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Bericht über den Ausflug. – Beschluß, den »Sloughi« aufzugeben. – Entladung und Zerlegung der Yacht. – Ein Sturmwind als Helfer. – Unter dem Zelte gelagert. – Construction eines Flosses. – Beladung und Einschiffung. – Zwei Nächte auf dem Rio. – Ankunft in French-den.
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Den Empfang, welchen Briant und seine drei Gefährten fanden, wird man sich leicht vorstellen können. Gordon, Cross, Baxter, Garnett und Webb eilten ihnen mit offenen Armen entgegen, während die Kleinen sich an ihren Hals klammerten. Phann betheiligte sich ebenfalls an diesem herzlichen Willkommen, indem er durch sein freudiges Bellen die Hurrahs der Kinder begleitete. Ja, diese Abwesenheit hatte lange gedauert!
»Haben sie sich verirrt? . . . Sind sie Eingebornen in die Hände gerathen oder etwa von gefährlichen Raubthieren angefallen worden?« . . . so etwa fragten sich Alle, die hier auf dem »Sloughi« zurückgeblieben waren.
Doch Briant, Doniphan, Wilcox und Service waren jetzt ja heil und gesund zurückgekehrt und Jeder wollte erfahren, was sie bei ihrem Ausfluge erlebt und gesehen hatten. In Anbetracht ihrer nach einer so langen Tageswanderung erklärlichen Erschöpfung wurde die Berichterstattung jedoch bis zum nächsten Morgen verschoben.
»Wir sind auf einer Insel!«
Das war Alles, was Briant vorläufig meldete, und erschien auch hinreichend, um seinen Genossen die Zukunft mit ihren vielen und beunruhigenden Zufälligkeiten vor Augen treten zu lassen. Trotzdem nahm Gordon diese Nachricht ohne sonderliche Erregung auf.
»Gut! Das hatt' ich mir immer gedacht,« schien er sagen zu wollen, »und deshalb ängstigt es mich nicht aufs neue.«
Am anderen Morgen – mit dem Tagesanbruch des 5. April – traten die Großen, nämlich Gordon, Briant, Doniphan, Baxter, Cross, Wilcox, Service und Webb, denen sich noch Moko, dessen Rath auch nicht zu verachten war, anschloß, auf dem Vorderdeck der Yacht zusammen, während die Anderen noch schlummerten. Briant und Doniphan nahmen abwechselnd das Wort und setzten ihre Kameraden von allem Vorgegangenen in Kenntniß. Sie schilderten, wie ein über einen Bach gelegter Weg von Steinplatten und die unter einem Dickicht versteckten Reste einer Ajoupa ihnen den Glauben erweckt hätten, daß das Land bewohnt sei oder doch gewesen sei. Sie erklärten, daß die von ihnen früher für das Meer gehaltene weit ausgedehnte Wasserfläche sich als Binnensee erwiesen und wie verschiedene Zeichen sie bis zu der Höhle und nahe an die Stelle geführt, wo der Rio aus jenem Seebecken abfloß, wie die Gebeine François Baudoin's, eines gebornen Franzosen, entdeckt wurden, und endlich, wie eine von jenem Schiffbrüchigen entworfene Karte sie belehrt habe, daß es eine Insel sei, an der ihr »Sloughi« gestrandet war.
Dieser Bericht wurde ganz eingehend abgestattet, ohne daß weder Briant noch Doniphan dabei die geringste Einzelheit übergingen. Durch Betrachtung der mitgebrachten Karte erkannten nun Alle, daß ihnen Rettung nur von außerhalb kommen könne.
Wenn sich ihnen die Zukunft hiermit in recht düsteren Farben darstellte und die jungen Schiffbrüchigen ihre Hoffnung nur noch auf Gott setzen konnten, so war doch – es verdient das besondere Hervorhebung – Gordon derjenige, der deshalb am wenigsten erschrak. Der junge Amerikaner besaß keine Familie, die ihn auf Neuseeland erwartete. Bei seiner praktischen Geistesrichtung, seiner methodischen und organisatorischen Natur hatte die Aufgabe, sozusagen eine kleine Colonie zu bilden, für ihn nichts Erschreckendes. Er sah darin vielmehr eine Gelegenheit, seinem natürlichen Geschmacke genug zu thun, und zögerte nicht, die Zuversicht seiner Kameraden wieder dadurch zu stärken, daß er ihnen, wenn sie ihm nur folgen wollten, ein erträgliches Leben in Aussicht stellte.
