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Was macht man mit dem Gelde?

Geräuschlos schloß Pucki die Tür zum Sprechzimmer ihres Gatten. Auf Zehenspitzen ging sie durch den Flur, zurück ins Wohnzimmer.

Was fehlte ihrem Claus? Was für Gedanken gingen ihm durch den Kopf, daß er nicht einmal ihr Eintreten bemerkt hatte? Vor einer Viertelstunde war sie ganz leise in sein Arbeitszimmer gekommen; er saß am Schreibtisch, den Kopf in beide Hände gestützt und schaute vor sich nieder. Pucki hatte ihn nicht angerufen, da sie glaubte, er beschäftige sich mit einem schwierigen Fall. Sie wollte ihn nicht stören. Als er sich aber nach Verlauf einer Viertelstunde noch immer nicht meldete, schaute sie abermals behutsam ins Zimmer. Auch jetzt saß er noch am Schreibtisch, die Feder in der Hand, aber er schrieb nicht. Sein Gesicht war aufwärts gerichtet, und Pucki glaubte in seinen Mienen Trauer und Sorgen zu lesen. Wieder war sie hinausgegangen und wartete nun voller Unruhe, daß er kommen möge, um ihr zu sagen, was ihn quäle.

»Bin ich wieder schuld daran?« fragte sie sich selber. Sie ließ die letzten Tage an ihrem Geiste vorüberziehen. Mit denkbar größter Sorgfalt war im Hause alles von ihr erledigt worden. Auch Emilie hatte ihr finsteres Gesicht verloren und schaute so vergnügt wie ehedem drein.

Endlich hörte sie des Gatten Schritt. Sie lief ihm entgegen, schlang beide Arme um seinen Hals und schaute ihm forschend ins Gesicht. Dort stand noch immer der Schatten.

»Sage mir ganz offen, lieber Claus, ob ich wieder etwas falsch gemacht habe.«

»Du? – Warum fragst du mich?«

»Dich bedrückt etwas, Claus.«

»Gewiß, Pucki, doch heute bist du unschuldig daran.«

Da erhob sie den Zeigefinger, genau so, wie er es tat, wenn er sie ermahnte. »Habe Vertrauen«, sagte sie mit Baßstimme. »Eine Ehe ist nichts wert, wenn kein Vertrauen vorhanden ist.«

»Eine junge Mutter starb auf dem Transport zum Kreiskrankenhaus. Sie hinterläßt drei unmündige Kinder. Es ist schon der dritte Fall in meiner Praxis, daß Menschen sterben müssen, weil es unmöglich war, ihnen rechtzeitig Hilfe zukommen zu lassen.«

»Claus, warum war Hilfe unmöglich?«

»Weil die örtlichen Verhältnisse so schwierig sind. Du kennst unsere Gegend. Die vielen Dörfer südlich und östlich von Rahnsburg liegen weit entfernt von Holzau. Wenn auch ein Krankenwagen vorhanden ist und ziemlich schnell gerufen werden kann, so vergeht doch oftmals kostbare Zeit. Auch heute wieder. Wäre die junge Frau eine halbe Stunde früher operiert worden, so wäre es vielleicht möglich gewesen, sie am Leben zu erhalten. Aber der weite Weg bis Holzau – – Es ist schlimm!«

»Lieber, guter Claus, du trägst die Sorgen anderer mit. Sie müßten uns nach Rahnsburg eine Klinik legen.«

»Es würde sich lohnen. Wir müßten in Rahnsburg eine chirurgische Klinik haben.«

»Nun bist du traurig, daß die Frau starb?«

»Ja, Pucki.«

»Du wirst mir sagen, wo sie wohnte, und ich werde hingehen und den Kindern ein wenig beistehen.«

»Du gute, liebe Pucki, die Frau wohnte in Fliskow. Du würdest viel Zeit verlieren. Außerdem hast du deinen eigenen Haushalt. Man wird sich der verwaisten Kinder natürlich annehmen, aber keiner vermag, den Kindern die Mutter zu ersetzen.«

»So will ich in Fliskow herumhören, ob nicht jemand da ist, der gründlich helfen kann. Sobald du Zeit hast, fahren wir einmal hin.«

Dieser Plan wurde schon am übernächsten Tage ausgeführt, und Pucki lernte den Jammer eines verzweifelten Mannes kennen, der seine Frau verloren hatte. Claus freute sich über seine junge Gattin, die umsichtig versuchte, in der augenblicklichen Ratlosigkeit zu helfen. Sie machte im Dorfe verschiedene Wege und fand auch eine Anzahl hilfsbereiter Menschen.

