Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Südseeinsel

Die Sonne sank in den Ozean hinab, als der »Roland« die Insel erreichte, auf welche er zustrebte. Zu dem Kapitän trat der Insulaner von Neuhannover, deutete auf die Bucht, vor welcher das Schiff mit zwei Knoten Fahrt hinstrich, und sagte: »Dort gut, dort Kopra.«

Die Bucht, rings von dichtem Wald eingefaßt, war von ziemlicher Ausdehnung und bot eine sichere Lee. Der Kapitän ließ die Nahen schwenken und das Schiff außer Fahrt bringen, er war aber zu vorsichtig, um dem Land näherzutreten. Die Jolle wurde ausgesetzt und der zweite Steuermann in die Bucht geschickt, um sich der Wassertiefe zu versichern. Nach kurzer Zeit gab er das Signal, daß der »Roland« ohne Gefahr, aufzulaufen, bis dicht an Land treten könne. Hiernach wurde das Schiff an den Wind gebracht und trat in die Bucht ein. In acht Faden Tiefe ließ es einen der Buganker fallen und schaukelte bald ruhig auf dem Wasser. Die Küste lag schweigend da, als ob nie ein Menschenfuß sie betreten hätte, keine Hütte, kein Kanu war zu sehen. Die Nacht war hereingebrochen und hüllte Meer und Land in ihren dunkeln Schleier.

Zum Erstaunen Henriks ließ der Kapitän an die Steuerbordwache, welche, trotzdem das Schiff ankerte, vollzählig aufziehen mußte, Büchsen und Revolver verteilen, auch wurden einige kurze Lanzen sowie scharfgeschliffene Beile an die Masten gestellt, um zum augenblicklichen Gebrauch bereit zu sein.

Henrik gehörte zu dieser Wache, die vom Obersteuermann kommandiert wurde, während Marholm die Hundewache, das ist die von zwölf bis vier Uhr morgens, zu übernehmen hatte. Die an Deck befindlichen Leute hatten es sich bequem gemacht, saßen und lagen mittschiffs, plauderten und rauchten. Am Hinterdeck ging Findling langsam auf und ab. Henrik stand an die Reling gelehnt und schaute, in Gedanken versunken, in die Nacht hinaus. Bilder der Heimat stiegen vor seinem Geist empor. Er sah seine liebe Mutter im kleinen Stübchen beim Schein der Lampe am Tisch sitzen, mit der Nadel beschäftigt. Sein Onkel, Senator Asmus, trat herein und setzte sich zu ihr. Sie plauderten, und erzählten von ihm. Der Onkel liebte ihn wie seinen Sohn; er selbst hatte keine Kinder, und Henrik erwiderte herzlich des alten Herrn Zuneigung. Er nickte seinen Lieben in Gedanken freundlich zu. Während er so sann, kam der Obersteuermann und lehnte sich neben ihm über das Wasser hinaus. Findling unterhielt sich oft, soweit es der Dienst und die Disziplin erlaubten, mit Henrik, und dieser war stets um so mehr darüber erfreut, als der Obersteuermann nicht nur ein sehr geschickter Schiffsführer war, sondern auch eine bei einem Seemann der Handelsflotte nicht gewöhnliche Bildung besaß, die er sich größtenteils durch gut gewählte Lektüre erworben hatte. Auch brachte ihm der Obersteuermann fortwährend aufrichtiges Wohlwollen entgegen.

»Woran denken Sie, Henrik?« fragte er.

