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Otto IV. und Friedrich II. Walther empfängt ein Reichslehen. Der Truchseß von Singenberg.
Nach dem Tode Philipps von Schwaben wurde Otto von Braunschweig allgemein als König anerkannt. Um sich der Anhänger des 320 hohenstaufischen Hauses zu versichern, beschloß er, sich mit Philipps verwaister Tochter Beatrix zu verloben. Auf der Fürstenversammlung zu Würzburg, 1209, empfing Beatrix, von den Herzogen Leopold von Österreich und Ludwig von Bayern eingeführt, des Königs Kuß und Ring. Das Hindernis der Verwandtschaft hatte der Papst, auf den hohenstaufischen Friedrich in Sicilien argwöhnisch, gern gehoben. Doch blieb die Vermählung ausgesetzt. Otto trat den Römerzug an und wurde im Weinmond 1209 von Innocenz III. als Kaiser gekrönt. Die Ansprüche der päpstlichen und der kaiserlichen Gewalt, der Platte und der Krone,So bezeichnet Reinmar der alte (Man. I, 80b) die geistliche und die weltliche Macht. waren sich aber zu sehr entgegengesetzt, als daß jemals ein gutes Vernehmen in die Dauer bestanden hätte. Die von Otto vorgenommene Herstellung der Reichsrechte in Italien war der Anlaß, daß sein bisheriges Einverständnis mit Innocenz sich in heftige Zwistigkeiten auflöste. Weil Otto befürchten mußte, daß der Papst ihm in dem jungen Friedrich von Sicilien einen Gegenkönig aufstellen würde, brach er mit Heeresmacht in Apulien ein. Dagegen warf Innocenz auf ihn den Bannstrahl und erweckte in Deutschland durch den Erzbischof von Mainz eine Partei für den sicilischen Friedrich. Der König von Böhmen, die Herzoge von Österreich und von Bayern, der Landgraf von Thüringen und viele andre erklärten den für den rechten König, dem man einst Treue geschworen, als er noch in der Wiege lag. Es wurden Boten abgeschickt, um Friedrich nach Deutschland einzuladen.
Otto, der in Apulien große Fortschritte gemacht hatte, sah sich jetzt genötigt, nach Deutschland zurückzukehren. Er beschleunigte seine Vermählung mit Beatrix, aber diese starb am vierten Tage nach der Hochzeit, und nun verließen auch die schwäbischen und bayrischen Vasallen sein Heer.
Während er in Thüringen den Landgrafen, seinen vormaligen Anhänger, bekriegte, im Sommer 1212, kam Friedrich, jetzt fünfzehn Jahre alt, vom Segen des Papstes begleitet, nach Überstehung großer Gefahren und Mühseligkeiten, über das unwegsamste Alpgebirge zu Chur in Rhätien an. Der dortige Bischof und der Abt von St. Gallen geleiteten ihn nach Konstanz. Zu gleicher Zeit erschien am andern Ufer des Sees, zu Überlingen, Otto mit seinem Heer. Aber von vielen verlassen, konnte dieser sich nicht mit seinem Gegner messen. Friedrich begab sich nach Basel unter dem Beistand des Grafen von Kiburg und andrer, denen er freigebig Lehen erteilte. Von da zog er mit stets wachsendem Anhang den Rhein hinab. Otto mußte nach Sachsen entweichen und Friedrich 321 empfing auf dem Hoftage zu Mainz die Huldigung der Fürsten. Zu Frankfurt traf der Landgraf Hermann von Thüringen zu ihm. Friedrich ritt diesem Fürsten mit großem Gefolg entgegen, umarmte ihn, nannte ihn seinen Vater und führte ihn auf das ehrenvollste in die Stadt.
Auf welchem Wege Walther von der Vogelweide dem neuen Könige nahe gekommen sein mag, wir treffen ihn jetzt, wie er in zwei Liedern zwischen Friedrich und Otto Vergleichung anstellt.
In dem einen versichert er spottweise, Herr Otto werde ihn noch reich machen. Ein Vater hat weiland seinem Sohne die Lehre gegeben, dem bösesten Manne zu dienen, damit der beste ihm lohne. Walther ist der Sohn, Otto ist der böseste Mann, denn so recht bösen Herrn hat der Dichter nie gehabt, König Friedrich aber ist der beste, der nun lohnen wird (I, 130a). Es erhellt aus diesem Liede, daß Walther zuvor auch Ottos Dienste nachgezogen.
Otto IV., stolz und kriegerisch, dabei allzusehr von Geld entblößt, war freilich nicht der Mann nach dem Sinne der begehrlichen Sänger.Auf ihn und seine Sparsamkeit zielt vielleicht auch das weitere Spottgedicht Walthers: »Der König mein Herre« u. s. w. (I, 130a.) Auch finden wir ihn nirgends unter den Beförderern des Gesanges aufgeführt. Friedrich II., dessen Vorteil es mit sich brachte, gefällig und freigebig aufzutreten, mußte unsrem Dichter um so mehr zusagen, als sich dieser vorher schon als einen Freund des hohenstaufischen Hauses gezeigt hatte.
