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Die lezte Rose des Kallenfels.

Aus Familienpapieren.

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Das Schloß A – weiler im Elsaß, jezt ein Eigenthum der St–schen Familie, gehörte früher den Grafen von Stein-Kallenfels, einer angesehenen Sippschaft, deren eine Seitenlinie unter dem Kaiser Ferdinand in den Reichsfürstenstand erhoben wurde, und die bald nach Anfang der Schlesischen Kriege ausstarb. Der lezte Sproß, der noch diesen angesehenen Namen führte, war eine junge Dame, von deren Schicksal sich Folgendes aufgezeichnet findet.

Gräfin Anna zählte achtzehn Jahre; sie war von seltener Schönheit, dabei unbefangen und heiter, wie jene Zeit es mit sich bringt, wo noch keine Leidenschaft, weder eine glückliche noch unglückliche, das Herz gefangen genommen. Man pflegte sie nur die lezte Rose des Kallenfels zu nennen, mit Hinweisung auf den traurigen Umstand, daß mit diesem blühenden Geschöpf ein Geschlecht erlosch, welches Jahrhunderte hindurch die Ehre seines Hauses, den Ruhm seiner Ahnen mit eben so viel Verdienst als Glanz zu erhalten gewußt hatte; doch auch die seltene Frauenschönheit, die von frühen Zeiten in diesem Geschlechte einheimisch gewesen, gab Anlaß zu jenem Beinamen. Die Archive der Familiengeschichten liefern eine Menge Berichte von den Schicksalen der schönen Frauen dieser Sippschaft, von dem Rufe, den sie zu ihrer Zeit genossen, und den Auszeichnungen, mit denen man sie beehrt; und in der That konnte man diese Zeugnisse nicht übertrieben finden, warf man einen Blick auf die noch ziemlich wohlerhaltenen Ahnenbilder, die sich noch im Schlosse zu A – weiler vorfanden.

Es war ein Abend im hohen Sommer, als eine Gesellschaft größtentheils verwandter Familienglieder sich im Stammschlosse versammelt hatte. Nach den Genüssen eines langen schönen Tages kam man im kühlen alterthümlichen Saale zusammen, und indeß der Nachtisch mit Früchten und köstlichem Wein aufgetragen wurde, der jüngere Theil der Gesellschaft bei Gesprächen von Jagd- und Reiseabenteuern besonders laut wurde, fanden drei befreundete junge Mädchen Gelegenheit, unbemerkt zu entschlüpfen; eine der andern die Hand gebend, stahlen sie sich lachend, scherzend, halb im Lauf durch die langen Gänge, welche der Mond beleuchtete, und in die obern Gemächer hinauf, deren eines, auf ausdrückliches Bitten, besonders für sie eingerichtet worden war.

Auf dieses Zimmer, welches nun Anna mit ihren beiden Gespielinnen betrat, müssen wir unsere besondere Aufmerksamkeit richten. Die zwei hohen, aus kleinen Glastafeln zusammengesezten Fenster zeigten hinunter auf die breiten Häupter der schwarzlaubigen Linden an einer wüste liegenden Seite des alten Schloßgartens. Hinunterschauend, gewahrte man unter dem Schatten der Bäume noch die Gestalt eines zerbrochenen Tritons, der seine Muschel, aus der schon lange kein Strahl mehr heraussprüzte, vor den Mund hielt. Grüne und weiße Vorhänge flossen, die Fenster einschließend, auf den Boden nieder, der zierlich getäfelt war; die Wände enthielten keine Gemälde, sondern zeigten nur weiße Flächen, mit schmalen goldnen Leisten umgrenzt. In der Mitte der Wand, den Fenstern gegenüber, befand sich eine tiefe Nische und in derselben das Hauptgeräthe des Zimmers, ein alterthümliches, gewaltig großes, breites und schwerfälliges Bett, welches wohl ein Menschenalter hindurch nicht aus seiner Stelle gerückt worden war. Gleichwie an den Fenstern, flossen auch hier grüne und weiße Gehänge nieder, oben von einer schweren vergoldeten gräflichen Krone gehalten. Es zeigte sich in seinen Formen wenig Geschmack, desto mehr Reichthum aber an dem künstlichsten Schnitzwerk, mit Vergoldung untermischt, womit die ganze vordere Seite, so viel von ihr der blendend weiße Bezug und die kostbar gestickte Decke sehen ließen, über und über verziert war. Nächst diesem wichtigsten und anziehendsten Bestandtheil eines Schlafgemachs, zeigte sich noch zwischen den Fenstern ein nach alter Weise behangener Putztisch, mit seinem runden, mit silberner Einfassung versehenen Spiegel, vor ihm ein Armstuhl, dessen verbogene dünne Beine und vergoldeten Aermchen wohl schon manche zarte Schöne, die längst im Grabe schlummerte, mochten getragen haben. Nächst dem Haupteingang, den eine aus starkem Eichenholze gefugte Thür bildete, befand sich noch eine kaum bemerkbare Tapetenthüre an der Seite des Bettes.