»An meine Mutter, Herr Findling.«

Nach einer kleinen Weile erst sagte der Steuermann leise: »Wohl dem, den eine Mutter in der Heimat erwartet.« Henrik wagte nicht zu fragen, ob er den Verlust einer Mutter zu beklagen habe, auch fuhr Findling gleich darauf in einem andern Ton fort: »Der Alte muß dem Frieden hier nicht besonders trauen, nach den kriegerischen Maßregeln zu schließen, die er getroffen.«

»Martin sagt« – Henrik meinte den alten Matrosen, der am Steuer gestanden hatte, als die Buganker klargemacht wurden – »wir könnten jeden Augenblick eines Überfalls gewärtig sein; er ist wiederholt in diesen Meeren gewesen.«

»Martin ist ein erfahrener und kluger Bursche, wenn es auch mit der Lese- und Schreibkunst nicht gut bei ihm bestellt ist, und er bestätigt nur, was ich bereits erwähnte und worauf die Vorkehrungen des Kapitäns ja auch hindeuten. Jedenfalls heißt es, die Augen offen halten.«

»Glauben Sie, daß man dem Neuhannoveraner trauen kann?«

»Ich habe diese Meere noch nicht befahren und bin deshalb unbekannt mit dem Charakter der Eingeborenen, doch stehen die Leute in Neuhannover im Ruf der Treue und Zuverlässigkeit, auch ist der Mann gut empfohlen.« In diesem Augenblick ging Martin hinter ihnen vorbei, und Findling redete ihn an: »Du warst schon in diesen Gewässern, Martin?«

»Jo, Stürmann.«

»Weißt du, wo wir uns befinden?«

»Nu, Stürmann, ostwärts von Neuguinea, so veel weet ick.«

»Bist du mit den Eingeborenen hier in Berührung gekommen?«

»Ick weet blot, dat se Menschenfreter sin.«

»Menschenfresser?« fragte Henrik. »Sollte das wirklich hier noch vorkommen?«

»Min leiwe Jong, all die Inseln hier ostwärts von de grote Insel sin voll von Menschenfreters. Als ick vor fif Johren hier segelte, war in dieser Gegend een inglische Vark scheitert, un se hewwen Kapitein un Matrosen richtig upfreten. Wir hewwen all de Knoken und Schädels siehn.«

»Nette Menschenbrüder«, sagte Findling, und Henrik schauderte.

»Dat sin Spitzbauwen, Stürmann.«

»Nun, um so wachsamer müssen wir sein.«

Martin ging und ließ sich am Langboot neben den andern nieder.

Der an Bord befindliche Insulaner hatte sich, wie bisher, sein Lager in der Nähe des Langboots zurechtgemacht, wo er vor dem Wind geschützt lag. Er saß wie die Matrosen da und rauchte. Findling rief ihn an, und Atura erhob sich und kam zu ihm.

»Du kennst die Eingeborenen dieser Insel?« fragte er in englischer Sprache.

»Ich kenne sie.«

»Sie sollen Menschenfleisch verzehren?«

»Das tun sie.«

»Sind sie den Weißen feindlich gesinnt?«

»Das nicht, sie schlagen sie nur tot, wenn sie können, um ihre Köpfe als Siegeszeichen zu haben und ihr Fleisch zu essen.«

»Und du bist ein Freund der Eingeborenen hier?«

Atura spuckte aus, wie um seine Verachtung erkennen zu geben. »Atura Gentleman, nicht wilder Mann. Atura werden er essen zuerst, schmecken ihm besser als Weißer.«

»Na, das ist doch wenigstens ein Trost«, sagte lächelnd Findling.

»Aber wenn die Leute hier, wie du sagst, so begierig auf Köpfe und Menschenfleisch sind, fürchtest du nicht, daß sie uns überfallen könnten?«

Der Insulaner schüttelte den Kopf. »Er große Angst vor Büchse und kleines Gewehr.« Er berührte leicht den Kolben des Revolvers, der aus Findlings Tasche herauslugte. »Er nicht wagen, er nur ganz heimlich schlagen tot.«

»So sind wir also, deiner Meinung nach, auf dem Wasser ganz in Sicherheit?«

»Ganz in Sicherheit.«

»Aber ans Land kann man sich nicht trauen?«

»Nicht an Land gehen, sehr gefährlich. Geben mit Pfeil, geben mit Lanze furchtbare Wunde. Nicht an Land gehen.«

