Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

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Der Malaie

Henrik war am andern Morgen schon auf Deck, als Fritz Fischer mit verdrießlichem Gesicht aus dem Volkslogis auftauchte.

»Nun«, fragte Henrik, »Mensch mit dem Lombokschen Orden, was hat dir denn die Laune verdorben?«

»Erstens ärgere ick mir, det ick mir von die Matrosen jestern abend so viel Punsch habe einjießen lassen, ick habe die scheensten Koppschmerzen, und dann wundere ick mir über dir, daß du mir nich mehr ästimierst.«

»Wieso?«

»Ich bin vor dir jar nich mehr da, seit du mit den Herr Kapitän in de feine Kledasche an det Land herumbummelst. Ick bin doch mit dir unter de Menschenfresser jewesen un auf de Robinsoninsel, habe dir det Leben gerettet, uff feuerspeiende Berge bin ick deinetwegen jeklettert un so, un wenn ick man ooch nur 'n armer Schneider bin, ick möchte aber doch ästimiert werden.«

Henrik lachte, tupfte dem Schneider auf die Schulter und sagte: »Fritze, ich ästimiere dir nach wie vor, aber wenn mich der Kapitän mit an Land nimmt, kann ich doch nicht ablehnen, was?«

»Nee, natürlich nich, ick dachte nur, det ick jetzt vor dir nich mehr jut jenug war, un det ärgerte mir – denn ick mag dir jut leiden, Hamburger.«

»Und ich dich auch, Sohn der Reezengasse. Laß dir deswegen keine grauen Haare wachsen, wir bleiben Freunde, Fritze.«

»Na, denn is man jut.« Das Gesicht des Schneiders heiterte sich auf.

Hinter den beiden stand Karl und schaute freundlich auf den Schneider; es schien ihm Freude zu machen, daß Fritz seinen freundschaftlichen Gefühlen für Henrik Ausdruck gab.

»Nun, Karl«, wandte sich letzterer an Steffen, »warst du schon an Land?«

»Nein, zuviel Menschen, ich werde schwindlig, wenn ich so viel Menschen sehe.«

»Das will ich gern glauben, nachdem du so lange einsam gelebt hast.«

Trotzdem Steffen sich von den Matrosen fern hielt und wenig sprach, schienen doch die Beschäftigung, wie er sie von früher gewohnt war und der Umgang mit Martin, an den ihn gemeinsame Jugenderinnerungen knüpften, sein ganzes Wesen rascher umzuwandeln, als man erwarten konnte.

Für Henrik zeigte er immer die gleiche Anhänglichkeit; er liebte es, ihn sprechen zu hören, beantwortete auch immer klarern Geistes dessen gelegentliche Fragen, doch war noch kein Wort über das Schicksal des »Admirals«, nach dem Henrik freilich auch nicht geforscht hatte, über seine Lippen gekommen.

»Ich denke, Karl, wir machen gelegentlich einen Ausflug ins Land hinein«, sagte Henrik zu Steffen, »und diesen Berliner Jüngling nehmen wir auch mit.«

Steffen nickte vergnügt. »Mit Ihnen, Horsa, will ich gern gehen.«

»Das ist ein Wort. Warst du schon einmal in diesem Hafen?«

Steffen dachte einen Augenblick nach.

»Ja«, sagte er dann, »ich war schon hier, aber es ist lange her und es hat sich vieles verändert.«

»Hamburg wirst du noch mehr verändert finden, es ist eine gewaltige Stadt geworden.«

»Ja – eine gewaltige Stadt«, sagte er langsam.

»Und du wirst dich freuen, sie wieder zu sehen – mit der Petrikirche und Blankenese und dem lustigen St. Pauli.«

Steffen nickte nachdenklich.

»Na«, meinte Fritz, »det Hamburg is doch nur een kleenes Nest jejen Berlin.«

»Richtig, Mann mit dem Orden, besonders der Hafen kann sich mit dem Berliner nicht messen, ebensowenig wie die jämmerliche Elbe mit der Panke.«

Fritz schaute ihn etwas verblüfft an. »Meenste?« fragte er mißtrauisch, »oder willst du mir uzen?«

»Ei, wer würde wohl wagen, einen Berliner zu uzen? Wenn wir Findling ein gutes Wort geben, segelt der bis Treptow.«

»Jeht denn det?«

»Durch die Havel, die Seen, die Spree, sehr leicht, die Bergfahrt kostet nur ziemlich viel.«

»Wie is det? Davon habe ick doch noch nie jehört.«

»Ja, das Schiff muß durch die Schleusen des Riesengebirges gehen, und das kostet bei seinem Tonnengehalt recht viel; das ist übrigens ein Glück, sonst hätte uns Berlin schon die ganze Schifffahrt weggenommen.«

