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VIII.

Worin die Polemik in der Presse die Sachlage noch verschlimmert, und das mit einer ebenso bestimmten wie unerwarteten Erklärung endigt.

 

»Ja, das ist er, Omikron, das ist er ohne Zweifel! rief Mr. Dean Forsyth, als er einen Blick durch sein Teleskop geworfen hatte.

– Gewiß, er ist es, erklärte Omikron und setzte noch hinzu: Gebe der Himmel, daß sich der Doktor Hudelson in diesem Augenblicke nicht auf seiner Warte befindet!

– Oder, wenn er doch da wäre, sagte Mr. Forsyth, daß es ihm nicht gelinge, die Feuerkugel zu entdecken!

– Unsere Feuerkugel, bemerkte Omikron.

– Meine Feuerkugel!« berichtigte ihn Forsyth.

Beide täuschten sich jedoch. Das Fernrohr des Doktor Hudelson war genau zu derselben Zeit nach Südosten, nach dem Teile des Himmels gerichtet, über den das Meteor hinzog. Auch durch dieses Instrument war es gleich bei seinem Erscheinen erkennbar gewesen, und ebensowenig wie der eine Turm verlor es der andre aus dem Gesicht, bis es in einer Dunstwand im Süden verschwand.

Übrigens waren die Astronomen in Whaston nicht die einzigen, die heute die Feuerkugel beobachtet hatten. Auf der Sternwarte von Pittsburg hatte man sie ebenfalls gesehen, und unter Hinzurechnung des Observatoriums in Boston ergab das also drei aufeinanderfolgende Beobachtungen.

Die Wiederkehr des Meteors war eine höchst interessante Tatsache ... wenn anders das Meteor überhaupt ein besondres Interesse verdiente. Da es also für die sublunare Welt in Sicht blieb, beschrieb es entschieden eine in sich geschlossene Bahn. Es gehörte nicht zu den Sternschnuppen, die im Weltraum verschwinden, nachdem sie die obersten Schichten der Atmosphäre gestreift hatten, zu jenen Asteroiden, die sich nur einmal zeigen und sich dann in der Unendlichkeit verlieren, oder zu den Aerolithen, die gleich nach ihrem Auftauchen herunterstürzen. Nein, dieses Meteor kehrte wieder; es umkreiste die Erdkugel wie ein zweiter Satellit. Es verdiente also, daß man sich mit ihm beschäftigte, und das mag die Hartnäckigkeit entschuldigen, womit Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson es jeder für sich in Anspruch nahm.

Da das Meteor feststehenden Gesetzen gehorchte, lag kein Hindernis vor, seine Elemente zu berechnen. Damit beschäftigte man sich mehr oder weniger auch überall, doch nirgends mit solchem Eifer wie in Whaston. Zur rechnerischen Lösung dieses Problems bedurfte es freilich noch einiger weitrer guter Beobachtungen.

Das erste, was achtundvierzig Stunden später bestimmt war – doch von Mathematikern, die weder Dean Forsyth noch Hudelson hießen – war die Bahn der Feuerkugel.

Diese Bahn verlief genau von Norden nach Süden. Die von Mr. Dean Forsyth in seinem Schreiben an das Pittsburger Observatorium erwähnte kleine Abweichung von 3° 31' war nur eine scheinbare und erklärte sich durch die Achsendrehung der Erde.

Vierhundert Kilometer trennten die Feuerkugel von der Erdoberfläche und deren erstaunliche Geschwindigkeit betrug nicht weniger als sechstausendneunhundertsiebenundsechzig Meter in der Sekunde. Sie vollendete demnach ihren Kreislauf um die Erde in einer Stunde einundvierzig Minuten und einundvierzig dreiundneunzig Hundertstel Sekunden, woraus sich, nach Angabe von Fachmännern, schließen ließ, daß sie vor Ablauf von hundertvier Jahren hundertsechsundsiebzig Tagen und zweiundzwanzig Stunden nicht über den Zenith von Whaston hinfliegen werde.

Eine glückliche Vorhersage, geeignet zur Beruhigung der Einwohner der Stadt, die sich so sehr vor dem Herabstürzen des unheilschwangern Asteroids fürchteten. Wenn es noch herunterfiel, so würde es wenigstens nicht auf sie sein.

