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Ich werde Malerin

Obwohl Pucki an den Malstunden, die sie bei Lars Alsen nahm, große Freude hatte, fühlte sie sich innerlich ein wenig unfrei. Es war wirklich mancherlei zu bedenken gewesen, ehe sie zu einem Entschluß gekommen war. Larsen hätte es am liebsten gesehen, wenn Frau Gregor vormittags zu den Stunden gekommen wäre, doch das ließ sich nicht einrichten, weil vormittags die Wirtschaft besorgt werden mußte und Emilie noch viel zu jung war, um die Hausfrau vertreten zu können. So wurden die Malstunden zweimal in der Woche auf nachmittags von drei bis vier Uhr gelegt. Das Auto konnte Claus auch nicht zur Verfügung stellen, da er oft nach dem Essen zu Krankenbesuchen über Land fahren mußte und meist erst um fünf Uhr zu seinen Sprechstunden zurückkam. So mußte Pucki den Zwei-Uhr-Zug benutzen und konnte erst gegen sechs Uhr wieder heimkommen.

»Claus, du hättest es vielleicht doch einrichten können, mich hin und wieder nach Holzau zu fahren.«

Hin und wieder geschah es auch, aber sehr selten. Da Emilie beim zweiten Fernsein der jungen Frau ein wenig versagte, denn Karlchen hatte sich eine beträchtliche Beule am Kopf gestoßen, verfiel Pucki auf den Ausweg, ihre jüngste Schwester Agnes zu bitten, jeden Dienstag und Freitag ins Haus zu kommen und mit Karlchen zu spielen. Die fünfzehnjährige Agnes, die in Rahnsburg die Schule besuchte, war gern dazu bereit, den Wunsch der Schwester zu erfüllen. Sie kam an diesen Tagen gleich von der Schule aus zum Mittagessen und ging erst abends nach sechs Uhr wieder hinaus zum Forsthause Birkenhain.

»Siehst du, Claus«, rief Pucki triumphierend, »auch dieses Hindernis ist aus dem Wege geräumt! Jetzt wäre nur noch nötig, daß ich ein Kleinauto zu meiner Verfügung hätte, damit ich nicht in Holzau fast zwei Stunden zwecklos herumzusitzen und in der Konditorei das schöne Geld ausgeben muß.«

»Nun, du hast in Holzau allerhand zu sehen, kleine Frau. Schöne Geschäfte sind da und auch einige Kinos. Waltraut kann sich hin und wieder frei machen, da wird dir die Zeit rasch vergehen.«

»Ach, ich bin so glücklich, daß du mir Gelegenheit gibst, Malstunden zu nehmen. Lars Alsen sagte, ich hätte großes Talent, und Lars Alsen muß es wissen. Er malt wunderbar! Claus, eine ganz neue Welt hat sich mir erschlossen, als ich sein Atelier betrat! Ich schwärme für diesen Maler.«

»Muß ich eifersüchtig werden, Pucki?«

»Lars Alsen ist ganz anders als du; große funkelnde Augen hat er und schöne Hände. Seine Stimme klingt wie ferne Musik – mitunter kann er aber furchtbar grob werden. Wirklich, ein komischer Mann! – Ach, Claus, du mußt ihn kennenlernen!«

»Wird noch kommen, kleine Frau.«

»Ich bin sehr fleißig, ich bin seine einzige Schülerin. Er wollte keinen Unterricht geben, er wollte in Holzau ganz zurückgezogen leben und nur seiner Kunst dienen. Er hat wohl aber eingesehen, daß aus mir etwas zu machen ist. Ich muß ganz von vorn anfangen, Claus. Lars Alsen sagte, ich könne noch nicht richtig sehen. – Heute schalt er entsetzlich mit mir. Er sah aus, als wollte er mich mit dem Pinsel erstechen!«

»Ein furchtbarer Mann!«

»Dann macht er mir gleich wieder Mut. – Ach, Claus, ich werde ganz gewiß etwas erreichen, und von dem ersten Geld, das ich durch meine Malerei verdiene, kaufen wir – kaufe ich – dir – – oder mir – –. Ach, das weiß ich noch nicht!«

»Den blauen Samtanzug mit dem Spitzenkragen.«

»Ja, dann hat unser Karlchen einen ebenso schönen Anzug wie der Bubi von Carmen.«

Jedesmal, wenn Pucki am Dienstag oder Freitag das Haus verließ, um nach Holzau zu fahren, bekamen Agnes und Emilie Verhaltungsmaßregeln.