Henrik sprach bei solchen Ergüssen immer mit dem trockenen Ernst, welcher dem niederdeutschen Humor seinen eigenen Charakter verleiht. Der gänzlich konsternierte Schneider entgegnete nur: »Wenn det bloß so is, det Riesenjebirge werden se ooch noch wegkriegen.«

»Das verhüte der Himmel, denn dann wird die Sache für uns Hamburger schlimm.«

Er wandte sich aber jetzt doch ab, denn Fritze machte ein Gesicht, auf welchem gerechtes Staunen mit dem Zweifel rang, welchen er nach frühern Erfahrungen in Henriks Behauptungen setzte. Die unfreiwillige Komik dieses Gesichtsausdrucks hatte ihn zum Lachen gereizt.

»Er ist mir doch über«, sagte Fritze leise vor sich hin.

Das Löschen der für Ceylon bestimmten Waren wurde unter Herrn Marholms Leitung kräftig gefördert, nebenbei die durch die lange Seefahrt verursachten Schäden an Takelage und Segelwerk von der Mannschaft ausgebessert, wobei sich hauptsächlich Steffen, der an das Tropenklima gewöhnt war, auszeichnete.

Im Lauf des Vormittags langte ein Billett von Mr. Johnson an, in welchem Findling und sein Begleiter zum Tee für den folgenden Abend eingeladen wurden. Findling sagte um so bereitwilliger zu, als er sich sehnte, die beiden Singalesen wieder zu sprechen. Von der tiefen Erregung seiner Seele, welche die Begegnung mit diesen Leuten hervorgerufen hatte, ließ der starke Mann nichts gewahren.

Als er, in Gedanken verloren, langsam auf Deck einherschritt, nahte sich ihm Fritz, bescheiden seine Mütze in der Hand haltend.

»Nun, was willst du«, redete der Kapitän ihn freundlich an, denn er mochte ihn wohl leiden.

»Ich möchte mir woll eene Frage erlauben, Herr Kapitän.«

»Heraus damit!«

»Der Hamburger, mein Freund, uzt mir immer.«

»Der Henrik?«

»Ja, un wenn ick die andern Herren Matrosen frage, dann uzen sie mir erst recht, un da wollt ick mir denn bein Herrn Kapitän drüber in firmieren; ick möchte mir nich jern uzen lassen, det ärgert mir sehr.«

»Schieß los!« Innerlich lächelte der ernste Mann bereits.

»Der Hamburger sagt, man könne über die Schleusen von det Riesenjebirge weg direkt mit det Schiff bis Berlin fahren, un ick wollte mir nur erkundigen, ob det woll so war? Nichts vor unjut, Herr Kapitän.«

Findling, der ja die Scherze kannte, welche Henrik und die Matrosen gelegentlich mit dem Schneider trieben, entgegnete, in Laune versetzt, trocken: »Ja, min Jung, dat sall woll wesen, wenn man erst de Schleusen farig sind.«

»Also doch«, sagte Fritze, »ick dachte, er wollte mir mopsen. Nichts für ungut, Herr Kapitän, un ick bedanke mir ooch scheenstens.« Mit mehreren seiner artigsten Verbeugungen entfernte er sich.

Die kleine Szene hatte dazu beigetragen, Findlings leidenschaftliche Erregung etwas zu dämpfen.

Im Lauf des Vormittags erschien Herr Spieß mit seinem freundlichsten Lächeln an Bord und suchte den Kapitän.

»Ah, wie ich mit Vergnügen bemerke, mein wertester Herr Kapitän, sind Sie ja vollauf bei der Arbeit.«

»Ja, wir fördern sie nach Kräften. Morgen denke ich fertig zu sein, und dann können wir sofort an das Laden gehen.«

»Ja, mein verehrter Herr Kapitän, das wird sich leider wohl nicht machen lassen.«

»Wie?« fragte Findling erstaunt. »Warum nicht?«

»Die starken Regengüsse der letzten Zeit haben die Flüsse überall anschwellen lassen, so daß Zufuhren aus dem Innern unmöglich waren. Sie werden sich mit dem Laden wohl noch einige Zeit gedulden müssen.«

»Oh, das wäre sehr schlimm, ich habe schon viel Zeit verloren.«

»Ja, es ist mit dem besten Willen nicht möglich.«

»Und wie lange glauben Sie, daß es dauern könne, ehe meine Fracht anlangt?«

»Vierzehn Tage mindestens, vielleicht drei Wochen.«

»Drei Wochen?«

»Weniger als vierzehn Tage unter keinen Umständen.«

Unmutig ging Findling an Deck hin und her. Plötzlich erheiterte sich sein Gesicht: »Nun, wenn dem so ist, so will ich die Zeit nicht verlieren und segle übermorgen.«

Jetzt war es an Herrn Spieß, in Erstaunen zu geraten: »Übermorgen? Ohne Ihre Ladung?«

»Ich komme wieder zurück, Herr Spieß«, sagte Findling freundlich, »ich kann inzwischen ein anderes Geschäft des Hauses erledigen.«

Herr Spieß stutzte und seine kleinen Luchsaugen funkelten listig.

