Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Erster Band
Jules Verne

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IV. Die »Sechs«

Am folgenden Tage gab sich Chicago wieder seiner vielseitigen Thätigkeit hin. Die verschiedenen Quartiere der Stadt zeigten wieder das alltägliche Aussehen. Drängte sich die Bevölkerung auch nicht wie am Tage vorher zur Beiwohnung eines glänzenden Begräbnisses auf den Avenuen und Boulevards hin, so blieb ihr Interesse für die Ueberraschungen, die William J. Hypperbone's Testament noch erwarten ließ, doch rege genug. Welche Klauseln mochte es enthalten, welche Bedingungen, sonderbare oder gewöhnliche, würde es den »Sechs« noch zu erfüllen auferlegen und wie würden diese in den Besitz der Erbschaft kommen, vorausgesetzt, daß das Ganze nicht auf eine . . . Nasführung hinauslief, die ja eines Mitgliedes des Excentric Club ganz würdig gewesen wäre? . . .

Und doch, diese Möglichkeit wollte niemand zugeben. Man sträubte sich allgemein, zu glauben, daß Miß Lissy Wag, sowie die Herren Urrican, Kymbale, Titbury, Crabbe und Real bei der Geschichte nur Täuschungen erleben und der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollten.

Nun hätte es ja ein sehr einfaches Mittel gegeben, einestheils die öffentliche Neugierde zu befriedigen und anderseits die bei der Sache besonders Betheiligten ihrer Ungewißheit, die ihnen Schlaf und Appetit zu rauben drohte, zu entreißen. Es genügte dazu, das Testament zu eröffnen und davon Einsicht zu nehmen. Das war aber ausdrücklich vor dem 15. des laufenden Monats verboten, und der Notar Tornbrock hätte sich niemals bestimmen lassen, die ihm von dem Testator auferlegten Pflichten zu verletzen. Am 15. April zu Mittag und im Saale des Auditoriums würde er vor so vielen Anwesenden, als dort Platz finden konnten, das Testament William J. Hypperbone's verlesen . . . am 15. April um zwölf Uhr, keinen Tag eher, keine Minute später.

Hier mußte man sich also fügen, ein Zwang, der die Spannung der Chicagoer Bevölkerung freilich immer mehr steigern mußte, je näher der große Tag herankam. Ueberdies sorgten die zweitausendfünfhundert Tageszeitungen und die fünfzehntausend übrigen Wochen-, Monats- und Zweimonatsblätter der Union dafür, daß die hohe Erregung nicht ermattete. Waren diese auch nicht, nicht einmal durch Vermuthung, im Stande, den über den Geheimnissen des Verstorbenen lagernden Schleier zu lüften, so unterließen sie es wenigstens nicht, die »Sechs« der Pein eines Interviews zu unterwerfen, um zunächst über deren gesellschaftliche Stellung Aufklärung verbreiten zu können.

Wenn wir hier einfügen, daß sich die Photographie von den Zeitungen nicht überholen ließ, daß große und kleine Bilder in ganzer Figur, in Kniestücken und Büsten zu Hunderttausenden in Verkehr gebracht wurden, so wird man gern zugestehen, daß die »Sechs« bestimmt waren, zu dem Range der am meisten gesehenen Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten von Amerika erhoben zu werden.

Die Berichterstatter der »Chicago Mail«, die bei Hodge Urrican, Randolph Street 73, vorsprachen, fanden einen recht übeln Empfang.

»Was wollen Sie von mir?« erhielten sie mit keineswegs erkünstelter Heftigkeit als erste Antwort. »Ich weiß nichts . . . habe Ihnen nichts zu sagen! Es waren ja außer mir noch fünf dort neben dem Leichenwagen, die ich ebenso gut wie den Adam und seine Eva kenne! Und wenn das für den oder jenen davon schlecht abliefe, würde es mich gar nicht wundern! . . . Ich fühlte mich da wie ein Frachtkahn am Tau eines Schleppschiffs und mußte die Galle, die mir überlaufen wollte, mit Gewalt zurückhalten. Ah, dieser William Hypperbone – Gott hat jetzt seine Seele und möge sie ja behalten – wenn er mich genarrt hat, wenn er mich zwingt, die Flagge vor jenen fünf Eindringlingen zu streichen, dann nehme er sich in acht . . . wenn er auch tobt und schon begraben ist, ja wenn ich bis zum Jüngsten Gericht warten müßte, dann soll ihn . . .«

»Es berechtigt Sie, Herr Urrican,« bemerkte einer der sich unter diesem Sturme beugenden Berichterstatter, »es berechtigt Sie doch nichts, zu glauben, daß Sie einer Mystification entgegengingen, daß Sie zu bedauern hätten, einer der vom Schicksal Auserwählten gewesen zu sein. Und wenn Ihnen von der Erbschaft auch nur ein Sechstel zufällt . . .«

