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Mit welcher Freude hatte Pucki sonst dem Weihnachtsfest entgegengesehen. Diesmal quälte sie eine innere Unruhe. Es gab Stunden, in denen sie in aller Heimlichkeit bedauerte, den Malunterricht begonnen zu haben. Einmal nahm ihr der Unterricht Zeit, zum zweiten kostete er viel Geld. Wenn auch Claus ohne Murren das Honorar an Lars Alsen zahlte, so waren doch viele Nebenausgaben notwendig, die Pucki nicht zu gestehen wagte. Die Folge war, daß sie aus der Weihnachtskasse hin und wieder ein Fünfmarkstück nahm und sorgenvoll das Zusammenschrumpfen der Rücklagen betrachtete. Wenn sie erst ans Einkaufen ging, würde der Beutel recht schmal sein und Claus sich wundern, daß sie dieses Jahr ihre Geschenke spärlicher als sonst bemaß. Zum dritten aber machte ihr die Bekanntschaft mit Frau Elzabel Selenko Sorgen. Die schöne und elegante Frau würde bestimmt wieder ein Zusammensein mit ihr suchen; eines Tages mußte aller Schwindel herauskommen. Frau Elzabel brauchte nur ein einziges Mal nach Rahnsburg zu kommen und Pucki aufsuchen, um sofort mit ihrem geschulten Blick zu erkennen, daß man nicht in solchem Luxus lebte, wie Pucki es die schöne Frau hatte glauben machen wollen.
Wohlverwahrt lagen die Südfrüchte, die sie gekauft hatte. Nur von den Apfelsinen brachte sie einige herbei. Alles andere sollte für das Weihnachtsfest bleiben. Wozu die teuren Malagatrauben, die Datteln, die Feigen und Knackmandeln vorher essen? Sie waren leider gekauft, so wollte sie diese Dinge in die Weihnachtseinkäufe einschmuggeln.
Es war aber noch etwas anderes, was die junge Frau nicht mehr froh werden ließ. Während sie sonst recht gern mit Doktor Kolbe und dessen Frau plauderte, wich sie dem alten Ehepaar jetzt geflissentlich aus. Sie zitterte in dem Gedanken, daß Claus eines Tages mit Doktor Kolbe reden könne und von ihm erfuhr, daß sie vor wenigen Tagen mit dem Vormittagszuge nach Holzau gefahren sei.
Auch Agnes war zu fürchten, die während der Malstunden ins Haus kam, um sich mit Karlchen zu beschäftigen. Gestern mittag, als man beim Essen saß, wäre beinahe schon alles ans Sonnenlicht gekommen. Agnes sagte:
»Du kommst gar nicht mehr zu uns ins Forsthaus, Pucki. Mutter wundert sich schon darüber.«
Pucki wurde es für Sekunden schwarz vor den Augen, denn gerade zwei Tage zuvor hatte sie dem Gatten gesagt, daß sie bei den Eltern gewesen sei. Nun diese Bemerkung der jüngsten Schwester!
»Ich finde, das Fleisch ist heute nicht recht weich. – Was habe ich nur gemacht! Ich kann mich furchtbar über das schlechte Fleisch ärgern. Findest du es nicht auch? Die Schuld liegt nicht an mir, Claus. Das Fleisch ist wirklich hart.«
Claus blickte erstaunt auf seine junge Frau, die ihre Worte hastig und ängstlich hervorstieß. Doch Pucki wollte nur das verhängnisvolle Gespräch abwenden. Immer wieder sprach sie von dem harten Fleisch, bis Agnes meinte:
»Ich weiß nicht, was du willst, das Fleisch ist doch butterweich.«
Wenn Agnes nochmals von den Eltern zu reden begann, wenn Claus die Unterhaltung aufgriff und sie fragte – – Was sollte sie sagen? Es war furchtbar! Was doch eine einzige Unwahrheit alles im Gefolge halte!
Aber auch die Rahnsburger konnten zum Verräter ihres Besuches in Holzau werden. Gestern, beim Einkaufen, sagte der Kaufmann, er habe sie aus dem Auto steigen sehen. Er hoffe nicht, daß sie krank sei oder ihre Besorgungen in einer anderen Stadt mache.