»Du brauchst uns das alles nicht immer wieder zu sagen«, meinte die Schwester Agnes schnippisch, »ich weiß allein, was ich zu tun habe. Geh du nur ruhig pinseln.«

Das Zusammentreffen mit Waltraut, der achtzehnjährigen angehenden Krankenpflegerin, war für Pucki auch nicht immer erfreulich.

»Ich kann es nicht begreifen, liebe Pucki«, sagte Waltraut einmal, »daß du jede Woche zwei ganze Nachmittage von deinem Kind fortgehst, nur um eine Laune zu befriedigen.«

»Laune?« fuhr Pucki auf. »Es ist ein innerer Drang in mir, Malerin zu werden.«

»Ich wundere mich über Claus, daß er es erlaubt.«

»Es ist ihm recht, wenn ich später Geld verdiene. Er braucht sich dann nicht allein zu quälen.«

»Daran denkt Claus gewiß nicht. Er arbeitet gern für seine Familie. Pucki, ich bin fest davon überzeugt, daß er sich nur widerstrebend deinem Wunsche fügt. Er ist sehr gut.«

»Natürlich ist er gut! Schließlich aber will eine junge Frau auch ein wenig Abwechslung haben.«

»Warte nur«, lachte Waltraut, »wenn du erst drei oder vier Kinder hast, dann wirst du die Malstunden von selbst wieder einstellen.«

»Ich will etwas erreichen. Wenn ich mir etwas ernsthaft vornehme, wird es durchgeführt!«

»Hast du niemals daran gedacht, daß du dadurch den Haushalt vernachlässigst?«

»Rede keinen Unsinn, Waltraut! Agnes ist zu Hause, und Mutter will hin und wieder auch nach Karlchen sehen.«

»Mutti ist auch nicht damit einverstanden, daß du Malunterricht nimmst.«

Auf Puckis Stirn erschien eine Falte. »Jede Frau, auch wenn sie noch so viele Kinder hat, muß sich zeitweilig entspannen. Für mich ist die Malerei eine Auffrischung. Ihr versteht das eben nicht! Claus ist einverstanden, und das genügt mir!«

Trotzdem blieben die mahnenden Worte der Schwester nicht völlig ohne Eindruck bei Pucki. Wenn sie von vier bis sechs Uhr untätig in Holzau in einer Konditorei saß, gab sie mitunter der Schwester recht. Es war eben schlimm, daß sie kein Auto hatte, mit dem sie viel rascher wieder zurück in ihr Heim gebracht wäre. Carmen hatte auch ein Auto zu ihrer Verfügung. Wenn sie erst einmal Geld für ein gemaltes Bild erhielt, würde sie weiter sparen, damit auch für sie ein kleiner Wagen dabei heraussprang. Dann war es nicht mehr schlimm, dann konnte sie schon nach dreistündiger Abwesenheit wieder daheim sein.

Auch Rose Teck spürte die Malstunden. Sonst hatte Pucki jede Woche einmal den Weg nach der Schmanz gefunden, jetzt war dafür keine Zeit vorhanden. Die beiden Nachmittage, die sie in Holzau verbrachte, machten sich auch daheim deutlich bemerkbar. Gar manches blieb liegen, was sonst pünktlich erledigt wurde.

