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Siebzehntes Kapitel.
Wie Eduard von den Vaganten gekrönt wird.

Michael Henden suchte indessen eifrig nach seinem Schützling. Mittels der Erkundigungen, die er auf der Brücke einzog, konnte er dessen Spur eine Strecke weit verfolgen, dann aber hörte sie plötzlich auf. Dennoch setzte Henden seine Bemühungen bis in die Nacht hinein fort. Wegmüde und halb verhungert mußte er schließlich umkehren und seine Herberge wieder aufsuchen. Er nahm ein Abendessen zu sich und legte sich dann zur Ruhe mit dem Vorsatze, früh am nächsten Morgen in der Stadt weiter zu forschen.

Während er aber schlaflos dalag, kam ihm ein anderer Gedanke. Der Knabe, rechnete er, wird den Schurken sicher zu entrinnen suchen. Wollte er dann in die Stadt zurück, so müßte er Gefahr laufen, wieder erwischt zu werden. Da er nun keinen anderen Freund und Beschützer in der Welt hat, als Michael Henden, so wird er sich Mühe geben, diesen Freund wieder zu finden. Nun weiß er aber, daß ich sogleich nach Hendenhall aufbrechen wollte. Daher wird er sich sagen, das sei folglich auch der richtige Weg für ihn. Ja, so würde es wohl kommen. Daher nahm sich Henden vor, keine Zeit mehr zu versäumen, sondern tunlichst rasch heimwärts zu reisen. Unterwegs wollte er ein scharfes Auge auf alle Vorübergehenden haben. Dieser Gedanke beruhigte ihn ein wenig und brachte ihm den nötigen Schlummer. Lassen wir ihn nun schlafen, um nachzusehen, was aus dem entführten kleinen König wurde.

Wie der Kellner sagte, war ein schuftiger Kerl aus der Menge aufgetaucht und auf Eduard und seinen Entführer losgesteuert. Er ging aber nicht eigentlich zu ihnen, sondern folgte ihnen dicht auf dem Fuße, ohne etwas zu sagen. Sein linker Arm lag in der Schlinge und über dem linken Auge trug er ein großes grünes Pflaster. Er hinkte ein wenig und gebrauchte einen eichenen Krückstock als Stütze.

Der junge Mann führte den König kreuz und quer durch die Menge und gelangte endlich auf eine Landstraße. Aber jetzt begann Eduard zornig zu werden und wollte nicht weiter. Er sagte, es sei an Henden, zu ihm zu kommen und nicht umgekehrt. Der Jüngling entgegnete darauf: »Willst du denn hier säumen, während dein Freund verwundet in dem Walde dort drüben liegt? Mir kann es gleichgültig sein.«

Wie der König solches hörte, war er plötzlich wie umgewandelt. Heftig rief er aus: »Wie? Verwundet? Und wer hat gewagt, ihn zu verletzen? Doch das nachher. Nur vorwärts jetzt, vorwärts! Rascher doch, rascher! Hast du Blei in den Füßen? Also verwundet ist er? Aber wehe dem Täter! Er soll es bereuen und wäre er eines Herzogs Sohn!«

Der Wald war nicht so ganz nahe, aber Eduard drängte immerfort, und so hatten sie ihn bald erreicht. Der junge Mann schaute sich um, bis er einen Ast in der Erde stecken sah, an dem ein kleiner Lumpen hing. An dieser Stelle führte er den König tiefer in den Wald. Dabei gab er acht auf ähnliche Zeichen, die sich in gewissen Zwischenräumen fanden. Sie sollten ihn offenbar an das gewünschte Ziel bringen. Endlich gelangten sie an eine Lichtung, wo zerfallene Reste eines Bauernhauses standen. Daneben lag eine alte Scheune, die auch nicht mehr viel taugte. Diese betrat der Jüngling und der König folgte ihm eifrig. Niemand da! Eduard schaute seinen Begleiter verdutzt und argwöhnisch an und fragte: »Wo ist er?«