»Man darf nicht erfahren, welch ein Geschäft das ist, Herr Kapitän?«

Findling, dem zwar der Mann und seine Art und Weise höchlich mißfielen, dem außerdem die Frage unpassend erschien, entgegnete doch mit viel Treuherzigkeit: »Nun, Ihnen, der Sie zum Hause gehören, kann ich es ja sagen, obgleich die Instruktionen geheime sind. Ich habe Befehl, Trinkonomale anzulaufen, um dort ein bestimmtes Geschäft abzuwickeln – üben Sie Verschwiegenheit, daß mir niemand zuvorkommt.«

Herr Spieß machte zu dieser Auskunft ein sehr erstauntes Gesicht, entgegnete aber nur: »So ist es also Ihre ernstliche Absicht, zu segeln?«

»Gewiß, in vierzehn Tagen längstens bin ich zurück.«

Gedankenvoll entfernte sich der Agent nach einiger Zeit vom »Roland«. »Was mag das nur für ein Geschäft sein, welches die beiden, wie es scheint, vorhaben? Nun, mir soll es gleich sein, wenn ich nur aus meiner Klemme herauskomme. Herr Steenberg scheint auch ein heller Junge zu sein – und – na, was geht's mich an.«

Als er nach Hause kam und Onno vor sich sah, teilte er ihm mit, daß Findling segeln wolle.

»Unter keinen Umständen«, entgegnete Onno in zorniger Aufwallung, »unter keinen Umständen darf er in See gehen, er muß hier festgehalten werden, bis ich zurück bin. Der »Roland« ist unser bester Segler.«

»Ja, wie soll ich ihn zurückhalten?« sagte Herr Spieß kläglich.

»Er muß zurückgehalten werden auf jeden Fall, auf jede Weise, sonst ist alles verloren – und Sie mit, Herr Spieß. Von dem Gelingen meines Geschäftes hängt es ab, ob ich gerichtlich gegen Sie vorgehe oder nicht.«

Herr Spieß wurde sehr bleich.

»Machen Sie es, wie Sie wollen. Sie müssen ja hier allerlei Verbindungen haben, aber der »Roland« muß hier bleiben, und wenn sein Kapitän dabei zugrunde geht«, setzte er finster hinzu.

Nach einiger Zeit fragte er den eingeschüchterten Agenten: »Haben Sie die Leute für die Prau?«

»Wir werden sie morgen haben. Ich habe einen fahrtkundigen Malaien angeworben, der Englisch und sogar etwas Deutsch spricht, da er mit deutschen Schiffen gesegelt ist – der wird morgen Leute bringen.«

»Gut. Daß noch heute der Proviant und die Instrumente an Bord kommen!«

»Ja, Herr Steenberg.«

Onno nahm seinen Hut und sagte noch einmal mit drohendem Blick: »Der »Roland« muß hier bleiben – oder – Sie werden es bereuen.«

Damit ließ er den gänzlich fassungslosen Spieß allein. Kurze Zeit darauf lud dieser den Malaien Amea zu sich.

Am Nachmittag forderte der Kapitän Henrik zu einem Spaziergang auf; beide schlenderten durch die in der Nähe des Hafens sich hinziehenden schattigen Anlagen und betrachteten sich das bunte Treiben der aus so mannigfachen Bestandteilen zusammengesetzten Bevölkerung. In einem durch Büsche umgrenzten Weg kam ihnen mit dem schwerfälligen Gang der Angetrunkenen ein seemännisch aussehender Geselle entgegen, in dessen Gesicht die Spuren des Lasters in starken Zügen ausgeprägt waren.

»Aus dem Wege, Halunken«, sagte er in deutscher Sprache, als er näherkam, »Steuer Backbord oder ich segle euch in den Grund!«

Findling zuckte unangenehm berührt zusammen, als er den Mann bemerkte und trat mit Henrik beiseite, um ihm Raum zu geben. Der Matrose hob, als er vorbeiwankte, die trüben Augen und starrte überrascht Findling an.