Aber auch in Rahnsburg begann man über die junge Frau Doktor Gregor zu reden, die plötzlich Malunterricht nahm. Pucki war töricht genug gewesen, überall von ihren hochfliegenden Plänen zu sprechen. Oft genug fielen von ihren Lippen sogar die Worte: »Wenn ich erst eine berühmte Malerin bin ...«

So kam es, daß man Frau Doktor Gregor bald nur noch die »berühmte Malerin« nannte. Es fiel manche anzügliche Äußerung, die die junge Frau kränkte. Doch spornte sie das alles um so mehr an, und oft bat sie Lars Alsen, er möge sie sehr schnell fördern, denn sie habe nicht viel Zeit zu verlieren.

Claus selbst mußte bald erkennen, daß er sich wieder einmal in Pucki geirrt hatte. Er erwartete mit aller Bestimmtheit, daß seiner Frau nach kurzer Zeit der Malunterricht langweilig werden, daß sie ihre wahren Pflichten erkennen und aus sich selbst heraus die Stunden aufgeben würde. Aber sie sah nicht, daß sie zu Hause nötiger war als im Atelier des Künstlers. Es machten sich bereits hier und da Mängel bemerkbar, die dem Fernsein der Hausfrau zuzuschreiben waren. Was hatte der Malunterricht überhaupt für einen Zweck, da Pucki in Monaten wieder einem Kindchen das Leben geben würde? Mitunter bedauerte Claus es geradezu, daß er dem Wunsche seiner Frau nachgegeben hatte. Nun war es zu spät, nun mußte er ruhig abwarten, bis sich Pucki selber zurückfand.

Auch Frau Sandler, Puckis Mutter, war mit dem Tun ihrer Tochter nicht einverstanden.

»Ich halte dein Talent nicht für so groß, mein Kind, daß es ausgebildet werden muß. Du sagtest mir einmal, euer Familienglück sei so groß, daß es für dich nichts Schöneres gäbe, als daheim bei Mann und Kind zu sein. Sorge für beide zu jeder Stunde, wie es sich für eine pflichtgetreue Hausfrau gehört.«

»Der berühmte Maler Rogaten sagte mir, ich hätte Talent, und Lars Alsen sagt es auch. Mutti, ich glaube, die beiden Herren sind maßgebend. Karlchen entbehrt nichts durch meine Abwesenheit. Agnes sorgt gut für ihn, und Claus ist meistens fort. Er merkt es kaum, daß ich zweimal in der Woche in Holzau bin.«

»Es kostet viel Geld, Pucki.«

»Das bringe ich später wieder ein.«

»Ach, Kind, rede nicht solchen Unsinn! Es gibt genügend berühmte Maler, die ihre Sorgen haben. Nach deinen Bildern wird keiner fragen. Man verdenkt es dir bereits in Rahnsburg, daß –«

»Darum kümmere ich mich gar nicht, Mutti. Ich bitte dich, laß mir die Freude! Ich bin restlos glücklich, wenn ich im Atelier von Lars Alsen sitze und meinen Gedanken durch den Pinsel Ausdruck verleihen kann.«

»Mit deinen dreiundzwanzig Jahren solltest du vernünftiger sein, Pucki. Nun, ich hoffe viel von der Zukunft. Laß erst im Doktorhause wieder ein Wickelkindchen schreien, dann wird die Mutter hoffentlich wieder dauernd zur Stelle sein.«

Pucki warf den Blondkopf in den Nacken, genau so, wie sie es als Kind getan hatte, wenn ihr etwas nicht paßte. Sie zog es vor, die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet zu bringen. Mit ihrer Liebe zur Malerei wurde sie von der Mutter doch nicht verstanden. – –

In einer der nächsten Malstunden fragte Lars Alsen, ob Pucki zu Hause ein Atelier habe, in dem sie ungestört arbeiten könne.

Sie verneinte errötend. Während sie später in der Konditorei saß und darüber nachdachte, beschloß sie, diesen Mangel zu beheben. Lars Alsen hatte recht, wenn er sie daran erinnerte. Er sagte, er könne nur in seinem Atelier etwas Gutes schaffen; Störungen, die von außen her während der Arbeit an ihn heranträten, hinterließen an seiner Arbeit ihre Spuren. Man sähe es jedem Bild an, ob es in Ruhe und Sammlung geschaffen sei oder ob Unterbrechungen eingetreten wären, die verhinderten, daß ein geschlossenes Kunstwerk entstünde.