Da die Insel eine ziemlich große Ausdehnung zeigte, erschien es anfänglich undenkbar, daß dieselbe auf der Karte des Stillen Weltmeeres in der Nähe des Festlandes Südamerikas nicht angeführt sein sollte. Nach sorgfältiger Einsicht des Stieler'schen Atlas erkannte man, daß dieser keine irgend bedeutendere Insel außerhalb der Archipele angab, welche Feuerland und der Gegend der Magellanstraße vorlagern, d. s. die Insel Desolation, der Königin Adelaide, Clarence u. s. w. Gehörte die Insel aber zu diesen Archipelen, welche überall nur schmale Wasserstraßen zwischen sich lassen und auch dem Festlande nahe liegen, so hätte François Baudoin diese gewiß auf seiner Karte angedeutet, was doch nicht der Fall war. Die Insel mußte also vereinzelt und jedenfalls mehr nördlich oder südlicher von jenen Meerestheilen liegen. Ohne hinreichende Unterlagen und geeignete Instrumente blieb es aber unmöglich, ihre Lage im Stillen Ocean zu bestimmen.
Jetzt galt es nur, sich endgiltig einzurichten, ehe die schlechtere Witterung jeden Ortswechsel verhinderte.
»Das Beste wird es sein, wir richten uns als Wohnung die Höhle ein, welche wir am Strande des Sees gefunden haben,« sagte Briant. »Sie wird uns ein vortreffliches Obdach bieten.«
»Ist sie auch geräumig genug, um uns Alle aufzunehmen?« fragte Baxter.
»Das zwar nicht,« antwortete Doniphan; »dagegen glaub' ich, daß sie sich unschwer vergrößern läßt, indem wir aus der lockeren Felsmasse noch eine zweite Höhle ausbrechen, Werkzeuge dazu haben wir . . .«
»Nehmen wir sie zuerst, wie sie gerade ist,« warf Gordon ein; »selbst wenn es darin etwas eng herginge . . .«
»Und trachten wir danach,« fügte Briant hinzu, »uns möglichst bald dahin zu begeben.«
In der That erschien das sehr dringend. Wie Gordon schon erwähnte, mußte der Schooner von Tag zu Tag unwohnlicher werden. Die letzten Regen, nach welchen sich noch ziemlich starke Hitze einstellte, hatten sehr merkbar dazu beigetragen, die Fugen des Rumpfes wie des Verdeckes zu lösen. Die zerrissene Segeltuchhülle ließ Wasser und Luft in das Innere eindringen. Unter dem Kiele waren fernere einzelne Vertiefungen entstanden, wohl verursacht durch Wasserfäden, welche vom Regenwetter her über das Vorland rannen, und in Folge dessen nahm die geneigte Lage der Yacht noch mehr zu, während diese gleichzeitig in den leicht beweglichen Boden tiefer einsank. Wenn ein Sturm, wie er zur jetzigen Zeit der Tagundnachtgleiche jeden Tag zu erwarten war, über die Küste hereinbrach, so mußte man fürchten, den »Sloughi« binnen wenigen Stunden in Trümmern gehen zu sehen. Es handelte sich also nicht allein darum, diesen ohne Zögern zu verlassen, sondern ihn auch ordnungsmäßig zu zerlegen, und Alles, was von Nutzen sein konnte, wie Planken, Bohlen, Eisenzeug, Kupfer u. s. w. zu gewinnen, um damit French-den (die Franzosengrotte) auszustatten. Vorstehenden Namen hatte man nämlich der uns bekannten Höhle zum Andenken an den schiffbrüchigen Franzosen beigelegt.
»Wo werden wir aber bis zur Zeit wohnen, ehe wir dort Unterkommen gefunden haben?« fragte Doniphan.
»Unter einem Zelte,« antwortete Gordon, »einem Zelte, das wir am rechten Ufer des Rio unter den Bäumen aufschlagen.«
»Das ist wohl das Beste,« meinte Briant, »und wir wollen unverzüglich an die Ausführung gehen.«
Die Abtragung der Yacht, das Ausladen des Materials und Proviants, sowie endlich der Bau eines Flosses – Alles das erforderte wenigstens einen Monat Arbeit, und ehe die Sloughi-Bai verlassen werden konnte, mußten die ersten Tage des Mai herankommen, welche den ersten Novembertagen, also dem Anfange des Winters, auf der nördlichen Halbkugel der Erde entsprechen.