Noch anschaulicher, als in dem vorerwähnten Liede, mißt Walther in dem nachstehenden die beiden Könige mit dem Maßstab der Milde gegeneinander ab und zeigt, wie der junge Friedrich seinem Gegner über das Haupt gewachsen sei. Zum Verständnis dieses Gedichts muß bemerkt werden, daß Otto durch hohen Wuchs ausgezeichnet war. Der Abt von Ursperg führt sogar Ottos Stärke und hohe Gestalt als einen Grund an, der die Fürsten bewogen habe, ihn zum Throne zu berufen.»pro eo, quod superbus et stultus, sed fortis videbatur viribus, et statura procerus.« Chron. Ursp. Der Verfasser dieser Chronik ist ein eifriger Anhänger der hohenstaufischen Partei.
Ich wollte Herrn Otten Milde nach der Länge messen,
Da hatt' ich mich an der Maße ein Teil vergessen,
Wär' er so mild, als lange, er hätte der Tugend viel besessen.
Viel schiere maß ich ab den Leib nach seiner Ehre.
Da ward er viel gar zu kurz, wie ein verschroten Werk,
Mildes Mutes minder viel, denn ein Gezwerg,
Und ist doch von den Jahren, daß er nicht wachset mehre. 322
Da ich dem Könige brachte das Maß, wie er aufschoß!
Sein junger Leib ward beides, stark und groß.
Nun seht, was er noch wachse erst jetzo über ihn wohl riesengroß! (I, 130a.)
schiere] bald, schleunig. – verschroten] verhauen. – Werk] irgend eine Kunstarbeit, eine Waffe u. s. w. [Der Ausdruck »verschroten werc« wird erläutert durch eine Stelle im Gedichte des Konrad von Fußesbronnen: Die [Holzstücke] da geschroten waren Die soltent lenger sin gelan u. s. w. Die ganze Erzählung paßt hieher. H. v. d. Hagen Minnesinger 3, 108, 12.]
Diesmal aber ist es dem Dichter nicht um bloße Hofgunst, nicht um ein Geschenk an Geld oder Kleidern zu thun. Er ist des irren Lebens müde, ein Heimwesen soll ihm die Huld des Königs begründen. Lange genug ist er Gast gewesen, er sehnt sich danach, Wirt zu heißen. Ein Reichslehen, wie wir bald sehen werden, ist es, worauf er abzielt:
»Seid willekommen, Herre Wirt!« dem Gruße muß ich schweigen.
»Seid willekommen, Herre Gast!« da muß ich sprechen oder neigen.
»Wirt« und »heim« sind zween unschämeliche Namen.
»Gast« und »Herberge« muß man sich viel ofte schamen.
Noch müsse ich erleben, daß ich den Gast auch grüße,
So daß er mir, dem Wirte, danken müsse!
»Seid heutnacht hie, seid morgen dort!« was Gaukelfuhre ist das!
»Ich bin heim oder ich will heim,« das tröstet baß.
»Gast« und »Schach« kommt selten ohne Haß:
Herre! büßet mir des Gastes, daß ich Gott des Schaches büße! (I, 131b.)
Wirt] Hausherr, Bewirter. – da muß ich sprechen u. s. w.] auf solchen Gruß muß ich antworten oder mich dankend verneigen. – unschämeliche] deren man sich nicht zu schämen hat. – schamen] schämen. – Gaukelfuhre] Gaukelwesen, Gaukelei. – Schach] das Schachbieten. Das Gegenüberstehn der beiden Könige, Friedrich und Otto, wird dem Schachspiele (worauf Walther auch sonst anspielt, I, 137a. 138b) verglichen. Der Dichter wünscht dem Erstern, daß ihn der Letztere nicht in Schach setze. [Vgl. Heinrichs von Friberg Tristan V. 4148.] – kommt selten ohne Haß] wird selten gern gehört. – büßet mir] erlöset mich.
Noch dringender spricht der Dichter sein Anliegen mit folgendem aus: 323
Von Rome Vogt, von Pulle König! laßt euch erbarmen,
Daß man bei reicher Kunst mich lässet also armen!»Soll ich so bei reicher Kunst verarmen und verderben!« Der Mysnere (DXCIV).
Gerne wollte ich, möchte es sein, bei eigenem Feuer erwarmen.Nithart (Benecke S. 397, 4): Wê, wiez mir erbarmet, daz ir vuoz bî vremdem viur erwarmet!
Ahi! wie ich dann sänge von den Vögeleinen,
Von der Heide und von den Blumen, wie ich weiland sang!
Welch schönes Weib mir gäbe dann ihr Habedank,
Der ließe ich Lilien und Rosen auf den Wänglein scheinen.
Nun reite ich früh und komme nicht heim; Gast, weh dir, weh!
So mag der Wirt wohl singen von dem grünen Klee.
Die Not bedenket, milder König, daß eure Not zergeh! (I, 131a.)
Von Rome Vogt] häufig vorkommende Benennung der römischen Kaiser oder Könige. – Pulle] Apulien, das jetzige Königreich Neapel. – Heide] Aue.
