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Der Herr von Mondschein.

Ein Mährchenbild nach Callot.

———————

In einem bekannten Bade an der Nordsee befanden sich im Posthause spät in der Nacht noch einige Fremde an der Wirthstafel beisammen. Sie waren bei überflüssigem Wein und berauschenden Gesprächen in die heiterste Laune gerathen, so daß bei einigen das Uebermaaß schon Ermüdung und Schlaf hervorzurufen begann. Die meisten merkten dieses allgemach und schlichen sich fort, wer sich aber nicht fortschleichen konnte und die triftigsten Gründe hatte, die Bank unter sich nicht zu verlassen, der blieb beim trüben Schimmer der verlöschenden Lampe da sitzen und grübelte in faselnde Reden dem Schlummer entgegen.

Zwei Männer oben an der Tafel erhielten sich noch bei ziemlich heiterem Muthe; der Eine, ein dicker Vierziger, war der Amtsrath Pfefferkorn, ein gesunder, begüterter Mann, der durch kleinen Handel zu großen Reichthümern gelangt war; der Andere, ein dünner Herr in einem schwarzen kurzen Röckchen, mit einem alten Gesichte, aus welchem zwei geröthete, entzündete Augen, wie von schlechtem Glase gemacht, stark hervortraten, hieß Doktor Siebenzieher, war ein berühmter Astronom und stellte den künftigen Eidam des Herrn Amtsraths dar. Beide ehrwürdige Herren hatten auf die nahe Hochzeit getrunken und waren nun in eine trockene Ausgelassenheit verfallen, in der sie eine Menge trüber, verzweifelter Späßchen erfanden. Ihre lezten Bemerkungen waren noch über das kleine neuerrichtete Theater im Ort hergefallen, und sie tadelten die heute mit angeschaute Darstellung.

»Und die Dekoration!« sprach ein Nachbar, »haben Sie dies bemerkt, geschäzter Herr Amtsrath? vor allen Dingen den Mond; einen so blassen, schlampigen, ölgetränkten Gesellen habe ich in meinem Leben nicht am Himmel wandeln sehen, selbst in Holland nicht, wo er doch seiner besondern Häßlichkeit wegen immer Nebelkappen trägt.« –

»Was Mond!« eiferte der Amtsrath, »ich frage nichts nach dem Monde; mir ist es völlig gleich, wie sie ihn in den Pappendeckel einschneiden. Um so geringfügige Nebendinge kümmert sich kein Mann, dem die große Angelegenheit der Kunst am Herzen liegt.«

Bei diesen Worten erhob ein Fremder die Rede, der bis jezt, von Niemanden beachtet, in einer Ecke am Fenster gesessen hatte. Er zeigte ein rundes freundliches Gesicht, dessen eine Hälfte mit einem schwarzen Tuche verbunden war.

»Erlauben Sie, Gelehrter!« rief er, »der Mond ist überall keine Nebensache, auch auf dem Theater nicht. Ich möchte es keinem wahrhaft kunstliebenden Maschinisten oder Dekorateur rathen, ihn, wie es heute geschehen, auf jene rohe, lieblose Weise als simples Loch in den Pappendeckel hineinzuschneiden. Ich gestehe, es hat mir ordentlich wehe gethan, zu sehen, wie dieses edle, schöne, sanfte Licht mir so elend, so fratzenhaft aus der geölten Fläche eines mit Buchbinderkleister angeklebten Bogens, aus dem Schreibbuche des jüngsten Buben des Prinzipals der Truppe, entgegenleuchtete. Mein Auge, das so gern sich in die klare Scheibe hätte versenken wollen, erkannte darin die elenden Schriftzüge des Schuljungen deutlich, das ganze miserabele ABC, und die ersten verzweifelten orthographischen Spaziergänge seiner ungeschickten Feder. Kann nun, frage ich, meine Herrn, ein solcher Mond wohl begeistern? kann er Liebende zum süßen Austausch ihrer Empfindungen entzücken? Vernichtet nicht das ABC des Burschen, der Kleister an dem Pappendeckel jede auch noch so leichte Täuschung?«

Die schläfrigen Leute am Tisch sahen den Sprechenden mit einem ungewissen spöttischen Blick an; sie mochten nicht antworten, sondern wählten sich lieber, auf ihren Armen liegend, eine Stellung aus, in der es sich leidlich schlummern ließ, nur der Astronom sagte, indem er seine entzündeten Augen auf den Fremden richtete:

»Ei, ei, ist der Herr vielleicht ein Astronom, daß er es so warm mit dem Monde hält?«

Des freundliche Mann entschuldigte sich. »Nur ein Reisender,« entgegnete er. »Und zwar einer, der lange und beschwerliche Fahrten bei Nacht gemacht und darum dem Mond nicht weniger Dank schuldig ist, als andere Leute der Sonne.«

Die Gesellschaft war während dieser Rede völlig eingeschlafen, die spärlich brennende Lampe erlosch, ohne daß die Träumer es bemerkten.

Diesen Zeitpunkt nahmen ein paar Gauner wahr, die aus dem Nebenzimmer sich herbeischlichen und von denen Einer sich leise an den Astronomen machte und eben im Begriff war, mit einem geschickten Griffe die goldene Dose aus der Tasche zu ziehen, als der Amtsrath sich erhob, mit lauter Stimme: Diebe! Diebe! rufend. Er bewirkte, daß die Spitzbuben ihre Beute fahren ließen und augenblicklich aus dem Zimmer sich fortschlichen. Es entstand Lärm; als die Diener Licht brachten, zeigte sich die Gesellschaft in Schrecken und Verwirrung. Der Astronom umarmte den Amtsrath.