»Ein Sechstel! . . . Ein Sechstel!« erwiderte der Hitzkopf mit Donnerstimme. »Ja, wer steht denn dafür ein, daß ich auch nur dieses Sechstel ungeschmälert erhalte?«

»Beruhigen Sie sich doch . . . ich bitte Sie . . .«

»Nein, ich beruhige mich nicht . . . das liegt einmal nicht in meiner Natur! . . . Ich bin an Stürme gewöhnt und habe mich stets noch stürmischer als diese gezeigt.«

»Jetzt ist aber von keinen Stürmen die Rede,« bemerkte der Reporter, »der Himmel ist ganz klar . . .«

»Das werden wir ja noch sehen,« schnitt ihm der wüthende Amerikaner das Wort ab, »und wenn es Ihnen einfällt, der Oeffentlichkeit Mittheilungen über meine Person, meine Handlungen oder mein Auftreten zu machen, so überlegen Sie sich wohl, was Sie sagen . . . sonst . . . sonst haben Sie's mit dem Commodore Urrican zu thun!«

Hodge Urrican war in der That ein seit sechs Jahren verabschiedeter Commodore, ein ehemaliger Officier der Kriegsflotte der Vereinigten Staaten – über seine Verabschiedung hatte er sich übrigens auch heute noch nicht getröstet – ein muthiger und tüchtiger Seemann, der vor dem Feuer des Feindes wie vor dem des Himmels stets seine Schuldigkeit gethan hatte. Trotz seiner zweiundfünfzig Jahre war seine natürliche Reizbarkeit aber die gleiche geblieben. Stelle man sich unter ihm einen kräftig gebauten, hochgewachsenen Mann vor mit mächtigem Kopfe und unter buschigen Brauen rollenden großen Augen, etwas niedriger Stirn, kurz geschnittenem Haar, mit viereckigem Kinn, das ein starrer Bart umrahmte, durch den er immer mit fieberhafter Handbewegung strich, ferner mit musculösen Armen und mit nach vorn gebogenen Beinen, die dem Körper der Theerjacken die bekannte schaukelnde Bewegung verleihen. Bei seinem erregbaren, immer bissigen Charakter, seiner Unfähigkeit, sich zu beherrschen, war er im privaten wie im öffentlichen Leben kein angenehmer Gesellschafter, und es gab wohl niemand, der ihn seinen Freund genannt hätte. Es wäre zu verwundern gewesen, wenn ein solcher Mann sich verheiratet hätte. Das war auch nicht der Fall, und »Welches Glück für seine Frau!« pflegten Spaßvögel sich deshalb zu äußern. Er gehörte zu der Sorte von Brauseköpfen, die der Zorn infolge einer Art Herzkrampfes erbleichen macht, deren Körper sich dabei wie zum Angriff vorbeugt, deren glühende Pupillen immer eng zusammengezogen sind und deren Stimme noch hart und rauh ist, wenn sie verhältnismäßig ruhig, und die brüllend wird, wenn sie das nicht sind.

Als die Berichterstatter des »Chicago Globe« an die Thür des Ateliers in der South Halsted Street Nr. 3997 klopften – man sieht, diese Straße muß leidlich lang sein – fanden sie niemand vor außer einem jungen, siebzehnjährigen Neger im Dienste bei Max Real. Der Schwarze öffnete die Thür.

»Wo ist Dein Herr?« fragte man ihn.

»Weiß nicht.«

»Wann ist er ausgegangen?«

»Weiß nicht.«

»Wann wird er denn zurückkommen?«

»Weiß nicht.«

Tommy wußte thatsächlich nichts, da Max Real sehr frühzeitig ausgegangen war und Tommy nichts davon gesagt hatte. Der Neger schlief gewöhnlich wie ein Kind und sein Herr hatte ihn so zeitig nicht wecken wollen.

Konnte Tommy auf die Fragen der Eindringlinge auch keine Antwort geben, so darf man deshalb nicht glauben, daß es dem »Chicago Globe« an Auskunft bezüglich Max Real's gefehlt habe. O nein! Die »Sechs« waren durch zahlreiche Interviews bereits in den ganzen Vereinigten Staaten bekannt geworden.

Real war ein junger begabter Maler, ein Landschafter, dessen Bilder in Amerika recht ansehnliche Preise erlangten und dem die Zukunft eine schöne Stellung im Gebiete der Kunst versprach. Er war trotz seines französischen Namens ein Eingeborner von Chicago, der Abkömmling einer canadischen Familie in Quebec. Dort wohnte auch noch die seit mehreren Jahren verwitwete Frau Real, die sich aber jetzt zur Uebersiedlung zu ihrem Sohn in der Hauptstadt von Illinois anschickte.

Max Real verehrte seine Mutter ebenso wie diese ihn – sie war eben eine vortreffliche Mutter wie er ein vortrefflicher Sohn. Er hatte sich auch beeilt, sie nicht einen Tag über das Vorkommniß der letzten Tage ununterrichtet zu lassen, und hatte ihr geschrieben, daß er bestimmt worden sei, bei dem Begräbniß William J. Hypperbone's mit fünf Andern einen hervorragenden Platz einzunehmen. Dazu erklärte er übrigens, daß er sich um die etwaigen Folgen des Testaments des Entschlafenen keine Kopfschmerzen mache. Die ganze Sache komme ihm nur »drollig« vor.

