Ludwig Uhland
Walther von der Vogelweide
Ludwig Uhland

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Vorrede.

Der Dichter, dessen Leben und Charakter darzustellen ich unternommen habe, schien mir vorzüglich geeignet, diejenige Richtung für das Erforschen der altdeutschen Poesie zu bezeichnen, welche, nach meinem Dafürhalten, noch mit besondrem Eifer zu verfolgen ist, wenn ein lebendiges und vollständiges Bild von dem dichterischen Treiben jenes Zeitalters hervortreten soll.

Neben den gründlichen Bemühungen, welche der Sprachkenntnis, als der ersten Bedingung des Verständnisses, zugewendet worden sind, hat vornehmlich die Erforschung des Gemeinsamen, des poetischen Gesamteigentums in Sage, Bild und Wort, bedeutende Fortschritte gemacht. Mit weniger Liebe und Erfolg ist das Besondre behandelt worden, wie es aus der Eigentümlichkeit von Zeit und Ort, aus der persönlichen Anlage und Neigung des Dichters, hervorgeht.

Beiderlei Richtungen sind aber gleich notwendig. So wenig der allgemeine Zusammenhang aller Poesie zu mißkennen ist, ebensowenig kann die Schöpferkraft, die stets im Einzelnen Neues wirkt, geleugnet werden. Es giebt eine Überlieferung von Geschlecht zu Geschlecht; es giebt eine freie Dichtung begabter Geister. Beides muß die Geschichte Poesie zu würdigen wissen.

288 Die sorgfältige Beachtung dieses Besondern darf am wenigsten versäumt werden, wenn in jene reichhaltigen Liedersammlungen aus dem deutschen Mittelalter, welche noch als verworrene Masse vor uns liegen, Licht und Ordnung kommen soll. Diese Sammlungen enthalten, bei allem Gemeinsamen in Form und Gegenstand der Dichtung, gleichwohl eine große Mannigfaltigkeit von Dichtercharakteren, eigentümlichen Verhältnissen und Stimmungen, persönlichen und geschichtlichen Beziehungen. Gerade diejenigen Lieder, welche sich mehr im allgemeinen halten und darum auch am leichtesten verstanden werden, sind vorzugsweise bekannt geworden und mußten denn auch dieser ganzen Liederdichtung den Vorwurf der Eintönigkeit und Gedankenarmut zuziehen. Diejenigen dagegen, deren Beziehungen eigentümlicher und tiefer sind, blieben so ziemlich ihrem Schicksal überlassen.

Davon will ich hier nicht ausführlicher sprechen, wie die Zeitgeschichte überhaupt, das merkwürdige Zeitalter der Hohenstaufen, das uns Jahrbücher und Urkunden nur in politischer Starrheit darstellen, wie dieses erst die rechte Farbe und Lebenswärme gewinnt, wenn wir es in der Einbildungskraft und dem Gemüte der Dichter abgespielt sehen.

Vom Thuner See bis zur Insel Rügen, vom Adriatischen Meere bis nach Brabant ziehen sich die Straßen des altdeutschen Gesanges. Überall Fürstenhöfe und Ritterburgen, Städte und Klöster, wo Sänger und Sangesfreunde hausen oder herbergen. Es ließe sich eine reiche Landkarte des poetischen Deutschlands im Mittelalter entwerfen. Von keinem aber aus der Zahl dieser Sänger dürfte die Forschung zweckmäßiger ausgehen, als von Walther von der Vogelweide, der auf seinen vielfachen Wanderungen allwärts Berührungen anknüpft und dessen langes, liederreiches Leben einen für die Poesie so merkwürdigen Zeitraum umfaßt.