»Freund, Retter!« rief er, »ohne Sie wäre die kostbare goldene Dose mit dem astronomischen Kunstwerk auf dem Deckel verloren gewesen.« –

»Es war nur ein Glück,« entgegnete der Amtsrath, »daß der Mond so hell schien.« –

»Der Mond?« fragte der Astronom verwundert; »ei, mein Lieber, wir haben ja heute keinen Mondschein.« –

»Ob wir einen haben!« rief der Amtmann, »sahen Sie ihn denn nicht? dort durch's Fenster in der Ecke leuchtete er; freilich nur Halbmond, doch hell genug, um die verdammten Bursche deutlich heranschleichen zu sehen.«

Der dicke freundliche Mann am Fenster, der bis jezt still dagesessen, erhob sich, und nach Stock und Hut greifend, sagte er:

»Sie sehen, Herr Amtsrath, daß der Mond doch nicht so ganz Nebensache ist; hilft er auch nicht die Kunst zu verherrlichen, so ist er doch gut, um Diebe zu ertappen; wir wollen ihm daher immerhin alles Gute gönnen.«

Mit diesen Worten ging er hinaus. Die Fremden, die jezt nach und nach zur Besinnung kamen, erhoben Klagen und Verwünschungen, der Wirth besänftigte sie, indem er sie versicherte, daß in seinem Gasthof noch nie ein Diebstahl gelungen sey; »besonders,« sezte er hinzu, »bin ich gesichert, seitdem jener treffliche Herr bei mir wohnt, der eben jezt hinausgegangen. Es ist ordentlich, als wenn er mit der Polizei im Bunde stände. Dies ist nun schon der fünfte Diebstahl während der Badezeit, den er gleichsam angezeigt.«

»Dummes Gewäsche!« rief der Amtsrath, »ich sage Ihm ja, der Mond hat die Bursche verrathen, der Mond, der dort durch's Fenster in die Stube schien. In der finstern Kammer hätten wir ja sonst Alle nichts gesehen.« –

»Gleichviel,«entgegnete der Wirth: »der Mond, oder der Herr von Mondschein.« –

»Was ist der Fremde?« fragte der Amtsrath verdrüßlich. –

»Ich habe ihn schon genannt,« war die Antwort; »er heißt Herr von Mondschein, ist ein reicher Edelmann aus einer sehr alten Familie und reiset zu seinem Vergnügen durch die ganze Welt, und zwar gewöhnlich in der Nacht. Alles hat er gesehen, überall ist er gewesen, und wenn er manchmal aufgelegt ist, zu erzählen, so kommen ganz kuriose Dinge zum Vorschein. Er muß sein liebes, rundes, freundliches Gesicht wohl erkaltet haben; denn so lange er hier ist, trägt er die schwarze Binde darüber, doch rückt sie jezt immer weiter, so daß das andere lebhafte, freundliche Auge, welches immer versteckt war, auch schon halb hervorzuscheinen beginnt. Diese Stunde nun ist die Zeit, in der er seine nächtlichen Spaziergänge antritt. So dick und wohlbeleibt er ist, so wandert er doch rüstig immer weiter und kehrt erst gegen Morgen wieder heim, wo er denn gemeiniglich etwas blaß und übernächtig aussieht. Dabei ist er ein recht wunderlicher Kauz; oft bleibt er halbe Stunden lang vor einem Wässerchen, wohl auch vor dem Brunnentroge stehen und guckt hinein. Die Hunde, wenn sie ihn sehen, bellen ihn an. Er geht, so lange er hier ist, nie anders als in dem dunkelblauen Rocke, mit den ganz ungewöhnlich vielen kleinen Metallknöpfen besezt. Ich möchte ihn um keinen Preis in der Welt verlieren, denn seitdem der kostbare, liebe Mann hier ist, geschieht in meinem Hause, Hof und Garten durchaus nichts Geheimes und Unrechtes.« –

»Was ich dergleichen fürwitzige Reisende nicht leiden mag!« brummte der Amtsrath, indem er sich zum Weggehen anschickte. »Sie guckten Einem, wenn man's zuließe, in die Suppenschüssel, um in derselben die Fettaugen zu zählen. Aber freilich, an Badeörtern sind dergleichen Spione und Allerweltsspäher recht an ihrem Platze.«

Er verließ mit dem Astronomen das Wirthshaus.

An der Mauer des kleinen Gärtchens, vom Hause ziemlich entfernt, in einer dichten Laube saß die jüngste Tochter des Wirths, ein hübsches zärtliches Mädchen, an der Seite ihres Geliebten, des rüstigen Gärtnerburschen, den sie sich heimlich hinbestellt hatte. Das furchtsame Mädchen gestattete eben die ersten Küsse, als sie plötzlich auffuhr:

»Ach, Hans! wie hast Du mich betrogen! Du hast mich versichert, der Mond werde heute Nacht nicht scheinen, und da schimmert er eben am Himmelsrand herauf durch die Blätter!«

Hans war in Verlegenheit, er wußte nicht, was er sagen sollte, der sanfte Schimmer überschüttete so lieblich die Wangen und den Hals des Mädchens, er glitt so schmeichelnd die blonde Locke herab und bettete sich auf die purpurne Blüthe der süßesten Lippen.

»Allerdings, liebes Gretchen,« rief er stotternd, »steht heute kein Mondschein im Kalender; doch was thut dies? Du bist nur um so schöner, ich küsse Dich um so zärtlicher, wo die Nacht mir Deine Schönheit nicht zu verbergen vermag.« –

»Ach!« seufzte das Mädchen, »der Mond wird uns verrathen! Sieh nur, wie er durch die Blätter dringt, ordentlich, als schöbe er mit silbernem Finger sie hinweg. Hans, Hans, was raschelt da im Laube? Gewiß, es belauscht uns Jemand.«

Das Mädchen täuschte sich nicht; in der That war es der Herr von Mondschein, der auf seinem nächtlichen Spaziergange an der Laube stehen geblieben war, um über die niedrige Mauer hinweg sich die Gruppe der Liebenden zu betrachten.

»Himmel!« rief Gretchen, »der Fremde, der bei meinem Vater abgestiegen, steht hinter uns; er hat uns gesehen und wird uns verrathen!« –

»Das wird er nicht,« entgegnete der freundliche Mann, indem seine sanfte Stimme lieblich durch die Stille tönte. »Ihr seyd gute Kinder, nicht die ersten Liebenden, die ich auf meinen einsamen Spaziergängen belausche, doch seyd nur ruhig, ich verrathe euch nicht.«

Er liebkoste bei diesen Worten freundlich die erhizte Wange des Mädchens und indem er die schwarze Binde mehr über sein Gesicht zog, sezte er seinen Spaziergang wieder fort. Die Liebenden sahen ihm vollkommen beruhigt und mit dankenden Blicken nach.