»Ja, ich muß ein Atelier haben«, murmelte Pucki auf der Heimfahrt vor sich hin, »sei es auch noch so klein. – Wo richte ich es ein?«

In der Wohnung war es unmöglich. Das Haus gehörte Doktor Kolbe, der noch immer im oberen Stockwerk wohnte. Die unteren Räume waren notwendig: Wartezimmer, Sprechzimmer, Eßzimmer, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Das kleine Damenzimmer, das sich Pucki eingerichtet hatte, war als Atelier untauglich, denn es hatte kein richtiges Licht. Das Fremdenzimmer lag im zweiten Stockwerk und war außerdem nicht heizbar. Sie konnte im Winter darin nicht arbeiten. Ob sie einmal mit Doktor Kolbe sprach, daß er eines seiner Zimmer im ersten Stockwerk an sie abgab? Er lebte mit seiner Frau sehr zurückgezogen; die beiden alten Leute brauchten bestimmt nicht alle vorhandenen Räume. Wenn er ihr das Erkerzimmer gab? Dort war gutes Licht, der Raum war groß und hell, und sie konnte zu jeder Zeit von Emilie heruntergerufen werden, falls man sie brauchte.

Traurig schüttelte sie den Kopf. Der alte Doktor Kolbe würde sie auslachen. Erst in der vorigen Woche hatte er geäußert, als er sie auf dem Bahnhof traf, daß er diese Malstunden für überflüssig hielte. Wenn er nun noch hörte, daß sie stundenlang im eigenen Atelier weilen wolle, würde er ihr wahrscheinlich Vorhaltungen machen.

»Ich vernachlässige meine Pflichten weder als Gattin noch als Mutter. Auch eine verheiratete Frau kann etwas zur eigenen Entspannung tun, und ich entspanne mich bei der Malerei«, redete sie sich ein.

Das Atelier wollte ihr nicht aus dem Kopfe gehen. Das große Wohnzimmer hatte einen dreifenstrigen Erker. Dieser Erker war das Reich ihres Knaben. Dort lag der Spielteppich, dort stand die Boxe, in der Karlchen das Laufen gelernt hatte. In dieser Boxe war er gut aufgehoben, wenn die Mutter und Emilie in der Küche beschäftigt waren. Wenn sie die Staffelei in den Erker stellte? – – Vielleicht ließ sich die Boxe an eine der Zimmerwände schieben; sie brauchte nur das kleine Sofa fortzunehmen. Das Sofa fand sicherlich noch einen Platz im Eßzimmer.

»Ja, so geht es!« rief Pucki laut. Noch heute wollte sie die nötigen Veränderungen vornehmen, und morgen früh schon stand sie zum ersten Male im eigenen Atelier. Pucki lachte fröhlich auf. Das Atelier war zwar klein und behelfsmäßig und nicht so, wie es richtige Künstler hatten, aber – es war der Anfang.

»Ich vernachlässige meine Pflichten nicht im geringsten, ich habe Karlchen während der Arbeit unter meinen Augen«, tröstete sich die junge Frau.

Am nächsten Morgen wurde umgeräumt. Pucki hatte dem Gatten nichts von ihrem Plan gesagt. Wenn er mittags zum Essen kam, würde er die Atelierecke bereits vorfinden und sicherlich ihren praktischen Sinn bewundern.

Karlchen war der erste, dem die Veränderung nicht gefiel. Er fühlte sich an seinem neuen Platz gar nicht wohl, er schrie und lärmte und wollte wieder in den Erker zurück, in dem das merkwürdige Ding mit den hohen Beinen stand. Dieses Ding erregte des Kindes höchste Aufmerksamkeit. Da er mit dem Schreien nicht aufhörte, hob ihn Pucki aus der Boxe, gab ihm den Wollhund und die Wollkatze zum Spielen und setzte ihn mitten ins Zimmer. Als er die Mutter verdutzt ansah, als er Hund und Katze fest an sich drückte, überkam Pucki plötzlich die Lust, den kleinen Kerl, so wie er sich jetzt zeigte, zu malen.