»Doch welche Wahrscheinlichkeit liegt für ein Niederfallen vor? fragte der ›Whaston Morning‹. An die Begegnung eines Hindernisses auf seiner Bahn war doch kaum zu denken, ebensowenig, daß es durch sonst etwas in seinem Kreislauf gestört werden könnte.«

Hieran war ja nicht zu zweifeln.

»Sicherlich, bemerkte der ›Whaston Evening‹, gibt es Aerolithen, die niedergefallen sind, und auch jetzt ist das nicht ausgeschlossen. Diese aber, meist von geringer Masse, schweifen im Weltraum umher und fallen nur auf die Erde, wenn sie sich beim Vorübergange in den Bereich ihrer Anziehungskraft verirren.«

Diese Erklärung war ja richtig und sie erschien nicht anwendbar auf die in Frage stehende Feuerkugel mit ihrer so regelmäßigen Bewegung, so daß ihr Niederfallen ebensowenig zu befürchten war wie etwa das des Mondes.

Nachdem das festgestellt war, galt es jedoch, noch mehrere Punkte aufzuklären, ehe man sich bezüglich dieses Asteroiden, der einen zweiten Satelliten der Erde bildete, für vollständig unterrichtet halten durfte.

Welche war seine Größe, seine Masse und seine Natur?

Auf die erste Frage antwortete der »Whaston Standard« mit folgendem:

»Nach der Höhe, in der sie sich befand und nach ihrer scheinbaren Größe muß der Durchmesser der Feuerkugel über fünfhundert Meter betragen, das geht wenigstens aus den bisherigen Berechnungen hervor. Es ist dagegen noch nicht möglich gewesen, ihre Natur zu bestimmen. Was sie – unter der Voraussetzung, daß man über genügend mächtige Instrumente verfügt – erkennbar macht, beruht darauf, daß die Feuerkugel mit sehr hellem Glanze leuchtet, was jedenfalls von ihrer Reibung an der Atmosphäre herrührt, obgleich die Dichtigkeit der Luft in einer solchen Höhe nur sehr gering sein kann. Besteht das Meteor nun bloß in einer Anhäufung gasartiger Körper? Oder hat es vielleicht einen festen Kern mit einer leuchtenden Hülle? ... Wie groß und von welcher Art ist dann dieser Kern? Das weiß man nicht und wird es auch nie erfahren.

»Alles in allem hat diese Feuerkugel weder bezüglich ihrer Größe noch ihrer Geschwindigkeit etwas Außergewöhnliches an sich. Ihre einzige Eigentümlichkeit besteht darin, daß sie eine geschlossene Bahn beschreibt. Seit wie langer Zeit aber schwebt sie nun schon um unsre Erde? Das könnten auch die patentierten Astronomen nicht sagen, schon weil diese sie niemals vor ihren offiziellen Teleskopen gehabt hätten ohne unsre zwei Mitbürger Mr. Dean Forsyth und Doktor Hudelson, denen der Ruhm für diese schöne Entdeckung vorbehalten war.«

An alledem war, wie der »Whaston Standard« zutreffend bemerkte, nichts Besonders, außer vielleicht die Sprachgewandtheit seines Redakteurs. Die gelehrte Welt beschäftigte sich auch keineswegs auffallend mehr mit dem, was das schätzbare Journal so tief erregte, und die unwissende Welt nahm an der ganzen Sache nur ein sehr schwaches Interesse.

Nur die Bewohner von Whaston waren begierig, alles kennen zu lernen, was das Meteor betraf, dessen Entdeckung zwei hochachtbaren Persönlichkeiten der Stadt zu verdanken war.

Übrigens hätten auch sie schließlich vielleicht gleichgültig dieses kosmischen Ereignisses gedacht, das der »Punsch« hartnäckig als ein »komisches« bezeichnete, wenn die Journale nicht durch immer durchsichtiger werdende Andeutungen die Rivalität zwischen Mr. Dean Forsyth und Doktor Hudelson verraten hätten. Das brachte sozusagen die Whastonianer auf die Beine. Alle Welt ergriff begierig die Gelegenheit, darüber einen Streit anzufangen, und allmählich begann die Stadt sich in zwei Lager zu teilen.

