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Pucki fühlte sich innerlich erleichtert. Am Weihnachtsabend war alles gesagt worden, was ihr das Herz so lange schwer gemacht hatte. Nichts hatte sie verschwiegen. Von Zeit zu Zeit hielt sie in ihrem Bericht inne, um zu überlegen, was noch zu sagen wäre. Claus hörte ihr wortlos zu. Manches betrübte ihn, für vieles hatte er nur ein verstehendes Lächeln. Wohl war ihm klar, daß die unüberlegten Handlungen Puckis Schlimmeres hätten heraufbeschwören können; doch nun war die Gefahr gebannt und Pucki voll guter Vorsätze.
Die Schulden an die Mutter wurden schon am ersten Weihnachtsfeiertag zurückgezahlt. Claus schenkte seiner Frau den Betrag, und sie schwur ihm hoch und heilig, nie wieder Schulden zu machen, da sie erkannt hätte, daß Schulden furchtbar drücken könnten. In einen Wortschwall kleidete sie ihre Verachtung für alle Malerei, und sie hätte ebenfalls geschworen, nie wieder einen Stift oder gar einen Pinsel zur Hand zu nehmen, wenn nicht Claus energisch dazwischengefahren wäre.
»Es ist ganz nett, Pucki, wenn du einmal irgendwo eine Skizze machst, aber nur für deine Familie oder – um eine schöne Gegend in der Erinnerung festzuhalten.«
»Der Pinsel ist mir verhaßt, Claus!« sagte Pucki, und ihr Mann lächelte ein wenig dazu.
Als Beweis seines völligen Verzeihens kam am ersten Weihnachtsfeiertag ein großer Strauß roter Rosen.
»Weißt du, was diese Blumen bedeuten? Oder hast du die Verkäuferin ausgehorcht?«
»Nein, Pucki, das weiß ich allein.«
Sie drückte die duftenden Blumen fest an die Brust. »Ich liebe dich«, sagte sie innig. »Claus, ich kann es wirklich nicht begreifen, daß du mich nach so vielen Torheiten noch immer liebhast. Ein anderer Mann hätte mich wahrscheinlich fortgejagt, aber – es war doch gut, Claus, daß ich ein wenig gehorcht habe.«
»Trotzdem würde ich dir raten, in Zukunft das Horchen zu unterlassen, Pucki.«
»Ja, Claus, ich werde in meinem ganzen Leben zu keinem Menschen jemals wieder eine Unwahrheit sagen. Nie, nie wirst du mich mehr auf einer Schwindelei ertappen! Jeder Mensch soll nur die Wahrheit zu hören bekommen. Ich will eine Wahrheitsfanatikerin werden. Nie, nie –«.
»Halt ein, Pucki! Leiste keinen Schwur, es würde ein Meineid werden!« sagte er lachend. »Es ist erfreulich, daß du der Wahrheit nachstrebst, aber du sollst nichts übertreiben.«
»Und dann – die Eheklippe, Claus! Es hat mir geradezu einen Stich ins Herz gegeben, als du von der Eheklippe sprachst. Ich habe oft darüber nachgedacht, und du hast recht. Es gibt eine solche Klippe für die Frauen. Vielleicht auch für die Männer, das weiß ich aber nicht. Bei vielen Frauen zeigt sie sich ganz bestimmt. Unser Lebensschifflein zerschellt daran.«
»Ich glaube, diese gefährliche Eheklippe ist für uns umschifft, kleine Pucki!«
»Ja, Claus, vielleicht, weil du auf die Gefahr aufmerksam gemacht hast. Wenn ich in den nächsten Tagen meine Freundinnen endlich einmal wieder aufsuchen werde, die ich so lange vernachlässigt habe, will ich mit ihnen über diese Frage sprechen. – Du sagtest, in den ersten fünf Ehejahren sei es schwer für die Menschen, zusammenzubleiben.«
»Nein, Pucki, das habe ich nicht gesagt! – Ich habe eine Statistik angeführt, nach der leider gerade in der ersten Zeit der Ehe viele Menschen, die sich Treue fürs ganze Leben gelobten, wieder auseinanderstrebten, weil sie nicht den rechten Willen haben, miteinander auszukommen. Es machen sich Gegensätze bemerkbar, die man glaubt, nicht überbrücken zu können. Man findet, daß man nicht zueinander paßt, daß man von dem anderen Teil enttäuscht wird. Kurzum, das goldene Land, von dem man in der Brautzeit träumte, zeigt sich später als ganz gewöhnlicher Acker, der bearbeitet sein will.«