Max Real hatte eben das fünfundzwanzigste Jahr erreicht. Von seiner Geburt an war ihm die Anmuth, die Vornehmheit und die Eleganz des französischen Typus eigen geblieben. Von etwas über mittlerer Gestalt, hatte er braunes Kopf- und Barthaar, tiefblaue Augen und zeigte einen erhobenen Kopf ohne Stolz oder Rauhigkeit, einen lächelnden Mund und zwanglosen Gang – lauter Zeichen innerlicher Befriedigung, die ja die Mutter des freudigen und felsenfesten Selbstvertrauens ist. Dabei sprühte er sozusagen von gesunder Lebenskraft, die sich gern in Beweisen von Muth und Hochherzigkeit kundgiebt.

Nachdem er sich als talentvoller Maler erwiesen hatte, entschloß er sich, Canada mit den Vereinigten Staaten, Quebec mit Chicago zu vertauschen. Sein Vater, ein früherer Officier, hatte nur wenig hinterlassen, und wenn er sein Glück zu machen strebte, geschah das mehr um seiner Mutter als um seiner selbst willen.

Kurz, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Max Real sich nicht in Nr. 3997 der Halsted Street befand, verlohnte es sich nicht besonders, Tommy um ihn auszufragen. Der »Chicago Globe« wußte genug, die Neugierde seiner Leser, soweit es sich um den jungen Künstler handelte, zu befriedigen. War Max Real heute nicht in Chicago, so war er doch gestern hier gewesen und würde sicherlich am 15. April wieder erscheinen, wäre es auch nur, um der Testamentseröffnung beizuwohnen und die Gruppe der »Sechs« im Saale des Auditoriums vollmachen zu helfen.

Ganz anders gestalteten sich die Dinge, als die Abgesandten des »Daily News Record« die Wohnung Harris T. Kymbale's aufsuchten. Nach dessen Hause, Milwaukee Avenue 213, hätte man sich gar nicht zu bemühen brauchen, er wäre schon allein gekommen, um seine Collegen über alles Wissenswerthe aufzuklären.

Harris T. Kymbale war selbst Journalist, der erste Stadtberichterstatter der so verbreiteten »Tribune«. Siebenunddreißig Jahre alt, mittelgroß, von kräftiger, aber angenehmer Erscheinung, mit einer echten Spürnase ausgestattet, mit kleinen, scharf blickenden Augen, mit feinen Ohren, die geschaffen schienen, alles zu hören, und einem Munde, der es gar nicht erwarten zu können schien, alles zu wiederholen, so zeigte sich der Mann – beweglich wie Quecksilber, thätig, alles durchschauend, anregend, plauderlustig, ausdauernd, unermüdlich, energisch und als ein Freund von »Bluffs« (lustiger Streiche), den Gasconnaden der Amerikaner. Im Gefühl seiner Kraft und immer zur Thätigkeit bereit, sowie mit einer Willenskraft ausgerüstet, die stets sich in Handlungen zu übersetzen bereit war, hatte er Hagestolz bleiben wollen, wie sich das ja einem Manne geziemt, der täglich die das Privatleben schirmenden Mauern zu übersteigen versuchen muß. Im ganzen ein braver, zuverlässiger und von seinen Collegen geschätzter Mann, dem niemand das Glück mißgönnte, zu den berühmten »Sechsen« zu gehören, im Fall, daß diese sich wirklich in die irdischen Schätze William J. Hypperbone's zu theilen hätten.

Nein, es war unnöthig, Harris T. Kymbale überhaupt um etwas zu befragen, denn er rief schon anfangs seinen Berufsgenossen zu:

»Ja, ja, liebe Freunde, ich bin es, ich in leibhaftiger Person, der zu dem Rathe der Sechs gehört! Sie haben mich doch gestern an dem Ehrenplatze neben dem Leichenwagen marschieren sehen? – Haben Sie auch meine würdige und streng angepaßte Haltung beobachtet und wie ich mich bemühte, meine freudige Stimmung zu unterdrücken, obwohl mir ein so lustiges Begräbniß in meinem Leben noch nicht vorgekommen ist? . . . Wissen Sie, was ich mir dabei sagte? . . . Wenn der ehrbare Mann nun gar nicht todt wäre . . . wenn seine Stimme aus dem Sarge herausgedrungen . . . und er erzlebendig erschienen wäre! Und wenn das geschah, wenn sich William J. Hypperbone in ganzer Länge aufrichtete, wie ein neuer Lazarus sein Grab sprengte, ich hätte nicht den bösen Gedanken gehabt, ihm darob zu zürnen, ihm seine unzeitige Auferstehung vorzuwerfen! Man hat doch wahrlich das Recht, wieder aufzuerstehen, wenn man nicht ganz todt ist!«

So etwa äußerte sich Harris T. Kymbale . . . doch man hätte ihn nur dabei hören müssen.