Der Insulaner zog sich still auf seinen Platz zurück, und Findling ging mit Henrik langsam an Deck hin und her. Die Nacht war mild, das Meer ruhig, und nur leicht schaukelte sich der »Roland« auf der Ankerkette, die indessen, da sich in der Bucht eine Strömung bemerkbar machte, fest angezogen war. Diese erste Nachtwache, die Steuerbordswache, der durch die Gunst des Kapitäns Henrik zugeteilt worden war, hatte für diesen stets großen Reiz gehabt, wenn Wind und Wetter gut waren. Zu tun gab es dann nichts, und Findling erwies ihm auch gewöhnlich die Ehre, ihn in eine längere Unterhaltung zu verwickeln. Der Obersteuermann war das Urbild eines stattlichen Germanen von hoher Gestalt und ungewöhnlich kräftig; schlank und mit einem edelgeformten, von einem leichten blonden Vollbart umrahmten Gesicht, erinnerte er Henrik oft an einen der verwegenen Seefahrer aus Nordland, welche auf ihren Drachenschiffen die fernsten Meere durchpflügten. Er war ein ebenso geschickter als kühner Seemann, der mit ruhiger Sicherheit das Kommando, auch unter schwierigen Umständen, führte und sich auch in schwerem Wetter noch nach oben traute, wenn die kecksten Matrosen es nicht wagten, aufzuentern. Die Mannschaft hatte ganz gehörigen Respekt vor ihm, und doch waren ihm die wilden Burschen zugetan, denn er war stets bereit, jedem, der in Not war, beizuspringen. Sein Wesen war ernst und schweigsam, und die Matrosen wunderten sich nicht wenig, daß er dem jungen Horsa gegenüber, der freilich aus guter Familie und der Sohn eines trefflichen Seemanns war, oft gesprächig wurde.

Von allen an Bord kannte ihn seit längerer Zeit und genauer nur Martin, der wiederholt mit ihm gesegelt war; doch der ließ nichts von ihm verlauten, als daß Findling von früher Jugend an auf dem Meer zu Hause und – wie er sagte – der beste Seehund sei, der ihm in seinem Leben vorgekommen.

Während Findling mit Henrik an Deck hin und her ging und die Matrosen am Langboot sorglos ihr Garn spannen, fragte der Obersteuermann: »Überkommt Sie nicht oft die Sehnsucht nach der Heimat, Henrik?«

»Ich liebe das Meer, Herr Findling, und jetzt, da ich die Sicherheit habe, daß meine Mutter mich noch unter den Lebenden weiß, bin ich mit voller Seele bei meinem Beruf.«

»Ja«, sagte Findling, »es liegt etwas Gewaltiges, die Seele Gefangennehmendes in diesem Ringen der Menschenkraft mit den Naturmächten, und ganz glücklich fühle ich mich nur, wenn Luft und Wasser wild einherstürmen und ich ihnen auf gebrechlichem Fahrzeug Trotz bieten kann.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Manchmal sehne ich mich auch nach dem stillen Hafen, den der heimatliche Herd bietet« – und in tief schmerzlichem Ton setzte er hinzu: »Aber ich habe keine Heimat!«

Die einfachen Worte und der Ton, in welchem sie gesagt wurden, bewegten Henrik sehr. »Sie haben Ihre Angehörigen verloren, Herr Findling?«

»Angehörige? Mein lieber Junge, ich habe keine Angehörigen. Genau wie Sie im Wogengebrause auftauchten, so bin ich von den Wellen des Lebens ausgeworfen worden; ich trage den Namen, den mir ein feinsinniger Mann für dieses Dasein mitgegeben hat, mit Recht, denn ich bin ein Findling und jede Anrede erinnert mich daran.« Stumm horchte Henrik dem trauervollen Bekenntnis. »Sie stehen mir, Henrik«, fuhr der Steuermann fort, »durch Bildung und Lebensanschauung am nächsten hier an Bord, und Sie müssen ja wohl auch gefühlt haben, daß ich mehr als gewöhnliches Interesse für Sie habe.«

