Jules Verne
Zwei Jahre Ferien. Erster Band
Jules Verne

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IX.

Untersuchung der Höhle. – Möbel und Geräthe. – Die Bolas und der Lasso. – Die Uhr. – Ein fast unleserliches Heft. – Die Karte des Schiffbrüchigen. – Wo man sich befindet. – Rückkehr nach dem Lager. – Das rechte Ufer des Rio. – Das Schlammloch. – Gordon's Signal.

———

Briant, Doniphan, Wilcox und Service bewahrten tiefes Stillschweigen. Wer war der Mann, der hier seinen Tod gefunden? War es ein Schiffbrüchiger, dem bis zu seiner letzten Stunde keine Hilfe zutheil geworden? Welcher Nation gehörte er an? War er noch jung nach diesem Lande gekommen? War er erst alt darauf gestorben? Wie hatte er sich die nöthigsten Bedürfnisse verschaffen können? Wenn ein Schiffbruch ihn hierher verschlagen, waren Andere dabei mit dem Leben davon gekommen? Oder war er allein zurückgeblieben, nachdem seine Leidensgefährten vor ihm gestorben? Rührten die verschiedenen in der Höhle befindlichen Gegenstände von einem Schiffe her oder hatte er sie mit eigener Hand hergestellt?

Wie viele Fragen drängten sich hier Jedem unwillkürlich auf, deren Lösung vielleicht niemals gelingen sollte.

Eine derselben schien die wichtigste. Wenn es ein Festland war, auf dem dieser Mann Zuflucht gefunden, warum hatte er nicht eine Stadt des inneren Landes, nicht einen Hafen der Küste aufgesucht? Stellten sich seiner Rückkehr ins Vaterland so schwere Hindernisse entgegen, daß er dieselben nicht zu überwinden vermochte? War die Entfernung eine so große, daß diese jedes derartige Unternehmen vereitelte? Gewiß erschien nur, daß der Unglückliche, geschwächt durch Krankheit oder Alter, hier zusammengesunken war, daß er nicht mehr die Kraft besessen, sich nach seiner Höhle zu schleppen, und daß ihn der Tod am Fuße dieses Baumes ereilt hatte. – Und wenn ihm die Mittel gefehlt hätten, im Norden oder im Osten dieses Gebietes Rettung zu suchen, würden sie dann nicht auch den jungen Schiffbrüchigen vom »Sloughi« fehlen?

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls erschien es nothwendig, die Höhle genauer zu untersuchen. Wer weiß, ob sich da nicht vielleicht ein Schriftstück fand, das über diesen Mann, über seine Herkunft und die Dauer seines Verweilens hier, Aufschluß gab. – Andererseits mußte man auch zu erkennen versuchen, ob man sich nach dem Verlassen der Yacht hier für den Winter niederlassen könnte.

»Kommt mit!« sagte Briant.

In Begleitung Phanns drangen sie nun beim Schein eines anderen harzigen Zweiges durch die Oeffnung ein.

Der erste Gegenstand, der ihnen hier auf einem Brett an der Wand in die Augen fiel, erwies sich als ein Paket dicker Kerzen, welche aus Fett und zerfasertem, lose gedrehtem Hanf hergestellt waren. Briant zündete eine derselben an, setzte sie in den hölzernen Leuchter, und die Untersuchung nahm nun ihren weiteren Fortgang.

Vor Allem handelte es sich jetzt um Ergründung der Ausdehnung und Gestalt der Höhle, an deren Bewohnbarkeit nicht zu zweifeln war.

Sie bestand aus einer geräumigen, wahrscheinlich schon seit Urzeiten gebildeten Ausweitung des Kalkfelsens. Von Feuchtigkeit zeigte sich dabei keine Spur, obgleich der Luftwechsel nur durch die einzige, nach dem Uferland zu gelegene Oeffnung stattfinden konnte.

Ihre Wände waren ebenso trocken, als wären sie von Granit aufgemauert gewesen, ohne die Spur jener krystallinischen Infiltrationen – jener Rosenkränze von erstarrten Tropfen, welche in verschiedenen Porphyr- und Basalthöhlen die bekannten Stalactiten bilden. Ihre Lage schützte sie schon allein gegen die Winde vom Meere. Tageslicht drang freilich nur sehr wenig herein, durch Herstellung einer öder zweier Oeffnungen mußte es jedoch leicht sein, diesem Uebelstande abzuhelfen, und auch den Innenraum für das Bedürfniß von fünfzehn Personen hinreichend zu lüften.