Mit gutem Grunde hatte Gordon das Ufer des Rio zur Errichtung des neuen Lagerplatzes erwählt, denn der Transport des gesammten Besitzthumes sollte später zu Wasser erfolgen. Kein anderer Weg wäre so kurz und so bequem gewesen. Durch den Wald oder über das Nebengelände des Rio hin alles das zu befördern, was nach Zerlegung der Yacht vorhanden war, hätte als eine ganz undurchführbare Arbeit erscheinen müssen. Dagegen gelangte während mehrerer Gezeitenwechsel, unter Ausnützung der bis zum See hier ansteigenden Fluth, ein Floß gewiß ohne besondere Anstrengung ihrerseits zum Ziele.
Bekanntlich bot der Rio, wie Briant sich überzeugt hatte, in seinem oberen Laufe keinerlei Hindernisse, weder Wasserfälle, noch Stromschnellen oder Sandbänke. Um nun auch den Unterlauf von der Schlammlache bis zur Mündung kennen zu lernen, wurde ein weiterer Ausflug, diesmal aber mit der Jolle, unternommen. Briant und Moko erkannten dabei, daß auch diese Strecke vollkommen schiffbar sei. Hier bot sich also eine natürliche Verkehrsstraße zwischen der Sloughi-Bai und French-den.
Die nächsten Tage fanden zur Einrichtung des Lagers am Ufer des Rio Verwendung. Die unteren Aeste zweier Buchen dienten, durch lange Stangen mit denen einer dritten verbunden, als Stützen für das Reserve-Großsegel der Yacht, das man an der Seite bis zur Erde herabfallen ließ. Unter das Zeltdach, welches durch Stricke haltbar befestigt wurde, schaffte man das Bettzeug, die nothwendigsten Geräthe, die Waffen nebst der Munition und die Proviantballen. Da das Floß aus den Bruchstücken der Yacht hergestellt werden sollte, mußte man sich damit bis zu deren vollständiger Zerlegung gedulden.
Ueber das fortwährend trocken bleibende Wetter war keine Klage zu führen. Erhob sich zuweilen der Wind, so wehte er von der Landseite her, und die Arbeit ging dabei unter günstigen Verhältnissen vor sich.
Gegen den 15. April befand sich auf dem Schooner nichts mehr als die zu schweren Gegenstände, welche erst nach der Demolirung desselben gelöscht werden konnten – unter anderem die als Ballast dienenden Bleibarren, die Wassertonnen im unteren Schiffsraume, das Gangspill und die Herdeinrichtung, zu deren Fortschaffung es geeigneter Hebeapparate bedurfte. Das ganze Takelwerk dagegen, der Fockmast, die Raaen, die Wanten, ferner Ketten, Wurfanker, Kabel, Taue, Kabelgarn und dergleichen, wovon sich an Bord ein großer Vorrath fand, war schon nach und nach in die Nähe des Zeltes geschleppt oder getragen worden.
Es versteht sich von selbst, daß trotz dieser sehr dringlichen Arbeiten die Beschaffung der täglichen Bedürfnisse nicht vernachlässigt wurde. Doniphan, Webb und Wilcox widmeten stets einige Stunden der Jagd auf Felsentauben und anderes Federwild, das vom Sumpfe aus hierher kam. Die Kleinen beschäftigten sich mit der Einsammlung von Schalthieren, sobald zur Ebbezeit der Obertheil der Klippenbank trocken lag. Es war eine Freude, Jenkins, Iverson, Dole und Costar gleich einer Heerde von Küchlein zwischen den Wasserlachen umhertrippeln zu sehen. Freilich wurden sie dabei zuweilen etwas weiter naß, als nur an den Füßen, und der etwas strenge Gordon hielt ihnen dann eine ernste Strafpredigt, während Briant sie nach Kräften entschuldigte. Jacques arbeitete wohl auch mit seinen jungen Genossen, doch ohne je in deren sorgloses Gelächter einzustimmen.
So schritt die Arbeit nach Wunsch und nach gewisser Methode vor sich, in der man leicht die Einwirkung Gordon's erkannte, dessen praktischer Sinn ihn niemals im Stiche ließ. Was Doniphan übrigens von diesem ruhig annahm, das hätte er weder Briant noch einem Anderen zugestanden. Kurz, jetzt herrschte eine löbliche Eintracht in dieser kleinen Welt.
Man mußte sich jedoch beeilen. Die zweite Hälfte des April war weniger schön, und die Mitteltemperatur sank nicht unbeträchtlich, ja, mehrmals wies die Thermometersäule am frühen Morgen auf Null. Der Winter meldete sich an, und mit ihm erschien gewiß sein Gefolge von Hagel, Schnee und Sturmwinden, welche in den höheren Breiten des Stillen Oceans oft mit furchtbarer Gewalt auftreten.