Inzwischen näherte sich der für die Hochzeit bestimmte Tag. Mrs. Hudelson, Jenny und Loo einerseits und Francis Gordon und Mitz anderseits lebten in immer wachsender Unruhe. Jeden Tag war jetzt bei einer etwaigen Begegnung der beiden Rivalen der Ausbruch offner Streitigkeiten zu erwarten, ebenso wie das Zusammentreffen zweier mit verschiedener Elektrizität geladener Wolken den elektrischen Funken auslöst, der den Donner erzeugt. Sie wußten alle, daß Mr. Dean Forsyth keiner mildern Stimmung zugänglich wäre, und daß der Ingrimm Mr. Hudelsons nur auf die Gelegenheit zu einer Entladung wartete.

Der Himmel war jetzt meist blau, die Luft klar und auch der Horizont von Whaston frei von Dünsten. Die beiden Astronomen konnten also bequem weitre Beobachtungen anstellen. An Gelegenheit dazu fehlte es ihnen nicht, da die Feuerkugel in vierundzwanzig Stunden mehr als vierzehnmal über dem Horizont erschien und sie jetzt, dank den neuern Angaben der Sternwarten, im voraus wußten, wohin die Fernrohre bei jedem Vorübergange zu richten waren.

Die Bequemlichkeit bei diesen Beobachtungen war freilich eine ebenso ungleiche, wie die Höhe der Feuerkugel über dem Horizont. Die Vorübergänge aber waren ja so zahlreich, daß diese Unbehaglichkeit viel an Bedeutung verlor. Wenn sie auch nicht mathematisch genau über den Zenith von Whaston wegzog, wo man sie durch einen wunderbaren Zufall zuerst entdeckt hatte, so berührte sie diesen praktisch an jedem Tage doch so nahe, daß es ziemlich auf dasselbe hinauskam.

Die beiden leidenschaftlichen Astronomen konnten sich tatsächlich berauschen mit der Beobachtung des Meteors, das über ihrem Haupte glänzend und mit einer blendenden Aureole am Himmelsgewölbe hinzog.

Sie verschlangen es auch fast mit dem Blicke, liebkosten es mit den Augen. Jeder gab ihm seinen eignen Namen: die Forsythsche Feuerkugel, die Hudelsonsche Feuerkugel. Sie war ihr Kind, Fleisch von ihrem Fleische; sie gehörte ihnen, wie der Sohn den Eltern ... noch mehr: wie das Geschöpf seinem Schöpfer. Ihr Anblick erregte, erhitzte sie. Ihre Beobachtungen und Hypothesen, die sie aus dem Gange des Meteors ableiteten, übermittelten sie, der eine der Sternwarte in Pittsburg, der andere der von Boston, nie aber vergaßen sie dabei, die Priorität der Entdeckung für sich zu beanspruchen.

Bald befriedigte dieser friedliche Wettstreit nicht mehr ihre gegenseitige Erbitterung. Nicht damit zufrieden, durch die Aufhebung aller persönlichen Beziehungen die diplomatische Verbindung abgebrochen zu haben, verlangte es sie nach offenem Kampfe, nach einer Kriegserklärung.

Eines Tages erschien da im »Whaston Standard« eine ziemlich anzügliche, den Doktor Hudelson betreffende Notiz, die man dem Mr. Dean Forsyth zuschrieb. Sie sagte, daß gewisse Leute doch gar zu gute Augen hätten, wenn sie durch die Gläser eines andern guckten und da nur zu leicht wahrnähmen, was andre schon gesehen hatten.

In einer Antwort auf diese Notiz, die am nächsten Tage im »Whaston Evening« erschien, wurde ausgesprochen, was die Gläser beträfe, so gäbe es solche, die nicht genug gereinigt wären, deren Objektive noch kleine Flecke hätten, die für Meteore anzusehen, gerade nicht von großer Geschicklichkeit spräche.

Gleichzeitig brachte der »Punsch« eine sehr gelungene Karikatur der beiden Rivalen, die, mit ungeheuren Flügeln ausgestattet, in der Schnelligkeit, ihr Meteor zu erhaschen, wetteiferten, während dieses, dargestellt durch einen Zebrakopf, ihnen die Zunge herausstreckte.

