um hier sein eigener Herr zu sein, geriet ob solcher Frechheit erst außer sich.

Schnellen Schrittes lief er den rücksichtslosen Eindringlingen entgegen.

Der Vertreter Grönlands ersparte ihm die Hälfte des Weges.

»Wie kommt es, mein Herr, rief Xirdal, als er vor diesem stand, daß Sie hier eingetreten sind? Haben Sie die Tafeln mit dem Verbote nicht gesehen?

– Verzeihen Sie, werter Herr, antwortete Herr von Schnack höflich, die haben wir allerdings gesehen, wir glaubten aber, wenn solche Verbote sonst auch strenge Beachtung verdienen, diese unter so außergewöhnlichen Umständen unbeachtet lassen zu dürfen.

– Unter so außergewöhnlichen Umständen? ... fragte Xirdal treuherzig. Unter welchen denn?«

Von Schnacks Haltung verriet mit Recht ein gelindes Erstaunen.

»Unter welchen außergewöhnlichen Umständen? wiederholte er. Müßte ich Sie, werter Herr, erst davon unterrichten, daß die Whastoner Feuerkugel eben auf diese Insel niedergefallen ist?

– Das ist mir sehr wohl bekannt, erklärte Xirdal. Dabei finde ich aber doch nichts Außergewöhnliches. Das Herabfallen einer Feuerkugel ist doch ein ganz bedeutungsloses Ereignis.

– Ja, wenn sie nicht aus Gold besteht.

– Pah, aus Gold oder sonst etwas; eine Feuerkugel bleibt doch immer eine Feuerkugel.

– Das ist freilich nicht die Ansicht dieser Herren und dieser Damen, antwortete Herr von Schnack, indem er auf die Menge Touristen hinter ihm hinwies, von denen die meisten kein Wort von dem Zwiegespräch verstanden. Alle, alle sind sie hier, bei dem Falle des Whastoner Meteors gegenwärtig zu sein. Geben Sie nicht zu, daß es nach einer so weiten Reise hart gewesen wäre, sich schließlich durch einen dünnen Eisendrahtzaun aufgehalten zu sehen?

– Das ist schon wahr,« räumte Xirdal versöhnlich ein.

So schien alles auf dem besten Wege zu sein, als Herr von Schnack sich einer Unbedachtsamkeit schuldig machte.

»Was mich betrifft, fuhr er nämlich fort, hätte ich mich um so weniger durch ihre Einhegung aufhalten lassen können, als mich das an der Ausführung eines mir gewordenen amtlichen Auftrages gehindert hätte.

– Und worin bestand dieser Auftrag?

– Im Namen Grönlands, dessen Vertreter ich bin, von der Feuerkugel Besitz zu ergreifen.«

Xirdal war in die Höhe gefahren.

»Von der Feuerkugel Besitz ergreifen! rief er. Sie sind nicht recht bei Sinnen, mein lieber Herr!

– Ich wüßte wirklich nicht, warum, erwiderte von Schnack etwas gereizten Tones. Die Feuerkugel ist auf grönländischem Gebiete niedergefallen, sie gehört also, als niemandes Privateigentum, dem grönländischen Staate.

– Soviel Worte, soviel Irrtümer, protestierte Xirdal mit zunehmender Heftigkeit. Zunächst ist die Feuerkugel nicht auf grönländisches, sondern auf ein mir eigentümlich gehörendes Gebiet, auf ein Stück Land gefallen, das Grönland mir gegen Barzahlung abgetreten hat; danach gehört die Feuerkugel auch jemand und dieser jemand bin ich!

– Sie?

– Ja ja, kein andrer als ich.

– Was berechtigt Sie dazu?

– O, alles Mögliche, verehrter Herr. Ohne mich würde die Feuerkugel noch immer im Weltraume umherschweifen, wo Sie, Sie mögen noch soviel ein ›Vertreter‹ sein, Mühe haben sollten, sie überhaupt aufzufinden. Warum sollte sie nun nicht mir gehören, da sie bei mir niedergefallen ist und ich es bin, der sie dazu gezwungen hat?

– Was sagen Sie da? fiel Herr von Schnack ein.

– Ich sage, daß ich es bin, der sie überhaupt zum Herniederfallen gebracht hat. Ich habe auch nicht unterlassen, das der Internationalen Konferenz, die, wie es scheint, in Washington zusammengetreten war, mitzuteilen. Ich nehme auch an, daß meine Depesche ihre Arbeiten unterbrochen haben wird.«

Herr von Schnack sah den Sprecher etwas zweifelnd an; er wußte nicht, ob er es mit einem Witzling oder mit einem Narren zu tun hatte.

»Mein Herr, antwortete er, ich habe der Internationalen Konferenz selbst angehört und kann Ihnen versichern, daß sie bei meinem Weggange von Washington noch immer Sitzungen abhielt. Anderseits kann ich Ihnen auch versichern, daß mir von der Depesche, von der Sie sprechen, nichts bekannt ist.«

Herr von Schnack sprach hiermit die Wahrheit. Ein wenig schwerhörig, hatte er kein Wort vernommen von der Depesche, die – wie es in jedem Parlament, das sich selbst achtet, der Fall ist – unter dem dumpfen Lärm von Privatgesprächen vorgelesen worden war.

»Und doch hab' ich Sie dahin abgehen lassen, erklärte Zephyrin Xirdal, der schon warm zu werden anfing. Ob sie nun ihren Bestimmungsort erreicht hat oder nicht, an meinen Rechten kann das nichts ändern.

– An Ihren Rechten? gab ihm Herr von Schnack zurück, den diese unerwartete Verhandlung ebenfalls reizte. Sollten Sie es wirklich im Ernste wagen, auf die Feuerkugel irgendwelche Ansprüche zu machen?