Ein spöttisches Gelächter war die Antwort. Einen Augenblick raste der König. Er nahm ein Holzscheit und wollte auf seinen Entführer los. Da erscholl auch hinter ihm ein höhnisches Lachen. Es kam von dem lahmen Schurken, der ihnen gefolgt war, trotz ihres eiligen Ganges. Der König wandte sich um und sagte zornig: »Wer bist du? Was hast du hier zu tun?«

»Nun höre endlich auf mit deinen Dummheiten«, sagte der Mann. »So gut ist doch meine Verkleidung nicht, daß du nicht deinen Vater darin erkennen könntest.«

»Du bist nicht mein Vater. Ich kenne dich nicht. Ich bin der König. Du hast meinen Diener versteckt. Schaffe ihn mir her, oder es soll dir schlecht ergehen.«

Johann Canty erwiderte in ernstem, abgemessenem Tone: »Es ist klipp und klar, daß du verrückt bist und ich strafe dich also nicht gerne. Aber wenn du mich noch länger reizest, so zwingst du mich dazu. Dein Schwatzen kann hier freilich kein Unheil anrichten, wo dich niemand weiter hört. Aber du tätest doch besser daran, deine Zunge im Zaume zu halten, denn wir kommen bald in fremde Quartiere. Ich habe einen Mord begangen und darf also nicht wieder heim, und du auch nicht, denn ich brauche deine Dienste. Meinen Namen habe ich aus guten Gründen geändert und heiße jetzt Johann Hobbs. Dein Name ist Hans; merke es dir. Nun aber sprich: wo ist deine Mutter? Wo sind deine Schwestern? Sie kamen nicht an den bezeichnten Ort. Weißt du, wohin sie gingen?«

Der König antwortete finster: »Komm mir doch nicht mit diesen Albernheiten. Meine Mutter ist tot; meine Schwestern sind im Palast.«

Der junge Mann, der daneben stand, lachte laut auf. Der König wollte ihn züchtigen, aber Hobbs vertrat ihm den Weg und sagte: »Ruhig, Hugo, ärgere ihn nicht. Er ist nicht bei Verstand, und du reizest ihn nur unnötig. Setze dich, Hans, und sei still. Du sollst auch einen Bissen zu essen bekommen.«

Hobbs und Hugo sprachen hierauf leise mit einander, und der König zog sich in die entfernteste Ecke der Scheune zurück. Hier legte er sich auf Stroh und war bald in Gedanken versunken.

Sein Kummer war mannigfaltig. Aber was ihn am meisten schmerzte, war der Verlust seines Vaters. Während es alle anderen Leute kalt überlief, wenn sie nur den Namen Heinrichs des Achten hörten, besaß Eduard nur angenehme Erinnerungen an seinen Vater. Die Tränen, die unaufhaltsam über seine Wangen strömten, zeugten von dem aufrichtigen, tiefen Schmerz über dessen Tod.

Lange gab er sich seiner qualvollen Grübelei hin. Als er endlich wieder zum Bewußtsein seiner jetzigen Lage kam, hörte er zu Häupten den Regen plätschernd auf das Dach niederstürzen. Er hüllte sich fester in sein Stroh, und ein Gefühl behaglicher Wärme durchströmte seinen Körper. Im nächsten Augenblick aber vernahm er ein lautes Stimmengewirr und rohes Gelächter. Erschrocken fuhr er auf und schaute umher. Ein großes Feuer brannte in der Tenne am andern Ende der Scheune. Ringsherum lagerten und lungerten zerlumpte Gesellen, auch Weiber, hell beleuchtet von dem Lagerfeuer. Die Männer waren von hoher Gestalt, sonngebräunt, langhaarig und in phantastische Lumpen gehüllt. Auch junge Leute waren dabei, von liederlichem Aussehen und ähnlich gekleidet. Einige hatten Pflaster oder Binden über die Augen; andere waren verkrüppelt und hatten hölzerne Beine und Krücken. Wieder andere waren triefäugig oder hatten allerlei andere Gebrechen. Ein schurkisch aussehender Hausierer war auch da, ebenso ein Scherenschleifer, ein Kesselflicker und ein Barbier mit ihrem Handwerkszeug. Die weibliche Gesellschaft bestand aus halbwüchsigen und erwachsenen Mädchen, wie auch aus alten runzeligen Hexen. Alle aber waren großmäulig, unverschämt, schmutzig und schlumpig. Drei skrofulöse Kinder waren in ihrer Mitte, und ein paar ausgehungerte Köter lagen herum, welche die Aufgabe hatten, die Blinden zu führen.