Er war nicht weit gegangen, als es ihm einfiel, seine alte, gewohnte Lust am Anblick des Wassers zu befriedigen; er erstieg daher mit einiger Mühe eine kleine Anhöhe am Meeresufer, und schaute nun von dort in die Flut hinab.

Alsbald war es nun, als wenn in der tiefen Stille umher die kleinen, flüsternden Wellen am Fuße des Gesteins wie in wundersam heimlichen Gesprächen durcheinander wogten. Von Zeit zu Zeit schwang sich ein Fischlein auf, tauchte jedoch gleich wieder hinein in's schmeichelnde Gekose; von ferner, grauer Meeresweite kamen die Lüftchen und brachten auf ihren Fittichen den frischen Seegeruch, den Duft wunderbarer, in der Tiefe wurzelnder Pflanzen, deren Blüthe kein Menschenauge erblickt, die unter den Wundern der Unterwelt, selber ein Wunder, ihr gespenstiges Daseyn fortführen. Einzelne Schiffe hingen in der Ferne ihr weißes Segel auf, und glitten leise in der Dunkelheit mit ihren fremden Menschen und Schätzen unbekannt dahin.

Der freundliche Reisende sah sich alle diese Dinge mit innigem Ergötzen an; er wäre beinahe unwillig geworden, als jetzt nahe knarrende Laute ihn störten. Ein Fenster in der Nachbarschaft wurde geöffnet, und aus dem Hause, in dem eine Dichterin wohnte, blickte eine weiße Frauengestalt, eine Guitarre im Arm. Sie stimmte leise und sang dann die Worte:

Guter Mond, du gehst so stille
In die Abendwolken hin, u. s. w.

»Ach!« erklangen die Worte, nachdem der Gesang beendet war, »ach, wie lange soll noch dieses Sehnen, dieses Schmachten, diese heiße Thränenzeit dauern? Wann wird endlich Erhörung diesem Herzen geschenkt, das so glühend und so zärtlich liebt? o, vielleicht zu glühend! Du holder Mond, du sey der stille Vertraute meines Herzens, erfahre in dieser Stunde, was noch Niemand vernommen.« –

»Erlauben Sie, Gnädigste,« nahm unser Freund das Wort, »es hält sich allerdings Jemand in Ihrer Nähe auf. Ich bin der Herr von Mondschein, der Ihre Geheimnisse durchaus nicht entschleiern will.« –

»O Sie!« rief die Dichterin, »jezt erkenne ich Sie erst, verehrter Herr. Mein Himmel! wie konnte ich auch nur so seltsam mich täuschen! Doch die Beleuchtung, die aus meinem Fenster auf Ihr Antlitz fiel, ist an Allem Schuld, ich habe Sie in meiner poetischen Entzückung in der That für den Mond angesehen.« –

»Allzu schmeichelhaft!« entgegnete der Freund mit Lächeln.

Die Dame kam jezt herab. »Es ist gut, daß ich Sie treffe,« hob sie nach einer Pause an, indem sie sich an den Arm des Spaziergängers hing; »die kurze Sommernacht ist so heiter und lieblich, lassen Sie uns einen kleinen Ausflug am Meeresstrande machen. Ich vertraue Ihnen indessen Einiges, was ich gerade unter der Feder habe.«

Der Herr von Mondschein seufzte; er machte Entschuldigungen und behauptete, daß er nicht würdig sey, jene kostbaren Mittheilungen in sich aufzunehmen.

»Spötter!« drohte die Dame, »wem vertraute man sich wohl lieber und offener an, als Ihnen? Scherz oder Ernst, wie Sie wollen, doch Ihr Wesen macht auf mich immer den Eindruck, als sähe ich in den lieben Mond. Es ist mir, als könnte ich Ihnen kein, auch noch so verborgenes Gefühl meines, leider nur zu sehr geprüften Herzens verschließen. Doch jezt wieder zu meinen Trauerspielen und Gedichten zurück! Allein warum haben Sie, theurer Mann, immer noch die häßliche schwarze Binde, die die Hälfte Ihrer anziehenden Gesichtsbildung verfinstert?« –

»Zahnweh, Gnädigste!« rief Mondschein und zog eine häßliche Grimasse.

Die Dichterin fuhr fort: »Ehe ich einen Theil meiner Gedichte hersage, muß ich Sie doch mit einer tragisches Liebesgeschichte bekannt machen, die sich hier vor unsern Augen, nämlich unter den Badegästen, die diesen Ort besuchen, mit allen Gräueln, als da sind Grausamkeit und Härte der Eltern, tiefe Verruchtheit des Liebhabers, Verzweiflung des armen Mädchens, zubereitet hat. Haben Sie vielleicht den dicken, widerwärtigen Amtsrath Pfefferkorn gesehen? Nun, diese personificirte Prosa, diese klassische Ausgabe der niedrigsten, engherzigsten Gemeinheit, hat ein Kind, ein blühendes, ätherisches Kind, wahrlich ein ihm untergeschobenes Sylphenkind. Die kranke Blässe ihrer Wangen ist wie der Schleier einer sanften Elegie über das epische Feuer zweier Augen ausgegossen, die weder an Ausdruck noch an Leben dem lyrischen Lächeln der schönen Lippen nachstehen. Ich sage Ihnen, ein schöneres Geschöpf hat nie mein Auge erblickt.« –

»Ich kenne sie«,« rief Mondschein, »ich habe sie oft belauscht, wenn sie sich allein glaubte.« –

»Wie war dieses nur möglich?« entgegnete die Dichterin, »ich kenne kein schüchterneres, sittsameres Geschöpf, als Marien; nur der keusche Strahl des Mondes darf sich in ihr einsames Zimmer stehlen.«

Der Reisende lächelte seltsam.