– Hm, erwiderte Xirdal höhnisch, ich sollte mich wohl ein wenig genieren, wie?

– Eine Feuerkugel im Werte von sechs Trillionen Francs!

– Nun, was ist da dabei? Und wenn sie hunderttausend Millionen Milliarden von Billiarden und Trilliarden wert wäre, änderte es doch nichts daran, daß sie mir gehörte.

– Ihnen? ... Sie belieben wohl zu scherzen? ... Ein einzelner Mensch im Besitz von mehr Gold, als es auf der ganzen Erde gibt! ... Nein, das geht unbedingt nicht an!

– Ich weiß nicht, ob das angeht oder nicht angeht, rief jetzt Zephyrin Xirdal in aufflackerndem Zorne. Ich weiß nur das eine, daß sie mir gehört.

– Das wird sich ja finden, schloß Herr von Schnack den Streit trockenen Tones. Augenblicklich werden Sie es schon dulden müssen, daß wir unsern Weg fortsetzen.«

Gleichzeitig berührte der Vertreter leicht die Krämpe seines Hutes und auf ein Zeichen von ihm setzte sich der eingeborne Führer in Bewegung, während Herr von Schnack und hinter diesem die dreitausend Touristen ihm auf dem Fuße folgten.

Zephyrin Xirdal stand auf seinen langen Beinen und sah die Menge, die ihn gar nicht zu beachten schien, vorüberziehen. Natürlich war er darüber höchst ungehalten. Ohne seine Erlaubnis bei ihm einzudringen und sich hier wie in einem eroberten Lande aufzuführen! Ihm seine Rechte streitig zu machen! Nein, das überschritt alle Grenzen!

Und doch war gegen eine solche Menge nichts anzufangen, und als der letzte Fremde vorüber war, blieb ihm nichts andres übrig, als sich in sein Nest zurückzuziehen. Zwar besiegt, war er doch in seiner Überzeugung nicht überwunden und so ließ er seiner angesammelten Galle freien Lauf.

»Das ist abscheulich ... nicht auszuhalten!« rief er und fuchtelte dabei wie ein Semaphor mit den Armen herum.

Inzwischen schob sich die Volksmenge dem Führer nach. Dieser stand endlich an der äußersten Spitze der Insel still. Weiter konnte man nicht vordringen.

Herr von Schnack und Mr. Wharf gesellten sich sogleich zu ihm; dann kamen auch die Herren Forsyth und Hudelson, ferner Francis und Jenny, Omikron, sowie Mr. Seth Stanfort mit Mrs. Arcadia Walker und endlich der ganze Schwarm der Neugierigen heran, die die Flottille hier am Ufer des Baffinsmeeres abgesetzt hatte.

Ja, es war unmöglich, noch weiter zu gehen. Die unerträgliche Hitze verbot jeden weitern Schritt.

Übrigens wäre das auch nutzlos gewesen. Kaum vierhundert Meter entfernt, lag die Goldkugel vor aller Augen und alle konnten sie ebenso sehen, wie Zephyrin Xirdal und Herr Lecoeur sie sich eine Stunde vorher betrachtet hatten. Sie strahlte nicht mehr so blendend, wie zur Zeit, wo sie noch ihrer Kreisbahn im Weltraume folgte, doch war ihr Glanz auch jetzt noch so groß, daß die Augen ihn kaum ertragen konnten. So unfaßbar, wie während ihrer Bewegung am Himmel, war sie auch noch, als sie nun auf dem Erdboden lag.

An dieser Stelle bildete das Ufer eine Art Plateau, das aus einem der Felsen bestand, die in der Landessprache »Unalek« genannt werden. Nach dem Meere zu abfallend, endigte es mit einer lotrechten, etwa dreißig Meter über die Wasserfläche emporragenden Wand. Auf den Rand dieser Fläche war die Feuerkugel niedergefallen. Nur wenige Meter weiter rechts und sie wäre in den Abgrund versunken, in den der Fuß des Steilufers eintauchte.

»Ja, mußte Francis Gordon unwillkürlich vor sich hinmurmeln, zwanzig Schritt weiter und sie läge jetzt auf dem Grunde ...

– Von wo sie zu holen nicht leicht gewesen wäre, meinte Mrs. Arcadia Walker.

– O, Herr von Schnack hat sie noch lange nicht, bemerkte Mr. Seth Stanfort, erst muß sie in den Panzerschränken der Regierung Grönlands untergebracht sein.«

Dazu würde es jedoch wohl früher oder später kommen, nur die gehörige Geduld mußte man haben. Es genügte ja offenbar, die Abkühlung der Masse abzuwarten, und da sich jetzt schon der arktische Winter näherte, konnte das nicht allzu lange dauern.

Von dem Anblicke dieser Goldmasse, die ihnen in die Augen brannte, standen Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson unbeweglich, wie hypnotisiert, möchte man sagen, auf einem Flecke da. Beide hatten vorher einmal versucht, weiter vorzudringen, hatten aber ebenso zurückweichen müssen, wie Omikron, der dabei bald wie ein Roastbeef geröstet worden wäre. In dieser Entfernung von vierhundert Metern erreichte die Temperatur noch fünfzig Zentigrade und die vom Meteor ausstrahlende Wärme machte die Luft fast unatembar.

»Na, gleichviel ... sie ist da ... sie liegt auf der Insel und nicht unten auf dem Meeresgrunde. Sie ist nicht für immer verloren, ist im Besitze des glücklichen Grönland! Abwarten, nur abwarten gehört dazu!«

So erklang es aus den Reihen der Neugierigen, die an dieser Stelle der Uferwand durch die erstickende Hitze aufgehalten waren.

Jawohl, abwarten ... doch wie lange Zeit? Würde die Feuerkugel nicht ein, zwei Monate zum Kaltwerden brauchen? So gewaltige und auf so hohe Temperatur erhitzte Metallmassen können sehr lange glühend heiß bleiben. Das hat man schon an weit weniger umfänglichen Meteoriten erfahren.