Die Nacht war hereingebrochen. Die Bande war eben mit Essen fertig geworden und nun begann das Trinkgelage. Eine Kanne Schnaps ging von Mund zu Mund. Dazu sangen sie rohe Gassenhauer und Räuberlieder, erst einzeln, dann alle zusammen.

Schließlich begann ein allgemeines Gespräch, aber nicht in der damals üblichen Gaunersprache. Diese wandten sie nur an, wenn sie belauscht zu werden fürchteten. Aus dieser Unterhaltung entnahm der König, daß Hobbs oder Canty kein neues Mitglied dieser Landstreicher war, sondern der Bande schon früher angehört hatte. Man fragte ihn nach seinen seitherigen Erlebnissen. Er gab kurzen Bericht über das, was ihm widerfahren sei, und erklärte, von nun an wieder treu zu ihnen halten zu wollen. Seine alten Bekannten schüttelten ihm die Hand, und die neuen Mitglieder wurden ihm vorgestellt. Man forschte, warum er solange weggeblieben sei. Er antwortete: »London ist in den letzten Jahren besser und sicherer geworden, als das Land. Die Gesetze sind streng und werden kräftig gehandhabt. Hätte ich nicht den Unfall mit dem Priester gehabt, so wäre ich noch in der Stadt. Ich hatte mir schon vorgenommen, sie nicht wieder zu verlassen.«

Nun erkundigte er sich nach einzelnen ehemaligen Mitgliedern der Bande und meinte: »Ich sehe den alten Wen nicht mehr unter diesen ehrlichen Leuten. Wo mag er stecken?«

»Der arme Bursche!« erwiderte der Hauptmann. »Er hatte immer einen sonderbaren Geschmack. Jetzt nährt er sich in der Hölle von heißem Schwefel. Er wurde um Johannis herum in einem Streit erschlagen.«

»Das soll mir leid tun. Wen war ein tüchtiger Mann und braver Geselle.«

»Ja, das war er. Die »Schwarze Liese«, seine Gespanin, gehört noch zu uns, »arbeitet« aber zur Zeit im Osten. Ein feines Mädchen das, manierlich und sittsam, denn nie sah man sie mehr als vier Tage in der Woche betrunken.«

»Ja, sie hielt was auf sich; ich weiß das noch wohl. Es war ein braves Weibsmensch und aller Ehren wert. Ihre Mutter war nicht so ängstlich und eigen, eine störrische, übellaunige Dame, aber mit einem ungewöhnlichen Mutterwitz behaftet.«

»Das war auch ihr Verderben. Sie war eine so schlaue Wahrsagerin und Wetterprophetin, daß sie schließlich in den Ruf einer Hexe kam. Das Gesetz röstete sie also über einem langsamen Feuer zu Tode. Es rührt mich jetzt noch, wenn ich daran denke, wie tapfer sie ihr Schicksal ertrug. Sie schmähte und verwünschte noch die sie umgaffende Menge, während die Flammen schon an ihrem Gesicht heraufleckten, nach ihrem spärlichen Haar züngelten und schließlich über ihren alten grauen Kopf hinknisterten. Und wie sie den Pöbel verwünschte! Wenn du tausend Jahre alt würdest, so meisterhaft schimpfen könntest du immer noch nicht. Ach, ihre Kunst starb mit ihr. Was man jetzt noch an Schimpfereien hört, ist nur schwache, erbärmliche Nachahmung.«