»Claus, wenn wir doch schon unser vieles Geld hätten! Ich würde den Leuten eine größere Summe zur Verfügung stellen, das täte gut.«

»Auf dieses Geld brauchst du nicht mehr lange zu warten, Pucki. Die Sache ist in Ordnung, wir können einen großen Teil der Erbschaft Ende der Woche bei der Bank abheben. Das andere Geld liegt in Papieren fest, die natürlich zu verkaufen wären. Wenn meine Pucki ein ganz törichtes Frauchen ist, zähle ich ihr in Kürze bare dreißigtausend Mark in den Schoß.«

Ihr Gesicht strahlte. »Das wäre wunderschön, Claus! Ich denke es mir herrlich, einmal mit beiden Händen im Gelde zu wühlen. – Aber, wir wollen die Papiere ruhig liegenlassen, denn dann bekommen wir mehr Zinsen. So wird es langsam immer mehr.«

»Ich gebe dir drei volle Tage Zeit, kleine Pucki, dir selbst zu überlegen, was wir am besten mit den dreißigtausend Mark anfangen könnten. Du kannst mir deine Pläne sagen, denn ich möchte einmal wissen, was in der Seele meiner lieben Pucki vorgeht, wenn sie plötzlich meint, eine reiche Frau zu sein.«

»Claus, ich merke schon, du willst mich auf die Probe stellen. Sage du zuerst, was du mit dem Gelde anfangen würdest. Ich werde wahrscheinlich damit einverstanden sein.«

»Nein, Pucki. Wie ich mir die Verwendung denke, sage ich dir erst, wenn du mir dein Herz geöffnet hast. Wir wollen daraufhin gemeinsam überlegen, wer das Beste und Richtigste fand.«

»Drei Tage lang soll ich mir den Kopf zergrübeln? Ach, Claus, ich werde tausend Vorschläge haben. Aber du sollst sehen, daß deine Frau nicht mehr so dumm und unüberlegt ist wie vor Weihnachten. Ich glaube, daß dir meine Vorschläge gefallen werden, und du kannst wieder einmal stolz auf mich sein wie damals, als ich durch meine Unerschrockenheit die Kinder aus dem brennenden Theater rettete. Damals sagtest du zu mir: ›Pucki, ich bin stolz auf dich!‹ – Claus, wirst du das wieder sagen, wenn ich einen recht schönen Plan entwickele, wie wir das furchtbar viele Geld nutzbringend anlegen können?«

»Das will ich sehr gerne sagen, liebe Frau. Ich hoffe, daß wir am Sonnabend nicht gestört werden. Dann setzen wir uns gemütlich zusammen, und jeder teilt seine Pläne über die Verwendung unseres Vermögens mit.«

Von nun an überlegte Pucki zu jeder Stunde. Was war wohl das Richtigste? Sie wollte überall herumfragen, denn: – viele Köpfe, viele Sinne. Vielleicht erfuhr sie so einen hervorragenden Gedanken, mit dem sie am Sonnabendabend vor Claus hintreten konnte.

»Ein bißchen Geld muß freilich für unser Vergnügen abfallen«, überlegte sie. »Eine kleine Reise muß herausspringen, ein bißchen nett will ich mich auch anziehen. Dann trinken wir jeden Mittag eine Flasche Wein, Karlchen bekommt einen neuen Mantel, so wie es sich für einen Jungen ziemt, dessen Eltern dreißigtausend Mark Vermögen haben.«

Eine Stunde später dachte die junge Frau an eine Villa. Ein eigenes Haus, wie es Carmen hatte und wie es Eberhard bekam, wäre doch herrlich. Auf dem Nachmittagsspaziergang mit Karlchen betrachtete sie aufmerksam die neuen Villen, die in Rahnsburg erbaut worden waren.

»Karlchen«, sagte sie, »wir werden eine fertige Villa kaufen. Für so viel Geld bekommen wir ein schönes Haus!«

Ein Eigenheim war ganz gewiß kein törichter Gedanke! Vielleicht aber wußte Rose Teck etwas Besseres. Auf dem Heimwege traf Pucki noch die Gattin des Apothekers von Rahnsburg. Im Laufe des Gespräches fragte sie sie: »Wenn Sie heute dreißigtausend Mark bekämen, was würden Sie damit tun?«

Die Gefragte meinte, es sei wohl eine Scherzfrage, dann aber antwortete sie ernsthaft: »Ich würde das Geld auf Hypotheken geben, natürlich nur zur ersten Stelle. Das ist sicher.«

Zu den Plaudernden gesellte sich gar bald eine dritte Dame, die Frau eines Kaufmannes, die sich eifrig an dem Gespräch beteiligte.