Die Lieder rühren des Königes Herz. Der Wunsch ist erfüllt. Hören wir des Dichters Freude!
Ich hab' mein Lehen, all die Welt! ich hab' mein Lehen!
Nun fürchte ich nicht den Hornung an die Zehen
Und will alle bösen Herren desto minder flehen.
Der edle König, der milde König, hat mich beraten,
Daß ich den Sommer möge Luft, den Winter Hitze han.
Nun dünke ich meinen Nachbarn vieles baß gethan,
Sie sehen mich nicht mehr an in Unholds Weise, wie sie weiland thaten.
Ich bin zu lange arm gewesen ohne meinen Dank,
Ich war so voller Scheltens, daß mein Atem stank,
Den hat der König gemachet rein und dazu meinen Sang. (I, 130b.)
den Hornung] die Winterkälte, das Erfrieren der Zehen. – baß gethan] Komparativ von wohl gethan, wohlgemacht, schön. – ohne meinen Dank] wider meinen Willen. – Ich war so u. s. w.] Der Dichter drückt aus, wie anhaltendes Ungemach ihn menschenfeindlich gemacht und sein Lied verbittert. Die frohere Stimmung wird jetzt auch seinen Gesang freundlicher machen.
Noch ein andres Lied, dessen wir früher schon zu erwähnen hatten, feiert den glücklichen Wechsel des Schicksals. Wir sehen hier den Sänger mit der Geige, eine Tanzweise aufspielend: 324
Da Friedrich aus Österreiche also warb,
Daß er an der Seele genas und ihm der Leib erstarb
Da führt' er meiner Kraniche Tritt in die Erde.
Da ging ich schleichend wie ein Pfau, wohin ich ging.
Das Haupt mir nieder bis auf meine Kniee hing:
Nun richt' ich es auf nach vollem Werte.
Ich bin wohl zu Feuer kommen,
Mich hat das Reich und auch die Kron an sich genommen.
Wohlauf! wer tanzen wolle nach der Geigen!
Mir ist meiner Schwere Buß,
Erst will ich eben setzen meinen Fuß
Und wieder in ein Hochgemüte steigen. (W. Hds. S. 170.)
Da führt' er] da macht' er, daß ich meine Kraniche, Schnabelschuhe, nachdenklich in die Erde drückte. – nach vollem Werte] mit vollem Rechte. – meiner Schwere Buß] meiner Not Erleichterung. – eben setzen] das Gegenteil des vorigen in die Erde führen.
Diese Liederreihe dürfen wir nicht verlassen, ohne ein Gedicht des sankt-gallischen Truchsessen von SingenbergEin Truchseß Ulrich von Singenberg erscheint in sankt-gallischen Urkunden von 1219 und 1228 von Arx I, 458. 459. Ulrich hieß auch, nach Tschudy, der Letzte des Geschlechts, der um 1267 starb. »Obitus Rudolfi Dapiferi militis de Eggon inter Blidegge et Sininberc« kömmt in dem 1272 geschriebenen Neurolog. Tuifburg. (Goldast, Script. Rer. Alam. B. I, S. 100 vor. In dem scherzhaften Gespräche zwischen Vater und Sohn, welches sich unter den Liedern des Truchsessen von St. Gallen (Pf. Hds. Nr. 357, Bl. 18b) findet, wird der Sohn »Rüdelin« angeredet. anzuführen, das einem der vorstehenden nachgebildet ist und sich auf dasselbe bezieht. Wie dort Walther den Vogt von Rom und König von Apulien anruft, so hier der Truchseß den Vogt der Welt und König des Himmels. Der Truchseß stellt dem mißlichen Lose Walthers sein eigenes behagliches und unabhängiges Leben gegenüber und bittet Gott, ihm dieses zu erhalten:
Der Welte Vogt, des Himmels König! ich lob euch gerne,
Daß ihr mich habt erlassen, daß ich nicht lerne,
Wie dieser und der an fremder Statt zu meinem Gesange scherne.
Mein Meister klaget so sehre von der Vogelweide,
Ihn zwingeVgl. Bertholos Predigten S. 10: ir enwissent nit, waz die lüte twinget. dies, ihn zwinge das, das mich noch nie bezwang;
Das machet, daß ich mich so kaume von dem Meinen scheide,
Mir geben denn hohe Herren und ein schönes Weib ihr Habedank,
So reite ich spät und komme doch heim; mir ist nicht zu weh, 325
Da singe ich von der Heide und von dem grünen Klee.
Das stetet ihr mir, milder Gott, daß es mir nicht zergeh! (W. Hds. S. 149)In der manessischen Sammlung I, 154a ist die Reimstellung des Liedes auf die Form des Gedichts von Walther zurückgeführt, welchem jenes nachgebildet ist.
an fremder Statt] an fremdem Orte. – scherne] blicke, drein schaue, urteile. – zwinge] quäle. – so kaume u. s. w.] nicht leicht mein Heimwesen verlasse. – stetet] erhaltet, festigt.