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Als Henrik am andern Morgen zum Fenster hinausblickte, sah er Karl Steffen ganz gelassen auf einer Ruhebank sitzen und ihm freundlich zunicken, als dieser ihn gewahrte.
»Oh«, sagte Henrik erfreut, »war dir das Schiff zu enge, Karl? Sei willkommen am Land.«
»Lange Wald gelebt«, erwiderte Steffen langsam, »wieder Wald sehen – Horsa sehen.«
»Brav, mein Freund, komm herein.«
Gleich darauf erschien der verwilderte Mann in dem Zimmer, das den jungen Leuten als Speiseraum diente. Karl Steffen nickte dem Schneider zu und blickte strahlend auf Henrik.
»Ich finde es sehr begreiflich, daß dir ein im Hafen ankerndes Schiff als ungewohnte Fessel erschien, und freue mich, daß du an Land gekommen bist. Setz dich und nimm teil an unserm Frühstück.«
Der ehemalige Matrose setzte sich unbehilflich; man sah ihm an, daß er sich Zwang antat; ihm, der so lange das Leben eines wilden Tieres geführt hatte, war das Sitzen auf einem Stuhl fremd, auch übte er große Vorsicht in der Auswahl der ihm vorgesetzten Speisen, die ihm ungewohnt waren. Er griff fast nur zu Früchten und in Wasser gekochtem Reis.
»Det Karlchen von die Insel«, meinte Fritz, der, nebenher bemerkt, nicht guter Laune war, »müßte doch seine Toilette etwas vervollkommnen.«
Steffen trug nichts weiter als sein indisches langes Gewand.
»Das ist wahr, mein Lieber«, sagte Henrik, »und da könntest du dir wesentliche Verdienste erwerben, wenn du während meiner Abwesenheit Karl einen hübschen Anzug machen würdest. Stoff, Nähzeug und Bügeleisen wollen wir schon anschaffen.«
»Hör mal, Hamburger«, sagte der Schneider sehr ernst, »ick habe dir schon auseinanderposamentiert, det ick Jründe habe, hier mein ehrenvolles Metier nich auszuüben, aus höhern Rücksichten, weißt du.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Henrik, »du bist nur inkognito hier, von wegen –« und er tippte mit dem Finger auf seine Brust, »aber dann komm mit mir.«
»Ick habe ooch Jründe, uff keene verdächtigen Berggelegenheiten zu jehen.«
»Ihr Schneider habt keine Courage, das weiß man ja.«
»Hör mal, Hamburger«, sagte Fritz in großer innerer Erregung, »wenn du det sagst, du, der mir mitten mang die Schlacht jesehen hat, dann hört aber die Jemütlichkeit uff.«
Fritz Fischer war sehr beleidigt.
»Ich kenne ja deinen Mut, Fritz«, sagte begütigend Henrik, »und eben deshalb wundere ich mich, daß du mich nicht begleiten willst.«
»Ick tu' et nich«, erwiderte der Schneider, störrisch, »keen richtiger Berliner jeht uff eenen feuerspeienden Berg, ick tu' et nich.«
»Gut, gut. – Aber du, Karl Steffen, begleitest mich?«
Dieser nickte: »Ich geh', wo Horsa geht.«
»Ja«, brummte der Schneider, »der Mann paßt uff verrückte Berge, ick bin doch zu aufjeklärt, um mich mir nichts dir nichts in die Luft sprengen zu lassen.«
»Ja, Karl, du bist anhänglicher als dieses Kind der Reezengasse, dieser Napoleon in Duodezausgabe, der mir zwar durch Wasserschöpfen das Leben, dem ich aber zehnmal mehr, dem ich sein besseres Selbst gerettet habe.«
»Wat hast du mir gerettet?«
»Mensch, Schneider, Münchhausen, begreifst du denn nicht, welchen Dienst ich dir erwiesen habe, als ich dich von der teuflischen Macht des verzauberten Papageien befreite, der dich, einen ebenso tapfern als geistig hochstehenden Jüngling, der mit Spreewasser »getooft« ist, zu einem ›Döskopp‹ machen wollte? Begreifst du das denn nicht, Undankbarer? Ohne mich wärest du jetzt wirklich ein Döskopp.«
Fassungslos starrte ihn der Berliner an. »Nu ja«, brachte endlich der verblüffte Schneider, der sich doch innerlich schämte, daß er sich von dem Papagei ins Bockshorn jagen ließ, stotternd hervor, »nu ja, det unjebildete Vieh – det is – wat meenste denn eejentlich mit det allens?«
»Döskopp!« krächzte es vom Fenster her, und auf den nahen Zweigen saß der Papagei, den man die Tage her mit Süßigkeiten vom Tisch freigebig bedacht hatte.
Das übte nun freilich als Nachklang von Henriks Predigt eine so komische Wirkung, daß dieser sich vor Lachen nicht zu lassen wußte.
Fritz aber war sehr verdrießlich. »Immer mußt du mir uzen.«
»Nein, es war mir nur ein Bedürfnis, auch meine Verdienste um dich, der du mir durch Wasserschöpfen das Leben gerettet hast, hervorzuheben. – Übrigens würde ich mir diese beleidigenden Ausdrücke der Papageiengeister verbitten.«
»Na, warte nur, ick werde et dir schon wieder jeben«, brummte Fritz.
Ara Labung, der junge Balinese, erschien in Begleitung von Dienern, welche Jagdanzüge und Waffen trugen.
»Prinz Anak Madé hat schon gestern abend alle nötigen Befehle für Ihren Ausflug gegeben, und wir können bald nach Mittag die Reise antreten, Gentlemen. Er sendet hier für das Bergsteigen geeignete Kleider und Flinten für den Fall, daß Sie unser Bergschaf, das nur am Rindjani vorkommt, jagen wollen. Alles andere führen die Diener mit.«
Das freute Henrik sehr.
Als er das Erstaunen gewahrte, mit dem der junge Balinese Karl Steffens absonderliche Erscheinung betrachtete, erklärte ihm Henrik, wer er sei.
»Ja, ja, jetzt erinnere ich mich«, erwiderte der Offizier, »der Prinz hat von diesem Waldmenschen wiederholt gesprochen. Wird er mit uns gehen?«
»Er möchte mich gern begleiten.«
»Das mag er ruhig tun, unser Ausflug wird ihm seine einsame Insel mit ihrer Felsformation zurückrufen.«
»Nun, Fritz, komm, wir wollen Bergsteigertoilette machen.«
»Ick jeh' nich.«
»Sei kein Narr.«
»Der wär' ick, wenn ick mitjinge; ick tu' et nich.«
»Na, dann muß ich es allein mit dem Rindjani aufnehmen, denn hinauf will ich nun einmal, auch wenn mir deine Tapferkeit nicht zur Seite steht.«
Er bat Ara Labung, ihn zu entschuldigen, begab sich mit den Dienern in das Schlafzimmer und legte die neue Tracht an. Er sah prächtig aus in den hohen ledernen Gamaschen, der enganliegenden buntgestickten Weste mit der schön verzierten, einem Jatagan ähnlichen Waffe im seidenen Gürtel und der Büchse in der Hand.
»Een hübscher Junge bist de doch, Hamburger«, meinte Fritz.
»Ne, ick tu' et nich«, und entschlossen entfernte er sich.
Ara Labung sagte, daß gegen Mittag alles zum Ritt fertig sein und er die Herren abholen werde.
Zur festgesetzten Zeit erschienen die Pferde und wohl ein Dutzend Diener, die beladene Handpferde führten. Fritz Fischer hatte sich nicht sehen lassen, er mußte wohl im Park umherwandern.
Mit Ara Labung erschien auch Anak Madé, und zwar beritten.
»Ich werde Ihnen«, sagte der Prinz zu Henrik, »bis zu Ihrem ersten Nachtlager das Geleite geben, um mich zu überzeugen, ob meine Befehle ausgeführt sind.«
Henrik war von dieser Aufmerksamkeit ungemein angenehm berührt.
»Nun«, fragte der Prinz, »wo ist denn das andere junge Milchgesicht?« Er bediente sich scherzend des Ausdrucks, mit dem die Europäer gemeinhin im indischen Archipel von den Eingeborenen bezeichnet werden.
Henrik sagte ihm, daß sich Fritz entschieden geweigert habe, an der Reise teilzunehmen.
»Ja«, äußerte lächelnd Anak Madé, »es gibt auch hier im Land Leute genug, die vor dem rauchenden Riesen abergläubische Scheu hegen, ich selbst habe nur mit innerm Beben den Berg bestiegen. – Ah«, fuhr er, Steffen gewahrend, fort, »da ist ja unser Waldmensch. Will er Sie begleiten?«
»Er wünscht es.«
»Nehmen Sie ihn nur mit, er kann Ihnen nützlich sein.«
Auf einen Wink Anak Madés brach man auf.
Noch im Sattel sah sich Henrik nach dem Berliner um, gewahrte ihn aber nicht, obgleich Fritz aus einem Busch den Abritt beobachtete.
Steffen weigerte sich entschieden, ein Pferd zu besteigen, und ging den Reitern, denen sich einige bewaffnete Soldaten zugesellt hatten, nach.
Das Land, das sie nach Norden hin durchritten, war eben und von kleinen Flußläufen durchzogen. Zwischen den zur Seite ihres Weges liegenden Dörfern zeigten sich ausgedehnte Reis- und Maisfelder, Anpflanzungen von Bananen, Feigen und Gebangpalmen. Die kleinen Häuser der Landbewohner waren teils aus Ton, teils aus Bambus errichtet; in letztern wohnten dann sicher Sassaker, während die Balinesen den Ton als Baumaterial vorzogen. Hie und da wiegten prächtige Kokospalmen ihre Blätter im lauen Wind. Das Land war überall gut bebaut und schien fruchtbar zu sein. Zahlreiche Pferde weideten auf ausgedehnten Wiesen, und dichte Scharen von Enten belebten Teiche und Bäche. Enteneier und Pferde sind wichtige Handelsartikel für Lombok. In der Ferne zeigten sich bewaldete Höhen, über die immer noch das Haupt des Gunung Rindjani emporragte.
Karl Steffen folgte treulich den Reitern und lief, als die Kavalkade sich in Galopp setzte, in gleicher Schnelle und scheinbar ohne Anstrengung nebenher.
Das weiße Gesicht Henriks wurde von den dem Zug Begegnenden mit staunender Bewunderung betrachtet, Anak Madé überall ehrfurchtsvoll begrüßt.
Nach kurzem, wenig anstrengendem Ritt erreichten sie ein Wäldchen, in dem um dort aufgeschlagene Mattenzelte wohl fünfzig Männer versammelt waren, deren größerer Teil dem Volk der Sassaker angehörte. Es war die für Henriks Bergreise ausersehene Begleitung. Feuer, an denen gekocht und gebraten wurde, brannten, und zahlreiche Pferde waren ringsum angebunden.
Die Reiter ließen sich auf ausgebreiteten Teppichen nieder, und die Diener überreichten Tee. Steffen war gleichzeitig mit den Reitern eingetroffen, zu nicht geringem Staunen der berittenen Balinesen, doch hielt er sich abseits.
Anak Madé ließ einen alten Sassaker vor sich kommen, der Henrik, wie er diesem sagte, als erfahrener Führer dienen sollte. Ein sehniger Bursche, dem graues Haar, das lang unter dem bunten Kopftuch hervorquoll, das braune hagere Gesicht umwallte, beugte sich vor dem Prinzen.
»Ich bin glücklich, Herr«, sagte er mit kriechender Höflichkeit, »daß ich dich von neuem auf den Berg geleiten kann.«
»Dieses Glück wird dir nicht zuteil werden, Mann, aber das Milchgesicht neben mir wirst du zum Rauch oben führen und es wohlbehalten zurückbringen.«
Wer die Weise des alten Sassakers kannte, würde wahrgenommen haben, daß des Prinzen Worte ihm eine bittere Enttäuschung bereiteten.
»Geschieht dem Milchgesicht Übles, wirst du es büßen, Rasido«, fuhr Anak Madé fort.
»Rasido, Herr«, sagte der Mann unterwürfig, »wird das Milchgesicht zurückbringen oder selbst nicht wiederkehren.«
»Nach glücklich vollbrachter Reise werde ich dich belohnen, Rasido.«
Der Sassaker neigte sich.
»Du kennst den Berg, der Auf- und Abstieg kann auch zu dieser Jahreszeit ohne Gefahr bewerkstelligt werden?«
»Der Berg ist ruhig, seine Geister schlafen.«
»Gut, du siehst, daß ich dir vertraue, Rasido.«
»Dein Diener, Sohn des Radscha, wird das Vertrauen rechtfertigen.«
»Hast du alles, was du brauchst, um den Berg zu überwinden?«
»Es ist alles vorhanden.«
»Verdiene dir deine Belohnung.«
Er winkte und der Sassaker entfernte sich demütig.
»Ich muß Sie bald verlassen, Mr. Henrik«, sagte der Prinz, »ich bin in Mataram nötig, doch Ara Labung«, der Offizier hatte auf Anaks Befehl bei ihm und Henrik Platz genommen, »wird mich vertreten, und Sie werden auch an ihm einen Freund haben.«
Während sie sich noch über den Vulkan und die Hindernisse auf dem Weg zu seinem Gipfel unterhielten, hörten sie Pferdegetrappel an der Grenze des Wäldchens, und gleich darauf trat zu freudiger Überraschung Henriks Fritz Fischer auf ihn zu, während ein mit diesem eingetroffener Diener sich zu Anak Madé wandte.
»Fritze! Da bist du ja!« rief Henrik, dem der gute Schneider doch sehr gefehlt hatte.
»Ja, Hamburger«, sagte der, »ick konnte et nicht übers Herz bringen, dir allein in dein Unglück rennen zu lassen, et hätte mir det Herz abjedrückt. Wir waren zusammen arme Robinsons uff die schofele Insel, wir müssen schonst zusammenhalten, unter die wilden Menschenbrüder.«
»Das wollen wir auch, Fritz«, entgegnete Henrik, der die Anhänglichkeit des Schneiders, die selbst die Furcht vor dem Vulkan überwand, schätzte, herzlich und schüttelte ihm die Hand.
Jetzt erst gewahrte der Schneider, der eine Stunde nach Henrik in Begleitung eines Dieners aufgebrochen war, um diesen einzuholen, Anak Madé.