»Man könnte einen Roman über deine Worte schreiben, Claus. – Habe keine Angst, ich widme mich nur noch meinem Haushalt und meinem Kinde. Aber diese Eheklippe ist natürlich eine Gefahr für jeden, und ich will mit Rose Teck und Thusnelda einmal darüber sprechen, damit sie die Gefahr erkennen.«
»Kleine liebe Frau, was nützt das? Es gibt viele Ehen ohne solche Klippe! Ich bitte dich herzlich, mische dich nicht in andere Ehen hinein!«
»Bestimmt hätte ich geglaubt, daß es für mich auch keine Eheklippe gibt. Plötzlich war sie da!«
»Nein, Pucki, sie war nicht da! Du redest dir künstlich etwas ein!«
Sie strich zärtlich über sein Gesicht. »Laß nur, Claus, es ist mitunter ganz schön, wenn man sich etwas einredet. Wenn ich nächstens wieder ein Bild male, ist es ein Meer, aus dem schroff und steil eine Klippe ragt.«
»Malen willst du, ohne Pinsel? Ich denke, du nimmst nie wieder solch ein Ding in die Hand?«
»Ach, Claus – du hast recht! Aber krank bin ich nun nicht mehr, wie du einst sagtest. Ich bin genesen, ich bin wieder deine gute, tüchtige Hausfrau.«
So waren die Weihnachtstage mit viel Besuch sehr harmonisch verlaufen. Überall atmete man sichtlich auf. Besonders Förster Sandler und seine Frau freuten sich über die Einsicht ihrer Tochter. Sie waren recht in Sorgen gewesen. Mit Waltraut gab es übrigens noch einen besonderen Spaß. Pucki bildete sich nämlich ein, die Schwester schonend darauf vorbereiten zu müssen, daß sich Schwager Eberhard verlobt hätte. Waltraut und Eberhard waren früher öfters fröhlich beisammengewesen. Dann war jeder seinem Beruf nachgegangen, und das Leben hatte sie getrennt. Sie schrieben sich aber regelmäßig, und Pucki bildete sich fest ein, daß diese beiden ein Paar werden müßten. Nun kam die Verlobungsanzeige Eberhards ins Haus geflattert; damit würde für die Schwester auf das Weihnachtsfest ein Schatten fallen.
Waltraut wunderte sich darüber, daß Pucki ihr gegenüber einen gar so mütterlichen Ton anschlug und immer wieder davon erzählte, daß ein Mensch mit achtzehn Jahren an einer Enttäuschung nicht zugrunde zu gehen brauche. Eine erste Liebe sei fast nie eine letzte Liebe.
»Das ist bei deinem Schwager auch der Fall«, sagte Waltraut fröhlich. »Eberhard hat in Leipzig für deine Freundin Lilli geschwärmt, jetzt hat er sich mit einer anderen verlobt.«
Pucki war sprachlos. Keine schmerzliche Miene war in Waltrauts Gesicht zu sehen, und gar bald klärte sich das Mißverständnis auf.
»Bin ich froh, daß du nicht unglücklich bist, Waltraut. Aber besser hätte Eberhard entschieden getan, wenn er dich gewählt hätte, zumal er in Kürze ein vermögender Mann ist.«
»Ich fühle mich im Krankenhaus sehr wohl, liebe Schwester. Ich glaube, ich hätte Eberhard nicht genommen.«
Da sah Pucki, daß sie sich wieder einmal ganz falsche Gedanken gemacht hatte.
Mit ihrer Schwiegermutter schloß Pucki auch wieder herzliche Freundschaft. Sie gestand beschämt ein, daß Frau Gregor in allem recht gehabt hatte. Von nun an aber sollte sie über Pucki nicht mehr zu klagen haben.
Zwischen Weihnachten und Neujahr drängte es Pucki, hinaus zur Schmanz zu gehen, um Rose Teck aufzusuchen. Claus war verhindert, und so trat sie den Weg mit Karlchen allein an.
»Warum hast du es so eilig, Pucki?«
»Ich habe Rose sehr viel zu sagen, lieber Claus. Außerdem muß ich wissen, ob sie ein schönes Fest hatte oder ob der Unfriede in der Schmanz umgeht.«
»Das glaube ich nicht«, lachte der Gatte, »aber geh nur hinaus und grüße sie herzlich von mir.«
In dem Bauernhause draußen auf der Schmanz ging der Unfriede natürlich nicht um, ganz im Gegenteil! Man hatte einen großen Weihnachtsbaum geputzt, den die Kinder mit entzückten Augen betrachteten. Große Geschenke waren indessen nicht gemacht worden. Nur einige nützliche Dinge lagen unter dem Baum, die jeder gut gebrauchen konnte.