»Und was meinen Sie,« fragte man ihn, »wird wohl am 15. April geschehen?«

»Was? Nun jedenfalls wird Meister Tornbrock Schlag zwölf Uhr das Testament eröffnen . . .«

»Und Sie zweifeln nicht daran, daß die ›Sechs‹ zu alleinigen Erben des Verstorbenen eingesetzt werden?«

»Gewiß nicht! . . . Warum, ich bitte Sie, sollte uns William J. Hypperbone zur Begleitung seines Leichenzugs bestimmt haben, wenn er uns nicht sein Vermögen zukommen lassen wollte?«

»Ja . . . wer weiß? . . .«

»Das fehlte bloß noch, uns ohne Schadloshaltung so arg belästigt zu haben! . . . Bedenken Sie nur . . . ein Weg von elf Stunden!«

»Ist aber nicht zu vermuthen, daß das Testament mehr oder weniger sonderbare Bestimmungen enthalten werde?«

»Das ist wohl möglich, und wenn man sich das Original von Mann vorstellt, ist ja etwas derartiges zu erwarten. Nun wohl, ist was er verlangt überhaupt möglich, so wird es erfüllt werden, ist es unmöglich, so . . . nun, das weiß ich nicht. Jedenfalls, liebe Freunde, dürfen Sie auf Harris Kymbale zählen . . . er wird vor nichts zurückschrecken!«

Nein, schon um der Ehre des Journalismus willen würde er nicht zurückweichen, darauf konnten sich alle verlassen, die ihn kannten und auch alle, die ihn nicht kannten, wenn es unter der Bevölkerung Chicagos solche Leute gab. Welche Bedingungen der Verstorbene auch gestellt haben mochte, der erste Stadtberichterstatter der »Tribune« nahm sie im voraus an und wollte sie erfüllen. Handelte es sich um eine Reise nach dem Monde, so würde er eben abreisen, und wenn ihm nicht aus Mangel an Luft der Athem ausging, würde er unterwegs auch nicht verweilen.

Welch ein Unterschied zwischen diesem entschlossenen Amerikaner und seinem Miterben für ein Sechstel, jenem Hermann Titbury, der in dem Handelsviertel wohnte, das von Norden nach Süden von der langgestreckten Robey Street durchschnitten wird.

Als die Vertreter der »Staatszeitung« an die Hausthür der Nr. 77 geklopft hatten, gelang es ihnen nicht einmal, über die Schwelle zu kommen.

»Herr Hermann Titbury,« riefen sie durch die ganz wenig geöffnete Thür, »ist er vielleicht zu Hause?«

»Ja,« antwortete eine Art Riesin, deren schlecht geordnetes Haar und nachlässige Kleidung sie als weiblichen Drachen erscheinen ließ.

»Könnten wir ihn sprechen?«

»Das will ich Ihnen sagen, wenn ich Herrn Titbury darum gefragt habe.«

Es gab hier nämlich eine Frau Titbury im Alter von fünfzig Jahren, die zwei Jahre älter als ihr Gatte war. Die Antwort aber, die diese Matrone sandte und die eine Dienerin getreulich übermittelte, lautete:

»Herr Titbury kann Sie nicht empfangen, er wundert sich, daß sich überhaupt jemand erlaubt, ihn zu stören!«

Und hier handelte es sich doch nur darum, Zutritt in sein Bureau, nicht in sein Speisezimmer zu erhalten, ihn um einige Auskunft über seine Person zu ersuchen, nicht aber, an seiner Tafel Platz zu nehmen.

Das Haus blieb jedoch geschlossen; die Berichterstatter der »Staatszeitung« mußten als »Schneider« abziehen.

Hermann und Kate Titbury bildeten das geizigste Paar, daß sich je zusammengefunden hatte, um vereint durch dieses Thränenthal zu wandern – obwohl sie übrigens noch keine Thräne etwa aus Mitleid für Unglückliche vergossen hatten. Es waren zwei verdorrte, gefühllose Herzen mit übereinstimmendem Schlage. Zum Glück hatte der Himmel diesem Bunde seinen Segen vorenthalten – ihre Linie sollte mit ihnen erlöschen. Sie waren reich, doch stammte ihr Vermögen weder vom Handel noch von einem Gewerbe her. Beide – die Frau hatte nämlich ebensoviel wie der Mann darin gearbeitet – hatten sich den Schmuggelgeschäften des Winkelbanquiers, des Pfandleihers, des Aufkäufers von Forderungen zu niedrigem Preise, des Bewucherers der kleinen Leute, kurz, des Halsabschneiders gewidmet, die ihre Mitmenschen ohne Übertretung der Gesetze plündern – Gesetze, hat ein großer französischer Romandichter gesagt, die eine herrliche Sache für alle Schurken wären, wenn es . . . keinen Gott gäbe!