»Ach du jrundjütiger Himmel, unsere Hoheit, Durchlaucht. Entschuldigen der Herr Exzellenz jütigst, aber ick habe Ihnen nich gleich beaugenscheinigt, weil ich nur an diesen tollen Hamburger dachte, bei dem eene Schraube los ist.«
Fritz ließ sich wiederum eine stattliche Anzahl seiner Bücklinge zuschulden kommen, die selbst dem ernsten Fürsten ein Lächeln abnötigten. Von Henrik unterrichtet, daß den jungen Berliner das Herz in letzter Stunde dem Freund nachgetrieben habe, reichte er ihm freundlich die Hand und forderte ihn auf, sich bei ihnen niederzulassen, was Fritz mit seltsamem Anstand auch glücklich fertig brachte.
»Es ist schön, junger Freund«, sagte der Prinz, »daß Sie Ihren Gefährten nicht verlassen und die ihn erwartenden, nicht unerheblichen Anstrengungen teilen wollen.
»Ick werde mir bemühen, Durchlaucht Hoheit«, stammelte Fritz und verbeugte sich, schon sitzend, mehreremal.
Nach wenigen noch gewechselten freundlichen Worten erhob sich Anak Madé, mit ihm die andern. Die Reiter seiner besondern Begleitung saßen augenblicklich im Sattel, und das Pferd des Prinzen wurde vorgeführt.
Er reichte Henrik die Hand. »Erfüllen Sie Ihres Herzens Wunsch und kehren Sie glücklich nach Gunung Sari zurück, der Erhalter beschütze Sie.«
»Es is doch 'n janz famoser Kunde, der jelbe Prinz, und jar nich hochnäsig«, meinte Fritz.
»Er ist ein prächtiger Mensch, du aber, meine liebe Schneiderseele, auch; ich freue mich von ganzem Herzen, daß ich dich bei mir habe.«
»Wenn man nur allens jut abläuft.«
»Sei doch kein Hasenherz.«
»Na, et is nu ejal, nu mal rin in't Verjnügen.«
Sie ließen sich mit Ara Labung wieder auf dem Teppich nieder, und Fritz füllte seinen Magen mit einer nicht unerheblichen Ladung von Reis und gekochten Hühnern.
Bald kam die Nacht, und die jungen Leute suchten ihr Lager, das ihnen in einer der Basthütten auf Polstern bereitet war, während Steffen, einem treuen Wächterhund gleich, davor schlief.
Bald nach Tagesanbruch wurden sie geweckt.
Während sie mit Ara Labung frühstückten, wurden die Polster und die Mattenzelte den Pferden, die zu dem Zweck mitgeführt wurden, aufgepackt.
Fritz Fischer, der sich, ehe er Henrik nachritt, in den übersandten Jagdanzug geworfen hatte, trug mit einigem Selbstbewußtsein die dazu gehörende kurze Hiebwaffe im Gürtel, die Büchse hatte er zurückgelassen: »Denn weeßte«, hatte er geäußert, »so 'n Ding kann losjehen un det is ne jefährliche Jeschichte.«
Die Besorgnisse um den Ausgang der seiner Meinung nach so gefährlichen Expedition hatten übrigens weder seinen Schlaf noch seinen Appetit beeinträchtigt.
Bald saß alles zu Pferd und ritt im Morgensonnenschein dem Rindjani zu. Es war ein stattlicher Reitertrupp, der die rauhe Straße einherzog, überaus malerisch durch die farbigen Gewänder. Die große Zahl beladener Saumrosse erhöhte das Stattliche des Zuges.
Karl Steffen, an den Henrik nach seinem Erwachen freundliche Worte gerichtet hatte, bewegte sich auf seinen nackten braunen Füßen zur Seite der Reiter. Der schweigsame Mann im indischen Gewand, dessen helleres Haar zu der gebräunten Gesichtsfarbe nicht passen wollte, der mit ungeschütztem Fuß auch auf rauhem Boden mit dem galoppierenden Pferd Schritt hielt, war den Balinesen und vor allem den Sassakern aufgefallen, die ihn mit bemerkbarer Scheu betrachteten.
Das Land war überall gut angebaut und ziemlich dicht besiedelt. Von allen Seiten liefen Leute herbei, um den Zug und die noch nie gesehenen Milchgesichter anzustaunen. Henrik ritt in der fröhlichsten Stimmung neben dem jungen Balinesen und Fritz einher. Dieser hatte bei dem mühelosen Ritt durch die Ebene seine gute Laune wiedergefunden und erging sich in kühnen Vergleichen zwischen dem, was ihnen vor Augen lag und der Umgebung von Berlin, wobei er nicht vergaß, deren landschaftliche Reize hervorzuheben. Zu ihrer Rechten zogen sich, als sie weiter kamen, sehr lieblich gestaltete, dicht bewaldete Höhen hin, und allgemach stieg auch ihr Weg empor.
Als sie endlich in einen Wald einritten, dessen mächtige Baumgestaltungen von fremder ungewohnter Art Henrik bewundernde Ausrufe entlockten, wurde der Schneider wieder verdrießlich, und statt seine Aufmerksamkeit der reichen Vogelwelt, den buntgefieberten Kakadus, grünen Tauben oder den häufig auftretenden Affen zuzuwenden, schaute er oft ängstlich um sich her.
Dämmerung umfing die Reisenden, und der Weg wurde hie und da so schmal, daß sie einzeln reiten mußten.
Als Henrik und Fritz wieder zusammen ritten und der Schneider nach beiden Seiten wieder ängstlich ausschaute, sagte Henrik endlich: »Was hast du denn? Fürchtest du dich etwa? Wilde Tiere gibt es hier nicht.«
»Ich fürchte mir ooch nich vor wilde Tiere, aber ick fürchte mich vor die braunen Menschen. Det is ne Jegend hier, wo sie eenen abmurksen können, ohne det irgend einer wat von erfährt.«
»Du, ich spreche gleich die Sprache der Papageien, wenn du so fortfährst. Du weißt doch?«
»Ja, ick verstehe dir, ›Döskopp‹ meinst du.«
»Wir reiten unter der Bewachung von fünfzig zuverlässigen Leuten, stehen unter dem Schutz des Landesherrn.«
»Ick sage dir, Hamburger, die braunen Menschen hier sind sich nich jut untereinander, jib nur mal acht, wie sie sich absentieren und immer in zwei Teile jehen.«
Diese Bemerkung des Schneiders verriet mehr Scharfsinn, als bei ihm vorauszusetzen war, und machte Henrik, welcher der Begleitung wenig Beachtung geschenkt hatte, betroffen.
Als Ara Labung sich wieder zu ihm gesellte, teilte er ihm mit, was Fritz wahrgenommen haben wollte.
»Ihr Freund hat durchaus richtig gesehen«, erwiderte dieser. »Unsere Mannschaft setzt sich aus Sassakern und Balinesen zusammen, zwischen denen sowohl die Sprache als auch vor allem die Religion, deren Gesetze sich bis auf Speise und Trank erstrecken, einen wesentlichen Unterschied bedingen. Die Sassaker sind Mohammedaner, wir dienen Brahma, und dazu kommt, daß ich wohl der einzige Balinese hier sein dürfte, der die Sprache der Eingeborenen spricht, wie auch wohl unter jenen nur Rasido, unser Führer, unser Idiom verstehen wird. Daraus erklärt sich die Einteilung unserer Leute in zwei Gruppen ganz natürlich, einig aber sind diese in treuer Pflichterfüllung.«
Als dem Berliner dies verdolmetscht war, äußerte er: »Det mag allens sind, aber ick traue die Leute nich.«
Als sie nach mehrstündigem Ritt durch den dichten Wald endlich aus diesem heraustraten, sahen sie in seiner ganzen Majestät den riesigen Pik von Lombok vor sich. Der massige Koloß mit seinen bewaldeten Vorbergen, seinem sich vom klaren Abendhimmel scharf abhebenden Haupt, dem in unbewegter Luft senkrecht zum Himmel aufstrebend eine Dampfwolke entstieg, machte einen gewaltigen Eindruck.
Während Henrik sich diesem überließ, schlugen die Diener an einer geschützten Stelle das Lager auf und zündeten Feuer an.
»Ja«, sagte Fritz, »et is kolossiv, det muß wahr sin. Rauchende Berge haben wir bei uns doch nich.«
»Nun, haben wir nicht auch zwei rauchende und feuerspeiende Berge in Europa?«
»Det wirst du mir nich weismachen.«
»Aber, Mensch aus Spreeathen, du hast doch sicher vom Vesuv und Ätna gehört?«
»Ach so, die meenste? Von den eenen hab ick mal jehört, det is aber in de Türkei oder so rum.«
»Na, kommen wir wieder glücklich zur Heimat, kaufe ich dir ein Geographiebuch und Bilder vom Vesuv und Ätna.«
»Ick wollte, ick hätte et erst«, seufzte Fritz.
Als sie sich am Feuer niederließen, erschien Karl Steffen, den sie den ganzen Tag nicht gesehen hatten, und brachte einige Hühner, die er auf seine Weise erlegt hatte und welche, rasch zubereitet, ein überaus wohlschmeckendes Abendbrot lieferten.
Henrik veranlaßte den Matrosen, sich neben ihn zu setzen. Er befürchtete, das ungezügelte Umherstreifen in den wilden, einsamen Wäldern könne den kaum aus langem Schlaf erwachten Menschen in seine alten Gewohnheiten zurückfallen lassen. »Ziehst du nicht den unendlichen Ozean diesen düstern Waldungen vor, Karl?«
Nach einiger Zeit entgegnete dieser: »See gut – Wald gut. Er geht mit Horsa – See – Wald.«
»Selbstverständlich bleibst du bei mir. Hoffentlich sehen wir unser altes, schönes Hamburg bald wieder.«
Als die Nacht hereinbrach, bot sich den Augen der Lagernden ein wunderbares Schauspiel. In regelmäßigen Pausen brach aus dem Krater des Berges Feuerschein, der die gewaltige ihm entstiegene Dampfwolke von unten rötlich beleuchtete. Es war ein ebenso prächtiger als gewaltiger Anblick.
»Janz kolossiv«, murmelte der hingerissene Schneider. »Det wär wat vor de Berliner, besonders wenn et nischt kostet, aber ick jeh nich hin, wo det Feuer brennt.«
Lang saß Henrik noch, als schon alle schliefen, in der stillen Nacht und schaute abwechselnd zu den glänzenden Sternen und zu der feurigen Wolke des Piks empor, deren Glanz weit über Land und Meer leuchtete. Erst spät suchte er das Lager auf. Vor dem Zelt schlief Karl.
Am andern Tag stieg der Zug durch Wälder und Felsschluchten unter nicht geringen Anstrengungen zum Berg empor. Überaus herrlich waren die Ausblicke in die bewaldeten Täler, die in malerischer Abwechslung des Blattgrüns vom hellsten bis zum dunkelsten, bestrickend wirkten.
Dazwischen erschienen schroffe Felspartien, deren wilde zerrissene Formen auf vulkanischen Ursprung deuteten. Von bewohnten Stätten waren sie schon längst entfernt, und als sie in einem Felskessel das Nachtlager bezogen, machte sich auffallende Kühle geltend. Ein Zeichen, daß sie bereits in ziemliche Höhe gelangt waren. Fröstelnd saßen die Indier in Schals gewickelt an den Feuern, und selbst die beiden Nordländer, empfindlich geworden durch den Aufenthalt im Tropenklima, hatten sich in wärmende Tücher gehüllt.
Auch die Natur der Bäume und Pflanzen hatte sich geändert, wie auch Affen und Kakadus tief unten zurückgeblieben waren. Statt der Palmen zeigten sich dem Auge Jamudjueichen und düstere Nadelhölzer.
Mit unbehaglicher Kälteempfindung erhoben sich Henrik und Fritz bald nach Sonnenaufgang vom Lager ihrer Mattenhütte. Karl Steffen hatte sich aus Alang-Alang, hohes binsenartiges Gras, eine Hütte zum Schutz vor der Nachtkälte gebaut.
Von hier ab mußte der Aufstieg zu Fuß unternommen werden, Pferde konnten nicht höher gelangen. Sie und einige der Diener blieben in dem engen Tal, um die Rückkehr der kühnen Bergsteiger zu erwarten. Die Bewegung war in der frischen Morgenluft zuerst angenehm, weil erwärmend, wurde aber bald sehr beschwerlich. Auf steilem, gefährlichem Felspfad, zwischen dornigem Gestrüpp und Tannenbüschen stiegen sie mühsam aufwärts. Voran der Führer Rasido, und einer nach dem andern folgte. Ein Abgrund öffnet sich vor ihnen, schroff fallen dessen Wände ab und langhin erstreckt sich der Spalt. Felstrümmer und entwurzelte Bäume liegen auf seinem Boden. Flink lassen die Sassaker ein Tau hinab und einige gleiten daran hernieder, nachdem sein Ende an einem starken Baum befestigt worden ist. Unten wird das Tau angezogen, daß es einen Winkel von fünfundvierzig Grad bildet. Auf einem kleinen Brett, das durch zwei kleinere Taue an dem großen Tau befestigt ist, fährt jetzt Rasido hinab, mit mäßiger Schnelle, und wird unten aufgefangen. Er hat gezeigt, daß die Fahrt gefahrlos ist, das Brett wird wieder in die Höhe gezogen, ein Sassaker fährt hernieder, dann Ara Labung.
»Nun, Fritz, du.«
Mit Schrecken hat der Schneider die Fahrt mit angesehen.
»Ick jeh nich. Ick will nich Hals und Beine brechen.«
»Torheit, die Sache ist ganz leicht.«
»Ja, vor dir und andere Seematrosen, ick tu et nich, ick werde hier warten, bis ihr von dem ollen Berg wiederkommt.«
»Das geht nicht, Fritz, wir können dich nicht hier lassen. Nur Mut.«
Steffen, der dabeistand, hatte mit Kennerblick und nachfühlender Hand die Taue und ihre Festigungen untersucht, was Henrik wohl bemerkt hatte. Als der Schneider fortfuhr, sich des Hinabsteigens zu weigern, zwinkerte Henrik dem Matrosen mit den Augen verständnisvoll zu und der begriff als echte Teerjacke augenblicklich, was von ihm erwartet wurde.
Eben war das Brett, von einem dünnen Tau gezogen, wieder oben angelangt. Von neuem untersuchte Steffen die Art, wie das Brett befestigt war, nahm den Schneider, der dabei entsetzlich schrie und zappelte, unter den Arm, saß im Nu auf dem Brett, rutschte mit dem vor Angst kreidebleichen Schneider hinab und setzte ihn unten säuberlich auf den Boden.