»Heute habe ich lange für dich Zeit, Pucki, heute drängt keine Arbeit. Es ist so wunderschön, daß du wieder einmal zu uns kommst. Ich war in der letzten Zeit recht traurig darüber, daß du wegbliebst.«
»Ich will auch zu Thusnelda gehen. Sie wurde stark von mir vernachlässigt, obwohl ich oft an ihrer Wohnung vorüberging.«
»Sie ist sehr glücklich. Töpfermeister Schratt ist ein fleißiger Mann, der gut zu tun hat. Auch ihre beiden Kinder sind reizend.«
»Sage mal, Rose, ist dir nie der Gedanke gekommen, daß deine Ehe plötzlich ein wenig langweilig werden könnte?«
Rose Teck lachte laut. »Ich kann mich über Langeweile wirklich nicht beklagen, Pucki. Es kommt selten vor, daß ich, wie heute, die Hände in den Schoß lege.«
»Sieh mal, Rose, wenn man sich verlobt, sieht man ein goldenes Feld vor sich. Alles strahlt in schönster Pracht. Ganz etwas Neues erwartet uns, und wenn man dann auf dieses goldene Feld tritt, dann bildet man sich ein, es ginge nun immer so weiter. Auf einmal kommt aber die Erkenntnis, daß alles nur grauer Acker ist, der auf die Bestellung wartet. Da wird man starr vor Schreck!«
»Ich werde bestimmt nicht starr vor Schreck, wenn ich einen grauen Acker sehe.«
»Ich spreche in Bildern, liebe Rose. – Also man steht ganz plötzlich vor dem Alltag, und mitten aus dem Acker wächst ein Stein heraus, ein Felsen, eine Klippe, an der man sich wundstößt. Da sieht man dann, wie der goldene Acker versinkt und daß er grau ist.«
»Du hast immer sehr schöne Geschichten erfunden, Pucki. Ich denke noch an die goldenen Gewänder, von denen du einmal sprachst. Du hast es immer mit dem Golde zu tun, Pucki. Aber einen goldenen Acker habe ich niemals vor mir gesehen, als ich heiratete. Ich habe voll freudiger Erwartung auf den grauen Acker geschaut, der bestellt werden wollte.«
»Nein, Rose, es ist anders. – Jede Braut geht voll froher Erwartung in die Ehe. Warum werden so viele Ehen nach kurzer Zeit geschieden? Weil sich die Menschen nicht einfügen können. Das sagte Claus auch neulich zu mir, und der muß es wissen.«
»Was du mir alles erzählst, liebe Pucki, das ist mir fremd. Als ich heiratete, wußte ich genau, wie mein künftiges Leben aussehen würde. Lange genug war ich schon vorher hier im Hause. Mir war bekannt, daß ich noch viel mehr würde leisten müssen als bisher. Und es ist so gekommen. Die Kinder beanspruchen mich stark, und auch die Landwirtschaft läßt mir nicht viel freie Zeit. Aber ich bin stolz darauf, daß ich alles schaffe und daß mein guter Mann mit mir zufrieden ist. Ich sehe keine Klippe, die plötzlich aus meinem Acker aufragt, und ich hoffe, daß auch bei dir keine solche Klippe vorhanden ist.«
»Wenn der Alltag kommt, wenn jeden Tag dasselbe zu erledigen ist – –«
»Dann wird es an jedem Tag mit frischem Mut begonnen, und am Abend kommt die schöne Feierstunde, in der man von Mühen und Sorgen, von Freuden und von erledigtem Tagewerk spricht. Dann wartet man frohen Mutes auf den nächsten Tag und bittet, daß auch er wieder so gut und gnädig vorübergehen möge wie der verflossene. – Pucki«, Rose faßte plötzlich ein wenig ängstlich nach der Hand der Freundin, »hast du etwa dumme Gedanken? Findest du vielleicht, daß dir die Ehe nicht genügt? – Deine wunderschöne und glückliche Ehe, um die dich Tausende beneiden können!«
»Ich bin jetzt wieder ganz glücklich, Rose.«
»Jetzt? – Warst du es vorher nicht?«
»Rose, du weißt doch, ich habe manchmal dumme Gedanken. Eines Tages schien es mir, als müsse etwas Neues in mein Leben treten. Es war doch immer dasselbe, ein Tag verging wie der andere –«
»Pucki, liebe Pucki«, rief Rose angstvoll.