»Du bleibst sitzen!« rief sie ihm zu.

Der Ton ihrer Stimme klang so befehlend, daß Karlchen tatsächlich regungslos sitzenblieb. Rasch öffnete Pucki den Malkasten. Erst nahm sie die Kohlestifte, um die Umrisse hinzuwerfen.

Karlchen verzog das Gesicht und begann erneut zu weinen.

»Herrlich, herrlich«, jubelte Pucki, »heule kräftig, du süßer Bengel. Es soll ein Bild werden, über das sogar Lars Alsen staunen wird!«

Emilie kam ins Zimmer und stellte eine wirtschaftliche Frage, aber Pucki fuhr sie kurz an.

»Es hat noch viel Zeit mit dem Essen. – Jetzt kann ich nicht abkommen!«

Karlchen stellte sich auf die kleinen Füßchen, fiel wieder auf die Nase, schrie zornig auf und krabbelte dann auf allen vieren zur Staffelei. Pucki ließ ihn ruhig gewähren. Was sie brauchte, war bereits auf der Leinwand. Später mußte sich Karlchen wieder in die gewünschte Stellung setzen, doch jetzt ließ sie ihn für ein Weilchen tummeln.

Pucki arbeitete emsig. Sie übersah es, daß Karlchen mit beiden Händchen das eine Bein der Staffelei erfaßte. Im nächsten Augenblick fiel der Rahmen mit der aufgespannten Leinwand zu Boden. Neues Geschrei begann, in das sich Puckis Schelten mischte. Karlchen bekam einige tüchtige Klapse und wurde in die Boxe gesetzt. Pucki stellte das Bild zurück auf die Staffelei und zeichnete weiter. Daß Karlchen ein Stück Kohlestift mitgenommen hatte, ahnte die junge Mutter nicht. Erst später, als sie sich nach ihm umwandte, weil er gar so still war, sah sie, was der Kohlestift angerichtet hatte. Karlchen malte auf seinem hellblauen Kittel Striche, malte auf den Fußboden, auf den weißen Wollhund und wischte mit den schwarzen Händen die Tränen von den Wangen und staunte grenzenlos darüber, daß seine weißen Hände plötzlich schwarz waren.

Pucki blieb das Schelten im Halse stecken. Wie sah das Kind aus!

»Ei – Mama ei«, krähte der kleine Kerl und lachte vergnügt.

Wenn Claus nur jetzt nicht nach Hause käme! Schnell erst den kleinen Schmutzbengel waschen und die Spuren des Kohlestiftes vertilgen.

»Ein Ferkel bist du!« rief Pucki erzürnt und hob den Knaben aus der Boxe.

»Mama soooo lieb!« rief Karlchen, und die kleinen schwarzen Händchen fuhren der Mutter liebkosend ins Gesicht. Pucki bog den Kopf zurück, aber Karlchen schaute strahlend auf die fleckigen Wangen seiner Mutter und jauchzte vor Vergnügen.

»Mama – Mama – Mama!« Wieder patschten die Kinderhände in Puckis Gesicht und wischten in dem Blondhaar herum. Die junge Mutter konnte sich kaum erwehren.

»Laß das, du Unart!« Aber Karlchen fand es so wunderbar schön, die Mutti in einen schwarzen Mann zu verwandeln. Immer flinker arbeiteten die kleinen Hände, bis Pucki den Knaben verärgert auf den Boden setzte. Dann gingen beide ins Schlafzimmer, wo eine gründliche Säuberung vorgenommen wurde.

