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Eine Novelle.
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Colmar, ein Offizier in französischen Diensten, vermählte sich mit Berenizen, einer Tochter des Marschalls Bienville, von mütterlicher Seite mit dem uralten Geschlechte der Grafen von Sargines verwandt. Die Hochzeit wurde auf einem Gute des Marschalls bei Rouen gefeiert, und die Zahl und Auswahl der Gäste sowohl als die Anordnungen beim Feste waren durchaus dem Rang und Reichthum jener angesehenen Familie angemessen. Man war acht Tage schon beisammen geblieben, und jezt rückte der Zeitpunkt heran, wo Rücksichten und Sitte es forderten, das junge Ehepaar sich selbst und seinem Glücke zu überlassen. Die Equipagen der vornehmen Gäste bedeckten die einsamen Landwege; nach Nord, Süd, Ost und West zerstreute sich eine große Anzahl von Leuten, die nicht hoffen durften, so zierlich und geschmückt und in so trefflicher Laune bald wieder zusammen zu kommen.
Die Säulengänge des zierlich gebauten Landhauses, eben noch vom Gedränge angefüllt, warfen, von der Abendsonne beschienen, ihre Schatten auf die gegenüberstehenden weißen Wände; selten daß hie und da noch ein Zöfchen oder ein zierlich gekleideter Jokey sichtbar ward, die ihrer vor dem Thore wartenden Herrschaft noch irgend ein vergessenes Toilettenstück nachtrugen. Der Staub wirbelte auf, die fliegenden Karossen lärmten dahin, Abschiedsgrüße, Gelächter, Flüche und Peitschenhiebe füllten die Luft – dann war Alles vorbei und der Abendwind flüsterte in den Gipfeln der Pinien und Pappeln, und drang in die finstern Lauben des Gartens, um den geheim blühenden Violen ihre zartesten Düfte zu entlocken.
Die breiten Massen des Landhauses wurden jezt in das falbe Licht des aufsteigenden Monds gehüllt; die Gesellschaft hatte sich in den Salon zurückgezogen; der Marschall ließ die Lampen fortbringen, und so saß der kleine Kreis, in schöne Gruppen vertheilt, vom Monde beleuchtet, Anfangs in sinnendem Schweigen da. Frühlingsdüfte zogen durch die offenen Fenster, Gesang und Lautenspiel tönten aus einem nahen Pavillon herüber. Zwischendurch sah man Colmar mit übergeworfenem Mantel, an der Seite seiner reizenden Braut, aus den Schatten eines Bogenganges treten und wieder verschwinden; sie waren in herzlichem Gespräch begriffen.
»So hoffe ich denn, den Sohn meines alten, theuren Freundes jezt wahrhaft glücklich zu sehen,« nahm der Marschall das Wort, indem er seinen Blick mit Freude auf die Wandelnden richtete; »wohl werden sich die Wangen, die ein mehr als seltsames Schicksal gebleicht hat, wieder röthen.«
Marie Belleville, die Schwester des Barons, erwiderte: »ich will Niemanden tadeln; aber es gibt Leute, die nichts emsiger suchen, als den Schein des Unglücks. Was ist der Grund jener bleichen Wangen? warum ist Colmar unglücklich gewesen? worin bestand sein Mißgeschick? Ein großes Vermögen, eine bedeutende Familie, eine Frau, die er nicht geliebt und deren Verlust ihm nicht schmerzhaft seyn konnte, jezt wieder Ehemann, liebend und geliebt: in allen diesen Dingen sehe ich kein Unglück; aber freilich, ein schönes schwarzes Haar, ein finster brennendes Auge und eine bleiche Gesichtsfarbe, dazu der Ruf eines vom Schicksal Verfolgten – damit ist man eben so gewiß, günstigen Eindruck zu machen, als mit Geist und Talent. Diese Ansichten werden uns ja schon frühe in Romanen gepredigt.« –
»Du gehst zu weit,« nahm der Baron das Wort; »unser junger Freund bildet sein Inneres nicht nach jenen Mustern, die Mode und Thorheit uns vorhalten. Ein Mann, der seine Jugend unter den Stürmen eines finstern Krieges, in Verhältnissen zugebracht hat, die den innern und äußern Menschen kräftigen, ihn eher rauh als zärtlich bilden, ein Mann, der die Achtung edler Menschen sich erworben, der Wärme mit Ueberlegung, Geistesstärke mit Gefühl paart, ein solcher ist keiner Modethorheit fähig. Wenn auf eine solche Brust ein kalter, schwerer Jammer sich so drückend legt, daß er sie fast zerbricht, so müssen wir Mitgefühl, nicht spöttelnden Zweifel haben.«
Die Baronesse richtete ihren Blick auf die Züge ihres Bruders, die sie im zweifelhaften Licht nur schwach sehen konnte. »Du scheinst etwas von seinen frühern Schicksalen zu wissen,« sagte sie nach einer Pause; »so theile sie uns doch mit; es sind ja lauter Familienglieder zugegen, und die dürfen fordern, in dieser Angelegenheit hell zu sehen. Schon lange hat mir eine Frage der Art auf der Zunge geschwebt.« –
»Ich möchte nicht antworten,« sagte der Marschall, »wenn ich auch könnte. Fast müßte ich glauben, nicht verstanden zu werden. – Ich halte unsern Freund für gemütskrank.« –
»In dem alten Schlosse, das er in den Pyrenäen bewohnt hat,« sagte ein junges Mädchen, »soll es spuken; Antoinette, die Schwester des Kammermädchens, welche die verstorbene Dame bedient hat, soll es versichert haben.« –
»Da hättest Du ihn wohl nicht geheirathet, Sophie?« sagte Franz, ein blonder Jüngling in Uniform, der Bruder Berenizens.
»O gewiß nicht!« rief die lebhafte Kleine; »ich bewundere die Cousine, daß sie mit einem Mann so vertraut thut, dessen verstorbene Frau –« Sie stockte und konnte ihre Befangenheit nicht verbergen.
»Nun was? Antoinette wird auch wohl darüber Bericht erstattet haben?« fragte der Bruder.
»Laß das, Sophie,« nahm der Baron wieder das Wort; »wie kommen wir überhaupt zu derlei Gesprächen? Colmar verdient unsere ganze Liebe, er ist mein Sohn, Dein Bruder, uns allen ein Freund und Verwandter; so haben wir ihn unter uns empfangen, so wollen wir ihn auch immerdar in unserer Mitte behandeln.«
Mit diesen Worten erhob sich der würdige Greis, und man sah ihn dem Ehepaar entgegenschreiten, welches sich jezt eben dem Hause näherte. Colmar nahm Platz unter seinen neuen Verwandten, seine junge, zärtliche Gemahlin schmiegte sich an seine Seite, und einer ihrer reizenden Arme ruhte auf seinem Schooße. So beleuchtete der volle Strahl des Mondlichts die zarte Gruppe, indeß die Gestalten der Uebrigen mehr in den Schatten zurücktraten; nur Franzens blühende Figur lehnte erhellt am weißen Marmor der Fensterbrüstung.
»Meine Seele ist ganz Freude und Dank,« hob der liebenswürdige Mann an, indem er dem Marschall die Rechte darbot; »empfangen Sie, Verehrter, im Namen dieser theuren Anwesenden, meinen wärmsten Gruß; es ist eben so beglückend für mein Herz, als erhebend für meinen Stolz, mich in dieser Mitte aufgenommen zu wissen, und mein stetes Bestreben wird seyn, jene Achtung und Theilnahme mir zu erwerben, die mir jezt im Voraus so gütig geschenkt wird.«
Der Baron schüttelte gerührt die Hand seines jungen Freundes. »Seyn Sie uns willkommen,« rief er herzlich, »das ist unser aller Antwort.«
Colmar ließ bei diesen Worten sein großes, schwarzes Auge im Kreise herumgehen, wie forschend, ob er jene freundliche Zusage auch auf jeder Physiognomie ausgedrückt finde; dann heftete er seine Blicke auf den Boden und schien in ein augenblickliches Nachsinnen verloren. Die Töne der Blasinstrumente quollen durch die hellen, weißen Nebel der warmen Mondnacht wie ferne Stimmen herüber, kein Baumblatt rührte sich, und die farbigen Blumen standen, im weißen Scheine erbleicht, unbeweglich und still unter dem Fenster.