Drei Stunden verstrichen, ohne daß jemand daran dachte, den Platz zu verlassen. Es sah beinahe aus, als wollten die Leute warten, bis sie sich der Feuerkugel mehr nähern könnten. Das würde aber doch weder heute noch morgen möglich sein. Wenn man nicht ein Lager herrichten und es mit Lebensmitteln versorgen wollte, blieb doch nichts übrig, als nach den Schiffen zurückzukehren.

»Glauben Sie, Mister Stanfort, fragte Mrs. Arcadia Walker, daß einige Stunden genügen werden, diesen glühenden Block abzukühlen?

– Weder einige Stunden, noch einige Tage, Mistreß Walker.

– Dann begebe ich mich an Bord des ›Oregon‹ zurück und komme erst später wieder hierher.

– Damit haben Sie ganz recht, antwortete Seth Stanfort, und Ihrem Beispiele folgend, werde ich auf den ›Mozik‹ zurückkehren. Die Frühstücksstunde hat, denke ich, schon geschlagen.«

Das war gewiß das klügste, was man tun konnte, es war Francis Gordon und Jenny aber unmöglich, die Herren Forsyth und Hudelson ebenfalls dazu zu vermögen. Vergeblich verlief sich nach und nach die Menge und vergeblich entschloß sich als letzter Herr von Schnack, nach der Station Upernivik zurückzukehren, die beiden Tollköpfe bestanden darauf allein, ihr Meteor vor Augen, hier auszuhalten.

»Nun, Papa, kommst du endlich mit?« fragte Jenny Nachmittag gegen zwei Uhr wohl zum zehnten Male.

Als Antwort machte der Doktor Hudelson ein Dutzend Schritte vorwärts, mußte aber sofort wieder zurücktaumeln. Es war, als hätte er sich an die Ausstoßmündung eines Schmelzofens herangewagt. Dean Forsyth, der es ihm sofort gleichgetan hatte, mußte ebenso zum Rückzuge blasen.

»Ich bitte Sie, lieber Onkel, mahnte jetzt Francis Gordon, und auch Sie, Mr. Hudelson, es ist wahrlich Zeit, an Bord zurückzukehren. Was zum Kuckuck, die Feuerkugel erhebt sich doch nicht wieder, und sie mit den Augen zu verzehren, davon hat der Magen nichts.«

Vergebliche Liebesmüh'! Erst am Abend entschlossen sich, von Anstrengung und Hunger aufs äußerste erschöpft, Mr. Forsyth und Mr. Hudelson den Platz zu verlassen, doch mit dem festen Vorsatze, morgen hierher zurückzukehren.

Schon zu früher Stunde waren sie wirklich wieder zur Stelle, doch nur, um auf fünfzig Bewaffnete – die ganze grönländische Kriegsmacht – zu stoßen, die jetzt hier war, in der Umgebung des kostbaren Meteors die Ordnung aufrecht zu erhalten.

Gegen wen traf nun die Regierung diese Vorsichtsmaßregeln? Gegen Zephyrin Xirdal? Dann wären fünfzig Mann etwas reichlich gewesen, zumal da die Feuerkugel sich ja allein genügend verteidigte. Ihre unerträgliche Hitze hielt auch die Wagemutigsten in gebührender Entfernung. Seit gestern konnte man sich ihr höchstens um einen Meter mehr nähern. Wenn das so weiter ging, würden Monate über Monate ins Land gehen, ehe Herr von Schnack im Namen Grönlands von dem Schatze Besitz ergreifen konnte.

Auf das Ersuchen des Herrn von Schnack war eins der Schiffe auf der Reede abgedampft, um der ganzen Welt die große Neuigkeit auf telegraphischem Wege zu verkünden. Binnen achtundvierzig Stunden mußte das Herabfallen der Feuerkugel überall bekannt sein. War das nicht geeignet, die Pläne des Bankiers Lecoeur zu kreuzen? Keineswegs, Da der »Atlantic« schon vierundzwanzig Stunden früher ausgelaufen war und diese Jacht eine größere Schnelligkeit entwickelte, hatte der Bankier einen Vorsprung von sechsunddreißig Stunden, eine hinreichende Frist, seine finanzielle Spekulation mit Vorteil durchzuführen.

Wenn die grönländische Regierung sich infolge der Anwesenheit der fünfzig Wächter gesichert fühlte, um wieviel mehr mußte das am Nachmittage desselben Tages der Fall sein, als sie sich überzeugen konnte, daß künftig sogar hundertsiebzig und zuletzt dreihundertzwanzig Mann das Meteor überwachen würden?

Gegen Mittag war ein Kreuzer vor Upernivik vor Anker gegangen, der das Sternenbanner der Vereinigten Staaten von Amerika führte. Kaum hatte sein Anker Grund gefaßt, als er zwanzig Mann ausschiffte, die unter dem Befehl eines Midshipmans ein kleines Lager in der Nähe der Feuerkugel bezogen.

Als Herr von Schnack von dieser Vermehrung der Ordnungsmacht erfuhr, erregte es ihm freilich einander widerstrebende Gefühle. Einerseits befriedigt, die kostbare Feuerkugel so eifrig überwacht zu sehen, befürchtete er von dieser Ausschiffung amerikanischer Seeleute auf grönländischem Boden doch anderseits ernste Schwierigkeiten. Der Midshipman, an den er sich wendete, konnte ihm keine weitere Aufklärung geben, der gehorchte dem Befehle seiner Vorgesetzten und bekümmerte sich um weiter nichts.

Herr von Schnack entschloß sich, seine Beschwerden am nächsten Tage an Bord des Kreuzers anzubringen, doch als er seine Absicht ausführen wollte, sah er sich plötzlich einer doppelten Aufgabe gegenübergestellt.