»Doch hören Sie weiter!« rief die Dame; »diesen Engel will der alte Gewürzkrämer, das Müllerthier, verzeihen Sie meinem poetischen Unwillen diesen Ausdruck, verhandeln an einen dürren, pedantischen Gelehrten, an einen Astronomen, der kein anderes Verdienst hat, als ein Jugendgespiele jenes Gemeinen zu seyn. Aber nein, ehe meine Thetis diesen Peleus ehelicht, ehe ermorde ich, gleich einer rasenden Medea, alle meine Kinder, daß heißt alle meine Trauerspiele.« –

»Morden Sie!« rief Mondschein, »morden Sie drauf zu, Gnädigste, wüthen Sie recht in Ihrem eigenen Blute! kann es etwas Tragischeres geben?« –

»Nein!« antwortete die Dichterin, »immerdar haben in meinem Busen die sanfteren Gefühle die Oberhand gewonnen. Die guten Kinder meiner Laune sollen leben; doch jene Liebenden, die ich nun einmal in meinen Schutz genommen, auch sie sollen leben. Und Sie, theurer Mann, werden mir in meinen Plänen behilflich seyn. Der junge Liebhaber, ein trefflicher zarter Jüngling, der hier in der Nähe wohnt, soll sein Bräutchen haben, trotz des Gewürzkrämers und seines Freundes, des langen Fernrohrs.«

Die Sängerin hatte ihren Freund jezt bei seiner schwachen Seite gefaßt; er mochte nichts lieber thun, als Liebende vereinen, ihr Glück begründen. Willig ging er daher auf die Pläne der poetischen Schönen ein, und so wandelten, beide am Meeresstrande dahin, bis die Reihe des Morgens und die kühle Luft die zarte Sängerin wieder in ihr Gemach zurücktrieb.

Es war eine große Gesellschaft beim Amtsrath versammelt. Marie, so hieß das zarte hübsche Mädchen, saß an der Seite des Astronomen, August, ihr Geliebter, ging unten auf der Gasse vorüber und schaute sehnsüchtig hinauf zu den erleuchteten Fenstern, hinter denen er sein liebliches Mädchen versteckt wußte. Der Herr von Mondschein befand sich unter den Gästen. Man sprach und scherzte; und nachdem die Dichterin einige Gedichte abgelesen hatte, wurden gute Weine und treffliche Speisen herumgereicht. Der Amtsrath gerieth wieder in seine trockene Lustigkeit, er forderte die Gesellschaft auf, Liebesgeschichten zu, erzählen, und brachte selbst ein Abenteuer auf, das einen auffallenden Schluß hatte und eine Menge nicht ganz zarter Späße enthielt. Die Dichter-in fand sich hierdurch nicht wenig beleidigt, und der Herr von Mondschein nahm das Wort, indem er lächelnd sagte:

»Wie seltsam! diese Geschichte mit der Entführung soll sich in Neapel zugetragen haben, und ich weiß doch, daß sie sich an der Küste von Frankreich ereignete. Nach Ihrem Berichte soll die Frau den jungen Mann zur Flucht beredet haben, und ich bin selbst gegenwärtig gewesen, wie sie sich auf das Heftigste gesträubt hat, von ihm sich einführen zu lassen.« –

»Sie dabei gewesen?« rief der Amtsrath verdrießlich; »das ist etwas Anderes, mir ist die Begebenheit so erzählt worden.«

»Ein Beweis,« nahm ein anderer alter Herr das Wort, »wie Umstände und Thatsachen öfters verdreht werden. So habe ich hier am Ort folgende Liebesgeschichte durchaus verändert erzählen hören, die mir selbst in Ostindien auf einer meiner Handelskrisen in jenes Land begegnet ist.«

Der Sprecher brachte jezt eine nicht minder merkwürdige Geschichte vor. Als sie geendet war, sah Alles den Herrn Mondschein an, der aber zuckte die Achseln:

»Ich muß bedauern,« rief der freundliche Mann; »auch bei diesem Begebniß bin ich dabei gewesen. Allerdings ist es in Indien vorgefallen, allein die Dame, welche ich von Ansehen kenne, war nicht die Tochter, sondern die heimlich vermählte Frau jenes Herrn.« –

»Der Himmel weiß, wer sie war und was Sie sind!« brummte der Amtsrath. »Sagen Sie mir nur, Freund, wie es möglich war, daß Sie beim Hergang beider Geschichten zugegen gewesen, da beide fast zu gleicher Zeit, eine in Indien, die andere in Frankreich gespielt haben?« –

»Bei einem Reisenden,« nahm Mondschein das Wort, »und zwar bei einem, der die Nächte durchreiset, ist hiebei eben nichts Auffallendes. Ich könnte Ihnen noch ganz andere Geschichten erzählen.« –

»Nein!« rief die Dichterin, »verlassen wir das Feld dieser kleinen anstößigen und halb gemeinen Histörchen. Sollen durchaus Liebesgeschichten erzählt werden, so möge man eine große, edle, schwärmerische, dichterische Liebe schildern; zum Beispiel Julia's und Romeo's Liebe, Petrarka's und Laura's, Dante's und Beatrizens.« –

»Die Dichter,« bemerkte Mondschein, »hatten auch hier uns nicht die Wahrheit berichtet. Es verhält sich mit jenen berühmten alten Liebeshändeln, im strengen Sinne genommen, eigentlich auch ein wenig anders.« –

»Hoho!« schrie der Amtsrath, »auch wohl dabei gewesen?« –

»Ich kann's nicht leugnen,« entgegnete der Reisende mit gutmüthigem Lächeln, indeß die Gesellschaft ihn erstaunt und verwirrt anblickte. »Ich sehe das alterthümliche Haus der Eltern, Julia's in Verona noch deutlich vor mir, die Stiege, den Altan, die halboffenen Säulengänge, in welchen ich so oft bei nächtlicher Stille gewandelt. In's Schlafgemach Julia's durfte ich hineinblicken, ja ich kann sogar behaupten, daß ich mit Romeo zugleich ihre Rosenwange geküßt habe.«

Das allgemeine Erstaunen, welches anfänglich geherrscht hatte, nahm jetzt einen andern Charakter an; die meisten Zuhörer verzogen die Miene zum Lächeln, oder schüttelten die Köpfe und blickten in den Schooß, der Astronom jedoch zog ein Fernrohr hervor, und indem er es um's Doppelte verlängerte, richtete er es prüfend auf die Gestalt und das Antlitz des Erzählers. Die Gesellschaft brach hier in ein lebhaftes Gelächter aus; kopfschüttelnd steckte der Gelehrte das Rohr wieder ein, man sah ihn nachdenklich im Nebenzimmer auf- und abgehen, endlich entfernte er sich gänzlich aus dem Hause.