»Det is – det is – det jeht jegen alles Völkerrecht«, zeterte mit einem Gemisch von Zorn und Angst Fritze; »ick werde dir verklagen, du oller Waldbruder mit die Pelzmantille un den unfrisierten Lockenkopp.«
Schon aber kam Henrik herunter und suchte den grimmigen Schneider zu beruhigen.
»Ick habe et jleich jesagt, ick will mit die janze Sache nischt zu tun haben«, schrie dieser.
»Das war eine großartige Leistung, Fritz, das hätte dir niemand so leicht nachgemacht.«
»Wat?« fragte der gänzlich verblüffte Schneider. »Wat is det?«
»Bewundernswert war es, wie du während eurer Fahrt das Gleichgewicht hieltest; das nenne ich Kaltblütigkeit. Ohne diese hättet ihr beide das Genick brechen müssen.«
Fritz, der während des Herabgleitens vor Angst ganz sinnlos gewesen war und den Komplimenten seines »Hamburgers« nie ganz traute, sah ihn forschend an.
»Tu willst mir wohl zur Schaute machen?«
»Ich? Jetzt? Angesichts eines feuerspeienden Berges? Was denkst du von mir?«
»Der Waldbruder hat sich an mir vergriffen, sage ick dir.«
»Um so mehr war deine Geistesgegenwart zu bewundern.«
»Die Balance hab' ick ja woll jehalten, det is ja richtig, det mußte ick ja schon«, sagte Fritz.
»Das erkannte ja jeder sofort.«
»Aber uff eene zweete Reise mit den Karlchen von die Insel laß ick mir nich in.«
Während dieses Dialoges waren sämtliche Balinesen und Sassaker und auch das nach der Höhe mitzuführende Gepäck unten angelangt.
Der Aufstieg wurde auf der andern Seite auf einem schmalen Felspfad unternommen, der die Reisenden bald in eine Felsschlucht von großartig düsterm Charakter führte. Wohl an dreihundert Fuß stiegen fast senkrecht, hie und da wild zerrissen, Felswände in die Höhe. Steine, Baumstämme lagen auf dem Grund der Schlucht und erschwerten das Fortschreiten sehr.
Fritz seufzte ein über das andere Mal und verwünschte alle feuerspeienden Berge.
Am wohlsten von allen schien sich Steffen zu fühlen, der mit staunenswerter Kraft und Behendigkeit alle Hindernisse überwand.
Ein Windstoß fuhr plötzlich mit unheimlichem Sausen hoch über sie hin, bog die an Felswänden stehenden Bäume nieder und heulte in den Klüften. Gleichzeitig verdüsterte sich der Himmel. Der Führer schrie mit lauter Stimme etwas hinab, was die Sassaker mit großer Unruhe zu erfüllen schien.
»Wir müssen eilen«, sagte hastig Ara Labung zu Henrik, »ein Gewitter zieht herauf und bringt uns Verderben, wenn es uns in dieser Felsspalte überrascht.«
Mit aller Kraft strebten die Leute jetzt nach oben.
Es wurde dunkel in der Schlucht, und der Himmel sah fast schwarz aus. Ein feuriger, blendender Strahl zuckte über sie hin, dem ein sinnbetäubender Donner folgte; die Felsen schienen in ihren Grundfesten zu erbeben.
Alle standen laut- und bewegungslos bei diesem furchtbaren Ausbruch, und Fritz murmelte: »Ach Jotte, die Welt jeht unter.«
Wiederum schrie der Führer mit gellender Stimme etwas hinab.
»Suche jeder Schutz an den Felswänden, die Wasser werden kommen«, wiederholte dröhnend Ara Labung zuerst balinesisch und dann englisch, sich an Henrik wendend.
»Vorwärts, Fritz, wir müssen uns retten, mir nach«, sagte Henrik. Blitz folgte jetzt auf Blitz in unheimlicher Schnelle, und der Donner hallte wieder, als ob hundert Kanonen zugleich abgefeuert würden. Grausig, unheimlich war das Toben der entfesselten Naturgewalten, Fritz war wie gelähmt. Alle begriffen die Gefahr, die ihnen auf dem Grund der Schlucht drohte, und begannen in Todesangst an den Wänden emporzuklettern, um eine vor den zu erwartenden Wasserfluten gesicherte Stellung zu finden. Jedem Blitz folgte der erschütternde Donner, der zwischen den Felswänden mit zehnfacher Kraft widerhallte, und die blendenden feurigen Strahlen ließen die darauffolgende Dunkelheit nur noch tiefer erscheinen. Jetzt öffneten sich die Schleusen des Himmels, und nicht Tropfen, nein, Wasserstrahlen sausten mit furchtbarer Heftigkeit hernieder. Ein dumpfes Rauschen von oben her verkündete, daß die Wasser kamen.
Alles, die feurige Lohe des Himmels, der mit verzehnfachter Kraft in der Schlucht widerhallende Donner, die undurchdringliche Finsternis wirkten so betäubend, daß Henrik emporgeklettert war, ohne sich zu versichern, ob der Schneider hinter ihm war.
Als er eine Stellung erreicht hatte, die Sicherheit zu gewähren schien, sah er sich nach Fritz um.
Beim Aufleuchten eines Blitzes erblickte er ihn zu seinem tiefen Schrecken noch unten, doch neben ihm stand der Waldmensch. Schon rauschten die verderbendrohenden Wasser näher.
»Karl«, schrie Henrik in Todesangst, mit aller Kraft seiner Lunge: »rette!«
Der nächste Blitz zeigte ihm den Matrosen, wie er, Fritz auf dem Arm, mit der Behendigkeit eines Affen emporkletterte. Gleich darauf stand er neben Henrik und setzte den Schneider nieder.
»Det is 'n nettes Schützenfest«, murmelte Fritz schwach, als eben einige rasch aufeinanderfolgende Donnerschläge verhallt waren.
Durch überhängenden Fels wurden sie zwar vor den Fluten des Himmels geschützt, zu ihren Füßen aber rauschten jetzt, Steine und Bäume gewaltig vor sich herschleudernd, die Bergwasser hernieder mit einer Wucht, welche den vieltausendjährigen Felsen Vernichtung zu drohen schien. Stumm, bebend, auf das tiefste erschüttert, ließen sie den Aufruhr der Natur an sich vorübertoben. Lange angstvolle Minuten vergingen.
Aber rasch wie das Unwetter, das in solch furchtbarer zerstörender Kraft nur die Tropen kennen, emporgestiegen war, tobte es vorüber. Der Regen hörte auf, Blitz und Donner wurden schwächer, die düstern Wolken schwanden und das Blau des Himmels zeigte sich über ihnen. Wild und schäumend rauschten noch die Wasser zu Tal. Doch auch sie sanken tiefer und tiefer, und in kurzer Zeit war wieder der mit Felstrümmern und entwurzelten Bäumen bedeckte Boden der Schlucht zu schauen.
Die Stille, die nach dem Aufruhr der Naturgewalten eintrat, sprach eindringlich zu den Herzen der Menschen, die eben dem Tod entgangen waren. Die ringsum an den Felswänden verteilten Sassaker und Balinesen fielen nieder und beteten. Unwillkürlich falteten auch die deutschen Jünglinge die Hände, und Gefühle aufrichtigen Dankes schwebten zum Himmel empor. Stumm und augenscheinlich teilnahmsvoll, doch bewegungslos sah Steffen auf die ergriffenen Jünglinge und ihre gefalteten Hände.
»Dank dir, Karl«, sagte endlich Henrik, »daß du mir meinen Berliner gerettet hast.«
Der Matrose nickte mit einem Ausdruck des Vergnügens.
»Jetzt verzeihe ick dir auch, wildes Karlchen, dat du mir die Rutschpartie vorhin hast machen lassen«, sagte Fritz. »Det war een scheenes Bumberumbum, hier mang die olle Wolfsschlucht, un noch Wasserfall dazu. Ick danke vor. Jetzt wollen wir aber umkehren, Hamburger, ich denke, du hast ooch genug.«
Henrik, der nach überstandener Gefahr seine froheste Laune wieder gewonnen hatte, erwiderte: »Jetzt erst recht nicht, min Jong, jetzt wolln wi upentern bis tau den Flaggenknopp.«
»Verrückte Menschen«, brummte Fritz in sich hinein, »un ick muß den Mumpitz mitmachen.«
Den andern gleich, kletterten sie in die Schlucht hinab und folgten in Gesellschaft Ara Labungs dem nach oben strebenden Führer.
Niemand war zu Schaden gekommen. Nach harten Anstrengungen erreichten sie die Höhe eines breiten Felsrückens. Hell strahlte die Sonne vom tiefblauen wolkenlosen Himmel hernieder und beleuchtete den aus dunkelm Waldsaum hervorragenden nackten Felskegel, die Spitze des Bergriesen, der dunkler Dampf entstieg.
Der Anblick war gewaltig, groß.
Noch stand Henrik in Bewunderung des Bildes da, als Rasido schon zum Aufbruch mahnte. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn sie noch am Abend von dem Krater zurück sein wollten.
Eine steinige Halde lag vor ihnen, die sie hinabsteigen mußten, um dann durch den Waldsaum hindurch den aschebedeckten Felskegel zu gewinnen, dem der Dampf entstieg. Da erklärte aber Fritz mit großer Energie: »Nu hört et aber uff. Mitschleppen lassen kannst du mir, Hamburger, aber jehn tu' ick keen Schritt mehr, un da kannst du machen wat du willst.«
Henrik, der erkannte, daß der Berliner erschöpft war und wirklich im Ernst sprach, beriet mit Ara Labung, und man beschloß, Fritz, dem keine Gefahr irgendwelcher Art drohen konnte, zurückzulassen, um ihrer Rückkehr zu harren.
Man gab ihm Schals und Decken, um sich gegen die sehr kühle Temperatur zu schützen, Lebensmittel, und ließ ihn bei einem durch den Regen gefüllten Felsloch zurück. Einen der Balinesen beorderte Ara Labung, zum Schutz des »Milchgesichts« zurückzubleiben.
»Ick lasse dir unjern in die Feueranjelegenheit jehen, Hamburger, aber ick kann nich mehr. Komm jesund von den ollen Schornstein wieder«, hatte er zu Henrik gesagt.
Während die andern weiterzogen, labte sich Fritz an einigem kalten Braten, suchte sich dann eine geschützte Stelle, wickelte sich in die Decken und schlief gleich darauf ein.
Indes der Sohn Berlins in »Morpheusens Armen« ruhte, suchte die Kolonne der Bergbesteiger mit großen Mühen ihren Weg durch den dichten Koniferenwald, oft auf schmalen Felskanten, an schwindelerregenden Abgründen vorbei, bis sie endlich an der Grenze jeglicher Vegetation vor dem nur mit Asche bedeckten Kegel standen.
Erst jetzt erkannte Henrik, wie massig dieser war, daß er Stunden im Umfang maß.
An sechshundert Meter waren noch bis zur Höhe zu erklettern. Der niederstürzende Gewitterregen hatte ihnen Wege gebahnt, welche das Emporsteigen erleichterten, indem er viel Asche hinweggespült hatte. Nach kurzer Rast begannen sie in sehr kühler Luft den Aufstieg. Steffen, der kaum Ermüdung zu fühlen schien, unterstützte den flinken Henrik wesentlich, so daß beide bald allen andern voraus waren. Endlich – endlich waren sie oben auf dem bis zu viertausendzweihundert Meter Meereshöhe sich erhebenden Pik von Lombok.
Schneidende Luft wehte sie an und beide hüllten sich in dichte Schals.
Wie erstaunte Henrik, als er jetzt auf dem Gipfel dieses Bergriesen ein einem See ähnliches Wasserbecken vor sich sah, aus dessen Mitte sich der rauchende, schweflige Dämpfe ausstoßende Krater erhob. Trotzdem sie den Wind im Rücken hatten, machte sich der Schwefeldunst geltend.
Still lag der See da, zwischen kahlen Felswänden, kein Laut war zu vernehmen, tot war alles. Nicht Tier, nicht Pflanze lebte hier oben, nur der dampfende Krater, der von Zeit zu Zeit unter dumpfer Detonation seine Rauchwolken ausstieß, zeugte von Leben tief im Innern des Berges. Hell strahlte die Sonne Indiens, die Luft war klar, und weit, weit hinaus schaute Henrik über Land und Meer.
Der Anblick war so überwältigend großartig, daß Henrik keine Worte fand, seinem Gefühl Ausdruck zu geben. Stumm stand er vor dem erhabenen Bild. Die Ebene um Mataram, die schöngeschwungenen Waldeshöhen im Osten, die riesigen, zerhackten Konturen des Berges, bald Fels bald Wald zeigend, das unendliche, im Sonnenstrahl glänzende Meer, ein wechselndes, reizvolles Bild in nie geahnten Dimensionen. Dazu der tote See mit dem lebendigen Krater.
Henrik fühlte nicht mehr Ermüdung, fühlte nicht die Kälte der hohen Region, so gewaltig war der Eindruck dessen, was er erblickte, auf seine junge Seele. Endlich nahte sich ihm Ara Labung und der alte Sassaker, ihn aufmerksam zu machen, daß es Zeit sei den Rückweg anzutreten. Außer diesen beiden hatte es kein anderer gewagt, sich dem Kraterrand zu nahen; abergläubische Furcht hielt die Eingeborenen zurück. Noch einen Blick warf Henrik auf das Bild zu seinen Füßen, ein Bild voll Majestät und doch von unendlicher Schöne, das Mutter Erde in ihrer sonnigsten Gestalt zeigte, dann trat er langsam, erfüllt von Schauern der Ehrfurcht, zurück und schweigend stieg er mit den Gefährten hinab.
Als Fritz Fischer, Reezengasse Nummer siebzehn ins zweete Hinterhaus, von seinem ziemlich ausgedehnten Schläfchen erwachte, schaute er nachdenklich nach dem Bergkegel hinüber und hielt dabei folgendes Selbstgespräch: »Wenn nur der jute Hamburger jlücklich zurückkommt. Ick hätte ihm ja ooch nicht alleene jehn lassen, aber die Beene wollten nich mehr fort. Ick habe doch rechte Angst vor ihm. Et is nur jut, dat er die verwilderte Menschenseele, det Karlchen, mit hat, der wird ihm schonst unter die Arme greifen. Den können wir ooch in 'ne Menagerie stecken, wenn wir nach Haus kommen, aus det Jewächse wird nischt mehr. Ja, wenn wir nach Haus kommen?