»Oft sucht der Mensch,« sagte Colmar, »im Augenblicke der errungenen Seligkeit das alte vergessene Antlitz der Vergangenheit auf und schaut in dessen trübe Mienen und denkt an ein Leid, das nicht mehr ist: wohl nur, um die gegenwärtige Freude noch wärmer im Busen aufzunehmen. So entsinne ich mich, wie ich am heutigen Tage vor einem Jahr, dem Verderben hingegeben, auf jedes Lebensglück, auf den nächsten Athemzug schon verzichtete.«
Franz und Sophie wechselten Blicke mit einander und Marie Belleville rückte näher mit ihrem Stuhle.
»Wo waren Sie denn?« fragte der Baron.
»An der Küste von Sicilien,« fuhr der Erzähler fort; »mitten in einem furchtbaren Sturme auf der See. Der Leichtsinn einiger Freunde hatte mich verführt, in eine Fahrt zu willigen, die schon unter den bösesten Anzeichen und Vorbedeutungen unternommen wurde. Drei Stunden nach unserer Abfahrt überflog den hellen Himmel ein düsterer Wolkennebel, der bei dem dumpfen Brausen des erwachenden Sturmwindes sich immer dichter und finsterer über uns zusammenzog; bald schlugen ungeheure Wellen empor, und bei dem Leuchten der Blitze erkannten wir mit Entsetzen die schroffen, tückisch drohenden Felswände des Monte Pellegrino bei Palermo; unvermeidlich schien es, daß unser schaukelndes Boot nicht, an das Klippenufer geschleudert, berstend zersplitterte in der nächsten Minute; in meinen Armen lag zitternd und erbleicht der unglückliche Jüngling, der sich uns zum Führer angeboten hatte, und dessen unkundigen Händen das Steuer schon entsunken war. Er stammelte Gebete her an die heilige Rosalie, er flehte sie an, ihn allein zum Opfer zu nehmen; seine heißen Thränen befeuchteten meine Hände. Ich drückte meine Wangen an seine schwarzen Locken, in meinen Mantel hüllte ich die bebende Gestalt, und so lag ich da, betäubt und fast ohne Besinnung, bald von niederfahrenden Blitzen erhellt, bald von einer tosenden Welle übergossen.«
Colmar hielt inne; seine zärtliche Gattin hatte sich zu ihm übergebogen und er lächelte ihrem besorgten Blicke mit freudiger Zärtlichkeit entgegen; eben wollte er seine Erzählung beendigen, als Berenize sich beruhigter aufrichtete und der Strahl des Mondes ihr Antlitz glänzend beleuchtete. In dem Augenblicke geschah das Entsetzliche. Colmar blickt seine schöne Geliebte an, man sieht ihn plötzlich zusammenfahren, sein ganzes Wesen erhält eine furchtbare Gestalt. Weit zurückgebogen von dem Gegenstand, der sich ihm nähern will, stößt er einen Schrei aus, der das Blut in den Adern aller Anwesenden erstarren macht; in fürchterlicher Beleuchtung zeigt sich sein Antlitz von Wuth und Entsetzen entstellt, das Auge rollt, die Lippen beben, und ehe auch nur einer der Anwesenden es ahnen kann, hat seine erhobene Rechte einen fürchterlichen Schlag nach der Geliebten geführt.
Wem es im Leben schon einmal begegnet ist, daß ihm aus der gewohnten Heiterkeit der Umgebung plötzlich das Entsetzen entgegentrat, der begreift den Zustand, in welchem die Familie des Marschalls sich im Moment dieser Scene befand. Es traf sich gerade, daß eben jezt ein vorbeieilendes Gewölk den Mond verfinsterte und so die Gruppe der auf das Furchtbarste aufgeregten Menschen in tiefe Finsterniß hüllte. War es da nicht natürlich, daß nach der ersten Pause des Schreckens die jungen Mädchen mit einem hellen, kreischenden Jammerlaut der Thüre zuflogen, daß jede, von einer andern im Finstern ergriffen, sich in den Händen des gespenstischen Wahnsinnigen glaubte, der in ihrer Mitte sich befand? Zwischendurch hörte man Jemanden auf das Heftigste und in den tiefsten Schmerzeslauten weinen; eine unheimliche, rauhe Stimme schien plötzlich, von Niemanden gekannt, mitten unter den bekannten zu ertönen; immer lauter kreischten die Damen, immer heller und stärker ward das Geschrei nach Licht und Hülfe.
Nur der Marschall hatte den klaren Blick des erfahrenen Greises nicht verloren; sicher schritt er zur Thüre und bald darauf kam er mit den Dienern zurück, welche eine Menge Lampen und Lichter brachten. Die niedergesenkten Häupter richteten sich langsam spähend auf, die aneinander gedrückten Mädchengruppen lösten sich und jedes Auge sah sich ängstlich um nach dem fürchterlichen Manne; er war nicht zu finden, er war fort.
In die Ecke des Divans gedrückt, in ihren Schleier gehüllt, das Antlitz krampfhaft in die Polster gepreßt, lag die arme Berenize; Marie Belleville ließ sich tröstend und weinend zu der Unglückseligen nieder. Der Marschall stand schweigend, den starren Blick vor sich hin gerichtet, und nur die jungen Mädchen, durch die glänzende Helle, die mit einemmal die trübe Mondnacht und den gespenstischen Spuk in ihr verscheucht hatte, ermuthigt, wagten es, im leisen, oft unterbrochenen Gespräch sich ihre Bemerkungen mitzutheilen.
Franz war in den Garten geeilt; sein Blut kochte, er wollte den Unwürdigen sogleich zur Rede stellen und die Schmach seiner armen Schwester auf das Empfindlichste rächen. Sein jugendlicher, rascher Sinn glaubte dieses finstere Räthsel auf solche Weise am schnellsten und sichersten gelöst; allein Colmar war nirgends zu finden; er mußte Mittel gefunden haben, das Landhaus, sowie den Garten zu verlassen. Alle Bemühungen des erbitterten Jünglings waren vergeblich, und er kehrte nach geraumer Zeit zu der Familie zurück, welche er noch immer um die leidende, tieferschütterte Berenize versammelt fand.
So hatte ein einziger, fürchterlicher Schlag die Bande gesprengt, die Liebe, Freundschaft und Edelsinn für ein ganzes, glückliches Leben geknüpft wähnten.
In der Nacht jenes unglücklichen Tages war Colmar bleich und entstellt in seiner Wohnung in der Stadt angelangt; er hatte den Weg augenscheinlich zu Fuß zurückgelegt, denn seine Kleidung war in Unordnung und mit Staub bedeckt, die Hände blutig gerizt von den Dornenhecken, die sein eilender Fuß durchbrochen hatte; seine Diener waren erstaunt, ihn zu dieser Zeit und in diesem Aufzuge wiederzusehen, ein Arzt erschien und der Kranke mußte sich seiner Pflege anvertrauen.
So verging ein Monat, während dessen ein bösartiges Fieber den Unglücklichen peinigte und es Niemanden vergönnt ward, sein Zimmer zu betreten. Nach Verlauf dieser Frist erschien Franz; Colmar selbst hatte lebhaft gewünscht, ihn zu sehen, und als der schöne zornige Jüngling jezt eintrat, erschrack er nicht wenig über die blasse, zusammengesunkene Gestalt, welche aus dem Krankenstuhl ihm die Rechte zum Willkommen darbot.