Man verständigte sich jezt bald darüber, den dicken lieben Herrn von Mondschein für einen lustigen Erzähler und spaßhaften Kopf zu halten. Der Amtsrath selbst begriff nicht, wie er nur im Geringsten habe irre werden können an dem Charakter, wohl gar an dem Verstande des jovialen Reisenden; denn hatte er nicht heitere Spaßvögel der Art in Menge kennen gelernt? Um es Jenem gleich zu thun, behielt man nun diese Gattung von Geschichten bei, und tausend abenteuerliche, wunderliche Mährchen schwärmten wie Nachtschmetterlinge in dem immer trüber werdenden Gemache umher.

Maria saß einsam; ihre Gedanken und Träume brachten sie weit fort aus dem frohen Kreise; sie hätte weinen mögen. In ihrer Abgeschiedenheit fühlte sie sich nicht wenig erschreckt, als jezt eine freundliche, sanfte Stimme zu ihr sprach und sie den Herrn von Mondschein bemerkte, der von der lustigen Gesellschaft sich geschieden und dicht neben ihr Platz genommen hatte, und mit seinen wunderbar milden, freundlichen Augen in die ihrigen blickte. Das Gespräch, das er jezt, unbelauscht von den übrigen Gästen, mit ihr begann, war so voll heimlich süßer Innigkeit, so voll Schmerzen und Lust, wie des Mondes Leuchte, wenn sie auf einsame Gräber niederglänzt.

Marie hatte sich nie sowohl gefühlt; seit dem Tode ihrer Mutter hatte Niemand so warm und lieb ihre Hand gefaßt, mit so keuscher Zärtlichkeit um ihren Leib den Arm geschlungen. Der wunderbare Mann schien mit der ganzen kleinen Geschichte ihres Herzens vertraut, jede schuldlose Heimlichkeit, jede naschhafte Mädchenlaune, jeder noch im Keime zitternde jungfräuliche Wunsch, er berührte sie mit seinen klingenden Worten, und es war, als sprühte ein feiner Silberregen auf nächtliche Blüthenkolben nieder, als spräche im sichern Hain der Mond mit den kleinen Wellen des Bächleins, und diese vertrauten ihm Alles und Jegliches, was sie von ihrem kurzen träumerischen Daseyn nur wußten. So sprach Marie mit dem fremden Gaste von ihrer Liebe.

Es war schon Nacht, die Kerzen waren verlöscht, die Gesellschaft auseinander gegangen. Marie lag in ihrem Bettchen, die fernen Meereswellen brausten, am Himmel stand der Mond in seiner ganzen Herrlichkeit. Marien war es im Traum, als säße sie noch an der Seite des alten freundlichen Mannes mit dem runden glänzenden Gesichte; dann war er plötzlich verschwunden, und als sie ihn suchte, blickte er durch's Fenster herein, und wieder erklangen jene süßen Reden und beklemmten das Herz des armen Mädchens.

Die Sehnsucht ließ sie nicht ruhen; in dem trüben schwankenden Zustand von Wunsch und Willen, der sich ihrer bemächtigt hatte, saß sie auf dem Bette, da that sich leise die Thür auf, und eine seltsame Nachtgestalt, lieblich und schrecklich zugleich, stand vor ihr. Ein schöner schlanker Jüngling, in weiße, silberglänzende Gewänder gehüllt, kam mit unhörbarem Schritte auf sie zu; sein wachsbleiches Antlitz, so weich und schwärmerisch lieblich geformt, wie das Mädchen noch keines Jünglings Antlitz geschaut, wurde durch zwei wundersame Eigenheiten entfremdet. Die eine war ein Kranz feiner silberner Locken, der die hohe Stirn umschloß und bei jeder Bewegung des Hauptes leise erklang, gleich den zartesten Maienglöckchen, wenn man sie sich von Silber zierlich geformt denkt; die andere zeigte sich mehr grausenvoller Art: die schönen Augen des Jünglings, so offen sie standen, zeigten keine Sterne, nur das Weiße, wie gediegenes Silber, schwamm in denselben.

Marie zog sich erschreckt zurück, doch als die Worte erklangen: »Mein süßes, armes Kind, konnte, ich führe Dich zu Deinem Geliebten,« da erkannte sie ihren Freund, den liebevollen alten Herrn, und mußte fast lächeln, wie er sich so seltsam schön und doch wieder so grausenvoll verkleidet hatte. Ohne Furcht faßte sie jezt seine Hand, allein sie vermied es, ihm in die silbernen, sternlosen Augen zu blicken, nur auf seine Stimme hörend, die wie ein Zaubernetz von Millionen durcheinanderfunkelnden Silberflocken sie immer enger und enger umstrickte. So schritt sie sicher an seiner Hand hinaus auf die Flur, und als sie die Thür verschlossen fand, war es ihr als müßte sie weit sicherer und leichter auf dem Treppengeländer des Ganges gehen, der außerhalb um das Haus führte.

Wie sie jezt immer weiter und weiter schritt, immer höher und höher stieg, wurde es ihr wunderbar leicht zu Sinne; nur auf einen Moment schien es ihr, als hörte sie unten in schreckenvoller Tiefe das Meer aufbrausen, als sähe sie die Menschen klein und kaum merklich auf der Gasse dahinwandeln; dann zog sich aber wieder das silberne Flockennetz dichter um sie, muthig schritt sie weiter, betrat enge, gefährliche Wege, oft über lose Steine hinüber, und es schien ihr, als schwebte sie über Grashalmen, und als wären diese gerade fester und sicherer als Mauer und Treppe.

So kam sie oben an auf die äußre Abdachung des Hauses, welche auf das Nebengebäude hinüberleitete. Der Nachtwind rauschte in ihren Gewändern, die silbernen Locken ihres wunderbaren Gefährten klangen durcheinander, funkelnd bewegte sich das Netz – da riß es an einer Stelle von einander und sie blickte jezt durch die Oeffnung deutlich hinunter in die Tiefe.

Es war ihr, als sähe sie unten Leute stehen, die zu ihr mit angstvollen Blicken hinaufsahen, sie verstand wie im Traume, was jene unter einander redeten. Es waren der Amtsrath und die Dichterin darunter, und die leztere rief:

»Um Gotteswillen, Herr Amtsrath, nur nicht die Unglückliche am Namen gerufen! man weiß ja, daß alle Mondsüchtige dadurch bis zum Tode erschreckt werden!«

Ein fürchterliches Entsetzen befiel das arme Kind bei diesen Worten, und sie kettete sich fester an ihren wundersamen Begleiter; der sah sie fest an mit seinen weißen Bildsäulenaugen und führte die Zitternde sicher hinüber bis in's Gemach, wo Mariens Geliebter einsam wachte.

