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Das Kind

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– Cäsar! – Cäsar! …

Mit lustigen Rufen eilte das zwölfjährige Mädchen dem großen Leonberger nach, der sich spielend von ihr losgerissen hatte und nun in ein Blumenbeet zu stürmen drohte – kurz davor aber blieb er stehn und ließ sich fangen.

– Du darfst doch nicht in die Blumen; wenn das Papa sieht, daß wir uns so auf dem Rasen herumtreiben, na, warte nur. Papa muß gleich kommen. Komm, artig zum Onkel Fritz, der sagt nichts, der plaudert nicht aus. Komm rasch, komm rasch! …

Und wieder stürmte sie in der hellen Frühlingssonne die Wege des Gartens hin bis zu einem schattigen Kastanienbaume, wo in einem grünen Korbsessel ein etwa fünfzigjähriger Herr in seine Zeitung vertieft saß. Er blickte auf, als Käthe mit ihren schlanken Beinen und den hellgelben Schuhen zu den braunen Strümpfen, um die das kurze helle Sommerkleid lustig flatterte, auf ihn zugeeilt kam.

Der Hund blieb erst eine Weile schweifwedelnd stehen, legte den Kopf dann auf das Knie des Herrn und streckte sich endlich mit lechzender Zunge in den gelben Gartenkies, während das Kind sich die blonden offenen Haare zurückstrich und schweratmend erklärte:

– Ach, ist mir warm!

Die Blicke des Mannes ruhten zärtlich liebevoll auf dem Mädchen, das unruhig auf dem Stuhle wippte.

– Aber Käthe, wer wird so stürmen; du bist ganz erhitzt und wirst dich erkälten.

– Ach, ich erkälte mich schon nicht! –

Wie sie dasaß, mit heißen Backen und leuchtenden Augen, diesem feinen Gesichte, das so ganz die Züge der Mutter trug, – da war ihm fast, als säße sie vor ihm, wie vor vielen Jahren, genau an demselben Platze – nur daß er selbst damals anders und jünger gewesen war; sonst hätte er auch gewiß nicht gewagt, ihr von seiner Liebe zu sprechen, da doch ihr Mann sein guter Freund war. Aber alle Bedenken, die ihm anfangs gekommen waren, daß er Verrat beging, wurden erstickt von der übermächtigen Empfindung, die ihn beherrschte.

Sie hatte ihn ruhig angehört und nachsichtig gelächelt, – aber als er, der täglich ins Haus kam, sich seltener sehen ließ, weil er sich vor sich fürchtete, – da war sie es, die ihn zurück rief, denn nun wußte sie, daß sie ohne ihn keine Freude am Leben hatte. –

Die Tage gingen hin; aber wie er auch flehte und bettelte – sie kam nicht zu ihm, trotzdem sie ihn liebte und es ihm sagte, immer wieder sagte, mit trunkenen Worten und leidenschaftlichen Küssen, mit Zärtlichkeiten die ihn zur Verzweiflung brachten, weil sie dabei mit aller Kraft sich sträubte, ihm alles zu geben.

Die Gedanken an den Freund, die ihn anfangs veranlaßt, das Haus zu meiden, waren längst von dem wilden Strome seiner Leidenschaft fortgerissen; ob sie derartige Bedenken je gehabt hatte, wußte er nicht. Auf all seine Bitten hatte sie immer nur die eine Antwort:

– Es geht nicht, wirklich, ich kann nicht! –

Eines Tages im Sommer, als er die Hoffnung sie zu erringen endgiltig aufgegeben hatte, kam sie zu ihm, ganz unerwartet, leicht verlegen und ein wenig fieberhaft.

Sie war draußen von der Villa in die Stadt gekommen, ihren Mann abzuholen; aber der hatte keine Zeit; und bei ihrer Schwester war auch niemand daheim gewesen, und nun graute ihr davor, allein zurückzufahren, und dann hatte ihr Mann gesagt: vielleicht kommt Fritz mit hinaus, – so war sie denn, ohne erst einen langweiligen Boten um Antwort zu schicken, eben selbst gekommen. Sie wollte auch mal sehen, wie er eigentlich wohnte.