»Ich glaube, es war ein Holzauer Wagen, aus dem Sie stiegen.«
Leicht hätte sich hier eine Ausrede finden lasten, aber Pucki kam über jede Bemerkung, die sich auf ihr Unrecht bezog, völlig aus ihrer Sicherheit. Wenn es klingelte, so fürchtete sie, Frau Elzabel könne draußen stehen und sie zum Ausflug nach der Waggerburg abholen.
Heute nachmittag würde sie wieder zum Unterricht nach Holzau fahren, zu Lars Alsen, zum Meister! Er würde ihr von Frau Elzabel erzählen. Vielleicht war die schöne Frau auch im Atelier, um mit ihr ein weiteres Zusammentreffen zu verabreden. Eine Einladung zum Essen im Hotel Hensel drohte ebenfalls. Der Meister würde sie gewiß daran erinnern, denn ein kostenloses Festesten ließ er sich ungern entgehen.
Leise stöhnte Pucki vor sich hin. Ob sie heute die Malstunde ausfallen ließ? – Ob sie den Meister bat, von nun an den Unterricht auf einen anderen Tag zu legen, um Frau Elzabel irrezuführen?
»Unsinn«, sagte sie laut, »Frau Elzabel kommt oft ins Atelier, um sich malen zu lassen, sie erfährt die Änderung doch sogleich. Was beginne ich, wenn ich sie heute treffe? Ich kann doch nicht wieder ein teures Auto nehmen, das ich vom Wirtschaftsgeld bezahlen muß.«
Pucki ging an den Schreibtisch, in dem Wirtschaftskasse und Weihnachtskasse standen. Sie ließ die vorhandenen Gelder durch die Finger gleiten und zählte; dabei kam wieder ein schwerer Seufzer über ihre Lippen.
»Es reicht nicht! – Was tue ich nur? – Soll ich Claus um Zulage bitten? – Bis jetzt habe ich mit dem Wirtschaftsgeld gut gereicht. Dieses Mal fehlen mir – wahrscheinlich dreißig Mark.«
In der Weihnachtskasse lag ein langer Zettel, auf den sie geschrieben hatte, was zum Fest alles bedacht werden mußte. Pucki grübelte, was sie streichen könnte; leider fand sie nichts. Außerdem machte es ihr große Freude, recht viel schenken zu können.
Sie sah auf das Geld und verkrampfte die Hände. »Es verwickelt sich mehr und mehr! Es wird immer schlimmer! Ich bin wie eine Fliege im Netz der Spinne. Von allen Seiten lauern Gefahren, lauert die Entdeckung. – Was mache ich? Wie bringe ich mein Unrecht aus der Welt? – Ach, Claus, du sagst, ich solle Vertrauen zu dir haben. – Claus, lieber Claus, ich habe es nicht mehr, ich habe nur Angst. Was sagtest du an unserem dritten Hochzeitstage? Das fehlende Vertrauen ist der Anfang einer unglücklichen Ehe. Wenn durch meine Schuld unsere Ehe unglücklich würde – alles Glück wäre hin! – Ach, was beginne ich?«
Seufzend schloß Pucki den Schreibtisch wieder zu.
»Ich werde von heute an furchtbar sparen, werde in Holzau nach dem Unterricht in keine Konditorei mehr gehen, werde mir jeden Schluck warmen Kaffee versagen. Ich muß von meinem Gelde die dreißig Mark ersetzen. Ach, wie soll das nur enden?«
Ob sie vielleicht einige der Skizzen verkaufen konnte? Darüber wollte sie heute mit dem Meister reden, wollte ihn fragen, ob er ihr helfen könne. Für dreißig Mark wollte sie eines ihrer Bilder gerne hergeben. Claus durfte natürlich auch davon nichts wissen.
Puckis zur Faust geballte Hand fiel auf die Tischplatte. »Da geht es schon wieder los«, rief sie, »Claus darf nichts wissen! Immer neue Geheimnisse vor Claus, und das soll eine Ehe mit Vertrauen sein? – Ach, ich möchte mich vor alle Ehefrauen hinstellen und ihnen sagen: Beschwindelt niemals den Gatten, wer es erst einmal getan hat, ist gezwungen, hundert andere Lügen zu ersinnen. – Ach, wie bin ich unglücklich!«
Ruhelos schritt Pucki im Eßzimmer hin und her.