»Ho, wen haben wir denn da? Das ist ja, weiß Gott, der Findling, der große Seemann, der ehrliche Leute von ihrem Posten verdrängte. He – Bursche – habe das Tauendchen nicht gespart, als du noch ein elender Kajütenjunge warst – hast das nicht vergessen, he? Kömmst du mir wieder in den Weg, Halunke?«

In dem aufgedunsenen, stark geröteten Gesicht war ein Zug tückischen Grimmes aufgestiegen, der es noch widerlicher machte, als es durch den Trunk schon geworden war.

»Gehen Sie, Carsten«, sagte Findling ruhig, »ich wünsche mit Ihnen nicht in Berührung zu kommen.«

»Aber ich mit dir, du Schleicher. Bringst ehrliche Leute um ihr Brot, weil sie mal einen Schluck Rum zuviel getrunken haben – warte, dir will ich's eintränken – du sollst noch an Jan Carsten denken« – er ballte die Fäuste.

Findling trat zurück und sagte mit derselben Ruhe wie vorhin: »Zwingen Sie mich nicht, Carsten, mir den Weg freizumachen«, aber in dieser Ruhe lag etwas Drohendes, was dem angetrunkenen Mann doch imponierte, er ließ die Hände sinken.

»Warte nur, Bursche, bin jetzt auf dem Weg, wieder obenauf zu kommen, habe einen Kompagnon gefunden; segle nur, kommen doch früher an – haha – wird dafür gesorgt – Jan Carsten vergißt nicht – es wird dir eingetränkt«, er setzte sich schwerfällig und heiser vor sich hinlachend in Gang und schritt vorüber. Dann wandte er sich noch einmal um, drohte mit der erhobenen Faust und wiederholte: »Wollen dir es eintränken, großer Steuermann.«

Gleich darauf verschwand er an einer Biegung des Weges.

Findling ging mit Henrik langsam weiter.

»Schade um diesen Menschen«, sagte er, »ein trefflicher Seemann, aber durch den Rum in den Schlamm hinabgezogen. Ich bin als Junge mit ihm gefahren und später als Zweiter Steuermann, während er Erster war. Er war dem Trunk bereits so ergeben, daß er mehrmals das Schiff in Gefahr brachte und in Valparaiso entlassen werden mußte. Ich rückte dadurch an die erste Stelle. Es ist ein Jammer, einen begabten Menschen durch eine widerliche Charakterschwäche zu einem solchen Zustand herabgesunken zu sehen. Bedauernswertes Subjekt.«

»Was konnte er aber mit seinen dunkeln Reden meinen?«

»Geschwätz! Der Trunk sprach aus ihm. Weil ich den Dienst für ihn tun mußte, bildete sich der verkommene Mann ein, ich hätte ihn verdrängt.«

»Wie kommt er aber hierher?«

»Er wird vor dem Mast fahren. Einen Matrosen kann man an Bord schon nüchtern halten, bei einem Offizier ist das schwieriger.«

Sie kehrten nach einiger Zeit zur Stadt zurück und nahten sich schon dem Hafen, als sie einen Menschenknäuel vor sich erblickten und wüstes Geschrei hörten. Aus dem Gewirr löste sich eine einzelne Gestalt los, und mit der Eile eines gehetzten Wildes lief ein Mann auf sie zu, in welchem sie den Malaien von gestern abend erkannten, der sich Amea genannt hatte; er lief in furchtbarer Hast an ihnen vorbei und sprang gleich darauf in die Büsche. Aus dem Haufen sprang ein anderer Mann hervor, wohl ein halbes Dutzend der Umstehenden dabei zu Boden schleudernd, und nahte sich mit tigerhaften Sätzen. Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen erkannten sie in ihm Karl Steffen, der dem Malaien augenscheinlich nachsetzte. Sie riefen ihm zu, aber ohne ihrer zu achten, sprang er mit der staunenswerten Kraft und Behendigkeit, die er in seinem wilden Einsiedlerleben erworben hatte, an ihnen vorüber, einem Leoparden gleich, der dem Hirsch nachsetzt. Er verschwand ebenfalls in den Büschen.

Ein aufgeregter schreiender Haufe von farbigen Leuten wälzte sich nach. Ehe sich Findling und Henrik noch von ihrem Erstaunen erholt hatten, stand atemlos und schweißtriefend Fritz Fischer vor ihnen.

»Was bedeutet das? Was hat es gegeben?« fragten sie ihn hastig.