Dieses war das Gemach, in dem sich die drei Freundinnen zusammenfanden. Sie waren so glücklich mit einander, es hatte sie nach langer Trennung dieses Familienfest wieder vereinigt, sie hatten nach Mädchenweise sich tausend und aber tausend Dinge zu erzählen, und welche Zeit kann sich wohl rühmen, zum Austausch so wichtiger Geheimnisse passender zu seyn, als »die Stunde vor zu Bette gehen«. In glücklicher Stille eingeschlossen, gleich sicher vor dem Blick, wie vor dem Ohr des Lauschers, beginnt der geheime Ministerrath. In »der Stunde vor zu Bette geben« wird so manches Mädchengeheimniß laut, wird so manche Liebesgeschichte ausgeplaudert, so mancher muthwillige Plan, der einem armen Knaben am Tage die Thräne in's blaue Auge treibt, geschmiedet; selbst das stolzeste, verschlossenste Mädchenherz, das am Tage hartnäckig seine Geheimnisse zu verbergen versteht, in »der Stunde vor zu Bette gehen« kann es ihm dennoch die vertraute Freundin ablocken.

Da sizt die Schöne; ist der Tag belustigend gewesen, hat der Abend noch freundliche Siege gebracht, so blitzen noch die schönen Augen, so glühen noch die zarten Wangen; an Schlaf ist nicht zu denken. Indessen nun das Prachtkleid niedersinkt, indeß durch die gehobenen Finger von Elfenbein die dunkle Haarflechte geht und bedächtig, Glied vor Glied aufgelöst, wieder in ihren natürlichen Zustand zurückkehrt, indeß die Zofe, niedergebückt, in die Hand den kleinen Fuß nehmend, die dünnen glänzenden Schuhe von den weißen Strümpfen abschält, indessen diese wichtigen Dinge nun geschehen, biegt sich das Köpfchen mit den gelösten Haarflechten zur Seite und die beweglichen Lippen plaudern über die Ereignisse des Tages.

Wie mancher schalkhafte Gedanke löst sich da von der Zunge, wie mancher verstohlene Seufzer zugleich mit dem Mieder vom Busen; ach! welches Mädchenherz jung gewesen und Geheimnisse zu bewahren gehabt, das weiß, was »die Stunde vor zu Bette gehen« zu sagen hat.

Auch unsere drei Freundinnen waren so glücklich; sie schickten das Kammermädchen fort, und während eine nach der andern den Platz im Stuhle vor dem Spiegel einnimmt, das Haar vom Puder zu reinigen und unter das niedliche Häubchen zu biegen, hüpfen die andern beiden im Gemach umher, sich unter Scherz und Lachen neckend.

Von den heitern Possen ging man auf ernstere Gegenstände über. Die Anzahl junger Herrn wurde gemustert; Eleonore, die muthwilligste, wußte Stellungen und Geberden einiger nachzuahmen, Gertrud brachte die Rede auf den schönsten der Jünglinge, einen Grafen Rothenburg. Die Freundinnen stimmten ihr in seinem Lobe bei, nur erklärte Anna, sie meine, der Charakter des jungen Mannes sey nicht der beste.

»Nun!« rief Eleonore lebhaft, »wenn der Dir nicht gefällt, welcher ist dann Dein Auserwählter?« –

»Ich habe keinen!« –

»Keinen?« wiederholte Eleonore mit etwas gezogenem Ton; »ich glaube auch, es ist besser, keinen Auserwählten zu haben.« Sie richtete ihre Blicke fragend auf Gertrud.

»Ich meine dasselbe,« entgegnete diese, »und überhaupt, wir sollten das Gelübde thun, nämlich wir drei Freundinnen, einander nie zu verlassen.« –

»Das wollen wir!« riefen beide. –

»Nicht so schnell! Ihr habt mich nicht aussprechen lassen: ich wollte sagen, daß wir das Gelübde errichten, nie zu heirathen.« –

»Ja so!« bemerkte Eleonore und führte den Finger an die Lippe; – »es käme auf Umstände an.« –

»O pfui!« rief Gertrud empfindlich, »eine saubere Freundschaft, die sich Bedenkzeit nimmt.« –

»Ich willige ein«, nahm Anna das Wort, sich vom Spiegel erhebend und das Nachthäubchen tief in die Stirn setzend, so daß die blauen Augen nur noch versteckt hervorblizten; »was mich betrifft, ich verheirathe mich nicht.« –

»Du?« rief Eleonore, »Du kannst nun so etwas gar nicht versprechen; als die Lezte Deines Stamms, haben über Dich ganz andere Leute zu entscheiden.« –

»Wer sind diese andern Leute?« fragte das schöne Mädchen, indem sie, in der Mitte der Stube stehend, eine gebieterische Haltung annahm; »nenne sie mir!«

Eleonore wollte antworten, als sich ein Geräusch an der Tapetenthür bemerkbar machte.