»Mögen unsere Gespräche,« rief der Erschöpfte, »später einen Charakter annehmen, welchen sie immer wollen, entziehen Sie, junger Freund, einem Unglücklichen den ersten freundlichen Gruß nicht, der sein Herz stärkt und zum Vertrauen ermuntert.«
Franz schwieg und eine Pause entstand, während welcher die widersprechendsten Gefühle in seinem Busen kämpften; endlich erhob er seinen Blick und dieser fiel in Colmars Auge, welches fest, mit freundlicher Güte auf ihm ruhte.
»So soll denn das Wunderbarste geschehen?« sprach Franz bei sich. »Ich trete mit dem Mordgewehr in der Tasche zu dem Manne, dessen Auge mich stillschweigend mahnt an die Worte der Zärtlichkeit, der edelsten Gesinnung, mit denen er vor wenigen Wochen noch sich meinen Freund nannte – und was ist zwischen uns getreten? – ein Gespenst – eine tückische, unerklärliche Macht!«
Colmar schien diesen Gedanken zu errathen; er sprach mit fester Stimme: »Mein Bruder, ich weiß, was Sie zu mir führt; machen Sie es kurz. Ich habe Ihre liebenswürdige Schwester beleidigt, tödtlich beleidigt. – Sie kommen, um mich zu fordern; wohl, ich bin bereit! Sie sollen sich mit keinem Gichtbrüchigen, Fiebergeschwächten schlagen; Ihre Nachsicht hat mir vollkommen Zeit gegeben, mich zu erholen; bestimmen Sie die Waffen, die Stunde.«
Er erhob sich hier, und den Arm kräftig auf den Kamin gestüzt, stand der schöne, hohe Mann aufrecht da, im vollen Bewußtseyn seiner alten, wiedergewonnenen Ruhe und Kraft; jede Spur von Krankheit schien in diesem Moment verwischt; die weißen Gewänder seiner Umhüllung flossen in reichen Falten an den Boden herab.
Franz fühlte sich so klein und unbedeutend gegen die finstere, prächtige Gestalt vor ihm, und er sprach halb undeutlich die Worte hin: »Den Grund meiner Erscheinung, Herr von Colmar, wird Ihnen ganz Rouen erklären können, welches eben so entsezt als befremdet über einen Vorfall ist, der –«
– »Kein Wort davon!« entgegnete der Offizier; »die Beleidigung Ihrer Schwester, Bienville, war die That eines Niederträchtigen. Ich bin keiner, allein Sie haben volles Recht, mich für einen solchen anzusehen, darum keine Entschuldigung weiter. Welche Waffen?«
Franz deutete mit einem stummen Blick auf die Pistolen.
»Und die Stunde?« –
»Morgen um sieben Uhr in der Frühe.« –
»Der Ort?« –
»Im Wäldchen vor dem Landhause meines Vaters.«
Beide Männer erschienen am andern Morgen da, wo sie sich treffen wollten; Franz hatte den ersten Schuß, er schoß und fehlte. Als jezt die Reihe an Colmar kam, feuerte er die Pistole in die Luft ab und bot seine Brust noch einmal der Waffe seines Schwagers dar; als Franz sich weigerte, kam er einige Schritte ihm näher, und die Hand dem Jüngling darreichend, fragte er mit weichem Tone: »So willst Du, mein Bruder, Vergebung einem Unglücklichen schenken, der Dein Mitleid, aber nicht Deinen Haß verdient?«
Als Franz eine bejahende Bewegung machte, fühlte er in demselben Moment die Brust seines Freundes mit ungestümem Klopfen an der seinigen. Colmar zog ihn nach sich in ein Gebüsch, wo ihre Pferde angebunden standen. Hier ließen sich beide auf einen einsamen Sitz nieder. Lange dauerte es, ehe die stürmische Bewegung, in welcher sich Colmar befand, es erlaubte, daß er die ersten zusammenhängenden Reden vorbrachte.
»Ich bin kein Elender, kein Nichtswürdiger!« rief er. »Du, mein Bruder, der mich in bessern Tagen gekannt, Du schaust in mein Herz, Du siehst, wie es von tausend und abertausend Martern zerrissen wird. Gräßlich höhnendes, doppelgestaltetes Wesen in mir! Deiner Wuth bin ich machtlos dahin gegeben! Sahst Du denn nicht, mein Bruder, daß die That, die ich mit so entsetzlicher Frechheit vor euern Augen ausübte, nicht mir gehörte? ein Wesen der Hölle hatte sich meiner bemächtigt, es hob meinen Arm zu dem wahnsinnigen Schlage, der das glühend geliebte Leben traf. O Fluch! o Entsetzen!«
Er verhüllte sein Angesicht und ruhte, auf den Jüngling gestüzt, einige Momente, dann fuhr er fort, sich in der finstersten Selbstanklage zu erschöpfen.
»So jagen die fliegenden Geister der Finsterniß dem ewig nach, der sich einmal in ihrer Macht befunden. Ach, ich glaubte so selig erwacht zu seyn aus einem dunkeln Traume; von Neuem lachte mir das Leben, es bot mir lächelnd seine süßesten Kränze; der ewigen Nacht, der Vernichtung, dem tiefen Grabe glaubte ich meine Qual dahingegeben; mein trüber Sinn dürstete, das Entsetzliche zu vergessen, schon glaubte ich, überwunden zu haben – da tritt von Neuem, scheußlicher als je, das Gespenst in mein Daseyn. – Auch sie – auch sie! nein, nein, es ist nicht möglich! Wahnsinn ist jeder Verdacht hier; dieser reine Engel weiß von diesem Witz der Hölle nichts – und doch – die entsetzlichen Zeichen! das Auge! – wie sie im Mondenlicht – o ich unterliege dem Grausen, mein Herz droht zu verzweifeln!«
Von Neuem hüllte er sich tief in seinen Mantel und Franz richtete einen Blick des tiefsten Mitleids auf den Mann, den er von seiner angebornen Stärke und Hoheit so tief niedergebeugt sah. Noch wurde ihm nicht das Mindeste von dem finstern Räthsel klar, doch fürchtete er sich, darnach zu forschen
Colmar richtete sich auf und sagte leise mit scheuem Blick: »Vernahmst Du nie, mein Bruder, von jener gräßlichen Erscheinung, hörtest Du nie von Doppelgängern?«
Er schauderte, als er dieses sprach, und Franz erschrack vor dem irren Blick, der Blässe seines Antlitzes. Befangen und verwirrt stammelte er: »Nein, noch nie! – aber doch – wohl Mährchen, nur, wie ich glaube.« –
»Ich habe ihre gräßliche Wahrheit geschaut,« fuhr Colmar in dumpfem Tone fort; »mein Auge hat gesehen! – O, wie sehr irrt der, welcher meint, es sey der Kreis des Geschaffenen mit den Wesen geschlossen, die sich heiter und vom Tage beschienen ihm zeigen; abwärts gekehrt, liegt der Ring in Nacht, und seinen dunkeln Halbkreis hat noch kein Auge ganz erschaut. Es gibt Wesen, die noch lange im Grabe fortleben, ein gräßliches, zuckendes Leben, sowie andere zur Welt kommen, noch mit dem Nachtraum des Todes behaftet, mit einem verschlafenen Leichenantlitz und einem noch starren Herzen. In einigen Begünstigten fließt eine solche Masse von starkem Seelenlicht zusammen, daß sie mit ihrer Liebe tausend andere unvollkommene Seelen ergänzen; andere spalten ihre Wesenheit kalt und witzig, und ergötzen sich an dem Streit, den sie nun selbst mit sich selbst führen; doch fürchterliche Meister sind die, welche es durch die Kraft eines eisernen Willens so weit gebracht, auch den Leib in doppelter Gestalt erscheinen zu lassen. Jene alte Zeit, die wir thöricht schelten, sezte für dies gräßliche Spiel mit der Lebenskraft Scheiterhaufen und Rad fest; wir, die wir uns gebildet und aufgeklärt nennen – uns muß die Wissenschaft, selber dunkel und geheimnißvoll, Namen geben für jene Erscheinungen, die immerdar unerklärt bleiben. Gräßlich, fürchterlich, wenn wir an die Wirklichkeit der Gestalt, die vor uns steht, nicht mehr glauben! wenn wir die Geliebte zu umarmen wähnen und schließen eine Larve, eine hohle Larve an unsere Brust, die die Mienen, die Gebehrden, welche uns entzücken, tückisch nachäfft, die ohne Seele an unserer Brust liegt! Entsetzen der Hölle! wo gibt's eine fürchterlichere Marter! – Du selbst, mein Bruder, wie Du hier vor mir stehst – kann ich wissen, ob Du es selbst bist, ob nicht in diesem Moment, wo ich mit Dir rede, wo ich Deine Hand in der meinigen halte – o Himmel! – Deine Gestalt aus jenem Busche mir entgegentritt?«
In diesem Augenblick rauschte das nahe Gebüsch; Franz fühlte einen kalten Schauer seine Gebeine durchrieseln, er wandte alle Kraft seiner Seele an, sich zu fassen. Colmar lehnte zusammengesunken am Baumstamme; dann erhob er sich und warf sich mit Ungestüm seinem jungen Freunde um den Hals.