»Mein Mann würde sofort als Teilhaber irgendwo eintreten«, sagte sie. »Ein gutgehendes Unternehmen bringt mehr als die üblichen Hypothekenzinsen. Manch einer hat eine Einlage von zehntausend Mark im Laufe eines Jahres verdoppelt. Ich kann Ihnen da allerlei Beweise geben.«

Pucki überlegte lange, was sie gehört hatte. Das waren zwei Vorschläge, die bestimmt nicht dumm waren. Eine Hypothek, aber nur zur ersten Stelle, oder eine Teilhaberschaft, bei der man das Geld im Laufe eines Jahres verdoppelte. – Was würde Rose ihr wohl raten?«

Der nächste Tag brachte Rose den Besuch Puckis.

»Du hast einen gesunden Verstand, liebe Rose, jetzt rate mir gut. Wenn ich dir dreißigtausend Mark auf den Tisch legte – was würdest du mit dem Gelde beginnen?«

»Ach, Pucki, es legt mir keiner dreißigtausend Mark auf den Tisch.«

»Baue doch einmal ein Luftschloß, Rose, und überlege. – Was würdest du tun?«

»Dann kaufte mein Mann eine größere Landwirtschaft, oder wir kauften drüben die Äcker und das Stück Wald. Das wäre schön, doch geht es auch so.«

Pucki schüttelte den Kopf. Mit Acker und Wald konnte sie nichts anfangen. Wieder bestürmte sie die Freundin, ihr etwas Besseres zu sagen, aber Rose blieb dabei, daß Landbesitz das Richtigste wäre, denn er trage tausendfache Frucht.

So war Pucki auch am zweiten Tage ihres Überlegens noch nicht viel weiter gekommen. Ob sie einmal zu Fräulein Caspari ging, der einstigen Lehrerin, die bei ihrer Schwester, der jetzigen Frau Wallner, wohnte? Herr Wallner war ein umsichtiger Geschäftsmann gewesen, der würde ihr auch raten können.

Ja, wenn ihr einer raten konnte, war es sicher der früher so griesgrämliche Herr Wallner. Er hatte einmal ganz klein angefangen und aus dem Unternehmen eine bedeutende Tischlerei gemacht. Er wohnte nicht weit ab, sie konnte rasch hinübergehen, während Karlchen schlief, um sich einen Rat zu holen.

Eine halbe Stunde später war Pucki dort und stellte wieder die gleiche Frage: »Was macht man mit soviel Geld, Herr Wallner? Ich wende mich mit dieser Frage besonders an Sie, weil Sie ein erfahrener Geschäftsmann sind.«

»Haben Sie überhaupt dreißigtausend Mark?«

Da Pucki von Claus gebeten worden war, nicht eher über die Erbschaft zu reden, als bis alles erledigt sei, sagte sie ausweichend: »Man kann sich doch einmal vorstellen, man hätte dieses Geld. – Herr Wallner, was würden Sie damit anfangen?«

»Wenn man das Geld noch nicht hat, braucht man auch nicht zu überlegen, was man damit machen soll.«

»Sie haben recht, Herr Wallner, aber ich möchte zu gern, daß Sie einmal darüber nachdenken – –«

»Und ich frage Sie zum dritten Male: Haben Sie das Geld?«

»Aber Liebling«, sagte seine schon etwas ältere Gattin zärtlich, »gib doch Pucki eine Antwort. – Wahrscheinlich ist es eine Scherzfrage.«

»Wenn man das Geld nicht hat, braucht man nicht zu überlegen. Es ist viel Unheil dadurch in die Welt gekommen, daß man von unerreichbaren Dingen redete. – Ich verweigere eine Auskunft!«

»Na ja«, sagte Pucki schnippisch, »ich hätte es mir denken können, daß ich hier keinen Rat bekommen würde. – Nun muß ich heim.«