»Du brauchst dich nicht mehr zu ängstigen, es ist alles wieder gut geworden. Vielleicht wird es noch besser, wenn ich erst drei Kinderchen habe wie du.«
»Du hast deinen Mann, hast deinen süßen Jungen – –«
»Mach keine ängstlichen Augen, liebe Rose. Es ist wirklich wieder alles gut. Ich wollte nur wissen, ob ich dich vor einer Klippe warnen müßte. Nun sehe ich, daß das unnötig ist.«
»Ja, Pucki, es ist gewiß unnötig! In meiner Ehe gibt es keine solche Klippe. Dir aber wünsche ich von Herzen, daß du nicht wieder über solch dummes Zeug nachdenken mußt. – Pucki, ich bin gewiß nicht so klug wie du, ich bin mit vierzehn Jahren aus der Schule gekommen und in Stellung gegangen. Du hast erheblich länger gelernt und später eine gute Ausbildung im Seminar erhalten. Ich darf es eigentlich nicht wagen, dir gute Ratschläge zu geben – –«
Stürmisch umschlang Pucki die Freundin. »Sage mir alles, was du auf dem Herzen hast, denn ich habe gerade in letzter Zeit erkennen müssen, daß es gut ist, wenn man erhorcht, was die Menschen von einem denken. Also rede ganz offen, vielleicht kannst auch du mir noch ein gutes Wort mit auf den Weg geben.«
»Ich meinte immer«, fuhr Rose fort, »daß zwischen Freundinnen Offenheit herrschen müsse. Oftmals habe ich über dich nachgedacht – gerade über dich. Carmen und Thusnelda sind auch meine Freundinnen, aber beide sind nicht so geartet wie du. Du warst immer anders, Pucki.«
»Ja ja, ich bin eben Pucki«, klang es kläglich.
»Man weiß niemals, woran man mit dir ist. Die gerade Straße gehst du nicht. Es macht dir Spaß, rasch einmal einen Hopser zur Seite zu tun. Ich dachte, liebe Pucki, daß du in der Ehe anders werden würdest. Du hast ein Kindchen – bist also für ein kleines Wesen voll und ganz verantwortlich. Das müßte dich besonnener werden lassen. Du bist jedoch noch immer genau dieselbe Pucki geblieben, wie ich sie immer kannte, und heute – bist du dreiundzwanzig Jahre alt, bist Frau und Mutter. Pucki, bist du mir böse?«
Pucki schüttelte den Blondkopf. »Rose, rede ruhig weiter, du hast ja so furchtbar recht!«
»Du sollst gewiß fröhlich bleiben. Auch übermütig darfst du sein, das macht nichts. Aber mitunter bist du so unüberlegt, daß man nicht glauben kann, du wärst schon so alt und – Mutter.«
»Ach, Rose – wenn du auch noch alle die Dummheiten wüßtest, die ich in letzter Zeit begangen habe! –«
Da mußte Rose wieder lachen. »Ach, Pucki, es ist schwer, mit dir vernünftig zu reden. Aber um eins bitte ich dich im neuen Jahre. Beherzige genau: Erst überlegen und dann handeln. Du ersparst dir dadurch manchen Kummer.«
Dieser Aussprache folgte noch eine herzliche halbe Stunde des Beisammenseins, dann verabschiedete sich Pucki. Rose begleitete die Freundin noch ein Stück Weges durch den herrlichen Winterwald.
»Ich habe eine Frau gekannt, Rose, die lebte von ihrem Manne getrennt, verbrauchte sein vieles Geld und langweilte sich trotzdem.«
»Das sind unglückliche Menschen, die wir tief bedauern müssen. Ich langweile mich nie, und auch du brauchst es nicht, liebe Pucki, wenn du die Augen aufmachst und nach dem Rechten siehst. Eine fleißige Hausfrau, eine gute Mutter hat so viel zu tun und dadurch so viele Freuden im Leben, daß sie davon noch abgeben kann.«
»Rose, nun habe ich es erkannt, du bist eine prachtvolle Frau!« –
Thusnelda Schratt, die einstige Schulkameradin Puckis, die auch nach der Schulzeit immer wieder mit Pucki zusammengekommen war, so daß sich zwischen ihnen eine herzliche Freundschaft entspann, fühlte sich immer sehr beglückt, wenn Pucki in ihr Haus kam. Töpfermeister Schratt, Thusneldas Mann, war ein fröhlicher und humorvoller Mann, der Frau und Kinder über alles liebte. Pucki war sich daher bald klar darüber, daß ihre vermeintliche Angst vor der gefürchteten Eheklippe eitel Unsinn war, und sie glaubte ganz plötzlich auch zu erkennen, daß es eine Eheklippe in ihrem Leben niemals gegeben hatte. Sie hatte sich das nur künstlich eingeredet. Nie wieder wollte sie Claus mit diesem Unsinn behelligen, sondern vielmehr die Augen offenhalten, wie ihr das Rose Teck geraten hatte.
»Ich bin glücklich und will glücklich bleiben!« sagte sie sich.