»Wahnsinniger, der ich bin!« rief er unter gewaltsam hervorbrechenden Thränen; »so will ich mit meinen Träumen auch Deine süße Jugend vergiften! Vergib mir, Franz, vergib – lache, spotte über mich. Ich bin ein Irregehender bei Nacht; rufe mit Deiner weichen, süßen Stimme – ach, sie ist auch die meiner Berenize – mich am Namen, und ich werde erwachen. Konnte der finstere Spuk so viel Macht über mich haben? war er nicht längst schon gebannt? Franz, Geliebter, kann sie mir verzeihen? Nein, nein, sie kann es nicht; ewig wird sie mich fliehen, wie ein Gespenst mich fliehen. Hätte doch Deine Kugel ihren Lauf gerade auf dieses Herz genommen, welches sich nach Vernichtung sehnt, weil es sich unwürdig fühlt, länger in ihrem Dienste zu schlagen.«
Franz war erschüttert. Seine noch fast kindische Seele ahnete das Daseyn einer Schattenseite des Lebens, und sein weiches Herz entschuldigte jezt vollkommen den Unglücklichen. Er gab sein heiliges Versprechen, den wiedergewonnenen Freund bei der tief gekränkten Schwester zu vertreten, ja seine jugendliche Lebendigkeit that den Schwur, nicht eher zu ruhen, bis beide edle, durch ein finsteres Mißverständniß getrennten Herzen sich wieder vereinigt hätten. Colmar dankte ihm mit einem heißen Bruderkuß; seine Seele erschloß sich von Neuem dem Lichte, und unter heitern Gesprächen ritten beide nun in die Stadt zurück.
Später, wenige Tage darauf, theilte Colmar ihm den Grund seines Betragens an jenem unglücklichen Abende, sowie seine frühere Geschichte mit, die wir hier für den Leser einschalten.
»Meine Familie stammt aus dem Norden; sie ist zahlreich und zählte in früher Zeit Männer von bedeutendem Range und Ansehen in ihrer Mitte. Mich bestimmte mein Vater in früher Jugend schon zum Militärdienste; doch er sollte nicht die Freude haben, seine Absichten ausgeführt zu sehen: der Tod rief ihn ab, und ein Oheim mütterlicher Seite nahm sich mit Ernst und Sorgfalt meines Schicksals an. Er bekleidete als Gesandter an einem kleinen italienischen Hofe eine ziemlich wichtige Stelle, und seinem Wunsche folgend, mußte ich die früher eingeschlagene Richtung verlassen und unter seiner Leitung eine neue Laufbahn im Staatsdienst antreten. Meinen angestrengten Bemühungen gelang es, seine Zufriedenheit zu erwerben; mein Fleiß war unermüdlich, in der Treue und Pünktlichkeit, sowie im Betragen bei öffentlicher Gelegenheit, nahm ich mir ihn zum Muster, und er erkannte mein Bemühen mit Lob. Durch seine Fürsprache erlangte ich die besondere Huld unsers Souverains, mein Glück schien gemacht zu seyn – da – seltsame Fügung! – sollte ein Moment das Gebäude dieser stolzen Hoffnungen und Wünsche zertrümmern.
Ich sah Ophelien, Gräfin von Bergino; ihre Gestalt, ihr Wesen that meiner Eigenthümlichkeit Anfangs wehe; doch wer ergründet die Tiefen des menschlichen Herzens? Gerade dieses verneinende Gefühl verwandelte sich bald in die stärkste, gegenseitige Anziehungskraft. Ich liebte das schöne Mädchen, liebte mit einer trunkenen Schwärmerei, die mich über mich selbst und das Leben völlig hinwegsetzte. Opheliens Seele neigte sich zu der meinigen, wir verstanden uns schnell und gingen von nun an Einen Weg. Mein Oheim entdeckte an meinem veränderten Wesen, an der gänzlichen Theilnahm losigkeit für Alles, was nicht meine Liebe berührte, bald die erwachte Leidenschaft; doch er war zu klug, um unnütze oder kränkende Worte zu verlieren.
In dieser Zeit erschien an unserm Hofe ein Mann, der sogleich meiner Freunde lebhaftes Interesse erregte; auch ich sah ihn gerne: sein Gesicht, obgleich nicht schön, konnte Theilnahme einflößen, sein Betragen war ungezwungen, seine Haltung die eines weit herumgekommenen Weltmannes. Ich erfuhr aus dem Munde meiner Geliebten, es sey ihr Oheim, doch sehe sie ihn kaum als einen solchen an, da der Graf schon lange in Zwistigkeiten und in höchst gespannten Verhältnissen mit ihrer Familie lebe; ja sie wisse sogar von ihrem seligen Vater, daß er diesen seinen ältesten Bruder nur ein paar Mal in seiner Jugend gesehen und ihn daher fast gar nicht gekannt habe; der Grund dieses Verhältnisses sey ihr immer ein Räthsel geblieben.
Ich suchte dieses Räthsel zu lösen und sprach lebhaft den Wunsch aus, Ophelien mit ihrem Oheim wieder zu vereinen, oder eigentlich diesen, ihr fernstehenden, verkannten Mann ihrem Herzen entgegenzufahren; doch bei den geringsten Versuchen der Art widersetzte sich meine Geliebte auf das Heftigste, und als ich dennoch nicht nachließ, erklärte sie mir, daß sie einen unüberwindlichen Abscheu vor dem Grafen fühle, ja, daß sogar in seiner Nähe sie plötzlich ein Bangen, ein unerklärliches Grausen befalle, welches sie in die Länge zu ertragen nicht im Stande wäre. ›Haben Sie nicht bemerkt?‹ sprach sie eines Tags zu mir; ›er sieht einen oft aus zwei ganz verschiedenen Augen an; blaß, kaum gefärbt erscheinen sie manchmal, dann plötzlich verwandeln sie sich und erscheinen dunkel und seltsam.‹ Ich lächelte über den Ernst, mit dem sie sprach, ich hielt ihr vor, daß der alte Haß ihrer Familie ihn ihr verzerrt erscheinen lasse, doch sie hörte nicht auf meine Gründe.