»Ich habe Angstzustände! Ich schrecke bei jedem Klingeln zusammen und bilde mir ein, jeder könne mich verraten. – Ja, ich habe Angst, ich habe Angst. – Ach, wie furchtbar sind diese Zustände!«
»Pucki!«
Sie fuhr zusammen, sie sah Claus in der Tür stehen und wurde abwechselnd rot und blaß.
»Pucki, was ist eigentlich mit dir los? Du gefällst mir in den letzten Tagen nicht mehr. – Was sind das für Angstzustände? Woher kommen sie?«
»Ich dachte, du bist über Land?«
»Nein, Pucki, ich habe meinen schlimmsten Patienten im eigenen Hause. Komm, setze dich ein wenig zu mir, Pucki, noch geht dein Zug nicht. – Was fehlt dir?«
Wäre es nicht richtig gewesen, ihm in dieser Stunde alles zu sagen, die Malstunde aufzugeben und lieber das Zusammensein mit dem Gatten zu benutzen, um sich von der seelischen Last zu befreien? Aber es mußte so viel gebeichtet werden. Aus der einen kleinen Lüge war bereits ein ganzes Dutzend geworden.
»Ach, Claus – du weißt ja – mitunter fühle ich mich nicht ganz wohl.«
»Puckilein«, sagte er innig, »so schone dich. Ich glaube, das Fahren nach Holzau bekommt dir nicht. Nun kommen auch noch die Weihnachtsvorbereitungen hinzu. – Pucki, mußt du wirklich Malstunden nehmen?«
Wie lieb er scherzen konnte. War es nicht ein himmelschreiendes Unrecht, diesen Mann zu belügen?
»Der Reichtum, den du von der Malerei erhoffst, wird wahrscheinlich nicht kommen. Da sind zuerst die Kinder da, die versorgt sein wollen. Aber – Pucki, eine kleine Vorfreude kann ich dir schon machen. Ich wollte sie dir eigentlich erst als Tatsache auf den Weihnachtstisch legen. Du siehst jedoch in den letzten Tagen so elend aus, du bist so voller Unruhe, da wird dir diese Nachricht willkommen sein.«
Sollte sie ihm doch endlich alles sagen? Er hielt sie so zärtlich im Arm, seine Stimme klang so gut. Vielleicht freute er sich darüber, wenn sie jetzt einwilligte, die Stunden in Zukunft aufzugeben.
»Du weißt, kleine Frau, daß im Sommer unser alter Onkel Max gestorben ist und daß es hieß, er habe seine beiden Neffen Claus und Eberhard im Testament bedacht.«
»Ja, dann habe ich wochenlang gewartet, daß wir etwas erben würden. Als nichts kam, habe ich einen dicken Strich durch meine Hoffnungen gemacht.«
»Ich sagte meiner ungeduldigen Frau, daß sie sich gedulden solle.«
»Und nun?« fragte Pucki mit blitzenden Augen, »kriegen wir was von Onkel Max?«
»Sehr wahrscheinlich.«
Die Arme, die Pucki um des Gatten Hals gelegt hatte, sanken herab. »Wahrscheinlich«, wiederholte sie mit grenzenloser Verachtung, »das ist gerade was Rechtes. – Schon damals hieß es genau so!«
»Du ungeduldige, geldgierige Frau! – Nun ist es aber bald so weit, und zwar wird es eine hübsche Summe!«
»Wirklich und wahrhaftig, Claus?«
»Ich glaube, wir brauchen nicht erst auf den Verkauf deines ersten großen Gemäldes zu warten. Das Geld – ungefähr dreißigtausend Mark, dürfte uns noch bis Weihnachten ausgehändigt werden.«
»Dreißigtausend Mark!« tönte Puckis Stimme durch den Raum, »dreißigtausend Mark! – Und da gräme ich mich wegen dreißig Mark?«
»Ja, Pucki, dreißigtausend für mich und ebensoviel für Bruder Eberhard.«
»Claus – dreißigtausend Mark, dreißigtausend Mark! – Lieber Claus, bitte, gib mir einen Vorschuß von dreißig Mark, denn diesen Tag müssen wir feiern. Wir kaufen auch Karlchen einen blauen Sammetanzug mit weißem Kragen, und an Carmen schreibe ich, daß wir uns wahrscheinlich neu einrichten werden. – Eberhard bekommt genau so viel? Eberhard braucht das Geld eigentlich nicht, er hat eine gute Stellung als Schiffsbauingenieur. Oder doch, wir wollen es ihm lassen, und er heiratet dann Waltraut. Die hat er doch sehr gern. Waltraut hat es sehr schwer im Krankenhaus, und es ist doch für jedes Mädchen der schönste Beruf, zu heiraten und Frau und Mutter zu sein.«
Mit verhaltenem Lachen betrachtete Claus seine jetzt sprühende Frau.