»Horch, es klopft!« rief Gertrud.

Alle drei waren still, das Geräusch ließ sich nicht wieder hören.

»Ich bitte Dich, Gertrud, geh an die Thür und sieh nach, ob Jemand im Gange ist.« –

»Ich soll gehen?« –

»Du willst nicht, Furchtsame? wohlan! so geh' ich hinaus!«

Eleonore ging hin, sie öffnete; doch nachdem sie ein paar Mal laut: wer da? gerufen und sich darauf in dem noch ziemlich erhellten Gange Niemand gezeigt, warf sie die Thür wieder zu und kehrte triumphirend zurück.

»Was wird es seyn?« bemerkte sie den Freundinnen; »vielleicht das Kammermädchen, oder eine Base aus der Gesellschaft unten, oder was weiß ich sonst.«

Als man die Thüre jezt verschließen wollte, fand sich's, daß ihr Schloß, schadhaft geworden, nicht mehr im Verbunde hielt; die drei Freundinnen berathschlagten, wie diesem Uebelstand abzuhelfen sey, und endlich blieb kein anderes Mittel, als die Thürhabe mit einem Bändchen an den Pfosten des Bettes anzuknüpfen. Nach Beendigung dieses schwierigen Unternehmens kehrten jezt alle drei in die Mitte des Zimmers zurück.

Obgleich der kleine Schreck siegreich überstanden war, so wollte es doch mit dem traulichen Gespräch nicht mehr recht fort. Eleonore machte darauf aufmerksam, daß der Mond ihr gerade gegenüber durch das Fenster schiene; Anna, die, sich hinauslehnend, den Duft der Sommernacht eingesogen hatte, schloß jezt die Scheiben und sprach, sich die Augen reibend, zuerst vom zu Bette gehen.

Jezt erhob sich ein Streit, welche im Bette vorne, welche in der Mitte, welche an der Wand liegen sollte; Gertrud, als die zaghafteste, wählte sich sogleich den sichern Winkel an der Wand. Anna erklärte herzhaft, sie schlafe vorne, und so blieb für Eleonoren der mittelste Platz.

Als die Rangordnung festgesezt und das Licht auf der Toilette sicher gestellt war, nahm das alterthümliche Bette seine drei jungen Mädchen in seine sichern Arme auf. Gertrud, die sich an ihrer Wand am sichersten fühlte, überließ sich auch als die Erste dem Schlummer, auf Eleonorens Lippen schwebten noch ein paar Scherze, worauf die Freundinnen nur kurze Antworten gaben, und endlich war Alles im Gemache still; man hörte nur die Athemzüge der Schlummernden, die in schöner Gruppe, eine an die Schulter der andern gelehnt, dalagen. Anna allein ist noch wach; nicht Furcht ist der Grund dieses Wachens.

Das Geräusch und Getöse, welches aus den untern Gemächern dumpf heraufgeschallt, verliert sich, die Wachende hört entfernte Thüren zuschlagen, endlich tönt durch die tiefe Stille die Schloßuhr mit zwölf langsamen Schlägen. Anna blickt noch starr vor sich hin; eine Fliege im Winkel erwacht aus ihrem Schlummer, bewegt sich summend an der Wand und fliegt endlich dem Nachtlicht zu, welches, ziemlich niedergebrannt, einen bläulichen, ungewissen Schimmer verbreitet.

Eine drückende Schwüle herrscht im Gemach und drückt auf die Augenlieder der Wachenden; sie will sie eben schließen, als sie an der Tapetenthüre etwas sich regen hört; sie horcht und täuscht sich nicht, es ist derselbe Ton, wie kurze Zeit früher; Jemand naht sich im Gange, deutlich zu unterscheiden sind einzelne Tritte, die näher und näher kommen; endlich scharrt es dicht an der Thüre. Anna, die sich aufgerichtet hat, heftet fest ihren Blick auf das am Schloß befestigte Band, dieses löst sich aus seiner Schlinge, geräuschlos wird die Thüre geöffnet, und mit einem leisen Schreckenslaut hält sich Anna beide Hände vor das Antlitz.