Wenn ich den Wert des Dichters hervorhebe, so berühre ich nicht etwas Neues und bisher Unbeachtetes. Von Bodmer (Proben der alten schwäbischen Poesie. Zürich 1748. Vorbericht S. 33 ff.) bis auf die neueste Zeit haben manche Litteratoren die dichterische Kraft und die Vielseitigkeit desselben, so wie seine Bedeutung für die Zeitgeschichte mit mehr oder weniger tiefem Verständnis, erkannt und angerühmt.Das Treffendste, was mir bekannt ist, hat über ihn ein Gelehrter gesprochen, dem man sonst die Überschätzung der Dichterwerke des Mittelalters nicht vorwirft, Bouterwek, in seiner Geschichte der Poesie und Beredsamkeit, B. IX., S. 107 ff.: »Einer der vorzüglichsten unter diesen ersten und unter allen deutschen Minnesingern ist Walther von der Vogelweide aus einer adeligen Familie im Thurgau. Aus seinen volltönenden, kräftigen und lieblichen Gesängen spricht ein wahrhaft lyrisches Genie. Selbst religiöse Gegenstände behandelt er glücklicher, als die meisten seiner Zeitgenossen. Auch war er reicher an Gedanken, als sie. Ihm schwebte, wie jedem großen Dichter, auch ohne philosophische Mediation, das Ganze des menschlichen Lebens vor. Gewöhnlich haben seine Darstellungen etwas Malerisches. Einige seiner Gesänge in langen Zeilen nähern sich dem metrischen Charakter des Sonetts. Einige nehmen einen hohen feierlichen Schwung: andere gehen den leichten, raschen Schritt des muntern Volksliedes: noch andere sind mit einer fast epigrammatischen Feinheit ausgeführt. Weinerliche Klage war nicht dieses Dichters Sache: aber im Preise der Frauen ist er unerschöpflich. Doch das poetische Verdienst des trefflichen Walthers von der Vogelweide ist einer ausführlichen Analyse wert, zu der sich hier kein Raum findet. Noch verdient sein Vaterlandsgefühl bemerkt zu werden. Einige seiner Gedichte haben das öffentliche Wohl Deutschlands zum Gegenstande. Im Volkstone hat er das Lob des deutschen Namens gesungen.« Von Gleim (Gedichte nach Walther von der 289 Vogelweide, 1779) bis auf Tieck (Minnelieder. Berlin 1803) und Spätere ist manches seiner Lieder durch Bearbeitung oder Übertragung in die neuere Sprache den Zeitgenossen näher gerückt worden. Gleichwohl fehlt es noch an einer umfassenderen Darstellung seines Lebens und Wesens.

Man wird behaupten, durch eine kritische, mit den verschiedenen Lesarten und den nötigen Erklärungen ausgestattete, das Unechte vom Echten ausscheidende und den vielfach gestörten Rhythmus in seiner Reinheit herstellende Ausgabe seiner Lieder würde das Beste für den alten Dichter geschehen. Weit entfernt, das Verdienstliche und die Wichtigkeit eines solchen Unternehmens zu mißkennen,Eine neue Ausgabe sämtlicher Gedichte Walthers hat Köpke, der Herausgeber von Barlaam und Josaphat, zugesagt. S. Büschings Wöchentl. Nachrichten B. IV, 1819, S. 12. Vorarbeiten hat auch Lachmann in seiner Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des dreizehnten Jahrhunderts, Berlin 1820, S. 178–203 geliefert. bin ich doch der Meinung, daß nur dann jedes Einzelne sein rechtes und volles Licht erhalten könne, wenn erst der Geist und Zusammenhang des Ganzen gehörig erkannt ist. Für eine Ausgabe der Lieder aber würde nicht die Zusammenstellung nach der Zeitfolge, welche bei einem großen Teile derselben ohnehin nicht bestimmbar ist, oder nach der Verwandtschaft der Gegenstände, sondern vielmehr die Anordnung nach den Tönen die schicklichste sein.

Weil übrigens der Dichter doch nur aus seinen Liedern vollständig begriffen wird und weil Walthers Lieder gerade die Hauptquelle sind, woraus wir über seine Lebensumstände Aufschluß erhalten, so habe ich überall die Gedichte selbst oder doch bezeichnende Stellen aus denselben in die Darstellung verwoben.

Die Form, in der ich diese Gedichte liefere, mußte durch den Zweck der ganzen Arbeit bestimmt werden. Sie mußten vor allem verständlich sein. Es war hier nicht sowohl um die sprachliche Beziehung, als um die Aufklärung über Schicksal und Charakter des Dichters zu thun. Darum wählte ich den Weg der Übertragung aus der älteren Mund- und Schreibart in die neuere.

Nicht unbekannt ist mir, wie wenig dieses Verfahren bei 290 gründlichen Kennern des deutschen Altertums empfohlen ist. Es gehen dabei manche Feinheiten der alten Sprache verloren und nicht geringere Schwierigkeit, als die gänzlich veralteten Formen und Worte, bieten häufig diejenigen dar, welche, noch jetzt gangbar, ihre Bedeutung mehr oder weniger verändert haben und dadurch zum bloßen Scheinverständnisse verleiten können, wie solches besonders in Beneckes trefflichem Wörterbuche zum Wigalois gezeigt ist. Auf der andern Seite ist manchen auch die leichteste Abweichung vom gegenwärtigen Sprachgebrauche unerträglich.