Es vergingen einige Wochen, da sollte ich noch seltsamere Dinge erfahren. Schon hatte ich hie und da, wo der Graf erschien, über ihn auf eine geheimnißvolle, wunderliche Weise reden hören; endlich erklärte sich die Stimmung öffentlich gegen ihn; wo er sich zeigte, zog man sich zurück, Jedermann suchte ihn zu vermeiden. Es ging das Gerücht, der Graf habe schon mehrere Höfe, an denen er sich aufgehalten, aus einem besondern Grunde verlassen müssen. Ich hörte diese Reden an, ohne viel auf sie zu geben.
Einst geschah es, daß ich an einer Wirthstafel in lustiger Gesellschaft mich neben einem ungarischen Offizier befand, der mich interessirte; der Graf hatte uns gegenüber Platz genommen und saß in seiner stillen Weise, ohne viel Theilnahme zu äußern, da; lange vor dem Ende der Mahlzeit erhob er sich und verließ den Saal. Jezt lebte erst mein Ungar auf und schien die unbefangene Heiterkeit selbst. Als ich meine Verwunderung hierüber äußerte, sagte er: ›Konnte ich denn ganz fröhlich seyn, so lange die Gestalt uns da gegenüber saß?‹ –
›Welche Gestalt?‹ fragte ich, ›meinen Sie den Grafen Bergino?‹ –
›Denselben,‹ erwiderte mein Nachbar; ›kennen Sie ihn?‹ –
›Freilich,‹ war meine Antwort; ›er ist ein achtungswerther Mensch.‹ –
›Mensch! Mensch!‹ sagte der Offizier; ›es ist noch nicht ausgemacht, zu welcher Gattung von Wesen solche Scheusale gehören.‹ –
›Mein Herr,‹ rief ich zürnend, ›wie meinen Sie diese Worte?‹ –
›Nun ja,‹ fuhr er fort, ›so wie Sie ihn hier eben sitzen sahen, so sitzt er in demselben Moment hundert Meilen von hier, in Prag in seiner Studierstube.‹ Ich blickte meinen Freund verwundert an. ›Er ist ein Doppelgänger,‹ sagte der Ungar; ›bei uns darf er sich seiner Stückchen wegen nicht mehr sehen lassen, die Stadt und das Land sind dem Wichte verboten worden, und das auch von Rechtswegen. Fluch der Hölle über dergleichen Unholde!‹
Trotz der lärmenden Tafel, an der wir saßen, fühlte ich bei diesen Worten einen leisen Anflug von Grauen. Jezt wurde es mir deutlich, wie ich schon früher ein Aehnliches empfunden bei des Grafen Anblick, doch stets unbewußt und dunkel. Ich dachte an Ophelien, an ihre Worte, und nahm mir vor, in die seltsamste Angelegenheit, die mir bis dahin im Leben vorgekommen, Licht und Verständniß zu bringen. Der Graf, der sich stets gütig gegen mich gezeigt, hatte schon einigemal die Aufforderung an mich gerichtet, ihn zu besuchen; jezt beschloß ich, hinzugehen, um, wenn es möglich wäre, den Oheim meiner Geliebten zu einer Erklärung jener finstern Räthsel zu bewegen.
Als ich im Hause des Grafen, das ziemlich abgelegen in der Vorstadt lag, erschien, übernahm es ein alter, grauer Diener, mich zu melden. Meine Phantasie spiegelte mir ein Zimmer voll magischer Instrumente vor, in der Mitte, in weite fließende Gewänder gehüllt, der wunderbare Mann, den ich suchte. Doch statt dessen fand ich den Grafen im einfachen, zierlich eingerichteten Schreibkabinet gerade am Pianoforte sitzend. Er wandte sich um nach mir, grüßte ernst, doch höflich, und gab mir einen Stuhl neben seinem Platze.
Das Gespräch kam nach einem gleichgültigen Eingang auf die Musik; er hörte meine Meinung an und sagte dann: ›Die Musik ist Sprache der Geister; wem wieder Antwort wird, der hat diese Sprache ganz verstanden.‹ –
›Wo suchen Sie diese Geister?‹ fragte ich.
›In uns selbst,‹ erwiderte er; ›der Wille, das ist der feste Glaube an unsere Geistigkeit, ruft sie hervor und vernichtet sie wieder. Wir vermögen Alles durch den Willen; ein tyrannischer Wille, durch unermüdliche Anstrengung, durch Beharrlichkeit und Kraft bis zum Aeußersten erhoben, vermag die Bande der Schöpfung zu lösen und gegen den Thron des Himmels anzustürmen; wie sollte er nicht gebieten über die losen, verweslichen Verknüpfungen der Muskeln und Nerven?‹
Als ich diese Worte vernahm, ging ich weiter und eröffnete ihm das Gerücht, welches über ihn im Umlauf sich befand.
›Und soll ich es läugnen?‹ erwiderte er; ›ich gesteh' es, man redet wahr!‹ –
›Entsetzlich!‹ rief ich unwillkührlich; ›Sie können also –‹
Er sah mich lange und fast lächelnd an – ›über mich selbst gebieten?‹ sezte er meine Rede fort; ist Ihnen das so sonderbar?‹ Er schwieg wieder, und während der Pause, die jezt herrschte, löste sich von ungefähr der schwere seidene Vorhang am Fenster und rollte nieder; eine dämmernde, bläuliche Nacht umgab uns plötzlich. Der Graf sah mich unverwandt an; ich glaubte zu bemerken, daß die Thüre im Hintergrund sich öffnete und wieder schloß, ich hörte Tritte den Teppich berühren, ohne daß mein Auge Jemanden wahrnahm. In demselben Augenblick vernahm ich ein Geräusch auf der Gasse, und dieses Zeichen des bekannten alltäglichen Lebens drang jezt freundlich auf mich ein, den Busen befreiend von einer dumpfen Last.
Der Graf hatte ein Buch aufgeschlagen und hielt es mir hin: es war des jüngern Theophrastus Paracelsus Werk über den Dualismus. – ›Sie lieben, junger, Freund,‹ hob er nach einer Weile an, ›Sie lieben ein junges, reizendes Geschöpf; Ihre Geschäfte, Ihre Stellung erlauben es nicht, so oft in ihrer Nähe zu seyn, als Ihr Herz es wünscht; wie nun aber, wenn dieses Herz, oder, deutlicher gesagt, Ihr Wille sich so mächtig rüstet, daß es ihm möglich wird, mit einem Bilde Ihres Körpers umkleidet, sich in das Gemach zu versetzen, wo die Geliebte weilt? wenn Sie in der duftenden Kühle eines Sommerabends vor sie treten dürfen –‹
– ›Halten Sie ein!‹ rief ich; ›gräßlich – fürchterlich! Ein wesenloser Halbschatten, ein Geschöpf, für das ich keinen Namen habe, soll sich der Theuersten nahen, ein gespenstischer Unhold mit dem frischen Leben spielen dürfen? Wahrlich! das erste beste Messer würde in meiner Hand ein Dolch werden, mit dem ich in rasender Wuth erproben wollte, ob die Brust, die sich mir zeigt, Leben lügt oder wirklich ein Herz birgt.‹ –
Der Graf sah lächelnd vor sich hin. ›Wie doch der Eifer und die Jugend Alles mißversteht! Glaubt man auch manchmal ihren romantischen Grillen zu schmeicheln, so stößt man auf der andern Seite wieder gegen enge Schranken des Geistes und der Erfahrung. Nun meinethalben; das Große, Seltsame und Geheimnißvolle ist überall nicht für die Menge, welche keiner Erhebung und Vergeistigung fähig ist. Der Körper ist immerdar ihr Höchstes; der Körper gibt ihr Gesetze. Junger Freund, Sie hätten da ein so schönes Spielwerk haben können; doch Ihr Sinn zeigt sich verblendet dagegen, und so mag es bleiben.‹ –
›Ich verstehe Sie nicht,‹ rief ich; ›ein solches Spiel finde ich, wenn es überhaupt möglich ist, weder vereinbar mit unsern höhern Pflichten, noch mit den Gesetzen, die uns der höchste und reinste Geist, unsere geistige Natur berücksichtigend, vorgeschrieben hat.‹ –
›Wie Sie es nehmen,‹ erwiderte er, ›so scheinen Sie an der Möglichkeit der Erscheinung zu zweifeln. Besinnen Sie sich, daß in dem Buche, welches sich eines göttlichen Ursprungs rühmt, noch eine viel größere Macht dem Glauben zugesprochen wird, wenn er sich zu seinem vollsten Bewußtseyn kräftigt. Glauben und Wille sind in ihrem Wesen gleichartige geistige Potenzen, nur durch ihre Richtungen verschieden. Ist uns nun nicht die Herrschaft über diese Kräfte gegeben? sind wir nicht berufen, sie nach allen ihren Richtungen hin auszubilden? und können die alten Schranken, welche Vorurtheil, beschränkter Sinn und Unwissenheit um schwächliche Naturen ziehen, den Geist hemmen, der, sich seiner geistigen Volljährigkeit bewußt, in alle Rechte seines Standes tritt? Die alte Welt, von finstern Irrthümern befangen, bewegte sich immer enge in scharfen Gegensätzen; es gab ein Gutes und ein Böses, ein Schwarz und ein Weiß, Höhe und Tiefe; die Wissenschaft heutzutage strebt, diese Gegensätze aufzuheben und auszugleichen; vor ihrem Lichte verschwinden jene trüben Schatten, die die Welt füllten und sie mit ängstlichen Träumen schreckten. Der Mensch erkennt die Allmacht seines Willens, und vor dem erschlossenen Geheimniß seines Busens beugt sich die willenlose knechtische Natur.‹
Ich hatte mit höchstem Widerwillen diese Worte angehört, die nur eine kalte, freche Leugnung dessen zu enthalten schienen, was meinem Busen das Höchste und Theuerste war; mein Entschluß war, das Gespräch sogleich abzubrechen, um mich aus der Nähe des Furchtbaren zu entfernen.