Fräulein Caspari und ihre Schwester baten Pucki zwar, sie möge noch bleiben, aber Pucki ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Dann wandte sie sich nochmals um: »Auf Wiedersehen! – Aber sagen will ich Ihnen doch zum Schluß, Herr Wallner: ich habe die dreißigtausend Mark. Wir haben dreißigtausend Mark geerbt, und es wird kein Unheil in die Welt kommen! Wir werden das Geld schon zweckmäßig verwenden.«

Sie wollte gehen, aber da hielt sie der alte Herr an den Schultern zurück. Überraschend schnell war er aufgesprungen und zu Pucki getreten. »So – Sie haben das Geld? Das ist ja eine nette Wirtschaft! – Dreißigtausend Mark steckt sich das Mädchen wahrscheinlich in den Strumpf und will nun wissen, was sie damit beginnen soll. – Häh – im Strumpf stecken lassen, oben mit einem Strick fest zubinden, den Strumpf in die Bettlade legen und dann überall erzählen, daß man auf dreißigtausend Mark liegt. Ich wünsche Ihnen den Einbrecher, der Ihnen diesen Strumpf stiehlt. – Das gönne ich Ihnen!«

»Aber Liebling – warum bist du heute so ärgerlich?«

»Steckt dreißigtausend Mark in den Strumpf – –«

»Das tue ich ja gar nicht, Herr Wallner! So dumm bin ich nicht! – Ich überlege nur noch, ob ich das Geld auf erste Hypothek gebe oder – ob ich mich an einem Unternehmen beteiligen soll. – Danke bestens, Ihren Rat brauche ich nicht mehr!«

»Bleiben Sie mal gefälligst hier, kleine Frau.«

»Nein«, erwiderte Pucki kurz. »Heute haben Sie wieder die Eisenacher Laune, und die habe ich lange genug zu kosten bekommen. Ich dachte, der Aufenthalt in Rahnsburg würde Ihnen besser bekommen sein. – Auf Wiedersehen!«

Dann eilte sie davon. Im geheimen bedauerte sie ihre einstige Lehrerin und deren Schwester, die gezwungen waren, mit diesem Griesgram zusammen zu leben.

Emilie kam ihr schon an der Tür entgegen mit dem Bemerken, daß der Herr Oberförster gekommen sei. Er habe zwar wenig Zeit, wollte aber doch kommen, um Pucki und Karlchen zu sehen. Die junge Frau klatschte hocherfreut in die Hände. Wozu das Herumfragen bei Fremden, wenn einer da war, der ihr bestimmt die rechte Auskunft geben konnte. Außerdem wußte der Schwiegervater um die Erbschaft, sie konnte also ganz offen mit ihm reden. Er würde ihr am besten raten, er würde das Richtige treffen. Was er ihr riet, würde sie heute abend ihrem lieben Claus als ihre eigene Meinung auftischen.

Der Oberförster spielte mit Karlchen. Herzlich begrüßte er seine Schwiegertochter.

»Dich hat der Himmel gesandt, lieber, lieber Vater! Ich brauche einen Ratgeber!«

Der Oberförster griff mit beiden Händen in sein volles, graues Haar. »Pucki, was ist schon wieder los? Nimmst du Gesangsunterricht? Wirst du eine Sängerin?«

»Aber Vater, willst du dich über mich lustig machen?«

»Na, komm her, mein liebes Döchting, bist ja doch meine Beste! – Also was soll ich dir raten?«

»Du mußt jetzt ganz ernst sein, Vater, es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit. Du weißt, wir bekommen in wenigen Tagen die Erbschaft ausgezahlt. Jetzt fragt mich Claus, was wir mit dem vielen Gelde machen sollen.«

»Das sollst du bestimmen?« fragte Herr Gregor ungläubig.

»Ich weiß genau, daß er mich damit auf die Probe stellen will. Ich will ihm also den Beweis erbringen, daß ich eine gescheite Frau bin. Darum – –«

»Soll ich dir raten?«

»Ja, Vater. Claus braucht nicht zu wissen, daß du mit mir darüber gesprochen hast.«

»Nun, Pucki, da wollen wir gleich mal überlegen. – Wir backen jeden Tag Waffeln, die ißt du doch so gerne.«

»Weiß schon, Vater, daß du gern ein Späßchen mit mir machst. Aber heute wollen wir kein Jägerlatein reden, heute soll der Vater ernst zu seiner Tochter reden, er soll ihr einen wertvollen Rat fürs ganze Leben geben. – Bitte, rate mir ernsthaft!«

»Meinst du nicht, kleine Pucki, daß Claus schon weiß, wie er das Geld anlegen soll?«

»Freilich, Vater, er weiß es schon. – Ich aber soll auch etwas wissen. – – Ich möchte ihm furchtbar gern einen wirklich guten Vorschlag machen.«

»Ja, da müssen wir einmal angestrengt nachdenken.«

»Eine Hypothek, aber nur auf erste Stelle?« fragte Pucki.