Was ihre Ausdehnung anging – fünfundzwanzig Fuß in der Breite und dreißig Fuß der Länge – so erschien diese Höhle zwar zu beschränkt, um gleichzeitig als Schlafraum, Speisekammer und allgemeine Niederlage zu dienen; es handelte sich jedoch nur darum, fünf bis sechs Wintermonate hierin zuzubringen, wonach man nach Nordosten hinausziehen wollte, um eine Stadt in Bolivia oder der Argentinischen Republik aufzusuchen. Sollte es dagegen nothwendig werden, sich hier einzurichten, so konnte man ja versuchen, dadurch mehr Raum zu schaffen, daß man die aus verhältnißmäßig lockerem Kalkstein bestehende Wand weiter aushöhlte, und wie dieses Obdach jetzt sich darbot, durfte man wohl bis zur Wiederkehr der besseren Jahreszeit damit zufrieden sein.

Nachdem er sich davon überzeugt, besichtigte Briant im einzelnen die in derselben vorhandenen Gegenstände. Es waren in der That wenig genug. Dieser Unglückliche mußte fast von Allem entblößt gewesen sein. Was hatte er von seinem Schiffbruche retten können? Nichts als formlose Wrackstücke, zerbrochene Sparren, Theile der Regeling, die ihn zur Herstellung jenes erbärmlichen Lagers, des Tisches, des Koffers, der Bank und jenes Schemels gedient hatten – das einzige Mobiliar dieser Wohnung! Minder begünstigt als die Ueberlebenden vom »Sloughi«, hatte er keine so vollständigen Mittel zur Hand gehabt. Einige Werkzeuge, eine Schaufel, eine Axt, zwei oder drei Küchengeräthe, ein kleines Tönnchen, das wohl Branntwein enthalten haben mochte, ein Hammer, zwei Bankmeißel und eine Säge – das war Alles, was man zunächst vorfand. Diese Gerätschaften hatte er offenbar in dem Boote gerettet, von dem jetzt nur noch wenige Trümmer nahe dem Damme des Rio umherlagen.

Das waren die Gedanken Briant's, die er seinen Kameraden mittheilte. Nach dem Gefühl des Schauderns, das sie beim Erblicken des Gerippes empfunden und sie daran mahnte, daß ihnen vielleicht ein ähnliches Ende in gleicher Verlassenheit bevorstand, kam ihnen doch der Gedanke, daß ihnen nichts von alledem fehlte, was diesem Unglücklichen gemangelt hatte, und diese Erkenntniß gab ihnen das frühere Vertrauen in die Zukunft wieder.

Doch, wer war nun dieser Mann? Woher stammte derselbe? Zu welcher Zeit hatte er Schiffbruch erlitten? Ohne Zweifel waren viele Jahre seit seinem Ableben verflossen. Der Zustand der am Fuße des Baumes gefundenen Knochen sprach dafür deutlich genug. Wies nicht außerdem das ganz von Rost zerfressene Eisen der Schaufel und des Bootsringes, die Dichtheit des Gebüsches, das den Eingang zur Höhle verdeckte, darauf hin, daß der Tod des Schiffbrüchigen schon vor sehr langer Zeit erfolgt sein mußte?

Sollte nicht ein weiteres Merkzeichen gestatten, diese Vermuthung zur Gewißheit zu erheben?

Bei fortgesetzter Untersuchung wurden in der That noch mehrere Gegenstände gefunden – ein zweites Messer, von dem mehrere Klingen abgebrochen waren, ein Zirkel, ein Siedekessel, ein eiserner Pflock, ein sogenanntes Schließeisen (ein Matrosenwerkzeug), dagegen kein einziges Schiffsinstrument, kein Fernrohr oder Compaß, ebenso keine Feuerwaffe, um Wild erlegen oder sich gegen Raubthiere oder Eingeborne vertheidigen zu können.

Da er nun doch hatte leben müssen, war jener Mann gewiß gezwungen gewesen, Fallen zu stellen. Ueber diesen Punkt erhielten sie noch einige Aufklärung, als Wilcox rief:

»Was ist denn das?«

»Ja, das hier?« fragte auch Service.

»Ein Kugelspiel?« sagte Briant nicht ohne Verwunderung.