Der Hauptmann seufzte, und seine Zuhörer taten desgleichen. Eine allgemeine Niedergeschlagenheit befiel die Gesellschaft. Auch dieser Abschaum der Menschheit ist nicht ganz abgestumpft. Unter günstigen Umständen geht ein schmerzliches Ereignis nicht einmal an solchen Ausgestoßenen ohne Eindruck vorüber. So auch hier, wo die Vaganten den Verlust eines Schimpfgenies betrauerten, das keinen Erben hinterließ.

Bald aber stellte ein kräftiger Schluck aus der Kanne die frühere gute Laune wieder her.

»Ist es noch anderen von unseren Kameraden schlecht ergangen?« fragte Hobbs.

»Einigen, ja. Besonders solchen, die frisch bei uns eingetroffen sind. Ein paar Kleinbauern, welche hilflos und hungrig herumirrten, weil man ihnen die Pachtgüter genommen hat, da sie bei den schlechten Jahren und hohen Abgaben den Zins nicht mehr bezahlen konnten. Sie fingen zu betteln an, wurden erwischt, bis auf die Lenden entblößt und ausgepeitscht. Dann legte man sie in den Stock, oder sie kamen in die Tretmühle. Nachher ließ man sie wieder gehen. Sie bettelten wieder, wurden wieder ausgepeitscht und eines Ohres beraubt. Sie bettelten nochmals. Was sollten die armen Teufel auch anderes tun? sie mußten doch leben. Jetzt wurden ihre Wangen mit einem rotglühenden Eisen gezeichnet, und sie selbst als Leibeigene verkauft. Liefen sie davon, so wurden sie mit Bluthunden gehetzt, niedergeworfen und gehängt. Das ist ganz einfach und erzählt sich rasch. Andere kamen besser weg. Tretet einmal näher, Jokel, Brand und Hotsch und zeigt euere Verzierungen!«

Die genannten Männer standen auf, streiften ihre Lumpen teilweise ab, und entblößten ihre Rücken, die kreuz und quer von blutigen Striemen durchfurcht waren. Einer zeigte die Stelle, wo einmal sein linkes Ohr gewesen war. Ein anderer entblößte ein Brandmal auf der Schulter, das den Buchstaben V (Vagabund) darstellte. Wieder einer sprach: »Ich bin Jokel, einst ein wohlhabender Bauer, hatte ein liebes Weib und brave Kinder. Weib und Kinder sind dahin, vielleicht im Himmel, vielleicht anderswo, aber, Gott sei Dank! wenigstens nicht mehr in England. Meine gute alte makellose Mutter verdiente sich ihr Brot als Krankenpflegerin. Einer von ihren Kranken starb, die Ärzte wußten nicht woran. Daher wurde meine Mutter als Hexe verbrannt, während meine Kinder wehklagend zuschauten.

»Ihr alle, die ihr da seid, stoßt an und trinkt auf das barmherzige englische Gesetz, welches meine Mutter wenigstens von der Hölle in England befreite! Dank euch, Kameraden!«

»Unsere Besitztümer wurden eingezogen, war doch die Hexe meine Mutter gewesen! Arm und elend jagte man uns alle vom Hof. Ich bettelte von Haus zu Haus um Arbeit. Aber niemand wollte uns aufnehmen. Da bettelte ich um ein Stück Brot für meine Frau und mich und die hungrigen Kleinen auf dem Arm. Aber in England ist es ein Verbrechen, hungrig zu sein, und so peitschten sie uns aus und trieben uns von Dorf zu Dorf.