Aus Vorsicht mußten sich jetzt Kleine und Große wärmer bekleiden und wollene Unterkleider, Hosen aus dichtem Stoffe und Wollenjacken anlegen, welche für die rauhe Winterzeit auf dem Schiffe stets vorräthig gehalten wurden. Es bedurfte nur eines Einblickes in Gordon's Notizbuch, um zu wissen, wo diese nach ihrer Art und Größe classificirten Kleidungsstücke zu finden waren. Briant nahm sich hierbei vorzüglich der Kleinen an; er sorgte, daß sie keine kalten Füße bekamen und sich, wenn sie schwitzten, nicht der scharfen Luft aussetzten. Beim geringsten Schnupfen hielt er sie unter Dach zurück und ließ sie in der Nähe eines Tag und Nacht unterhaltenen Feuers schlafen. Wiederholt mußten Dole und Costar so, wenn nicht im Zimmer, doch im Zelte bleiben und Moko versorgte sie mit einem Theeaufguß, zu dem die Apotheke des Schooners die Droguen lieferte.
Nachdem die Yacht ihres gesammten Inhalts entledigt war, nahm man deren, übrigens in allen Theilen krachenden Rumpf in Angriff.
Die Kupferbleche des Beschlages wurden sorgsam abgelöst, um in French-den Verwendung zu finden. Zangen und Hämmer thaten nun ihre Schuldigkeit, um die Beplankung abzutrennen, welche große Nägel und Holzpflöcke an den Spanten (Rippen) hielten. Das war ein schweres Stück Arbeit, vorzüglich für so ungeübte Hände und noch minder kräftige Knabenarme. Die Zerlegung ging denn auch nur langsam vor sich, bis am 25. April ein stürmischer Wind den Arbeitern zu Hilfe kam.
Trotz der schon eingetretenen kalten Jahreszeit zog nämlich in der Nacht ein heftiges Gewitter auf, welches sich schon durch die Trübung des Storm-glaß angemeldet hatte. Grell leuchteten die Blitze durch die Atmosphäre und von Mitternacht bis Tagesanbruch setzte das Donnerrollen fast gar nicht aus. Zum Glück regnete es dabei nicht, doch machte es sich zwei- oder dreimal nothwendig, das Zelt zu halten, um es gegen das Wüthen des Windes zu schützen.
Wenn dasselbe, Dank den Bäumen, an denen es befestigt war, noch widerstand, so war nicht dasselbe der Fall mit der den anstürmenden Wogen unmittelbar ausgesetzten Yacht, welche unausgesetzt von schäumendem Wasser überfluthet wurde.
Das vollendete ihre Zerstörung. Die losgeschlagene Beplankung, die schon gelockerten Rippen und der durch wiederholtes Aufstampfen geborstene Kiel schwammen bald als Wrackstücke umher. Zu beklagen war das nicht, denn die zurückfluthenden Wellen rissen doch nur einen kleinen Theil dieser Trümmer mit sich fort, welche zum größten Theile durch die Klippenhäupter aufgehalten wurden. Das Eisenzeug aber mußte unter dem Triebsande leicht wieder aufgefunden werden.
Mit dieser Aufgabe beschäftigten sich Alle an den nächstfolgenden Tagen. Bohlen und Planken sowie die Ballaststücke aus dem Raume lagen wie die übrigen zu schwer fortzuschaffenden Gegenstände da und dort umher. Es handelte sich jetzt nur noch darum, sie nach dem rechten Ufer des Rio, wenige Schritte vom Zelte hin, zu befördern.
In der That eine schwere Aufgabe, die aber doch mit der Zeit und mit großer Anstrengung glücklich gelöst wurde. Es bot ein merkwürdiges Bild, Alle zu sehen, wie sie sich vor ein schweres Holzstück gespannt hatten und dasselbe unter großem Geschrei weiter bugsirten. Man half sich dabei wohl auch mit Stangen, welche als Hebel dienten, oder mit Stücken von Rundholz, auf dem die schwersten Gegenstände hingerollt wurden. Am schwierigsten gestaltete es sich, das Gangspill, ferner die Kochmaschine und die Wasserbehälter aus Eisenblech an Ort und Stelle zu schaffen. Warum fehlte diesen Kindern ein erfahrener Mann, der sie hätte anführen können! Hätte Briant seinen Vater und Garnett den seinigen zur Seite gehabt, so würden der Ingenieur und der Seecapitän ihnen so manche Mißgriffe erspart haben, die sie begingen und noch begehen sollten. Baxter, der für mechanische Arbeiten besonders gute Anlagen hatte, entwickelte jetzt übrigens ebensoviel Geschicklichkeit wie Feuereifer. Auf sein und auf Moko's Anrathen wurde auf dem Strande an eingerammten Pfählen eine Zugwinde angebracht, was die Kräfte der jungen Arbeitsmannschaft verzehnfachte und dadurch die Bewältigung ihrer Aufgabe wesentlich erleichterte.