Wat hat nu eener von die Berliner Schneiderzunft eejentlich uff so 'n eklichen Berg zu tun? Von wejen die Wissenschaft is et mir janz ejal, de können die verrückten Doktors von die Universität ruffklettern.
Und dann noch die Rutschpartie und der Wolkenbruch mit Jewitteratmosphäre un Wasserfall, wat jeht det mir allens an?
Der Papagei hat janz recht, wenn er mir ›Döskopp‹ nennt.
Ick wollte, ick wär' wieder bei die jelbe Durchlaucht, da war et janz jut. Ob sie hier gar keen Orden nich haben? Det wäre putzig, Ordens jibt et doch überall.
Der Hamburger uzt mir immer, aber ick mag ihm doch leiden. Wenn er man erst von die Feueresse da oben wieder runter wär'.
Wo is denn nur der braune Mann, den sie mir als Ehrenposten hier gelassen haben? Na, ejal, unterhalten kann ick mir mit den Menschenbruder doch nich.«
Da er einigen Hunger verspürte, nahm er eine Mahlzeit ein. Dann blickte er wieder nach dem Krater hinüber, endlich stand er auf und ging hin und her. Auf einem seiner weiter ausgedehnten Gänge gewahrte er einen schmalen Felsenspalt, durch den er den Himmel sah. Da dessen Boden, obwohl etwas aufsteigend, eben war, ging er hinein und blickte am andern Ende über einen schmalen Vorsprung hinweg in ein tiefes Felsental.
Mit den Worten: Ne, mit Abjründe jebe ick mir nich ab«, wollte er sich eben zurückziehen, als er zu seinem tiefen Schrecken zu seiner Rechten auf schmalem Felspfad ein braunes Tier gewahrte.
»Ach du jrundjütiger Himmel!« stöhnte er und trat in den Spalt. Als er sich nach wenigen Schritten angstvoll umsah, stand das Tier – er erstarrte fast vor Entsetzen – am Eingang der Felsspalte.
»Jehste weg!« schrie der Schneider. »Pscht! weg!« Aber das Tier schien näher zu kommen. »Ach Jotte doch – ach, Jotte doch, det is mein Ende!« und in Verzweiflung warf er sich zu Boden. Da krachte draußen ein Schuß. Mit einem Sprung setzte jetzt das Tier über ihn hinweg und noch zehn andere folgten, immer mit gewaltigem Satz über den der Länge nach hingestreckten Schneider wegspringend und durch den Ausgang, durch den Fritz eingetreten war, verschwindend.
Noch geraume Zeit lag er in Todesangst am Boden. Da alles still blieb, hob er endlich zögernd den Kopf: der Eingang war frei, er sah nur den Himmel. Er erhob sich auf die Knie und sah sich um, nichts Verdächtiges war zu gewahren. Schlotternd vor Angst schlich er an die Öffnung, zu der er hereingekommen war, und vorsichtig – vorsichtig lugte er umher. Endlich wagte er sich, immer in bitterer Herzensangst um sich sehend, hinaus. Etwas Gefährliches vermochte er nicht wahrzunehmen.
Der Balinese war nicht da.
Er bemerkte eine höhlenartige Vertiefung im Fels, die kaum mehr als einen Menschen fassen konnte, drängte sich durch den engen Eingang und kauerte sich nieder, zitternd auf jedes Geräusch lauschend. Seine Aufregung war so groß, daß er nicht einmal fror.
Als die Besteiger des Kraters wieder unten anlangten, fanden sie den zurückgelassenen Balinesen mit einem Bergschaf zu seinen Füßen, welches seine gute Büchse erlegt hatte. Zu Henriks nicht geringem Schrecken fehlte Fritz.
Der Balinese teilte Ara Labung mit, daß das Milchgesicht lange geschlafen habe. Da ihm Bergschafe vor Augen gekommen seien, habe er den Schlaf des ihm anvertrauten Jünglings benutzt, um eines der Tiere zu erlegen. Als er nach kurzer Frist mit seiner Beute zurückgekommen, sei der Mann verschwunden gewesen, und er habe ihn bis jetzt vergeblich gesucht.
»Um Gottes willen, wo ist denn der Mensch hingekommen? Fritz! Berliner! 'Wo steckst du?«
»Hier, Hamburger«, antwortete eine klägliche Stimme, und der Schneider kroch aus seiner Höhle heraus.
»Det du mir noch lebend findest, is een Wunder.«
»Nun, was ist dir geschehen?«
»Ick bin von een fürchterliches Beest anjefallen worden.«
»Was?«
»Ick sage dir, Hamburger, ein Beest, so jroß wie det jrößte Pferd, mit Hörnern und jlühende Oogen, fingerlange Zähne un eene zottelige Mähne.«
Henrik, der ja von Anak Madé wußte, daß Bali und Lombok keine wilden, ja, mit Ausnahme einiger vereinsamter Bergschafe auf felsigen Höhen, nicht einmal jagdbare Tiere besaß und des Berliners lebhafte Phantasie kannte, hob lächelnd den Finger und sagte: »Du, Fritz, die Brücke kommt.«
»Ick schneide nich uff, Hamburger, ick sage et dir, et war een jräßliches Ungeheuer.«
»Nun, wie bist du denn der Bestie entkommen?«
»Ick habe mir tot jestellt in meene Angst, un da is det Vieh immer über mir hin und her gesprungen, hat sich aber nich an mir getraut.«
»Das hast du nur deiner Eigenschaft als Berliner zu danken.«
Henrik konnte sich, besonders angesichts des erlegten Bergschafes, recht gut denken, daß Fritz einigen dieser Tiere begegnet sei, an einer Stelle, wo das geängstigte Wild einen verzweiflungsvollen Durchbruch versuchen mußte; das war immerhin nicht gefahrlos, und der Schneider hatte richtig gehandelt, als er sich zur Erde warf.
»Weeste, ick hätte et ja vielleicht mit det Monstrum uffnehmen können, wenn't man nich so schrecklich jroß gewesen wäre, aber da machte ick mir dünne.«
»Sehr vernünftig. Also wie groß war das seltsame Tier?«
»Na, ohne Übertreibung, wie so 'n Elefant im Zoologischen. Mit Oogen wie Kaffeetassen.«
»Sollte es nicht ein ähnliches Geschöpf gewesen sein wie dieses da?« meinte Henrik mit schlauem Lächeln und deutete auf das erlegte Bergschaf, das dem Schneider bisher entgangen war.
Er betrachtete das Tier, das, braun behaart, etwa die Größe eines gewöhnlichen Schafes hatte, nur daß es schlanker und etwas höher gestellt war. Die Hörner glichen denen der Zwergantilope. Freilich konnte das längere Haar um Hals und Brust recht gut als Mähne bezeichnet werden, wie es auch von einigen Zoologen geschehen ist. Ein harmloser Wiederkäuer war das Tier, nichts weiter.
»Hm«, meinte der Berliner, »det kann wohl 'n junges sind, so von vier Wochen.«
»Dies Bergschaf ist vollständig ausgewachsen.«
»Denn war det 'n andrer Racker, vor die Sorte hier werde ick mir doch nich fürchten.«
»Weißt du, lieber Fritz, ich glaube, dein Ungeheuer gehört zu der Büffelherde in der Hasenheide.«
»So? Na, denn is man jut. Det hat man nu davon, det man uff feuerspeiende Berge jeht un mit wilde Beesters zu tun hat, denn machen se hernach noch 'n Fatzke aus einem.« Und gekränkt wandte der nadelführende Jüngling sich ab.
Da Rasido zum Abmarsch drängte, um noch vor Einbruch der Dunkelheit die Stelle zu erreichen, wo sie zuletzt übernachtet hatten, brach man auf und kam nach sehr anstrengendem Marsch kurz nach Sonnenuntergang in dem engen Felsental an. Alle waren erschöpft. Henrik und Fritz suchten ihr Lager, und Steffen kroch in seine Grashütte.
Bald lag alles in tiefem Schlaf. Die Feuer waren längst herabgebrannt, und Mitternacht mochte vorüber sein, als mit vorsichtiger Bewegung zwei Gestalten näher kamen, die im Dunkeln suchend zwischen den Schläfern einhergingen. So viel Mühe die Angekommenen sich auch gaben, jedes Geräusch zu vermeiden, so erwachte doch Steffen, der den leichten Schlaf eines Raubtiers hatte, von ihren Schritten. Er war zu lange mit den Gefahren, die dem einzelnen in der Wildnis drohen können, bekannt, als daß er nicht instinktiv nach der Ursache des Geräusches, welches ihn erweckte, ausgelugt hätte. Sein an Dunkelheit gewöhntes Auge sah die beiden Gestalten vorsichtig umherschleichen, dann hörte er da, wo die Saffaker lagerten, flüstern.
Mit der Geschmeidigkeit und Lautlosigkeit einer Schlange kroch er aus seiner Grashütte dorthin, woher die Stimmen kamen. Er erkannte, daß der Führer es war, mit dem gesprochen wurde. Dann sah er, wie man mit ängstlicher Vermeidung jedes Lärmes die Sassaker weckte, und wie diese sämtlich langsam sich entfernten, bis sie in der Nacht verschwunden waren.
Geraume Zeit harrte der verwilderte Mensch noch, dann kroch er unhörbar zu Henrik und weckte diesen durch leises Schütteln. Trotz seiner Erschöpfung war der Jüngling alsbald munter.
»Was gibt's? Bist du's, Fritz?«
»Es ist Karl Steffen vom ›Admiral‹.«
»Oh, Karl, was führt dich her?«
»Leute fort – viel Leute – gehen weg – zwei Männer hier sie geholt.«
»Unsere Leute fort?« Henrik sprang auf. »Alle?«
»Mit Flinte – noch hier – andere fort.«
Nur die Balinesen trugen Flinten, also die Sassaker waren fort, jetzt mitten in der Nacht in der tiefsten Wildnis? Das sah bei der politischen Lage des Landes doch bedenklich aus.
»Er wird nachschleichen – sehen, wohin gehen.«
»Du willst jetzt in dunkler Nacht ihnen nachgehen?«
»Ja, er andere wecken, Flinte nehmen; bald wieder hier.«
Damit ging er zurück und verschwand, nachdem er eine Axt, die ein Sassaker hatte liegen lassen, aufgehoben, in der Richtung, in der sich die Sassaker entfernt hatten.
Karl Steffen hatte damit bewiesen, daß er sich trotz der gewaltigen Veränderung seines bisherigen Lebens doch die Klugheit des gehetzten Waldtieres bewahrt hatte. Henrik weckte den unweit schlafenden Ara Labung und teilte ihm mit, was Karl berichtet hatte. Der Balinese nahm seinen Jatagan und seine Büchse, auch Henrik hatte die ihm mitgegebene Waffe ergriffen und beide gingen dahin, wo die Sassaker gelagert hatten. Sie waren alle fort.
»Das sieht bedrohlich aus. So hatte ich doch recht, als ich annahm, daß Anak Madés edler Sinn getäuscht worden sei. Wir müssen alle munter machen und eines Überfalls gewärtig sein.«
Während er die Balinesen weckte, ging Henrik zu Fritz und rüttelte ihn.
»Aufstehen!«
»Jeht et schon wieder los?« sagte dieser schlaftrunken. »Ick jeh' uff keenen feuerspeienden Berg mehr.«
»Still. Komm nur.«
»Jeht et schonst weiter? Ick bin noch schläfrig.«
»Komm nur.«
Er trat mit ihm zu den Balinesen, die sich, die Büchsen in den Händen, um ihren Offizier gesammelt hatten. Auch die Diener Anak Madés, die hier mit den Pferden zurückgeblieben waren, standen da.
»Es ist nach dem, was ich sah und hörte«, sagte Ara Labung, »möglich, daß man uns mit Tagesanbruch, vielleicht noch in der Nacht angreifen wird. Ich zweifle nicht, daß die Sassaker sich in Massen erhoben haben. Vielleicht harrt man unser auch weiter unten. Lassen Sie uns eine Stellung einnehmen, in der wir nicht ohne weiteres überrascht werden können. Glücklicherweise hatten die davongelaufenen Burschen keine Waffen, aber sie werden wohl Genossen in der Nähe haben.«
Er gab hierauf Befehl, daß alle sich zum obern Ausgang des Felskessels zurückziehen sollten, und verteilte geschickt seine Leute, soweit es die Dunkelheit zuließ.
Fritz, der weder Balinesisch noch Englisch verstand, hatte dem allem mit Befremden zugesehen, auch war ihm aufgefallen, daß noch so wenig Leute anwesend waren.
»Du, Hamburger, wat is denn los? Jibt et wieder Jewitter mit Regentraufe?«
»Gewitter wird es wohl geben, die Sassaker haben uns heimlich verlassen, und der Offizier des Prinzen fürchtet, daß sie uns Übles sinnen.«
»Die Sassaker? Det is die eene Sorte von die braunen Menschen? Ick habe et dir jleich jesagt, det et mit die Leute nich richtig is.«
»Du hast leider recht gesehen.«
»Siehste woll. Wat jibt et denn nu?«
»Wir werden uns wehren müssen, wenn sie uns zu Leibe wollen.«
»Ach du lieber Jott, sollen wir uns mit die Mordbrüder 'rumbalgen? Hamburger, ick tu nich mit, ick halte mir diesmal neutral.«
»Ich fürchte, man wird deine Neutralität wenig respektieren.«
»Det kommt allens von die feuerspeienden Berge. Welcher vernünftige Mensch wird denn uff so wat 'reinfallen, noch dazu unter braune Menschen. Jetzt haben wir die Bescherung. Ick bin der eenzige gescheite Mensch bei die janze Gesellschaft.«
»Beruhige dich nur. Kommt es zu etwas Ernstlichem, so bin ich überzeugt, daß du mit deiner gewöhnlichen Tapferkeit fechten wirst, Zunftgenosse Derfflingers.«
»Ick lasse mir uff so Sachen nich mehr in, ick habe et satt, in die Schlachten zu fechten, det is mir zu jefährlich.«
»Wir müssen uns aber doch wehren, Besieger der Malaien.«
»Da haben wir et wieder. Det ick in 'n solches Schlamassel geraten muß, un noch bei die Dunkelheit. Wäre ick doch bei die jute Durchlaucht Exzellenz jeblieben«, jammerte Fritz.