»Stoßt wieder an, Kameraden, und trinkt auf das barmherzige englische Gesetz! Denn die Peitschenhiebe befreiten bald meine arme Marie von aller irdischen Drangsal. Dort liegt sie auf dem Töpferfelde drüben, aller Leiden ledig.«

»Und die Kleinen, nun, die hungerten eben, während ich weiter und weiter gepeitscht wurde.«

»Trinkt noch einmal, Burschen, nur einen Tropfen noch, einen Tropfen aufs Wohl der armen Kleinen, die nie einem Geschöpfe Leides getan!

»Ich bettelte wieder, bettelte um eine armselige, vertrocknete Krume Brot, wurde krumm geschlossen und verlor ein Ohr. Hier könnt ihr den Stumpf sehen. Ich bettelte noch einmal. Hier, dieser andere Stummel zeugt davon. Und als ich zum letztenmal bettelte, ward ich als Sklave verkauft. Hier auf meiner Wange unter diesem Pflaster könnt ihr das rote »S« noch sehen. Ein Sklave, ein Leibeigener! Wißt ihr, was das heißen will? Doch ich will euch nicht ermüden. Ich entrann meinem Herrn. Wenn man mich findet, dann verurteilt mich das Gesetz zum Galgen.«

Eine laute Stimme drang vom anderen Ende der Scheune her: »Du sollst nicht hängen! Von heute an ist das Schicksal dieses Gesetzes entschieden!«

Alle wandten sich um und erblickten die phantastische Gestalt des kleinen Königs, der eilends herbeikam.

Wie er in das Licht des Lagerfeuers trat, gab es ein allgemeines Durcheinander von Fragen: »Wer ist das? Was ist er? Wer bist du, kleines Männchen?«

Verwirrt stand der Knabe unter all diesen erstaunten und fragenden Leuten. Dann antwortete er würdevoll: »Ich bin Eduard, der König von England!«

Hell auf lachte die Bande, halb spöttisch, halb vergnügt über diesen vermeintlichen Scherz. Der König war verletzt. Er sagte scharf: »Ihr sittenlose Vaganten, ist das euer Dank für die Gnade, die ich euch soeben verheißen habe?«

Noch mehr sprach er mit zorniger Stimme und erregten Gebärden, aber es ging verloren in dem stürmischen Durcheinander von Lachen und spöttischen Zwischenrufen. Hobbs versuchte mehrmals, Ruhe zu schaffen. Als es ihm endlich gelang, sagte er: »Kameraden, das ist mein Sohn, ein Träumer, ein verrückter Narr. Gebt nicht acht auf ihn. Er glaubt steif und fest, er sei der König.«

»Ich bin der König«, erklärte Eduard, »wie du bald zu deinem Schaden erfahren wirst. Du hast einen Mord begangen und sollst dafür büßen.«

»Du willst mich verraten, du? Dir werd' ich komm...«

»Nur sachte«, fiel der Hauptmann, ein wahrer Hüne, in die Rede. Zugleich stellte er sich schützend vor den Knaben und schleuderte Hobbs mit kräftiger Faust zur Erde. »Hast du weder vor einem König noch vor einem Hauptmann Achtung? Wenn du dich noch einmal in meiner Gegenwart so aufführst, so hänge ich dich eigenhändig am nächsten Baume auf.«

Dann wandte er sich an den kleinen König: »Du darfst nicht Drohungen gegen deine Kameraden ausstoßen, Bursche, und auch nicht anderswo böse von ihnen reden. Sei, was du willst, wenn es dir Spaß macht, aber laß dich dadurch nicht zu Ausschreitungen hinreißen. Auch den ›König‹ laß beiseite, wenn ich dir gut zu rate bin. Es ist Hochverrat. Wenn wir auch in einigen Kleinigkeiten im Widerspruch mit dem Gesetz stehen, so ist doch keiner unter uns, der so gemein wäre, den Verräter am König zu spielen. Wir sind königstreue Untertanen. Das sollst du gleich sehen. Auf, ihr alle, und ruft mit mir: »Lang lebe Eduard, König von England!«

»Lang lebe Eduard, der König von England!«

Wie mit Donnergewalt erfüllte der Hochruf den weiten Bau.