In der Nacht war noch ein zweiter Kreuzer, diesmal ein englischer, eingetroffen. Der Kommandant hatte, als er hörte, daß der Fall der Feuerkugel tatsächlich erfolgt war, nach dem Vorgange seines amerikanischen Kollegen ebenfalls zwanzig Seeleute gelandet und diese begaben sich unter der Führung eines zweiten Midshipmans im Laufschritt nach dem Nordwesten der Insel.

Herr von Schnack stutzte. Was hatte das alles zu bedeuten? Seine Verblüffung sollte sehr bald aber sogar noch zunehmen. Am Nachmittage meldete man die Ankunft eines dritten Kreuzers mit französischer Flagge, und zwei Stunden später schlossen sich wiederum zwanzig Seeleute unter dem Befehl eines Schiffsfähnrichs der schon vorhandenen »Feuerkugelwache« an.

Die Sachlage verwickelte sich entschieden. Dabei sollte es aber noch nicht bleiben. In der Nacht vom 21. zum 22. kam noch ein vierter, ein russischer Kreuzer hinzu. Im Laufe des 22. sah man nacheinander sogar noch ein deutsches, ein japanisches und ein italienisches Kriegsschiff eintreffen. Am 23. kamen ein argentinischer und ein spanischer Kreuzer nur kurz vor einem chilenischen Fahrzeuge an und diesen folgten in kurzem Zwischenräume endlich ein portugiesisches und ein holländisches Schiff.

Am 25. August bildeten sechzehn Kriegsschiffe, zwischen denen der »Atlantic« seinen Ankerplatz wieder eingenommen hatte, vor Upernivik ein internationales Geschwader, wie es diese hochnordischen Gegenden noch niemals gesehen hatten. Jedes Schiff hat seine zwanzig Mann unter dem Befehle eines Offiziers ans Land gesetzt und dreihundertzwanzig Seeleute mit sechzehn Offizieren von allen Nationen befanden sich nun auf einem Gebiete, das die grönländischen Soldaten trotz allen Heldenmutes gegen die Fremdlinge nicht hätten verteidigen können.

Jedes Schiff brachte eine Menge neuer Nachrichten und diese schienen, nach ihrer Wirkung zu urteilen, nicht gerade die erfreulichsten zu sein. Wohl stimmten sie darin überein, daß die Internationale Konferenz in Washington noch immer fortdaure, doch auch darin, daß sie ihre Sitzungen nur noch pro forma abhalte. Für die Zukunft hatte die Diplomatie das Wort, im Falle nicht, wie man sich im Vertrauen zuflüsterte, die Kanonen zu sprechen anfingen. In allen Staatskanzleien pflog man schon ernsthafte Verhandlungen, denen es auch an einer gewissen Schärfe nicht fehlte.

Je mehr Schiffe ankamen, desto beunruhigender wurden die Nachrichten. Etwas Sicheres wußte zwar niemand, doch immer schwirrten beunruhigende Gerüchte durch die Luft und zwischen den verschiedenen Okkupationsabteilungen wurde die Lage von Tag zu Tag gespannter.

Wenn der amerikanische Kommodore anfänglich seinen englischen Kollegen zur Tafel geladen und dieser in Erwiderung dieser Höflichkeit die Gelegenheit benützt hatte, auch dem Befehlshaber des französischen Kreuzers seine Hochachtung zu bezeugen, so war von solchen internationalen Liebenswürdigkeiten jetzt nicht mehr die Rede. Jeder hielt sich für sich zurück, bezüglich seines fernern Verhaltens nur darauf wartend, von welcher Seite der Wind kommen würde, der nach seinen ersten Stößen auf einen nahenden Sturm deutete.

Zephyrin Xirdals Zorn legte sich inzwischen nicht. Lecoeur hielt sich seinen unaufhörlichen Anschuldigungen gegenüber die Ohren zu und bemühte sich vergebens, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.

»Du mußt doch einsehen, lieber Zephyrin, sagte er, daß Herr von Schnack nicht unrecht hat, daß es unmöglich ist, einem einzelnen die freie Verfügung über eine so kolossale Summe zuzugestehen. Es ist also ganz natürlich, daß er hier Einspruch erhebt. Doch überlasse das weitre nur mir. Wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, werde ich schon auftreten, und ich halte es für unmöglich, daß man unseren Ansprüchen nicht in weitem Maße gerecht werden sollte. Jedenfalls erreiche ich etwas, darüber besteht kein Zweifel.

– Etwas! rief Xirdal. Ihr ›Etwas‹ reizt mich zum Lachen. Was soll ich denn mit jenem Golde anfangen? Brauche ich, ich es etwa? ...

– Nun, warum ereiferst du dich dann so sehr?

– Nur weil die Feuerkugel eben mir gehört, daß man sie mir wegnehmen will, bringt mich in Wut. Nein, das ertrage ich nimmermehr!

– Was könntest du gegen die ganze Welt ausrichten, mein armer Zephyrin?

– Wenn ich das schon wüßte, würde ich es sofort tun. Doch nur Geduld! ... Als jener Staatsvertreter sich anmaßte, mir die Feuerkugel rauben zu wollen, war das einfach verdrießlich. Was soll man dagegen heute sagen? Soviel Länder, soviel Diebe! Ohne zu erwähnen, daß sie einander darum schließlich selbst zerfleischen dürften, wie man das ja annimmt. Zum Teufel, hätte ich wirklich nicht besser daran getan, die Feuerkugel da zu lassen, wo sie war? Mir erschien nur das Experiment gar zu interessant. Ja, wenn ich die Folgen geahnt hätte! Arme Schlucker, die nicht zehn Sous in der Tasche haben und die sich nun um Milliarden katzbalgen wollen! Sie mögen sagen, was Sie wollen, das vertrage ein andrer!«

Xirdal blieb bei seiner Anschauung.