Er erkannte jedoch sofort, welchem Zwecke die zwei runden Steine gedient hatten, die Wilcox eben aufhob. Sie bildeten ein Jagdgeräth und zwar sogenannte »Bolas«, welche aus zwei durch einen Strick verbundenen Kugeln bestehen und die von den Indianern Südamerikas vielfach gebraucht werden. Schleuderte eine geübte Hand diese Kugeln, so schlingen dieselben sich um die Füße des betreffenden Thieres, das dadurch eine leichte Beute des Jägers wird, weil es kaum mehr weiter fort kann.

Unzweifelhaft hatte der Bewohner dieser Höhle das genannte Geräth hergestellt, ebenso wie einen Lasso, das heißt einen langen Lederstreifen, der ganz so wie die Bolas nur auf kürzere Entfernung verwendet wurde.

Das war Alles, was sich von Gegenständen jeder Art in der Höhle vorfand, und in dieser Beziehung mußten sich Briant und seine Kameraden wirklich reich dünken. Freilich waren sie nur Kinder und jener war ein Mann gewesen.

Ob dieser Mann aber ein einfacher Matrose oder ein Officier gewesen war, der sich seine durch früheres Studium erworbenen Kenntnisse hier hatte zu nutze machen können, das hätte sich sehr schwierig entscheiden lassen, wenn nicht noch ein Schriftstück entdeckt worden wäre, welches nach dieser Seite eine unerwartet sichere Auskunft lieferte.

Am Kopfende des Lagers und unter einer Falte der von Briant zurückgeschlagenen Decke fand Wilcox eine Uhr, welche an einem in der Wand eingeschlagenen Nagel hing.

Die Uhr war von ziemlich feiner Arbeit und jedenfalls von besserer Art, als sie die Matrosen zu tragen pflegen. Sie hatte eine doppelte silberne Cüvette, an der mittels einer Kette aus demselben Metall noch der Uhrschlüssel hing.

»Die Stunde! . . . Seht nach, welche Stunde sie zeigt!« rief Service.

»Daraus würden wir auch nichts lernen,« erwiderte Briant, »auf jeden Fall ist diese Uhr schon mehrere Tage vor dem Ableben des Unglücklichen stehen geblieben.«

Mit einiger Mühe öffnete Briant den Deckel, dessen Gelenk ebenfalls oxydirt war, und konnte nun sehen, daß die Weiser auf drei Uhr siebenundzwanzig Minuten zeigten.

»Jede Uhr,« bemerkte Doniphan, »trägt aber einen Namen . . . Das könnte uns darüber aufklären . . .«

»Ja, Du hast Recht,« antwortete Briant.

Nachdem er das Innere des Deckels gemustert, konnte er einige eingravirte Worte lesen.

»Delpeuch, Saint-Malo« – lauteten sie, der Name und die Adresse des Fabrikanten.

»Es ist ein Franzose, ein Landsmann von mir gewesen!« rief Briant gerührt.

Es war nach Allem wohl anzunehmen, daß in dieser Höhle ein Franzose bis zu der Stunde gelebt hatte, wo der Tod ihn endlich von seinen Leiden erlöste.

Zu diesem Beweise kam bald noch ein anderer nicht minder entscheidender, als Doniphan, der das Lager etwas abgerückt hatte, von der Erde ein Schreibheft aufnahm, dessen vergilbte Blätter mit Bleistiftzeichen bedeckt waren. Leider war der größte Theil derselben unleserlich geworden. Einige Worte ließen sich jedoch entziffern und unter diesen der Name François Baudoin.

Das stimmte überein mit den beiden großen Buchstaben, welche in den Baum eingeschnitten waren. Dieses Heft war das Tagebuch seines Lebens gewesen und wohl von dem Zeitpunkt ab, da er an der Küste scheiterte. Unter den von der langen Zeit noch nicht völlig verlöschten Schriftzügen vermochte Briant auch noch die Worte »Duguay-Trouin« zu entziffern, offenbar der Name des Schiffes, das in dieser verlassenen Gegend des Stillen Weltmeeres einst zu Grunde gegangen war.

Ganz zu Anfang endlich stand eine Jahreszahl, dieselbe, welche unter den Anfangsbuchstaben »F. B.« zu lesen war, die wahrscheinlich das Jahr des Schiffbruches bezeichnete.

Es waren also dreiundfünfzig Jahre verflossen, seit François Baudoin an dieses Gestade gekommen war, und während der ganzen Dauer seines Aufenthaltes hier hatte er von außen keine Hilfe gefunden!