»Gut, sehr gut!«

»Oder eine Beteiligung an einem Unternehmen, bei der sich das Kapital bald verdoppelt – –?«

»Auch nicht schlecht, kleine Weisheit! Wenn Claus an einem Sanatorium oder an einer Klinik Teilhaber würde – –«

»Eine schöne Villa mit wertvoller Einrichtung – –«

»Was noch, Pucki?«

»Jetzt rate du. Sage mir ehrlich, was würdest du tun, wenn dir jetzt dreißigtausend Mark in den Schoß fielen?«

»In meinem Fall wüßte ich schon, was ich damit täte.«

»Bitte, sage es schnell!«

»Das paßt nicht für dich, Pucki. Es kommt immer darauf an, ob der Mensch alt oder jung ist, ob er nach einer Existenz sucht – –«

»Es kommt jetzt nur darauf an, lieber Vater, daß ich erfahre, was ein erfahrener Mann, der das Leben nach jeder Richtung hin kennt, mit dreißigtausend Mark anfängt. – Also, was würdest du tun?«

»Ich zähle erst einmal nach, wieviel Kinder ich habe. Dann teile ich das Geld in ebenso viele Teile und gebe jedem seinen Teil. Meine Kinder sind jung, sie wollen weiterkommen und können sich vielleicht mit diesem Zuschuß ihr Weiterkommen erleichtern.«

Pucki schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Schade, daß du nicht auch dreißigtausend Mark bekommen hast, das wäre fein. – Du meinst also, man sollte das Geld auf die Sparkasse legen und abwarten, unter wieviel Kinder ich es einmal zu teilen habe?«

»Nicht doch, Pucki! Du fragtest mich, was ich alter Mann, der mit seinem Ruhegehalt ausreicht, mit der Erbschaft anfangen würde. Bei dir ist es natürlich anders.«

»Nein, Vater, es ist nicht anders! Dein Plan gefällt mir recht gut. Es wird immer wieder gemahnt, sparsam zu sein. Es heißt auch, es sei gut und richtig, wenn man einen Notgroschen auf der Sparkasse hat. Ich werde auch diesen Vorschlag Claus unterbreiten.«

»Ich glaube, ich brauche mir darüber keine Sorgen zu machen, Pucki. Die dreißigtausend Mark werden schon richtig angelegt werden.«

»Hast recht, Vater, heute abend wird es beschlossen!«

Trotzdem überlegte die junge Frau bis zum Abend, ob ihr nicht noch etwas anderes einfallen würde.

»Eines ist sicher«, sagte sie in der Küche zu Emilie, die natürlich auch gefragt worden war, »wir dürfen das Geld nicht in den Strumpf stecken; das Geld muß arbeiten, und andere müssen etwas davon haben. Man soll nicht geizig sein! Ich kenne einen schönen Spruch, den werde ich bis an mein Lebensende beherzigen. Hören Sie mal zu, Emilie.«

»Ich weiß schon: Geld verdirbt den Charakter.«

»Nein, etwas Schöneres. Hören Sie:

Das Geld, der Reichtum treibt und bläht,
Hat mancherlei Gefahren,
Schon vielen hat's das Herz verdreht,
Die früher wacker waren.«

»Das stimmt«, sagte Emilie, »solche Leute habe ich auch einmal kennengelernt.«

»Sie auch, Emilie?«

»Ich habe es nicht vergessen können. Mein Onkel wurde schwer krank und sollte ins Krankenhaus kommen. Wir hatten kein Geld. Meine Tante ist überall herumgelaufen, keiner borgte ihr etwas. – Damals war ich zehn Jahre alt, trotzdem habe ich mir alles gut gemerkt. Im Krankenhaus mußte im voraus bezahlt werden. Da wurde der Onkel immer kränker; schließlich ist er noch hingekommen, aber da war es schon zu spät, er hatte zu lange gewartet. Dann ist er gestorben.«

Pucki rührte nachdenklich in dem Brei, der als Nachtessen für Karlchen bestimmt war. Dann saß das Kind auf ihrem Schoß und wurde von der Mutter sorgfältig gefüttert.