Am Abende des 28. hatte man Alles, was vom »Sloughi« übrig war, nach dem Lagerplatze befördert. Damit war das Schlimmste überstanden, insofern ja der Rio selbst das gesammte Material bis French-den tragen sollte.
»Von morgen an,« sagte Gordon, »beginnen wir mit der Herstellung unseres Flosses.«
»Ja,« antwortete Baxter, »und um uns das Zuwasserlassen desselben zu ersparen, schlag' ich vor, es gleich auf dem Rio selbst zusammenzuzimmern.«
»Das dürfte nicht gerade bequem sein,« bemerkte Doniphan.
»Thut nichts, wir versuchen es,« erwiderte Gordon. »Macht uns auch die Herstellung mehr Schwierigkeiten, so brauchen wir es dann doch nicht erst vom Stapel laufen zu lassen.«
Ein derartiges Vorgehen schien allerdings vorzuziehen zu sein, und so legte man denn am nächsten Morgen die Grundbalken des Flosses, das ziemlich groß bemessen werden mußte, um eine schwere und umfängliche Ladung aufzunehmen.
Die vom Schooner losgelösten Planken, der in zwei Stücken zerbrochene Kiel, der Fockmast, das Bodenstück des drei Fuß über Deck abgebrochenen Großmastes, die Kreuzhölzer und das sogenannte Eselshaupt, das Bugspriet, die Großraa des Focksegels und verschiedenes Andere war nach einer Stelle am Ufer geschafft worden, welche die Fluth nur zur Zeit des höchsten Wasserstandes erreichte. Man wartete diesen Zeitpunkt ab, und nach Aufhebung dieser Gegenstände durch die Fluthwelle schob man sie vollends auf den Rio hinaus. Hier wurden die längsten gerade neben einander gelegt und, nachdem sie mit kürzeren Querstücken verbunden waren, fest am Lande vertäut.
So erhielt man eine feste Grundlage von etwa dreißig Fuß Länge und fünfzehn Fuß Breite. Den ganzen Tag über wurde ohne Unterbrechung fortgearbeitet und vor Einbruch der Nacht war das Bauwerk fertig. Briant gebrauchte noch die Vorsicht, es auch an einigen Uferbäumen festzulegen, um ebenso zu verhindern, daß es von der nächsten Fluth stromaufwärts nach French-den zu, wie von der Ebbe stromabwärts nach dem Meere zu weggeführt werden könne.
Erschöpft von der Anstrengung eines so mühevollen Tagewerkes, aßen Alle mit Löwenhunger zu Abend und sanken bald in tiefen Schlaf.
Am folgenden Morgen, dem 30., ging Jeder wieder an die Arbeit.
Es handelte sich jetzt darum, eine Plattform auf der Grundlage des Flosses herzustellen. Hierzu dienten die Planken der Bordwand und der Schanzkleidung des »Sloughi«. Mit kräftigen Hammerschlägen eingetriebene Nägel und unter den einzelnen Stücken verknüpfte Taue bildeten haltbare Befestigungen des Ganzen.
Diese Arbeit erforderte, obwohl Jeder sich beeilte, da ja keine Stunde zu verlieren war, doch drei volle Tage. Schon zeigten sich einzelne Krystallisationen auf den Wassertümpeln zwischen den Klippen und selbst am Rande des Rio. Der Schutz, den das Zelt gewährte, fing trotz eines stets unterhaltenen Feuers an, unzureichend zu werden, und kaum konnten Gordon und seine Kameraden sich der Kälte dadurch erwehren, daß sie, in ihre Decken gewickelt, sich dicht an einander drängten. Das trieb sie also doppelt an, ihre Arbeiten zu vollenden, um die wohnliche Einrichtung von French-den zu beginnen. Hier hoffte man wenigstens, der Strenge des Winters, die unter diesen hohen Breiten sehr fühlbar wird, Trotz bieten zu können.
Selbstverständlich war die Plattform so haltbar als möglich hergerichtet worden, um sich unterwegs nicht lockern zu können, was die Versenkung des ganzen Materials im Bette des Rio zur Folge gehabt hätte. Um einem solchen Unfalle vorzubeugen erschien es besser, die Abfahrt um vierundzwanzig Stunden hinauszuschieben.
»Doch haben wir,« bemerkte Briant, »ein Interesse daran, nicht bis über den 6. Mai zu warten.«
»Und warum,« fragte Gordon?