»Ja, Herr Findling, das habe ich längst empfunden und bin Ihnen dankbar dafür.«

»Als Sie vorher Ihrer lieben Mutter gedachten, war die ganze Sehnsucht eines einsam in die Welt Geschleuderten in mir rege, ein einziges Mal in meinem Leben an einem liebenden Mutterherzen zu ruhen.«

Als der bewegte Jüngling nicht antwortete, fuhr er fort: »Mich hat das Meer ausgeschleudert wie Sie. In einem einsam im Ozean treibenden Boot wurde ich als kleines Kind an der Brust einer toten Malaiin aufgefunden. Man erhielt mich am Leben, brachte mich nach Hamburg, und dort im Waisenhaus ward ich mir mit den fortschreitenden Jahren dieses Daseins bewußt. Vergebens waren alle Nachforschungen nach dem Schiff, nach meinen Eltern, ich war Jan Findling und wuchs als solcher auf. Ich hatte von früh auf Sehnsucht nach dem Meer, vielleicht bin ich auf dessen Rücken geboren. Meinem Wunsche entsprechend wurde ich mit vierzehn Jahren einem Schiffer als Junge mitgegeben. Dieser Mann, Kapitän Baggesen – gesegnet sei sein Angedenken – nahm sich in väterlicher Weise des armen Waisenjungen, des Findlings, an. In müßigen Stunden unterwies er mich und mehrte meine Kenntnisse, ohne daß mir an rauher Schiffsarbeit etwas erspart ward. Des ›Kapitäns Puppe‹ nannten mich die Leute. In wenigen Jahren war ich Vollmatrose und verstand ein Schiff von oben bis unten zu takeln. An Land wohnte ich bei Kapitän Baggesen und benutzte die Zeit der Ruhe, Englisch, Französisch und Mathematik zu treiben. Mit seiner Hilfe besuchte ich die Navigationsschule und machte mit meinem Wohltäter, mit dem ich im ganzen sieben Jahre die Ozeane durchfuhr, noch eine Fahrt als Steuermann, dann legte er sich nieder und starb, und mit ihm schied der einzige Mensch, der mir wirkliche Herzensteilnahme gezeigt hatte. Selbst den Tod überlebte seine Liebe zu mir, denn er hinterließ mir eine Summe, groß genug, um sorgenlos die Studien und das Examen für große Fahrt machen zu können. Mit vierundzwanzig Jahren war ich Obersteuermann mit glänzendem Zeugnis. In kurzer Zeit werde ich auch ein Schiff haben. Der Lebenslauf des Findlings ist also selten glücklich gewesen; nur eins fehlt meinem Leben – und wie sehne ich mich danach – mir fehlen eine Mutter, eine Heimat.«

Henrik Horsa war von der einfachen, schlichten Erzählung des Steuermanns, die auf ein tiefes Fühlen schließen ließ, bewegt, doch fand er dem Mann, dem Vorgesetzten gegenüber, der ihn durch diesen Herzenserguß so hoch ehrte, nicht die passenden Worte für seine innige Teilnahme. Findling schien auch keine Äußerung von ihm zu erwarten und sah still und nachdenklich in die Nacht hinein; dann sagte er wieder: »Die Art, wie ich in dieses Land abgetrieben bin, mein einfacher Lebensgang sind ja kein Geheimnis; aber daß ich Ihnen Mitteilung davon machte, sollen Sie als Beweis ansehen, daß ich Sie schätze. Ihre innige Liebe zu Ihrer Mutter rief mir die Sehnsucht wach, schloß mir das Herz auf.«

»Sie haben mir einen Beweis von Vertrauen gegeben, auf den ich stolz bin.«

»Still!« gebot Findling plötzlich.

Sie standen beide auf dem Vorderkastell; jetzt vernahm auch Henrik ein leises Klirren der Ankerkette.