»Ach, Jotte doch«, brachte der Schneiderjüngling keuchend und mühevoll hervor, »ach – Jotte doch – der wilde Mann von die Insel – der Karl is meschugge – rein meschugge.«

Nachdem der Schneider endlich zu Atem gekommen war, berichtete er den aufgeregten Hörern: »Ick jehe mit Karl een bisken so mang den Hafenquai flanieren, und et hatte ville Mühe gekostet, ihn von Bord zu bringen, um mir so det Menschenjewühl aus die Nähe zu beaugenscheinigen. Der Mann war janz dusemang. Uff eemal macht er een Jesichte wie 'n Tiger in de Menagerie, wenn det Beest falsch wird, un stiert, als ob er ihn fressen wollte, uff eenen kleinen, braunen Mann, der so mang die andern jelben Menschen stand. Eh ick noch ›Pst!‹ machen konnte, sprang der Karl los un hatte ihn an die Kehle un uff die Erde. An nu lag en janzer Haufe auf ihm un piesackte ihn von oben, et war janz grauslich. Dann sah ick den braunen Mann wegrennen un denn jab det in det Jemenge eene Katzbalgerei, un der Karl warf so 'n Stücker zwölfe in de Luft un uff de Erde, det die man nur so rumflogen und lief ihm ooch noch nach. Ach Jotte, der jute Mensch is meschugge. Der muß nach Dalldorf, da kann er dann den wilden Mann machen.«

Fritz war augenscheinlich von dem Vorgang sehr erregt.

Die drei Deutschen waren allein, als der Schneider dies erzählte, denn der Haufe war an ihnen vorbeigestürzt.

»Das muß eine besondere Bewandtnis haben«, sagte Findling.

Henrik dachte an die frühern Äußerungen Karls über Malaien, an die Inschrift in der Höhle und die spärlichen Aufzeichnungen seines Vaters, und heiß stieg ihm das Blut zu Kopf.

»Lassen Sie uns folgen, Herr Kapitän«, sagte er hastig.

»Nein, Henrik. Wir können dem Steffen wenig nützen und gleich wird es Nacht sein. Nach allem, was ich von ihm weiß, ist er der Mann, sich aus dieser Affäre ohne Nachteil herauszuziehen und mit dem Instinkt des Wilden auch den Rückweg zu finden. Hoffentlich hat er sich nicht mit dem Gesetz in Konflikt gebracht.«

Henrik fügte sich nicht ohne inneres Widerstreben, und sie schritten dem Hafen zu. Dort standen noch einzelne Gruppen von Leuten. In einigen aus Matrosen bestehenden, wurde Englisch gesprochen und sie vernahmen da, daß der Wahnsinnige, so bezeichneten sie Steffen, mehrere Malaien schwer verletzt hatte; einer sollte bereits gestorben sein.

Aufgeregt von dem Vorgang und besorgt um das Schicksal Steffens, erreichten sie den »Roland«.

Henrik blieb bis zu später Stunde an Deck, seine Seele war stürmisch erregt und der Schlaf floh ihn. Er dachte des Schicksals seines Vaters und des einsamen Grabes.

Die Sterne schienen hell hernieder, und leise plätscherten die Wellen um die Schiffswände. Still war es und das Leben am Land erstorben. Es mochte gegen zwölf Uhr sein, als er ein leises Geräusch vernahm. Wie er sich umwandte, stand im Schein der Laterne Karl Steffen vor ihm, mit zerrissenen, teilweise blutgeröteten Kleidern. Er sah schrecklich aus und sein Gesicht trug die Züge des Grimmes.

Henrik war keines Wortes mächtig, so entsetzte ihn die im schwachen Licht der Laterne fast geisterhafte Erscheinung.

Dann sagte Karl: »Er ist mir entkommen.«

»Wer?«

»Deines Vaters Mörder.«

Henrik zitterte, so erregten ihn diese Worte.

Und Steffen, der bisher so stille Mensch, in dem nach so langer tiefer Einsamkeit das Verständnis der Gegenwart, die Erinnerung an die Vergangenheit erst langsam wieder erwacht waren, dessen Sprachwerkzeuge durch Mangel an Übung nur schwerfällig gehorchten, sprach jetzt auf einmal in tiefer, leidenschaftlicher Bewegung, die er nur mit großer Mühe in Schranken zu halten schien, zwar mit einzelnen Stockungen, doch gleich einem lang zurückgehaltenen Strom brachen seine Worte hervor.