»Weil übermorgen Neumond ist,« erklärte Briant, »und weil die Gezeiten da während einiger Tage bedeutender auftreten. Je stärker die Fluth aber anschwillt, desto mehr unterstützt sie uns bei der Bergfahrt auf dem Rio. Bedenke doch, Gordon, wenn wir genöthigt wären, dieses schwere Floß mittelst Schlepptau oder durch Stoßen mit Stangen fortzubewegen, vermöchten wir niemals die Strömung zu überwinden.«
»Du hast Recht,« antwortete Gordon; »binnen drei Tagen müssen wir spätestens aufbrechen.«
So kamen denn Alle überein, nicht zu ruhen, ehe die Arbeit vollendet wäre.
Am 3. Mai beschäftigte man sich mit der Ladung, welche sorgfältig vertheilt werden mußte, um das Floß im nöthigen Gleichgewichte zu halten. Jeder trug hierzu nach Kräften seinen Theil bei. Jenkins, Iverson, Dole und Costar wurden beauftragt, die kleineren Gegenstände, wie Werkzeuge, Geräthe und Instrumente nach der Plattform zu besorgen, wo Briant und Baxter diese nach Gordon's Angaben regelrecht niederlegten. Was die Gegenstände von beträchtlicherem Gewicht anging, wie der Kochofen, die Wasserbehälter, das Gangspill, das Eisenzeug, die Kupferbleche des Beschlages u. s. w., ferner die Ueberreste des »Sloughi«, wie die Krummhölzer der Spanten, die Reste der Schanzkleidung, die Deckbalken und Treppenkappen, so blieb den Großen diese schwerere Aufgabe überlassen. Dasselbe war der Fall bezüglich der Proviantballen, der Fässer mit Wein, Ale und Spirituosen, ohne mehrere Säcke mit Salz zu vergessen, das zwischen den Felsen der Bai eingesammelt worden war. Um das Einladen zu erleichtern, ließ Baxter zwei Stangen aufrichten, welche durch vier Taue gehalten wurden. Oben an diese Art Hebebock wurde dann ein Block angebracht, über den starke Seile nach einer weiter unten hängenden, frei beweglichen Rolle liefen, welche Anordnung es gestattete, die Gegenstände vom Erdboden abzuheben und sie ohne Stoß auf die Plattform niedersinken zu lassen.
Alle arbeiteten mit solcher Einsicht und solchem Eifer, daß am Nachmittag des 5. Mai jeder Gegenstand an seinem Platze war; jetzt brauchten also nur noch die Sorrtaue des Flosses gelöst zu werden. Das sollte am folgenden Morgen gegen acht Uhr geschehen, wenn der Eintritt der Fluth sich an der Mündung des Rio bemerkbar machte.
Vielleicht hatten die Knaben vermuthet, daß sie nach Vollendung der Arbeit bis zum Abend der wohlverdienten Ruhe pflegen könnten. Damit täuschten sie sich aber, denn ein Vorschlag Gordon's brachte sie noch einmal in Thätigkeit.
»Liebe Freunde,« sagte er, »da wir uns jetzt vom Meere entfernen, werden wir dasselbe nicht wie bisher überwachen können, und wenn sich ein Schiff der Insel näherte, wären wir nicht im Stande, ihm Signale zu geben. Es erscheint mir also rathsam, auf dem Steilufer einen Mast zu errichten und dort für immer eine unserer Flaggen aufzuziehen. Das wird hoffentlich genügen, die Aufmerksamkeit auf hoher See vorübersegelnder Schiffe zu erregen.«
Dieser Vorschlag fand Annahme und die zur Herstellung des Flosses nicht mitverwendete Fockmaststenge des Schooners wurde nach dem Fuße des Steilufers geschleppt, dessen Böschung in der Nähe des Rio eine gangbare, sanfte Steigung zeigte. Immerhin kostete es große Anstrengung, den sehr winkeligen Weg emporzuklimmen, der nach dem Kamme der Uferhöhe führte.
Es gelang das jedoch, und die Stenge wurde fest in den Erdboden eingerammt. Mittelst einer Zugleine hißte Baxter dann die Flagge Großbritanniens, welche Doniphan gleichzeitig mit einem Gewehrschusse begrüßte.
»Aha,« bemerkte Gordon gegen Briant, »der Doniphan nimmt im Namen Englands von der Insel Besitz.«
»Es sollte mich sehr wundern, wenn sie diesem nicht schon angehörte,« erwiderte Briant.