Obgleich sich nun durch diese Artikel und die verletzenden Andeutungen die Uneinigkeit die beiden Gegner noch von Tag zu Tag verschärfte, hatten diese bisher keine Gelegenheit, sich zu der Frage bezüglich der Hochzeit zu äußern. Wenn sie nicht davon sprachen, so ließen sie doch den Dingen ihren Lauf und nichts berechtigte anzunehmen, daß Francis Gordon und Jenny nicht an dem dafür bestimmten Tage durch

Das gold'ne Band,
Das nur zerreißt
Einst durch des Todes Hand

vereinigt würden.

In den letzten Apriltagen ereignete sich kein Zwischenfall. Wenn sich die Lage nicht weiter verschlimmerte, so besserte sie sich doch auch nicht. Beim Essen erwähnte Mr. Hudelson das Meteor niemals, und Miß Loo, die auf Geheiß der Mutter schwieg, war rein wütend, es nicht so behandeln zu können, wie dieser Störenfried es verdiente. Wenn man nur sah, wie sie ihr Kotelett zerschnitt, konnte man schon verstehen, daß sie an die Feuerkugel dachte und diese gern in so winzige Teilchen zerstückelt hätte, daß ihre Spur nicht wiederzufinden gewesen wäre. Jenny bemühte sich gar nicht, ihre Niedergeschlagenheit zu verbergen, die der Doktor scheinbar nicht bemerken wollte; vielleicht, denn es gingen ihm zu viele astronomische Fragen im Kopfe herum, bemerkte er sie auch wirklich nicht.

Natürlich erschien jetzt Francis Gordon nie bei den Mahlzeiten. Alles, was er sich erlaubte, war sein täglicher Besuch, wenn der Doktor sich in seinem Wartturme eingeschlossen hatte.

Im Hause der Elisabethstraße ging es beim Essen auch nicht gemütlicher her. Mr. Dean Forsyth sprach kaum ein Wort, und wenn er sich einmal an Mitz wendete, so antwortete diese nur mit einem Ja oder Nein, das ebenso trocken erschien wie jetzt das Wetter draußen.

Ein einziges Mal, am 28. April nach dem Frühstück, sagte Mr. Dean Forsyth, als er sich eben vom Tische erhob, zu seinem Neffen:

»Gehst du denn noch immer zu den Hudelsons?

– Gewiß, lieber Onkel, antwortete Francis bestimmten Tones.

– Warum sollte er denn nicht zu den Hudelsons gehen? fragte Mitz etwas bissig.

– Ich rede nicht mit dir, Mitz! wies sie Mr. Forsyth zurecht.

– Aber ich antworte Ihnen. Ein Hund bellt auch vor einem Bischof.«

Mr. Forsyth zuckte die Achseln und wendete sich wieder an Francis.

»Ich habe Ihnen auch schon geantwortet, Onkel, sagte dieser. Ja, ich gehe jeden Tag dorthin.

– Nach allem, was der Doktor mir angetan hat! rief Mr. Dean Forsyth.

– Was hat er Ihnen denn getan?

– Er hat sich zu entdecken unterstanden ...

– Was Sie selbst entdeckt hatten, und was zu entdecken jedermann das Recht hatte. Um was in aller Welt handelt es sich denn ...? Um eine Feuerkugel, wie deren Tausende bei Whaston vorüberfliegen.

– Du verlierst deine Zeit, mein Söhnchen. Du siehst ja, daß dein Onkel ganz versessen ist auf seinen Kiesel, von dem er doch nicht mehr Wesens machen sollte, wie von dem Prellstein an unserem Hause.«

So drückte sich Mitz in ihrer derben Sprechweise aus. Und Mr. Dean Forsyth, den diese Sprache noch mehr reizte, zu einem Manne machte, der sich nicht mehr zu beherrschen weiß, polterte in seiner Wut hervor:

»Schön, Francis! Doch ich, ich verbiete dir hiermit, noch weiter einen Fuß auf die Schwelle des Doktors zu setzen!

– Ich bedaure, Ihnen da nicht gehorchen zu können, erklärte Francis Gordon, der seine Ruhe, so empörte ihn ein solches Verlangen, nur mit Mühe bewahrte. Ich sage Ihnen im voraus, ich gehe doch dahin.

– Ja ja, er wird gehen, rief die alte Mitz, und wenn Sie uns auch zu Stücken zerhackten.«

Mr. Forsyth widmete dieser furchtlosen Erklärung keine Antwort.