So war die erste Arbeitsstunde im eigenen Atelier nicht gerade angenehm verlaufen. Emilie mußte kommen und die Diele säubern, weil Karlchen auch ein Stück des Kohlestiftes zertreten hatte. Dann erhielt sie den Auftrag, den Knaben in der Küche zu behalten. Pucki wollte unter allen Umständen weiter an dem begonnenen Bilde arbeiten. Noch sah sie in Gedanken das Kind auf der Erde sitzen. Dieses Bild mußte festgehalten werden.

Mit Feuereifer machte sie sich wieder an die Arbeit. Wohl hörte sie einmal Karlchens weinerliche Stimme, aber diesmal ließ sie sich nicht stören. Sie wollte alles daransetzen, Lars Alsen morgen ihre Kunst zu zeigen.

Emilie erschien zum zweitenmal im Wohnzimmer und stellte eine Frage wegen des Mittagessens.

»Bereiten Sie alles vor, in einer halben Stunde bin ich draußen.«

Emilie hatte jedoch aus dem Keller Kohlen zu holen; darum brachte sie Karlchen zurück ins Zimmer und setzte ihn in die Boxe. Doch während sie im Keller war, brannte in der Küche der Milchreis an.

Beim Mittagessen schaute Claus fragend seine Frau an. »Es ist heute vormittag wohl ein wenig unruhig gewesen, Pucki? Was ist geschehen? Was hat der arme Milchreis getan?« fragte er.

»Ich habe eine Überraschung für dich, Claus. Wärst du etwas eher gekommen, hätte ich dir alles schon gezeigt. – Ich habe ein Atelier.«

»Ein Atelier?«

»Ja, Claus, es war unbedingt notwendig. Lars Alsen sagte, man hätte sonst nicht die nötige Sammlung zur Arbeit. Aber – es ist noch nicht das richtige Atelier. Ich konnte mich heute nicht sammeln, Karlchen störte mich.«

»Das Kind störte die Mutter?«

Pucki stocherte im Essen herum. »Nur weil ich malen wollte, Claus. Ich war gerade in Stimmung. – Würdest du dich nicht furchtbar freuen, wenn ich dir zu Weihnachten ein selbstgemaltes Bild schenkte? – Ein Bild von unserem Jungen?«

»Pucki, ich würde mich über jede Handarbeit von dir freuen. Du weißt, wie lieb ich jenes Kissen habe, das du mir voriges Jahr schenktest. Ich weiß, daß du während dieser Arbeit bei Karlchen saßest und dein ganzes Mutterglück in die Blumen hineingearbeitet hast.«

»Und jetzt male ich unser Familienglück in das Bild hinein, Claus.«

Nach dem Essen fragte er nach dem Atelier. Pucki führte ihn ins Wohnzimmer. Er schaute sie ernst an.

»Vielleicht wäre es richtiger gewesen, wenn du unserem Jungen für die bevorstehenden Wintermonate den hellen Erker zum Spielen gelassen hättest. Möchtest du den alten Zustand nicht wiederherstellen?«

Pucki sagte nichts dazu. Aber in der nächsten Malstunde warf sie bei Lars Alsen die Frage auf, ob es nicht unbedingt notwendig sei, daß ein Mensch, der durch ernstes Streben in der Malerei etwas Gutes leisten wolle, ein Atelier brauche.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Frau Doktor«, erwiderte der Künstler. »In meinem Hause gibt es mehrere helle Zimmer. Ich richte Ihnen kostenlos einen Raum her. Sie können dann täglich einige Stunden ungestört darin arbeiten.«

Pucki erwiderte nichts. Gewiß, es würde gehen, daß sie im Anschluß an die Unterrichtsstunden hierblieb, statt in der Konditorei zu sitzen. Aber im Atelier konnte sie nachmittags nicht arbeiten, weil jetzt im November das Tageslicht fehlte.