Der Astronom und Professor Siebenzieher hatte sich ins Gasthaus geschlichen, in welchem der Fremde wohnte, und zwar an die Thür des Gemaches, und legte nun eben das rothe entzündete Auge an eine kleine Oeffnung im Holze. Er glaubte die seltsamsten Dinge drinnen zu gewahren. Es war Nacht und, wie es schien, kein Licht im Zimmer; dennoch wurde es von einem wunderbaren Schimmer erleuchtet. Der Professor rieb sich die Stirne, strich das dünne Haar noch höher hinauf, endlich zog er ein kleines Fernrohr, dann ein größeres hervor, und immer heftiger schüttelte er das Haupt, immer wunderlicher wurden seine Geberden und Sprünge vor der Thüre; er bückte sich, richtete sich auf, ahmte den gekrümmten Rücken eines zornigen Katers nach und spann und schnurrte auf die seltsamste Art; dazu zog er von Neuem das Tüchelchen hervor, die Gläser des Rohres zu reinigen, und blickte wiederum hinein in's Zimmer. Doch die Erscheinung drinnen hatte sich nicht verändert: ganz deutlich stand am blauen Nachthimmel der Mond, zahllose Sterne um ihn her, Wolken trieben am Antlitz des Mondes vorüber, es wehte ein kühler Nachtwind, kurz es war der Himmel selbst, den der Gelehrte anschaute, und dennoch war es zugleich ein Zimmer im Gasthofe zum Posthorn.

Dieses war zu viel für einen Astronomen, es drängte ihn, hineinzubrechen, und ehe noch auf sein Klopfen an die Thüre Antwort erscholl, stand er schon mitten im wunderbaren Gemache; doch umschauend, glaubte er in einem ängstlichen Traume befangen zu seyn: hier gab es keinen Mond und keinen Himmel, das einfache Zimmer im Gasthof zeigte sich mit dem gewöhnlichen Geräthe; auf dem Sopha lag der Herr von Mondschein in seinem dunkelblauen Rock; mit den vielen Metallknöpfen besezt, und blickte fragend den ungestümen Gast an, der gekommen war, um seine Ruhe zu stören.

Athemlos vor Verwunderung, ließ sich der Astronom auf den ihm hingeschobenen Stuhl nieder, indem er mit weit aufgerissenen trüben Augen noch immer den wunderbaren Inhaber des noch wunderbareren Zimmers anschaute; endlich öffnete er den Mund zu der kleinlauten Frage, wo die schöne Theaterdekoration hingekommen, die er noch vor wenigen Augenblicken hier erschaut habe? –

»Theaterdekoration?« rief der Fremde verwundert, »ich weiß von keiner solchen.« –

»Ja, ja,« entgegnete jener, »die schönste Mondnacht, wie ich sie nur in der Berliner Oper gesehen; dazu Sternbilder, der Orion, der große Bär« –

Der Dicke wandte sich unmuthig auf dem Sopha; »ich glaube,« rief er, »Sie unterfangen sich, über meine Leibesbeschaffenheit Späße zu machen? es war Niemand im Zimmer, als ich.«

Der Astronom zog, ohne zu antworten, langsam und lächelnd sein Fernrohr hervor und richtete es auf das Antlitz des Eiferers.

»Ja Sie, Sie,« schmunzelte er, »wer sind denn Sie eigentlich?«

Der Herr von Mondschein schlug ihm heftig das Fernrohr aus der Hand. »Herr!« rief er, »wofür halten Sie mich, daß Sie mir stets mit dem verdammten Instrumente, das ich nun einmal nicht leiden kann, auf den Hals rücken?« –

»Es ist der Mond!« schrie der Astronom, »der Mond ist's! ich sehe ja deutlich die Gebirge – Alles seh' ich! Trocken die ganze Masse, durchaus kein Wasser. Ha, es ist richtig, Gruithuisen, der wahnsinnige Träumer, hatte doch wohl Recht; die gerade Linie da, die starke Erhöhung, fast wie eine Nase gestaltet, könnte sie nicht eine Art Befestigung seyn, ein mächtiges Bollwerk? – O halten Sie stille, Theurer, da finde ich ja in der That alle meine Entdeckungen, meine kostbaren neuen Entdeckungen! Edler, trefflicher Mann, lassen Sie sich umarmen, an's Herz drücken! So wird das Wunderbarste wahr, das Unbegreifliche mit Händen greifbar. O wie freue ich mich, daß ich eine poetische Natur hin, die überall Zusammenhang und Beziehung ahnet!«

Er klingelte und ließ Wein bringen. Als die Gläser gefüllt waren, rief er begeistert: »Ha! der Seligkeit, dem Monde am Busen liegen! gleichsam Wange an Wange mit einem Planeten, oder vielmehr mit dem Satelliten eines Planeten! Wonne! O theurer Satellit, gewiß, die engste Brüderschaft muß zwischen einem Astronomen und einem Stern, wie Sie sind, herrschen.«

Der freundliche, seltsame Mann lächelte, sein Antlitz färbte sich bei jedem Glase Weines, das er leerte, immer röther. »Freund,« sprach er zum Astronomen, »Sie schwärmen und sind auf dem Wege, ein Thor zu werden! Was soll es mit Ihren Sternen und Satelliten? Gehen Sie, lassen Sie uns das Bette suchen; in der That, es wird spät, der starke Wein fängt an, uns zu Kopfe zu steigen.«

Der Gelehrte hörte diese Worte nicht, wieder hatte sich das Zimmer im Gasthof vor seinen Augen zum Himmel ausgedehnt; ganz deutlich sah er, wie die dunkle Tapete tiefer und tiefer hinwegschwand, die weißen leichten Vorhänge am Fenster wurden zu Nachtwolken, die hoch über seinem Haupte dahinzogen. Er blickte nach seinem Wirthe, doch er war nicht zu finden, statt seiner stand der Mond voll und ungewöhnlich geröthet am Horizont, um ihn herum die Sterne. Der Astronom rieb sich wieder die Augen, er meinte, wiederum im Traume zu seyn, doch er täuschte sich nicht – es war das Antlitz des Herrn von Mondschein, allein seltsam verwandelt und unheimlich vergrößert; ein höhnisches Lächeln zuckte in den riesigen Zügen. Immer höher und höher rückte die Erscheinung, bis sie zulezt hoch am Himmel erblaßte und von den ersten Strahlen der Sonne verdunkelt wurde.