Ihre Vorfahren, soweit man diese »Ahnenreihe« verfolgen konnte, schienen deutscher Abstammung gewesen zu sein, wofür auch der Vorname Hermann des letzten Vertreters der Sippe sprach.

Dieser war ein dicker, untersetzter Mann mit rothem Barte, und auch sein Ehegespons hatte rothes Haar. Eine eiserne Gesundheit ersparte es den Leuten, je einen Dollar für Arzneien oder für den Besuch eines Arztes opfern zu müssen. Mit einem Magen, der alles zu verdauen fähig war, und um den sie viele ehrbare Leute beneideten, lebten sie sozusagen von nichts und ihre Magd hatte sich schließlich auch darein gefunden. Seit Titbury sich von den Geschäften zurückgezogen hatte, unterhielt er keine Beziehungen mit der Außenwelt mehr und ließ sich völlig von seiner Frau leiten, einer Haustyrannin von schlimmster Art, die, wie man sagt, gleich mit dem Schlüsselbunde schlief.

Das Paar bewohnte ein Haus mit schmalen, vergitterten Fenstern, das schon mehr an einen versteckten eisernen Geldschrank erinnerte. Seine Thür öffnete sich übrigens niemals, weder für einen Fremden, noch für ein Mitglied der Familie, weil die Leute eine solche nicht hatten, auch für keinen Freund, weil sie nie einen gehabt hatten. Heute blieb sie natürlich auch vor den abgeschickten Auskunftsjägern hartnäckig geschlossen.

Immerhin war es auch ohne unmittelbare Befragung des Ehepaares Titbury leicht genug, dessen Gemüthsverfassung zu beurteilen, wenigstens von dem Tage an, wo sie der Gruppe der »Sechs« zuzuzählen waren. Welch wunderbare Wirkung schon, als Hermann Titbury in der berühmten ersten Aprilnummer der »Tribune« seinen Namen las! Doch gab es denn keine andern Chicagoer dieses Namens? – Keinen einzigen, wenigstens nicht in Nr. 77 der Robey Street. Von dem Argwohn, daß er das Opfer eines Spaßvogels sein könnte, war bei ihm gar keine Rede, Hermann Titbury sah sich schon im Besitz des sechsten Theils jenes ungeheuern Vermögens, und sein größtes Bedauern, ja sein Aerger war es nur, vom Schicksal nicht als einziger Erbe ausersehen zu sein. Er empfand gegen seine Miterben auch mehr als Neid, einen wirklichen Haß – ganz ebenso wie der Commodore Urrican – und was Frau Titbury und er von den andern Fünf dachten, das überlassen wir besser dem Leser sich selbst auszumalen.

Unzweifelhaft hatte das Schicksal einen seiner gewohnten großen Irrthümer begangen, als es diese uninteressante, wenig ansprechende Persönlichkeit berief, einen Theil der Hinterlassenschaft William J. Hypperbone's zu erhalten, wenn das überhaupt in der Absicht dieses Sonderlings gelegen hatte.

Schon am Tage nach der Bestattung hatten Herr und Frau Titbury ihre Wohnung des Morgens um fünf Uhr verlassen und sich nach dem Oakswoodsfriedhofe begeben, wo sie den Grabwärter wecken ließen.

»Nichts Neues . . . vergangne Nacht?« fragten sie mit lebhaft vor Unruhe zitternder Stimme.

»Nicht das Geringste,« antwortete der Wärter.

»Er ist also wirklich todt?«

»So todt wie irgend möglich! Beruhigen Sie sich getrost!« antwortete der brave Mann, der vergebens eine Belohnung für seine tröstliche Auskunft erwartete.

Ja, sie konnten wohl etwas ruhiger sein! Der Verstorbene war aus dem ewigen Schlummer nicht erwacht und nichts hatte die Ruhe der stillen Bewohner des Oakswoodsfriedhofs gestört.

Herr und Frau Titbury kehrten nach Hause zurück, doch am Nachmittage und am Abend machten sie nochmals, und daraus auch am folgenden Morgen, den langen Weg, um sich persönlich zu überzeugen, daß William J. Hypperbone nicht in diese niedre Welt zurückgekommen sei.

Nun war das Paar, das in dieser seltsamen Geschichte eine Rolle mitspielen sollte, seiner Sache endlich sicher und auf jedem Schritte brachten ihm Nachbarsleute ihren Glückwunsch zu den glänzenden Aussichten, die es hätte, mehr oder weniger aufrichtig entgegen.

Als die beiden Reporter der »Freien Presse« nach dem nicht weit von der Mitte der Stadt gelegenen Calumetsee und der in einem volkreichen, gewerbthätigen Viertel gelegenen Calumet Street gekommen waren, erkundigten sie sich bei den Schutzleuten nach dem Hause Tom Crabbe's.