Er hatte jedenfalls unrecht, gegen Herrn von Schnack aufgebracht zu sein. Der unglückliche Delegierte war nicht an dem jetzigen Unheil schuld. Der Einfall auf das grönländische Gebiet ging ihm gewiß im Kopfe herum und der ungeheure Schatz schien ihm für sein Land schon lange nicht mehr gesichert zu sein. Doch was sollte er tun? Konnte er mit seinen fünfzig Mann die dreihundertzwanzig fremden Seeleute, Kanoniere und Torpeder etwa ins Meer werfen oder die sechzehn gepanzerten Mastodons, die ihn umringten, kurzer Hand versenken?

Nein, das konnte er natürlich nicht. Das eine, was er konnte und mußte, bestand darin, gegen die Verletzung des vaterländischen Gebietes im Namen seines Landes zu protestieren.

Als der englische und französische Befehlshaber da eines Tages einfach aus Neugier ans Land gegangen waren, ergriff Herr von Schnack diese Gelegenheit, von ihnen Aufklärungen zu verlangen und ihnen offiziöse Vorstellungen zu machen, die trotz diplomatischer Mäßigung eine gewisse Heftigkeit nicht verleugneten.

Der englische Kommandant gab ihm darauf Antwort. Herr von Schnack, sagte er in der Hauptsache, täte unrecht daran, sich so aufzuregen. Die Befehlshaber der Schiffe auf der Reede befolgten einfach nur die Befehle ihrer betreffenden Admiralitäten. Ihre Sache sei es nicht, diese zu erörtern oder willkürlich auszulegen, sie hätten sie nur auszuführen. Immerhin meinten sie, die Ausschiffung der Mannschaften würde nur den einen Zweck haben, in Gegenwart einer so bedeutenden Zuströmung von Neugierigen – die man sich wahrscheinlich noch größer vorgestellt hätte – die nötige Ordnung aufrecht zu erhalten. Herr von Schnack möge sich getrost beruhigen. Über die Sachlage würde bereits verhandelt und wirkliche Rechte würden unzweifelhaft respektiert werden.

»Und zwar genau, setzte der französische Kommandant hinzu.

– Nun, wenn alle Rechte respektiert werden sollen, dann kann ich doch auch die meinigen geltend machen, rief da plötzlich ein Mann, der sich ohne weitres in das Gespräch mischte.

– Mit wem habe ich die Ehre? fragte der Kommodore.

– Mein Name ist Dean Forsyth, Astronom aus Whaston, der wahre Vater und rechtmäßige Eigentümer der Feuerkugel, antwortete wichtigtuend der Gefragte, während Herr von Schnack leicht mit den Schultern zuckte.

– Ah ... sehr schön, fuhr der Kommodore fort. Ich kenne Ihren Namen sehr gut, Mister Forsyth. Doch wenn Sie gewisse Rechte haben, warum sollte man Ihnen nicht Gelegenheit gegeben haben, sie geltend zu machen?

– Rechte ... Rechte! rief in diesem Augenblick eine zweite Stimme. Wie steht es denn da mit den meinigen? War nicht ich, ich allein, der Doktor Sydney Hudelson, derjenige, der die Aufmerksamkeit der Welt zuerst auf das Meteor lenkte?

– Was? ... Sie? protestierte Dean Forsyth, der sich plötzlich, wie von einer Viper gestochen, umdrehte.

– Jawohl ... ich!

– Ein Quacksalber aus der Vorstadt wagt es, sich eine solche Entdeckung anzumaßen!

– Ebensogut wie ein Hohlkopf Ihres Schlags!

– Ein Aufschneider, der nicht einmal weiß, von welcher Seite man durch ein Fernrohr guckt!

– Ein Prahlhans, der überhaupt noch kein Teleskop gesehen hat!

– Ich ... ein Hohlkopf! ...

– Und ich ... ein Quacksalber! ...

– Doch nicht so dumm, einen Betrüger nicht entlarven zu können!

– Nicht so ein Quacksalber, kein Mittel zu finden, um einen Dieb nicht zur Strecke zu bringen.

– Das geht zu weit! brüllte Mr. Dean Forsyth, vor Wut schäumend und mit halb erstickter Stimme. Nehmen Sie sich in acht ... Herr! ...«

Mit geballter Faust und zornsprühendem Blicke bedrohten die beiden Rivalen einander, und der Auftritt hätte gewiß ein noch schlimmeres Ende genommen, wenn Francis und Jenny nicht zwischen die Kampfhähne getreten wären.

»Liebster Onkel, ich bitte Sie! rief Francis, indem er Mr. Dean Forsyth mit kräftiger Hand zurückzerrte.

– Papa ... um des Himmels willen! ... Papa! flehte Jenny ihren Vater an.

– Wer sind diese beiden Besessenen?« fragte da Zephyrin Xirdal den Mr. Seth Stanfort, an dessen Seite er sich zufällig befand und der der tragikomischen Szene aus einiger Entfernung zugesehen hatte.

Auf der Reise lernt man seine Gefährten gewöhnlich leicht kennen. Mr. Seth Stanfort beantwortete auch ohne Zögern die Frage, die ein ihm Unbekannter an ihn gerichtet hatte.

»Sie müssen doch von Mr. Dean Forsyth und vom Doktor Sydney Hudelson reden gehört haben?

– Von den beiden Astronomen aus Whaston?

– Jawohl, von diesen.

– Von denen, die die Feuerkugel entdeckt haben, die hier niedergefallen ist?

– Ja ja, das sind die beiden.

– Wie kommen sie dann aber dazu, sich so zu zanken?