Des jungen Königs Augen leuchteten auf. Er verbeugte sich leicht und sagte ernst und einfach: »Ich danke euch, meine guten Leute!«

Diese unerwartete Antwort rief eine unbändige Heiterkeit hervor. Alle wälzten sich oder hielten sich den Bauch vor Lachen. Als wieder ein wenig Stille eingetreten war, sagte der Hauptmann fest, aber doch gutmütig: »Laß das sein, Junge, es ist weder klug noch gut. Bilde dir meinetwegen ein, was du willst, aber wähle dir einen anderen Titel.«

Ein Kesselflicker hatte eine Eingebung und meinte: »Fufu der Erste, König der Mondkälber!«

Der Titel zog sogleich; aus allen Kehlen erscholl der Ruf: »Lang lebe Fufu, der Erste, König der Mondkälber!«

Dann folgte Pfeifen, Katzenmusik und stürmisches Gelächter.

»Führt ihn fort und krönt ihn!«

»Kleidet ihn in Purpur!«

»Gebt ihm ein Zepter!«

»Setzt ihn auf den Thron!«

Diese und zwanzig andere Rufe mischten sich durcheinander. Bevor das arme kleine Opfer sich auch nur sträuben konnte, hatte er als Krone ein Zinnbecken auf dem Kopf, war in eine zerlumpte Decke gehüllt, auf eine Tonne gesetzt und erhielt als Zepter das Lötrohr des Kesselflickers. Dann warfen sich alle um ihn herum auf die Kniee, brachten jammervolle Klagen und Bitten vor, während sie sich mit ihren schmutzigen, zerlumpten Ärmeln und zerfetzten Schürzen die Augen wischten: »O sei uns gnädig, du lieber König!«

»Trample nicht herum auf deinen vor dir im Staube kriechenden Würmern, o gnädigster Herr!«

»Erbarme dich deiner Sklaven und tröste sie mit einem königlichen Fußtritt!«

»Freue und erwärme uns mit den Strahlen deiner Gnade, o flammende Sonne des Herrschertums!«

»Heilige den Boden durch eine Berührung deines Fußes, auf daß wir den Staub essen mögen und dadurch geadelt werden!«

»Geruhe, o Majestät, auf uns zu speien, damit noch unsere Kindeskinder von deiner fürstlichen Herablassung erzählen, sich deiner Gnade rühmen und für immer glücklich sein können!«

Der lustige Kesselflicker aber schoß doch den Vogel ab und trug den Preis davon. Er kniete vor dem König nieder und tat, als wollte er ihm den Fuß küssen. Als Antwort erhielt er darauf, wie erwartet, einen derben Tritt von Eduard. Der Kesselflicker stand auf und erbat sich von den Umstehenden einen Lumpen. Damit bedeckte er das Gesicht an der Stelle, wo ihn der Fuß des Königs berührt hatte. »Diese Stelle«, sagte er, »muß sorgfältig vor der Berührung mit der gemeinen Luft bewahrt werden, denn sie verhilft mir zu einem Vermögen. Ich will damit hingehen in die Städte und auf die Landstraßen und jedermann soll die Wunde gegen ein Schaugeld von fünfzig Kronen sehen können.«

Er machte seine Sache so gut, daß er den Neid und die Bewunderung der ganzen Bande erregte.

Tränen der Scham und der Entrüstung standen in den Augen des kleinen Monarchen und er dachte in seinem Herzen: »Hätte ich ihnen das schwerste Unrecht angetan, sie könnten nicht grausamer gegen mich sein. Nun aber habe ich ihnen nur Gutes erweisen wollen, und dafür lohnen sie mich also.«


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