Was sich in jener Nacht ereignet, hat die Gräfin lange Zeit verschwiegen; nur konnte man vermuthen, daß ein wichtiger Grund vorhanden sey, warum von der Zeit an hauptsächlich die Gemüthsart der jungen Dame sich auf eine entscheidende Weise zum Finstern und Träumerischen hinneigte.

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Es herrschte damals in Europa, kurz vor dem Ausbruch des siebenjährigen Krieges, eine allgemeine kriegerische Bewegung. Die junge Welt träumte nur von Schlachten und von Siegen, eine Menge Familien wurden verwaiset, indem sich die frische Jugend aus dem alterthümlichen Bezirk der Familienschlösser losriß und in die Fremde drang. Wer nicht im Felde thätig seyn konnte, suchte sich einen ehrenvollen Platz in den Kabinetten der großen Höfe.

Dieser Wechsel der Verhältnisse trieb auch den Herrn von Mehran an, für das Schicksal seines Mündels ernstliche Sorge zu tragen; er wünschte, daß Anna ihre Wahl bestimmen möchte. Die reiche Erbin von Stein-Kallenfels, dazu im Besitz von Schönheit, Tugend und Liebeswürdigkeit, hatte eine Menge Bewerber herbeigezogen. Unter diesen nahm der Vormund die edelsten, an deren Spitze er den Grafen Rothenburg stellte; allein er mußte zu seiner nicht geringen Verwunderung hören, daß Anna auf das Bestimmteste erklärte, durchaus keine Heirath eingehen zu wollen. Vergeblich drang der Vormund, vergeblich alle Freunde und Verwandte in sie, den Grund dieses Entschlusses anzugeben, die Gräfin beharrte bei ihrer Weigerung, und als man nicht abließ, sie um Erklärung zu bitten, sagte sie sehr ernst: in Beiseyn Jemandens, den sie achte und fürchte, habe sie selbst das Gelübde gethan, nie in die Ehe zu treten. Man sah diese Aeußerungen für wenig mehr, als eine jener vielen Betrachtungen und Entschlüsse an, die das Steigen einer krankhaften Gemüthsstimmung beurkundeten. Dennoch mußte man ihr den Willen lassen.

Nach Ablauf von drei Jahren erklärte sich Anna entschlossen, in ein Kloster zu gehen; auch dieser Schritt wurde nun nicht mehr so auffallend gefunden, als er es seinem Wesen nach bei einem Mädchen ihres Alters war. Ihr Sinn hatte sich jezt völlig und entschieden auf Stille, Einsamkeit und Betrachtung geneigt; sie wählte zu ihrer Umgebung vorzügliche Geistliche, führte lange und ausführliche Gespräche mit ihnen, suchte sich tief und ernstlich über religiöse Pflichten zu belehren, und mit Gertruden, ihrer liebsten Freundin, die sie stets umgab, sprach sie öfter über die Fortdauer der Seele nach dem Tode, über das Lieben jenseits des Grabes und die Gewißheit einer schönen Zukunft. Wurde sie über den Grund ihrer zunehmenden Schwermuth befragt, so pflegte sie wohl zu erwidern, ein solcher Ernst gezieme derjenigen, die als der lezte Sproß eines berühmten Stammes in's Grab zu steigen bestimmt sey, die, um mit den Ihrigen vereinigt zu seyn, stets Jene dunkeln Räume aufsuchen müsse, die sich nur dem Glauben, der religiösen Erkenntniß lichten. Mit dieser ernsten Richtung verband sie ein stilles, einfaches Leben, am liebsten fern von der Stadt und vorzüglich gern auf dem Schloß A – weiler, das sie als Vermächtniß ihres Stammes liebte.

Diese Gesinnung Annens schien dauernd; allein wie bei schwärmerischen Gemüthern oft wunderbar schnelle Uebergänge statt finden, so geschah auch hier das Unerwartete, Ungehoffte. Aus ihrem einsamen Zufluchtsort erhielten die Verwandten nach Ablauf eines Jahres plötzlich die Anmeldung, die reiche Erbin sey Braut; die nähern Umstände, die Bekanntschaft seines angesehenen französischen Offiziers, dessen Sieg über das Herz der Einsiedlerin, alle diese Ereignisse kamen jetzt genau zur Kenntniß der über diese Schicksalswendung erfreuten Verwandten. Die trübe Periode aus dem Leben der jungen Dame glaubte man der Vergessenheit übergeben zu dürfen, und nur Gertrud, die treue, aufopfernde Gertrud, die das Herz ihrer kranken Freundin kannte, nur sie wollte an keine völlige Genesung glauben, so glänzend und heiter Annens Eintritt in die große, geräuschvolle Welt, an der Seite ihres Verlobten, sich auch zeigte.