Als er meine Absicht errieth, sagte er mit einem Lächeln, dessen Ausdruck ich nie vergessen werde: ›Warten Sie, ich will Ihnen doch mein wohlgetroffenes Bild zeigen.‹
Ich stand stille, und der Graf sank in seinen Stuhl zurück. Ich sah ihn die Hände über sein Gesicht schlagen, seine Arme zitterten heftig, eine tiefe Stille herrschte im Gemach, ich hörte die Schläge der Uhr, die im dritten Zimmer von uns stand. Nach wenigen Minuten fielen die Arme des Grafen herab und ich erschrack über sein Antlitz, denn es war völlig blutleer, die blassen Augen starr und glanzlos auf mich gerichtet. Er machte eine Miene, um auf die Thüre zu zeigen; in dem Moment öffnete sich diese leise und – o es war fürchterlich! herein schlich und tappte ein Bild – es war der Graf selbst – leise, mit schwankenden Gliedern.
Das Entsetzen der Hölle packte mich, ich sah die wandelnde Leiche auf mich zuwanken, sah im erdfahlen Gesicht sich die Muskeln zu einem Lachen verziehen; mit einem Schrei floh ich zurück – Gott! da stand dieselbe Gestalt, eben so lächelnd, und die Spiegel im Gemache vervielfältigten die wandelnden Gespenster; überall, aus allen Ecken traten sie auf mich zu; meine Besinnung drohte, mich zu verlassen.
In ohnmächtiger Wuth stürzte ich auf den Grafen zu, um ihn zu fassen, da schrie es aus der Ecke: ›ich, ich bin der Rechte, nur hierher,‹ dann dort: ›nein, ich – hierher! –‹ Dabei tönte ein hohles Gelächter und ein beständiges leises Scharren der Pantoffeln auf dem Teppich.
Wie ich mich endlich hinausgefunden, wie ich die Treppe erreicht, ich weiß es nicht mehr; auf meinem Zimmer angelangt, fiel ich sogleich in ein heftiges Fieber, welches mich eine geraume Zeit im Zimmer hielt. Als ich wieder ausging, hatte der entsetzliche Graf die Stadt und den Hof verlassen müssen, weil er es gewagt, öffentlich in einem Wirthshause sich in doppelter Gestalt zu zeigen und dadurch mehrere Gäste bis auf den Tod erschreckt hatte.
Jahre vergingen nach diesem Vorfall, ich war mit meiner geliebten Ophelie vermählt, und nur jene finstere Erinnerung an den Schatten, der mein Leben berührt, trübte zuweilen den reinen Himmel unseres Glücks; bald gelang es mir auch, diesen zu bannen, und so gab sich meine Seele der schönen Ueberzeugung ganz hin, daß fürder nichts mehr mich an die unglückselige Bekanntschaft mahnen werde.
Ich Betrogener! dem leeren Schatten war ich entflohen, um das Entsetzen selbst in meine Arme zu schließen! Bald mußte ich gewahren, daß meine Ophelie mir etwas verberge, daß sie Zusammenkünfte im Geheim mit einem fremden Manne habe. Die Eifersucht verblendete mich; ich drang eines Abends in ihr Gemach, und wen mußte ich an ihrer Seite treffen? jenen fürchterlichen Grafen. Schon früher hatte ich auf Opheliens Arbeitstisch eine Abhandlung gefunden, die aus jenem Buche des Theophrast gezogen war und die sie vor mir verborgen hatte; jezt wurde mir ihre Gemeinschaft mit dem Entsetzlichen klar, mit welchem sie auch durch die Bande des Bluts verbunden war.
Mein Schreck, meine Verzweiflung waren grenzenlos; sogleich bestand ich darauf, daß sie mit mir die Stadt verließ; wir zogen auf ein entferntes Schloß in den Pyrenäen. Dort angelangt, suchte die Falsche den Sturm in meiner Brust zu beschwichtigen, theure Eide schwuren ihre Lippen, daß sie vom Verbrechen ihres Oheims nichts wisse, am wenigsten es theile. Ich Thor glaubte der Lügnerin. Doch kein Monat verging, da gestanden mir eines Tags meine Diener mit Furcht und Zittern, sie haben ihre Gebieterin doppelt gesehen: sie habe zugleich im Bogengang des Gartens gewandelt und in ihrem Kabinette gesessen an ihrem Nähtisch.