– Sie können sich nicht verständigen, wem die Priorität der Entdeckung zustehe?«

Zephyrin Xirdal zuckte verächtlich die Achseln.

»Eine schöne Bescherung!

– Und beide beanspruchen das Eigentumsrecht an der Feuerkugel, fuhr Seth Stanfort fort.

– Darauf fußend, daß sie sie zufällig zuerst am Horizont gesehen haben?

– Aus keinem andern Grunde.

– Bei denen ist im Kopfe eine Schraube locker, erklärte Zephyrin Xirdal. Doch der junge Mann und das junge Mädchen da, was haben die mit der Sache zu tun?«

Mr. Seth Stanfort klärte ihn zuvorkommend über die Verhältnisse auf. Er erzählte, unter welch eigentümlichen Umständen die beiden Verlobten hätten auf ihre nahe bevorstehende Verbindung verzichten müssen und infolge welch sinnloser Eifersucht der blutige Haß, der ihre Familien trennte, ihrer gegenseitigen rührenden Zuneigung einen Dämpfer aufgezwungen hätte.

Zephyrin Xirdal erschien bestürzt zu sein. Er sah mit einem Blicke hinaus, als ob sich ihm die merkwürdigste Erscheinung zeigte. Mr. Dean Forsyth zurückgehalten von Francis Gordon, und Jenny Hudelson, die mit den schwachen Armen ihren erbitterten Vater umschlang. Als Mr. Seth Stanfort seine Mitteilung beendigt hatte, rief Zephyrin Xirdal, ohne ein Wort des Dankes, laut: »Nein, nun wird mir's gar zu arg!« und lief eiligen Schrittes davon. Seelenruhig verfolgte Stanfort den originellen Kauz mit den Augen, dachte aber bald nicht mehr an die Sache und wendete sich zu Mrs. Arcadia Walker zurück, die er während jenes kurzen Gesprächs ausnahmsweise verlassen hatte.

Zephyrin Xirdal war ganz außer sich; heftig riß er die Tür des Häuschens auf.

»Lieber Onkel, redete er Herrn Lecoeur an, der, über sein stürmisches Auftreten erschrocken, aufgesprungen war, ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich die Geschichte nun gründlich satt habe.

– Um was handelt es sich denn wieder? fragte Herr Lecoeur.

– Sapperment, um die Feuerkugel! Immer um die verwünschte Feuerkugel!

– Was hat denn die verbrochen?

– O, die ist im besten Zuge, der ganzen Erde Unheil zu bringen. Man kann ihre Schandtaten kaum noch zählen. Nicht genug, daß sie alle die Leute da draußen zu Dieben macht, nein, sie wird auch noch die ganze Welt in Feuer und Flammen setzen und Zwist und Krieg gebären. Das ist noch nicht einmal alles: sie erfrecht sich sogar, Verlöbnisse zu zerreißen. Sehen Sie sich das Mädchen draußen an, und Sie werden mir recht geben. Sie weint wie ... na, wie ein Wasserfall. Das kann ich nicht länger mit ansehen!

– Welches Verlöbnis, von welchem jungen Mädchen sprichst du? Was soll diese neue Laune bedeuten? fragte Herr Lecoeur ängstlich.

Zephyrin Xirdal gab darauf keine Antwort.

»Ja, es übersteigt alle Grenzen! rief er laut. Doch das darf so nicht weitergehen. Ich werde hier Wandel schaffen und schnell obendrein!

– Welche Torheit willst du wieder begehen, Zephyrin?

– Zum Teufel, ein Kunststück wird's nicht sein. Ich werde die Feuerkugel ins Wasser werfen.«

Herr Lecoeur fuhr mit einem Satze in die Höhe. Sein Gesicht war von einer Erregung, die ihm das Herz fast lähmte, wachsbleich geworden. Keinen Augenblick kam ihm der Gedanke, daß Xirdal nur in aufwallendem Zorne redete und daß er Drohungen ausstieß, die er außerstande wäre, wahr zu machen. Er hatte ja Beweise gegeben von dem, was er vermochte, und bei ihm mußte man sich auf alles gefaßt machen.

»Das wirst du unterlassen, Zephyrin, rief der Bankier.

– Im Gegenteil: ich werde es auf alle Fälle tun und nichts soll mich daran hindern. Ich ... habe die Geschichte satt und werde ihr ohne Zögern ein Ende machen.

– Unseliger, du denkst doch nicht etwa daran« ...

Herr Lecoeur unterbrach sich plötzlich. Ein genialer, verblüffender Gedanke war in irgendeinem Winkel seines Gehirnkastens aufgeblitzt. Wenige Augenblicke genügten dem großen Lenker der Geldschlachten, die starken und schwachen Seiten einer Sache zu erkennen.

»Zur Tat also!« murmelte er nur noch für sich hin.

Eine zweite kurze Überlegung bestätigte ihm die Vorzüglichkeit seines Planes. So wendete er sich denn wieder an Xirdal.

»Gut, ich werde dir nicht weiter widersprechen, sagte er entschieden, wie einer, der Eile hat und für den Minuten gleich Stunden sind. Du willst die Feuerkugel ins Meer befördern? Recht so! Doch würdest du mir vorher nicht einige Tage gönnen?

– Dazu bin ich sogar gezwungen, erwiderte Xirdal. Ich werde an meiner Maschine, mit Rücksicht auf die neue, von ihr verlangte Arbeit, erst Veränderungen vornehmen müssen, die wohl fünf bis sechs Tage in Anspruch nehmen dürften.

– Das würde also etwa bis zum dritten September dauern.

– Ja.

– Desto besser,« sagte Herr Lecoeur, der auf der Stelle das Häuschen verließ und sich eiligst nach Upernivik begab, während sein Patenkind gleich an seine Arbeit ging.