Und Gertruds Sorgen ließ die Zeit nicht als grundlos erscheinen. Das erste Merkmal einer noch übrig gebliebenen krankhaften Spannung war Annens Haß gegen Alles, was an ihr Stammschloß nur von ferne mahnte; nur mit der größten Anstrengung konnte sie es über sich gewinnen, dem alten Familienherkommen folgend, ihre Trauung in der Kapelle des Schlosses begehen zu lassen, sogleich nach diesem heiligen Akt wollte man in die Residenz heimkehren.

Je näher dieser Zeitpunkt heranrückte, desto auffallender zeigte sich Gertrudens geübtem Blick der Freundin Unruhe; sie war entschlossen, die junge Gräfin um den Grund derselben zu fragen; aber diese überraschte sie, indem sie eines Abends ihr folgendes Geständniß machte:

»Liebste Gertrud,« hob sie an, die Hand der Gespielin in die ihrige schließend, »glaubst Du an die Erscheinung übernatürlicher Wesen?« –

»Es hat sich mit keines jemals gezeigt,« erwiderte die Gefragte ruhig; sie wollte noch etwas hinzufügen, als die Gräfin ihr in's Wort fiel und rief:

»Mir aber, meine Gute, mir hat sich etwas der Art gezeigt!« Sie stockte, als diese Worte heraus waren, und fügte leise hinzu: »Ich meine freilich bis auf diese Stunde, daß es ein lebhafter Traum gewesen; doch höre. Wir schliefen einmal, ich weiß nicht, ob Du Dich noch darauf besinnst, wir drei Mädchen, in einem Gemache in meinem Schlosse A – weiler zusammen; mir ist noch gegenwärtig, daß ich lebhaft war, viel sprach, erzählte, mit einem Wort, an nichts weniger dachte, als an Schreck, Furcht, Entsetzen. Es war schwül, die Hitze schloß wohl meine Augenlieder, gewiß schlummerte ich ein, doch im Traume glaubte ich völlig zu wachen; da hörte ich im Gange einzelne Tritte, es kam näher, und als die Thür sich aufthat, zeigte sich mit Jemand – ja, die Worte fehlen mir, wenn ich Dir beschreiben soll, was ich damals inne wurde.

Es war keine Gestalt, mich dünkt, ich sah keine Formen, und dennoch fühlte ich einen Sinn in mir, der mir sagte: es ist ein Wesen in diesem Gemach, das nichts mit den Lebendigen gemein hat. Zugleich hatte ich die festeste Ueberzeugung, daß dieses Etwas mich suche und, als es noch gelebt, zu meiner Familie gehört haben müsse; ja, als ich meine Gedanken fest, mit ganzer Seele auf jene geistige Nähe richtete, so zitterte auch auf einen Moment ein Bild vor mir, und ich glaubte aus einer trüben, stets sich bewegenden Masse ein paar Augen hervorblitzen zu sehen.

So lange diese fürchterliche, fremde, geistige Gegenwart in meiner Nähe ausharrte, empfand ich durchaus kein Grauen, ich wußte nur, es war meine Pflicht, meinen Geist mit seiner gespanntesten Kraft auf den fremden, hinzugetretenen Willen zu richten. Während dieses Zustandes erfuhr ich nun, doch nicht durch Worte wurde es mir klar, daß ich, um den unglücklichen, schmerzhaft in der Irre gehenden Willen zu erlösen, das Gelübde thun müsse, mich für die Lebenszeit in ein Kloster zu begeben. Als ich dieses Gelübde abgelegt, folgte ein Seelenzustand bei mir, auf den ich mich als einen wunderbaren, höchst geheimnißvollen deutlich besinne; ich könnte ihn aber jezt unmöglich auf eine auch nur ferne Weise bezeichnen, er gehörte einem andern Leben an. So viel weiß ich, daß, wie ich erwachte, ich mich in Thränen gebadet fand; mir war, als hätte ich ein unendlich tiefes, ganz entsetzliches Leid erfahren oder angeschaut. Ich denke mir, daß der unglückliche Wille mir seinen Zustand, in dem er verweilen müsse, nahe nahe vorgeführt haben werde.«

Gertrud blickte verwundert die Gräfin an, als diese ihre Hand faßte und mit einschmeichelndem Ton, gleich einer, die gerne ihre Ansicht bestätigt hören möchte, sagte: »Dieses, meine Liebe, träumte mir, es war ein Traum« –