Als der Professor erwachte, hörte er mit Schrecken, daß er die ganze Nacht über im Zimmer des Fremden geblieben. Er eilte jezt in die Stadt und unterließ nicht, die merkwürdigsten Gerüchte über den im Posthause eingekehrten Reisenden auszustreuen. Die meisten Badegäste waren an dem seltsamen Manne dergleichen schon gewohnt, sie erklärten ihn für einen Phantasten und ließen ihn gehen; Andere, noch Einsichtsvollere, nannten ihn einen Thoren, lachten über seine Neuigkeiten und banden ihm in der Eile ähnliche auf. Die Dichterin allein meinte, es stecke doch wohl etwas Poetisches in der Träumerei, und sie wolle ein Stück schreiben, etwa dem Shakespeare'schen Sommernachtstraume gleich, wo sie denn jene Erfindungen anzubringen gedenke.

Am meisten ärgerte sich über die Verrücktheit seines Schwiegersohns, wie er sie nannte, der alte Amtsrath. Er zog ihn einmal nach der Tafel heimlich bei Seite und rief mit zornerstickter Stimme: »Aber wo ist denn Ihr Weniges an Vernunft geblieben, Theurer? Wie? Was? der Mond soll unter uns herumwandeln, gleichsam wie ein gewöhnlicher Mensch? – Bedenken Sie doch nur – der Mond! Ein Weltkörper, der so und so viel Quadratmeilen groß ist, der auf seiner Oberfläche –«

– »Kein Wasser hat,« fiel Siebenzieher ihm in die Rede; »freilich, das Alles weiß ich ganz genau, und dennoch –«

– »Und dennoch?« rief der Amtsrath – »Sie sind ein Narr!« –

»Geschehen nicht die wunderbarsten Dinge täglich vor unsern Augen?« fragte der Astronom eifrig. »Hat man nicht Beispiele von planetarischen Einflüssen, von Verkörperung der Naturgeister, von, ich weiß nicht was Allem, wo Ihnen die neuesten Naturphilosophen noch größere Wunder zugeben? Kurzsichtiger, der Sie sind, Prosaischer! Haben nicht die Alten den Mond personificirt, wandelte er nicht da auch ein Lebender unter Lebenden? Doch sehen Sie ja wohl ein, daß bei der jetzigen Verfeinerung des Lebens, bei der herrschenden Moralität er nicht mehr als irgend ein lustig gekleidetes Götterwesen herumlaufen kann, daß er nothwendig, wenn es ihm einfällt, auf die Erde herabzusteigen, als behaglicher, wohlbeleibter Mann in einem dunkelblauen Reiserock mit vielen blitzenden Metallknöpfen erscheinen muß; begreifen Sie dieses Alles nicht?« –

»Die alten Griechen,« rief der Amtsrath verdrießlich«, »waren mit ihren vielen Gottheiten wahre Thoren. In unsern gebildeten Tagen wird es Niemanden einfallen, jene Träume für Wahrheit zu halten.« –

»Unheilbar!« seufzte der Astronom. »Sie werden, Freund, den Zusammenhang der Welten nie begreifen; Ihr trübes, stumpfes Auge wird nie tiefere Blicke in's Geheimniß thun. Für Sie und Ihresgleichen ist und bleibt der Mond freilich nichts anders, als ein unförmlicher Klumpen von trockener Substanz, ohne Geist, ohne Leben; Sie werden die Nachtseite der Naturwissenschaft, das Traumleben alles Geschaffenen nie begreifen, nie den heiligen Isisschleier lüften, der über jeglicher Erscheinung hingebreitet liegt.« –

»Den Schleier, der über Ihre Narrheit gebreitet lag,« rief zornig der Amtsrath, »habe ich aber doch gelüftet, und in der That, ich habe die größte Lust, Verehrtester; mit Ihnen vollkommen zu brechen, wenn Sie sich nicht bessern.« –

»Brechen Sie,« rief der Astronom, »brechen Sie immerhin!«

Er zog hiemit sein Fernrohr hervor und fing an, den Amtsrath damit zu beobachten, der nun, auf's Aeußerste gebracht, zornig und zugleich verlegen dastand, dem Gelächter der noch dasitzenden Tischgesellschaft ausgesezt.

»Ein sauberes Gestirn, das Sie sind!« rief Siebenzieher jezt, sein Fernrohr einsteckend; der Amtsrath packte ihn am Arm und zischelte ihm in's Ohr: »Verrückter, der Sie sind! wissen Sie, daß wir jezt geschiedene Leute sind? Meine Marie bekommen Sie nicht; ich gebe sie, ja ich gebe sie, Ihnen zum Possen, an den Habenichts, an den jungen August. Hören Sie! jezt gehen und beobachten Sie, was und wen Sie wollen.«

Er rannte fort und der Professor blickte ihm höhnisch nach.

Während dieses Wortwechsels hatte sich ein nicht geringes Unglück ereignet. Einige Badegäste kamen eilig in den Saal, man sprach von der eben wiedergekehrten Flut, die diesmal besonders heftig und stark sich erwiesen und mehrere Personen, die sich ihr ohne besondere Vorsicht ausgesezt, ergriffen habe. Athemlos stürzte der junge August herein, sein Haar und seine Kleider waren durchnäßt; in seinen Armen hielt er Marien, die ohnmächtig mit geschlossenen Augen dalag; ihm folgte Hans, der junge Gärtnerbursche, der die Dichterin, in gleichem Zustande wie Marie, auf seinen Armen hereinbrachte. Der Saal füllte sich mit Menschen, die alle von dem Unglück erzählten; hundert Stimmen sprachen durcheinander, noch mehrere kranke und ohnmächtige Frauen wurden hereingeführt, da der Saal, in dem man sich versammelte, das nächste Haus am Meeresstrande war.