Das Haus Tom Crabbe's, oder richtiger das seines Traineurs, hatte die Nr. 7. In der That war es John Milner, der ihn zu den denkwürdigen Kämpfen abrichtete, aus denen die theilnehmenden Herren sehr häufig mit geschwollenen Augen, zerschmetterter Kinnlade, von ein oder zwei Seiten eingedrückter Brust und mit um einige Zähne gekommenem Munde, zur Ehre der Meisterschaft im volksthümlichen Boxen, hervorgehen.

Tom Crabbe war ein Berufsboxer, zur Zeit der Champion der Neuen Welt, seitdem es ihm gelungen war, den berühmten Fitzsimons, der 1897 den nicht weniger berühmten Corbett besiegt hatte, zweifellos zu überwinden.

Die Berichterstatter drangen ohne Schwierigkeiten in das Haus John Milner's ein und wurden hier im Erdgeschoß von diesem Faustkampflehrer empfangen. Das war ein Mann von mittlerer Größe, aber von unglaublicher Magerkeit, dessen Haut unmittelbar über die Knochen gespannt zu sein schien – dagegen war alles an ihm Muskel, alles Nerv; dazu hatte er durchdringende Augen, spitze Zähne, ein glatt rasiertes Gesicht und zeigte die Beweglichkeit der Gemse und die Gewandtheit des Affen.

»Tom Crabbe? . . .« fragte man ihn.

»Der vollendet eben sein erstes Frühstück,« antwortete eine scharfe Stimme.

»Können wir ihn sehen?«

»Um was handelt es sich?«

»Um das Testament William J. Hypperbone's; auch wollten wir von ihm in unsrer Zeitung sprechen.«

»Ah, wenn von Tom Crabbe öffentlich die Rede sein soll, ist er immer zu sprechen.«

Die Reporter traten in das Speisezimmer ein und sahen sich hier dem Gesuchten gegenüber. Er verschlang eben die sechste Schnitte rohen Schinkens, die sechste Scheibe Butterbrot, die sechste Pinte Halb und Halb in Erwartung des Thees, der in einem großen Kessel angesetzt war, und die sechs Gläschen Whisky, die gewöhnlich sein erstes Frühstück abschlossen, welches er früh halb acht Uhr verzehrte und dem im Laufe des Tages noch fünf andre regelmäßige Mahlzeiten folgten. Man erkennt hieraus schon die hervorragende Rolle, die die Zahl sechs im Leben des berühmten Boxers spielte, und vielleicht war es deren geheimer Einfluß gewesen, dem er seine Zugehörigkeit zur Gruppe der Erben William J. Hypperbone's verdankte.

Tom Crabbe war ein Koloß, zehn Zoll über sechs englische Fuß hoch und drei Fuß von einer Schulter zur andern breit. Er hatte einen großen Kopf mit straffem schwarzen Haar, das auf dem Schädel fast ganz glatt weggeschoren war, unter dichten Brauen runde, glotzende Augen, eine niedrige, stark abfallende Stirn, abstehende Ohren, mächtige Kiefer, einen starken, an der Verbindungsstelle der Lippen abgeschnittenen Schnurrbart, noch alle seine Zähne, denn auch die heftigsten Faustschläge hatten keinen davon in ihrer Grube lockern können, einen Brustkasten wie eine Biertonne, Arme wie Bläuelstangen und Beine wie Granitpfeiler, die auch nothwendig waren, dieses gewaltige menschliche Bauwerk sicher zu tragen.

Menschliche? . . . Ist das richtig? . . . Nein, thierische, denn aus der ganzen riesigen Erscheinung sprach etwas Thierisches. Seine Organe fungierten wie eine Maschine, die man in Gang gesetzt hatte – eine Maschine, deren Mechaniker John Milner war. Berühmt in Nord- und in Südamerika, kümmerte er sich doch kaum um seine Berühmtheit. Essen, trinken, boxen, schlafen, darum drehte sich, ohne jede geistige Thätigkeit, sein ganzes Dasein. Begriff er wohl, was der Zufall für ihn gethan hatte, als er ihn der Gruppe der »Sechs« angliederte? Wußte er, zu welchem Zwecke er gestern unter dem Zujauchzen der Volksmenge mit dröhnend schwerem Schritte neben dem Leichenwagen her getrottet war? . . . Vielleicht ein wenig; sein Traineur wußte es dafür aber um so besser, und würde auch später wissen, alles zum eignen Vortheil mit auszunutzen, was jener diesem Glücksfall etwa verdankte.

Es folgt hieraus, daß es John Milner war, der die Fragen der Reporter bezüglich Tom Crabbe's beantwortete. Er gab diesen Aufschluß über alle Einzelheiten, die für die Leser der »Freien Presse« von Interesse sein konnten: über das Gewicht des Mannes – fünfhundertdreiunddreißig (amerikanische) Pfund vor dem Essen und fünfhundertvierzig nachher – über seinen Taillenumfang von genau sechs Fuß zehn Zoll, über seine Körperkraft, die am Dynamometer gemessen fünfundsiebzig Meterkilogramm, das heißt eine Pferdekraft, erreichte, über die Kraft, mit der er die Kiefer zusammenpressen konnte, gleich zweihundertvierunddreißig Pfund, über sein Alter: dreißig Jahre sechs Monate und siebzehn Tage, über seine Eltern den Vater, der Packer oder Schlächter im Hause Armour, und über die Mutter, die öffentliche Ringkämpferin im Cirkus von Swansea gewesen war.