»Und aus welchem Grunde forderte der Geist das Opfer?« –

»Das weiß ich nicht, nur das entsinne ich mich, daß ich völlig überzeugt war, er könne nicht anders, als es von mir fordern: ja, so seltsam verflocht sich Bild in Bild, daß ich glaubte, im Beiseyn eines höhern Wesens das Gelöbniß abgelegt zu haben, als der lezte Sproß meiner Familie mein Leben keinem irdischen Zweck, sondern einem ernstern Beruf zu widmen, gleichsam als eine Leidtragende, die hinter dem unendlich langen Leichenzug von tausend und aber tausend Särgen, alle mit meinem Wappen geschmückt, daher geht.« –

»Du hast von jeher Anlage zur Schwärmerei gehabt.« –

»Sey's! doch wahrlich,Gertrud, können uns Verstorbene nahen, so nur, so können diese unheimlichen Boten erscheinen.« –

»Also bist Du doch gewiß, mit wachenden Augen geschaut zu haben?« –

»Nichts, wie gesagt, was ich Schauen nennen möchte, und dennoch – o laß mich schweigen! sagt man nicht, daß man im inbrünstigen Gebet die Gegenwart Gottes fühlt? so fühlte ich, daß ein längst Verstorbener aus meiner Familie mit mir sprach, daß ich ihm zuschwor, den Schleier zu nehmen – und jezt, Gertrud – ich breche mein Gelübde!«

Gertrud schloß ihre Freundin herzlich in die Arme, in ihrem Auge perlten Thränen. »Schwärmerin!« rief sie, »Dein eigenes krankhaftes Ich ist im Traum Dir vorgetreten, Deine Schwermuth hat sich Dir körperlich gezeigt.«

Anna schüttelte das Haupt, ihr großes helles Auge sah die Freundin wie prüfend und mißrauisch an, endlich bog sie sich zu ihr über, und indem sie ihr einen schönen Strauß von gelben Rosenknospen an den Busen steckte, drückte sie einen Kuß auf ihre Lippen und sagte: »Du schönes, gutes Herz, es ist mir nur lieb, daß Du mich nicht für eine Geisterseherin hältst; nun ist ja Alles gut.«

Gertrud nahm die Blumen und befestigte sie an das dunkle Haar der Braut; sie vor den Spiegel führend, ihr die Stirnlocken ordnend, sagte sie: »Meine geliebte, süße Anna, Du lezte Rose dieses stolzen Stammes, ich grüße Dich als Braut!«

Beide Freundinnen küßten sich nochmals herzlich, und zwischen den Kuß der blühenden Lippen fielen die goldnen Blättchen der gelben Knospen gleich zerstäubenden Flocken nieder.

Am Tage der Vermählung saß Gertrud bei ihrer geliebten Anna, und der Wagen flog den harten Waldweg hinab zu dem Schlosse; den beiden Frauen folgte der Wagen des Bräutigams und seines Freundes; voran fuhren der Herr von Mehran mit seiner Gemahlin und dem Geistlichen. Als das Schloß seine finstern Thürme aus einer Nadelholzgruppe gen Himmel hob, drückte Anna die Hand ihrer Freundin herzlich, ohne dabei etwas zu sagen.

Als die Wagen anhielten, zeigten sich zum Empfang eine Menge geschmückter Landleute; ihre junge Gebieterin grüßte überall herum, ihre freundlichen Blicke vergaßen auch das kleinste Bürschchen oder Mädchen nicht. So gefolgt von den Glückwünschenden, stieg sie die Treppe hinauf und betrat die Gemächer ihres alten Stammschlosses. Sie wollte ganz Mutter, Trostgeberin, Stütze ihrer Untergebenen seyn und durch enges Anschließen an das nächste und wärmste Leben jenes kalte, starre, gebieterische, selbstgenügsame Reich fernhalten, das sich ihr entgegendrängte.

Vor allem andern stieg sie mit Gertruden in jenes Gemach, wohin uns der Anfang dieser Erzählung geführt hat: das breite, alterthümliche Bett stand noch da, unverändert der Putztisch an der gegenüberstehenden Wand. Diese und ähnliche Erinnerungen, denen sich die Braut jezt mit Willen aussezte, nahmen einige Stunden hinweg, bis die Zeit erschien, wo der Geistliche zu der vorhabenden heiligen Handlung sich in die Kapelle verfügt hatte. Annens heitere Stimmung hielt das Erschütternde der Einsegnungsrede, auch für die zärtlichste Braut schmerzlich ergreifend, mit gleicher Fassung aus; sie zeigte sich entschlossen und innerlich zufrieden, indeß Gertrud eine lebhafte Unruhe nicht bergen konnte.