»Du bestehst also auf deinem Vorhaben? fragte er den Neffen.

– Ja, lieber Onkel, bestätigte dieser.

– Und du gedenkst noch immer, die Tochter dieses Diebes zu heiraten?

– Gewiß; davon wird mich nichts in der Welt abhalten.

– Nun, das werden wir ja sehen!«

Nach diesen Worten, den ersten, die darauf hinwiesen, daß er sich der Heirat widersetzen wollte, verließ Forsyth das Zimmer und wandte sich nach der Turmtreppe, deren Tür er krachend hinter sich zuschlug.

Daß Francis Gordon entschlossen war, die Familie Hudelson wie gewöhnlich aufzusuchen, unterlag ja keiner Frage. Wie aber, wenn ihm, nach dem Beispiele Mr. Dean Forsyths, auch der Doktor sein Haus verbot? Ließ sich nicht alles befürchten von den zwei Feinden, die durch gegenseitige Eifersucht, durch den Haß der Erfinder, diesem schlimmsten Hasse, geblendet waren?

Welche Mühe hatte Francis Gordon heute, seine Traurigkeit zu verbergen, als er sich wieder bei Mrs. Hudelson und ihren beiden Töchtern befand! Von dem peinlichen Auftritt zu Hause wollte er hier nicht sprechen. Wozu auch noch die Unruhe der Familie vermehren, da er ja fest entschlossen war, den Weisungen seines Onkels nicht zu folgen, wenn dieser auch ferner darauf bestände.

Hätte es denn wirklich ein vernunftbegabtes Wesen begreifen können, daß die Vereinigung zweier Verlobter wegen einer Feuerkugel verhindert oder mindestens verzögert werden könnte? Selbst wenn Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson sich weigerten, bei der Trauung einander gegenüber zu treten, gut, so würde man auch ohne sie auskommen. Ihre Anwesenheit war ja nicht unumgänglich nötig, wenn sie nur ihre Zustimmung nicht verweigerten. Das galt vor allem von dem Doktor, denn während Francis Gordon nur der Neffe seines Onkels war, war Jenny ja die Tochter ihres Vaters und hätte sich gegen seinen Willen nicht verheiraten können. Wollten die beiden Wütenden einander aber erst nachher »auffressen«, so hätte das den Reverend O'Garth gewiß nicht verhindert, seines Amtes in der Saint-Andrewkirche zu walten.

Wie zur Rechtfertigung dieses optimistischen Gedankenganges verliefen noch einige Tage ohne weitre Veränderung der Lage. Das Wetter blieb immer schön und kaum jemals war der Himmel Whastons so dauernd heiter gewesen. Außer einem leichten Bodennebel am Morgen und am Abend, der sich nach dem Aufgange und dem Untergange der Sonne zerstreute, trübte kein Wölkchen die Reinheit der Atmosphäre, durch die die Feuerkugel ihre regelmäßige Bahn zog.

Wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß die Herren Forsyth und Hudelson sie auch jetzt mit den Blicken verschlangen, daß sie die Arme ausstreckten, wie um sie zu packen, ja daß sie das Meteor gleichsam einzuatmen suchten. Gewiß wäre es besser gewesen, wenn dieses sich hinter einer dicken Wolkenschicht verborgen hätte, da sein Anblick die beiden Gegner nur noch mehr erregte. Ehe Mitz zu Bett ging, drohte sie auch jeden Abend dem Himmel mit geballter Faust. Vergeblich. Das Meteor verfolgte immer seinen leuchtenden Bogen am sternbesäten Firmamente.

Was die Sachlage weiter zu verschlimmern anfing, war die jeden Tag deutlicher hervortretende Einmischung der Allgemeinheit in diese private Streitigkeit. Entweder nur lebhaft oder geradezu mit Feuereifer nahmen die Tageszeitungen für Dean Forsyth oder für Hudelson Partei. Indifferent blieb keine einzige. Obgleich von einer Frage der Priorität ja kaum noch die Rede sein konnte, wollte doch niemand von deren Erörterung ablassen. Von der Höhe des Turmes und der Warte reichte der Streit hinunter bis in die Bureaux der Redaktionen und drohte überall ernste Verwicklungen hervorzurufen. Bereits forderte man zu öffentlichen Versammlungen auf, wo über die Sache verhandelt werden sollte, und da würde es bei dem ungestümen Charakter der Bürger des freien Amerikas gewiß zu heftigen Auseinandersetzungen kommen.