Gordon konnte nicht umhin, den Mund etwas zu verziehen, denn nach der Weise, wie man ihn gelegentlich von »seiner Insel« reden hörte, schien es, daß er diese für amerikanisches Besitzthum ansah.
Am folgenden Morgen mit Sonnenaufgang waren Alle auf den Füßen. Man beeilte sich, das Zelt abzubrechen und das Bettzeug auf das Floß zu schaffen, wo die Segelleinwand benutzt wurde, letzteres bis zum Endpunkt der Reise zu schützen. Es schien übrigens nicht, als ob von der Witterung etwas zu fürchten wäre. Immerhin hätte ein Umschlag des Windes die Dunstmassen des offenen Meeres über die Insel treiben können.
Um sieben Uhr waren die Vorbereitungen beendet. Die Plattform war so eingerichtet, daß sie nöthigenfalls zwei bis drei Tage als Aufenthalt dienen konnte. Den Mundvorrath betreffend, hatte Moko alles, was während der Fahrt voraussichtlich gebraucht wurde, für sich aufbewahrt, und auch darauf gesehen, daß er kein Feuer anzuzünden hatte.
Um acht Uhr Morgens nahmen Alle auf dem Floße Platz. Die Großen standen mit Bootshaken und Stangen versehen vornan, da das Floß nur durch solche, nicht aber durch ein auf die Strömung wirkungsloses Steuer regiert werden konnte.
Ein wenig vor neun Uhr machte sich die Fluth bemerkbar und ein dumpfes Krachen ließ sich in der Grundlage des noch an den Sorrtauen liegenden Floßes vernehmen. Nach diesem ersten Erzittern war aber eine weitere Lageveränderung seiner Theile nicht mehr zu befürchten.
»Achtung!« rief Briant.
»Achtung!« wiederholte Baxter.
Beide standen an den Tauen, welche das Floß am Vorder- und am Hintertheile fest hielten, und deren Ende wieder in ihre Hände zurücklief.
»Wir sind bereit!« rief Doniphan, der sich mit Wilcox auf dem vordersten Theile der Plattform hielt.
Nachdem er sich überzeugt, daß das Floß unter der Einwirkung der Fluth vorwärts trieb, rief Briant:
»Losgelassen!«
Das wurde unverzüglich ausgeführt und der nun frei gewordene Apparat trieb langsam zwischen den beiden Ufern hin und zog die Jolle noch im Schlepptau nach sich.
Es war eine große Freude, als Alle das Werk ihrer Hände in Bewegung sahen. Und wenn sie ein vollkommen seetüchtiges Schiff erbaut hätten, wäre ihre Befriedigung gewiß nicht größer gewesen; eine kleine Eitelkeit, die man ihnen wohl verzeihen kann.
Wie uns bekannt, stieg das rechte, mit Bäumen besetzte Ufer weit höher auf, als das linke mit seinem schmalen, längs des benachbarten Sumpfes verlaufenden Gelände. Das vorn natürlich stumpfe Floß von diesem Ufer, wo es leicht festfahren konnte, abzuhalten, war die Aufgabe Briant's, Baxter's, Doniphan's, Wilcox' und Moko's, der sie sich mit allen Kräften widmeten, vorzüglich da das entgegengesetzte Ufer des Rio es gestattete, dichter an demselben hinzugleiten.
Das Floß wurde also so viel als möglich nahe dem rechten Uferrande gehalten, an dem eine starke Strömung verlief und das einen Stützpunkt für die Bootshaken abgab.
Zwei Stunden nach der Abfahrt konnte der zurückgelegte Weg etwa auf eine Meile geschätzt werden. Einen Stoß hatte das Floß nicht erlitten, und so war zu erwarten, daß Alles ohne Beschädigung in French-den ankommen würde.
Jedenfalls bedurfte es aber nach der früheren Schätzung Briant's, daß einestheils der Wasserlauf vom See bis zur Mündung der Sloughi-Bai sechs Meilen maß und man anderntheils nur zwei Meilen während der wachsenden Fluth zurücklegen konnte, mehrerer Fluthepochen, ehe an ein Erreichen des Zieles zu denken war.
Gegen elf Uhr schon begann die Ebbe das Wasser stromabwärts zu führen, und man beeilte sich, den Apparat schleunigst festzulegen, um nicht nach dem Meere zurückgetragen zu werden.
Zwar wäre es möglich gewesen, gegen Ende des Tages wieder weiter zu fahren, wenn die nächste Fluth eintrat, damit aber hätte man sich in die Finsterniß hinaus gewagt.