»Ich hätte nur nachmittags Zeit.«

»Sie müßten vormittags kommen, um richtiges Licht zu haben.«

»Ich bin Hausfrau – –«

»Ja, das müssen Sie sich überlegen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Zimmer.«

Pucki meinte, sie könne sich das Zimmer wohl ansehen. So folgte sie dem Maler. Sie betraten vom Atelier aus einen hellen Nebenraum. Auf einer Staffelei stand ein fast vollendetes Bild, das eine wunderschöne Frau in großer Gesellschaftstoilette darstellte.

»Wie schön!« klang es von Puckis Munde.

»Gefällt Ihnen das Bild?«

»Was ist das für eine herrliche Frau! – Malen Sie die Dame?«

»Ja, es ist Frau Selenko. Sie kommt wöchentlich zweimal zu mir, manchmal auch öfter.«

»Das ist ja eine selten schöne Frau!«

»Eine interessante Frau.«

»Wohnt sie in Holzau?«

»Nur vorübergehend. Der Gnädigen ist es daheim zu langweilig geworden. Sie machte sich auf die Reise und landete hier bei einer Freundin auf einem Gute. Das Landleben wurde ihr aber auch rasch über, und um ein wenig Abwechslung zu haben, kam Frau Elzabel Selenko auf den Gedanken, sich von mir malen zu lassen.«

»Das sind gewiß interessante Stunden?«

»Eine recht unterhaltende Frau. – Wollen Sie sie kennenlernen, Frau Doktor?«

»Sie ist wohl sehr elegant?«

»Reich und elegant.«

»Ich schwärme für reiche und elegante Frauen.«

»Wenn Sie morgen vormittag gegen elf Uhr herkommen, können Sie mit Frau Elzabel bekannt werden.«

»Elzabel – das allein schon ist ein merkwürdiger Name.«

»Frau Selenko liebt das Außergewöhnliche. Der schlichte Name Elisabeth schien der schönen Frau nicht passend. So wurde Elzabel daraus.«

»Ich finde den Namen schön. – Elzabel – ja, so muß diese Frau in dem kostbaren Gewande heißen. – Elzabel. – Ach ja, ich möchte sie kennenlernen. Ich werde ihr natürlich zu einfach sein.«

»Frau Elzabel sehnt sich nach Bekanntschaften. Die Freundin hat wenig Zeit für sie übrig, da sie Mutter von drei Kindern ist. Ich glaube, ich leiste Frau Elzabel einen Dienst, wenn ich Sie miteinander bekannt mache.«

»Das wäre herrlich!«

»Frau Elzabel hat ein eigenes Auto, steuert den Wagen selbst, macht gerne Ausfahrten und ist sehr anregend. Wenn Sie wollen, dann stellen Sie sich morgen um elf Uhr ein.«

»Ob ich ihr gefallen werde?«

Der Maler lachte. »Warum nicht? Ich möchte sie beide nebeneinander malen. Das könnte ein interessantes Bild werden.« –

Pucki dachte daran, daß sie eigentlich, wenn sie morgen dieser eleganten Frau gegenüberstehen würde, den Wintermantel vom vorigen Jahr nicht mehr gut tragen könnte. Einen neuen kaufen? Nein, der Mantel war noch sehr gut. Sie konnte Claus unmöglich diese neue Ausgabe zumuten.

Nach dem Unterricht ging sie aber doch nach der Hauptgeschäftsstraße und blieb vor einem Schaufenster stehen, in dem Wintermäntel ausgestellt waren. Nach einigem Zögern betrat sie sogar den Laden.

»Kaufen will ich noch nicht, erst etwas ansehen«, dachte sie.

Sie verließ das Geschäft auch wieder, ohne einen Mantel erstanden zu haben. Zu Hause stand sie lange vor dem Spiegel. »Er wird schon noch gehen! Ich habe ohnehin in letzter Zeit zu viel Geld ausgegeben für die Stunden, für Staffeleien, Farben und Fahrgeld. Ich muß sparen, wie es sich für die Frau eines Arztes gehört. Ja, wäre ich Carmen oder Frau Elzabel! – Ach, es muß schön sein, viel Geld zu haben! Vielleicht werde ich einmal reich!«


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