»Du bist aus Liebe zu mir mitgegangen, Fritz. Du mußt jetzt schon bei mir aushalten.«
»Det wird 'ne böse Sache werden, ick sehe et schonst kommen. Wo is denn der Mann von die Insel? Is der ooch wegjeloofen?«
»Karl ist den Sassakern nachgeschlichen.«
Eine dunkle Gestalt tauchte geräuschlos aus der Nacht auf, und der, von dem sie sprachen, stand vor ihnen.
»Nun, Karl?« fragte, erfreut über seine Rückkehr, Henrik.
»Leute dort«, sagte Steffen mühsam, »viel Leute«, und streckte den Arm in der Richtung aus, aus der sie, den Berg ersteigend, gekommen waren.
Ara Labung, der nahe weilte, kam heran, als er des Waldmenschen Rückkehr bemerkte.
»Viel Leute?«
»Viel.«
»Wieviel ungefähr?«
»Wieviel? Es zehn – fünf – es – ganz viel.«
Der Arme schien sein Zahlengedächtnis vergeblich anzustrengen.
Henrik, dies erkennend, kam ihm zu Hilfe.
»Ein ganzes Schiffsvolk?«
»Ja.« Steffen atmete auf. »Kriegsschiff, alle Hände an Deck.«
»Also etwa drei- bis vierhundert Mann?«
»Ja, stark bemannt.«
Henrik übersetzte es dem begierig harrenden balinesischen Offizier.
»Fragen Sie ihn, ob sie Flinten hatten«, sagte dieser dann.
Steffen sann nach.
»Flinten? Nicht viel – wie Vollschiff.«
»Also etwa dreißig.«
»Kommen sie hierher?«
»Essen, trinken, schlafen – Feuer.«
»Daß die Sassaker sich erhoben haben, ist mir nicht zweifelhaft«, sagte Ara Labung. »Wenn dieses Zusammentreffen mit der dort lagernden Schar nicht zufällig ist, galt es dem Prinzen.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Man hat ihn bei uns im Lager gesehen, und dies kann sehr gut das Gerücht verbreitet haben, daß er mit zum Rindjani gezogen sei.«
»Da sie nun wissen werden, daß der Prinz nicht bei uns ist, lassen sie uns vielleicht in Ruhe ziehen.«
»Glauben Sie das nicht, sie werden uns auf alle Fälle festhalten, wenn es uns nicht gelingt, einen Ausweg zu finden. Die Sassaker sind ein grausames, tückisches Volk und hassen uns Balinesen sehr.«
»Anak Madé schien doch in unsern Führer Vertrauen zu setzen.«
»Anak Madé ist auch zu täuschen.«
»Was beginnen wir nun?«
»Wir müssen das Tageslicht abwarten und dann unsern Weg so gut wie möglich abwärts suchen.«
»Jeht et los, Hamburger?« fragte der Schneider ängstlich, als der Balinese schwieg.
»Hoffentlich nicht. Wir müssen mit Tagesanbruch davonlaufen.«
»Da bin ick aber sehr für«, sagte Fritz eifrig, »bei die Hauerei kommt nischt 'raus.«
»Na«, sagte Henrik, dem selbst die gefährliche Lage die Laune nicht verderben konnte, »ein kleiner Orden –«
»Wenn ick immer neue Heldentaten deswegen verüben soll, dann is mir daran ooch nischt mehr jelegen.«
Ara Labung befahl, die gefesselten Pferde freizulassen, der übliche Weg war ihnen verlegt, und ein Rückzug über die Felsen machte die Tiere unnütz.
Während Steffen nach Süden hin, wo die Sassaker lagerten, Wache hielt, verharrten die andern schweigend, bis auf den Schneider, der seinen Gefühlen über das Unbehagliche der Lage oftmals kräftigen Ausdruck verlieh.
Endlich zuckten die ersten Lichter über den Himmel hin, die Sonne nahte, und ihr Aufgang vollzieht sich in diesen südlichen Breiten sehr rasch.
Sobald die Helligkeit es erlaubte, sah sich Ara Labung aufmerksam in dem Felsenkessel, an dessen einem Ausgang sie hielten, um. Zur Rechten glaubte er eine zum Aufstieg geeignete Stelle zu bemerken. Er sandte den Gewandtesten seiner Leute dorthin, der bald zurückkam und versicherte, dort sei es möglich, nach oben zu gelangen.
Auf Ara Labungs Befehl begaben sich alle dorthin.
In weitausgreifenden Sprüngen nahte sich Steffen.
»Kommen«, sagte er lakonisch.
Der Offizier befahl seinen Spähern, Deckung am Fuß des Felsens zu suchen, und den Dienern, nach oben zu steigen, zugleich forderte er Henrik und Fritz auf, den Felspfad emporzuklimmen.
Fritz ließ sich das nicht zweimal sagen und kletterte mit einer Eilfertigkeit nach oben, die deutlich erkennen ließ, daß er kriegerischen Verwicklungen durchaus abhold sei. Ihm folgten, zwischen den Dienern, Henrik und Steffen. Der Pfad, den sie emporklommen, war steil, bot aber für kräftige Männer keine besondern Schwierigkeiten, auch unterstützten Büsche, die aus den Felsen wuchsen, das Aufsteigen.
Schon waren auch die Schützen, denen sich Ara Labung als letzter anschloß, auf dem Weg nach oben, als ein Trupp mit Flinten bewaffneter Sassaker vorsichtig das Felsenrund, von Süden kommend, betrat.
Als der balinesische Offizier auf der Höhe angelangt war, sagte er, auf die Feinde, denn als solche mußten sie bezeichnet werden, deutend: »Es steht zu fürchten, daß wir umstellt sind, der Schurke Rasido kennt das Gebirge.«
»Sollte es so schwierig sein, einen offenen Weg zu finden?«
»Sehr schwierig. Der Berg ist außerordentlich zerklüftet, und von uns kennt ihn niemand; wir können leicht in eine Felsenge geraten, aus der kein Entrinnen ist.«
Während dieser Unterredung war Fritz Fischer nahe an den Felsrand getreten, um einen Ausblick nach unten auf die sich in gemessener Entfernung haltenden Sassaker zu haben, als auf der seinem Standpunkt gegenüberliegenden Felshöhle ein Schuß krachte und eine matte Kugel des Schneiders Ohrläppchen empfindlich, gleich einem glühenden Eisen, streifte. Der so jäh und unsanft berührte Schneider, der sich kaum Rechenschaft über die Ursache seines Schmerzes geben konnte, um so weniger, als man den Schützen nicht sah, ergriff wütend einen großen Stein und warf ihn mit den Worten: »Verwünschte Gesellschaft! Kommt mir nur nicht so«, in kindischem Zorn nach der Richtung, woher die Kugel gekommen war. Der Stein fiel in kaum zwanzig Schritt Entfernung herab, denn besonderer Kraft erfreute sich Fritz Fischer nicht, polterte in die Rinne, welche die Balinesen heraufgeklettert waren, und riß dort zwei andere Steine im Herabrollen mit sich.
Während Ara Labung sagte: »Zurück, wir müssen Deckung suchen«, erschallte von unten wildes Schmerzensgeheul.
Eine Schar wohlbewaffneter Sassaker hatte sich am Fuß des Felsens, wo sie von oben nicht gesehen werden konnte, hingeschlichen und war im Begriff, auf dem von den Verfolgten eingeschlagenen Weg diesen nachzuklettern.
Mit furchtbarer Wucht sausten die oben mitgerissenen Steine in sie hinein, töteten mehrere und fügten andern schwere Verletzungen zu.
Erstaunt standen die oben, die nur das Wehgeschrei hörten, ohne die Feinde zu sehen, am meisten Fritz.
Ara Labung, der sofort begriff, was unten vorgegangen, rief: »Herr, das war ein Wurf zur rechten Zeit. Steine hinab!« Und jeder schleuderte Steine über die Felsen.
Bald gewahrte man Fliehende, die sich beeilten, den furchtbaren Geschossen zu entgehen.
»Sie haben uns vor einem tückischen Angriff gerettet, Herr.«
»Wat meent er, Hamburger?«
Dieser übersetzte, und Fritz, dem nun auch klar wurde, welche, freilich unbeabsichtigte Wirkung sein knabenhafter Wurf gehabt hatte, richtete sich stolz empor und sagte: »Det bringt ooch nur 'n Berliner fertig. Die haben ihre Haue weg.«
»Fritz, du bist wirklich der geborene Napoleon; du hast durch deine ebenso kluge wie entschlossene Tat den Feind, der uns so nahe war, verjagt.«
»Meenste nich? Ick jloobe ooch.«
Wieder krachten zwei Schüsse von der gegenüberliegenden Seite, aber die Entfernung war zu groß, die Kugeln taten keinen Schaden.
Da die trefflichen Snydergewehre der Balinesen viel weiter trugen als die Büchsen, mit denen herübergeschossen war, befahl Ara Labung seinen Leuten, nach der Stelle zu feuern, wo der Pulverdampf aufgestiegen war. Gleich darauf krachte eine Salve, und gellendes Geheul drüben zeigte an, daß sie nicht vergeblich abgegeben worden war.
»Wir müssen jetzt auf gut Glück unsern Weg nach unten suchen, Mr. Henry. Sobald wird man nicht wagen, uns hier zu folgen«, sagte der Offizier.
Sie betraten den dichten Wald, der den Felsen krönte.
Unaufgefordert ging Steffen, der recht gut begreifen mochte, um was es sich handle, voran. Da sie einer hinter dem andern gehen mußten, verstummte jede Unterhaltung.
Wiederholt mußten sie Bäume, die der gestrige Sturm entwurzelt hatte, überklettern, was mit nicht geringer Anstrengung verknüpft war.
Endlich wurde der Wald lichter. Der Matrose schlich zu dessen Rand und hielt dort Umschau. Er sah dort einen wohl mehr als hundert Meter tiefen, düstern Abgrund vor sich, der in wechselnder Breite sich nach rechts und links erstreckte. Sein geübtes Ohr vernahm nichts Verdächtiges. Er ging zurück und rief die andern. Mit Schrecken sahen diese den grausigen Felsspalt vor sich. Selbst dem Berliner fiel hier kein Witzwort ein.
Nach kurzer Beratung beschloß man, an dem Abgrund hinzugehen, bis sich eine Stelle zum Übergang finden würde. Dem Stand der Sonne nach, es war noch früh am Tag, dehnte sich der Spalt von Ost nach West aus, und der Weg der Flüchtlinge führte nach Süden.
Endlich gewahrten sie einen hohen fichtenähnlichen Baum, der sich über den hier nicht mehr als zwanzig Schritt breiten Abgrund neigte. Der Sturm hatte seine Wurzeln nur teilweise zerrissen, er war gebeugt, aber nicht gebrochen.
»Hier«, sagte Karl Steffen, »Baum – übergehen.« Erstaunt fragte der hiervon in Kenntnis gesetzte Ara Labung: »Wie soll das geschehen?« Schon war Steffens Riesenkraft am Werk, die zähen Wurzeln, die den Baum noch hielten, mit seiner Axt durchzuhauen; schon neigte sich der Wipfel tiefer und tiefer zum jenseitigen Rand, als Geschrei und Schüsse sie belehrten, daß sie entdeckt seien. Einige Kugeln, von unsichtbaren Feinden abgefeuert, schlugen in ihrer Nähe ein. Die Balinesen griffen zu den Büchsen und nahmen gedeckte Stellungen.
Mit gewaltigem Eifer arbeitete Steffen, den die Schüsse gar nicht einzuschüchtern schienen, weiter. Jetzt senkte sich der mächtige Stamm, der Wipfel lag drüben fest, eine Brücke war hergestellt.
»Horsa, kommen«, rief Steffen. Henrik nahte ihm, der Matrose hob ihn empor und trug ihn, mit seinem Leib ihn deckend, mit unvergleichlicher Behendigkeit über den seine Äste nach allen Seiten hin erstreckenden Stamm. Drüben ließ er ihn los, lief zurück und holte Fritz auf gleiche Weise.
»Ach Jotte, ach Jotte, Karlchen, laß mir nich fallen«, brachte dieser zitternd hervor, »ick bin an solche Extratouren nich gewöhnt.«
Auch er gelangte glücklich hinüber, und wieder kehrte der furchtlose Matrose zurück. Die Sassaker hatten wohl erkannt, was da vorging, obgleich die Äste und dichten Zweige mit ihrem Nadelschmuck verhinderten, daß sie die über den Baum gehenden Gestalten zu erkennen vermochten, und mehrmals zischten ihre Kugeln durch die Zweige. Aber auch die Balinesen hatten gefeuert und jedenfalls die Feinde dadurch von einem Vorstoß abgehalten.
»Kommen Sie herüber«, rief Henrik, »der Weg ist gefahrlos.«
Ara Labung befahl den Trägern, hinüberzugehen.
Zitternd gehorchten die Leute und langten glücklich drüben an, während die Schützen ihr Feuer fortsetzten. Jetzt rief der Offizier auch den Soldaten zu, einzeln hinüberzugehen und von drüben das Gefecht fortzusetzen. Die Leute gehorchten ohne Hast und begannen, drüben angelangt, sofort von neuem das Feuer, wie es schien, mit besserer Wirkung als die Sassaker, trotzdem sich diese ängstlich gedeckt hielten. Jetzt waren nur noch Ara Labung und Steffen drüben, und Henrik wurde von Besorgnis um den tollkühnen Mann ergriffen. Auch er hatte einige Schüsse abgegeben, um die Feinde zu schrecken; getroffen hatte er niemand.
Als Ara Labung auf der Fichte war, erschollen von neuem Axtschläge an der Wurzel des Baumes, Steffen hieb die Stangenwurzel völlig durch. Da sah Henrik, wie ein Kerl drüben heranschlich und sein Gewehr auf Steffen anlegte.
In Todesangst schrie er: »Karl!« riß die Büchse an die Wange, feuerte, und durch die Schulter getroffen taumelte der Sassaker zurück und ließ seine Waffe fallen. Mit einem Sprung war Steffen auf dem Baum und wand sich einer Tigerkatze gleich durch dessen Äste.
Neben Henrik auftauchend sagte er mit freudigem Grinsen: »Horsa schießen – gut« und streichelte ihm sanft die Schulter.