»Höre!« begann er. »In Singapore nahmen wir John Devil, den Malaien, an Bord; der Kapitän wollte die kleinen Sundainseln anlaufen, und Devil sollte die Durchfahrten und die Ankerplätze genau kennen. Wer ihn empfohlen, weiß ich nicht. Was er dem Kapitän vorgespiegelt, weiß ich nicht. Horsa war ein verwegener Seemann, doch vertrauensvoll wie ein Kind. Der gelbe Hund war in meiner Wache. Wir liefen zwischen Lombok und Bali durch, und es ist wahr, Devil kannte das Fahrwasser. Während wir langsam dahinsegelten nahe der Küste, machte sich der Kerl oben zu schaffen und ließ mit einemmal das Oberbramsegel flattern. Was das bedeuten sollte, erfuhr ich erst später. Der Steuermann schnauzte ihn an und er entschuldigte sich mit einem unglücklichen Zufall. Nach einiger Zeit sahen wir vier Praus leewärts vor uns, die aus einer Bucht hervorgetreten sein mußten. Da in jenen Gewässern Raubgesindel sein Wesen trieb, gab der Kapitän Befehl, uns zu bewaffnen. Doch die Fahrzeuge liefen mit dem Wind ab und am andern Morgen war nichts von ihnen zu sehen. Gegen Mittag sprachen wir eine Insel an; es war die, auf welcher du mich gefunden hast. Der Kapitän wollte landen, denn er ließ die Buganker klarmachen. Der Wind blies scharf aus Ost und wir führten, wie es Horsa liebte, mehr Tuch, als ein vorsichtigerer Schiffer oben gelassen hätte. Der Malaie stand am Steuer, als wir das Ostende der Insel umsegelten. Der Hund hielt nah an Land, wir liefen um eine Landzunge und – ›Ruder hart Backbord!‹ schrie der Erste Steuermann, der vorn war, mit aller Kraft; da riß dieser Schurke das Ruder nach Steuerbord, sprang mit dem Gelächter eines Teufels über Bord, und wir sausten, ehe nur einer an das Ruder springen und es herumreißen konnte – wir standen alle wie versteinert – mit einer Geschwindigkeit von zehn Knoten auf das Riff, das du kennst. Eine Felsspitze bohrte sich durch den Boden des ›Admirals‹. Wie wahnsinnig liefen wir hin und her und sahen nicht einmal die Praus, die unweit von uns vor Anker lagen, aber die Donnerstimme deines Vaters klang über Deck: ›Kaltblütig, Jungen! Jeder an seinen Posten! Boote ausgeschwenkt!‹ und wir gehorchten trotz aller Todesangst, wie Kinder, wenn sie den Ruf des Vaters vernehmen. Der Kapitän stand so unbewegt am Hinterdeck, als ob wir im Hafen lägen, trotzdem das Schiff zu sinken begann. ›Nur ruhig, Kinder!‹ und das Beispiel unseres Befehlshabers wirkte zauberhaft auf uns; rasch, aber ohne Übereilung, jede Hand an der richtigen Stelle, brachten wir die Boote auf das Wasser. Horsa war der letzte, der den ›Admiral‹ verließ. Er sah blaß aus, war aber ruhig. Wir steuerten durch die Brandung und kamen glücklich an Land. Kaum hatten wir den Boden der Insel betreten, als aus den Büschen auf uns geschossen wurde. Wir waren sechzehn Männer und bis auf deinen Vater unbewaffnet, der im letzten Augenblick die Schiffspapiere und eine Pistole in der Kajüte an sich gerissen hatte. Wir hatten nur unsere Messer.

Fünf von uns stürzten tot zusammen, andere wurden verwundet. So furchtbar, so sinnberaubend das war, verlor dein Vater auch jetzt die Ruhe nicht: ›Mir nach in die Büsche!‹ schrie er, und wir folgten ihm willenlos, betäubt. Wir sahen uns von braunem Raubgesindel umringt, mich faßte ein Kerl, und schon zuckte sein Messer nach meiner Kehle, als die Faust deines Vaters, der ein ebenso mutiger wie starker Mann war, ihn niederschmetterte. Das rettete mir das Leben – ach – Henrik – was für ein Leben!«

Er schwieg einen Augenblick. – Das Wiedererblicken des Malaien schien in Steffen die Erinnerung an den furchtbaren Vorgang in aller Stärke und in aller Deutlichkeit wieder heraufgerufen zu haben.

Henrik lauschte mit stummem Entsetzen der grauenhaften Tragödie, deren Held seinem Herzen so teuer war.

Leise fuhr Karl Steffen fort: »Wir haben uns gewehrt in jener schrecklichen Stunde und unser Leben teuer verkauft. Die braunen Bestien, von denen die Büsche wimmelten, umsprangen uns gleich wilden Katzen. Dein Vater schoß einen nieder und bediente sich dann der schweren Schiffspistole als Keule. Wohin sein Schlag traf, brachte er Verderben. Wir drangen immer weiter in die dichten verschlungenen Büsche, einer nach dem andern von uns fiel und starb unter den Messern dieser Mörder, aber jeder nahm seinen Mann mit in die Ewigkeit. Als wir auf dem Felsen anlangten, wo deines Vaters Gebeine ruhen, stieß dieser Schandbube, der uns auf das Riff geführt hatte – deinem Vater das Messer in den Rücken – ich stach den Mörder nieder, faßte deinen Vater und führte ihn zu der Höhle, in welcher ich später hauste. Er fühlte den Tod kommen – schrieb noch in sein Notizbuch – und starb in meinem Arm. Wie durch ein Wunder war ich unverwundet geblieben – ich floh in die Wälder. Später sah ich, wie die Malaien den ›Admiral‹ plünderten, wie sie alles auffischten, was an den Strand geworfen war oder im Wasser trieb. Endlich zündeten sie den Rest des Schiffes an und segelten davon.