Wenn es aber François Baudoin nicht gelungen war, nach einem anderen Orte dieses Festlandes zu kommen, so mußten sich dem wohl unübersteigliche Hindernisse entgegengestellt haben.

Mehr als je trat den jungen Leuten jetzt der Ernst ihrer Lage vor Augen. Wie würden sie das Ziel erreichen, welches selbst ein Mann, ein Seefahrer, der an harte Arbeit gewöhnt und durch Anstrengungen gestählt war, das nicht vermocht hatte? Noch ein anderer Fund sollte ihnen da lehren, daß jeder Versuch, dieses Land zu verlassen, ein vergeblicher sein müsse.

Beim Durchblättern jenes Heftes entdeckte Doniphan noch ein lose zusammengefaltetes Stück Papier. Es war eine Landkarte, gezeichnet mit einer Art Tinte, welcher Jener sich wahrscheinlich aus Wasser und Ruß gemischt hatte.

»Eine Karte!« rief er.

»Welche François Baudoin jedenfalls selbst gezeichnet hat,« antwortete Briant.

»Wenn das der Fall ist, so könnte dieser Mann kein gewöhnlicher Matrose gewesen sein,« bemerkte Wilcox, »sondern einer der Officiere des »Duguay-Trouin«, da er im Stande war, eine Karte zu entwerfen . . .«

»Wäre das vielleicht gar eine Karte des? . . .« rief Doniphan.

Ja, es war eine Karte dieses Landes. Auf den ersten Blick erkannte man auf derselben die »Sloughi-Bai«, den Klippengürtel, den Strand, auf welchem sich ihr Lager zum Theil jetzt befand, den See, an dessen westlichem Ufer Briant mit seinen Kameraden herabgezogen war, die drei Eilande draußen im Meere, das Steilufer, das sich am Rande des Rio hin erstreckte, und die Wälder, von denen das ganze Gebiet des Innern bedeckt war.

Jenseits des entgegengesetzten Seeufers befanden sich noch andere Wälder, die sich bis zum Rande einer anderen Uferstrecke ausdehnten und dieses Ufer . . . begrenzte das Meer an seinem ganzen Umkreise.

Damit fielen also alle Pläne, nach Osten zu ziehen, um in dieser Richtung Rettung zu suchen, in sich zusammen!

Briant hatte damit gegen Doniphan Recht behalten!

Das Meer umrahmte von allen Seiten dieses vermuthete Festland! Es war eine Insel, und deshalb hatte François Baudoin von hier nicht wieder fortkommen können.

Auf der vorgefundenen Landkarte war es leicht zu erkennen, daß die allgemeinen Umrisse der Insel mit ziemlicher Genauigkeit wiedergegeben waren. Die Längenmaße konnten natürlich nur durch Schätzung gewonnen sein, vielleicht nach der zum Begehen derselben verwendeten Zeit und nicht durch die sonst übliche Triangulation; doch nach dem zu urtheilen, was Briant und Doniphan schon von dem Theile des Gebietes zwischen der Sloughi-Bai und dem See kannten, konnten die etwaigen Irrthümer nicht beträchtlich sein.

Die Karte selbst bewies ferner, daß der Schiffbrüchige seine ganze Insel durchmessen haben mußte, weil er auf derselben die hauptsächlichsten geographischen Einzelheiten eingezeichnet hatte, und ohne Zweifel waren die Ajoupa wie der Plattenweg über den Creek sein eigenstes Werk.

Wir geben hier die Gestalt der Insel wieder, wie François Baudoin sie auf seiner Karte entworfen hatte.

Sie dehnte sich demnach ziemlich lang aus und ähnelte einem ungeheueren Schmetterlinge. Im mittleren Theile, zwischen der Sloughi-Bai und einer im Osten ziemlich tief einschneidenden anderen, verhältnißmäßig schmalen, bildete sie nach Süden zu noch eine dritte, weithin offene Bai. Ganz umrahmt von dichtem Waldbestand, dehnte sich der Binnensee bei einer Länge von achtzehn Meilen bis auf fünf Meilen Breite aus – womit sich genügend erklärte, daß Briant, Doniphan, Service und Wilcox von dessen westlichem Ufer aus das nördliche, südliche und östliche Ufer nicht hatte erblicken können, so daß sie denselben im ersten Augenblick für das Meer ansahen. Mehrere Rios flossen aus dem See ab, und derjenige, welcher vor der Höhle vorbeiströmte, ergoß sich nahe dem Lagerplatze in die Sloughi-Bai.