Geräuschlos hob der Steuermann eine der Handspeichen des Gangspills auf, neben welchem sie standen, und trat ebenso leise an die Bordwand, wo durch die Klüse die Ankerkette auslief. Henrik folgte ihm und zog den Revolver aus der Tasche. Die Laterne vom Großmast sandte nur schwachen Schein hierher. Den Atem anhaltend, lauschten beide. Ein leises Geräusch erreichte ihr Ohr; schattenhaft erhob sich über das Vollwerk ein dunkler Kopf, auf den alsbald die Speiche in Findlings Hand niedersauste. Der Kopf verschwand, und das Wasser rauschte auf, wie wenn etwas Schweres hinabgefallen wäre.

»Klar zum Gefecht!« dröhnte des Steuermanns Kommandostimme durch die Nacht. »Alle Mann an Deck! Ruft den Kapitän auf!«

Es war fast gegen Mitternacht, als dies geschah. Die Wache lag schläfrig oder schlafend mittschiffs. Alle sprangen auf und ergriffen die Gewehre. Aus dem Mannschaftslogis, in welches der Ruf Findlings gedrungen war, eilten die Matrosen hervor, halb angekleidet, und faßten ebenfalls die für sie bereitgestellten Waffen.

»Steuerbordwache hierher! Die andern jeder an seinen Mast. Fertig zum Feuern!« hallten die mächtig, aber gemessen gegebenen Kommandos des Steuermanns über das Deck.

Mit dem schnellen, schweigenden Gehorsam, der die Seeleute in der Stunde der Gefahr auszeichnet, wurden die Befehle ausgeführt, und die Steuerbordwache eilte mit dem Insulaner nach vorn.

»Henrik, nimm aus meiner Kajüte die Magnesiumfackel, rasch in den Topp und zünde sie an, damit wir das Wasser übersehen können. Halte dich aber gedeckt, die Pfeile der Wilden fliegen weit.«

Henrik eilte davon.

Schon kam der Kapitän, aufgeschreckt und auch nur halb bekleidet, von achtern.

»Was gibt's?«

Findling stattete Bericht ab.

»Ein Überfall?« Der Kapitän schien ungläubig. »Haben Sie sich auch nicht geirrt, Findling?«

»Mein Auge und meine Handspeiche irren nicht, Herr Kapitän. Es wurde der Versuch gemacht, über die Ankerkette her das Deck zu erklettern. Die tiefe Dunkelheit verhinderte mich, zu erkennen, was auf dem Wasser vorging. Der aber, der die Speiche auf den Schädel bekam, wird an keinen Irrtum glauben.«

Vom Topp des Großmastes flammte die Magnesiumfackel auf und beleuchtete weithin die Wasserfläche. Aller Augen hielten Ausguck, aber still und ruhig lagen das dunkle Meer und die dichten Wälder da; nichts Lebendes war zu schauen, keine Bewegung irgendeiner Art zu gewahren.

»Was meinst du, Atura«, fragte der Kapitän den Insulaner, »wollten die Leute uns überfallen?«

»Denke nicht«, entgegnete der braune Mann ruhig. »Denken Dieb, kommen stehlen in Nacht, nichts tun weißem Mann, erst Kopra verkaufen, dann Kopf abschneiden.«

»Na, und davor wollen wir uns möglichst schützen«, brummte der Kapitän vor sich hin.

Schlaftrunken tauchte jetzt Fritz Fischer aus dem Mannschaftslogis auf. »Nanu? Jeht et wieder los? Was gibt's? Lassen Sie mir man in diese Jondel nich ooch sitzen?«

»Hal di de Düwel, Sneffter!« schnauzte ihn der Kapitän unwirsch an.

Fritze sah erstaunt auf die halbbekleideten, mit Waffen in der Hand dastehenden Matrosen und dann empor zu dem Mast, von dem helles Licht ausging, das kurz darauf verschwand; bald war alles wieder in tiefes Dunkel eingehüllt.