Ich stürzte zu ihr hin; die Raserei meiner Leidenschaft brach die starrsten Fesseln, in Thränen aufgelöst, ganz Reue und Zerknirschung, gestand die Arme, zu meinen Füßen liegend, die schwarze Schuld; mit Grausen vernahm ich, wie sie ein argloses Herz getauscht, wie sie, von früher Jugend an mit dem Oheim vereint, von ihm jene Künste der Hölle gelernt und öfters, doch immer im Stillen, ausgeübt. Mein Blut stockte, mit einer Bewegung meines Fußes suchte ich die Niedergesunkene von mir zu entfernen. Sie aber kettete sich an meinen Hals und beschwor mich unter Thränen, sie wieder von der finstern Macht zu erlösen. Wenn ich sähe, sprach sie, daß ihr Gesicht den Ausdruck trüben Nachsinnens annehme, daß ihr Auge plötzlich matt und glanzlos werde, dann sey es ein sicheres Zeichen, daß ihr Geist auf der Wanderung an irgend einem fernen Ort körperlich erscheine; dann möchte ich mit der ganzen Kraft meines Armes ihren Leib oder ihr Antlitz berühren, damit das Blut wieder ströme und der irrende Geist wieder in seine wahre Hülle zurückkehre. Am sichersten aber werde ich ihren jammervollen, schrecklichen Zustand erkennen, wenn ich das Auge glanzlos, die Wange bleich sähe. –
Ich that nun, wie sie es gewünscht; doch welch ein Daseyn begann jezt für mich! Einsam auf einem finstern, verlassenen Schloß, an der Seite eines Wesens, dessen Anblick mich stündlich an die Schauer des Grabes erinnerte, welkte ich dahin und zählte keine frohe Stunde mehr. Eine tiefe Nacht, kalte Resignation bemächtigte sich meiner Seele und drohte mich in ein frühes Grab zu stürzen. Ja, ich war dem Tode nahe, als endlich der ihrige erfolgte. –
Laß mich, geliebter Franz, schnell über die Begebnisse jener Zeit wegeilen; genug, ich war erlöst, ich war wieder frei; eilig entfloh ich jenen Mauern, die meine täglichen Martern geschaut, Alles gab ich hin, keine Nachlassenschaft, kein Zeichen aus jener Periode sollte mich mahnen an die Fürchterliche, die ich einst mein genannt. Gott sey gedankt, der Allerbarmer hat sich auch meiner erbarmt; er sandte mir einen reinen Engel des Lichts, der mich tröstete, rettete. Meine Berenize, kannst Du jezt, da Du mein Elend weißt, mir noch zürnen? Entschuldige dem Wahnsinnigen, den plötzlich die Geister seiner nächtlichen Vergangenheit überfielen und unter Krämpfen des augenblicklichen Entsetzens zu der unnatürlichen That zwangen! Der Strahl des Mondenlichts, der plötzlich auf Dein Antlitz fiel, der zufällig schwächere Glanz des Auges rief mir plötzlich jene Ophelie und ihre Worte in's Gedächtnis, die finstere Macht faßte mich, und willenlos mußte ich ihr zum Spielzeug dienen.«
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Sophie Bernard, die Tochter eines Pächters aus der Picardie, war das Opfer der Leidenschaft des Marschalls Bienville geworden, als dieser noch im Range eines Unterbefehlshabers der kaiserlichen Truppen in Rouen stand. Den Bitten und Vorstellungen der Familie nachgebend, hatte er sich mit dem Mädchen später heimlich verbunden, und die Frucht dieser Ehe war Marie, ein bildschönes Kind, im gleichen Alter mit Berenizen. Bei den armen bürgerlichen Verwandten erzogen, erhielt sie später in einem kleinen Grenzstädtchen eine Bildung, welche sie geschickt machte, die Stelle einer Gesellschafterin oder des ersten Kammermädchens bei einer Dame von Stande zu übernehmen. Ein glücklicher Zufall bringt sie nach Paris, und zwar in's Haus einer der vorzüglichsten Familien, zu der Herzogin von Auxerres, einer entfernten Verwandten Colmars. Hier sah das fünfzehnjährige Mädchen zuerst den jungen Mann, und seine Erscheinung, sowie das Gerücht seiner unglücklichen Ehe machten tiefen Eindruck auf ihr Herz.
Colmar mochte sie wohl kaum bemerkt haben, und als er bald darauf Paris verließ, zogen Zeit und Entfernung in Mariens Herzen einen Flor über sein Bild, doch es ganz zu vernichten, waren sie nicht im Stande. Das liebende Mädchen erfuhr theils durch ihre gütige Gebieterin, theils auf anderm Wege den Tod der Gattin Colmars; ihre Phantasie, neu belebt, beschäftigte sich jezt wieder ausschließend mit dem theuren Gegenstande; sie dachte sich die Möglichkeit, dem geliebten Manne einst nahe treten zu dürfen, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen; ja sie überredete ihr Herz, daß sie nicht ohne Hoffnung liebe, daß Colmar ihr Zeichen seiner Achtung, seiner Theilnahme gegeben habe.
Wer beschreibt daher ihr Entzücken, als der Geliebte nach Verlauf von zwei Jahren plötzlich wieder in Paris erschien. Sie stand hinter den Vorhängen einer Glasthür, als er in's Gemach der Tante eintrat. Was mochte er in Paris zu thun haben? welche Beweggründe riefen ihn hieher? Marie glaubte, ein Blick Colmars habe sie beim Eintritt gesucht und hinter den Falten des Vorhangs entdeckt. Oeftere geheime Gespräche des Neffen mit der Tante, das Wort Vermählung, Braut machten sie freudig erschrecken. Ihre Eitelkeit flüsterte ihr zu, daß Colmar sie überraschen wolle, sie beschwichtigte immer wieder die Stimme der Vernunft, die ihr zurief, daß ein Mädchen ihres Standes, wenn gleich durch die Güte ihrer Gönnerin der Niedrigkeit entrückt, dennoch nicht Anspruch machen dürfe auf die Hand eines so angesehenen Mannes.
Colmar verließ nach wenigen Tagen die Stadt, und so sehr die Verlassene darüber trauerte, daß ihr wiederum nicht Gelegenheit geworden, sich ihm zu nähern, so ward sie doch auf das Freudigste überrascht, als ihr Auge im Prunkgemach der Herzogin ein Bild entdeckte, welches Colmar nachgelassen und das Niemand anders vorstellen konnte, als seine Braut. Leise hob ihr Finger den grünen Flor des Rahmens, und mit einem Schrei des Entzückens erkannte sie ihre Züge. Ihre Gestalt, ihr Antlitz glänzte der Freudetrunkenen im vollen Brautstaat entgegen. Jezt war jeder Zweifel gelöst! sie war geliebt, sie war glücklich!
Die Herzogin, welche eben in's Gemach trat, fand das schöne Mädchen vor dem Bilde niedergesunken, in Thränen schwimmend. Als Marie die Eintretende gewahrte, floh sie ihr entgegen, und die erstaunte Dame ließ die leidenschaftliche Heftigkeit des armen getäuschten Wesens erst völlig sich erschöpfen, ehe sie mit besonnenen, doch freundlichen Worten den Irrthum erklärte. Sie selbst hatte gestaunt über die wunderbare Aehnlichkeit, die die Braut ihres Neffen mit Marien hatte, sie entschuldigte in ihrem Herzen den Traum der Unglücklichen, welche aufzurichten und auf den wahren Standpunkt ihrer Verhältnisse schonend zurückzuführen, sie sich mit mütterlichem Ernste angelegen seyn ließ.
Doch auf Mariens Daseyn hatte dieser Vorfall einen dunkeln, unvertilgbaren Schatten geworfen; sie hatte zu selig geträumt, zu tief empfunden, um jezt bei so harter Enttäuschung nicht eine schneidende Kälte im Busen zu fühlen. Die Aehnlichkeit der Erwählten mit ihr erschien ihr als ein Hohn des Schicksals, je weniger sie Mittel hatte, das Räthsel ihrer Geburt zu lösen. Als bald darauf die Nachricht von Colmars Vermählung einlief, beschloß sie in ihren Gedanken, sich gänzlich abzuwenden von jenem Undankbaren, der, ohne es zu wissen oder zu wollen, die Blüthe ihrer Jugend vergiftet hatte.
Die Herzogin war Zeugin des Ausbruchs ihres heftigsten Schmerzes gewesen, und war es jezt jener Veränderung, die das lebensfrohe, heitere Mädchen allmählig in eigentlichen Tiefsinn zu versenken drohte. Ihre angelegentlichen Bemühungen suchten sie immer wieder aufzurichten; es fanden sich zahlreiche Bewerber, welche Mariens Hand durch herzliche Neigung und eine günstige Stellung im Leben zu erkaufen sich geneigt zeigten; doch alle wurden von ihr zurückgewiesen. Fanatische religiöse Ideen, zu denen im Charakter des schwärmerischen Mädchens schon längst der Keim gelegen, fanden jezt in der trüben, verzweifelten Stimmung ihres Gemüths volle Nahrung.