»Claus, wir könnten aber auch aus Rahnsburg fortziehen und uns in einer Großstadt eine nette Wohnung nehmen, wir hätten dann ein Abonnement im Opernhaus und hörten schöne Konzerte. – Weißt du, wir lieben doch beide die Musik. Karlchen hätte für später das Gymnasium am Ort. – Claus, dreißigtausend Mark ist sehr viel Geld! – Bitte, gib mir dreißig Mark Vorschuß.«
»Wofür, kleine Pucki? Du weißt, ich muß bei dir ein wenig bremsen.«
Ein tiefer Seufzer war zu hören. »Claus, in dieser Stunde hohen Glückes möchte ich dir ein Geständnis machen.«
»Aha, daher die Angstzustände, kleine Frau!«
»Ja! – Du sagtest einst: habe Vertrauen! – Das ging mir wie ein Schwert durch die Brust. – Ja, ich habe Vertrauen zu dir, und – schließlich ist es doch nicht schlimm, wenn ich für meinen Mann, der dreißigtausend Mark Vermögen hat, einmal Feigen und Datteln kaufe – –«
Da wurde die Tür stürmisch geöffnet, Agnes stürmte ins Zimmer. »Bist du immer noch hier, Pucki? Du wirst den Zug verpassen, du mußt doch zur Pinselei!«
»Ach was, Pinselei hin, Pinselei her! Wir haben jetzt viel Geld. – Claus, würdest du nicht mal an Eberhard schreiben, ob er uns sein Geld auf Hypothek gibt? Wir könnten dann auch eine eigene Villa haben wie Carmen. – Vielleicht in Wiesbaden?«
»Dein Zug fährt ab, Pucki!«
»Laß ihn fahren, wir haben jetzt Wichtigeres zu besprechen!«
»Bist du endlich zur Vernunft gekommen?« fragte Agnes. »Wenn du nicht nach Holzau fährst, komme endlich mal zur Mutter. Es ist doch keine Art, sich so wenig zu zeigen. Seit vierzehn Tagen bist du nicht im Forsthaus gewesen!«
»Wir bekommen dreißigtausend Mark, Agnes!«
»Na, na, Agnes«, lenkte Claus ein, »am letzten Dienstag war Pucki doch bei euch.«
»Nein!«
»Wir bekommen dreißigtausend Mark«, rief Pucki noch lauter. »Was hast du für einen großen Weihnachtswunsch, Agnes? Bis hundert Mark kannst du dir wünschen. – Nicht wahr, Claus, so viel geben wir für sie aus? Sie ist doch jetzt unser Kinderfräulein – –«
»Gelacht – aber am Dienstag warst du nicht bei uns!«
Puckis Lippen begannen schon wieder zu zittern. Dieser Zustand stellte sich stets ein, wenn sie auf einer Unwahrheit ertappt wurde. Schon als Kind war es so gewesen.
»Claus, du reicher Ehemann«, wandte sich Pucki an den Gatten, »wie wäre es, wenn du heute deine Frau nach Holzau begleiten würdest, wenn wir dort unsere ersten Weihnachtseinkäufe machten?«
»Nein, mein Kind, ich kann nicht fort. Um drei Uhr hat sich eine Dame zur Untersuchung angemeldet. Sie will nicht in die Sprechstunde kommen. Ich sagte zu, und so muß ich hierbleiben.«
»Ach – sie kann später kommen! Kannst du sie nicht fortschicken oder für morgen bestellen?«
»Nein, Pucki, die Dame kommt aus Holzau oder gar noch von weiter her, von einem Gut bei Holzau.«
»Ach – –«
»Später wird es sich einmal einrichten lassen, daß wir gemeinsam fahren, um Einkäufe zu machen. Heute kann ich unmöglich dieser anscheinend verwöhnten Frau absagen.«
»Eine – verwöhnte Frau? – Aus Holzau – oder von einem Gut? – Claus, wer ist das?«
Er sah, daß Pucki erblaßte und führte sie zum Diwan. Dort legte er sie sorgsam nieder. »Kind, du machst mir wirklich Sorgen. – Was ist denn geschehen?«
»Die dreißigtausend Mark sind ihr in den Kopf gestiegen«, ließ sich Agnes vernehmen.