»Es wird so sein, wie du sagst, Atura«, sagte der Kapitän dann beifällig nickend, »einer von den Burschen hat stehlen wollen. Na, dem ist die Sache, immer vorausgesetzt, Herr Findling hat sich nicht geirrt, nicht gut bekommen.«

»Acht Glasen!« (Mitternacht) meldete jetzt der vom Mars herabgestiegene Henrik mit lauter Stimme dem Obersteuermann.

»Na, Marholm«, wandte sich dieser, ohne die Bemerkung des Kapitäns über einen möglichen Irrtum seinerseits zu beachten, an den Zweiten Steuermann, »so übergebe ich Ihnen das Kommando. Mittelwache auf! Steuerbordwache zur Back!«

Die Leute wechselten im Nachtdienst. Leise sagte Findling dann zu Marholm: »Stellen Sie eine Ankerwache aus und, ich rate Ihnen, halten Sie die Augen offen.«

Dieser nickte.

Dem Kapitän schien der ganze Vorfall unangenehm zu sein; er mochte wohl befürchten, daß das erhoffte Geschäft dadurch beeinträchtigt würde, und übelgelaunt ging er zu seiner Kajüte zurück. Auch die Matrosen stellten die Waffen beiseite, und die Steuerbordwache begab sich ins Mannschaftslogis, die andern zerstreuten sich an Deck.

»Du, wat war det eigentlich?« fragte der Schneider Henrik, der neben ihm stand.

»Ein Haifisch wollte an der Ankerkette 'raufrutschen, um sich hier einen von uns zum Abendbrot zu holen.«

Erstaunt sah ihn Fritze an. »Willst du mir blau anloofen lassen?«

»Guck nur über Bord. Der Steuermann hat ihm mit der Speiche eins auf die Nase gegeben, und nun schwimmt er wütend um das Schiff herum und lauert darauf, daß einer von uns baden geht.«

»Na, det ick nich jehe, darauf kann er Jift nehmen. Wat war denn det for'n Licht uff die Mastenstange?«

»Das war das berühmte Sankt Elmsfeuer.«

»Feuerwerk?«

»Es ist kondensierte Elektrizität, von der wir immer einen Vorrat an Bord haben; der Kapitän versteht sich trefflich darauf, ihn zu ergänzen.«

»Wie is det?«

»Der Kapitän fängt die Elektrizität mit einem magnetisch gemachten Blitzableiter aus niedrig ziehenden Gewitterwolken ein und spart sie in seinem Schrank sorgfältig auf, bis wir sie gerade brauchen.«

Fritz Fischer sah sehr verdutzt aus, da aber Henrik, mit seinem trockenen niederdeutschen Humor, durchaus ernst sprach, vermochte der Schneider bei seinem Mangel an Kenntnissen nicht zu unterscheiden, ob er Scherz mit ihm treibe oder Wirkliches berichte.

»Jetzt fangen se ooch schon die Blitze in un sparen se uff! Det war doch früher nich.«

»Nein, das ist eine ganz neue Erfindung, sie stammt von Jupiter fulminans, und man nennt sie die fulminante Fulmenakkumulation.«

»Nee, wat die Menschen noch allens erfinden. Na, mir is et ejal, aber ick sammle nich mit. Herr Jotte doch, wenn der Kapitän so'n Kasten voll von hat, dann kann det Ding doch aber losjehn.«

»Das kommt öfters vor, wenn der Verschluß nicht ganz fest ist; dann fliegt natürlich alles in die Luft.«

»Ick danke vor so neimod'sche Erfindungen. Wär' ick man erst wieder in de Reezenjasse.«

»Geh schlafen, Fritze, und lasse dich durch die neumodischen Erfindungen und kletternden Haifische nicht beunruhigen. Ich gehe auch in die Back.« Er suchte in der Tat seine Schlafstätte auf, ebenso Fritz Fischer.

Findling blieb noch einige Zeit auf Deck, um sich dann ebenfalls in seine Kajüte zurückzuziehen.


 << zurück weiter >>