Mit heißen Backen stand sie im Zimmer in ihrem hellen Sommerkleide und dem großen Hute, unter dem ihre sehnsüchtigen Augen ihn grüßten.

Dann riß sie sich den Hut ab und warf sich in seine Arme, sie gab sich ihm mit einer schrankenlosen Wildheit hin, mit einer Leidenschaft, die keine Bedenken mehr kannte, daß er vergeblich nach ihrem Zaudern von früher forschte, nach dieser sanft wehrenden, immer unentschlossenen, fast kühlen Freundin, die sie ihm stets gewesen war.

In seine Bitten früher hatte sich die leise Andeutung gemischt: daß sie sich nicht zu fürchten brauche, daß sie ihm vertrauen konnte, ohne Sorge vor bösen Folgen.

Dazu hatte sie immer geschwiegen und gethan, als verstehe sie nicht, worauf er anspielte.

Jetzt als er ihr sorgend raten wollte, lachte sie ihn aus mit seinen dummen Bedenken: was etwa geschehen könne, wenn sie so leichtsinnig war. Als ob sie über Nacht völlig ausgetauscht sei; und ihm fiel auf, wie sie schon in den letzten Wochen anders gewesen war – nur hatte er es gar nicht gemerkt. –

Spät am Abend erst fuhr er mit ihr heim, und ganz ruhig, als sei gar nichts gewesen, empfing sie ihren Gatten, sodaß Fritz sich fragte, ob diese kühle, fast ein bischen nüchtern scheinende Hausfrau wirklich dasselbe Wesen war, das er wenige Stunden vorher sinnlos trunken in seinen Armen gehalten hatte. –

Ein paar Wochen gingen hin, und er mußte eine größere Reise nach England unternehmen.

Am Abend zuvor kam sie nochmals zu ihm, und gab sich ihm hin, als wolle sie sich im voraus sättigen für die lange Zeit, die er fern sein mußte.

Da fiel ihm etwas auf, daß er erschrak und sie anstarrte mit fragenden Augen. – Sie hatte ja nicht auf ihn hören wollen. …

Sie aber lachte, wurde glutrot und nickte ganz stolz:

– Jaja, es ist so …

Erst wußte er nichts zu sagen, aber da sie ihn nun auslachte, ob seiner bestürzten Miene, erfaßte ihn allmählich eine übermütige Lustigkeit, weil sie ganz glücklich schien, und er riß sie an sich, daß sie ganz bestürzt sich wehrte.

Mit großen Augen starrte sie ihn jetzt erschreckt an, und als er fragte, hastig, ganz erregt: seit wann – seit wann wußte sie es? – da verstummte sie und gab keine Antwort mehr. Allein er achtete nicht darauf, und war von einer so rührend sorgenden Zärtlichkeit, daß sie anfing zu weinen und kaum zu beruhigen war.

Innerlich sagte er sich frohlockend immerzu: unser Kind, unser Kind! . .

Sie eilte fortzukommen, und erst im Wagen wurde sie ruhiger und beantwortete seine Fragen. – Nein, sie hatte keine Furcht, sie freute sich ja so auf das Kind, sie die früher behauptet hatte: es sei immer nur die Furcht vor einem Kinde, was die Frauen abhalte, ihre große Dummheit zu begehen, und sie selber fürchte sich unsagbar davor. Und dann hätten die Frauen instinktiv ganz recht, denn es sei zu häßlich, ein fremdes Kind so ins Haus zu bringen, das kein Recht dort hatte, für das ein armer bethörter Mann sorgen mußte, der von solch einem kleinen Wesen Vater genannt wurde und sich lächerlich machte im Wahne, sein Fleisch und Blut vor sich zu haben. Das begriff sie nicht, wie eine Frau so handeln konnte. –

So hatte sie früher oft gesprochen, aber nun hatte sie all das offenbar völlig vergessen; hilfesuchend schmiegte sie sich an ihn, während der Wagen die Allee hinfuhr, im schlanken Trabe der Abendsonne entgegen.

Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und starrte vor sich hin, alles erwägend, bis er plötzlich sagte:

– Höre, wir wollen in der Lüge nicht weiterleben, wir wollen ehrlich sein – jetzt wo das Kind kommt, muß er dich ja freigeben!

Sie riß sich von ihm los, die Hand vorgestreckt, den Körper zurückgebogen, mit ganz erschreckten Augen.

– Wir gehen fort, noch heute. Komm mit nach England. Wir wollen gar nicht erst zu dir nach Haus. Wir schreiben ihm alles, und dann bist du ganz mein … Aber was ist dir? was ist denn? …

Sie schüttelte energisch den Kopf.

– Das geht ja nicht, oh, du quälst mich so …

Und plötzlich, aus ihrer stockenden Rede, wie sie fortsah, erschreckend plötzlich begriff er endlich … er begriff, weshalb sie am Ende zu ihm gekommen war, begriff ihre Sorglosigkeit damals … ihre stockende Verlegenheit, als er glücklich von unserem Kinde gesprochen.

Sie war zu ihm gekommen … oh … er wollte auffahren, er fühlte sich lächerlich … er verstand diese Frau nicht, die mit dem Kinde des andern unter dem Herzen zu ihm kam, die …

Da fuhr der Wagen in den Garten ein, und ihr Mann, sein Freund, stand auf den Stufen, und streckte ihnen die Hände entgegen, und vorsichtig, fürsorglich führte er seine Frau wie ein krankes Kind die Treppe hinauf, mit vor Glück strahlendem Gesicht, das er die ganze Zeit schon gezeigt hatte.

Und Fritz mußte bleiben und lächeln und plaudern.

Sie aber saß matt und bleich da, nur zuweilen lächelte sie traurig schmerzlich, und einmal, als sie einen Augenblick allein waren, beugte sie sich vor und fragte ganz zagend:

– Bist du böse auf mich? – Bitte, nicht! – Ich habe es doch nur aus Liebe zu dir gethan! …

Er fand keine Antwort; und dann, ging er, ohne mehr ein Wort mit ihr gesprochen zu haben; und am andern Morgen reiste er nach England. –

Er hatte zu thun und machte sich neu zu schaffen, indem er seine Rückkehr immer weiter hinausschob, bis eines Tages ein Brief von ihr kam: sie müsse ihn noch einmal sehen, es gehe ihr sehr schlecht, und sie fürchtete sich so! –

Als er kam, war das Kind schon da; ihr ging es wirklich schlimm, und am anderen Tage, nachdem er gekommen war, als er lange bei ihr gesessen hatte, ihre fiebernde Hand in der seinen, bis sie vor Mattigkeit eingeschlafen war, starb sie, wie ein Licht erlöscht, das keine Nahrung mehr hatte. – – –

*

– Cäsar, Cäsar! komm, komm! …

Käthe eilte durch den Garten, stürmend, mit flatternden Kleidern, der Hund mit täppischen Sprüngen hinter ihr her, so stürzten sie auf die Gartenpforte zu.

– Väterchen! Onkel Fritz ist da! …

Und sie hing sich an seinen Arm, mit leuchtenden Augen und dem feinen blassen Gesichte ihrer Mutter, diesen Zügen, die nichts vom Vater hatten, ganz das Ebenbild der Mutter – so kamen die beiden auf den Platz zu, wo Onkel Fritz gesessen und geträumt hatte.

Und nun ließ Käthe den Vater los und kam auf ihn zugelaufen, der das Kind, von dem er einen Augenblick lang geglaubt hatte, es werde sein Kind, lieb gewonnen hatte, als sei es sein eigenes.


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