Was brauchte es mehr, um einen Artikel von hundert Zeilen über Tom Crabbe zu schreiben?

»Er spricht ja kaum ein Wort,« bemerkte einer der Journalisten.

»Ja, so wenig wie möglich,« antwortete John Milner. »Wozu sollte es auch dienen, sich die Zunge abzunutzen?«

»Vielleicht . . . denkt er auch nicht viel mehr? . . .«

»Was könnte ihm das Denken nützen? . . .«

»Freilich . . . freilich . . . wohl nichts, Herr Milner.«

»Tom Crabbe ist weiter nichts als eine Faust,« setzte der Traineur hinzu, »eine geschlossene Faust und gleich bereit zum Angriff wie zur Abwehr!«

Die Reporter der »Freien Presse« zogen sich hierauf zurück.

»Das reine Thier! . . .« meinte der eine, als sie auf der Straße waren.

»Und was für ein Thier!« antwortete der zweite.

Natürlich meinten sie damit John Milner nicht.

Begiebt man sich nach dem Nordwesten der Stadt, so kommt man nach Ueberschreitung des Boulevard Humboldt in deren siebenundzwanzigstes Quartier. Hier ist der Verkehr weniger lebhaft, die Bevölkerung weniger geschäftig. Wer dahin kommt, könnte sich in die Provinz versetzt glauben, obgleich es in den Vereinigten Staaten eine solche im landesüblichen Sinne gar nicht giebt. Jenseits der Wabansia Avenue trifft man auf den untern Theil der Sheridan Street. Geht man hier bis zur Nr. 19, so sieht man sich vor einem einfachen, siebzehnstöckigen und von vielen Miethsparteien bewohnten Hause. In dessen neuntem Stockwerke hatte Lissy Wag eine kleine Wohnung von zwei Zimmern, nach der sie erst heimkehrte, wenn sie als Untercassiererin im Modemagazin von Marshall Field ihr Tagewerk vollendet hatte.

Lissy Wag stammte aus einer achtbaren, doch wenig bemittelten Familie, von der sie allein noch übrig war. Gut erzogen und wohl unterrichtet, wie die meisten jungen Amerikanerinnen, hatte sie sich nach traurigen Schicksalsschlägen, nach dem vorzeitigen Ableben ihres Vaters und ihrer Mutter die Mittel zu ihrer Existenz müssen durch Arbeit zu gewinnen suchen. Ihr Vater war durch eine unglückliche See-Versicherungsangelegenheit um seine ganze Habe gekommen, und eine im Interesse der Tochter durchgeführte Liquidation hatte dieser auch nichts übrig gelassen.

Begabt mit entschlossenem Charakter, sicherm Urtheil, klarer Intelligenz und ruhiger Selbstbeherrschung, hatte Lissy Wag moralische Kraft genug, den Muth nicht zu verlieren. Dank der Fürsprache einiger Freunde ihrer Familie, war sie dem Inhaber der Firma Marshall Field empfohlen worden und nahm bei diesem seit fünfzehn Monaten eine recht angenehme Stellung ein.

Es war ein sehr hübsches junges Mädchen von einundzwanzig Jahren und von Mittelgröße, mit blondem Haar, tiefblauen Augen und hübscher, von Gesundheit zeugender Hautfarbe. Dabei hatte sie einen eleganten Gang und etwas ernste Gesichtszüge, nur zuweilen belebt von sanftem Lächeln, das dann zwei Reihen schöner Zähne zwischen den Lippen aufleuchten ließ. Immer liebenswürdig, gefällig, zuvorkommend und wohlwollend, hatte sie unter ihren Bekannten nur Freunde.

Von einfachem Geschmack, sehr bescheiden, ohne Ehrgeiz und ohne sich je Träumereien hinzugeben, zu denen sich viele ja so leicht verirren, wurde Lissy Wag sicherlich am allerwenigsten von den »Sechs« erregt, als sie erfuhr, daß der Zufall sie rief, an dem Leichenbegängnisse theilzunehmen. Anfänglich wollte sie es ablehnen, eine solche Art öffentlichen Auftretens widerstrebte ihr. Ihren Namen und ihre Person der öffentlichen Neugierde preisgegeben zu sehen, das erfüllte sie mit tiefem Widerwillen Sie mußte ihren, doch gewiß ganz ehrenhaften Gefühlen Gewalt anthun, und nur mit schwerem Herzen und düstrer Stirn nahm sie ihren Platz neben dem Wagen ein.