»Ich meine, es wäre sehr unklug,« bemerkte Gordon, »denn wir würden damit das Floß Stößen aussetzen, die es zerstören könnten. Ich bin daher der Ansicht, wir warten bis morgen, um die erste Fluth wieder zu benützen.«
Dieser Vorschlag war zu vernünftig, um nicht allgemeine Billigung zu finden. Gebrauchte man auch vierundzwanzig Stunden mehr, so war das der Gefahr, die Sicherheit der werthvollen Ladung auf dem Rio zu vermindern, gewiß weit vorzuziehen.
Die Gesellschaft verweilte also einen halben Tag an dieser Stelle und blieb hier auch die ganze Nacht. Doniphan und seine gewöhnlichen Jagdbegleiter beeilten sich denn auch, gefolgt von Phann, am rechten Ufer an's Land zu gehen.
Gordon hatte ihnen empfohlen, sich nicht zu weit zu entfernen, und sie trugen auch dieser Ermahnung Rechnung. Da sie jedoch zwei Paar junge fette Trappen und eine Schnur voll Tinamus mitbrachten, so schien ihre Eigenliebe befriedigt. Auf Moko's Rath sollte dieses Wild für die erste Mahlzeit, ob Frühstück, Mittag- oder Abendbrod, aufbewahrt werden, das er in French-den zubereiten würde.
Während seines Jagdausfluges hatte Doniphan nicht das Geringste bemerkt, was auf die frühere oder neuerliche Anwesenheit menschlicher Wesen in diesem Theile des Waldes hingedeutet hätte. Von Thieren kamen ihm dabei nur große Vögel vor Augen, welche durch das Dickicht flüchteten, ehe er sie genau erkennen konnte.
Der Tag verstrich, und die ganze Nacht über wachten Baxter, Wilcox und Cross zusammen, stets bereit, gegebenen Falles die Leinen des Flosses fest anzuziehen oder ihnen beim Abfallen des Wassers mehr Spielraum zu geben.
Eine Störung kam nicht vor. Am folgenden Morgen, gegen neununddreiviertel Uhr, wurde bei steigender Fluth die Fahrt wieder unter den nämlichen Verhältnissen wie am Tage vorher fortgesetzt.
Die Nacht war kalt gewesen; der Tag war es nicht minder, und deshalb schien es höchste Zeit, ans Ziel zu gelangen. Was hätte aus ihnen werden sollen, wenn der Rio gar zum Stehen kam oder aus dem See abtreibende Eisschollen nach der Sloughi-Bai hinabschwammen? Das verursachte ihnen nicht geringe Unruhe, von der sie erst mit der Ankunft bei French-den erlöst werden konnten.
Und doch war es unmöglich, schneller als die Fluth vorwärts zu kommen, unmöglich gegen die Strömung anzukämpfen, wenn die Ebbe ablief, unmöglich also, mehr als eine Meile binnen einundeinerhalben Stunde zurückzulegen. Das war auch die mittlere Geschwindigkeit an diesem Tage. Gegen Mittag wurde auf der Höhe jener Schlammlache Halt gemacht, welche Briant bei der Rückkehr nach der Sloughi-Bai hatte umkreisen müssen. Etwa anderthalb Meilen weit drang die von Moko, Doniphan und Wilcox besetzte Jolle hin nach Norden vor und hielt erst an, als ihr das Wasser zu fehlen begann. Diese Schlammlache bildete gewissermaßen eine Fortsetzung des Sumpfes, der sich jenseits des linken Ufers ausdehnte, und sie schien sehr reich an Wasserwild zu sein. Doniphan konnte auch einige Bekassinen erlegen, welche neben den Trappen und Tinamus aufbewahrt wurden.
Es folgte eine ruhige, aber sehr kalte Nacht mit einer rauhen Brise, welche das Thal des Rio erfüllte. Auch bildete sich ein wenig Eis, das bei dem geringsten Stoß in Stücken ging oder sich auflöste. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln gestaltete sich der Aufenthalt an Bord nicht zu einem besonders angenehmen, obgleich Jeder bemüht gewesen war, sich unter den Segeln zu verkriechen. Bei einzelnen der Kinder, vorzüglich bei Jenkins und Iverson, kam die üble Laune laut zum Durchbruche, und diese beklagten sich darüber, das Lager auf dem »Sloughi« verlassen zu müssen, so daß Briant sie wiederholt beruhigen und ihnen guten Muth zusprechen mußte.
Am Nachmittage des nächsten Tages endlich kam das Floß mit Hilfe der bis einhalbvier Uhr anhaltenden Fluth in Sicht des Sees an und ging am Fuße des hohen Ufers vor dem Eingange von French-den ans Land.