Claus ließ einen kurzen Pfiff hören und machte mit der Hand eine Bewegung zur Tür, worauf Agnes rasch verschwand. Sie wußte, daß mit Claus nicht zu spaßen war, der war mitunter sehr kurz und energisch.
Pucki starrte zur Zimmerdecke hinauf. Es war ja Unsinn, daß sie in dieser Patientin Frau Elzabel Selenko vermutete. Es gab genügend reiche Frauen, die einen Arzt aufsuchten. Außerdem war Claus als gewissenhafter Arzt bekannt.
»Wie heißt die Frau?«
»Sage mir lieber, mein Kind, wie du dich fühlst. – Komm herüber, ich werde dich einmal genau untersuchen.«
»Nein, ach nein! – Um drei Uhr kommt die verwöhnte Frau? – Sie verlangt eine gründliche Untersuchung, Claus?«
»Aber Pucki, was kümmert dich eine Patientin?«
»Ist sie sehr schön?«
»Ja, eine selten schöne Frau.«
»Aha, sie war also schon einmal hier?«
»Ja – gestern, im eigenen Wagen. Nur für einen Augenblick. Wir setzten den heutigen Tag für die Untersuchung fest.«
»Es macht – es macht –«, Puckis Stimme schwankte merklich, »dir wohl viel Freude, eine schöne Frau zu behandeln?«
»Pucki, ich werde ernstlich böse, wenn du so dummes Zeug redest!«
»Wenn sie doch so schön ist. – Claus, wie heißt sie?«
»Das geht meine kleine, neugierige Frau nichts an. – Ich will lieber sehen, was dir fehlt.«
»Nur Angstzustände – weiter nichts.«
»Die will ich schon wieder fortbringen.«
»Wenn wir die dreißigtausend Mark haben, dann wird alles wieder gut.«
Claus legte seiner Frau die Hände auf die Schultern und blickte sie lange an. »Sage mal, Pucki, kennst du die Dame? – Hast du sie vielleicht von Holzau aus geschickt? Ist sie dir gut bekannt, hast du vielleicht das Lob deines Mannes zu laut gesungen? Sei aufrichtig, Pucki, kennst du die Frau?«
»Ich weiß doch nicht, wie sie heißt, Claus. Du hast es mir nicht gesagt.«
»Nun, ihren Namen will ich dir gern nennen: Elzabel –«
»Ich habe es gewußt«, stieß Pucki heraus.
»Du kennst sie also?«
»Claus – wenn wir das viele Geld haben werden, ziehen wir fort von hier.«
»Was – soll das heißen?«
»Ach, Claus, wenn man dreiundzwanzig Jahre alt ist, hat man noch wenig Lebenserfahrungen, das siehst du doch ein. Ein Mensch mit dreiundzwanzig Jahren kann doch mal eine Dummheit machen.«
»Ja – doch dann soll er sie bekennen.«
Ganz plötzlich begann Pucki heftig zu weinen. »Claus, ich bin ganz auseinander! Bitte, sage zu Frau Elzabel kein Wort von mir, ich flehe dich an!«
»Was ist mit Frau Elzabel, mein liebes Kind?«
»Ich lernte sie im Atelier des Meisters kennen. Sie ist so schön, so elegant. – Ich wollte auch gerne elegant sein.«
»Da konnte meine kleine Frau nicht widerstehen und kaufte sich in Holzau ein neues Kleid und einen neuen Hut – –?«
»Nein, Claus, so weit ist es noch nicht! Das tue ich erst von den dreißigtausend Mark, aber – –«
Der Fernsprecher läutete. Claus trat an den Apparat, sprach einige Worte hinein und kehrte zu Pucki zurück. »Ich muß rasch einen Krankenbesuch am Markt machen. Um drei Uhr bin ich spätestens wieder hier. Vielleicht können wir vorher noch weiter über deine Angstzustände reden.«
Aber Claus kam nicht so rasch zurück. Schon eine Viertelstunde vor drei Uhr stand Pucki hinter der Gardine am Fenster und sandte ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel.