»Wir sind jetzt freilich auf der andern Seite«, sagte Ara Labung, »aber die dort haben nun auch eine Brücke.«
»Schießen!« sagte Steffen zu Henrik und ließ gleich darauf mit furchtbaren Schlägen seine Axt spielen, um den Wipfel des Baumes abzuhacken.
»Was will er machen?«
»Vermutlich die Brücke zerstören.«
Zum Schutz Steffens befahl Ara Labung, stetig zu feuern, woran auch Henrik sich beteiligte. Aber die Feinde schienen eingeschüchtert, nur hie und da antwortete ein Schuß. Karl hatte nahe dem Rand den obern Teil des Stammes durchhauen, ergriff jetzt einen starken Ast, dessen er sich ganz nach Schifferart als Hebel bediente, und seiner ungeheuern Kraft gelang es, das Ende des Stammes über den Rand zu schieben. Während der Baum mit tosendem Geräusch zur Tiefe stürzte, sprang Karl in die Büsche.
»Hätte ich es nicht gesehen«, sagte der Balinese, »nie hätte ich es geglaubt; das ist übermenschlich.«
»Da ist doch der Riese Goliath ein Waisenknabe jejen«, äußerte der staunende Berliner. »Det jeht über die Hutschnur.«
»Brav, Karl«, sagte Henrik und schüttelte dem ehemaligen Schiffsgefährten seines Vaters die Hand.
Dieser nickte vergnügt.
»Nun aber fort, sonst verlegen sie uns weiter unten den Weg.«
Mit scheuer Verwunderung staunten die Balinesen den Matrosen an, dessen Körperkraft ihnen unheimlich erschien. Der Weg führte sie anfänglich durch den Koniferenwald und brachte sie dann in ein Tal, der von einem klaren Bach durchflossen wurde, während seine Wände von Büschen und Laubbäumen eingefaßt waren.
An einer geschützten Stelle machten sie halt, nachdem einige Wachen ausgestellt waren, tranken von dem Wasser und sprachen den zum Glück mitgeführten Speisen zu.
Ihre nächste Zukunft besprechend, sagte Ara Labung: »Anak Madé ist zwar durch die verräterischen Sassaker getäuscht worden, doch ist er ein zu umsichtiger und entschlossener Kriegsmann und verfügt über zu zahlreiche Truppen, als daß Mataram oder Ampanan Unheil drohen könnte. Auch wird er, sobald er die Gefahr erkannt, die uns wie ihm droht, Hilfe für uns abgeschickt haben.«
»Es wäre zu wünschen.«
»Werden wir denn aus det Feuerjebirge mit die Abjründe glücklich 'rauskommen, Hamburger?« fragte Fritz hierauf.
»Ich hoffe; im schlimmsten Fall mußt du uns herausreißen, Napoleon aus der Reezengasse.«
»Ick habe det jetzt schon 'n paarmal jetan und die janze Jeschichte 'rausgerissen und unzählige Menschen det Leben gerettet, aber immer kann ick det ooch nich, det strengt an. Ick fühle et in allen Knochen.«
»Es ist sehr schlimm für uns, daß wir keinen Führer haben, der unsern Fuß leitet«, äußerte der Offizier, »der Rindjani ist kein Berg, er ist ein ganzes Gebirge, und wir haben ihn an der gangbarsten Stelle erstiegen.«
»Trifft Ihre Vermutung zu, daß die Eingeborenen sich in Massen erhoben haben, und ich zweifle nicht, daß sie zutreffend ist, so werden wir auch in der Ebene Feinden begegnen, wenn wir diese erreichen.«
»Diese werden unsere Reiter bald von Feinden gesäubert haben. Alle unsere Kämpfe mit den Sassakern spielen sich im gebirgigen Osten der Insel ab, wo ihnen die Bodengestaltung zu Hilfe kommt.«
Nachdem man ausgeruht hatte, ward der Weitermarsch angetreten, und zwar so, daß stets Wachen vorausgingen, während Steffen einem Spürhund gleich die Flanken des Zuges bewachte. Anfänglich folgte man dem Lauf des Baches in dem lieblichen Tal, als aber dieser nach Norden umbog und Ara Labung daraus schloß, daß er sich ins Meer ergieße, an dessen einsamem, rauhem Ufer ihnen keine Hilfe irgendeiner Art winkte, ward beschlossen, einen sich quer vor ihnen hinziehenden waldigen Hügelrücken nach Süden hin zu überschreiten. Schon war es warm um sie geworden, und die Vegetation näherte sich bereits der der Ebene.
An einem Bach, der diesmal nach Süden floß, beschloß man zu übernachten. Feuer wagte man nicht anzuzünden, aus Furcht, Feinde anzulocken. Bald lag alles, von der Anstrengung des Tages erschöpft, in tiefem Schlaf.
Die Nacht verlief ungestört, und nach Sonnenaufgang setzte man den Marsch fort. Bald traten sie aus dem Wald hervor und sahen ein Felsenlabyrinth vor sich, das in wilder Zerklüftung eine große Anzahl Wege zeigte. Während sie überlegten, welchen Pfad sie wählen sollten, ging Steffen in das Felsengewirr hinein und entschwand ihren Blicken.
»Det is wieder so 'ne Wolfsschlucht aus 'n Freischütz«, sagte Fritz, »wenn wir man hier jlücklich durchkommen.«
»Wir müssen irgendeinen Wasserlauf suchen, der uns den Weg durch dies Felsengewirr zeigt«, sagte Ara Labung.
Während sie noch berieten, kam Steffen aus den Felsen zurück, zum Erstaunen der andern einen Menschen auf seinen Schultern tragend, dessen Hände er fest umklammert hielt. In wenigen Minuten war er bei den Freunden und setzte einen jungen Eingeborenen, der auf das äußerste erschreckt schien, vor Ara Labung hin.
»Hast du einen Gefangenen gemacht, Karl?«
»Fangen«, war die kurze Antwort.
Der Offizier betrachtete den jungen, nur mit einer Sarong bekleideten Menschen, dessen dunkle Augen die Angst seines Herzens verrieten, aufmerksam.
»Tu bist ein Sassaker?« fragte er ihn dann in der Sprache dieses Volkes.
»Nein, Herr«, erwiderte der Junge balinesisch, »ich bin ein Balinese wie du.« Dabei irrten seine Blicke von dem entsetzlichen Menschen, der ihn hierher gebracht, zu den weißen Gesichtern der beiden Europäer, derengleichen er wohl noch nicht gesehen hatte.
»Wo kommst du her? Was tatest du in den Felsen dort?«
»Oh, Herr, ich bin entflohen. Die Sassaker überfielen uns, die wir am Fuß des Berges wohnen, und töteten Männer und Frauen; da lief ich in Todesangst davon, mich zu verbergen, bis der furchtbare Mensch dort mich ergiff. Du bist ein Balinese, Herr, und wirst mich schützen.«
»Wo stehen die Sassaker, die euch überfielen?«
»Sie lagern unten, wo die Pfade zu den Bergen führen. Sie harren, wie ich aus ihren Gesprächen erlauschte, denn ich verstehe ihre Sprache, auf Anak Madé, der auf dem Berg sein soll, wie sie sagten.«
»Waren es viel?«
»Viel, Herr.«
»Kannst du uns hinabführen in die Ebene?«
»Ja, Herr, aber die Sassaker werden euch töten.«
»Wenn sie können, gewiß, wir müssen sie umgehen.«
»Es wird schwierig sein.«
»Diese Milchgesichter sind Freunde Anak Madés; er wird dich reich belohnen, wenn du hilfst, sie nach Gunung Sari zu führen.«
»Ich will euch führen, so gut ich kann. Doch, Herr, ist es wahr, ist der Sohn des Radscha auf dem Berg?«
»Nein.«
»Oh«, sagte der Jüngling mit leuchtenden Augen, »so wird er die Sassaker jagen.«
»Ich hoffe es. Doch jetzt zeige uns den Weg, aber hüte dich, uns in die Hände der Feinde fallen zu lassen.«
»Ich will vorsichtig sein. Doch, Herr, sage dem schrecklichen Menschen dort«, er schaute angstvoll nach Steffen hin, »daß er mir nichts zuleide tue.«
»Er wird dir nichts tun. Geh nur.«
Der Jüngling, dessen balinesische Abkunft dem Offizier Bürge war, daß er es redlich meinte, ging voran, und vorsichtig, die Waffen schußbereit, folgten ihm die andern in das Felsengewirr. Karl Steffen, der einer Gemse gleich klettern konnte, erstieg hie und da, besonders bei Wendungen auf ihrem Pfad, die Felswände, um weitere Umschau halten zu können.
Plötzlich hielt er inne und gab ein Zeichen mit der Hand. Alle blieben stehen. Der Matrose kam rasch herab und sagte zu Henrik: »Leute dort.«
»Feinde?«
»Flinten.«
Ara Labung ließ alle eine Gefechtsstellung annehmen und sagte zu dem jungen Balinesen: »Sieh nach, ob es Sassaker sind.«
Der kletterte gehorsam an einer geeigneten Stelle hinauf und berichtete, bald zurückkehrend, daß ein starker Trupp der aufständischen Eingeborenen in einem Felsenrund dort lagere und ihnen den Weg versperre.
»Gibt es keinen Pfad, sie zu umgehen?«
»Ja, Herr, aber wir müssen dann zurück und einen weiten Umweg nehmen.«
»So wollen wir zurückgehen.«
Auf seinen Befehl traten alle den Rückzug an.
»Wo jeht et denn nu hin? Müssen wir wieder mang die Abjründe?«
»Nein, wir wollen nur den Feinden, die vor uns lagern, aus dem Weg gehen.«
»Det is det eenzig Richtige, wir machen et wie die Franzosen und konzentrieren uns rückwärts.«
Sie waren zwischen den steilen zerrissenen Felsen noch nicht weit gegangen, als sie von vorn her Stimmen vernahmen, die der Wind ihnen zutrug.
Alle standen und lauschten.
»Ach Jotte doch, Hamburger, jetzt haben sie uns in die Klemme«, sagte zitternd der Schneider.
»Still!«
Es war kein Zweifel, daß Leute ihnen entgegenkamen, die ja nur Feinde sein konnten. Der balinesische Offizier verlor seine männliche Haltung nicht. Er schaute an den Felsen in die Höhe, nach einem Ausweg suchend.
»Weißt du keinen Rat?« fragte er den jungen Menschen.
Dieser erklärte ängstlich, er wisse keinen.
»Was ist das dort oben?« fragte Ara Labung weiter, auf eine dunkle, zum Teil mit Buschwerk umstandene Stelle deutend. »Dort ist eine Höhle«, erklärte der junge Balinese, »aber, Herr, es sind Geister darin.«
»Nun, vor den Geistern dort fürchte ich mich weniger, als vor denen hier unten.«
»Fragen Sie Ihren wilden Freund, ob er dort hinaufklettern kann!« wandte er sich an Henrik.
Als Steffen dies verdeutlicht war, stieg er ohne weiteres empor, und es zeigte sich, daß der Aufstieg weniger schwierig war, als es von unten den Anschein hatte.
Von oben herab winkte er zu kommen, indem er zugleich den Schal, der sein Gewand zusammenhielt, abnahm und herunterhängen ließ, damit er den Folgenden zur Unterstützung dienen könne.
»Laßt mir man zuerst hinauf«, sagte Fritz, »auf mir haben sie et abgesehen, seit ick die Kerls mit die Steine massakriert habe.«
Aber Ara Labung befahl, daß die Träger die Schals abnehmen und zusammenbinden sollten und schickte mit diesem Leitseil den fremden Jungen hinauf, der bald, neben Steffen stehend, es um eine Felszacke schlang.
Das erst von fern vernommene Stimmengewirr war näher gekommen.
»Laßt mir rauf«, sagte Fritz und begann alsbald mit Hilfe des Seiles den Fels zu erklimmen.
»Nun Sie, Mr. Henry.«
Henrik folgte.
Da die Gefahr, von Feinden überrascht zu werden, näher und näher kam, und so die Füße der Bedrängten beflügelte, waren in kurzer Frist alle oben, wo sie eine sich dem Anschein nach weit in die Felsen erstreckende Höhle vor sich hatten. Kaum waren die Flüchtlinge eingetreten und die verbundenen Schals heraufgezogen worden, als eine Schar Sassaker sichtbar wurde, deren Stimmen sie gehört hatten. Voran ging der alte Rasido, dem Anak Madé seine Gastfreunde anvertraut hatte, und die Balinesen erkannten im Zug einzelne derer, welche als Träger und Diener mit zum Krater hinaufgegangen waren.
Als Ara Labung den Verräter erblickte, der ihn und seine Begleiter in diese gefährliche Lage gebracht hatte, der seinem Prinzen nach dem Leben strebte, wie er wohlgefällig plaudernd und lachend einherging, übermannte den heißblütigen Inder der Zorn, und dem neben ihm stehenden Soldaten die Büchse aus der Hand reißend, legte er an und streckte den Sassaker mit wohlgezieltem Schuß nieder.
Donnernd hallte der Schuß in den Felsklüften nach, und die durch diesen unerwarteten Angriff, der gleich einem Blitz aus heiterm Himmel den Führer niederschmetterte, entsetzten Sassaker waren gleich darauf hinter der nächsten Felsecke verschwunden.
»Oh«, sagte nach einem kurzen Aufleuchten wilden Triumphes der Offizier mit einem Ausdruck der Trauer, »ich ließ mich hinreißen. O Torheit. Jetzt haben wir alles zu fürchten.«
Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre die Schar vorbeigezogen, ohne die Flüchtlinge, denen ihr Marsch galt, zu gewahren. Deren Lage war jetzt, der Offizier hatte recht, äußerst gefährlich geworden.
Die Schar seiner Begleiter stand stumm in der nach hinten sich verdunkelnden Höhle, die in der Nähe des umbuschten Eingangs Befindlichen lugten hinaus nach Feinden, doch nichts war von solchen zu gewahren.
Diese wußten aber jetzt, wo die Verfolgten sich befanden, und kam kein Entsatz, mußten sie sich ergeben oder verschmachten. An Entsatz war um so weniger zu denken, als sie von dem Weg, den sie nach oben genommen hatten, abgewichen waren. Dies alles ging dem balinesischen Offizier durch den Kopf und stimmte ihn sehr mißmutig.
»Det wird wohl jetzt so 'ne Belagerung werden«, meinte Fritz melancholisch, »mit Hunger und Durst.«
»Hoffentlich kommt es nicht so weit«, sagte Henrik, den auch ernste Besorgnisse anwandelten, um den Schneider zu trösten.