Die Feierlichkeit hatte länger gedauert, als man gewünscht hatte, der Abend lag auf den Fluren, als man sich zur Heimfahrt anschickte, ein Wetter stand am Himmel, es zog in Gefolge eines starken Sturmwindes mit gewaltiger Schnelle übers Gebirge heran; die Abfahrt wurde verschoben, und indeß die beiden Liebenden verschlungen am hohen, bis auf den Boden reichenden Fenster des Saals standen, strömten in wilden Güssen die Gebirgswasser zusammen, die rauschenden, erzürnten Häupter der Fichten kämpften in ganzen Massen gegen die Stöße des Windes, und breite grelle Scheine flammten fast ohne Unterbrechung durch die Dunkelheit.

»Ist es nicht kindisch,« rief Anna, »daß ich Euch heute weiter treibe? Ich will es, Ihr sollt bleiben, Ihr Lieben.«

Der schöne junge Mann küßte seine Verlobte und Gertrud schmiegte sich an ihre Seite.

»Ja, ich will es!« rief Anna noch eifriger, indem sie beide abwechselnd ansah

»Es sind nicht die gehörigen Anstalten getroffen, meine Tochter,« bemerkte die Baronin, »keine Zimmer eingerichtet.« –

»Wie, im Schlosse meiner Ahnen keine Zimmer für mich? Ihr scherzt, Mutter! im Hause der Meinigen; keine Zimmer für mich!«

Sie blieb bei ihrem ausgesprochenen Wunsche, und da es sich zeigte, daß der Rückweg bei der Verschlimmerung der Wege und in der Finsterniß gefährlich werden könnte, so waren bald jene leichten Einrichtungen gemacht, die die Aufnahme so weniger Personen erforderlich machte. Ein rundes Gemach am Schlusse von sechs aneinanderstoßenden großen Zimmern wurde zum Brautgemach bestimmt, und die Gäste fanden nach Wunsch bequeme Einrichtungen.

Gertrud war, als man die Abendmahlzeit eingenommen und die kleine Gesellschaft sich schon zerstreut hatte, noch beschäftigt, eine Schnur kostbarer Perlen zu ordnen und auf einen andern Faden zu reihen; sie saß an einem kleinen Tische, die einzige Kerze, die vor ihr brannte, ließ das hochgewölbte Gemach fast dunkel, ihr gegenüber stand die große Glasthür, welche auf den Balkon führte, offen, am beruhigten Nachthimmel schwamm der Mond dahin, gerade durchscheinend und den Umriß der Thüre scharf auf das Parquet abzeichnend.

Anna tritt hervor, sie geht durch's Zimmer und stellt sich schweigend auf den Balkon, als ihr Gertrud nachfolgt, schließt sie die Arme um sie, und beide stehen eine Zeitlang stille, die Ruhe der köstlichem Mondscheinnacht in sich aufnehmend. Eine einsame Nachtigall zieht schwer und langsam ihre melodischen, träumerischen Töne, und als ginge ein leises, oft stockendes Gespräch durch den Wald, so flüstert es und lispelt und braust versteckt und heimlich.

Annens Haupt war auf Gertruds Schulter gesunken, der weiße Atlas floß in bläulichem Schimmer um sie her, auf der Brust funkelte ein kleines goldenes Kruzifix, ihr einziger und schönster Brautschmuck, der Mond spiegelte sich drauf, und durch den Strahl wurde Annens Blick dahin gelenkt; sie lispelte vor sich die Worte des Evangeliums: »Ich bin das Licht und das Leben, wer an mich glaubet, wird nicht verloren gehen.« Sie nahm das Kreuz und küßte es dreimal innig, dann drückte sie es an die Augen und befeuchtete es mit ihren Thränen, indem sie sagte: »So sey denn nun, liebes Bild, auch mir gnädig, mir, der lezten des Stammes, der nun in Frieden ruht.«

Wie sie dieses gesprochen, blickte sie vertrauend und mit innigem Lächeln über die Schulter nach dem Geliebten, der hinter ihr stand; er umschlang sie, sie legte das Haupt an seine Brust, und so gebeugt, schritt sie mit ihm dahin, langsam, als zähle sie jeden Schritt, durch alle die Gemächer dem ihrigen zu. Ein Diener mit einem Armleuchter ging ihnen voran, Gertrud blieb mitten im Saal stehen und sah dem Paare nach, wie es, noch lange sichtbar, in weiter Ferne, von Gemach zu Gemach schreitend, endlich in der lezten Thür verschwand. Tiefe Stille herrschte jezt; den Diener mit dem eilig getragenen, und darum nur als blaues Pünktchen erscheinenden Lichte sah man seitwärts sich verlieren.