»Lieber Gott, laß sie nicht kommen! Ich wünsche ihr ja nur eine kleine Panne, nur laß sie nicht kommen.«
Kurz vor drei Uhr kam Claus zurück. Er begab sich sogleich in sein Arbeitszimmer. Wahrscheinlich hatte er Notizen zu machen. Pucki stand noch immer hinter der Gardine. Es war zehn Minuten nach drei Uhr, der Wagen mit Frau Elzabel zeigte sich nicht. In Puckis Herz regte sich neues Hoffen.
»Sie kommt nicht! Es wäre auch zu schrecklich gewesen.«
Da kam ein Wagen in rascher Fahrt um die Straßenecke und hielt vor dem Hause an. Pucki zuckte schmerzlich zusammen, als sie die in den kostbaren Pelz gehüllte schöne Frau aussteigen sah. Heute steuerte sie ihren Wagen nicht selbst. Vorne saß ein Mann in hellgrauer Uniform mit Silberknöpfen.
»Überall höchste Eleganz! Und hier – hier – –? Wenn wir nur erst die dreißigtausend Mark hätten!«
Jetzt wurde Frau Elzabel von Claus begrüßt, jetzt lächelte sie ihn an, genau so, wie sie den Meister anlächelte. Dann folgte die Untersuchung. Wahrscheinlich klagte sie über hundert Dinge, nur um recht lange mit ihm zu reden. – Sie langweilte sich, wollte nur Unterhaltung. Dazu wählte sie einen Mann, der in glücklichster Ehe verheiratet war.
»Was weiß sie von einer glücklichen Ehe?« zürnte Pucki. »Sie fährt allein in der Welt umher und läßt ihren Mann daheim. Ach, wäre sie doch erst wieder fort! – Diese Schlange – sie glaubt, ich wäre heute in Holzau! Da kommt sie her! – Das ist eine Gemeinheit! – Ach, ich habe ja solche Angstzustände!«
Aus dem Brüten schreckte Pucki ein klirrendes Geräusch. Hastig eilte sie ins Nebenzimmer. Karlchen war von Agnes, als er ausgeschlafen hatte, ins Wohnzimmer getragen worden. Das Kind benutzte ein kurzes Alleinsein, um am Zipfel der Tischdecke zu ziehen. Es machte ihm Freude zu sehen, wie das große Tuch hinter ihm herkam. Dann ein kurzer Schrei! Die große Kristallvase, ein Hochzeitsgeschenk, die mit Blumen auf dem Tisch stand, fiel zur Erde, zerbrach und ergoß den feuchten Inhalt über den Teppich.
Pucki eilte herbei und rief nach Agnes. Die stand in der Küche bei Emilie und plauderte. Karlchen bekam einige tüchtige Schläge auf die Hände, dann sammelte Pucki schnell die Scherben, trug sie hinaus und zankte draußen mit Agnes. Im Zimmer aber bestaunte Karlchen inzwischen den kleinen Fluß, der immer weiter über die Diele kroch, zum Ofen hin. Da im Ofenvorsetzer noch kleine Kohlenstückchen lagen, hielt es der Knabe für richtig, auf dem Fluß ein paar Schiffe schwimmen zu lasten. Die feuchten Schmutzfinger wurden dann am Kittelchen abgewischt, so daß sich Pucki, als sie zurück ins Zimmer kam, wieder einmal ein schauerliches Bild bot. Doch Karlchen jauchzte erfreut auf.
»An allem ist Frau Elzabel schuld«, weinte die junge Mutter, denn Karlchen hatte den Kittel zum ersten Male an. »Scherben bringen Glück – vielleicht aber bedeuten diese Scherben, daß mein Glück in Scherben geht! – Ach, ich habe solche Angst – sie ist gar zu schön!«
Karlchen mußte umgezogen und gewaschen werden. Emilie säuberte das Zimmer, doch Puckis Gedanken weilten beständig bei Claus und Frau Elzabel.
»Wie lange dauert denn diese Untersuchung!«
Erst nach vier Uhr klappte die Tür. Pucki eilte ans Fenster, sah Frau Elzabel in den Wagen steigen und abfahren. Claus kam nicht zu ihr, denn im Wartezimmer harrten bereits drei neue Patienten darauf, von ihm untersucht zu werden. Die Sprechstunde hatte begonnen.