Die einzige, etwas bedeutende Höhe der Insel schien das Steilufer zu sein, das sich in schräger Richtung von dem Vorgebirge im Norden der Bai bis zum rechten Ufer des Rio fortsetzte. Den nördlichen Theil des Landgebietes bezeichnete die Karte als dürr und sandig, während sich an der anderen Seite des Rio ein ausgedehnter Sumpf ausstreckte, der sich nach Süden zu in einer scharfen Spitze fortsetzte. Im Nordosten und Südosten schlossen sich lange Dünenlinien aneinander, welche diesem Theil des Uferlandes ein von dem der Sloughi-Bai sehr abweichendes Aussehen verliehen.

Nach dem am Fuße der Karte eingezeichneten Maßstabe betrug die größte Länge der Insel von Norden nach Süden ungefähr fünfzig Meilen, und fünfundzwanzig Meilen in der Breite von Osten nach Westen. Mit Einrechnung der größeren Unregelmäßigkeiten ihrer Küstenlinie mochte sich der Umfang auf etwa hundertfünfzig Meilen belaufen.

Was nun die Gruppe Polynesiens anging, der diese Insel zugehörte, und ob sie inmitten des Stillen Oceans vereinzelt liege oder nicht, darüber konnte man unmöglich zu begründeten Vermuthungen gelangen.

Auf jeden Fall aber sahen sich die Schiffbrüchigen vom »Sloughi« vor die Notwendigkeit gestellt, zu einer dauernden, nicht zu einer zeitweiligen Ansiedlung zu schreiten. Da die Höhle ihnen nun eine vortreffliche Unterkunft bot, so mußte das gesammte Material hierher übergeführt werden, ehe die ersten Winterstürme die Zerstörung des »Sloughi« vollendeten.

Jetzt galt es nun, ohne Verzug zum Lagerplatze zurückzukehren. Gordon mußte, da schon drei Tage seit dem Weggange Briant's und seiner Kameraden verstrichen waren, sehr beunruhigt sein und konnte wohl fürchten, daß ihnen ein Unfall zugestoßen wäre.

Auf Briant's Rath wurde denn beschlossen, den Rückmarsch noch am nämlichen Tage um elf Uhr Vormittags anzutreten. Es wäre unnütz gewesen, das Steilufer zu erklimmen, da die Karte erkennen ließ, daß der kürzeste Weg am rechten Ufer des von Osten nach Westen verlaufenden Rio hinführte. Hier trennten sie nur höchstens sieben Meilen von der Bai, und diese konnten in wenigen Stunden zurückgelegt werden.

Bevor sie jedoch aufbrachen, wollten die Knaben dem schiffbrüchigen Franzosen noch die letzten Ehren erweisen. Mittels der Schaufel hoben sie ein Grab am Fuße des Baumes aus, in den François Baudoin die Anfangsbuchstaben seines Namens eingeschnitten hatte, und bezeichneten die Stelle überdies mit einem hölzernen Kreuze.

Nach Beendigung dieser Aufgabe der Pietät kehrten alle Vier nach dem Eingange der Höhle zurück, den sie verschlossen, um dem Eindringen von Thieren zu wehren. Dann verzehrten sie ihre letzten Mundvorräthe und gingen längs des Steilufers auf dem Landstreifen rechts des Flusses hin. Eine Stunde später gelangten sie nach der Stelle, wo die Kalkfelsmasse sich davon entfernte und schräg nach Nordwesten weiterlief.

So lange sie dem Flußufer folgten, kamen sie ziemlich rasch vorwärts, da der Weg neben diesem durch Bäume, Gebüsche und Gräser nur wenig behindert war.

In der Voraussicht, daß der Rio als vermittelndes Glied zwischen dem Binnensee und der Sloughi-Bai diente, behielt Briant diesen unausgesetzt im Auge. Es schien ihm, als ob auf seinem Oberlaufe ein Boot oder ein Floß bequem an Zugleinen geschleppt oder mittelst Stangen fortgestoßen werden könne, was die Fortschaffung des Materials ganz besonders erleichtern mußte, wenn man die Fluth benützte, deren Wirkung sich bis zum See hin bemerkbar machte. Von Wichtigkeit war dabei nur, daß der Wasserlauf nicht durch Stromschnellen unterbrochen oder stellenweise zu seicht und zu schmal würde, um fahrbar zu sein. Davon zeigte sich jedoch nichts; auf eine Strecke von drei Meilen von seinem Austritte am Seeufer an schien der Rio eine vortreffliche Schiffbarkeit zu versprechen.