So wenig ich nun hoffen durfte, zwischen diesen Klippen ohne Anstoß hindurch zu schiffen, so konnte ich doch jene Behandlungsweise nicht umgehen. Die Gedichte selbst in die Darstellung aufzunehmen, war mir wesentlich; mit der alten Schreibart aufgenommen, würden sie aber umständliche, den lebendigen Zusammenhang allzusehr störende Erläuterungen erfordert haben. Um jedoch überall die Vergleichung zu erleichtern, ist bei jedem ganz oder teilweise ausgehobenen Liede nachgewiesen, wo dasselbe in der Urschrift zu lesen sei.

Bei jener Übertragung war es auch keineswegs auf eine Umarbeitung, am wenigsten auf anmaßliche Verschönerung, angelegt. Überall habe ich das Altertümliche zu erhalten gesucht. Nur wenige, ganz veraltete Formen sind umgangen worden. Veraltete Worte habe ich vorzüglich dann vermieden, wenn sie den Eindruck des Ganzen zu stören drohten. Andre, besonders solche, die sich zur Wiedereinführung empfehlen, habe ich lieber erklärt, als mit neueren vertauscht. Manchen Lesern mag noch jetzt mehreres zu fremdartig lauten. Es gehört jedoch keine sehr große Entäußerung dazu, hin und wieder einmal Arebeit, Gelaube, Pabest, unde, sicherlichen, meh, sach u. s. w. statt Arbeit, Glaube, Papst, und, sicherlich, mehr, sah u. s. w. zu lesen oder auch einige unvollständige Reime zu dulden, z. B. schöne auf Krone, die sich aber in der alten Sprache vollkommen ausgleichen.

Absichtlich wurden meist solche Stücke ausgehoben, welche an sich leichter verständlich sind, was glücklicherweise gerade bei den besten größtenteils der Fall ist. Von andern sind Auszüge oder auch nur eine kurze Andeutung ihres Inhalts gegeben. Dabei darf ich nicht verhehlen, daß einige Stücke, auch nach Einsicht der verschiedenen Handschriften, mir noch rätselhaft geblieben sind. Die beigefügten Wort- und Sacherklärungen habe ich meist nur auf das Nötigste beschränkt und mein Augenmerk darauf gerichtet, daß jedes Gedicht, soviel möglich, schon durch den Zusammenhang, in den es gestellt ist, seine Erläuterung erhalte.

291 Im Verlaufe meiner Darstellung mußte ich auf Verschiedenes stoßen, was noch sehr einer genaueren Untersuchung bedarf, wie z. B. der Krieg zu Wartburg, Nithart u. s. w. Aber eben weil diesen Gegenständen noch eigene, weitgreifende Forschung gewidmet werden muß, habe ich mich auf dieselben nur soweit eingelassen, als sie den meinigen unmittelbar berühren. Man wird sich ihnen noch von mehreren Seiten nähern müssen, bevor man sich ihrer völlig bemächtigt.

Hauptquellen, die ich benützt habe, sind:

  1. Die manessische Sammlung, nach Bodmers Ausgabe, welche im ersten Teil von S. 101 bis 142 den reichsten Schatz von Gedichten Walthers enthält. Sie ist im folgenden durch Man. bezeichnet und, weil sie am meisten zugänglich ist, auch da angeführt, wo Lesarten aus andern Handschriften gewählt wurden.
  2. Die Weingartner Handschrift von Minnesängern (mit W. Hds. von mir bezeichnet), wahrscheinlich älter als die manessische, jetzt in der königlichen Privatbibliothek zu Stuttgart befindlich. Sie enthält von S. 140 bis 170 112 Strophen unsres Dichters.
  3. Die Pfälzer Handschrift Nr. 357 (Pf. Hds. 357), aus dem Vatikan nach Heidelberg zurückgebracht. Von Bl. 5b bis 13b giebt sie unter Walthers Namen 151 Strophen. Weiterhin, von Bl. 40 an, folgt, von andrer Hand geschrieben, noch mehreres diesem Dichter Angehörige.
  4. Die Pfälzer Handschrift Nr. 350 (Pf. Hds. 350), mit 18 Strophen.

Vermißt habe ich vorzüglich die Würzburger Liederhandschrift, jetzt zu Landshut, und die Kolmarer, in welchen gleichfalls Gedichte von Walther enthalten sind.

Gegenwärtiger Versuch ist eine Vorarbeit zu einer größeren Darstellung in diesem Fache. Um so erwünschter wird mir sein, was dazu beiträgt, den Gegenstand desselben vollständiger aufzuklären.

 


 


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