Ich trug die Leichen meiner Gefährten zusammen – und begrub sie neben meinem Kapitän, die erschlagenen Malaien überließ ich den wilden Tieren. Die Leiche des Mörders deines Vaters suchte ich und fand sie nicht. Ich war allein – allein!«

Er schauderte.

»Wie ich gelebt habe, wie ich so geworden bin, wie du mich fandest, ich weiß es nicht mehr – ich dachte nicht – ich sprach nicht – ich war kein Mensch mehr – ich war ein wildes Tier geworden – dem selbst der Tiger scheu aus dem Weg ging. Die Zeit war für mich nicht vorhanden. Später – viel später kam der Balinese auf die Insel und ich sah wieder Menschen – doch sie waren mir fremd – und ich war an meine Einsamkeit gewöhnt, ich wich ihnen aus. Da erblickte ich weiße Gesichter – hörte Laute – Laute – ach, ich habe nie ein solch unnennbares Glück empfunden als in dem Augenblick, wo deutsche Worte mir zum erstenmal wieder zum Ohr drangen.

Ich konnte mir in jenem Augenblick keine Rechenschaft davon geben, was die Ursache war, aber gleich einer himmlischen Musik schmiegten sie sich um mein armes, erstorbenes Herz – und weckten es zu neuem Leben. Langsam, langsam kam ich zu mir selbst, nach und nach tauchte wie aus Nebel die Vergangenheit vor mir empor – da sah ich heute – diesen Teufel, den Malaien – den Mörder – lebend vor mir – und alles Grausen jener Stunde, alles, was jahrelang geschlummert hatte, stieg in mir auf. Ich sprang auf ihn los. Mit einem Griff hätte ich ihn erwürgen können – aber lebend wollte ich ihn haben, du solltest ihn sehen, den Mörder deines Vaters! Er sollte vor deinen Augen sterben.«

Der Zorn des Mannes war erschreckend. Ruhiger fuhr er nach einer Weile fort: »Der Aal ist mir entschlüpft – er hat seinen Schlupfwinkel – aber ich werde ihn fangen – und – er soll büßen.«

Bruchstückweise – oft langsam, dann wieder hastig hervorgestoßen, mitunter schwerfällig und undeutlich, doch im ganzen verständlich, kam das alles hervor, Henriks Seele auf das tiefste erregend. Sprechen konnte der junge Hamburger nicht – er reichte Karl Steffen nur die Hand und drückte sie innig. Er fühlte das Bedürfnis, allein zu sein und suchte sein Lager. Am andern Morgen, nach nur kurzem, unruhigem Schlummer erwacht, begab er sich, sobald es anging, zu Findling und machte ihm Mitteilung von allem, was er erfahren hatte. Bewegt hörte der Kapitän ihn an. Außerordentlich überrascht war er, zu erfahren, daß der Malaie, der ihm selbst so unliebsam über den Weg gelaufen war, unter anderm auch den Untergang des »Admirals« auf dem Gewissen hatte.

Er ließ dann Steffen kommen und sagte ihm, indem er seinen Mannesmut, seine Treue rühmend hervorhob, daß er den Gedanken, den John Devil alias Amea und so weiter zu verfolgen, aufgeben müsse.

»Du kannst eher eine Stecknadel in einem Heuschober finden, als einen Malaien in diesen Städten. Außerdem liegt die Gefahr sehr nahe, daß dich die Polizei deines gestrigen Auftretens wegen festnimmt, und dann bist du ganz machtlos, etwas zu unternehmen. Ich kann dich nicht schützen. Bleibe du ruhig an Bord. Ich wünsche wie du, daß jenen Verbrecher die irdische Gerechtigkeit ereile, aber wir können zunächst nichts tun, um ihn dieser zu überliefern. Mitteilungen über den gefährlichen Burschen will ich indessen durch unsern Konsul an die Behörden gelangen lassen.«

Steffen schien überzeugt und nickte. Die Löscharbeiten wurden nach Kräften gefördert, Wasser und frische Vorräte eingenommen, und Findling ließ alle Anordnungen treffen, um am andern Tag in See gehen und jenes geheimnisvolle Eiland aufsuchen zu können.