Ohne eine Minute zu verlieren, ließ sich Herr Lecoeur nach dem »Atlantic« übersetzen, aus dessen Schornstein bald schwarze Rauchwolken aufwirbelten. Zwei Stunden später und nachdem sein Reeder wieder aufs Land zurückgekehrt war, fuhr der »Atlantic« unter Volldampf ab und verschwand hinter dem Horizonte.

Wie alles Geniale, war auch Lecoeurs Plan von verblüffender Einfachheit.

Von den beiden Wegen, sein Patenkind den internationalen Streitkräften zu überliefern und damit in die Unmöglichkeit zu setzen, die angedeutete Absicht auszuführen, oder den Dingen ihren Lauf zu lassen, hatte Herr Lecoeur den zweiten gewählt.

Im ersten Falle hätte er wohl auf die Erkenntlichkeit der interessierten Regierungen rechnen können, die ihm einen Teil der durch sein Eingreifen erhalten gebliebenen Schätze überlassen würden. Doch welchen Teil? Wahrscheinlich einen lächerlich kleinen, der auch noch unbedeutender wurde durch die allgemeine Entwertung des Goldes, die ein solcher Zufluß von diesem Metalle logischerweise herbeiführen mußte.

Schwieg er dagegen still, so vermied er, ganz abgesehen von der Ausschaltung der übeln Folgen, deren Keim diese unglückselige Goldmasse in ihrem Schoße barg und die sie gleich einem verheerenden Strome über die ganze Erde zu verbreiten drohte, alles ihn persönlich berührende Ungemach und sicherte sich obendrein ungeheure Vorteile. Wenn er nur fünf Tage alleiniger Besitzer eines solchen Geheimnisses blieb, genügte ihm das, es bequem auszunützen. Er brauchte ja nur durch den »Atlantic« ein weiteres Telegramm besorgen zu lassen, worin man nach dessen Dechiffrierung in der Rue Drouot lesen würde: »Ein sensationelles Ereignis zu erwarten. Kauft Minenanteile, soviel davon zu haben sind.«

Dieser Auftrag würde leicht auszuführen sein. Das Niederfallen der Feuerkugel war augenblicklich gewiß schon überall bekannt und der Preis der Goldgrubenaktien sank daraufhin unzweifelhaft fast bis auf Null. Mindestens wurden sie zu einem sehr niedrigen Kurse angeboten, ohne daß sich willige Käufer fanden. Dann aber der »Boom«, wenn erst das Ende der Sache bekannt würde! Wie schnell mußten sie da, zum Vorteil des glücklichen Käufers, wieder im Handelswerte steigen!

Robert Lecoeur hatte, um es gleich zu sagen, für derlei Transaktionen den richtigen Blick. Die Depesche ging nach der Rue Drouot ab, und an der Börse führte man gewissenhaft den darin enthaltenen Auftrag aus. Das Bankhaus Lecoeur kaufte gegen bar und auf Termin alle Minenanteile, die angeboten waren, und verfuhr am nächsten Tage in gleicher Weise.

Welch reiche Ernte heimste es da in den zwei Tagen ein! Von minder bedeutenden Minen wurden die Anteile für wenige Centimes das Stück erstanden, früher blühende Goldgruben zu zwei bis drei Francs, und für die Aktien der Minen ersten Ranges wurden höchstens zehn bis zwölf Francs bezahlt ... aber alles, alles ohne Unterschied aufgekauft.

Nach achtundvierzig Stunden war das Gerücht von diesen Ankäufen an den verschiedenen Weltbörsen verbreitet und veranlaßte da einige Verwunderung. Das wegen seiner »feinen Nase« bekannte Bankhaus Lecoeur konnte unmöglich ohne Grund so vorgehen, als es diese Sonderklasse von Börsenwerten so auffallend bevorzugte. Dahinter stak etwas! Das war die allgemein herrschende Ansicht und die Kurse stiegen infolgedessen schon wieder merkbar.

Das war aber zu spät. Der Coup war bereits gelungen. Herr Robert Lecoeur sah sich im Besitz von mehr als der Hälfte der Golderzeugung der ganzen Erde.

Während sich diese Vorgänge in Paris abspielten, benützte Zephyrin Xirdal zur Abänderung seiner Maschine die Reservehilfsmittel, womit er sich vorsichtigerweise vor der Abfahrt versorgt hatte. Im Innern brachte er Drähte an, die sich in komplizierten Kreisbahnen kreuzten. Äußerlich befestigte er, im Zentrum zweier weiterer Reflektoren, Glasbecher von seltsamer Gestalt. Wie vorausgesagt, war am 3. September alles fertig und Zephyrin Xirdal erklärte sich zum Handeln bereit.

Die Gegenwart seines Paten sicherte ihm ausnahmsweise ein wirkliches Auditorium. Das war eine vorzügliche Gelegenheit, sein Rednertalent leuchten zu lassen, und die ließ er sich auch nicht entgehen.