Gertrud blieb noch allein wach; fromme, tiefe Gefühle hatten sich ihrer bemeistert, und besonders die lezten Worte Annens machten sie nachsinnen; sie verfolgte in ihren Gedanken das menschliche Geschick, sie vergegenwärtigte sich so manches frühere Begebniß, gewohnt, das Leben in seiner Folge und Verknüpfung zu beobachten und sich anzueignen, schöpfte sie aus manchem Umstand, mancher oft flüchtigen Andeutung Besorgnisse, die dem Unbefangenen nur unbedeutend erscheinen. Unvermerkt, wie Perle sich an Perle reihte, flossen die Minuten dahin, und durch die Stille der Nacht tönte der zwölfte Glockenschlag.

Jezt zerreißt ein wilder Schrei die Luft, es stöhnt und ächzt Jemand im furchtbar angestrengten Lauf, es kommt die Reihe der Zimmer heran; mit nachströmendem Gewand, mit weit ausgeholten Sprüngen schießt Annens Gestalt auf sie zu, doch so fürchterlich schnell, daß, sie im fernsten der sechs Gemächer bemerken, und sie dicht vor sich sehen, Ein Moment ist. So flieht nicht der gescheuchte Hirte, dem der verfolgende Stier mit gesenkten Hörnern dicht auf dem Fuße folgt; dieser Lauf ist wahrhaft entsetzlich. Jezt liegt sie zu Gertrudens Füßen, sie zerreißt ihr Kleid, indem sie sich in dessen Falten eingräbt, ihr eigenes Gewand zeigt sich halb herabgesunken, und das Pochen ihres Herzens ist von so krampfhafter, wilder Stärke, daß sich seine Bebungen an der Oberfläche zeigen; in der Verwirrung und im Entsetzen weiß Gertrud nichts anders, als ihre Hand auf jene Stelle zu pressen, und in dem Augenblick bricht die schöne Gestalt zusammen.

Der Vorfall hatte Alle wach gerufen, aus allen Thüren kommen sie herbei. Der trauernde junge Vermählte ist einer der ersten; er findet seine Geliebte bleich am Boden, ohne Zeichen des Lebens in Gertruds Armen. Man ist in Verzweiflung, keine ärztliche Hülfe in der Nähe zu haben, da zeigt sich der Geistliche als ein mit den wesentlichsten Heilmitteln bekannter Mann; seinen Bemühungen wird die, die er am Altar des Lebens zum schönsten Glücke mit Segen begrüßt, jezt halb als Leiche in die Arme gegeben. Seiner geschickten Sorge gelingt es, den bewußtlosen Zustand zu bannen; die Unglückliche erwacht zum Leben, aber die ersten Momente der erneuten Thätigkeit bezeichnen auch den Beginn eines Fiebers, das in reissender Schnelligkeit an Macht zunimmt. Man bringt sie in's Bette, und die treue Gertrud wacht an ihrem Lager.

Der Geistliche wendet sich jezt an den jungen Mann, ihn um Auskunft über diese räthselhafte Erscheinung zu bitten; doch dieser weiß nichts anderes anzugeben, als daß, wahrscheinlich durch einen Traum geschreckt, die Geliebte, im ersten leichten Schlummer begriffen, plötzlich mit einem Schrei dem Lager sich entrafft und jenen entsetzlichen Lauf begonnen habe.

Die Anstalten zur Abreise werden natürlich verschoben, obgleich Anna in den von Fieberphantasien freien Augenblicken mit den eindringlichsten Bitten ihre Angehörigen beschwört, sie aus dem Schlosse zu entfernen. Doch dieses wird von Tage zu Tage immer weniger möglich, so sehr verschlimmert sich der Zustand der Armen; zwei der geschicktesten Aerzte aus der Stadt werden herausbeschieden; sie langen an, allein ihren vereinten Bemühungen sezt sich immer wieder der auf das Seltsamste zerrüttete Gemüthszustand der Kranken entgegen. Gertruds innige Treue, ihre aufopfernde Vorsorge, das schonende Verbergen ihrer eigenen Trostlosigkeit – an diese schönen Zeichen einer immer thätigen Liebeswärme kettet sich die arme Verlorene wie an die lezten Lebensstützen noch an; diese erkennt und fühlt sie, als schon der Gruß der Freunde, die Thätigkeit und Theilnahme der Aerzte, die Worte des Geistlichen für sie nicht mehr verständlich sind; und so, die erkaltende Hand in Gertruds Rechte geschlossen, das goldene Kruzifix an die Lippen drückend, schlummert sie hinüber. –

Ihre Hülle stand in jenem Gemache aus, wo die drei Freundinnen einst eine so glückliche Zusammenkunft gefeiert. Mit Annens Sarg wurde die Familiengruft geschlossen, und so schlummert ein ganzes Geschlecht mit seinen gebrochenen und beruhigten Herzen, mit seinen bösen und edlen Werken dem Gerichte entgegen. Sie, die lezte Rose des Kallenfels, ist bei den Ihrigen.

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