»Karlchen, kleiner, lieber Junge, deine Mutti gibt dir gutes Essen, sie legt dich schlafen und sorgt dafür, daß dir nichts geschieht. – Und in Fliskow sind drei kleine Kinder, die haben nun keine Mutti mehr. Sie starb, weil der Weg bis Holzau zu weit war. Ach, man müßte ein Auto haben, das nur dazu da ist, Schwerkranke schnell auf den Operationstisch zu bringen.«

Karlchen aß mit großem Appetit.

Nein, ein Auto brauchte man nicht, denn es war längst vorhanden. – Nur der Weg bis Holzau war zu weit, wenn man in Fliskow wohnte. »Wenn Claus die arme Frau hier in seinem Hause hätte operieren können«, überlegte Pucki. »Er ist doch Chirurg. – Manchmal geht es da um Minuten. Man müßte hier in Rahnsburg eine Klinik haben, und Claus müßte immer gleich zur Stelle sein, um operieren zu können, wenn es eilt.«

Karlchen klopfte sich plötzlich mit beiden Händchen auf den Magen. Dieses Zeichen bedeutete für ihn, daß ihm der Brei sehr gut schmeckte.

»Schmeckt es dir so gut, mein süßer Bengel?« fragte Pucki ihren Jungen. Dann aber spann sie ihre Gedanken weiter. »Wie könnte man es einrichten, daß Claus in Rahnsburg operieren könnte, wenn eilige Fälle vorliegen? Man müßte auch alle die Leute aufnehmen, die kein Geld haben, wie der Onkel der Emilie. – Nur, womit soll man dann etwas verdienen?«

Das waren die Gedanken, die Pucki sehr beschäftigten. Beim Abendessen fragte Claus fröhlich: »Na, Pucki, weißt du schon, wie wir das Geld anlegen sollen?«

»Ich wälze einen Gedanken, Claus! Er ist kühn. – Ich bin noch nicht ganz zu Rande gekommen. Bitte, laß mir noch bis morgen Bedenkzeit. Du brauchst dir aber nicht einzubilden, daß ich noch nichts weiß. Ich weiß schon viel! Aber – vor wenigen Stunden kam mir noch ein neuer Gedanke, den muß ich erst genauer überlegen, ob überhaupt eine Möglichkeit besteht, ihn zu verwirklichen. Ich will dir nicht ein Stück Zucker versprechen, wenn ich dir das Stückchen später nicht geben kann.«

»Pucki, ich bin aber furchtbar gespannt! Vielleicht wäre es gut und richtig, wenn wir deinen Gedanken gemeinsam weiterspinnen würden. Ich möchte heute abend schon einmal an diesem Zuckerstückchen lecken.«

»Laß mir damit noch Zeit bis morgen. Gerade der Sonntag ist der geeignete Tag, um dir meinen großartigen Plan, der sich mehr und mehr verdichtet, zu enthüllen.«

Claus gab schließlich nach. In dieser Nacht erstand in Puckis Kopf eine riesenhafte chirurgische Klinik in Rahnsburg. Damit erfüllte sich gewiß auch ein Herzenswunsch ihres geliebten Claus. Er konnte in Rahnsburg bleiben, an dem Ort, den er und auch sie so sehr liebten. Aber dreißigtausend Mark würden vielleicht nicht reichen. – Nun, dann fing man eben klein an, oder – sie machten Eberhard klar, daß es richtiger wäre, wenn er seine geerbten dreißigtausend Mark auf erste Hypothek in ihre Klinik nach Rahnsburg gäbe. – Das wollte sie mit dem Schwiegervater durchfechten!

Den Sonntag über tat Pucki recht geheimnisvoll. Das Leuchten in ihren Augen wurde jedoch immer heller. Sie hatte nur ein wenig Angst, ob Claus nicht in Lachen ausbrechen würde, wenn sie ihm ihren Plan enthüllte. Sie mußte sehr vorsichtig zu Werke gehen.

Am Abend saßen die Eheleute beisammen.