»Meine Maschine, sagte er, den elektrischen Strom schließend, hat nichts Geheimnisvolles, Diabolisches an sich. Sie ist nichts andres, als ein Organ für Transformationen. Sie erhält ihre Elektrizität auf gewöhnlichem Wege, gibt sie aber in einer von mir erfundenen, anders wirkenden Weise ab. Der Glasbecher, den Sie hier sehen und der sich eben wie toll zu drehen anfängt, ist derselbe, der mir dazu gedient hat, die Feuerkugel heranzuziehen. Mit Hilfe des Reflektors, in dessen Mitte er steht, sendet sie in den Weltraum einen Strom von ganz besondrer Art aus, den ich als neutralen Helikoidalstrom bezeichnet habe. Wie sein Name andeutet, bewegt er sich ähnlich einer Schraube. Anderseits hat er die Eigenschaft, jeden festen Körper, worauf er trifft, kräftig abzustoßen. Die Gesamtheit seiner Windungen oder Schraubengänge bildet einen hohlen Zylinder, aus dem die Luft, wie jeder andre Körper so vollständig hinausgetrieben wird, daß im Innern des Zylinders eine wirkliche Leere entsteht. Verstehen Sie das Wort »Leere«, leerer Raum, richtig, lieber Onkel? Ist Ihnen bekannt, daß überall im Weltraume »etwas« vorhanden ist, und daß mein unsichtbarer Zylinder, der sich in die Atmosphäre einschraubt, einen Augenblick der einzige Punkt des Universums ist, wo sich »nichts« befindet. Nur einen sehr kurzen Augenblick, kürzer als die Dauer des Blitzstrahls. Dieser Raum, worin die »absolute Leere« herrscht, ist sozusagen ein Fontanell, dem in verdichteten Wellen die unzerstörbare Energie entströmt, die die Erdkugel sonst kondensiert in Maschen der Stoffe gebunden hält. Meine Aufgabe besteht also darin, dieses Hindernis zu beseitigen.«

Voller Interesse nahm Herr Lecoeur all seine Aufmerksamkeit zusammen, diesen merkwürdigen Darlegungen zu folgen.

»Das einzige etwas heikle Ding hierbei, fuhr Zephyrin Xirdal fort, besteht darin, die Wellenlänge des neutralen Helikoidalstromes zu regeln. Wenn dieser den zu beeinflussenden Gegenstand unmittelbar trifft, stößt er ihn ab, statt ihn anzuziehen. Er muß also in gewisser Entfernung davon, aber so nahe wie möglich daran, ein Ende finden, damit seine freigewordene Energie in dessen unmittelbarer Nachbarschaft ausstrahlt.

– Doch um die Feuerkugel ins Meer zu drängen, wendete Herr Lecoeur ein, muß er diese ja abstoßen und nicht heranziehen.

– Ja und nein, antwortete Zephyrin Xirdal. Passen Sie gut auf, lieber Onkel. Ich kenne sehr gut die Entfernung zwischen uns und der Feuerkugel. Sie beträgt genau fünfhundertelf Meter und achtundvierzig Zentimeter. Danach habe ich die Wirkungsweite meines Stromes zu bemessen.«

Während er so sprach, machte sich Xirdal an einem Rheostaten zu schaffen, der in der Leitung zwischen der Stromquelle und der Maschine eingeschaltet war.

»So, nun wäre es geschehen, sagte er dann. Jetzt ›stirbt‹ der Strom weniger als drei Zentimeter vor der Feuerkugel und vor deren nordöstlichen Konvexität. Die freigemachte Energie umgibt sie also von dieser Seite mit einer intensiven Bestrahlung. Das würde immerhin vielleicht nicht hinreichend sein, eine solche fest auf der Erde liegende Masse in Bewegung zu setzen. Aus Vorsicht werde ich daher noch zu zwei andern Hilfsmitteln greifen.«

Xirdal fuhr mit der Hand in die Maschine hinein. Sofort begann der eine der beiden neuen Glasbecher lebhaft zu knistern.

»Beachten Sie, lieber Onkel, bemerkte er erläuternd, daß dieses Becherglas sich nicht dreht wie das andre. Die von ihm ausgehenden Ausströmungen sind auch andre. Wir wollen sie, mit Ihrer Erlaubnis, neutrale rektilineare Ströme nennen, um sie von den vorigen zu unterscheiden. Die Länge dieser rektilinearen Ströme bedarf keiner Regulierung. Sie würden sich unsichtbar in die Unendlichkeit fortpflanzen, wenn ich sie nicht der südlichen Konvexität des Meteors zulenkte, das sie dann aufhält. Ich rate Ihnen, nicht ihren Weg zu kreuzen. Sie würden da eine gründliche Abfuhr erleiden, wie die Studenten bei Mensuren sagen. Doch kehren wir zu unsern Lämmern zurück. Was sind im Grunde die rektilinearen Ströme? Nichts andres als die helikoidalen und überhaupt als jeder elektrische Strom, welcher Art er auch sein möge, zum Beispiel der Schall, die Wärme, ja selbst das Licht, nichts als ein Transport materieller Atome im Zustande der allerfeinsten Verteilung. Eine Vorstellung von der Kleinheit dieser Atome werden Sie bekommen, wenn ich Ihnen sage, daß sie in dem Augenblick die Oberfläche des Goldblocks treffen und in der Zahl von siebenhundertfünfzig Millionen in der Sekunde in diesen eindringen. Das ist also ein richtiges Bombardement, bei dem die Kleinheit der Geschosse durch ihre ungeheure Zahl und Geschwindigkeit ausgeglichen wird. Wenn man dieses Anschlagen mit der auf die andre Seite ausgeübten Anziehung vereint wirken läßt, kann man schon ein Resultat erreichen.

– Die Feuerkugel rührt sich aber bis jetzt nicht, warf Herr Lecoeur ein.

– Sie wird sich schon rühren, versicherte Zephyrin Xirdal zuversichtlich, nur ein wenig Geduld. Hier ist übrigens noch ein Mittel, die Sache zu beschleunigen. Von diesem dritten Reflektor aus entsende ich noch atomistische Geschosse, diese aber nicht auf die Feuerkugel selbst, sondern auf den Teil des Erdbodens, der sie an der Seite des Meeres trägt. Sie werden bald sehen können, wie der Boden da allmählich abbröckelt, und infolge ihrer Schwere wird die Feuerkugel dann von selbst die schiefe Ebene hinabgleiten.«

Zephyrin Xirdal steckte den Arm noch einmal in die Maschine und sofort begann der dritte Glasbecher zu knistern.

»Passen Sie gut auf, lieber Onkel, sagte er, ich glaube das wird etwas zu lachen geben!«


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