Im Laufe des Tages erschien Herr Spieß wieder und überzeugte sich, daß der »Roland« segelfertig gemacht werde. Er lud Findling für den Abend zu sich ein, was dieser kühl mit der Bemerkung ablehnte, daß er für heute bei Mr. Johnson zugesagt habe. Der Kapitän begab sich hierauf noch zu dem Konsul und machte ihm Mitteilungen über den Malaien und den Untergang des »Admiral«.

»Ja«, entgegnete Herr Peters, »wir haben den Burschen bereits im schwarzen Buch, auch die Polizei beobachtet ihn, aber wie ein Chamäleon die Farbe, wechselt ein solch heimatloser Bursche den Namen, den Aufenthalt, und da es an Zeugen fehlt, ist sogar oft seine Identität sehr schwer festzustellen. Dennoch will ich die Behörde benachrichtigen.«

Henrik ging den Tag über still und stumm einher, selbst Fritz vermochte ihn nicht aufzuheitern.

Steffen arbeitete im Takelwerk und richtete nur von Zeit zu Zeit die scharfen Augen suchend auf das Gedränge an dem Hafen. Trotz dieser Aufmerksamkeit gewahrte auch er nicht, daß der »Roland« von einigen braunen Burschen beobachtet wurde, ebensowenig wie Findling bemerkt hatte, daß, als er in der Stadt war, ihm zwei Malaien folgten. Findling sehnte den Abend herbei, um von neuem mit den Singalesen in Mr. Johnson's Villa zusammenzutreffen. Er hatte einen Wagen bestellt, und gegen acht Uhr fuhren er und Henrik hinaus zu dem Engländer.

Bald bogen sie in die dunkeln Wege ein, welche zu den zerstreut liegenden Landhäusern führten.

Ein starker Ruck des jäh haltenden Wagens schleuderte die Insassen plötzlich recht unsanft aus einer Ecke in die andere. Man hörte den Mulatten, der als Kutscher diente, fürchterlich schimpfen. Gleich darauf verstummte alles.

Findling riß den Wagenschlag auf – tiefe Dunkelheit herrschte, denn die Laternen waren durch den Ruck erloschen, und er sprang hinaus. Kaum berührte er den Boden, als eine wollene Decke über seinen Kopf geworfen und seine Arme gefaßt wurden. Findling, welcher große Körperkraft besaß, suchte die Decke abzustreifen, wurde aber trotz seines Widerstandes niedergerissen und war gleich darauf an Händen und Füßen gefesselt. Henrik, der nach ihm den Wagen verlassen hatte und mit lähmendem Schrecken das wilde Ringen gewahrte, wurde, ehe er sich nur über das, was vorging, klar werden konnte, ebenso behandelt wie der Kapitän. Auch den Kutscher hatte man vom Bock herabgerissen und gebunden.

Irgend jemand sagte in englischer Sprache, gedämpft, doch so, daß die Laute zu den Ohren der Gefangenen drangen: »Es sind zwei, der Steuermann ist bei ihm.«

»Desto besser, nehmt den auch mit«, war die Antwort.

In deutscher Sprache ließ sich hierauf eine heisere Stimme nahe ihren Ohren hören: »Einen Laut, Burschen, und es fährt euch ein Messer in die Kehle.« Es war unverkennbar die Stimme des verkommenen Carsten. Soweit sie in der Finsternis zu erkennen vermochten – die Decken waren den Überfallenen abgenommen worden, als sie gefesselt am Boden lagen – waren sie von einem Haufen dunkler Gestalten umgeben. »So, mein braver Steuermann«, ließ sich eine Stimme vernehmen, der man es anhörte, daß ihr Besitzer angetrunken war, »jetzt wollen wir es dir besorgen. Kannst ausschlafen, Bursche, während wir das Inselchen aufsuchen –«

»Schweigen Sie!« Mit diesen in scharfem Ton hervorgestoßenen Worten wurde er unterbrochen.

Trotz der Todesangst, welche Henrik befallen hatte, denn er fürchtete, daß man ihn und Findling töten werde, glaubte er, die Stimme Onnos zu erkennen.

» Go on!« klang es in gleichem Ton, und die Gefangenen wurden aufgehoben, wieder in den Wagen geschoben, zwei in der Dunkelheit nicht erkennbare Männer setzten sich zu ihnen, und das Fahrzeug, dessen niedergestürzte Pferde wieder emporgebracht waren, fuhr davon.

Die sich schweigend verhaltenden Gefangenen wurden nach langer Fahrt veranlaßt, auszusteigen und in einen dunkeln Raum hineingestoßen, in welchem sie auf Maisstroh niedersanken.


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