Jezt hörte man auch das Meer auf das Seltsamste brausen und zischen; es hatte das Ansehen, als sollte das ganze Städtchen von dem losgelassenen Ungeheuer verschlungen werden; viele ängstliche Leute hielten sich selbst in dem hochgelegenen Saale nicht mehr sicher und flüchteten unter's Dach; überall hörte man Hülfe schreien und sah Fliehende.

Nur ein Mann zeigte sich, der in dieser Verwirrung unerschrocken und, wie es schien, völlig ruhig auf der Spitze eines kleinen vorragenden Felsenstücks stand. Der Sturm wühlte in dem kurzen Mantel, den er sich umgehängt; unverwandt, die Arme verschränkt, blickte er in die tobende Flut, die sich zu seinen Füßen brach. »Wer ist der Fremde? Wie wagt er es, dem Gefährniß zu trotzen?« fragten mehrere Stimmen. Niemand wußte darauf Antwort zu ertheilen: da zog der Astronom sein Fernrohr, und es auf jenen im Wellenschaume unbeweglichen Gegenstand richtend, rief er:

»Es ist der Mond, der Mond! seht ihr denn nicht, wie er mit seinem Planetenantlitz in die empörten Wellen schaut, so daß sie ebben und fluten, wie er es will?«

Man erkannte in der That den Herrn von Mondschein, und Viele lachten über des Professors seltsame Rede. Es dauerte auch nicht lange, so legte sich der Sturm der Wogen, und die Gefahr war vorüber.

Eine geraume Zeit war vergangen, die meisten Gäste schickten sich schon an, das Bad wieder zu verlassen, auch der Herr von Mondschein sprach davon, daß er jezt wohl wieder weiter fort müsse. Der Wirth im Gasthofe, sowie die Einwohner des Oertchens beklagten sich über diesen Entschluß, denn alle hatten sie sich an den lieben freundlichen Herrn gewöhnt, dessen rundes Antlitz jezt auch nicht mehr durch die schwarze Binde verunstaltet wurde, sondern voll und lieblich Jedermann anglänzte. Hatte man früher von den Seltsamkeiten des Mannes gesprochen, so hatte man nun vollkommen Recht, seine Abreise dahin zu zählen.

Es hatten sich mehrere Seilkünstler am Orte versammelt, unter denen sich auch Einer befand, der einen Luftballon steigen lassen wollte. Eine große Menge lief alsbald auf dem großen Platze zusammen; die Dichterin, der Amtsrath, seine Tochter und der junge August, sowie der Astronom, der jedoch von seinen frühern Freunden sich gänzlich losgesagt hatte, befanden sich mit unter den Zuschauern. Man sprach über die Füllung des Ballons, über das Herrliche einer Luftfahrt; als jedoch die Anstalten fertig waren, der gefüllte Ball nur noch an dem Seil festhing, zeigte sich Niemand, der, auf die Aufforderung des Künstlers achtend, ihn bestiegen hätte. Hin und her streitend, suchte Jeder seinem Nachbar Muth und Entschlossenheit einzureden; endlich erschien der Herr von Mondschein und nahm, ohne sich von seinen Freunden und Bekannten, die ihm wegen seiner eben nicht leichten Leibesbeschaffenheit Vorstellungen machten, abhalten zu lassen, Platz in der Gondel, indem er seinen dunkelblauen Reiserock fester knüpfte und einen freundlichen Abschiedsblick besonders auf die Liebenden zurücksandte.

So wie er drinne saß, war es, als wenn der Ball sich von selbst vom Seil löste, majestätisch schwebte er hinauf, höher und immer höher, unter dem Jauchzen und Beifallrufen der Menge. Noch immer sah man das freundliche Antlitz, noch immer blizten die Metallknöpfe, doch aus weiter Ferne; man erwartete, daß der Luftfahrer jezt Anstalten machen werde, wieder herabzusinken; doch er stieg im Gegentheil immer schneller und schneller, so daß sich bald nur noch eine blasse Scheibe am dunkelnden Himmel zeigte.

»Wo ist er geblieben?« riefen Einige. –

»Seht ihr denn nicht?« antworteten Andere; »dort oben, ganz oben schwebt er.« –

»Das ist der Mond!« nahmen Jene das Wort. –

»Nein, der Herr von Mondschein ist es!« –

»Der Mond ist's!« schrie der Amtsrath, »ich sehe es ja ganz deutlich; es ist der Mond, er stand ja schon früher am Himmel, doch freilich noch etwas blaß, weil es noch heller Tag. Es ist der Mond!«

Er fühlte sich bei diesen Worten vom Rücken her umfaßt und umarmt; es war der Professor, der jezt ausrief: »So erkennen Sie denn endlich, theurer Freund, unsern wunderbaren Reisenden für das, was er in der That ist; nun sey wiederum Friede zwischen uns!« –

Der Amtsrath wollte antworten, doch Siebenzieher hatte schon ein ungeheures Fernrohr hervorgezogen, ließ es von zwei rüstigen Burschen unterstützen und blickte hinauf, indem er seufzte und rief: »So ist er denn wieder heimgekehrt, der edle Satellit! Möge es ihm wohlgehen!«

Bei diesen Worten brachen die meisten Frauen und Mädchen im Kreise in Thränen aus; jezt zeigte sich es erst, wie sie Alle den Herrn von Mondschein geliebt hatten; Marie aber, an der Brust ihres Geliebten, sah mit innigem Danke zu ihrem Freunde und Retter empor.

Und in der That kehrte der Herr von Mondschein nicht wieder zurück. Marie und August wurden ein Paar, der Astronom, der noch lange Zeit nachher von Satelliten, von wunderbaren Nächten im Gasthofe zum Posthorn, von dem Zusammenhang der Welten und dem großen Isisschleier sprach, fand endlich in der Dichterin ein Wesen, das seine tiefen Ideen einigermaßen zu theilen im Stande war; er entschloß sich, ihr seine Hand anzubieten, und die edle Dame fand endlich in der Liebe dieses verkannten Würdigen einen Hafen gegen die Stürme, die ihr empfindsames Herz so lange verfolgt hatten.

Der dicke Amtsrath indeß fuhr fort, über alle Dinge zu spotten, die er nicht begriff; nur wollte man bemerkt haben, daß, wenn ihm die Spöttereien über den Herrn von Mondschein in den Mund kamen, er sorgfältig umblickte, ob nicht der Mond am Himmel stände.

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