Die Herzogin, welche diese Richtung des Sinnes ihrer Pflegbefohlenen gewahrte, bekämpfte sie nicht, um so weniger, da sie selbst einer devoten Partei angehörte, welche damals in Paris sich immer mehr Geltung zu verschaffen wußte. So geschah es denn, daß nach drei Jahren Mariens Entschluß fest stand, ein Kloster aufzusuchen, um in dessen Mauern sich der Einsamkeit und den strengen Pflichten, die ihre Ansichten ihr auferlegten, zu widmen. Frau von Auxerres bot sich an, sie zu begleiten; es wurde beschlossen, in die Picardie zu reisen, wo eine Verwandte Mariens sich als Vorsteherin eines religiösen Instituts befand.
Auf dem Wege, den die Reisenden machen mußten, berührten sie die Besitzungen, auf welche Colmar mit seiner jungen Gemahlin sich zurückgezogen hatte; Marie wußte dies, und ihr heißes Verlangen war, den Geliebten noch einmal zu sehen, ehe sie sich auf ewig in die finstern Mauern ihres Klosters begrub. Ein Plan, den Hang zur Schwärmerei und zum Wunderbaren eingegeben, beschäftigte sie jezt Tag und Nacht; Colmar sollte nichts von Allem wissen, sie wollte um ihn seyn, ihn sehen, vielleicht auch mit ihm sprechen, ohne daß er das Mindeste von ihrer Gegenwart ahnete. Dies zu bewerkstelligen, sollte ihr die wunderbare Aehnlichkeit, die sie mit der Gemahlin Colmars hatte, dienen. Die Herzogin, obgleich nicht im Bunde mit den phantastischen Plänen der Schwärmerin, fand doch für gut, ihren krankhaften, leidenden Zustand nicht durch Widerspruch noch zu verschlimmern; sie gab nach und traf im Geheim Anstalten, daß das Wagstück, im Fall es mißlänge, nicht von bösen Folgen für das Mädchen seyn konnte. Im Gasthofe des Städtchens wurden Zimmer auf einige Tage gemiethet, in die sich beide Damen in aller Stille einschlossen.
Wir kehren jezt zu Colmar zurück, den wir, versöhnt mit seiner liebenswürdigen Gattin, verlassen haben. Berenize, erschüttert durch den Jammer, der das Herz des Geliebten getroffen, war bemüht, durch zärtliche Sorgfalt und unbefangene Heiterkeit jene schwarzen Erinnerungen nach und nach gänzlich zu tilgen. Die Gewalt eines schönen Herzens ist mächtig, Colmar genas; der Umgang mit der Trefflichen, die paradiesischen Genüsse der Natur kräftigten seine Brust und füllten sie neu mit der Frische der Jugend.
Zwei Jahre vergingen in ungetrübtem Frieden, da – armer Colmar! rüsteten sich die finstern Machte von Neuem und gewaltiger, ihr armes Opfer in Empfang zu nehmen. Es nahte der Jahrstag vom Tode Opheliens; ein Tag, der, stets die alten Wunden aufreißend, den Unglücklichen seinen bösen Geistern überlieferte. Eine Schwermuth, so finster wie sie sich nie früher geäußert, erschreckte jezt die arme Gattin und spottete ihrer angestrengten Bemühungen. Der Arzt, mit den frühern Schicksalen des Kranken bekannt, schrieb zum Theil die Ursache seines verschlimmerten Zustands den bösen Einwirkungen des trüben Herbsthimmels, sowie den kalten Stürmen zu, die um diese Zeit zu wehen pflegten. Seine Sorgfalt vereinigte sich mit den Bemühungen der Gattin; beide wachten, da das Uebel zunahm, am Bette Colmars und lauschten mit Entsetzen jenen Ausbrüchen des Zorns und Schreckens, die er ausstieß, da der Fiebertraum ihn wiederum an die Seite jener furchtbaren Ophelie und des gespenstischen Grafen brachte.
Endlich schien die finstere Periode überstanden, und langsam erhob sich der Kranke wieder, doch nicht, um die Geselligkeit zu suchen; er zog sich vielmehr zurück von allem Umgang, um sich in seine Gemächer einzuschließen, wo nur Berenize zu einer bestimmten Stunde des Abends Zutritt hatte. So waren die Umstände, als die Herzogin mit Marien im Städtchen an langte.
Der Todestag Opheliens war erschienen. Ein dunkler Herbsthimmel hüllte das leuchtende Gestirn des Tages in seine grauen Schatten; die Natur, im Winterschlafe schon begraben, zeigte ein farbloses, melancholisches Antlitz. Es scheint, als sey eine so kalte, trübe Zeit dazu bestimmt, den Menschen zu erschüttern, als träte ihm überall unter dem zerrissenen Teppich des Frühlings das nackte Entsetzen, die starren Formen eines Gerippes entgegen, welches ihn, über die Tiefen des Grabes hinweg, an die Verbindung mit einer fremden, drohenden Welt mahnt. Ein unglücklicher Zufall wollte, daß Colmar an diesem Tage die Nachricht vom Tode des Grafen erhielt, der in Palermo verstorben.
Berenize erfuhr nichts hievon; sie hatte auf den Rath des Arztes eine Gesellschaft versammelt, die aus Freunden der Familie in der Nachbarschaft bestand. Man vereinigte sich in einem schönen, mit glänzender Pracht ausgestatteten Salon; es wurde musicirt, gescherzt, der junge Theil der Gesellschaft war mit dem Tanz beschäftigt. Colmar hatte Anfangs an dem Gespräche Theil genommen; doch eine seltsame Aufregung, die in seinem Wesen bemerkbar wurde, zeigte, daß diese Theilnahme nur erzwungen war. Bald zog er sich auch in seine Zimmer zurück.
Drei Stunden mochten nach seinem Verschwinden verflossen seyn, als plötzlich eine große Bewegung in der Menge sich äußerte. Man hatte aus den innern Gemächern einen gräßlichen Angstruf erschallen hören; jezt sah man, daß auch Berenize fehlte. Das Gerücht einer entsetzlichen That, die so eben geschehen, ging von Mund zu Mund; Niemand wagte, von finstern Ahnungen ergriffen, den Gang zu betreten, der in die Zimmer Colmars führte. Eine tiefe Stille lagerte sich auf wenige Minuten über den Salon, der noch so eben von den Tönen des Frohsinns und der Musik widerhallt hatte.
Endlich drangen mehrere Männer, an ihrer Spitze der Arzt, in's Kabinet, dessen Thüre nur angelehnt war. Himmel, welch ein entsetzlicher Anblick zeigte sich da! Berenize, die unglückliche Berenize, lag am Boden mit durchbohrter Brust; neben ihr kniete, die Haare wild aufgelöst, eine Gestalt, deren Anblick die eintretenden Männer auf einen Moment erstarren machte – auch sie war Berenize, dieselbe Kleidung, dieselbe Figur, dasselbe Gesicht! – In einer Ecke des Gemachs lehnte Colmar, das Antlitz in beide Hände gedrückt. Das Licht einer düster brennenden Studirlampe beleuchtete mit ungewissem Schimmer die Gestalten im fürchterlichen Gemach.
Während der Arzt sogleich Vorkehrungen traf, der Verwundeten Hülfe zu schaffen, sah man die hohe Gestalt einer vornehmen Dame, welche sich Platz durch die Menge machte; ein Schrei entriß sich ihrer Brust, als sie das Geschehene bemerkte; zu gleicher Zeit erhob sich jene zweite Berenize und sank ohnmächtig in die Arme der Hinzugetretenen. Es war die Herzogin von Auxerres, die jezt zu der traurigen Pflicht sich berufen fühlte, das finstere Räthsel der entsetzlichen That zu lösen. –
Wir lassen den Schleier vor das trübe Gemälde fallen und wagen es weder, den Schmerz der Familie des Marschalls, noch die Vorwürfe zu schildern, die die Herzogin sich machte, in jenen Plan Mariens gewilligt zu haben. Das Entsetzliche war geschehen, die finstern Mächte hatten ihr Opfer dahingenommen. Berenize starb bald an den Folgen der Verwundung und Colmar verfiel in einen Wahnsinn, der unheilbar blieb.
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