Um vier Uhr Nachmittags mußten sie jedoch das Flußufer verlassen. An das rechte Ufer schloß sich nämlich eine breite und weiche Schlammlache, worüber und in welche sie sich nicht ohne Gefahr wagen konnten. Es erschien also am räthlichsten, geraden Wegs durch den Wald vorzudringen.

Den Compaß in der Hand, wandte sich Briant daher nach Nordwesten, um die Sloughi-Bai auf kürzestem Wege zu erreichen. Hierbei gab es freilich beträchtliche Verzögerungen, denn das üppig wuchernde hohe Gras bildete auf dem Erdboden wirkliche Dickichte; dazu wurde es unter dem Zweiggewölbe der Birken fast schon mit dem Niedergange der Sonne sehr dunkel. Zwei Meilen wanderten sie so unter recht erschwerenden Umständen hin. Nach Umgehung der weit nach Norden einschneidenden Schlammlache hätte es sich gewiß am meisten empfohlen, das Bett des Rio wieder aufzusuchen, der ja nach der Karte in der Sloughi-Bai ausmündete. Der Umweg erschien Briant und Doniphan aber so bedeutend, daß sie nicht die Zeit damit verlieren wollten. So zogen sie also unter dem Gehölz immer weiter, leider nur, um sich um sieben Uhr zu überzeugen, daß sie sich verirrt hatten.

Sollten sie nun gezwungen sein, die Nacht unter den Bäumen zuzubringen? Das wäre ja nicht allzu schlimm gewesen, wenn es ihnen nicht gerade an Nahrungsmitteln gefehlt hätte, als der Hunger sich bei Allen recht dringend meldete.

»Nur vorwärts!« mahnte Briant. »Wenn wir nach Westen wandern, müssen wir auf den Lagerplatz treffen . . .«

»Wenigstens, wenn die Karte keine falschen Angaben enthält,« antwortete Doniphan, »und jener Rio derselbe ist, der sich in die Bai ergießt.«

»Warum sollte diese Karte unzuverlässig sein, Doniphan?«

»Und warum sollte sie es nicht sein, Briant?«

Man sieht, daß Doniphan, der sein Mißgeschick noch nicht verdaut hatte, hartnäckig die Ansicht vertrat, der Landkarte des Schiffbrüchigen nur ein bedingtes Vertrauen zu schenken. Er hatte damit übrigens Unrecht, denn bezüglich des schon untersuchten Theiles der Insel mußte er deren Genauigkeit ja selbst zugestehen.

Briant hielt es für nutzlos, hierüber weiter zu streiten, und ging kurz entschlossen weiter.

Um acht Uhr konnte man gar nichts mehr erkennen, so tief war die Dunkelheit geworden. Und noch immer erreichte man nicht die Grenze dieses schier endlosen Waldes.

Plötzlich gewahrte Briant durch eine Lichtung der Bäume einen hellen Schein, der sich im Luftraume verbreitete.

»Was war denn das?« fragte Service.

»Doch wohl eine Sternschnuppe,« meinte Wilcox.

»Nein, das war eine Rakete,« erklärte Briant, »eine Rakete, welche vom ›Sloughi‹ aus aufgeschossen worden ist.«

»Und demnach ein Signal Gordon's! . . .« rief Doniphan, der dasselbe schon durch einen Flintenschuß beantwortete.

Nachdem man sich als Richtungspunkt einen Stern vermerkt, als eine zweite Rakete durch die Finsterniß aufstieg, hielten sich Briant und seine Gefährten nach diesem Leitungspunkte und trafen drei Viertelstunden später richtig am »Sloughi« ein.

Wirklich hatte Gordon aus Besorgniß, daß sie sich verirrt haben könnten, den Gedanken gehabt, einige Raketen abzubrennen, um ihnen die Lage des Schooners anzuzeigen.

Eine vortreffliche Idee, ohne welche Briant, Doniphan, Wilcox und Service diese Nacht von den überstandenen Mühsalen nicht hätten auf den Lagerstätten des »Sloughi« ausruhen können.

 


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