»Weeßte, da wär' ick denn doch lieber uff die Robinsoninsel, vors Hungern bin ick nich, un ick habe ooch eenen mächtigen Durst.«
Die Balinesen hatten aufmerksam die gegenüberliegenden Felsen beobachtet, da der Gedanke nahe lag, daß die Feinde diese erklettern und von dort aus einen Angriff versuchen würden. Traurig saß Fritz neben Henrik. Karl Steffen, der im Dunkeln zu sehen vermochte, hatte sich in der Tiefe der Höhle verloren. Auch die Balinesen verhielten sich stumpf.
So vergingen lange beängstigende Minuten. Aus ihrem Sinnen erweckt wurden die beiden Deutschen, als die Soldaten plötzlich zu ihren Büchsen griffen.
Es war den Feinden gelungen, die gegenüberliegende Felspartie von der andern Seite her zu erklimmen.
Einige Köpfe zeigten sich drüben, und gleich darauf krachten Büchsen auf und Kugeln schlugen in den Eingang.
Zwei der Soldaten, gute Schützen, feuerten zurück, ihre Kugeln trafen, und alle Köpfe verschwanden drüben; auch das feindliche Feuer verstummte.
»Was haben Sie für Hoffnung, Sir?« fragte nach einiger Zeit Henrik den Offizier.
»Gar keine«, erwiderte dieser finster, »sie werden uns aushungern.«
»Könnten wir uns nicht im schlimmsten Fall unter gewissen Bedingungen in Gefangenschaft geben?«
»Das wäre sicherer Tod. Diese Rasse ist erbarmungslos.«
Das war schlimme Kunde.
»Ick habe so Durst, Hamburger«, sagte Fritz leise.
»Mußt es aushalten«, entgegnete Henrik.
»Aber wat wird denn nu aus uns? Wir können doch nich ewig hier bleiben.«
»Das mag Gott wissen.«
»Ick habe et dir immer gesagt, bleib von die feurigen Berge weg.«
»Mach mir jetzt keine Vorwürfe. Wer konnte das voraussehen.«
Stumm und traurig saßen beide nebeneinander.
Aus dem Dunkel der Höhle tauchte Karl Steffen auf, dessen Abwesenheit bei dem Ernst der Stunde kaum bemerkt worden war, und legte mit freundlicher Gebärde vor jedem der Jünglinge eine der traubenartigen Früchte der Gebangpalme und einige frische Feigen nieder.
Erfreut schauten Henrik und Fritz auf, mit nicht geringem Erstaunen die Balinesen.
»Wo hat der Mann die Früchte her?«
»Woher, Karl?«
Er deutete rückwärts: »Dort – Garten.«
»Ein Garten?«
»Kommen.«
Er ging zurück, und Henrik, Fritz, der eifrig den Feigen zusprach, sowie Ara Labung folgten ihm. Da es dunkel wurde, je weiter sie in die Höhle, die sich zu einem Gang verengte, eindrangen, gab Steffen den ihm Folgenden seinen Schal, an dem er sie weiter führte. Der Pfad machte verschiedene Windungen und lief endlich bergab. Zu ihrer Freude sahen sie Dämmerlicht vor sich, welches rasch mit ihrem Fortschreiten zunahm und endlich in Tageshelle überging, die zu einer wohl mannshohen Öffnung hereinfiel.
Zu ihrem Entzücken schauten sie hier durch in ein rings von hohen Wänden umgebenes Tal von geringem Umfang, das frisches Grün, Gras, Büsche, einige Gebangpalmen und Feigenbäume aufwies.
Sie traten hinaus in den Sonnenschein und standen auf einem kleinen weltabgelegenen Plätzchen von seltener Anmut. Einem köstlichen Garten glich dies abgeschlossene Rund; der Waldmensch hatte treffend den Ausdruck gewählt: »Danke dir, Erhalter«, murmelte der Balinese.
»Das ist köstlich«, sagte Henrik.
»Ja, det is hübsch«, äußerte Fritz, »wenn ick nu wat vor den Durscht hätte. Karlchen, jibt et hier nischt zu trinken, nu wenn et man Pumpenheimer is.«
Dieser nickte und führte ihn zu einem dem Fels entströmenden kleinen Quell, dessen Wasser sich zwischen dem Gras verlor.
Mit Jubel wurde das frische Naß begrüßt und der sich bei der Hitze fühlbar machende Durst gestillt.
»Wasser is doch det scheenste was' jibt«, sagte Fritz, »ick habe det schon eenmal erfahren.«
Ara Labung, der sich aufmerksam in dieser so lieblichen Zufluchtsstätte umgesehen hatte, sagte jetzt zu Henrik: »Dieses wunderbare Plätzchen bietet gewiß zunächst einige Sicherheit, aber wünschenswert wäre es doch, wenn ein Ausweg sich fände, der uns die Flucht ermöglichte.«
Steffen, als ob er die englisch gesprochenen Worte verstanden hätte, winkte Henrik, zu ihm zu kommen; er stand vor einem dichten Alanggebüsch, das sich an die Felswand anlehnte. Als Henrik neben ihm war, bog er die Zweige auseinander und machte so eine niedrige Öffnung sichtbar, die nach unten zu führen schien.
»Führt der Gang ins Freie?« fragte freudig überrascht Henrik.
Henrik machte sofort Ara Labung aufmerksam, der über die Aussicht, diesen Felsenwall im Rücken der Feinde verlassen zu können, nicht wenig erfreut war.
»Das ist ein seltenes Glück, und wir können Ihrem Freund nicht dankbar genug sein.«
Während die drei Europäer in dem stillen Asyl zurückblieben, ging der Balinese zu seinen Leuten, um sie herbeizurufen.
Zitternd folgten ihm die abergläubigen Menschen, deren Phantasie alle Höhlen ihres Landes mit Spukgestalten bevölkert. Ihre Freude war nicht gering, als sie den sonnigen Felsengarten erblickten und frisches Wasser fanden.
Ara Labung fragte jetzt den jungen Menschen, den Steffen gefangen hatte, ob er die Wege auf der andern Seite des Felsens kenne.
Dieser bejahte.
»Können die Feinde rasch dort hinkommen?«
»Sie müssen einen großen Umweg machen.«
»Werden wir bald Wald erreichen?«
»Bald, Herr.«
»So wollen wir uns von der Sicherheit des Weges überzeugen und dann den Weitermarsch antreten, der Wald schützt uns genügend.« Er trat dann in den Gang, den des Waldmenschen Späherauge entdeckt hatte, und schritt ihn, gefolgt von Steffen, Henrik und dem jungen Balinesen hinab. Nach vielleicht fünfzig Schritten, sie konnten überall aufrecht einhergehen, sahen sie Dämmerlicht vor sich und fanden einen gleichfalls dicht mit Gestrüpp bedeckten Ausgang.
Vorsichtig und nicht ohne Mühe drängten sie sich so weit hindurch, um einen Ausblick gewinnen zu können. Sie sahen ein breites Felstal vor sich, das nach Süden hin durch waldige Hügel abgeschlossen wurde, während nach Norden starre Felsen emporragten.
Von Feinden war nichts zu gewahren.
»Kennst du diesen Weg?«
»Ja, Herr, dort hinter jenen Hügeln liegt meine Heimat.«
»So wollen wir weitergehen, Anak Madé wird in großer Sorge um seine jungen Freunde sein.«
Der Verlauf der gigantischen Felszüge hatte ihm gesagt, daß die vor der Höhle lauernden Feinde in der Tat große Umwege machen mußten, ehe sie ihren Weitermarsch hindern konnten. Im Wald hoffte er, jeder Verfolgung entgehen zu können; ein Nachtmarsch schien ihm untunlich.
Die Träger und Soldaten wurden herbeigerufen, und Fritz, der ein stattliches Gericht Feigen zu sich genommen hatte, gesellte sich zu Henrik.
»Det war 'n recht hübsches Sommerlogis«, meinte er, auf das köstliche Plätzchen anspielend, welches sie eben verlassen hatten, »det müßten wir bei Berlin haben, det wär wat vor Rentjehs.«
Eilig zogen sie jetzt davon.
Steffen und der junge Balinese gingen als Späher voran, und nach einer Stunde anstrengenden Marsches erreichten sie, aus dem chaotischen Felsengewirr heraustretend, tropischen Wald mit seinem dichten Schatten, seinem Reichtum an Früchten, Vögeln und Affen. Nach kurzer Rast setzten sie ihren Weg wohlgemut, doch immer mit großer Vorsicht fort. Als sie endlich aus dem Wald herauskamen, sahen sie zerstörte Wohnungen und stießen auf einzelne Leichen.
»Wo liegt Mataram?«
Der junge Balinese, der traurig auf seine verwüstete Heimat blickte, gab die Richtung an. In dieser zogen sie durch ein sanft sich neigendes Wiesental weiter und wollten eben zur Seite eines Gehölzes in die Ebene treten, welche Mataram umgibt, als aus den Büschen einige Schüsse fielen, einer der Träger getroffen aufschrie und gleich darauf eine starke Schar Sassaker mit wildem Geschrei auf sie zustürmte. Mit einer außerordentlichen Schnelligkeit verschwand Fritz Fischer hinter einem Busch. Die Balinesen verloren aber ihre Ruhe nicht und feuerten auf ihres Führers Befehl mit guter Wirkung. Auch Henrik hatte entschlossen seine Büchse in den Haufen abgefeuert. Die Feinde hielten einen Augenblick im Vorschreiten inne, das wohlgezielte Feuer hatte sie erschreckt, dann aber stürmten sie unter der Führung eines großen, starken Mannes, der eine Lanze schwang, wieder heran.
Obgleich die Balinesen und Henrik noch einmal feuerten, sahen sie doch ihren Untergang vor Augen, die Träger suchten bereits das Weite.
»Gott sei mir gnädig«, murmelte Henrik, »aber wehrlos fallen will ich nicht!« Trotzigen Angesichts und blitzenden Auges schwang er die Büchse ums Haupt, bereit, bis zum letzten Augenblick zu fechten. Vor ihn stellte sich Karl Steffen, der die Lanze eines der entflohenen Träger ergriffen hatte: »Horsa nichts tun«, sagte er, sein Leben für das des Sohnes seines Kapitäns darbietend.
Das gellende, weithin hallende »Ahi!« des Schlachtrufs der Balinesen wandte aller Blicke und brachte die Sassaker zum Stehen. Eine starke Reiterschar, die langen Lanzen eingelegt, bog um das Gehölz und stürmte in vollem Rosseslauf auf die Feinde zu.
Voran jagte der Führer, den blitzenden Säbel in der Hand.
»Anak Madé!« schrien die Balinesen neben Henrik wie besessen und nahmen dann den Schlachtruf auf. Es war der Sohn des Radscha, der zu kühnem Angriff seinen Reitern voranstürmte.
Mit einem gräßlichen Angstgeheul stürzten die gänzlich überraschten Sassaker davon, sich über das Feld zerstreuend. Das Erscheinen Anak Madés brachte alles zu wilder Flucht. Staunend und jubelnd sah es Henrik. Prachtvoll war der Anblick, wie die malerisch gekleideten Reiter einherjagten. Ihre langen Lanzen bohrten sich in die Leiber der Flüchtenden.
Fritz, der jetzt durch das Geschrei veranlaßt, hinter seinem Busch hervorlugte, die Feinde fliehen sah, Henrik jubeln hörte, schrie ein über das andere Mal: »Hurra!« Diese kriegerische Kundgebung verstummte aber alsbald, als er den Führer der Sassaker, der sich aus dem Gedränge losgemacht hatte, in wilder Eile auf sich losstürmen sah.
»Ach du meine Jüte, det jilt mir.« Der Sassaker hatte Fritz wohl kaum gesehen, dachte jedenfalls nur an Rettung vor den Reitern Anak Madés und lief was er konnte.
Wenn er seine Richtung beibehielt, mußte sie ihn dicht an dem Busch, der Fritz barg, vorüberführen, und dies mochte wohl in dem Schneider den Glauben erregen, daß er auf ihn zulief.
Der durch Todesangst zur Verzweiflung getriebene Berliner warf dem Flüchtigen einen Ast, den er krampfhaft ergriffen hatte, vor die Füße, und zwar so glücklich, daß der schwere Mann darüber stolperte, mit voller Wucht zur Erde stürzte und besinnungslos dalag.
»Hurra! Wir haben ihm«, schrie Fritz in hoher Aufregung. »Fangt ihm! Hurra!« und lief zu Henrik, Schutz bei ihm zu suchen.
Dieser und die Balinesen, welche nur Augen für die Reiter hatten, so aufmerksam gemacht, kamen heran, und die Soldaten Ara Labungs bemächtigten sich leicht des so schwer niedergestürzten Mannes. Kaum war das geschehen, als Anak Madé heranjagte. Seine Freude war groß, als er die beiden Europäer wohlbehalten vor sich sah. »Ich hätte mir das ganze Leben hindurch Vorwürfe gemacht, wenn euch ein Unheil getroffen hätte. Die Schurken haben mich getäuscht«, sagte er.
Ara Labung stattete ihm jetzt kurzen Bericht über die Reiseerlebnisse ab, die der Prinz nicht ohne Verwunderung hörte. Als er erfuhr, daß der Verräter Rasido unter des Offiziers Kugel gefallen sei, sagte er: »Er hat Glück gehabt.«
Sein Blick fiel jetzt auf den gefangenen und gebundenen Führer der Sassaker. »Oh, Ita Rasu, bist du in meiner Gewalt? Du sollst es büßen, die Waffen gegen mich erhoben zu haben. Wer nahm ihn gefangen?«
Die Soldaten, die auf des Schneiders Geschrei herbeigeeilt waren und sich des Bewußtlosen bemächtigt hatten, deuteten auf Fritz.
»Was?« sagte erstaunt Anak Madé. »Sie, mein jugendlicher Freund, haben diesen gefährlichen Mann überwältigt?«
»Ja, Durchlaucht Exzellenz«, erwiderte der von der Frage verständigte Fritz, »er wollte sich an mir machen, aber da warf ick ihm den Knüppel zwischen die Beene. An die Wimpern laß ick mir nich klimpern.«
»Ich bin sehr erfreut, daß dieser Mann nicht entkommen ist. Sie haben ebensoviel Kaltblütigkeit wie Tapferkeit bewiesen. Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar.«
»Wenn ick nu nich wenigstens die vierte Klasse kriege, dann jibt et keene Gerechtigkeit uff Erden«, murmelte Fritz hierauf in sich hinein. »Det soll mir eener nachmachen.«
Was von den Sassakern nicht niedergestreckt war, hatte die Flucht ergriffen, und die Reiter kehrten zurück. Gleichzeitig traf ein starker Trupp Infanterie auf dem Feld ein.