»Nun, kleine Frau, jetzt geht es los! Bilde dir ein, hier unter der Tischdecke liege das Geld. – Also, was machen wir damit?«

»Ich habe lange gegrübelt, Claus. Da kam mir zuerst der Gedanke, das Geld auf Hypothek zu geben, natürlich nur zur ersten Stelle. – Dann wäre auch eine Beteiligung an einem Unternehmen nicht übel. Man könnte schließlich auch den geerbten Betrag auf der Sparkasse liegenlassen, um ihn später zu gleichen Teilen unter unsere Kinder zu teilen. Wir werden dann alt sein, für die Kinder aber bedeutet das Geld eine Erleichterung bei ihrem Fortkommen. – Verkehrt wäre es, Brillanten oder Pelzwerk zu kaufen, Pelze – –«

»Wie sie Frau Elzabel trägt«, sagte Claus lachend.

»Ja! Sie denkt nur an ihre Schönheit. – Ich habe mir nun noch weiter den Kopf zerbrochen. Das Geld dürfen wir nicht in den Strumpf stecken. – Ach, Claus, du hättest sehen sollen, wie wütend der Großpapa Wallner wurde, als ich ihn fragte!«

»Großpapa Wallner?«

»Ja, Claus, er hätte mich am liebsten gefressen.«

»Hast du ihn um Rat gefragt?«

»Den und noch viele andere, Claus! – Ach so – ja, Claus, ich wollte doch auch andere Meinungen hören. Ich dachte, andere Leute wissen besser mit Geldgeschäften Bescheid. Aber – ich habe auch eigene Gedanken.«

»Welcher der vielen Vorschläge ist nun von dir, Pucki?«

»Meinen Vorschlag habe ich noch nicht genannt«, klang es leise.

»Dann mal los, Pucki! Es will mir auch gar nicht in den Sinn, wie du auf eine erste Hypothek verfallen konntest.«

»Ach, Claus«, sie barg den Kopf an seiner Schulter, »jetzt mußt du nicht lachen, wenn ich dir sage, was erst noch ein Traumbild ist. Vielleicht könnte es aber doch zu einer festen Gestalt werden. – Sieh mal, Claus, unser Junge hat seine Eltern, aber die Leute, die da hinten in Fliskow wohnen – – Ach, Claus, wirst du mich auch nicht auslachen?«

»Sprich ruhig weiter, Pucki.«

»Du bist so gerne Chirurg und möchtest so gerne in Rahnsburg bleiben. Wenn wir nun mit einer ganz kleinen Klinik anfingen – nur sechs bis acht Zimmer? – Du bist der Chirurg, und die Leute aus den umliegenden Dörfern und aus Rahnsburg selbst brauchten nicht erst bis zum Kreiskrankenhaus. Jene Frau in Fliskow wäre nicht gestorben, wenn du hier eine Klinik gehabt hättest. – Claus, ginge das nicht?«

Sein Arm legte sich fester um Pucki. »Von wem stammt dieser Vorschlag, Pucki? Wer hat dir dazu geraten?«

»Keiner, ich selbst habe ihn ausgedacht. – Ach Claus, er ist wohl sehr dumm. Es geht wohl nicht?«

»Ganz aus dir selbst heraus ist dir dieser Gedanke gekommen? Pucki, wir wollen das Geld nehmen, um damit anderen zu helfen, um zu verhüten, daß abermals ein so trauriger Fall eintritt wie kürzlich bei Wenzels?«

Pucki nickte. Dann hob sie zögernd den Kopf und schaute den Gatten an. Ihre Augen blieben an seinem strahlenden Gesicht hängen. Ein Weilchen sprachen sie nichts, dann zog er seine Frau innig an sich.

»Pucki, kleine, gute Pucki, ich bin wieder einmal sehr stolz auf dich!«

»Ach – Claus«, rief sie glücklich.

»Gute, prächtige Frau!«

»Das ist schön, Claus! – Das gefällt mir! Ja, manchmal habe ich auch vernünftige Gedanken. – So, und nun sage mir deinen Plan, ich werde ihn prüfen.«

»Pucki, ich habe mir ganz das gleiche gewünscht wie du. Eine kleine chirurgische Klinik in Rahnsburg, der man später ein Entbindungsheim angliedern könnte.«

»Das hast du auch gedacht, Claus?«

»Ja, kleine liebe Frau, heute sind wir einmal ganz einig!«

Sie machte ein siegessicheres Gesicht. »Ich freue mich furchtbar über deine Anerkennung! Jetzt endlich mußt du doch einsehen, daß ich eine kluge, verständige Frau bin.«

»Ja, Pucki«, sagte er herzlich lachend, »du bist meine kluge, liebe Frau!«


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