Wir müssen hier hervorheben, daß eine ihrer vertrautesten Freundinnen alles aufgeboten hatte, den Widerstand des jungen Mädchens zu besiegen. Das war die lebhafte, heitre, lachlustige, zweiundzwanzigjährige Jovita Foley, die, wie sie recht gut wußte, weder schön noch häßlich war, durch ihre geistvollen, wenn auch etwas spottlustigen und feinen Gesichtszüge und ihre liebenswürdige Natur aber überall den besten Eindruck machte und die mit Lissy Wag in engster Freundschaft verbunden war.

Die beiden jungen Mädchen wohnten auch beisammen, und nachdem sie im Geschäft von Marshall Field, wo Jovita Foley erste Verkäuferin war, den Tag verbracht hatten, gingen sie miteinander heim. Nur selten sah man die eine ohne die andre.

Wenn Lissy Wag unter diesen Umständen dem eifrigen Zureden ihrer Freundin nachgab, so stimmte sie doch nicht zu, die Berichterstatter des »Chicago Herald« zu empfangen, die sich noch am Abend in Nr. 19 der Sheridan Street einfanden. Vergebens redete ihr Jovita Foley zu, nicht so zugeknöpft zu sein – sie wollte von einem Interview einmal nichts wissen. Nach den Reportern kämen dann die Photographen, um ihr indiscretes Objectiv auf sie zu richten . . . nach den Photographen noch Neugierige aller Art . . . Nein, es sei besser, die Wohnung gegen alle unwillkommenen Besucher verschlossen zu halten. Was Jovita Foley auch einwenden mochte – jedenfalls war das das Klügste, und dem »Chicago Herald« entging die Gelegenheit, seinen Lesern mit einem sensationellen Artikel aufzuwarten.

»Nun,« meinte Jovita Foley, als die Journalisten mit herabhängendem Ohr abgezogen waren, »Deine Thür hast Du ja verschanzt, der öffentlichen Aufmerksamkeit wirst Du aber darum doch nicht entgehen. Ah, wenn ich es gewesen wäre! . . . Und das sage ich Dir im voraus, Lissy, ich werde Dich zu zwingen wissen, allen Bedingungen des Testaments nachzukommen. Bedenke doch, meine Beste . . . dieser Antheil an einem fast unerhörten Vermögen . . .«

»O, an diese Erbschaft glaub' ich blutwenig, liebe Jovita,« erwiderte Lissy Wag, »und wenn es sich dabei nur um den tollen Einfall eines überspannten Spaßvogels handelt, wird es mir keine großen Schmerzen machen.«

»Daran erkenne ich meine Lissy,« rief Jovita Foley, sie an sich heranziehend, »keine Schmerzen, wo von einem solchen Vermögen die Rede ist . . .«

»Sind wir beide denn nicht glücklich? . . .«

»Zugegeben, doch wenn ich es gewesen wäre! . . .« wiederholte das ehrgeizige junge Mädchen.

»Nun . . . und wenn Du es wärst? . . .«

»Da würde ich zuerst mit Dir theilen, Lissy . . .«

»Ganz wie ich es selbstverständlich thun würde!« antwortete Miß Wag, die über die in der Luft schwebenden Versprechungen ihrer Freundin lachen mußte.

»Du mein Himmel, wenn's nur erst der 15. April wäre!« rief Jovita Foley, »wie lang wird mir die Zeit bis dahin werden! . . . Ich zähle schon die Stunden . . . die Minuten . . .«

»Verschone mich nur mit den Secunden!« fiel ihr Lissy ins Wort. »Wahrlich, das wären ihrer zu Viele!«

»Kann man noch scherzen, wo es sich um eine so ernste Angelegenheit handelt . . . um Millionen von Dollars, die dabei ins Spiel kommen . . .«

»Oder eher Millionen von kleinen Aergernissen, von Beschwerden, wie ich sie schon diesen ganzen Tag gekostet habe!« erklärte Lissy Wag.

»Du bist zu empfindlich, Lissy!«

»Und siehst Du, Jovita, ich frage mich immer, womit die Sache enden werde . . .«

»Ei, die endet mit dem Ende,« rief Jovita Foley, »ganz wie alle Dinge dieser Welt!«

Das war also die sechste der Miterben – niemand zweifelte ja daran, daß diese sich die ungeheure Hinterlassenschaft theilen sollten – die William J. Hypperbone zu seinem Begräbniß eingeladen hatte. Diese unter allen bevorzugten Sterblichen brauchten sich nur vierzehn Tage in Geduld zu fassen.

Endlich verstrichen die zwei langen Wochen . . . der 15. April kam heran.

An diesem Morgen legten, entsprechend der letztwilligen Vorschrift und in Gegenwart Georges B. Higginbotham's und des Notars Tornbrock, Lissy Wag, Max Real, Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale und Hodge Urrican ihre Karten auf den Sarg William J. Hypperbone's nieder. Dann wurde der Deckel über die Ruhestätte gelegt. Der excentrische Entschlafene hatte nun auf dem Oakswoodsfriedhofe keine Besucher mehr zu empfangen.

 


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