Anak Madé erteilte Befehle, die auf die Gefangennahme der in dem Felsengewirr sich befindenden Sassaker Bezug hatten, mit deren Besiegung Ara Labung betraut wurde, und lud dann die jungen Leute ein, mit ihm nach Gunung Sari zurückzukehren. »Nur die Sorge um Sie hat mich ins Feld getrieben«, sagte er, »meine kriegerische Aktion gegen die Rebellen beginnt erst, wenn ich genügend Truppen vereinigt habe.«
Es wurden Pferde gebracht, und Henrik und Fritz ritten in Begleitung eines Trupps nach dem Schloß des Radscha. Steffen lief nebenher.
Während sie gemächlich dahinritten, fragte Henrik den Schneider: »Wo warst du denn, während wir andern fochten.«
»Icke? Ick hatte mir aus strategischen Gründen in't zweete Treffen zurückjezogen, ick machte die Reserve, und die Reserve is immer die Hauptsache, sagte der Feldwebel, der eene Stiege unter uns wohnte.« »So, du warst in Reserve?« »Na, woll nich? Ich lauerte auf den Haupträuber un habe 'n denn ooch jlücklich erwischt.«
Henrik, der wohl gemerkt hatte, wie eilig der Schneider verschwunden war, als die Gewehre der Sassaker knallten, war eigentlich froh gewesen, daß der Berliner Jüngling sich aus der Schußlinie entfernt hatte, denn nützen konnte er doch nichts. Da ihn aber die Prahlereien Fritzens stets von neuem amüsierten, sagte er nur: »Ich dachte, du habest dich beiseitegedrückt.« »Een Drückeberger? Icke? Da kennst du mir aber schlecht.« »So hätten wir also eine neue Heldentat von dir zu verzeichnen.« »Ah, det mach ick immer so.«
»Und verkriechst dich, wenn's losgeht?«
»Ick sagte dir schon, aus strategische Jründe«, entgegnete ärgerlich Fritz. »Willst de mir vielleicht um meine Reputation bringen.«
»Um den Heldenlorbeer auf deinem Haupt? Nein. Ich sehe immer mehr ein, daß Falstaff recht hat, wenn er sagt, daß Vorsicht der Tapferkeit besseres Teil ist. Du kennst Sir John Falstaff?«
»Nie von jehört.«
»Na, der war ebenso tapfer wie du.«
»Mir ejal, jeder tut wat er kann, und ick gloobe, ick habe et janz jut jemacht.«
Aus des Prinzen Mitteilungen, der sich persönlich aufgemacht hatte, um sie aufzusuchen, entnahmen sie, daß der Aufstand größern Umfang angenommen habe und daß Mr. Blake mit dem »Arang« nach Bali gesegelt sei, um Truppen herüberzuholen. Je näher sie Gunung Sari kamen, desto häufiger trafen sie auf lagernde Regimenter.
Spät gegen Abend trafen sie in der Hauptstadt ein. Henrik und Fritz bezogen ihre bisherige Wohnung und sanken nach den Anstrengungen der letzten Tage bald in tiefen Schlaf. Karl Steffen, der treulich gefolgt war, suchte sich im Park ein Nachtlager.
Sie hatten am andern Morgen kaum gefrühstückt, als ein Inder bei ihnen erschien, der in schwer verständlichem Englisch den Wunsch Anak Madés übermittelte, sie sofort zu sehen. Unter des Boten Führung begaben sie sich eilig zum Palast, in dessen Seitenflügel der Sohn des Radscha wohnte. Sie trafen auf ihrem Weg viele Reiter, welche wohlgeordnet hielten und einen durchaus kriegerischen Eindruck machten.
Das Vorzimmer des Prinzen war mit Offizieren gefüllt, die neugierig die Milchgesichter und besonders den Schneider anstarrten. Nach einigem Harren wurden sie bei Anak Madé eingeführt, der, bereits kriegerisch gerüstet und, wie es schien, sehr ernst gestimmt, sie mit gewohnter Herzlichkeit empfing. »Ich erhielt gute und schlimme Nachrichten, meine Freunde. In Ampanan ist gestern ein englisches Schiff eingelaufen, welches nach Madras in See geht. Es steht euch frei, diese Gelegenheit zur Heimkehr zu benutzen, wenn ihr mir nicht die Freude machen wollt, länger meine geehrten Gastfreunde zu sein. Ihr seid in Gunung Sari für alle Zeit willkommen. Zwar muß ich euch verlassen, ernste Nachrichten aus dem Osten zwingen mich, in einer Stunde auf dem Weg dorthin zu sein, ob und wann ich wiederkehre, wissen die Unsterblichen allein. Ich muß den Aufstand rasch und blutig unterdrücken – und«, fügte er nachdrucksvoll hinzu, »es wird geschehen.«
Es lag in der Haltung des jungen Mannes der hoheitsvolle Ernst und die gehaltene Energie, die den Gebieter kennzeichnen und Ehrfurcht abnötigen. Als Fritz Fischer die Worte des Prinzen übertragen waren, sagte dieser: »Dann wollen wir machen, daß wir hier von wegkommen, Hamburger, denn wenn ick mir ooch nich fürchte von Krieg, so bin ick doch kein Freund nich von. Hat er sonst nischt gesagt?« fragte er hastig mit erwartungsvollem Blick.
Henrik erklärte hiernach dem Prinzen, daß sie es unter diesen Umständen vorzögen, das englische Schiff zu benutzen, und sprach seinen Dank für die gastliche Aufnahme aus.
»Nicht doch, ich bin euch Dank schuldig und werde dessen auch nie vergessen, wie ich hoffe, daß auch ihr Anak Madé ein freundliches Andenken bewahren werdet.«
Er überreichte Henrik ein goldenes mit Edelsteinen geschmücktes Armband von kunstvoller indischer Arbeit und Fritz ein kleineres zugleich mit einem kostbaren funkelnden Ring. Beides von hohem Wert. »Dies zur Erinnerung an mich.«
Fritz starrte seine Geschenke und besonders den Ring mit grenzenlosem Erstaunen an.
»Det schenkt mir die Exzellenz? Ach Jotte doch! Da is aber det Ende von weg.«
Hierauf händigte Anak Madé Henrik ein Taschenbuch ein, das eine stattliche Zahl englischer Banknoten barg.
»Hier sind die Mittel zur Rückkehr in eure Heimat und eine Summe für den guten Waldmenschen, um ihm den Schritt in seine frühern Verhältnisse zu erleichtern.«
Henrik war von so viel Güte gerührt und sagte dies auch dem Prinzen.
Anak Madé wiederholte: »Ich bin euch verpflichtet«, und reichte Henrik die Hand.
Als er sich dann an Fritz wandte und mit einem feinen Lächeln sagte: »Ich hoffe, Sie werden freundlich meiner denken und stets die Ihnen angeborene Tapferkeit bewahren«, entgegnete dieser: »Ich bedanke mir noch schönstens, Exzellenz Durchlaucht, un wenn Sie mal nach Berlin kommen, jehen Sie mir nich vorüber, Reezenjasse 17, vier Treppen in't zweete Hinterhaus. Jrüßen Sie mir ooch die alte Exzellenz und sie hätte mir sehr jefallen.«
Fritz war sehr bewegt, als er diesen Abschiedsgruß stammelte, den Henrik freilich nur in sehr freier Übertragung dem Prinzen vermitteln konnte. Nachdem der Prinz noch gesagt, daß sein Vater sich aus Gesundheitsrücksichten die Freude versagen müsse, die Deutschen zu empfangen, daß er aber das Beste für ihre Zukunft wünsche, verabschiedete er sich mit warmer Herzlichkeit.
Bald darauf verließ er an der Spitze von zweitausend Reitern Gunung Sari.
Da nach seiner Abreise die beiden Jünglinge nichts mehr hier fesselte, ließen sie Anstalten treffen, um nach Ampanan an Bord des Engländers überzusiedeln. Als die Pferde zur Reise vorgeführt wurden, fragte Henrik Fritzen, der in einem Meer von Wonne schwamm und immer wieder seine Geschenke liebevoll betrachtete: »Wollen wir nicht auch den grauen Papagei mitnehmen?«
»Det falsche Beest? Erinnere mir nur nich daran.«
Gefolgt von dem unermüdlichen Steffen und begleitet von zahlreichen Dienern traten sie ihren Weg nach Ampanan an. Fritz hatte nur noch den einen Wunsch, sich im indischen Anzug hoch zu Roß photographieren lassen zu können, sonst war er ganz glücklich. Sie trafen unterwegs starke Infanteriemassen, die von der See kamen und nach Osten zogen, und langten ohne Gefahr in der Hafenstadt an.
Zu ihrer Freude trafen sie dort Mr. Blake, der eben mit Truppen eingelaufen war. Er war über ihr Abenteuer auf dem Rindjani ebenso erstaunt, wie über ihr glückliches Entkommen erfreut.
»Sowie ich die erste Kunde von dem Aufstand bekam, fürchtete ich für Sie das Ärgste, Sie dürfen von großem Glück sagen, der Gefahr entkommen zu sein.«
In seiner Gesellschaft begab sich Henrik an Bord des englischen Schiffes und vereinbarte mit dessen Kapitän die Passage nach Madras. Er und Fritz erhielten eine kleine Kajüte hinten, während Karl vorn zwischen den Leuten untergebracht werden sollte. Es zeigte sich, daß der Sohn des Radscha für Henrik und Fritz in sehr schön gearbeiteten Kisten noch Anzüge und balinesische Waffen mitgegeben hatte, die seine Diener an Bord des Engländers ablieferten.
Da Henrik sich danach sehnte, wieder europäische Tracht anzulegen, sagte er zu Fritz, während sie am Quai im bunten Volksgewühl umherschritten: »Du könntest mir eigentlich einen Anzug machen, Fritz, Stoff werden wir wohl bei einem chinesischen Händler finden.«
»Nu bin ick so lange indianischer Prinz jewesen un nu werd' ick wieder Schneider«, sagte er melancholisch.
»Ich denke, du bist stolz auf dein Metier?«
»Bin ick ooch, aber weeßte, Prinz is ooch scheene, wenn et ooch in ne wilde Jejend is.«
»Dann bleib doch hier! Deine anerkannte Tapferkeit wird dir die höchsten kriegerischen Würden eintragen.«
»So? Un meene liebe Olle? Un die Jeschwister. Ne, weeßte, hierher in so Länder mit feuerspeiende Berge, wo sie einen so mir nischt dir nischt abmurksen, passe ick doch nich.«
»Also du machst mir, machst uns Anzüge?«
»Weeßte, hier möchte ick et doch nich jerne un uff dat Schiff sin wir doch noble Passagiere vor die Kajüte, da möcht ick et ooch nich.«
»Du hochmütige Schneiderseele, willst den großen Herrn spielen, merke ich.«
»Sei nur ruhig, ick komme bald jenug wieder an die Nadel.«
»Und ich auf den Mast als flinker Marsgast, Gott sei Dank.«
Bei einem chinesischen Händler sahen sie zu ihrem Erstaunen einige ganz neue und gutgearbeitete Matrosenanzüge, sicher europäischen Ursprungs, die wohl einem gescheiterten oder beraubten Schiff entstammen mochten. Auch neue Hemden fanden sie bei dem Mann vor, und Henrik erhandelte mit sachverständiger Hilfe Fritzens einige der Anzüge und ein gutes Teil Wäsche. Als Fußbekleidung mußten sie vorläufig noch ihr indisches Schuhwerk behalten.
Sie ließen die erworbenen Anzüge an Bord bringen, und Henrik begann sich umzukleiden, während Fritz sich von seiner Balinesentracht, obgleich sie ihm oftmals Unbequemlichkeiten bereitete, noch nicht trennen mochte. Sie erinnerte ihn an die Heldenzeit seines Lebens.
Henrik hatte nach richtiger Matrosenart Nadeln, Zwirn und dergleichen von dem Chinesen miterhandelt. Da ihm seine Jacke nicht ganz passen wollte, ersuchte er Fritz, seine Künste an dem Kleidungsstück zu probieren, was dieser um so weniger abschlug, als sie allein in ihrer Kajüte waren.
Flugs saß er mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch und handhabte die Nadel mit dem Eifer und Geschick des geübten Schneiders, als unerwartet die Tür sich öffnete und Mr. Blake hereintrat, der nicht ohne sichtbares Erstaunen auf den so beschäftigten Schneiderjüngling blickte.
Fritz, so überrascht, sprang herab, wobei Henrik lachte, was den Schneider noch mehr ärgerte.
Mr. Blake, der nach Gunung Sari reiten mußte, war gekommen, von den beiden jungen Leuten Abschied zu nehmen, was er mit den besten Wünschen für deren Zukunft in liebenswürdiger Weise tat.
Daß Anak Madé den Aufstand der Sassaker rasch unterdrücken werde, erschien ihm zweifellos, und er hegte nur den Wunsch, gelegentlich mit den Kanonen seines Schoners eingreifen zu können.
Auch er bat die beiden Deutschen, ihm freundliches Andenken zu bewahren.
Als er fort war, sagte Fritz verdrießlich: »Nu wissen sie et, det ick zu de Zunft jehöre.«
»Das wird den Radscha und seinen Sohn sehr freuen, denn Mr. Blake sagte mir, daß die Kleiderkünstler in diesem Lande so hoch geschätzt werden, daß man sie den Edelleuten zurechnet.«
»Is det wahr?«
»So wahr mir Mr. Blake das gesagt hat.«
»Denn is jut, wenn sie mir nur ästimieren.«
Hierauf packte er seinen Balinesenanzug sorgfältig ein.
»Darin jeh ick aber uff de Maskerade bei Pinkerts in die Mühlenjasse, die sollen aber Oogen machen, wenn ick mit so wat echt Türkisches ankomme.«
Bald erschien er in Matrosentracht, die auch Karl Steffen, der sich still am Vorderkastell hielt, bereitwillig angelegt hatte. Am Abend noch ging der »Cumberland« südwärts in See.