Mrs. Hudelson und Jenny fühlten sich wegen dieser allgemeinen Erregung recht beunruhigt. Loo bemühte sich vergebens, ihrer Mutter, und Francis ebenso vergebens, seiner Verlobten gut zuzureden. Es ließ sich nicht verheimlichen, daß die beiden Rivalen unter dem Einflusse der bedauerlichen Hetzereien immer mehr in Hitze gerieten. Man stritt erbittert über die – falschen oder wahren – Auslassungen des Mr. Dean Forsyth und ebenso über die glaubhaften und unglaubhaften Worte, die Mr. Hudelson geäußert haben sollte, und von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde gestaltete sich die Lage bedrohlicher.

Unter diesen Verhältnissen ertönte plötzlich ein Donnerschlag, der sozusagen in der ganzen Welt seinen Widerhall fand.

War das Meteor vielleicht explodiert und hatte alle Echos des Himmelsgewölbes wachgerufen?

O nein! Es handelte sich einfach um eine Nachricht von besonderer Art, die der Telegraph und das Telephon mit elektrischer Geschwindigkeit in allen Republiken und Königreichen der Alten und der Neuen Welt verbreiteten.

Diese Nachricht kam aber nicht von der Warte des Mr. Hudelson oder vom Turme Dean Forsyths her; ebensowenig stammte sie aus einer der Sternwarten in Pittsburg, Boston oder Cincinnati. Diesmal war es die Pariser Sternwarte, die das Aufsehen der ganzen zivilisierten Welt dadurch erregte, daß sie der »Presse« folgende Mitteilung geliefert hatte:

»Die Feuerkugel, die der Aufmerksamkeit der Observatorien in Cincinnati und Pittsburg von zwei angesehenen Bürgern der Stadt Whaston (Staat Virginien) empfohlen worden war und die ihren Kreislauf um die Erdkugel bisher vollkommen regelmäßig einzuhalten scheint, ist auf allen Sternwarten der Erde von einem ganzen Heere hervorragender Astronomen beobachtet worden, deren Kompetenz ihresgleichen nur in dem bewundernswürdigen Eifer findet, mit dem sie sich in den Dienst der Wissenschaft gestellt haben.

»Wenn trotz dieser sorgfältigen Beobachtungen doch noch manche dunkle Punkte des Problems aufzuhellen sind, ist das dem Pariser Observatorium doch mit einem davon gelungen, nämlich die Natur des Meteors zu erkennen.

»Die von der Feuerkugel ausgehenden Strahlen sind der Spektralanalyse unterzogen worden, und die Anordnung der Linien im Spektrum hat es ermöglicht nachzuweisen, woraus dieses blendende Meteor besteht.

»Sein Kern, den eine glänzende Hülle umgibt und von dem die beobachteten Strahlen ausgehen, ist nicht von gasiger, sondern zweifellos von fester Art. Er besteht auch weder aus Magneteisen, wie so viele Aerolithen, noch aus einer der chemischen Zusammensetzungen, die sonst diese umherschweifenden kleinen Himmelskörper aufweisen.

»Diese Feuerkugel besteht aus Gold, aus reinem Golde, und wenn man ihren Wert bisher nicht hat bestimmen können, liegt das nur daran, daß es unmöglich war, die Größe ihres Kernes mit hinlänglicher Genauigkeit zu messen!«

So lautete die Mitteilung, die der ganzen Welt zur Kenntnis gegeben wurde. Welche Wirkung sie hervorbrachte, läßt sich viel leichter vorstellen als beschreiben. Eine goldene Kugel, eine Masse aus dem kostbaren Metall, deren Wert sich auf viele Milliarden belaufen mußte, umkreiste die alte Erde! Zu welchen Träumen mußte ein so sensationelles Vorkommnis verleiten! Welche Begierden mußte es in der ganzen Welt erwecken, und besonders hier in der Stadt Whaston, der die Ehre der Entdeckung zukam, vor allem aber in den Herzen ihrer zwei, künftig unsterblichen Bürger, die den Namen Dean Forsyth und Sydney Hudelson trugen.


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